temer las emboscadas de la casualidad.[...] El dominio del azar va a permitir a mi raza ser verdaderamente inexpugnable hasta el fin de los tiempos." (YES, S. 213)
In der Unauslöschbarkeit seiner Person über zeitliche Grenzen hinweg liegt die Grundlage der metaphysischen Macht des Supremo, die seine Projektion in die zukünftige Geschichte ermöglicht und ihn dazu befähigt, sich auf die Literatur des 20. Jahrhunderts zu beziehen oder Ereignisse, die erst nach seinem Tod statt-fanden, zu beurteilen. Amancio Sabugo Abril stellt in seinem Aufsatz fest: „El Supremo como un dios es el se¤or del tiempo, maneja la historia a su antojo." Im Roman symbolisiert die Präsentation des Supremo als Herrscher über die Geschichte die Tragweite seiner zeitlich unbegrenzten Macht: „Yo no escribo la historia. La hago. Puedo rehacerla según mi voluntad, ajustando, reforzando, enriqueciendo su sentido y verdad." (YES, S. 325), bemerkt der Protagonist.
Aber auch auf politischer Ebene übt die Diktator-Figur uneingeschränkte Macht aus. Eine ironische Äußerung des Supremo verweist unterschwellig darauf: „El Gobierno Supremo también ejerce poder sobre sus intestinos. YO/Él tenemos nuestro buen tiempo, nuestro mal tiempo adentro. No dependemos del cambio de los vientos, de las estaciones ni de las fases lunares." (YES, S. 231), hält er den Anschuldigungen Renggers im Bezug auf seine Launenhaftigkeit entgegen. Lächer-lich werden die Vorwürfe Renggers erst im Hinblick auf die ansonsten allmächtige Position des Diktators, die ihm den Eingriff in alle Bereiche ermöglicht.
Während die Reflexionen des Diktators Aufschluß über die metaphysische Dimen-sion seiner Macht geben, äußert sich die politische in konkreten Befehlen, Forde-rungen und Erlassen des Supremo, die unmittelbar befolgt oder erfüllt werden müssen. Sie sind sowohl an die Gemeinschaft, als auch an einzelne Individuen wie seinen Sekretär Pati¤o, den Leibarzt Estigarribia oder den Bischof Céspedes Xeria gerichtet. Im Dialog des Diktators mit den erwähnten Personen aus seinem privaten Umfeld dominiert die imperative Stimme des Supremo. Er nimmt ihnen gegenüber eine elitäre, häufig undemokratische Haltung ein und duldet keinerlei Widerrede. Die Befehle des Supremo erstrecken sich nicht nur über ihre Handlun
gen sondern im Gespräch mit Pati¤o sogar über die Gedanken seines Unter-gebenen: „Acabas de escribir so¤oliento "YO EL SUPREMO"[...]Te he ordenado que no pienses en nada, nada, olvida tu memoria." (YES, S. 161), be-fiehlt er seinem Sekretär.
Das diktatoriale Rundschreiben (Circular perpetuo) repräsentiert die Macht des Supremo über die Allgemeinheit, die Jean L. Andreu als poder estatal von der politischen, die die Figur über einzelne Personen ausübt, unterscheidet. In dieser Differenzierung drückt sich aus, daß Francia im Roman nicht nur als Repräsentant des Staates, sondern ebenso als dessen Verkörperung auftritt: „Francia es y se pierde en la quimera del poder absoluto, identifica su Yo con el Estado. Yo, el Su-premo es la persona y la nación. Su justicia se mezcla con la libertad de la Repú-blica, su venganza personal con el crimen de Estado." Die folgenden Aussagen des Supremo bestätigen, daß seine Funktion über die eines Stellvertreters hinaus-geht: „No exageremos ilustrados cuclillos. Yo diría más bien, que un Pentágono de fuerzas gobierna mi cuerpo y el Estado que tiene en mí su cuerpo material: Cabeza, Corazón. Vientre. Voluntad. Memoria. Esta es la magistratura íntegra de mi orga-nismo." (YES, S. 230) An anderer Stelle sagt er: „YO soy ese PERSONAJE y ese NOMBRE. Suprema encarnación de la raza. Me habéis elegido y me habéis entregado de por vida el gobierno y el destino de vuestras vidas. YO soy el SU-PREMO-PERSONAJE [...]." (YES, S. 480)
Der Diktator stellt seine persönliche Autorität völlig in den Dienst des Volkes und wird dadurch zur Personifikation des Staates. Darin liegt seine poder estatal begründet. Der Protagonist rechtfertigt sie mit seiner Wahl durch die Gemein-schaft:
„Me ha elegido la mayoría de nuestros conciudadanos. Yo mismo no podría elegirme. ¨Podría alguien reemplazarme en la muerte? Del mismo modo nadie podría reemplazarme en vida. [...]Mi dinastía acaba y comienza en mí, en YO-ÉL. La soberanía, el poder, de que nos hallamos investidos, volverán al pueblo al cual pertenecen de manera imperecedera." (YES, S. 238)
In Roa Bastos` Roman wird eine negative Auswirkung seiner unbegrenzten Macht auf das Volk sichtbar. Der Supremo scheint seine Landsleute jeder Möglichkeit und Fähigkeit zur Aktivität zu berauben. Die Menschen im Roman mutieren in Anbetracht seiner bedingungslosen Machtausübung zu handlungsunfähigen Wesen. Die Strafgefangenen von Tevégo, die zu Steinen erstarrt scheinen, verbildlichen exemplarisch die Passivität des Volkes: „Para mí, esa gente no entiende nada de lo que le pasa y en verdad que no le pasa nada. Nada más que estar ahí sin vivir ni morir, sin esperar nada, hundiéndose cada vez un poco más en la tierra pelada." (YES, S. 112), lautet das Urteil im Roman. Andererseits ergibt sich für den Supremo daraus die Notwendigkeit, anstelle seines Volkes zu handeln und alle Macht auf sich zu nehmen.
Als göttliches Wesen besitzt der Diktator natürliche Allmacht, aber auch die politische Machtposition des Supremo ist absolut. Das wird im Roman deutlich ausgedrückt: „[...]pero sé muy bien que El Supremo es inexorable en su rigor como es implacable en su bondad. Cuándo él no quiso, no hubo fuerza en el mundo que me arrancara de aquí. Ahora él cree que debo marcharme, y tampoco hay fuerza en el mundo que vaya a revocar su decisión." (YES, S. 41) Daß sich auch seine politische/staatliche Macht über seinen Tod hinaus fortsetzt, wird in folgen-der Aussage des Diktators signalisiert: „El Supremo es aquel que lo es por su natu-raleza. Nunca nos recuerda a otros salvo la imagen del Estado, de la Nación, del Pueblo de la Patria." (YES, S. 163) Dennoch wird am Ende des Romans die Unbe-grenztheit seiner Macht in Frage gestellt. Ein anonymer Gegner - der immer wieder Kritik an den Notizen des Supremo übt - entlarvt die Absolutheit seiner Macht als Täuschung:
„Dices que no quieres asistir al desastre de tu patria, que tú mismo le has preparado. Morirás antes. Creíste que la Patria que ayudaste a nacer, que la Revolución que salió armada de su cráneo, empezaban-acababan en ti. Tu propia soberbia te hizo decir que eras hijo de un parto terrible y de un principio de mezcla. Te alucinaste y alucinaste a los demás fabulando que tu poder era absoluto." (YES, S. 593f)
Die Übertragung von unterschiedlichen Dimensionen der Macht auf die Diktator-figur hinterläßt jedoch insgesamt den Eindruck, daß sie nicht nur Macht ausübt, sondern als deren Personifizierung betrachtet werden muß. Ángel Rama stellt fest: „[...]él es el "Dictador Supremo" del Paraguay y nada más. Se trasmuta en el poder absoluto."
Einen expliziten Hinweis auf die Einbeziehung aktueller politischer Themen erhält man im Roman dadurch, daß der Supremo Ereignisse anspricht, die sich nach dem Tod seines historischen Vorbildes abspielen oder Formulierungen verwendet, die ihm als Politiker des beginnenden 19. Jahrhunderts nicht bekannt sein können. So bezieht er sich beispielsweise auf den Vertrag von Itaipu , der 1973 abge-schlossen wurde, oder spielt mit der Bezeichnung Casa Blanca (anstelle von Cámara de los comunes) auf den heutigen Regierungssitz der Vereinigten Staaten an.
Indem Roa Bastos dem Supremo Einfluß auf die aktuelle Entwicklung seines Landes einräumt, zeigt er an, daß er in der politischen Figur nicht primär die historische Person Francias aufgreift, sondern das Bild dessen, was sie im Geiste des paraguayischen Volkes (heute noch) verkörpert. David William Foster führt dazu aus: „Francia speaks throughout the novel [...]as an individual whose sha-dow is cast "perpetually" over the destiny of his country."
