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»Mathias Sandorf« von Jules Verne,

Dritte Kapitel: Das Haus Toronthal.

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[...]

Zu den wohlhabenden Familien gehörte zu jener Zeit auch die des Bankiers Silas Toronthal. [...] Trotzdem waren möglicherweise die Geschäfte von Silas Toronthal damals ein wenig verwickelt - wenigstens für den Augenblick. [...]

Es erstaunt vielleicht, dass zwischen diesem als sehr ehrenhaft geltenden Bankhause und einem Menschen wie Sarcany eine Verbindung bestehen konnte. Genau dies war aber der Fall, und zwar bestand diese Verbindung schon seit zwei oder drei Jahren.

Damals unterhielt Silas Toronthal umfangreiche Geschäftsbeziehungen mit der Regierung in Tripolis. Sarcany, Hansdampf in allen Gassen und eine Leuchte in Finanzangelegenheiten, gelang es, sich in diese Geschäfte hineinzudrängen, die gewiss nicht über jeden Zweifel erhaben waren. Es gab da bestimmte, besser diskret zu behandelnde Fragen zu klären, die Schmiergeldzahlungen bei Käufen, zweifelhafte Aufträge und wenig ehrenhafte Geldtransfers betrafen, bei denen der Triester Bankier sich nicht unbedingt persönlich exponieren mochte. Unter diesen Umständen hatte Sarcany als Agent für diese misslichen Angelegenheiten gedient, und er leistete dem Bankier auch noch andere Dienste ähnlicher Natur. [...]

[Drei] Tage später, also am 24. des gleichen Monats, begab sich Sarcany zum Bankhause. Er verlangte, zu Silas Toronthal gelassen zu werden, und seine Forderung war so hartnäckig, dass man ihr schließlich nachgab.

Der Bankier befand sich in seinem Arbeitszimmer, dessen Tür Sarcany sorgfältig hinter sich schloss, sobald man ihn hineingeführt hatte. [...]

Und Sarcany erzählte, was sich auf dem alten Friedhofe von Triest ereignet hatte, wie er die Brieftaube gefangen hatte, wie das chiffrierte Billett in seine Hand gelangt war, von dem er eine Abschrift bei sich bewahrte, und wie er das Haus des Empfängers dieser Nachricht herausgefunden hatte. Er fügte hinzu, dass in den letzten fünf Tagen Zirone und er alles ausgekundschaftet hatten, was sich in der Umgebung des Hauses zugetragen hatte. Danach kämen jeden Abend einige Personen dort zusammen, und zwar stets dieselben; sie seien beim Betreten des Hauses äußerst vorsichtig. Weitere Brieftauben seien fortgeflogen, wieder andere angekommen; die einen flögen nach Norden, die anderen kämen von dort. Die Haustür würde von einem alten Diener bewacht, der nicht gerne öffne und jeden, der näher komme, sorgfältig beobachte. Sarcany und sein Gefährte hätten mit der größten Vorsicht zu Werke gehen müssen, um diesem Menschen nicht aufzufallen. Und dennoch müssten sie befürchten, seit einigen Tagen Verdacht erregt zu haben.

Silas Toronthal schenkte dem Bericht Sarcanys allmählich mehr Aufmerksamkeit. Im Stillen fragte er sich, was wohl an dem Gehörten dran sein könnte, was davon wohl sein früherer Makler bezeugen könnte, und schließlich, wie dieser sich sein Interesse an der Angelegenheit vorstellte, um davon profitieren zu können.

