[JoGu]

Kryptologie

Auszug aus »Der verlorene Sohn« von Karl May

Teil »Die Sklaven der Arbeit«, geschrieben 1884-1886.

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27. Lieferung

[...]

Es dauerte kaum eine Minute, so ließ sich wieder ein Geräusch vernehmen. Dieses Mal näherten sich drei Personen. Sie blieben an der Eiche halten. Der Eine war sehr hoch und stark gebaut; die beiden anderen waren auch kräftig, aber doch keine solchen Riesen.

»Das ist also diese Eiche?« fragte einer von ihnen.

»Ja,« antwortete der Riese. »Jetzt bin ich neugierig, ob ich wirklich die erwartete Auskunft erhalten werde.«

»Wirst Du sie finden?«

»Natürlich! Ich sagte Euch bereits, daß die größte Eiche der betreffenden Gegend allemal die Auskunftstelle ist. Es ist ein viereckiges Loch eingeschnitten, in welchem sich ein Kästchen befindet. Die vordere Seite desselben besteht in einem kleinen, dürren Aststümpfchen. So kann die Sache nicht auffallen. Seht her!«

Er griff am Stamme empor und hielt dann etwas in der Hand.

»Brennt ein Streichholz an!« befahl er.

Ein Lichtchen flackerte auf.

»Seht das Kästchen!« fuhr er fort. »Hier ist ein Zettel. Was steht darauf? ,Punkt ein Uhr im Haingrund.' Hm! Das geht mich und uns nichts an! Das ist ein Befehl für die Pascher, für heute oder morgen. Oder hat er auch bereits gestern Geltung gehabt. Was ich suche, das sind Ziffern, die auf dem Boden des Kästchens stehen. Brennt noch ein Streichholz an!«

Das Licht flackerte abermals auf. Er musterte den Boden des Kästchens. Es mußten noch zwei Zündhölzer verbrannt werden, ehe er mit sich ins Reine kam. Dann sagte er:

»Ich hab's! Kommt! Wir brauchen gar nicht weit zu gehen.«

Er steckte das Kästchen an Ort und Stelle, und dann entfernten sie sich in derselben Richtung, aus welcher sie gekommen waren.

Eduard stieß Arndt an und flüsterte:

»Da können wir zufrieden sein!«

»Zufriedener noch, als Sie überhaupt denken!«

[...]

Sie ließen wohl noch drei Viertelstunden vergehen, dann aber kroch Arndt unter dem Baume hervor.

»Kommen Sie,« sagte er. »Jetzt sind wir sicher, daß wir nicht gestört werden. Sehen wir nach dem Kästchen.«

Er griff an dem Stamme empor und fühlte das dürre Aststümpfchen, von welchem der Riese gesprochen hatte. Er zog dasselbe heraus und hatte nun das Kästchen in der Hand.

»Jetzt Licht,« sagte er. »Hier ist meine kleine Laterne, und da sind auch Zündhölzer. Brennen Sie einmal an!«

Als das Licht brannte, beleuchtete er den Inhalt des Kästchens. Dieser bestand nur aus dem Papierblatte, welches den bereits erwähnten Befehl enthielt.

»Aber hier auf den Boden ist ein Papier geklebt, darauf steht - ah, es sind Ziffern!« sagte Arndt. »Halten Sie! Ich werde sie mir notieren, denn lange dürfen wir nicht verweilen. Wir sind zwar sicher, aber Vorsicht ist stets das Beste!«

Er nahm sein Notizbuch hervor und notierte sich folgende Zeichen:

25. 6. 8. 16. 6. 13. 20. 7. - 15. 25. 6. 24. 21. - 8. 23. 18. 25. 23. 18. 7. -

Dann blies er die Laterne aus, steckte das Buch ein und schob das Kästchen an seinen Ort zurück.

»Was mögen diese Ziffern zu bedeuten haben?« fragte Eduard.

»Der Riese hat es gleich gewußt. Ich hoffe, sie zu entziffern. Hier aber wollen wir nicht länger verweilen. Kommen Sie!«

»Wohin?«

»Hm! Herein ins Dorf. Dahin ist es näher als zum Forsthause. Ich muß mich über die Ziffern hermachen und kann Sie dabei vielleicht gebrauchen. Aber zu Ihnen können wir nicht, und in der Schenke möchten Sie auch nicht merken lassen, daß Sie mit einem Mann verkehren, der hier fremd ist.«

»Was das betrifft, so sind meine Eltern bereits schlafen gegangen, die Kinder natürlich auch.«

»Gut! Gehen wir also dahin!«

Sie begegneten außerhalb des Städtchens keinem Menschen und erreichten auch dann das Häuschen Hausers unbemerkt. Als Arndt sich in dem ärmlichen Zimmer umsah, überkam ihn eine tiefe Rührung. Er reichte Eduard die Hand und sagte:

»So also wohnten, lebten und arbeiteten Sie! Hoffen wir, daß Sie am Ende aller Not und Sorge stehen!«

Sie setzten sich an den Tisch, und Arndt zog sein Notizbuch hervor. Eduard schrieb sich die Ziffern ab, um bei dem Dechiffrieren zu helfen.