Die Darstellung des Supremo als Politiker erfolgt ebenfalls aus subjektiver Pers-pektive des Protagonisten. Sie beruht - abgesehen von der Integration von Quellen unterschiedlicher Art in den Roman - auf einer fiktiven Selbstrechtfertigung und Selbstbeschreibung des Diktators. „Pero no es la visión del dictador copiada de la historia, sino la historia vista y elaborada por el dictador como agente y eje del ob-jeto narrativo."
Durch die erwähnte Schmähschrift wird der Supremo zum Diktat des diktatorialen Rundschreibens (Circular Perpetuo) veranlaßt. In insgesamt neun Rundschreiben analysiert er die Zustände und die Entwicklung seines Landes. Die Anordnungen, Erlasse und Darstellungen der Historie im Circular perpetuo werden für Funk-tionäre und Landsleute zur historischen Lektion und haben damit auch Gültigkeit für die Zukunft Paraguays. Der Supremo bekundet folgende Absicht: „Como quien sabe todo lo que se ha de saber y más, les iré instruyendo sobre lo que deben hacer para seguir adelante. Con órdenes sí, mas también con los conocimientos que les faltan sobre el origen, sobre el destino de nuestra Nación." (YES, S. 127)
Es wird daher zu untersuchen sein, welche politischen Grundsätze er für sein Land verfolgt und wie er sich selbst als Politiker auch im Hinblick auf die Zukunft seines Landes beurteilt und rechtfertigt.
Das Grundproblem seines Staates und gleichzeitig ein wesentliches politisches Ziel sieht die Romanfigur zunächst in der Verhinderung annexionistischer Bestrebungen der Nachbarländer Paraguays, deren erfolgreichen Niederschlagung sie sich rühmt:
„Impedí las sucesivas invasiones que proyectaron someter nuestro país a sangre y fuego. La de Bolívar, desde el oeste, por el Pilcomayo. La del imperio portugués-brasilero, desde el este, por las antiguas rutas depredatorias de los bandidescos bandeirantes. Desde el sur, las constantes tentativas de los porte¤os; la más infame de todas, [...]." (YES, S. 450f)
Mit der Verteidigung seines Landes gegen die äußeren Bedrohungen rechtfertigt der Diktator im Roman zahlreiche seiner politischen Maßnahmen, wie z. B. die Ab-riegelung des Landes nach außen oder seinen rigorosen Eingriff in den Handel:
„Por ahora el Paraguay, cierro yo, se encuentra exclusivamente concentrado en la organización de su administración pública y de sus fuerzas armadas. No puede emplearlas en otro objetivo que no sea su propia defensa." (YES, S. 340)
„El presente bienestar, el futuro progreso de nuestro país son los que quiero proteger, preservar.[...]En esta atención, ahora que juzgo más proporcionadas las circunstancias, estoy tomando medidas, haciendo preparativos para librar al Paraguay de gravosa servidumbre. Libertar el tráfico mercantil de las trabas, secuestros, bárbaras exacciones con que los pueblos de la Costa impiden la navegación de los barcos del Paraguay [...]para grasarse, auxiliarse con sus depredaciones en la pretensión de mantener a esta República en servil dependencia [...]. (YES, S. 450)
In den Vordergrund seiner politischen Zielsetzung rückt der Supremo den Erhalt der Autonomie und Souveränität Paraguays. Dieser Aufgabe unterwirft er sich im Roman kompromißlos: „En adelante no transigiría con nada y con nadie que se opusiese a la santa causa de la Patria." (YES, S. 289f) Die Parole Independencia o muerte - im Roman zugleich das Kennwort des Diktators - wird zum außen-politischen Motto des Supremo.
