Neben Christoph Kolumbus und einigen wenigen anderen stets umstrittenen Helden der spanischen Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt gehört Fray Bartolomé de las Casas in Lateinamerika zu den am häufigsten literarisch verarbeiteten historischen Gestalten. Die vorliegende Studie möchte zu der Beantwortung der Frage beitragen, wie der Apostel der Indios in vergangenen Epochen aus lateinamerikanischer Sicht gedeutet worden ist und welcher Stellenwert Las Casas im kulturellen, geschichtlichen und politischen Selbstverständnis jener Länder auch heute noch zukommt.
Schon
zwanzig Jahre nach seinem Tod wird Las Casas zum ersten Mal
literarisch verarbeitet. Juan de Castellanos (1522-1607)
stammte ebenfalls aus Sevilla und ließ sich als Pfründner
in Kolumbien nieder. Dort verfaßte er die Elegías de
Varones Ilustres, deren erster Teil 1589 veröffentlicht
wurde. Die Elegien berühmter Männer sind ein
episches Tableau der Conquista, das in sofern elegisch
ist, als es neben dem Lob auf die kriegerischen Heldentaten der
Eroberer auch die Trauer über das Dahinschwinden einer
ruhmreichen Epoche zum Ausdruck bringt. Bevor er sich, mit der
Priesterweihe versehen, auf seinen Alterssitz nördlich von
Bogotá zurückzog, war er lange Jahre selbst einer der
Protagonisten der Eroberung gewesen und als Viehzüchter
Nutznießer der Befriedung von Indiogruppen
übrigens in dem Gebiet, das Las Casas für sein glückloses
venezolanisches Projekt zugesprochen worden war. Wenn man bedenkt,
daß Castellanos während seiner vita activa zur
Gruppe jener gehörte, die immer Zielscheibe von Fray Bartolomés
Kritik waren und in bescheidenerem Maße die Opfer seiner
Politik, dann wird verständlich, daß er für den
Dominikaner keine reine Sympathie empfinden konnte und einigen Grund
hatte, in diesem Fall mit seinen Lorbeeren zu geizen. Andererseits
konnte er Las Casas wegen der offiziellen Anerkennung, die dieser als
Beschützer der Indios genoß, auch nicht in Bausch und
Bogen verdammen oder einfach übergehen.
Sie wenden sich nach jedem
Wind,
Zwar zeigt Castellanos als
von den Leyes Nuevas Betroffener kein Verständnis für
die Aktivitäten von Las Casas; dennoch zollt er ihm den Respekt,
der einer solchen historischen Persönlichkeit gebührt
wohl schon aus Rücksichtnahme vor seiner königlichen und
offiziellen Sendung und seinen edlen Motiven, gleichsam als
Ergebenheitsadresse an die königlichen Auftraggeber. Erst nach
dem ausführlichen Bericht der für Castellanos von
vornherein zum Scheitern verurteilten Cumaná-Unternehmung wagt
er in einem abschließenden Urteil eine minimale Spitze gegen
den naiven Indio-Apostel.
Er war es, der die ganze
Boshaftigkeit des Übels aufdeckte,
In Wirklichkeit steht
Castellanos voll hinter der Ideologie und den Praktiken der Eroberer
und scheut sich lediglich, seine Kritik an Las Casas, den er für
einen weltfremden Phantasten hält, allzu offen und konsequent zu
artikulieren. Er läßt die geschichtlichen Fakten sprechen:
Nach dem Abzug der Dominikaner kehrt Ocampo nach Cumaná
zurück, stellt in einer blutigen Strafaktion die alte Ordnung
wieder her und läßt eine Festung errichten, worauf der
Küstenstreifen sich bald wieder zum blühenden Paradies
entwickelt, nicht zuletzt zum Wohle der Indios, wie Castellanos
sich beeilt zu unterstreichen. (58f., 63ff.)