»Wie es scheint, sind es drei Worte,« meinte Arndt.

»Und jede Ziffer bedeutet einen Buchstaben,« sagte Eduard.

»Vermutlich! Aber für welchen Buchstaben steht die einzelne Ziffer? Das ist die Frage!«

»Wohl einfach dem Alphabete nach!«

»Das wäre sehr leicht! Versuchen wir es einmal!«

Aber auf die Weise ergaben die Ziffern 25. 6. 8. 16. 6. 13. 20. 7. kein verständliches Wort.

»Es geht also doch nicht!« meinte Eduard kopfschüttelnd.

»Allerdings nicht. Aber eine sehr komplizierte Chiffreschrift haben wir dennoch wohl nicht vor uns. Pascher sind keine gelehrten Leute. Wollen einmal das Alphabet umkehren, so daß A 25 und Z 1 bedeutet. Vielleicht geht es da!«

Und kaum hatten sie angefangen, so sagte Eduard:

»Ich hab's! 25. 6. 8. 16. 6. 13. 20. 7. bedeutet Auskunft!«

»Richtig! 15. 25. 6. 24. 21. ergibt Laube, und 8. 23. 18. 25. 23. 18. 7. bedeutet soviel wie Schacht.«

»Also Auskunft - Laube - Schacht!«

»Ja. Auskunft erhält man also auf dem Schachte. Aber, hm, Laube! Sollte es dort eine Laube geben, in welcher -«

»O nein,« fiel Eduard ein, »nicht eine, sondern einen Laube gibt es dort. Der Schachtwärter heißt Laube.«

»Prächtig! Das ist's! So ist's! Was für ein Kerl ist denn dieser Mann?«

»Finster, wortkarg, aber verschlagen.«

»Ehrlich?«

»Man weiß nichts Schlechtes von ihm, aber auch nichts Gutes.«

»Das genügt. Das sind die schlimmsten Leute. Wann hat er die Wache? Ich meine, zu welcher Tageszeit?«

»Des Nachts.«

»Auch dieses paßt. Und er wohnt auf dem Schachte?«

»Ja. Seine Stube liegt gegenüber der großen Dampfesse. Wollen Sie mit ihm sprechen?«

»Jedenfalls.«

»Aber doch nicht heute noch?«

»Nein. Für heute können wir mit unsern Resultaten zufrieden sein.«

[...]


30. Lieferung

[...]

»Gut, so bleibt es dabei. Ich werde die Anweisung schreiben.«

Er riß ein Blatt aus seinem Notizbuche, schrieb einiges darauf und reichte es Eduard hin. Dabei fragte er lächelnd:

»Können Sie das lesen?«

Der Gefragte blickte auf die Zeilen. Er vermochte nur zwei Worte zu lesen, nämlich »fünfzig Gulden«. Das andere war in einer fremden Sprache geschrieben, und zwar in lateinischen Buchstaben, so undeutlich, daß er es nicht zu enträtseln vermochte.

»Nein,« antwortete er.

»Es ist die zwischen mir und den Eingeweihten verabredete Geheimschrift. Also nun sind wir einig?«

»Ja.«

[...]


36. Lieferung

[...]

Er machte das Couvert auf. Es enthielt einen halben Bogen Briefpapier, auf welchem mehrere Reihen von Ziffern standen.

»Eine Geheimschrift,« sagte der Musterzeichner.

»Ja, aber sie ist nicht geistreich erfunden. Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, ihren Schlüssel zu entdecken. Wollen einmal sehen, was diese Ziffern zu bedeuten haben.«

Er nahm einen Bleistift vom Tische weg und ein Stück Papier, schrieb das Alphabet auf und setzte dann von A bis Z zurück die Ziffern 1 bis 25 unter die Buchstaben. Jetzt begann er, zusammenzustellen. Wilhelmi fühlte sich von einer ungewöhnlichen Neugierde erfaßt.

»Werden Sie es bringen?« fragte er.

»Ja, ganz leicht; ich werde sogleich fertig sein. Da haben Sie! Es ist ein Befehl.«

Er reichte ihm den Zettel hin. Die Dechiffration lautete:

»Heute ein großer Streich. Ziehen Sie die Grenzaufseher möglichst zu sich hinüber.«

[...]