„¨Cree Usted que nos están rogando clamorosamente que los convirtamos otra vez en esclavos de una minoría de privilegiados para explotarlos en su particular beneficio como hasta aquí lo vinieron haciendo los amos extranjeros?" (YES, S. 349), hält er den Abgeordneten der bonarenser Regierung, die Paraguay zum Anschluß an die Junta von Buenos Aires bewegen sollen, entgegen. Der Supremo wirft ihnen vor, anstelle einer „wirklichen" Konföderation der Río de la Plata- Staaten die erneute Unterwerfung Paraguays unter eine fremde Macht anzustreben. „Si hay imperio no hay república." (YES, S.507) entgegnet er dem Abgeordneten des brasilianisch-portugiesischen Königreichs, Correia da Camara und wendet sich damit wiederholt gegen jeden imperialistischen Anspruch von seiten der Vize-königtümer oder der benachbarten Länder. Einer Konföderation ist er nur bereit zuzustimmen, wenn sie auf der Grundlage autonomer und gleichberechtigter Repu-bliken basiert. Mit dieser Auffassung orientiert er sich nach eigener Aussage an Vorbildern der französischen Aufklärung: „Oiga escucha esta idea de Montesquieu sobre el concepto de una república federativa:", belehrt er John Parish Robertson im Roman. „Si se debiese dar un modelo de una bella república pondría el ejemplo de Ligia.[...] No importa donde se halle este país, don Pedro Juan. Lo importante es su régimen de gobierno basado en una asociación de ciudades o de estados en igualdad de soberanía y de derechos." (YES, S. 286 f)
Über seine aufklärerische Inspiration läßt der Supremo auch im fiktiven Gespräch mit Manuel Belgrano keine Zweifel aufkommen:
Jefe honorable de una misión de paz usted, general, viene a proponer al Paraguay no la aberración de una ®independencia prótegida¯ sino un tratado igualitario y fraterno. Lector adicto de Montesquieu, de Rousseau, como lo soy yo, podemos coincidir con las ideas de estos maestros en el proyecto de realizar la libertad de nuestros pueblos." (YES, S. 353f)
Darin unterscheidet er sich keineswegs von seinem historischen Vorbild Dr. Francia, der sich wie die Mehrzahl südamerikanischer (und internationaler) Ver-fechter der Unabhängigkeit mehr oder weniger auf die Ideen der französischen Aufklärung berief. Angel Rama charakterisiert Doktor Francia als „[...] típico representante del pensamiento iluminista, como lo fueron en diverso grado la mayoría de los jefes de la revolución de Independencia, lectores de Rousseau, Montesquieu lo que les permitió afirmar frente al destronamiento del monarca espa¤ol, que el poder había revertido al pueblo [...]."
Speziell im Hinblick auf die Charakteristika seiner innenpolitischen Zielsetzung läßt sich eine eben solche Beeinflussung des Supremo durch Aspekte der gesell-schaftspolitischen Ideen der französischen Aufklärung und Revolution nicht von der Hand weisen. Dies gilt insbesondere für seine im Roman herausgestellte inspiración popular.
Der Supremo stellt sich an die Spitze der revolutionären Bewegung seines Landes: „Aquí, se¤or jurisconsulto, más que una junta parada, tenemos una Revolución en marcha. El Director de la Revolución soy yo." (YES, S. 346 ), erklärt er den Abge-sandten von Buenos Aires im Roman. Den Grundsatz seines revolutionären Programms formuliert er bereits in der ersten Lektion des Rundschreibens: „La soberanía del Común es anterior a toda ley escrita, la autoridad del pueblo es superior a la del mismo rey,[...]." (YES, S. 127f)
Nicht nur dieser Gedanke, sondern ebenso seine anfängliche Umsetzung in die Tat, die der Supremo im folgenden beschreibt, weist den Protagonisten als konse-quenten Verfechter der Souveränität und Selbstbestimmung des Volkes aus: „Me acantoné en la choza a la espera de los acontecimientos.[...]La abrí a los campesinos, a la chusma, a la gente muchedumbre, al pueblo- pueblo declarado en estado de asamblea semiclandestina. La chacra de Ybyray se convirtió en cabildo de los verdaderos cabildantes." (YES, S. 213) Der Supremo macht die Aufklärer, auf die er sich bezieht, an unterschiedlichen Textstellen namhaft, er erwähnt Rousseau und Montesquieu. Zudem wird in den historischen Darstellungen, die Augusto Roa Bastos direkt oder indirekt in seinen Roman integriert, Francias Inspiration durch die rousseausche Ideenwelt betont. Daher scheint es nicht abwegig, diese Haltung des Supremo auf die von Jean Jacques Rousseau in seinem 1762 verfaßten Contrat social - unter anderem - geforderte uneingeschränkte Hingabe an das Gemeinwesen und vorbehaltlose Unterwerfung des individuellen Willens unter die volonté générale (den Gemeinwillen) zurückzuführen.
