[JoGu]

Kryptologie

Jacques Futrelle: Mystery of the Fatal Cipher

[Das Rätsel der verhängnisvollen Geheimschrift]

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Steganographisch relevanter Auszug

[Deutsche Übersetzung K. P.]

[AdÜ: Die Übersetzung des Briefes muss, wie weiter unten deutlich wird, etwas frei sein, um die Pointe der Geschichte ins Deutsche zu retten. Dass der Brief recht merkwürdige Formulierungen enthält, ist aber auch in der originalen englischen Version auffällig und spielt eine wichtige Rolle.]


[Beginn von Kapitel I]

Zum dritten Mal las Professor Augustus S. F. X. Van Dusen - genannt »The Thinking Machine« - den Brief. Dieser lag vor ihm auf dem Tisch, und seine blauen Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, während er ihn durch seine schweren Augengläser hindurch studierte. Die junge Frau, die ihm den Brief ausgehändigt hatte, Miss Elizabeth Devan, saß geduldig auf dem Sofa in dem kleinen Empfangsraum des Hauses von The Thinking Machine. Ihre blauen Augen waren weit offen, und sie starrte fasziniert auf den Mann, der eine so bedeutende Rolle bei der Lösung unangreifbarer Geheimnisse eingenommen hatte.

Und so lautete der Brief:

An die Hinterbliebenen:

Ermüdet vom Leben suche ich jetzt das Ende und bin zufrieden. Aller Ehrgeiz ist gestorben; ins Grab muss ich durch die Todespforte. Da ich die ganze Arbeit meiner eigenen Hände verlor, handle ich gemäß meines freien Willens und meiner eigenen Tatkraft.

Als Besitz meines Sohnes hinterlasse ich alles, und ihr, die mich geschädigt und die mich betrogen habt, ihr lest dies und sollt euch bestraft fühlen. Und nur durch ihn könnt ihr Vergebung finden.

Ich verabscheute euch immer und kann eure ewigen Betrügereien nun nicht länger ertragen. Ich muss niederschreiben: Ihr stahlt mir mein Geheimnis. Meine Ohren sind euch verschlossen für immer. Der hölzerne Schrein ist mein letzter Ruheplatz.

Auf die heiterste und angenehmste Seite des Lebens verbuche ich (7) meine Wertschätzung für ihn. Familien Bande, verpflichtend wie die Bibel selbst, hießen mich, ihm alles zu vermachen.

Mit dieser Erklärung sage ich euch Lebewohl.

                                                    POMEROY STOCKTON

[...]


[Beginn von Kapitel VI]

»Zunächst, Mr. Hatch«, fuhr The Thinking Machine fort, während er den Brief, der ihm ursprünglich von Miss Devan ausgehändigt worden war, herauszog und auf dem Tisch ausbreitete, »musste die Frage, ob eine geheime Botschaft in dem Brief enthalten sei, geklärt werden.

Es gibt tausenderlei Geheimschriften. Eine davon, die wir >willkürliche< Chiffre nennen, wurde in Poes Geschichte >Der Goldkäfer< exzellent beschrieben. Bei dieser Chiffre wird als Ersatz für jeden Buchstaben des Alphabets ein Zeichen oder Symbol verwendet.

Dann gibt es Buchchiffren, die vielleicht die sichersten Chiffren überhaupt sind; denn ohne Hinweis auf das Buch, aus welchem Wörter gewählt und durch Zahlen bezeichnet werden, kann niemand sie lösen.

Wir sollten dieses Thema jetzt nicht weiter vertiefen; lassen Sie uns lieber den Brief hier auf mögliche Chiffrierung untersuchen. Eine sorgfältige Prüfung lässt drei mögliche Ansatzpunkte erkennen. Der erste ist die Ausdrucksweise insgesamt. Es ist ja keine flüssig formulierte Aussage, wie sie ein Mann verwenden würde, der im Begriffe steht, Selbstmord zu verüben, außer er verfolgte einen bestimmten Zweck - das heißt, einen Zweck, der über die offensichtliche Bedeutung des Briefes hinausgeht. Daher nehmen wir einmal an, es gibt einen anderen Zweck, der sich hinter einer Chiffre versteckt.

Der zweite Ansatzpunkt wird durch eine falsche Getrenntschreibung geliefert. Sie haben sicher bemerkt, dass das Wort >Familienbande< zusammen geschrieben sein müsste. Das könnte natürlich ein Versehen beim Schreiben gewesen sein, wie es jedem unterlaufen kann. Aber nahe bei finden wir den dritten Ansatzpunkt.

Das ist die Ziffer sieben in Klammern. Sie hat anscheinend keine Verbindung mit irgendeinem Wort davor oder dahinter. Das kann auf keinen Fall ein Versehen sein. Was also soll es bedeuten? Ist es ein notdürftiger Hinweis auf eine hastig konstruierte Chiffre?