Beginnend mit der
Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten drehen sich die
Vorzeichen um, und es beginnt die ideologische Inbeschlagnahme des
Padre Las Casas. Deutlich beobachten läßt sich das am Werk
des Equatorianers José Joaquín Olmedo (1780-1847). In
seiner berühmten Ode La victoria de Junín. Canto a
Bolívar von 1825 besingt er nicht nur einen entscheidenden
Sieg Simón Bolívars, sondern läßt auch den
letzten Inka Huayna Cápac auftreten, der eine enthusiastische
Zukunftsvision eines von Spanien befreiten und geeinten
Lateinamerikas verkündet. Ein entscheidendes Argument bei seiner
Verurteilung der spanischen Herrschaft in Amerika ist der Mißbrauch
der christlichen Religion. Die Spanier haben in der Neuen Welt seiner
Darstellung nach das Evangelium ad absurdum geführt:
[
] außer
einem,
In seiner Ablehnung der
Kolonialmacht geht der Dichter hier so weit, daß er aus dem
Spanier Las Casas einen Ehrenbürger des inkaischen Alt-Peru
machen möchte. Obwohl er einerseits als der einzig aufrechte
spanische Christ gefeiert wird, sperrt man ihn obendrein
sicher nicht seinem Streben und Hoffen gemäß in den
heidnischen Limbus der Inkas.
Es scheint, daß
zumindest während einer bestimmten Periode Las Casas besonders
das Interesse von Theaterautoren aus dem karibischen Raum fand. In
der Zeit von 19571974 wurden in Guatemala, Mexiko, Kolumbien
und Kuba mindestens sechs Stücke publiziert und aufgeführt,
die das Geschehen um den Apostel der Indios zum
Gegenstand haben. Nicht unwesentlich ist dabei die
Tatsache, daß die Dramaturgen mit Las Casas jeweils einen
entscheidenden, geradezu leitmotivischen Konflikt aus der Geschichte
ihres eigenen Landes ihrer mittelamerikanischen Heimatregion,
aber eigentlich auch ganz Lateinamerikas reflektieren. Las
Casas nimmt eine dramatisch unterschiedlich gestaltbare und
gestaltete Schlüsselstellung zwischen der Kolonialmacht und den
nach Freiheit strebenden amerikanischen Völkern ein. Als
politisch-historischer Hintergrund ist hinsichtlich der
Entstehungszeit der Stücke die kubanische Revolution von 1959
und der von ihr ausgehende ideologische Impetus mitzudenken. Der
Tenor der Werke läßt sich grob als antikolonialistisch,
indigenistisch und kirchenkritisch beschreiben, wobei mal der eine
und mal der andere Aspekt in den Vordergrund tritt. Sofern der
religiöse Aspekt eine Rolle spielt etwa bei dem
Guatemalteken Mario Monteforte Toledo , erscheint Las Casas
mehr oder weniger explizit als Vorbote der Befreiungstheologie.
Stellvertretend für all
diese Theaterbearbeitungen soll hier nur La Audiencia de los
Confines vorgestellt werden, ein Text, den der ebenfalls aus
Guatemala stammende Miguel Ángel Asturias (18991974)
bereits 1957 vorgelegt hat. In all seinen Werken, so auch in diesem
Stück, das er als Chronik in drei andanzas
betitelt, spielt das indigene Kultursubstrat Guatemalas eine
entscheidende Rolle und gewinnt eine dramaturgische Funktion.
Laßt uns verhindern,
daß Tyrannen und wieder Tyrannen in diesem Teil der Welt das
Verbrechen der Verbrechen stets aufs neue begehen: die Verweigerung
der Menschenrechte unter Berufung auf ein göttliches Gebot
!
(135)
Es findet sich sogar ein
expliziter und bewußt anachronistischer Vorausgriff auf die
französische Menschenrechtskonvention von 1782 (133). Der
Dominikaner zeigt sich hier als ein immer junger Rebell
(eine Rolle, mit der er sich selbst identifiziert), als
unerschrockener Kämpfer für die Freiheit unterdrückter
Völker. Doch die Quelle dieser Kampfkraft ist unzweifelhaft das
Evangelium. Für ihn ist die Sklaverei das schlimmste aller
Verbrechen gegen Gott, der das menschliche Geschöpf mit seinem
Abbild prägte und gegen Christus der ihn [den Menschen] mit der
Taufe von allem Übel befreit [
]. (135) Als eine
indianische Anführerin sich im Tod zum Gott des Las Casas
bekennt, reagiert er darauf mit den Worten: Predigt Freiheit
und ihr werdet Christen machen! und richtet diesen Aufruf je
einmal an die Adresse der örtlichen Kleriker und der spanischen
Soldaten. Damit reiht sich Asturias unter die nicht geringe Anzahl
lateinamerikanischer Schriftsteller ein, die in ihren Werken lange
vor der theoretischen Konsolidierung der Befreiungstheologie das
Christentum zum Nährboden eines durchaus auch rebellischen
Engagements machen.
