Atlas-Logo Atlas der Verbreitung palaearktischer Vögel

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Vorwort zur Lieferung 20

Die Lieferung 20 des "Atlas der Verbreitung palaearktischer Vögel" umfasst Artbearbeitungen, die nahezu gänzlich aus den Reihen der Mitglieder der „Erwin-Stresemann-Gesellschaft für paläarktische Avifaunistik“ erstellt wurden. Nur ein Kapitel stammt noch aus der Feder der früheren "Atlasgruppe", die am Museum für Naturkunde zu Berlin arbeitete. Damit hat der Atlas endgültig das Feld der institutionell geförderten Projekte verlassen. Wissenschaftler auf eigens bezahlten Stellen stehen ihm nicht mehr zur Verfügung.

Die jetzige Selbständigkeit hat Vor- und Nachteile, – Freiheiten, aber auch Belastungen. Unseren Vorteil sehen wir darin, dass die Stresemann-Gesellschaft über die Konzeption des Atlas frei entscheiden kann. Das bezieht sich vor allem auf wissenschaftliche Anliegen, die Finanzierung und den Vertrieb. Daraus ergibt sich zugleich der Zwang, die meisten Arbeiten auf ehrenamtlicher Basis zu leisten. Vor allem bei der Bearbeitung der Arten sind der "Atlas" und die Gesellschaft auf die Zuarbeit von Kennern paläarktischer Vögel angewiesen. Nur wer eigene Erfahrung aus dem Freiland besitzt, kann über Ökologie und Verbreitung fundiert berichten. Die vorliegende Lieferung beweist das eindringlich. Zugleich geht die Privatisierung des Atlas-Werkes mit einem herben Verlust einher. Die jahrzehntelange überaus bewährte Kooperation zwischen dem Leningrader Zoologischen Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und dem Atlas-Projekt der Akademie der Wissenschaften der DDR ließ sich in den Wirren der Wende in der Sowjetunion und während und nach der deutschen Wiedervereinigung nicht aufrecht erhalten. Die Lebensumstände der russischen und deutschen Kollegen änderten sich so drastisch, dass selbst dieses Langzeitprojekt aufgegeben werden musste. Für die langjährige Treue zum Atlas-Vorhaben danken wir Frau Irena Anatoljewna Neufeldt und Herrn Vladimir Michailovich Loskot sehr herzlich und in vielfacher Erinnerung. Auch die Änderung der Situation in der Berliner Atlas-Zentrale war nachhaltiger kaum vorstellbar (vgl. Lieferung 19, 2000). Diesen Verlust an geografischer Weite hoffen wir wenigstens teilweise dadurch auszugleichen, dass wir einen Mitherausgeber aus der Volksrepublik China gewinnen konnten. Prof. Dr. Yue-Hua Sun vom Zoologischen Institut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking wird uns zukünftig in diesem Gebiet der Paläarktis zur Seite stehen.

Die freie Mitarbeiterschaft der Bearbeiter einzelner Arten zwingt zu einer weiteren Beschränkung. Das ureigenste Anliegen des Atlas, seinerzeit von Erwin Stresemann formuliert, evolutionsbiologisch besonders „interessante“ Arten kartographisch darzustellen, führen wir weiterhin bevorzugt durch. Wir sind zu einem guten Teil auf solche Artbearbeitungen angewiesen, die uns Autoren mit großem Erfahrungsschatz zur Verfügung stellen. Solche Informationen „aus erster Hand“ darzustellen, ist ein wichtiges Anliegen.