Sein Engagement für die gemeinschaftliche Sache wird in folgenden beispielhaften Aussagen des Supremo zu einer wesentlichen Grundlage der Selbstrechtfertigung:
„[...]pues mi solo propósito fue el de cooperar en lo que pudiese al servicio de la Patria consistiendo en cargar yo solo con estos cargos y cargas."
(YES, S. 283)
„Yo estoy enteramente en disposición de servir al gobierno, al país, a la causa de su soberanía y de su independencia,[...]." (YES, S. 284)
Auch auf sprachlicher Ebene signalisiert die Diktator-Figur durch den frequen-tierten Gebrauch der ersten Person Plural, der kollektiven Wir-Form, daß er keiner persönlichen Zielsetzung, sondern der einer Gemeinschaft folgt.
Das Bild des aufklärerisch inspirierten Politikers wird im Roman weiter vertieft. Zwei Schlagworte der französischen Revolution werden zum Motto der nationalen und revolutionären Zielsetzung des Supremo: in ihren Mittelpunkt stellt er die Verwirklichung von Gleichheit (egalité) und Freiheit (liberté), wobei jedoch die Rechte des Individuums zugunsten des gesellschaftlichen Anspruchs in den Hinter-grund gerückt werden.
Der Gleichheitsgedanke erstreckt sich über zwei Ebenen. Einerseits betont der Allmächtige die Notwendigkeit eines ausnahmslos für alle geltenden Rechts: „Todo lo que necesita es la igualdad dentro de la ley. Únicamente los pícaros creen que el beneficio de un favor es el favor mismo. Entiéndanlo todos de una vez. El beneficio de la ley es la ley misma. No es beneficio ni es ley sino cuando lo es para todos." (YES, S. 137) Andererseits hebt er im Roman gegenüber John Parish Robertson die Schaffung materieller Gleichheit als grundlegendes Ziel hervor: „Vea usted, don Pedro, precisamente porque la fuerza de las cosas tiende sin cesar a destruir la igualdad, la fuerza de la Revolución debe siempre tender a mantenerla:
Que ninguno sea lo bastante rico para comprar a otro y ninguno lo bastante pobre para verse obligado a venderse." (YES, S. 134)
In der Selbstbeurteilung des Supremo wird die Realisierung dieser Grundsätze als einer seiner fundamentalen Verdienste für die Gemeinschaft dargestellt:
„[...] toda verdadera revolución es un cambio de bienes. De leyes. Cambio a fondo de toda la sociedad.[...] Redacté leyes iguales para el pobre, para el rico. Las hice contemplar sin contemplaciones. Para establecer leyes justas suspendí leyes injustas. Para crear el Derecho suspendí los derechos que en tres siglos han funcionado invariablemente torcidos en estas colonias. Liquidé la impropiedad de la propiedad individual tornándola en propiedad colectiva, que es lo propio." (YES. S. 135)
Allerdings wird deutlich, daß die Umsetzung der revolutionären Ideen der straffen Organisation des Diktators unterworfen ist. Auch die Verwirklichung der gesell-schaftlichen Freiheit, der die Figur gegenüber der individuellen Freiheit Vorrang einräumt, wird im folgenden unmittelbar an die Bedingung einer strengen Ordnung gebunden:
„La libertad, ni cosa alguna puede subsistir sin orden, sin reglas, sin una unidad concertados en el núcleo del supremo interés del Estado, de la Nación, de la República,[...]. De otra suerte, por la cual hemos hecho, estamos haciendo y seguiremos haciendo los mayores sacrificios, vendrá a parar en una desenfrenada licencia, que todo lo reduciría a confusión en un campo de discordias, de alborotos." (YES, S. 284)
Die Bindung der revolutionären Bewegung an eine übergeordnete Instanz wurzelt in der sich im folgenden abzeichenden Überzeugung des Supremo, daß das Volk nicht reif sei, um von der Freiheit auf „vernünftige" Weise Gebrauch zu machen: „Aqui en el Paraguay las fuerzas de la Revolución radican en los campesinos libres, en la incipiente burguesía rural. Especie de ®tercer Estado¯, incapaz sin embargo de gobernar todavía bajo la forma de un parlamento revolucionario. Incapaz de llevar aún la lucha de la independencia hasta sus últimas consecuencias." (YES, S. 345) Darin liegt zugleich die Ursache der zunehmenden Entfremdung des Diktators von der aufklärerischen Ideenwelt zugunsten eines absoluten und unbegrenzten Machtverständnisses, wie sie im Hinblick auf die historische Francia-Figur z.B. von Julio César Chaves betont wird. An die Stelle von Souveränität und Selbstbe-stimmung des Volkes tritt die Entscheidungsgewalt des allmächtigen Diktators. Das wird in folgender Aussage des Supremo offensichtlich:
„Todos mis condiciones fueron aceptadas y establecidas en acta sujeta a estricto cumplimiento: Autonomía, soberanía absoluta de mis decisiones. Formación bajo mi jefatura de las fuerzas necesarias para hacerlas cúmplir. Exegí que se pusiera a mís ordenes la mitad del armamento y de las muni- ciones existentes en los parques. De la gente muchedumbre saqué los hombres que formaron el primer plantel del ejército del pueblo. Apoyo aún más incon- trastable que el de los ca¤ones y fusiles en la defensa de la República y la Revolución." ( YES, S. 290)
Das Volk wird zum Werkzeug der von oben oktroyierten Revolution: „Toda verdadera revolución crea su ejército, puesto que ella misma es el pueblo en armas." (YES, S. 285)
Durch die Identifikation seiner Person mit dem Gemeinwillen entfernt sich der Supremo von den ursprünglichen Zielen der Revolution. Karl Kohut stellt fest: „Yo el Supremo es la historia de un fracaso trágico. El Supremo Dictador quiso realizar lo absoluto, realizar en una unión mística y mítica la identificación de su persona con la voluntad común del pueblo. El fracaso fue inevitable porque quiso realizar lo imposible." Der anonyme Widersacher des Diktators im Roman, der sich bei genauerer Betrachtung als dessen schlechtes Gewissen entpuppt, wirft dem Supremo vor: „Te quedaste al mitad del camino y no formaste verdaderos dirigen- tes revolucionarios sino una plaga de secuaces atraillados a tu sombra." (YES, S. 594) Weiter beschuldigt er ihn, das Dogma der Revolution für seine Zwecke mißbraucht zu haben:
„Dejaste de creer en Dios pero tampoco creíste en el pueblo con la verdadera mística de la Revolución; unica que lleva a un verdadero conductor a identificarse con su causa, no a usarla como escondrijo de tu absoluta vertical Persona [...] Con grandes palabras, con grandes dogmas aparentemente justos, cuando la llama de la Revolución se había apagado en ti, seguiste en- ga¤ando a tus conciudadanos [...]." (YES, S. 594)
Der Supremo erkennt seinen Irrtum nicht. Im Circular perpetuo gibt er sich abso- lut überzeugt von seinen Errungenschaften für die Gemeinschaft. Er betont seine fundamentale Rolle im Hinblick auf die Anfänge der paraguayischen Republik und beansprucht für sich nichts weniger als den Verdienst, den ersten freien und unab-hängigen Staat Südamerikas geschaffen zu haben. Das hält er besonders seinen Feinden entgegen:
„¨De qué me acusan estos anónimos papelarios?¨De hacer dado a este pueblo una Patria libre, independiente, soberana? Lo que es más importante, ¨de haberle dado el sentimiento de Patria? ¨De haberle defendido desde su nacimiento contra los embates de sus enemigos de dentro y de fuera?[...]Les quema la sangre que haya asentado, de una vez para siempre, la causa de nuestra regeneración política en el sistema de la voluntad general[...]que haya restaurado el poder del Común en la ciudad, en las villas, en los pueblos; que haya continuado aquel movimiento, el primero verdaderamente revolucionario que estalló en estos Continentes, antes aún que en la inmensa patria de Washington, de Franklin [...]." (YES, S. 126)
Jeder persönliche Feind des Diktators, wird folglich zum Gegner der Unabhän-gigkeit, Souveränität und Freiheit der Nation. Die rigorose Verfolgung jeglicher Opposition durch den Supremo, die sich wie ein roter Faden durch die Handlung des Romans zieht, wird dadurch legitimiert.
