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Kryptologie

Auszüge aus »Scepter und Hammer« von Karl May

geschrieben 1879-1880.

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Zweites Kapitel.

Belauscht.

[...]

Wirklich war das Fenster aus der Öffnung entfernt, die so groß war, daß ein Mensch bequem einzusteigen vermochte. Max hatte den Boden, welcher in kaum halber Manneshöhe unter ihr lag, leicht erreicht. In einiger Entfernung vor ihm schimmerte das Licht. Er entledigte sich so schnell wie möglich seiner Stiefel und folgte. Zarba bewegte sich so langsam vorwärts, daß es keiner Anstrengung bedurfte, ihr so nahe zu kommen, daß er sich hart außerhalb des Scheines befand, welchen das von ihr getragene Licht verbreitete. Er konnte beinahe ihren Atem hören, während sie nicht die geringste Ahnung hatte, daß sie auf diesem geheimnisvollen Gange belauscht wurde.

Die Wölbung, in welcher sie sich befanden, war doch kein Keller, sondern sie bildete einen schmalen, niedrigen Gang, welcher in gerader Richtung bis auf die Mitte des Gebäudes führte und dort auf eine aufwärtsgehende Treppe mündete. Zarba stieg empor; sie mußte diesen Weg schon öfters zurückgelegt haben. Ohne auf das Parterre oder den ersten Stock zu münden, führte die Stufenreihe bis zur zweiten Etage in die Höhe, wo die Zigeunerin lauschend vor einer schmalen Tür stehen blieb, an welcher sich ein einfacher Drücker befand. Nach einigen Minuten ergriff sie denselben, um ihn in Bewegung zu setzen. Die Tür öffnete sich vollständig geräuschlos nach innen, und ein heller Lichtschein drang heraus, in dessen Beleuchtung die Zingaritta wie im Rahmen eines Bildes zwischen dem Türgewände stand.

Ohne wieder zu schließen, glitt sie langsam vorwärts. Max trat näher. Vor ihm lag ein ringsum mit hohen Bücherrepositorien besetztes Bibliothekzimmer, aus welchem eine schwere, grünstoffene Portière in den nächsten Raum führte. Der geheime Eingang war durch eines der Büchergestelle, welches auf irgend eine Weise seine Beweglichkeit erhalten hatte, maskiert. Vom Plafond herab hing ein sechsarmiger Leuchter, dessen Lichter das Zimmer erhellten. In der Mitte des Letzteren stand eine lange Tafel, von oben bis unten mit Büchern und allerlei Skripturen belegt.

Zarba war an die Portière getreten, deren beide Teile sie vorsichtig auseinanderzog, um einen Blick hindurchzuwerfen. Dann verschwand sie hinter derselben. Max wartete eine Weile; dann glitt auch er hinzu. Ohne den Stoff bemerkbar zu bewegen, machte er sich eine kleine Öffnung und blickte hindurch.

Vor ihm lag ein im höchsten Komfort ausgestattetes und von einer kostbaren Ampel erleuchtetes Arbeitszimmer. [...] Max mußte vor allen Dingen die Situation ausnützen. Er glitt zurück, um den Eingang zu untersuchen, und bemerkte zu seiner Beruhigung, daß derselbe von innen durch einen hinter den Büchern angebrachten Riegel, welcher mit dem äußeren Drücker in Verbindung stand, geöffnet werden konnte.

Jetzt fiel sein Blick auf die Büchertafel. Gerade vor ihm lag neben einigen eng mit Ziffern beschriebenen Papieren ein Blatt, welches die Aufschrift »Schlüssel« führte. Sollte es den Schlüssel für die geheime diplomatische Korrespondenz des Herzogs enthalten? Dieser war als entschiedener Gegner des gegenwärtigen Systems bekannt und stand mit den verschiedenen Höfen in direkter Beziehung. Es waren sogar schon öfters Gerüchte aufgetaucht von einer ebenso verborgenen wie kräftigen Agitation für die Abdankung des jetzigen Herrschers. Der Herzog war Generalissimus der Armee - hundert Gedanken durchzuckten den Doktor; [...] - schnell saß er auf einem Stuhle, zog sein Notizbuch und notierte Ziffer um Ziffer, Buchstaben um Buchstaben und Zeichen um Zeichen von dem wichtigen Blatte.

[...]


Viertes Kapitel.

Im Hause der Irren.

[...]

Als Max nach Hause kam, war schon längst alles zur Ruhe gegangen. Auf seinem Zimmer angelangt, machte er Licht und nahm das Schreiben vor, welches ihm Emery übergeben hatte. Es war ein mit Datum, Anrede und Unterschrift versehener Brief, wie er aus der ganzen Anordnung sah, aber leider nicht mit gewöhnlicher Schrift, sondern in Ziffern, getrennten Buchstaben und rätselhaften Charakteren geschrieben.

Er machte es sich bequem und setzte sich an den Schreibtisch, um den Versuch zu machen, das Schreiben zu dechiffrieren. Die Erlebnisse des heutigen Abends hatten seine Nerven so in Spannung versetzt, daß es ihm unmöglich war, an Ruhe und Schlaf zu denken, und so kam ihm diese Beschäftigung, der er sich mit dem größten Eifer hingab, nicht ungelegen.

Er mußte dabei unwillkürlich an den Schlüssel denken, welchen er sich in der Bibliothek des Herzogs abgeschrieben hatte. Er zog daher sein Notizbuch hervor, fand aber, daß er es hier mit einer Schrift zu tun habe, deren Schlüssel ein vollständig anderer war.

