[JoGu]

Kryptologie

John Bennett: The Treasure of Peyre Gaillard

[Der Schatz von Peyre Gaillard]

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John Bennett [1865 - 1956]: The Treasure of Peyre Gaillard. The Century Company, Charleston 1906.
Nachdruck: The History Press, Charleston 2004.

[Die Geschichte spielt 1867 in South Carolina und bezieht sich auf einen Schatz, den der Gutsbesitzer Peyre Gaillard in den Revolutions- und Kriegswirren von 1778 in einem Sumpf versteckt hat. Der Sprecher »er« im folgenden Extrakt und Held der Geschichte ist Jack Gignillatt, der Erzähler »ich« der Handlung Buck Guignard.]


Kryptographisch relevanter Auszug

[Deutsche Übersetzung K. P.]

XXIII - DER ENTSCHEIDENDE HINWEIS: DAS KRYPTOGRAMM

[...]

Er wandte sich um, nahm die abgerissene Karte und hielt sie so, dass wir alle sie sehen konnten.

»Die auf die Rückseite dieser Karte hingekritzelte Notiz ist der Schlüssel zu dem gesamten Rätsel«, sagte er. »Du fragst nach einer unwiderlegbaren Tatsache; den Wunsch erfülle ich Dir jetzt: Dieses Gekrakel hier ist eine chiffrierte Nachricht, geschrieben von Peyre Gaillard.«

[Peyre Gaillards Kryptogramm]

[...]

»Aber warum sollte er eine chiffrierte Nachricht schreiben?« fragte Diccon in leicht verächtlichem Ton. »Niemand konnte sie verstehen, niemand konnte sie lesen. Warum in aller Welt etwas chiffrieren, wenn es niemanden gibt, der es lesen kann?«

Jacks Wangen glühten leicht und seinen Augen blitzten. »Aber es gab jemanden, der sie lesen konnte; zumindest dachte Peyre Gaillard das; es hatte jemanden gegeben.«

»Wen?«

»Maître Fleur, le Clerc, [...]; er war [...] sein Privatsekretär, [...] völlig vertraut mit M. Gaillards geheimem Code, und vermutlich anwesend, bereit und in der Lage, einen solchen Text zu entziffern. Aber welch fatales Unglück! Maître Fleur le Clerc war tot [...]«

[Peyre Gaillard selbst kam auf der Flucht um, einzig sein schwachsinniger Negersklave Judas überlebte und wiederholte immer wieder die für alle völlig unverständliche Botschaft:]

»Maussa Peyre say: A rumble souf wid a parasol at noon f'om Monday Goole's to Hongry Jane's; bile de can souf-wes' wid a leak in de pan, tanny-go, sanny-go.«

XXVI - EIN LICHTSCHIMMER IM DUNKEL; JEANNES HILFREICHE HAND

[...]

»Zur Abwechslung wandte ich mich dem Kryptogramm auf der Rückseite von Peyre Gaillards Karte zu. Ich zweifelte nicht länger, dass es eine Chiffre war; Politiker und Geschäftsleute verwendeten in jenen Tagen private Codes und Chiffren für ihre vertrauliche Korrespondenz. [...] Ich nehme alle Hilfe an, die ich bekommen kann: Jeanne brachte mir dies aus der Bibliothek; [...]«

Es war ein altes Buch, in Kalbsleder gebunden, von Alter und Feuchtigkeit nachgedunkelt, mit Flecken übersät und rissig, auf einem verblichenen purpurnen Etikett in Schwarz und Gold die Inschrift Phil Thicknesse, A Treatise on the Art of Deciphering.

»Man kann bezweifeln«, sagte Jack, »dass irgendein Mensch, sei er auch noch so genial, jemals ein Kryptogramm erstellt hat, das nicht ein anderer entwirren konnte. Es kann schwierig sein, das zu vollbringen, ja, aber nicht schwieriger, als gut Schach zu spielen. Die Regeln, die hier niedergeschrieben sind, können überall angewandt werden, wo man sie braucht.«

Ich habe niemals eine bessere Beschreibung dieses Vorgangs gehört.