Nachdem Sarcany geendet und wiederholt bestätigt hatte, dass es sich dabei um eine Verschwörung gegen den Staat handle und dass die Verwertung des entdeckten Geheimnisses vorteilhaft sein würde, ließ sich der Bankier herbei, die folgenden Fragen an ihn zu richten:

»Wo befindet sich das bewusste Haus?«

»In der Allee des Acquedotto, Nummer 80.«

»Und wem gehört es?«

»Einem ungarischen Adligen.«

»Sein Name?«

»Ladislaus Zathmar.«

»Und wer sind die Personen, die ihn besucht haben?«

»Vor allem zwei, die ebenfalls aus Ungarn stammen.«

»Der eine ...?«

»Ist hier Professor, Stephan Barthory.«

»Der andere ...?«

»Graf Mathias Sandorf.«

Bei der Nennung dieses Namens zuckte Toronthal vor Überraschung leicht, was Sarcany nicht entging. Es war für ihn nicht schwer gewesen, diese drei Namen herauszufinden: Er war Stephan Barthory gefolgt, als dieser in sein Haus in der Corsa Stadion zurückkehrte, und dem Grafen Sandorf bei dessen Rückkehr in das Hotel Delorme.

»Sie sehen, Silas Toronthal, ich habe Ihnen, ohne zu zögern, die Namen der Beteiligten preisgegeben. Sie erkennen also, dass ich nicht nur ein Spiel mit Ihnen treiben will.«

»Aber das ist doch alles noch nichts Handfestes«, bemerkte der Bankier, der gerne erst noch mehr erfahren hätte, bevor er sich zu irgend etwas verpflichtete.

»Noch nicht Handfestes?« fragte Sarcany.

»Zweifellos. Sie besitzen ja nicht mal einen Schimmer eines handgreiflichen Beweises.«

»Und das hier?«

Die Abschrift des Billetts wanderte in die Hände Toronthals. Dieser prüfte sie mit offensichtlicher Neugier. Doch diese geheimnisvollen Worte sagten ihm nichts, und es gab keinen Beweis, dass sie wirklich die Bedeutung besaßen, die Sarcany ihnen andichtete. Die ganze Geschichte konnte ihn nur insofern interessieren, als der Name des Grafen Sandorf im Spiele war, seines Kunden, dessen Stellung ihm gegenüber ihn einigermaßen beunruhigen musste, sobald dieser eine unverzügliche Rückzahlung des bei ihm deponierten Vermögens verlangte.

»Nun wohl«, sagte er schließlich, »ich bleibe bei meiner Ansicht, dass die ganze Angelegenheit bis jetzt keinerlei Sicherheit bietet.«

»Mir scheint im Gegenteil nichts klarer zu sein«, erwiderte Sarcany, den die Haltung des Bankiers keineswegs einschüchterte.

»Haben Sie das Billett entziffern können?«

»Nein, Silas Toronthal, aber ich werde es übersetzen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.«

»Und wie?«

»Ich bin mit dergleichen Dingen, wie in vielen anderen, ebenfalls bewandert und habe in meinen Händen schon eine hübsche Anzahl chiffrierter Nachrichten gehabt. Aus der eingehenden Untersuchung, die ich mit diesem Schriftstück angestellt habe, habe ich gefolgert, dass der Schlüssel hierzu weder auf einer Zahl noch auf einem vereinbarten Alphabet beruht, welches jedem dieser Buchstaben eine andere Bedeutung geben würde, als er in Wirklichkeit hat. In diesem Briefe ist ein s ein s, ein p ein p, aber diese Buchstaben sind in einer Reihenfolge aufgeschrieben, die nur mit Hilfe eines Rasters zu ermitteln ist.«

Wir wissen bereits, dass Sarcany sich nicht täuschte. Das letztere System war es, welches in diesem Fall angewendet wurde. Wir wissen auch, dass aus demselben Grunde der Inhalt sich nur mit besonderer Schwirigkeit ermitteln ließ.

»Ich will nicht leugnen, dass Sie möglicherweise Recht haben«, sagte der Bankier, »aber ohne Raster ist das Billett unlesbar.«

»Offensichtlich.«

»Und wie werden Sie sich dieses Raster verschaffen?«

»Das weiß ich noch nicht«, antwortete Sarcany, »aber ich werde es mir verschaffen, da können Sie ganz sicher sein.«

»Wirklich? Ich an Ihrer Stelle, Sarcany, würde mir nicht so viel Mühe geben.«

»Ich werde mir alle Mühe geben.«

»Wozu soll das gut sein? Ich würde mich damit begnügen, der Polizei von Triest den Verdacht zu melden und ihr das Billet zu übergeben.«