1950 legte der chilenische
Dichter Pablo Neruda 1971 ebenfalls Nobelpreisträger
mit dem Canto General eines der Hauptwerke der modernen
hispanoamerikanischen Literatur vor. Dieser umfassende
oder allgemeine Gesang ist tatsächlich als eine
lyrisch-epische Gesamtschau der Natur, Kultur und Geschichte
Lateinamerikas konzipiert. Neruda sieht sich selbst als cronista
de todas las cosas, und es ist selbstverständlich,
daß auch Las Casas Erwähnung findet.
Man denkt, wenn man nachts
nach Hause kommt, müde,
Damit wird deutlich: Las
Casas ist ein noch heute im politischen Kampf präsenter Prototyp
(und ist dies auch innerhalb des Werkes im Hinblick auf all die
anderen im gleichen Gesang noch behandelten Befreier). Dem
engagierten Dichter ist er Begleiter, Freund, Genosse und wird von
ihm daher in seine Wohnung eingeladen:
Tritt heute mit mir ein in
dieses Haus, Pater,
Das Profil des
Indianerprotektors konkretisiert sich ex negativo durch
wörtliches Zitieren der von den Konquistadoren gegen ihn
vorgebrachten Beschuldigungen wie Agitator und vom
Ausland bezahlter vaterlandsloser Verräter. Das sind
freilich die Standardvorwürfe, mit denen moderne Diktaturen den
Keim der Veränderung zu unterdrücken versuchen und denen
sich auch Neruda selbst ausgesetzt sah. Die marxistische Perspektive
spielt eine Rolle bei der politisch motivierten Aneignung und
Vergegenwärtigung des Padre:
Von Kampf zu Kampf wandelte
sich
Qualitäten, auf denen
der Dichter insistiert, sind Kampfgeist und Stärke als
Eigenschaften, die von einem Kirchenmann wohl nicht unbedingt
erwartet werden:
Nichts
half das Mitleid, hoch und leer
Wenn man bedenkt, daß
Neruda Ende der 40er Jahre als erklärter Stalinist eine
atheistische Haltung vertrat und wie die meisten lateinamerikanischen
Intellektuellen kein Freund von Religion und Kirchenleuten war, muß
die unzweifelhaft vorhandene religiöse Dimension seines Las
Casas-Portraits erstaunen, die mit dem Bild der resurrección
schon eingeführt wurde. In all seiner Widersprüchlichkeit
(sanft und hart) ist er die lebens- und kraftspendende
Symbolfigur einer wie auch immer zu deutenden Auferstehung.
Der Text wird in dieser Hinsicht noch expliziter: Es ist nicht nur
die Rede von Las Casas als einem, der an der Grenze zum Tod die
Hoffnung begründet, sondern in den
Abschiedsworten des Dichter an Las Casas verleiht er ihm offenkundig
eine christologisch-eucharistische Dimension:
Und um nicht hinzufallen, um
mich zu behaupten
Ein anderer Dichter
ebenso wie Neruda durch Übersetzungen auch in Deutschland
wohlbekannt ist der 1925 geborene Nicaraguaner Ernesto
Cardenal. Vieles verbindet ihn mit dem großen Chilenen, von der
Tendenz zur Instrumentalisierung der Literatur als Mittel des
politisch-sozialen Protestes bis zur Wiederentdeckung des epischen
Gedichts für die lateinamerikanische Literatur. Der Versuch der
Verknüpfung von Christentum und Revolution, der sich bei Neruda
eher ungewollt zu ergeben scheint, ist bei dem damaligen Priester
Ernesto Cardenal ein (auch literarisches) Programm.