Es war nicht das erste Mal, daß er sich eine ähnliche Aufgabe stellte, und es war ihm stets gelungen, sie zu lösen, heut aber wollte ihm das nicht gelingen. Er gab sich die möglichste Mühe - vergebens. Da kam ihm der Gedanke, ob das Hindernis nicht in einer Umstellung der Silben oder der Einschaltung eines Lautes bestehe. Er hatte als Knabe mit seinen Mitschülern oft eine ähnliche Spielerei gepflogen und sich mit ihnen in der B-, F- oder U-Sprache unterhalten. Er zog sich die am meisten vorkommenden Ziffern, Buchstaben und Zeichen heraus und sah bald seine Bemühung von Erfolg begleitet. Die Vokale und Diphthonge waren durch verschieden gestellte Punkte, die Konsonanten durch Ziffern bezeichnet und die Ziffern in der Weise umgestellt, daß sie mit einem regelmäßig wiederkehrenden U verbunden wurden. Er hatte es also mit der U-Sprache in Charakteren zu tun.

Der Morgen graute bereits, als er den Schlüssel gewonnen hatte und nun den kurzen Brief zu lesen vermochte. Dieser lautete:

»Helmberg, den 2. Juli.

Lieber Bruder in Jesu!

Deiner Aufforderung zu Folge erhältst Du heut im Passieren diese Zeilen. Das mir von Dir übertragene Werk schreitet rüstig fort und verspricht ein gutes Gelingen unserer Intentionen. Meine Agenten erweisen sich als tüchtig; alle Minen sind in Tätigkeit, die Verbindungen werden von Tag zu Tag zahlreicher und umfassen alle Kreise der Gesellschaft; auch das Militär wird mehr und mehr geneigt, und wenn wir mit Vorsicht in der jetzigen Weise fortfahren, so ist an ein Scheitern unseres großen Planes gar nicht zu denken.

Für heute habe ich eine Versammlung meiner Untergebenen anberaumt und bin leider also verhindert, mich zu dem von Dir befohlenen Rendezvous einzufinden, doch werde ich sicher bei dem nächsten am Siebenbrüdertag erscheinen und Dir ausführlich Bericht erstatten.

Bis dahin, verehrter Bruder, sei im Herrn gegrüßt von Deinem eifrigen und getreuen

H. de M.

I. de la Robe.«

[...]


Elftes Kapitel.

Paroli.

[...]

[...] Daher ließ Max die Kleidung der Gefangenen untersuchen. Jetzt kam das Reisegeld und außer demselben ein Portefeuille zum Vorschein, welches einige versiegelte Briefe ohne Adresse enthielt. Max erbrach sie, und kaum hatte er einen Blick auf den ersten geworfen, so griff er in die Tasche und zog sein Notizbuch hervor. Er hatte ganz dieselbe Geheimschrift erkannt, zu welcher er aus der Bibliothek des Herzogs von Raumburg sich den Schlüssel mitgenommen hatte. Er trat an das Tageslicht und begann zu dechiffrieren.

Es dauerte lange, ehe er fertig war. Die andern ahnten, daß er etwas sehr Wichtiges gefunden haben müsse, und vermieden alle Störung. Als er geendet hatte, steckte er die Briefe zu sich und überlegte einige Zeit.

»Ich werde über diesen Fund später berichten. [...]«

[...]


Fünfzehntes Kapitel.

Am Vorabend.

[...]

Bei einer oberflächlichen Untersuchung wäre sicher nichts zu finden gewesen, aber Brandauer verstand sich als Schmied auf die Konstruktion geheimer Fächer. Die Möbel, welche der Wirtin gehörten, waren allerdings mit keinem dergleichen versehen, aber der Reisekoffer des Rentiers hatte einen Doppelboden, zwischen welchem ein ganzer Stoß von Papieren lag, die mit Chifferschrift beschrieben waren.

Der Gefangene war der Untersuchung mit ruhigem Auge gefolgt, ohne ein Wort zu reden. Jetzt aber lachte er höhnisch:

»Das sind die Akten einer ganzen Verschwörung, Majestät. Versucht es, sie zu lesen!«

Max warf einen Blick auf eines der Blätter.

»Wird man vermögen dies zu dechiffrieren?« frug der König.

»Ich lese es.«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Pah!« lachte Penentrier. »Der Schmiedebursche mag sich die Zähne ausbeißen!«

Max drehte sich nach ihm um.

»Deine Frechheit, Schurke, kommt Deiner Bosheit und Gewissenlosigkeit vollständig gleich, aber ich muß Dir sagen, daß ich diese Schrift bereits kenne und ihren Schlüssel in der Tasche habe. Erinnerst Du Dich jenes Engländers, welcher einst in einem Coupee mit Dir fuhr, während Du auf allen Stationen einen Bericht entgegennahmst? Einen dieser Berichte eskamotierte er und ich habe ihn dechiffriert. Hier ist er noch. Er beginnt: ,Helmberg, den zweiten Juli. Lieber Bruder in Jesu,' und schließt: ,Bis dahin, verehrter Bruder, sei im Herrn gegrüßt von Deinem eifrigen und getreuen H. de M., J. de la Robe.'«

[...]

Sie begaben sich in den Nebenraum, wo Max die Vorlesung begann. Der Abbé hatte im Vertrauen auf seine Chifferschrift über die ganze Entwicklung des Aufstandes, der bereits seit langen Jahren vorbereitet worden war, bis auf den heutigen Tag sehr ausführliche Bemerkungen angesammelt [...]