XXVII - DIE ENTZIFFERUNG DER GEHEIMSCHRIFT

»Bei der Entzifferung von Kryptogrammen«, sagte Jack, »braucht man zum Teil scharfsinnige Vermutungen, zum Teil Berechnungen und Schlussfolgerungen.« [...]

Dieses war die Inschrift:

nm'×°#&5=5=*=+×^£(  5+@  °#   ×*  (^=.*)°._*£×)  )°55=8  )°#  ^=@
°5°_8  )×^&  5£  ×*   °#£8+*5×4  4×^'
5××5  *=  #°×#×)  =#  ^=@   (^=._*£×)  ×64£^  =    

[...]

»Ein sehr wichtiger Gesichtspunkt bei der Entzifferung eines Kryptogramms ist, nach Möglichkeit die Sprache zu bestimmen, in der es geschrieben ist; denn in verschiedenen Sprachen herrschen verschiedene Methoden der Entzifferung, da die Natur der Sprache den Charakter der Geheimschrift beeinflusst. [...] Nach all diesem war es wahrscheinlich, dass die Geheimschrift in Englisch und Französisch verfasst war. [...]

Man muss noch etwas anderes zur Kenntnis nehmen, was unsere Schwierigkeiten vergrößerte: Auf den Karten der damaligen Zeit findet man eine Menge an seltsamer Rechtschreibung. [...]«

XXVIII - LANGSAM ENTHÜLLT SICH DAS RÄTSEL: INDUKTIVE UND STATISTISCHE UNTERSUCHUNG

»Um mit irgendetwas zu beginnen, nahmen wir an, dass der Text aus einem Gemisch aus Französisch und Englisch besteht, und als Start eines ernsthaften Versuchs haben wir die Zeichen gezählt. Entsprechend der Häufigkeit ihres Vorkommens ist dies ihre Reihenfolge:«

× ...13 mal.   * ... 8 mal.   @ ... 3 mal.   _ ... 3 mal.
= ...11 mal.   # ... 7 mal.   4 ... 3 mal.   ' ... 2 mal.
5 ...10 mal.   ) ... 7 mal.   ( ... 3 mal.   & ... 2 mal.
° ... 9 mal.   £ ... 6 mal.   8 ... 3 mal.   6 ... 1 mal.
^ ... 8 mal.   + ... 4 mal.   · ... 3 mal.  
[Tatsächlich kommt das × vierzehnmal, das + dagegen nur dreimal vor. Die fragliche Stelle wird sich aber so oder so als Schreibfehler entpuppen, so dass diese Abweichung keine Rolle spielt. Anm. K. P.]

»Demnach sah es so aus, dass unsere Hauptvokale und -konsonanten wahrscheinlich ×, =, 5, °, ^, * waren. Wir mussten jetzt Vermutungen anstellen, was was ist.

Nun, in englischen Extrakten von einiger Länge hebt sich das e so deutlich hervor, dass es normalerweise unverwechselbar ist. Hätte dieses Textstück eine nennenswerte Länge, könnten wir × als e übersetzen und kämen so im Galopp zum Schluss.

Aber für einen so kurzen englischen Extrakt konnten wir diese Regel nicht als unfehlbar annehmen. Er war vermutlich sehr knapp und mit technischen Ausdrücken und Wendungen abgefasst, da er ja eine Notiz eines Landvermessers war. [...]

Wir entdeckten ziemlich bald, dass der Text rückwärts geschrieben war [...] Peyre Gaillard hatte, um ungebetene Entzifferer noch mehr zu verwirren, einfach die gewöhnliche Schreibrichtung umgekehrt.

Überzeugt, dass der Text umgekehrt geschrieben war, schrieb ich ihn der Bequemlichkeit halber sofort in die übliche Richtung um, [...] was folgendes ergab:«

    =  ^£46×  )×£*_.=^(   @=^  #=  )×#×°#  =*  5××5
'^×4  4×5*+8£#°  *×  £5   &^×)  8_°5°
@=^  #°)  8=55°)  )×£*_.°)*.=^(   *×  #°  @+5  (£^×+=*=5=5&#°×'mn

»Nun ist die größte Schwierigkeit, aber auch die erste große Notwendigkeit beim Entziffern, die Kenntnis von drei oder vier Buchstaben zu erlangen. Jeder Buchstabe ist von unendlichem Wert für die Aufdeckung der übrigen; jeder erkannte Buchstabe wird zum Verräter und enthüllt weitere.