[
] Sie sind
bettelarm
Sie sind sauber und von
lebendigem Verstand und gelehrig.
Die künstlerische
Leistung besteht eher in der Inszenierung, die ohne
weiteres in eine dramatische Darstellung überführt werden
könnte.
Der König trat auf und
setzte sich auf seinen Thron,
Das erste, was der Leser
sieht ist der im Hofzeremoniell erstarrte Machtapparat
mit dem König, dem Großkanzler und den Mitgliedern des
Indienrats ihnen gegenüber Las Casas, förmlich an
die Wand gedrängt. Der Bischof von Darién legt
seine Auffassung dar, der Dominikaner die seinige, doch die
leidenschaftliche Rede Plädoyer für die Indios und
Anklage der Spanier scheint ungehört zu verhallen: keine
Antwort, kein Kommentar, nur die lakonischen Schlußzeilen:
Es gab eine große
Stille.
In gewisser Weise ist die
Bearbeitung Ernesto Cardenals hier als Ergänzung derjenigen von
Asturias begreifbar, zeigt sie doch Las Casas an jenem anderen,
europäischen Frontschauplatz, wo er ebenfalls wie ein vom Himmel
gefallener Fremder erscheint, der eine Sprache spricht, die niemand
hört noch versteht.
Einen wirklich bedeutenden
Las Casas-Roman hat die lateinamerikanische Literatur bisher
nicht hervorgebracht. Andererseits ist der Roman die klassische
Gattung der neuen hispanoamerikanischen Literatur. In dieser
erzählerischen Großform haben viele Autoren den
totalisierenden Versuch unternommen, einen künstlerischen
Gesamtentwurf der Geschichte und der Kultur der Neuen Welt zu
schaffen. Als Schlüsselfigur des historischen Prozesses ist
Kolumbus zu einer vielfach gestalteten literarischen Figur geworden
und damit eher im Schatten des Entdeckers und scheinbar in
einer Nebenrolle des öfteren auch Las Casas. Der
argentinische Romancier Abel Posse (*1939) ist ein in Lateinamerika
erfolgreicher und vielgelesener Autor, den einige Kritiker allerdings
auch hart an der Grenze zur Trivialliteratur ansiedeln. Jedenfalls
wird ihm niemand sein Gespür für brisante und
publikumswirksame Themen absprechen, die er in einem an García
Márquez erinnernden Stil mit Humor und Sarkasmus in gefälliger
Manier abhandelt. Zwei seiner Romane sind eigenwillige
Nachschöpfungen der spanischen Entdeckung und Eroberung. Im
Mittelpunkt von Los perros del paraíso (1987, Die
Hunde des Paradieses, dt. 1993) steht ebenfalls die Figur des
Christoph Kolumbus, der von seiner genuesischen Kindheit bis nach
Amerika begleitet wird. Kolumbus erscheint als Esoteriker und als
Idealist, der sicher ist, in der Neuen Welt das irdische Paradies
gefunden zu haben. Während seine Mannschaft im Geiste eines
neuzeitlich-europäischen Utilitarismus und Kapitalismus die
Grundlagen für die politische Unterwerfung und ökonomische
Ausbeutung Amerikas legt, hat er sich ins Zentrum der Insel
Hispaniola zurückgezogen und unter dem mythischen Baum des
Lebens seine Hängematte aufgespannt. Er erläßt zwei
Verordnungen, die die Spanier zu einer dem wiedergewonnen Paradies
angemessenen Lebensweise anhalten sollen: wie die Indios mögen
sie von nun an nackt einhergehen und sich außerdem jeglicher
zielgerichteten nach Verdienst und Wachstum strebenden Aktivität
enthalten: nicht Tun sondern Sein. Diese vollkommen
unverständlichen und weltfremden Vorgaben führen zunächst
zu wachsendem Unmut und zur Revolution in der jungen spanischen
Kolonie, bis sie endlich Kolumbus Gefangennahme und
Rücktransport ins Mutterland nach sich ziehen.