»Ich werde es anzeigen, Silas Toronthal, aber nicht aufgrund bloßer Vermutungen«, entgegenete Sarcany kalt. »Ehe ich rede, brauche ich wirkliche Beweise, und zwar unabstreitbare. Ich denke, dass ich diese Verschwörung in den Griff bekomme, und zwar vollständig, und dass ich daraus einen Gewinn ziehen kann, von dem ich Ihnen die Hälfte anbiete. Und wer weiß, ob es nicht vielleicht vorteilhafter sein könnte, mit den Verschwörern gemeinsame Sache zu machen, als sie anzuzeigen.«

Eine solche Rede überraschte Toronthal nicht. Er wusste, wozu der schlaue und skrupellose Sarcany fähig war. Dass dieser Mann ohne zu zögern auf diese Weise zu dem Triester Bankier redete, hatte den Grund, dass er schon wusste, dass man Silas Toronthal alles vorschlagen konnte, dessen dehnbares Gewissen sich an alle möglichen Geschäfte anpasste. Im übrigen kannte Sarcany ihn, um es noch einmal zu sagen, schon seit geraumer Zeit, und er hatte darüber hinaus Grund zu der Annahme, dass die Lage des Hauses in letzter Zeit nicht einwandfrei war. Konnte nun das Geheimnis dieser Verschwörung, wenn es erkannt, entschleiert und ausgenutzt wurde, nicht dazu beitragen, die Geschäfte dieses Bankiers wieder in Schwung zu bringen? Sarcany nahm es an, und deswegen hatte er seinen Vorschlag gemacht.

Silas Toronthal versuchte seinerseits, gegenüber seinem ehemaligen Makler aus dem Tripolitanischen diesmal den Verschlossenen zu spielen. Wenn sich zur Zeit wirklich eine Verschwörung gegen die österreichische Regierung formierte, deren Drahtzieher Sarcany entdeckt zu haben glaubte, so wäre er der letzte gewesen, der ruhig zugesehen hätte. Dieses Haus von Ladislaus Zathmar, in dem geheime Besprechungen stattfanden, dieser chiffrierte Briefwechsel, die ungeheure Summe, welche Graf Sandorf bei ihm zur sofortigen Verfügung hinterlegt hatte, alles das hatte tatsächlich einen verdächtigen Anstrich. Sehr wahrscheinlich hatte Sarcany den Stand der Dinge richtig erkannt. Der Bankier wollte allerdings zunächst noch mehr in Erfahrung bringen und erst dem Spiele seines Gegners auf den Grund kommen, ehe er nachgab. Er zog es daher vor, mit gleichgültiger Miene zu entgegnen:

»Und wenn Sie das Billett entziffert haben - vorausgestzt, dass sie es wirklich schaffen sollten -, werden Sie sehen, dass es sich nur um private Angelegenheiten handelt, die völlig belanglos sind und aus denen demzufolge weder Sie noch ich einen Nutzen ziehen werden.«

»Nein«, rief Sarcany im Tone tiefster Überzeugung, »nein! Ich bin einer der bemerkenswertesten Verschwörungen auf der Spur, einer Verschwörung, die von bedeutenden Persönlichkeiten angestiftet wird, und ich kann nicht umhin festzustellen, dass Sie, Silas Toronthal, daran ebensowenig zweifeln wie ich selbst.«

»Also, was wollen Sie denn nun von mir?« fragte der Bankier, diesmal in sehr bestimmtem Tone.

»Was ich will« - er legte eine besondere Betonung auf dieses Wort - »ist dieses: Ich will sobald wie möglich unter irgendeinem noch zu findenden Vorwande Zutritt zu dem Hause des Grafen Zathmar erlangen und versuchen, dessen Vertrauen zu gewinnen. Bin ich erstmal an diesem Orte, wo mich keiner kennt, muss ich nach einer Gelegenheit suchen, mich des Rasters zu bemächtigen, um jene Nachricht übersetzen zu können, von der ich den bestmöglichen Gebrauch für unsere Interessen machen werde.«

[...]


Übersetzung: Klaus Pommerening, 6. April 2000.