Ich hielt die Ziffer sieben zuerst für eine Art Schlüssel zum gesamten Brief, immer unter der Voraussetzung, dass es überhaupt eine Chiffre gäbe. Ich zählte von der Ziffer aus sieben Wörter weiter und fand das Wort >verpflichtend<. Sieben Wörter von da aus ergaben als nächstes Wort >ihm<. Die beiden Wörter zusammen ergaben keinen rechten Sinn.

Ich hielt inne and versuchte es rückwärts. Das siebte Wort davor ist >und<. Das siebte Wort vor diesem >und< ergab auch keinen Sinn. Ich prüfte diese Theorie über die Sieben an allen Stellen des Briefs und fand nur ein hoffnungsloses Durcheinander. Dasselbe fand ich beim Abzählen von sieben Buchstaben. Diese Buchstaben ließen keine Bedeutung erkennen, es sei denn, jeder Buchstabe stand willkürlich für einen anderen. Das aber führte sofort zu großen Schwierigkeiten. Da ich glaube, dass man die einfachen Möglichkeiten zuerst ausschöpfen sollte, begann ich von neuem.

Nun, welches Wort in nächster Nähe der Sieben bedeutete mit ihr zusammen überhaupt etwas? Nicht >Familien<, nicht >Bande<, nicht >Bibel<, die aussagekräftigsten Wörter hinter der Sieben. Aber von der Sieben zurückgehend fand ich in der Tat ein Wort, das passte und etwas bedeutete. Das war das Wort >Seite<. Ich sah unmittelbar >Seite sieben<. Und >Seite< war das fünfte Wort vor der Sieben.

Was war das fünftnächste Wort rückwärts? Das war >Auf<. Damit hatte ich >Auf Seite sieben< - zusammenpassende Wörter in der richtigen Reihenfolge, jedes fünf Plätze vom andern entfernt. Das fünfte Wort hinter sieben war >Familien<, das fünftnächste >Bibel<; also >Auf Seite sieben Familienbibel<.

Es ist nicht nötig, die weitere Untersuchung der Chiffre zu beschreiben. Ich arbeitete von der Sieben rückwärts und nahm jedes fünfte Wort, bis ich alle Chiffrewörter hatte. Ich habe sie hier unterstrichen. Lesen Sie die unterstrichenen Wörter, und Sie haben die Lösung.«

Hatch ergriff den Brief, der wie folgt markiert war:

An die Hinterbliebenen:

Ermüdet vom Leben suche ich jetzt das Ende und bin zufrieden. Aller Ehrgeiz ist gestorben; ins Grab muss ich durch die Todespforte. Da ich die ganze Arbeit meiner eigenen Hände verlor, handle ich gemäß meines freien Willens und meiner eigenen Tatkraft.

Als Besitz meines Sohnes hinterlasse ich alles, und ihr, die mich geschädigt und die mich betrogen habt, ihr lest dies und sollt euch bestraft fühlen. Und nur durch ihn könnt ihr Vergebung finden.

Ich verabscheute euch immer und kann eure ewigen Betrügereien nun nicht länger ertragen. Ich muss niederschreiben: Ihr stahlt mir mein Geheimnis. Meine Ohren sind euch verschlossen für immer. Der hölzerne Schrein ist mein letzter Ruheplatz.

Auf die heiterste und angenehmste Seite des Lebens verbuche ich (7) meine Wertschätzung für ihn. Familien Bande, verpflichtend wie die Bibel selbst, hießen mich, ihm alles zu vermachen.

Mit dieser Erklärung sage ich euch Lebewohl.

                                                    POMEROY STOCKTON

Hatch las langsam dieses:

ich bin gestorben durch die Hände meines eigenen Sohnes ihr die lest bestraft ihn Ich kann nicht niederschreiben Geheimnis verschlossen Schrein Auf Seite (7) Familien Bibel alles Erklärung

»O, beim Allmächtigen!«, rief der Reporter aus. Das war ein Tribut an The Thinking Machine, aber auch ein Ausdruck des Entzückens über das Gelesene.

»Sehen Sie,« erklärte The Thinking Machine, »Wären die Wörter >Familien< und >Bande< zusammengeschrieben, wie es sich gehört, wäre die Anordnung der Chiffre verloren gegangen; daher wurden sie absichtlich auseinander geschrieben.«

»Das reicht, um Stockton auf den elektrischen Stuhl zu schicken«, sagte Hatch.

[...]


[Aber es kommt alles ganz anders. Wer es genau wissen will, möge das Original lesen.]


HTML-Autor: Klaus Pommerening, 15. Dezember 2005; letzte Änderung: 18. Dezember 2005.