Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn;
dû bist beslozzen in mînem herzen,
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost och immer darinne sîn.
(Unbekannte Dichterin)


Anmerkung von Jens Walter Heckmann:

Das Gedicht findet sich am Ende eines ansonsten in lateinischer Sprache geschriebenen Briefes einer hochgestellten Dame an ihren Lehrer, einen Geistlichen. Thema des Briefes ist die 'amicitia'. Im darauffolgenden Brief wirbt der Geistliche um die Dame, die ihn aber in einem dritten Brief klar abweist - sie hat das Gedicht offenbar eher platonisch gemeint. Alle drei Briefe stammen aus einer Briefsammlung des Werinher von Tegernsee, die uns in einer um 1200 geschriebenen Handschrift erhalten ist (heute in der Münchner Universitätsbibliothek, Codex lat. 19411). Die Verfasserin ist im übrigen unbekannt.

... In mittelhochdeutscher Standard-(Germanisten-)orthographie lautet das Gedicht: ... [s. o.]

Im Original (ich habe hier ein Faksimile vorliegen) ist das Gedicht folgendermaßen geschrieben:

Du þist min ih bindin · des solt du gewis sin · du bist beslossen
in minem herzen · verlorn ist daz sluzzellin · du muost och immer
dar inne sin ··
Am Anfang erkennt man, dass der (Ab-)Schreiber zuerst "Du pist min" geschrieben, dann aber das "p" zu einem "b" korrigiert hat (bairische Texte zeigen oft "p" statt "b"). Das Wort "muost" im letzen Satz ist eigentlich "most" geschrieben, wobei über dem "o" ein kleines "u" geschrieben ist (kann ich hier nicht adäquat wiedergeben). Die "i" haben im Original keine Dötzchen (kann ich hier auch nicht wiedergeben).

...

Seidel/Schophaus,
Einführung in das Mittelhochdeutsche,
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, Wiesbaden 1979,
ISBN 3-7997-0695-X
(Band 8 der Reihe "Studienbücher zur Linguistik und Literaturwissenschaft")
Das Gedicht ist dort ausführlich besprochen (4 Seiten, plus Faksimile).


Anmerkung von Jukka Hoehe:

Die interessanteste Anmerkung stand in folgendem Werk:

Deutsche Dichtung des Mittelalters
Bd. I, Von den Anfängen bis zum hohen Mittelalter
Hrsg. von M. Curschmann und I. Glier
München: Hanser, 1980
Da steht im Kommentar (S. 784): "Zusammenfassender deutscher Abschluß eines rhetorisch-gelehrten, lateinischen Liebesbriefes einer Nonne in einer Tegernseer Handschrift, in der eine ganze Reihe solcher Briefe stehen (2. Hälfte 12. Jahrhundert)."
Anmerkung eines ungenannt bleiben wollenden:

Das Gedicht stammt aus einer Handschrift des Benediktinerklosters Tegernsee, seine Eintragung wird um 1180 datiert. Weil nun die Verse einen Nachtrag zu einem lateinischen Liebesbrief bilden, der vermutlich von einer Nonne verfaßt wurde, mag viel über die Urheberschaft spekuliert worden sein, plausibel sind derartige Zuschreibungen aber nicht. Wissenschaftlich hat sich zuletzt Jürgen Kühnel mit diesem Text befaßt

"Du bist min. ih bin din":
Die lateinischen Liebes- (und Freundschafts-) Briefe des clm 19411
Hrsg. von Jürgen Kühnel.
Göppingen, 1977
Er gelangt zu dem Schluß, daß diese Zeilen überhaupt kein eigenes Gedicht bildeten, sondern nur eine Zusammenfassung des vorhergehenden Briefes in deutscher Reimprosa (S. 33).

Weitere Literatur zu dem Gedicht findet man in:

Deutsche Lyrik des frühen und hohen Mittelalters
Ed. der Texte und Kommentare von Ingrid Kasten.
Frankfurt am Main: Dt. Klassiker-Verl., 1995, S. 576

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