So entsteht ein überwiegend positives Bild des Politikers Francia, das letzten Endes daraus resultiert, daß Augusto Roa Bastos ihn für sich selbst sprechen läßt. Die Selbstbeurteilung des Supremo als Begründer der paraguayischen Nation entspricht zudem der Bedeutung, die der Autor seinem historischen Vorbild beimißt. Die im Roman grundsätzlich positiv bewertete Zielsetzung seiner Politik - wenngleich sie am autoritären Machtanspruch des Supremo im Namen des Volkes scheitert - wird auch in bezug auf die aktuelle politische Situation Paraguays erstrebenswert. Die über die Anfänge der Republik hinausgehende Belehrung lautet im Roman wie folgt:
„Todo movimiento verdaderamente revolucionario, en los actuales tiempos de nuestras Repúblicas, única y manifiestamente comienza con la soberanía como un todo real en el acto." (YES, S. 594).
Roa Bastos greift in seiner Darstellung des Diktators auf diverse dieser Aspekte zurück. Wie sein historisches Vorbild entpuppt sich der Supremo als vielseitig und umfassend gebildete Persönlichkeit. Die Anspielungen darauf sind im Roman derart zahlreich, daß im folgenden nur versucht werden kann, den entstehenden Gesamt-eindruck zu erfassen.
Der Supremo reflektiert und philosophiert über die Geschichte, Literatur, das Gedächtnis, das Vergessen, die Einsamkeit, Leben und Tod, die Macht und eine Vielzahl politischer Themen. In seinen Reflektionen treten die verschiedenartigsten Figuren aus dem Weltgeschehen, aus der indianischen und griechisch-römischen Mythologie auf, werden erwähnt oder zitiert. Die zahlreich hergestellten Assozia-tionen setzen eine detaillierte politisch-historische, literarische, philosophische und mythologische Bildung des Reflektierenden voraus. Aber auch mit naturwissen-schaftlichen Erkenntnissen des 18. Jahrhunderts setzt sich der Supremo aus-einander. Wie Dr. Francia widmet er sich z.B. mit besonderer Begeisterung der Astronomie. Die Beobachtung der Gestirne mithilfe seines Teleskops und ihre Deutung stellt sich als eine seiner liebsten Beschäftigungen heraus.
Außerdem läßt ihn Roa Bastos als rhetorisch gewandten Redner gegenüber seinen imaginären Gesprächspartnern auftreten und stattet ihn im Hinblick auf seine Selbstrechtfertigung mit einer vorzüglichen Argumentationsgabe aus.
Der Supremo erweist sich nicht nur als Kenner zahlreicher philosophischer, gesell- schaftspolitischer und literarischer Werke. Er stellt immer wieder unter Beweis, daß er darüber hinaus in der Lage ist, sie in einen aktuellen oder momentanen Bezug zu setzen und sie mit Gewandtheit auszulegen. Das wurde bereits im Zu-sammenhang mit seiner Politik beispielhaft aufgezeigt. Zu den Schriften der französischen Aufklärer gesellen sich die Werke antiker Philosophen und internationaler zeitgenössischer (18./19.Jhd.) und moderner Autoren, auf die der Supremo im- oder explizit Bezug nimmt. Allerdings werden diese Transfers häufig erst durch den Eingriff des imaginären Kompilators kenntlich gemacht oder ermöglicht. Dies geschieht in Form von Anmerkungen und in die Rede des Supremo integrierten Textsequenzen aus anderen Werken. Darin äußert sich auf struktureller Ebene, daß die intellektuelle Persönlichkeit des Allmächtigen mit der des Kompilators verschmilzt. Beide sind beteiligt an der Kreation des Romans. Das bedeutet, daß sich die Funktion des imaginären Kompilators mit der des Supremo überschneidet. Beide treten mit dem Anspruch an, die Geschichte eines Volkes zu schreiben. Diese Konkordanz hebt der Verfasser in seiner nota final deutlich hervor:
„®Toda historia no contemporanea es sospechosa¯, le gustaba decir a El Supremo. ®No es preciso saber cómo han nacido para ver que tales fabulosas historias no son del tiempo en que se escribieron. Harta diferencia hay entre un libro que hace un particular y lanza al pueblo, y un libro que hace un pueblo. No se puede dudar entonces que este libro es tan antiguo como el pueblo que lo dictó¯. Así imitando una vez más al Dictador ( los dictadores cumplen precisa- mente esta función: reemplazar a los escritores, historiadores, artistas, pensadores, etc.)[...]." (YES, S. 608f)
Tritt der Supremo im Roman gegen die Verleumdungen der Pamphletisten und der historischen Darstellungen seiner Person an, so spiegelt sich darin außerdem die Intention Augusto Roa Bastos` wieder, gegen die Geschichte/ Historiographie an-zutreten. (Darauf wird an anderer Stelle nochmals eingegangen.)
