„Architektur will beeindrucken“

 Alzey, den 05.12.2008

Mit diesen Worten führte Amtsgerichtsdirektor Ludemann die Geschichts-AG durch das Alzeyer Schloss und berichtete von dessen Geschichte und dem Wiederaufbau ab 1900.

Herr Ludemann startete die Führung mit einer lockeren Frage-Antwort-Runde über die Geschichte des Alzeyer Schlosses, um den Schülern die heutige Situation zu verdeutlichen. Die Jugendlichen erfuhren hierbei, dass nach der Zerstörung 1689 im Pfälzer Erbfolgekrieg, die Erhaltung der Ruine des Schlosses insbesondere im 19. Jahrhundert sehr teuer für die Stadt Alzey bzw. den hessischen Staat wurde.

Da sich in den 1890er Jahren abzeichnete, dass ein neues, größeres Amtsgericht gebaut werden musste, hatten der damalige Amtsgerichtsdirektor und der Oberbaurat Herr Hofmann eine kreative Lösung. Dank ihrer Kooperation wurden die bereits erworbenen Grundstücke aufgrund ihrer zu geringen Größe wieder verkauft und man plante den Wiederaufbau des Alzeyer Schlosses nur zu einem Zweck: Als Sitz einer Behörde und Stätte des Friedens und Rechtes. 

Nach anfänglicher Skepsis akzeptierten die Alzeyer das aufwändige Projekt und das Alzeyer Schloss wurde in seiner Umgebung zum  „Highlight“ schlechthin für Geschichts- und Kunstfreunde. Es verband nämlich die alte Historie durch das scheinbar detailgetreue Äußere, und im Inneren überzeugten seine mit den Segnungen der damaligen Technik  eingerichteten Arbeitsräume die Mitarbeiter. Das Amtsgericht im Schloss verfügte bereits 1903 über eine Telefonanlage, Strom, fließendes Wasser und eine für diese Zeit noch seltene Wasserklosettanlage.

Doch was um 1900 noch äußerst modern war, ist heute mit einigen Problemen belastet. Herr Ludemann, ist zwar  immer noch begeistert vom besonderen Flair seines Arbeitsortes, bedauert jedoch zugleich  die  fehlende Variabilität des Gebäudes. Um zum Beispiel auf die Bedürfnisse behinderter Personen einzugehen zu können, müsste das Schloss umgebaut und mit Aufzügen ausgestattet  werden. Dies ist aber aufgrund des Baustils und der Auflagen des Denkmalschutzes nicht möglich.

Nach diesem Interview startete die Führung an der zu Verteidigungszwecken angelegten Schildmauer. Diese sollte die Hauptmauer, von welcher man heute noch Teile sehen kann, vor Kanonenschüssen schützen. Danach ging es zurück in das  Innere und neben einer nachgegossenen Gedenktafel bewunderten die Schüler vor allen Dingen den Ziererker im Erdgeschoss. Er ist original erhalten, sehr prachtvoll, ein Vorgänger des Ziererkers im Ottheinrich-Bau des Heidelberger Schlosses und mit der bayerischen weiß-blauen Raute versehen (der regierende Kurfürst von der Pfalz entstammte der Familie der Wittelsbacher, die auch Bayern regierte). Entlang des Ganges schaute man sich gemeinsam die Entwurfskizzen der Architekten Hofmann und Kloß an, und verglich die damalige Planung mit der heutigen Umsetzung.

Der Wiederaufbau des Schlosses blieb unvollendet. Der geplante Hauptturm (der auch vor der Zerstörung auf einem Kupferstich zu erkennen ist) wurde aufgrund von Geldmangel nicht fertig gestellt. Der Erste Weltkrieg, die nachfolgende Inflation und ein sich ändernder Architekturgeschmack führten dazu, dass man darauf verzichtete.  

Über eine gotische Wendeltreppe gelangte die Gruppe in die Gerichtssäle. Bei dem Betreten des großen Gerichtssaals stach allen Beteiligten die Ähnlichkeit mit einem Rittersaal ins Auge. Dunkles Holz, ein alter, ursprünglich mit Gas betriebener Kronleuchter, ein erhobener Podest für die Vertreter des Staates und eine Gerichtsschranke runden das altertümliche Bild ab. Diese Gelegenheit nutzte Herr Ludemann, um den Begriff Historismus am Beispiel des heute für Strafsitzungen genutzten Saales zu verdeutlichen. Man habe diesen Raum einem Rittersaal nachempfunden, um trotz des „modernen“ Inneren historisch zu bleiben, so der Amtsgerichtsleiter. 

Für Herr Ludemann stellt diese Einrichtung außerdem das staatliche System des Kaiserreichs dar, bei dem der Angeklagte und die Zeugen klein vor der Macht des Staates da standen. Deswegen, und auch aufgrund  des prachtvollen Schlosses im Allgemeinen, stellte er fest: „Architektur will und kann beeindrucken.“ 

Damit diese Architektur dauerhaft erhalten bleibt, gibt es außen am Eingang zum Schloss ein Schild der UNESCO, das dazu aufruft, dieses historische Gebäude in Kriegszeiten nie mehr zu zerstören.

Kristin Weingärtner (MSS 12)