Las Casas und Boyl sahen
sich von Pfarrer zu Pfarrer an. Sie fühlten, daß sie sich
voneinander trennten, und vielleicht ahnten sie nicht, daß
diese Tatsache von maßgeblicher Bedeutung für die
Geschichte der katholischen Kirche sein würde. (187)
Las Casas erscheint als
Augenzeuge der Übergriffe gegen die Indios, der seine
Beobachtungen unmittelbar zu Papier bringt. Zutiefst betrübt
schreibt er wörtlich nieder, was später im I. Buch, Kap.
CLX der Historia zu lesen sein wird, nämlich wie
das niedere Volk von Kastilien, die wegen Mordes Verbannten, sich die
Könige und Herren für die niedrigsten und schändlichsten
Arbeiten zu Diensten machten. Ihre Frauen, Töchter und
Schwestern nahmen sie mit Gewalt oder in Güte. (201)
Nichts konnte die Ruhe des
Admirals erschüttern, der davon überzeugt war, daß
die schweren Verstöße, von denen ihm Pater Las Casas
berichtete, nur einem vorübergehenden Verhalten entsprachen,
verständliche Schwierigkeiten jener Menschen, die sich nach
Jahrhunderten kläglichen Daseins nicht an die Seligkeit des
Paradieses gewöhnen konnten. [
]
Las Casas fühlte sich
machtlos, Kolumbus schien ihm nicht zu glauben, welche Brutalitäten
an der Küste verübt wurden.
Sie exportieren
Engel! Gestern wurden fünfhundert verschifft! Man verkauft sie
in Sevilla...
Aber es war sinnlos
weiterzureden.
Außerdem harmonierte
Kolumbus geistig nicht mit dem zukünftigen Bischof. Dessen
unruhiger Verstand schien dem Flug seiner eigenen Phantasie zu
beschränkt. Wenn der Pfarrer ihm etwas Theologisches erklärte,
hatte er immer den Eindruck, daß dieser den Ozean unter
Kontrolle bringen und studieren wollte, indem er ihn in leere
Mineralwasserflaschen abfüllte. (212)
Es ist sicher ein
eigenwilliges Bild von Kolumbus, das hier gezeichnet wird: was Las
Casas betrifft, wird einmal mehr unterstrichen, daß sein Weg
der einer unbeschreiblichen Einsamkeit war, mit Gott als einzigem
Verbündeten.
Der mexikanische Lyriker und
Erzähler Homero Aridjis (*1940) veröffentlichte 1988 den
Roman Memorias del Nuevo Mundo (Erinnerungen an die Neue Welt),
in dessen Mittelpunkt der Eroberer Juan Cabezón de Castilla
steht. In seinem Schicksal spiegeln sich in einer Mischung von
Fiktion und bekannter Historie die ersten Jahrzehnte der Eroberung
Amerikas, und zwar insbesondere Mexikos, beginnend
mit der ersten Reise des Kolumbus. Zwei aufeinanderfolgende Kapitel
des umfangreichen Romans sind Fray Bartolomé gewidmet und
versetzen den Leser in die Jahre 1544/45. Der Erzähler
bereichert die Schilderung der Ozeanüberquerung und der
beschwerlichen Weiterreise in Mittelamerika durch eine Fülle
historisch nicht belegter aber durchaus wahrscheinlicher Details;
dennoch vermittelt die Darstellung den Eindruck der Nüchternheit
und Objektivität auch dann noch, wenn es bei der
Präsentation von Fray Bartolomé heißt:
Er hatte Kaiser Karl V. 1542
in seiner Kurzen Beschreibung der Zerstörung Indiens die
grausame Behandlung dargelegt, der die Spanier die Eingeborenen
unterzogen, und übertrieb dabei die Zahl der Opfer, um ihn zur
Abschaffung der Encomienda zu bewegen. (259)
Den Eindruck historischer
Glaubwürdigkeit verstärken wiederum die mehr oder minder
wörtlichen Übernahmen aus den Schriften Las Casas, bzw. den
Leyes Nuevas, deren Umsetzung das Hauptziel dieser
Indienreise ist. Die Schilderung hat daher im wesentlichen die
mannigfachen Anfeindungen und Aggressionen zum Gegenstand, denen sich
