Atlas-Logo Atlas der Verbreitung palaearktischer Vögel

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Vorwort zur Lieferung 19

In der langen Periode zwischen dem Erscheinen der Lieferung 18 des "Atlas" (1992) und der vorliegenden Lieferung 19 (2000) geriet das Atlasprojekt in erhebliche Turbulenzen, ja sein Ende erschien zeitweise gewiß. Da der "Atlas der Verbreitung palaearktischer Vögel" jetzt seit über 40 Jahren besteht, sei auf die jüngsten Entwicklungen etwas genauer eingegangen. Zwar war der "Atlas" in den fünfziger Jahren von Erwin Stresemann als Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften der DDR ins Leben gerufen worden - die erste Lieferung erschien 1960 -, doch wurden bekanntermaßen nach der Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands sämtliche Akademie-Projekte der DDR einer Evaluierung unterzogen und damit zunächst zur Disposition gestellt. Der Wissenschaftsrat beurteilte das Atlasprojekt im Frühjahr 1991 positiv und empfahl, den "Atlas" mit gesteigerter Effektivität weiterzuführen und ihn am Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität Berlin, dem seit langem angestammten Arbeitsplatz der Atlasmitarbeiter, weiterzuführen. Auf Grund dieser günstigen Entwicklung wurde das Atlas-Projekt ab 1. Januar 1992 im Wissenschaftler-Integrationsprogramm (WIP) im Hochschul-Erneuerungsprogamm (HEP) etabliert und ab 1. Januar 1994 als Abteilung an das Zoologische Museum und Institut für Systematische Zoologie am Museum für Naturkunde angebunden, jedoch bestand etatmäßig völlige Trennung von Museum und Universität.

Am 6. Januar 1991 verstarb im Alter von 81 Jahren Heinrich Dathe, langjähriger Herausgeber des Atlas bis zur Lieferung 18. Klaus Wunderlich, seit Oktober 1971 und bald federführend beim "Atlas" tätig, übernahm ab 1992 Leitung und Herausgeberschaft. Erika von Vietinghoff-Scheel, seit 1961 wissenschaftliche Mitarbeiterin und um den "Atlas" sehr verdient, schied im Juli 1991 altersbedingt aus der Atlasgruppe aus. Als Nachfolger wurde Henry Hahnke zum 1. Januar 1992 eingestellt. Ab 1992 fand sich Jochen Martens (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) bereit, als deutscher Mitherausgeber zu fungieren.

Der Akademie Verlag in Berlin, bei dem das Atlas-Projekt auch nach der Wiedervereinigung noch erschienen ist, hat die Vertragsbeziehungen 1992 gekündigt. Ein anderer Atlas-Verleger ließ sich nicht kurzerhand finden, da nach der "Wende" der osteuropäische Markt weggefallen war und durch ungünstige Preispolitik auch in Mitteleuropa der Absatz des Atlas stark zurückgegangen war. Da sich immer stärker abzeichnete, daß das Projekt zukünftig auch wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen müßte, wurde am 14. Dezember 1994 im Rahmen des ”Atlas” die "Erwin-Stresemann-Gesellschaft für paläarktische Avifaunistik" gegründet und als gemeinnütziger Verein eingetragen. In einem Aufgabenbereich um Biogeographie, Ökologie, Faunistik, Systematik und Evolutionsbiologie paläarktischer Vögel sollten auch Zubringerdienste für weitere Atlas-Bearbeitungen verankert sein und geleistet werden. In der Gründungsversammlung wurden K. Wunderlich, J. Martens und H. Hahnke in den Vorstand berufen. Der Verein hat seinen Sitz weiterhin in Berlin (Verwaltung derzeit am Tierpark Berlin-Friedrichsfelde).

Das Atlas-Projekt geriet in ernste Not, als sich abzeichnete, daß die zunächst im Hochschulerneuerungs-Programm beruflich gesicherten Wissenschaftler aus der ehemaligen DDR nicht in Dauerstellen übernommen werden würden. Folglich wurden die zum 31. Dezember 1996 auslaufenden Arbeitsverträge von Klaus Wunderlich und Henry Hahnke nicht erneuert. Damit war das Atlas-Projekt faktisch erloschen, und, schlimmer noch, am 18. April 1997 verstarb Klaus Wunderlich tragisch und unerwartet. Es kam hinzu, daß alle Arbeitsmaterialien der Atlas-Gruppe, entsprechend einer hier sicherlich falsch verstandenen Bestimmung im WIP-Programm, der jeweils tragenden Institution übergeben werden mußten. Das galt für die alle in der Nachwendezeit angeschafften Rechner und Arbeitsprogramme, aber auch für die ganze Bibliothek, die in Jahrzehnten der Atlas-Tätigkeit überwiegend durch Tausch zusammengetragen worden war. Sie verblieb ebenfalls im Museum für Naturkunde. Da sich die Erwin-Stresemann-Gesellschaft als Rechtsnachfolgerin des früheren Atlas-Projektes der Akademie der Wissenschaften der DDR betrachtet, war es nach langwieriger Prüfung der Eigentumsverhältnisse seitens der Rechtsabteilung der Humboldt-Universität der Gesellschaft 1997 immerhin möglich, alle noch im Museum verbliebenen Atlas-Lieferungen und bereits gedruckte Farbtafeln zu übernehmen.

