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»Mathias Sandorf« von Jules Verne,

Zweites Kapitel: Graf Mathias Sandorf.

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[...]

Am 21. Januar 1699 wurden Ungarn und Siebenbürgen durch den Vertrag von Carlowitz Östereich zugeschlagen.

Zwanzig Jahre später wurden die Staaten von Östereich-Ungarn feierlich als unzertrennlich erklärt. [...]

Die Ungarn mussten sich der Gewalt fügen. Zu der Zeit, in welcher unsere Erzählung beginnt, gab es einen ungarischen Edelmann, dessen Leben der Hoffnung geweiht war, seinem Lande die frühere Selbständigkeit wiederzugewinnen. [...]

Der französisch-italienische Krieg von 1859 hatte die östereichische Macht schwer erschüttert.

Dieses Unglück wurde sieben Jahre später, 1866, noch durch die Niederlage von Sadowa vergrößert. Aber Ungarn sah sich immer noch an dieses Österreich, das seine italienischen Besitzungen verloren hatte, an dieses von zwei Seiten besiegte Österreich gefesselt. [...]

Graf Sandorf hatte während des folgenden Jahres sorgfältig die politische Landschaft studiert und erkannt, dass eine Bewegung, die die Teilung des Reiches anstrebte, Aussicht auf Erfolg hatte.

Der Augenblick zum Handeln war also gekommen. Am 3. Mai dieses Jahres, 1867, hatte er [...] sein Schloss Artenak verlassen. [...] Einige Tage später war er in Triest eingetroffen, um dort die Ereignisse abzuwarten.

Hier sollte sich die Zentrale der Verschwörung befinden. Von hier aus sollten alle Fäden ausgehen, welche Graf Sandorf sämtlich in der Hand hatte. In dieser Stadt konnten die Anführer der Verschwörung, weil sie vielleicht weniger beobachtet wurden, mit größerer Sicherheit zu Werke gehen, jedenfalls aber hatten sie mehr Freiraum, ihre patriotische Aufgabe zu einem glücklichen Ende zu bringen.

[...]

Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory hatten sich ohne Bedenken zu ergebenen Mitstreitern des Grafen Sandorf bekannt. Ebenso wie er hatten sie erkannt, dass die Umstände sehr wohl für eine Bewegung günstig sein könnten, welche Ungarn diejenige Machtstellung in Europa wiedergeben könnte, die es ehrgeizig für sich erstrebte. Dieser Plan konnte sie das Leben kosten, das wussten sie wohl, doch ließen sie sich dadurch nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Das Haus am Acquedotto wurde so zum Treffpunkt der bedeutendsten Anführer der Verschwörung. Eine große Zahl von Anhängern, die aus verschiedenen Teilen des Landes gesandt worden waren, erhielten hier ihre Anweisungen. Ein Brieftaubendienst, der zur Übermittlung von Nachrichten eingerichtet wurde, sorgte für eine schnelle und sichere Verbindung zwischen Triest und den wichtigsten Städten Ungarns und Siebenbürgens, als es sich um Anweisungen zu handeln begann, die man weder der Post noch dem Telegraphen anvertrauen durfte. Kurz, die Vorsichtsmaßnahmen waren so vorzüglich getroffen, dass bis dahin auf die Verschwörer nicht der geringste Verdacht gefallen war.

Im Übrigen wurde auch, wie man weiß, die Korrespondenz nur in chiffrierter Sprache geführt, und zwar nach einer Methode, die, indem sie geheim gehalten wurde, absolute Sicherheit gewährte.

Drei Tage nach der Ankunft jener Brieftaube, deren Billett von Sarcany abgefangen worden war, am 21. Mai gegen acht Uhr abends, befanden sich Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory im Arbeitszimmer und warteten auf die Rückkehr von Mathias Sandorf. Seine persönlichen Angelegenheiten hatten ihn unlängst genötigt, nach Siebenbürgen auf sein Schloss Artenak zurückzukehren; die Reise war für ihn aber insofern von Nutzen, als sie ihm ermöglichte, sich mit seinen Freunden in Klausenburg, der Provinzhauptstadt, zu beraten; und nun sollte er an dem besagten Tage von dort zurückkehren, nachdem er jenen den Inhalt der Depesche mitgeteilt hatte, die Sarcany abgeschrieben hatte.

Seit der Abreise des Grafen Sandorf waren noch andere Briefe zwischen Triest und Budapest gewechselt und auch mehrere chiffrierte Billetts durch Brieftauben gebracht worden. Gerade in diesem Augenblick war Ladislaus Zathmar damit beschäftigt, das Kryptogramm mit Hilfe derjenigen Vorrichtung in verständliche Worte zu übersetzen, die unter der Bezeichnung »Raster« bekannt ist.