der Indio-Protektor zunächst in Sevilla, dann auf den Inseln und
schließlich in seiner Diözese selbst ausgesetzt sieht:
Aufgrund des Einflusses, den
Fray Bartolomé auf die Abfassung der Verfügungen gehabt
hatte, war er einer der meistgehaßten Männer in der Neuen
Welt. Es gab fast keinen Spanier, alt oder jung, Kleriker
oder Laie, hieß es, der ihn nicht verflucht hätte,
sobald sein Name genannt wurde. Doch strömten Scharen von
Häuptlingen und Indios herbei und brachten ihm Früchte und
Erzeugnisse des Landes dar, als sie von seiner Ankunft erfuhren, und
sie berührten sein Gesicht und seinen Kopf mit den Händen,
um festzustellen, ob er nicht nur sichtbar war, sondern auch
wirklich existierte. (266)
Die Darstellung in diesem
Roman ist jeglichem Enthusiasmus und jeder Idealisierung abhold. Die
Indianer sind alles andere als Engel, und es kommen anders
etwa als bei Cardenal die Unzulänglichkeiten der
Dominikanermission zur Sprache, insbesondere die vollkommen
oberflächliche Evangelisierung, die die Indianer
zwar gewaltfrei zu befrieden vermag, ihnen aber nichts vom Wesen des
christlichen Glaubens näherbringen kann: Sie erfuhren
nichts vom Tod Jesu, denn die Patres vermieden es, einen Gott zu
erwähnen, der gestorben war. Die Auferstehung war zu kompliziert
für sie. (267).
In die Tradition der großen
historischen Tableaus stellt sich der bekannte uruguayische Publizist
Eduardo Galeano (*1940) mit seinem dreibändigen Werk Memoria
del fuego (1982-86), auf deutsch 1983-87 veröffentlicht
unter dem Titel Erinnerungen an das Feuer. Generisch schwer zu
fassen, stellt es doch in mancher Hinsicht einen Rückgriff auf
die von Las Casas selbst gepflegte Form der anklagenden
Chronik dar. Der Autor selbst deutet in seinem Vorwort
an, daß es eine epische Poesie sein könnte,
wodurch die Nähe zu den Werken von Neruda und Cardenal schon
deutlich wird. Das politische Anliegen ist freilich expliziter und
liegt ganz in der Stoßrichtung seiner Anklageschrift Die
offenen Adern Lateinamerikas (1971, dt. 1973). In Gestalt
eines riesigen Mosaiks prägnant formulierter Szenen, Anekdoten,
Momentaufnahmen, Miniaturen präsentiert er ein
Kaleidoskop der lateinamerikanischen Geschichte, getragen von
Antikolonialismus und Solidarität mit den indigenen und
mestizischen Kulturen. Die Mosaiksteinchen sind oft nur
geringfügig modernisierte und poetisierte Auszüge aus
literarischen und historiographischen Zeugnissen zumeist von
Zeitgenossen und aus indigenen Mythen (für die
präkolumbische Epoche). Die Historia de las Indias und
die Brevísima Relación nimmt Galeano
konsequenterweise als eine wichtige Quelle in Anspruch. Die
Greueltaten auf den Inseln, die Verweigerung des Kaziken Hatuey und
viele andere Ereignisse werden unter Rückgriff auf Las Casas
Darstellung präsentiert. Er selbst tritt auf den Schauplatz der
Geschichte unter der Überschrift 1511, Santo Domingo:
Erste Widerrede, und zwar im Zusammenhang mit einem wörtlichen
Zitat aus der legendären Montesinos-Predigt, das die spanischen
Siedler in Aufruhr versetzt:
Nur ein Zuhörer
schweigt verstört. Er kam vor neun Jahren in diese Gegend. Er
besitzt Indianer, Goldadern und Saatfelder; er hat ein Vermögen
gemacht. Er heißt Bartolomé de Las Casas und wird bald
der erste in der Neuen Welt geweihte Priester sein. (79)
Dann wieder gerät er ins
Blickfeld, als er 1531 einen Brief an den Indienrat verfaßt.