Ihr erkennt, dass der umgeschriebene Text mit dem einzelnen Zeichen = beginnt, das ganz alleine steht. [...]

= war dann, wie wir annahmen, der Buchstabe a oder I. [...]

Unter der Annahme, = sei a -- nur um irgendetwas anzunehmen -- schrieben wir a unter die Chiffre, wo immer ein = vorkam. An vier von dreizehn Stellen stand es in Wörtern aus nur zwei Buchstaben.

Nun, wieviele Wörter aus zwei Buchstaben, von denen einer a ist, können in einem Fall wie diesem vorkommen?

Nicht viele im Englischen; nicht mehr als drei, und die sind an, as und at.

Aber an einer dieser vier Stellen stand das Zeichen = in der zweiten Position. Es gibt keine Wörter dieser Gestalt im Englischen, die hier in Frage kommen. Im Französischen allerdings gibt es mehrere, nämlich fünf, , la, ça, sa, va.

Welche, von all diesen, konnten unsere vier Wörter sein?

Als Jeanne und ich da saßen und die Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeiten studierten, Hypothesen aufstellten und argumentierten, so gut wir konnten, blieb ihr flinkes Auge an einem anderen Wort wegen seiner Auffälligkeit hängen -- dem achten vom Beginn.«

5××5, DAS VERRÄTERISCHE WORT

»Das achte Wort starrte uns von dem Blatt an: 5××5.

Das ist eine hervorstechende Form eines Wortes. Habt Ihr Euch jemals die Mühe gemacht, zu überlegen, wie einzigartig Wörter sind, wie seltsam ihre Formen [...]?

Das achte Wort starrte mich an. Ich starrte zurück. Die pure Ungewöhnlichkeit seiner Gestalt fesselte meine Aufmerksamkeit.

Es bestand nur aus zwei Zeichen, jedes zweimal verwendet, das eine doppelt zwischen dem anderen.

5××5.

Das ist eine so seltsame Form, im Englischen wie im Französischen, dass sie sofort das Auge gefangen nimmt. [...]

Wenn das Wort mit einem Vokal begann und endete, war es aller Wahrscheinlichkeit nach französisch; wenn es mit einem Konsonanten begann und endete, war es aller Wahrscheinlichkeit nach englisch. [...]

Beide Zeichen kamen im Text sicherlich oft genug vor, um Vokale zu sein: × dreizehnmal, 5 zehnmal. [...]

Das mittlere Zeichen, ×, ist das, das im Text am häufigsten auftritt. Versuchsweise sollte es daher sicherlich als Vokal angenommen werden. [...]

Im Englischen findet man nur die Buchstaben e und o auf diese Weise verdoppelt, die anderen Vokale niemals. [...]

Nun, wenn in einem Brief ein Wort so schlecht geschrieben ist, dass es uns narrt, sehen wir seine Nachbarn davor und dahinter an, um zu erkennen, wie es heißen muss; genau so sah ich auf das Wort vor 5××5, um zu sehen, welchen Hinweis es gab -- es war ein Wort aus zwei Zeichen, =*, deren eines wir schon als a angenommen hatten und das Wort selbst als an, as oder at. [...] das einzig wahrscheinliche Wort ist: [...] Noon. Der Ausdruck war sicherlich at noon. [...]«


[Damit schließt dieser Extrakt. Das Kryptogramm ist aber noch längst nicht gelöst. Die nächste Beobachtung war eine gewisse Kongruenz zu dem Kauderwelsch von Judas, das sich allerdings noch als voller Missverständnisse und Verdrehungen erweist. Und zum Schluss bleiben die beiden Buchstaben m und n im Kryptogramm, die die entscheidende Winkelangabe als zweistellige Zahl bedeuten und nur durch weiteres angestrengtes Nachdenken enträtselt werden können. -- Und eine Menge scharfsinnige Schlüsse zum Kontext des Kryptogramms wurden hier weggelassen. Die Lektüre des Romans empfiehlt sich als ein sehr spannender Grundkurs in der Kryptoanalyse monoalphabetischer Substitutionen.]
Autor: Klaus Pommerening, 3. März 2009; letzte Änderung: 12. März 2009.