Die Fakten, überwiegend in Form der dokumentierten Verbreitungsangaben, sind abhängig vom Artkonzept. Bis in die jüngste Zeit musste der eigene Standpunkt im "Atlas" nicht diskutiert werden. Für Erwin Stresemann war das Mayr'sche Biologische Artkonzept (BSC) maßgebend; ein anderes stand nicht zur Verfügung. Inzwischen hat sich die Situation geändert. Mit dem Phylogenetischen Artkonzept (PSC) hat in der Zoologie eine weitere Vorstellung über die zoologische "Art" Einzug gehalten und auch in der Ornithologie stellenweise Fuß gefasst. Während das BSC bekanntermaßen einen umfassenden Genpool betont, über die Fortpflanzungsgemeinschaft die Angehörigen einer Art definiert und auf die Fortpflanzungslücke zwischen den Arten achtet, sieht das PSC die Situation einfacher: Jede durch klare Merkmale getrennte Population, seien sie morphologischer, bioakustischer oder gar genetischer Natur, langen aus, „Arten“ zu definieren. Folgt man diesem Prinzip konsequent, so steigen die Artenzahlen, auch innerhalb der Paläarktis, drastisch. Selbst die mitteleuropäische Fauna ist von dieser Sichtweise betroffen.

In diesem Spannungsfeld muss der Atlas seine Position finden. Prinzipiell wird er weiterhin dem BSC folgen. Nur dieses, nicht das PSC, vermag die „kritischen“ Fälle im Übergangsbereich von Art und Unterart treffend zu beschreiben, und nur dieses sucht nach Kontaktzonen nahe verwandter Formen. Artbildungsprozesse zu dokumentieren ist Anliegen des "Atlas".

Allerdings dürfen wir nicht verkennen, dass moderne Methoden der Populationsanalyse, in der Ornithologie durch Bioakustik und Molekulargenetik vertreten, den Blick dafür öffnen, dass nach bisherigem Verständnis „fest gefügte“ Biospezies eben doch Sammelbecken von markant differenzierten Populationen sein können, die den Status einer Biospezies erreicht haben. Blaumeise, Wintergoldhähnchen und Goldhähnchenlaubsänger sind Beispiele aus jüngster Zeit. Der "Atlas" wird weiterhin den Weg verfolgen, mehr die Zusammenhänge zu betonen denn die Differenzen (vgl. Vorwort zur Lieferung 1, 1960!). Offenkundig vikariierende Taxa, auch im Rahmen von Superspezies, sollten in einem zeitlich überschaubaren Rahmen noch zur Darstellung gelangen. Es war nie Ziel dieses Kartenwerkes, sämtliche paläarktischen Arten vorzustellen, wohl aber über die kartografische Darstellung auf evolutive Differenzierungsmuster aufmerksam zu machen. In diesem Sinne wäre zu begrüßen, wenn komplexe Geospezies (Spezies / Superspezies) z. B. der Großmöwen (Larus), Rabenvögel (Corvus, Pica, Garrulus glandarius), der Sperlinge (Passer) u.a. bearbeitet würden. Von großem Interesse sind ferner die Areale solcher Arten, die in größerer Anzahl sympatrisch vorkommen (z. B. Calidris, Carpodacus).

Dank: Die Genese dieser Atlas-Lieferung erfreute sich vieler Helfer. Auf Vermittlung von Prof. Dr. J. Preuss (Geographisches Institut der Universität Mainz) erstellte Herr M. Schmanke die Reliefkarte, die den Verbreitungskarten nun zugrunde liegt und die dem Atlas ein neues Gesicht verleiht. Beiden sind wir zu großem Dank verpflichtet. Die Verbreitungsbilder erstellten Frau Dr. C. Quaisser und Frau Dipl.-Biol. S. Engler an den Staatlichen Naturhistorischen Sammlungen, Dresden (Museum für Tierkunde). Die Ornithologische Gesellschaft in Bayern unterstützte die Drucklegung mit einem namhaften finanziellen Zuschuss. Wir danken Vorstandschaft und Beirat der Gesellschaft, vor allem dem Vorsitzenden, Herrn M. Siering; – und Herrn R. Pfeifer für die freundliche Vermittlung. Herr S. Ernst beriet uns in buchtechnischen Fragen. Herr Dr. M. Abs vermittelte die Übersetzung russischer Texte und half bei der Koordinaten-Erfassung. Die Artautoren wurden von zahlreichen Kennern mit Literatur und persönlichen Auskünften unterstützt; sie sind in den einzelnen Artkapiteln genannt. Allen sprechen wir unseren herzlichen Dank aus.

S. Eck, J. Martens