Hier wird jene dunkle Seite in Las Casas Indien-Politik
angesprochen, die freilich längst zum Topos seiner literarischen
Gestaltung geworden ist:
Die Siedler, schreibt er,
könnten ja schwarze oder maurische oder sonstige Sklaven mit
sich führen, welche sie bedienen oder von deren Hände
Arbeit sie leben, oder auch anders verfahren, so es nur nicht den
Indianern zum Schaden gereicht. (111)
Als Protagonist der
Geschichte taucht Las Casas wieder 1544 in Campeche auf, als
neugeweihter Bischof von Chiapas. Der designierte
Vollstrecker der Neuen Gesetze ist er nun der meistgehaßte
Mann in Amerika.
Er ist aber auch der
meistgeliebte Mann in Amerika. Er ist die Stimme der Stummen, der
zähe Anwalt derer, mit denen man schlimmer als mit dem Mist
auf den Plätzen verfährt, und der Ankläger
derjenigen, die Jesus Christus aus Habsucht zum grausamsten Gotte
und den König zum Wolfe machen, der nach Menschenfleisch giert.
(139)
Weiterhin erwähnt wird
die Außerkraftsetzung der Leyes Nuevas woraufhin
ihr Initiator sich von Gott verlassen [fühlt], ein
abgerissenes Blatt, allein und ein Nichts sowie andere
entscheidende und immer wieder behandelte Episoden seines Wirkens.
Auf dem Totenbett betet Pater Bartolomé um Gnade vorm
Jüngsten Gericht, weil er mit Neger- und Maurensklaven das Los
der Indianer lindern zu können vermeinte. [
] Im Regen
reist Pater Bartolomé, frei von allen Zweifeln und
Gewissensqualen, zum letzten Mal zu den grünen Welten, in denen
er das Glück kennengelernt hat.
Welches sind nun die
wiederkehrenden Strukturelemente in der literarischen Gestaltung von
Las Casas Leben und Wirken? Zunächst stellt man fest, daß
er von vielen Autoren als eine dramatische Figur
aufgefaßt wird nicht nur von vielen Theaterautoren, die
wir hier nur am Beispiel von Miguel Ángel Asturias behandelt
haben, sondern auch bei Cardenal und dem Erzähler Carpentier.
Als wesentliches Moment stellt sich das Auftreten des
streitbaren Dominikaners vor einer im weiteren Sinne gerichtlichen
Instanz und die kämpferische Auseinandersetzung mit ihr dar. In
den episch-dichterischen Gestaltungen, also bei Neruda,
Cardenal und Galeano wird ein enkomiastisch-heroisierendes Ton
vernehmbar: der Verteidiger der Indios als Held einer postulierten
lateinamerikanischen Nation oder Kultur. Insofern hier Raum für
das Lyrisch-Subjektive bleibt (Neruda), kommt die Identifikation des
Dichters mit Las Casas zum Ausdruck.
Ausgehend
von der inhaltlichen Konzeption und ideologischen Stoßrichtung
wäre es denkbar, die Autoren, die sich mit Las Casas befaßt
haben, in zwei oder drei Kategorien einzuteilen: auf der einen Seite
die Regionalisten und die Amerikanisten,
geeint durch leidenschaftliches Engagement und Identifikation mit Las
Casas, und auf der anderen die Universalisten.