Unter diesen weder finanziell noch organisatorisch günstigen Voraussetzungen erscheint nun Lieferung 19 des "Atlas". Das meiste dessen, was wir hier vorlegen, wurde noch in der regulären Atlaszeit am Museum für Naturkunde in Berlin erarbeitet und bald darauf gedruckt. Anderes erwies sich als unzulänglich; es mußte verworfen und teilweise neu erarbeitet und gedruckt werden. Das jeweilige Jahr der Drucklegung ist in der obigen Inhaltsliste und auf den einzelnen Blättern vermerkt.

Das "Atlas"-Projekt hat ab dieser Lieferung keine vertraglich begründete Anbindung mehr, es ist "privatisiert". Alle Arbeit muß somit aus Enthusiasmus jener entspringen, die den "Atlas" für eine wichtige Institution halten und ihn fortgeführt sehen möchten. In Eigenleistung einiger weniger ist das indes nicht zu schaffen; Sammeln von Fundortdaten, vor allem in den asiatischen Teilen der Paläarktis, ist langwierig und nur in großen Bibliotheken zu leisten. Hilfe bei der Fortführung des Projektes aus den Reihen der Mitglieder der Erwin-Stresemann-Gesellschaft ist noch wichtiger als zuvor. Alle Kenner der Verbreitung, Ökologie und Systematik paläarktischer Vögel sollen sich angesprochen fühlen, ihr Wissen einzubringen.

Erwin Stresemann hatte seinerzeit "mindestens 200 Arten" paläarktischer Vögel für Wert befunden, im Atlas dargestellt zu werden, - vor allem solche, die er als systematisch schwierige, im Evolutionsprozess dynamische und in ihren verwandtschaftlichen Beziehungen aufschlußreiche ansah. Vor allem Singvögel und Spechte erschienen ihm wichtig. Mit dieser Lieferung 19 sind im Atlas 217 Arten behandelt worden, etwa dem ursprünglichen Plan Stresemanns entsprechend. Dennoch halten wir das Projekt auch unter Stresemanns Prämissen nicht für abgeschlossen. Dank der auflebenden Diskussion über Biodiversität und ihren weltweiten Schutz und damit einhergehend um den Artbegriff, ferner Dank der Einführung neuer Techniken in Taxonomie und Systematik beginnen diese Diszplinen wieder eine erkennbar größere Rolle innerhalb der Zoologie zu spielen als man bei Begründung des Atlas ahnen konnte. Ferner hat sich die Skala der Wertigkeiten für den Atlas um besonders bedrohte Großvögel erweitert, die starke Bestands- und Arealeinbußen zu verzeichnen haben; - die Großtrappe ist ein Beispiel. Ein definitiver Abschluß des Projektes ist aus diesen Gründen, die unterschiedlich kartierungsrelevant sind, bis jetzt nicht avisiert, de facto auch nicht absehbar. Zuarbeit interessierter Autoren und die wirtschaftlichen Verhältnisse hinsichtlich der Herstellung einzelner Lieferungen werden möglicherweise Limitierungen setzen, die bislang nicht abschätzbar sind.

Mögen wir uns an das erinnern, was Erwin Stresemann vor 40 Jahren intendierte und in der 1. Lieferung des Atlas 1960 formulierte: "Seit langem besteht bei den Biologen der verschiedensten Richtungen ein Bedürfnis nach Kartenwerken, die die Verbreitung von Pflanzen und Tieren zeigen. Die Grenzen ihres Nutzwertes sind sehr weit gezogen: sie schließen ein oder berühren die Interessensphären der Evolutionsforschung, der Taxonomie, der Oekologie, der Palaeogeographie und verwandter Wissensgebiete". Es ist unser Ziel, hier anzuknüpfen und fortzufahren.

Jochen Martens