Diese Depeschen waren in Wirklichkeit nach einer sehr einfachen Methode verfasst worden, nämlich nach der der Buchstabentransposition. Bei dieser Methode behält jeder Buchstabe seinen alphabetischen Wert, b bedeutet also auch b, o heißt o und so fort. Aber die Buchstaben werden in ihrer Reihenfolge umgestellt gemäß den leeren oder gefüllten Feldern des Rasters, welches, auf die Botschaft gelegt, die Buchstaben in der Reihenfolge durchscheinen lässt, in der sie gelesen werden sollen, die übrigen aber verdeckt. Diese Raster sind schon seit alters her verwendet, jedoch neuerdings nach dem System des Obersten Fleißner vervollkommnet worden; sie gelten bis jetzt noch als das beste und sicherste Verfahren, wenn man eine unentzifferbare Geheimschrift erhalten will. Alle anderen Verschlüsselungsmethoden - gleich, ob es sich um Systeme mit unveränderlichem Grundalphabet oder einfachem Schlüssel handelt, bei denen jeder Buchstabe des Alphabets immer durch denselben Buchstaben oder dasselbe Zeichen wiedergegeben wird, oder um Systeme mit veränderlichem Grundalphabet oder doppeltem Schlüssel, bei denen man mit jedem Buchstaben das Alphabet wechselt - gewähren keine völlige Sicherheit. Einzelne erfahrene Entzifferer sind in der Lage, bei einer solchen Art von Analyse Wunderdinge zu leisten, indem sie mit einer Wahrscheinlichkeitsberechnung oder bloßem Herumprobieren vorgehen: Sie stützen sich dabei auf nichts weiter als auf die Buchstaben, deren häufige Verwendung zu einem insgesamt zahlreicheren Vorkommen führt - e in der französischen, englischen und deutschen, o in der spanischen, a in der russischen, e und i in der italienischen Sprache -, und erreichen es so, den Buchstaben im chiffrierten Texte die Bedeutung zu geben, welche sie in dem ursprünglichen Wortlaute haben. Es gibt nur wenige nach diesen Methoden chiffrierte Botschaften, welche ihren scharfsinnigen Schlussfolgerungen widerstehen können.

Es scheint jedoch, dass die Raster oder die Codebücher - das heißt also Bücher, in denen oft gebrauchte Wörter oder geschlossene Redensarten durch Zahlen wiedergegeben werden - die vollkommenste Garantie für die Unmöglichkeit der Entzifferung bieten. Aber diese beiden Systeme haben einen bedenklichen Nachteil: Sie erfordern eine absolute Geheimhaltung und die Notwendigkeit, wo auch immer man sich befinden möge, die Vorrichtungen oder Bücher, welche zu ihrer Ausführung dienen, niemals in fremde Hände fallen zu lassen. Während man es ohne Raster oder Codebuch niemals erreichen kann, diese Nachrichten zu lesen, ist jedermann in der Lage, sie zu verstehen, sobald er das Buch oder Raster gestohlen hat.

Mit Hilfe eines Rasters beziehungsweise eines Stückes Karton, welcher an mehreren Stellen ausgestanzt war, wurde also die Korrespondenz des Grafen Sandorf und seiner Genossen vorgenommen. Da sie sich besonders vorsichtig verhielten, konnten ihnen selbst dann keine Unannehmlichkeiten entstehen, wenn eines der Raster, die er und seine Freunde benutzten, verloren ging oder gestohlen wurde; denn jede Nachricht wurde sofort, nachdem sie der Empfänger gelesen hatte, vernichtet. Es konnte also niemals eine Spur dieser Verschwörung zurück bleiben, für welche die vornehmsten und bedeutendsten Adligen Ungarns zusammen mit den Vertretern der Bürgerschaft und des Volkes ihren Kopf wagten.

Gerade als Ladislaus Zathmar die letzten Nachrichten verbrennen wollte, klopfte es leise an der Tür des Arbeitszimmers.

Borik war es, der den Grafen Sandorf hereinführte, welcher zu Fuß vom nahen Bahnhof gekommen war.

Ladislaus Zathmar eilte ihm sofort entgegen:

»Der Erfolg Ihrer Reise, Mathias?« fragte er mit der Hast eines Mannes, der erst einmal beruhigt werden will.

»Sie ist geglückt, Zathmar«, antwortete Graf Sandorf. »Es gab keinen Zweifel an der Gesinnung meiner siebenbürgischen Freunde, und wir dürfen ihrer Hilfe sicher sein.«

»Hast du ihnen mitgeteilt, was in der uns vor drei Tagen aus Budapest zugegangenen Nachricht enthalten war?« ergriff Barthory das Wort, dessen Freundschaft mit dem Grafen sogar bis zur vertraulichen Anrede reichte.

»Ja, Stephan, sie sind unterrichtet. Sie sind auch bereit. Beim ersten Zeichen brechen sie los. Innerhalb von zwei Stunden sind wir die Herren von Budapest, in einem halben Tag die Herren der größten Komitate diesseits und jenseits der Theiß, in einem Tag sind Siebenbürgen und der Bereich der Militärgrenze unser. Dann werden acht Millionen Ungarn ihre Unabhängigkeit wiedergewonnen haben!«

[...]


Übersetzung: Klaus Pommerening, 6. April 2000.