Zum
Abschluß bleibt noch die Frage, ob die literarische Darstellung
des Bruder Las Casas auch eine religiöse Dimension umfaßt
und wie seine Stellung innerhalb der Kirche gestaltet und bewertet
wird. Las Casas wird fast durchgängig (außer bei den
Universalisten) zum Hoffnungsträger erhoben , und
nicht selten tritt er als Präfiguration anderer Symbolgestalten
der ersehnten Befreiung ins Bild: von Bolívar über Che
Guevara bis hin zu Jesus Christus. Wenn er außerdem wie bei
Asturias in die Nähe des Idealisten und mutmaßlichen
Phantasten Don Quijote rückt, verdichtet sich ein fast
durchgängig realisierter sinnbildhafter Zug: Las Casas erscheint
wie ein Wesen aus einer anderen Welt, unangepaßt an die
jeweiligen politischen Verhältnisse, seien es nun die Spaniens
oder die Amerikas. Gestärkt durch das Bewußtsein seiner
höheren Sendung die nirgends in Frage gestellt wird
widersetzt er sich allen scheinbaren Sachzwängen und
läßt sich auch durch Mißerfolge nicht von seinem Weg
abbringen. Bei Neruda, Asturias und anderen steht Las Casas für
eine nicht aus den vordergründig erkennbaren Gegebenheiten
ableitbare Hoffnung auf Befreiung. Bei ihnen und sogar bei Carpentier
und Posse finden sich Formulierungen, die als Postulat einer
lateinamerikanischen Kirche der Armen und Verfolgten zu verstehen
sind. Erstaunlicherweise geht der Marxist Neruda in seiner religiösen
Symbolik am weitesten, während bei Cardenal von Transzendenz
wenig zu spüren ist. Der literarische Werdegang des
Indioapostels macht verständlich, daß schließlich
auch die Befreiungstheologie selbst ihn mit Gustavo Gutiérrez
als einen der Ihren wiedererkannt hat.
sofern nur ihre viehischen Triebe befriedigt werden;
nie
wohnt in ihnen eine gute Absicht,
nie wußten sie Gutes mit
Gutem zu vergelten;
nie zeigen sie Anerkennung und Dank
für
das Wohl, das man ihnen tut.
Es sind schließlich
Leute,
deren Bosheit keine Schranken kennt. (37)
das jenem Volk angetan
wurde,
der starke Verteidiger, Beschützer und Mantel
der
barbarischen Westinder.
Später wurde er Bischof von
Chiapas
und beendete sein Leben als frommer Mann,
und in
Indien lobpreisen ihn mit gutem Recht
die Trotzigen und die
Einfältigen.
dem amerikanischen Märtyrer der Liebe
dem heiligen
Apostel des Friedens und der Nächstenliebe.
Der göttliche
Las Casas, einer andren Heimat würdig,
liebte uns bis zum
Tode. Deshalb wohnt er nun
im Empyreum bei den Inkas.
im kalten Herbstnebel, nach der
Arbeit
in der Gewerkschaft (im alltäglichen Kleinkrieg, am
Bahnhof,
wo der Regen vom Dach tropft, beim dumpfen
Pochen
ständigen Leides),
an diese Auferstehung hinter der
Maske,
intelligent und erniedrigt,
des Unterdrückers, der
Ketten,
und da der Kummer sich dem Türschloß
nähert,
um mit dir einzutreten,
erscheint ein altes
Licht, sanft und hart,
wie Metall, wie ein vergrabener
Stern.
Pater Bartolomé, Danke für dieses
Geschenk
der rauhen Mitternacht. (74)
ich werde Dir die Briefe zeigen, die
Qual
meines Volkes, des Menschen in der Verfolgung.
Ich werde
dir die alten Schmerzen zeigen. (77)
deine Hoffnung in präzises Werkzeug;
der
solidarische Kampf trieb Zweige,
die nutzlose Klage gruppierte
sich zur Partei. (76)
wie eine verlassene
Kathedrale.
Es war deine unbesiegbare Entscheidung, der
aktive
Widerstand, das gewappnete Herz. (76)
auf dieser Erde, weiterzukämpfen:
laß
in meinem Herzen den rastlosen Wein
und das unerbittliche Brot
deiner Milde. (77)
und besitzen keine weltlichen Güter und wollen
keine besitzen,
und deshalb sind sie frei von Hoffart, Ehrgeiz
und Neid.
Ihre Nahrung ist karg wie die der Wüstenväter.
[
]
Und die Spanier kamen wie Wölfe
und Tiger,
wie Wölfe und Tiger zu diesen sanften Schafen.
(117)
und auf die Bänke,
etwas niedriger, setzten sich die Flamen,
Mosiur de Xevres rechts
vom König
und der Großkanzler zu seiner Linken.
Und
neben Mosiur de Xevres der Indien-Admiral,
und dann der Bischof
von Darién.
Neben dem Großkanzler der Bischof von
Badajoz;
und Bartolomé de las Casas dicht an der Wand.
(115)
Dann erhob sich der König und trat in sein Gemach.