Auch in der Präsentation des Supremo als Intellektueller lassen sich zwar eindeutige Parallelen zur historischen Figur erkennen, dennoch weist ihn auf inhaltlicher Ebene besonders sein politisch-historisches Wissen, das weit über die zeitliche Grenze der Diktatur Francias und die paraguayische Geschichte hinaus-geht, als fiktive Gestalt aus. Seine Reflektionen erhalten durch die vielfältigen intertextuellen Bezüge universelle Gültigkeit.
Zum durchgängigen Prinzip der roabastianischen Darstellung wird folglich die Abstraktion der Figur. Sie entspringt der Absicht, den um Francia entstandenen Mythos, der bis in heutige Zeit in der mündlichen Tradition präsent ist, in den historischen Darstellungen jedoch weitesgehend unberücksichtigt blieb, aufleben zu lassen. Der Supremo als Vaterfigur, als göttliches Wesen, als Verkörperung der absoluten Macht und der paraguayischen Nation wird in Yo el Supremo zum personifizierten Mythos.
Vergleicht man das Francia-Bild im Roman mit den in den historischen Texten von Rengger, den Robertsons und Carlyle entworfenen Porträts des Diktators, so fällt auf, daß die Romanfigur zwar generell Züge der historischen Person aufweist, jedoch in ihrer Komplexität weit über die reale Figur des Doktor José Gaspar Rodríguez de Francia hinausreicht. Dennoch wird sie im Roman durch die Integration der historischen Darstellungen in die fiktive Handlung von Yo el Supremo in eine konkrete Beziehung zu ihrem Vorbild aus der paraguayischen Geschichte gesetzt. Augusto Roa Bastos charakterisiert die Relation zwischen historischer und fiktiver Gestalt folgendermaßen:
„La relación entre el personaje histórico del doctor José Gaspar Rodríguez de Francia y el protagonista de la novela ya existe entre la historia y el mito; es decir entre la realidad concreta y objetiva y el mundo de la imaginación, que a su modo es otra realidad no menos válida que la primera, sólo que sus modos de expresión y sus significaciones son diferentes."
Damit bringt er deutlich zum Ausdruck, daß sich das Verhältnis historische/ fiktionale Darstellung einerseits über eine Konfrontation von Geschichte und Mythos, historischer Realität und imaginärer Welt definiert. Andererseits stellt er mit dieser Aussage den Wirklichkeitsanspruch der historischen Darstellung in Frage, indem er der mythischen oder imaginären Welt ebenso einen Platz in der Realität einräumt. Dieses Spannungsverhältnis manifestiert sich im Roman in der vorgetäuschten Kompilation und der daraus resultierenden Intertextualität des Werkes. Der imaginäre Verfasser des Romans gibt vor, daß sein Werk lediglich eine Zusammenstellung unterschiedlichster Quellen und Dokumente darstellt und suggeriert auf diese Weise die Historizität des Werkes.
Tatsächlich werden Dokumente unterschiedlichster Art in die Romanhandlung eingefügt oder durch Anmerkungen des Verfassers als Quelle der (fiktionalen) Darstellung ausgewiesen. Die Konfrontation von Realität und imaginärer Welt, Geschichte und Mythos verlagert sich dadurch hauptsächlich auf die Gegenüberstellung der Dokumente des Kompilators mit der fiktiven Rede des Protagonisten. Amancio Sabugo Abril bemerkt dazu: „En Yo el Supremo de Roa Bastos hay una confrontación dialéctica entre el discurso del dictador y los documentos del compilador, sustentada en la biografía y la historia, recreada en la ficción."
Die Kompilation umfaßt zahlreiche echte, aber ebenso imaginäre Dokumente und Quellen mündlicher wie schriftlicher Tradition. Das später verbrannte Tagebuch des Diktators hat z.B. nie wirklich existiert, dennoch wird es im Roman als Quelle im historiographischen Sinn zitiert. Indem fiktive und echte Quellen so die gleiche Gültigkeit erhalten, wird ihre Funktion als Beweismaterial der Historiographie abgewertet und hinterfragt. Das äußert sich zudem konkret in der Behandlung der historischen Quellen im Roman.
In Yo el Supremo werden nicht nur in Form von Anmerkungen des Verfassers Bezüge zu diversen historischen Darstellungen sichtbar. Auszüge der im Rahmen der vorliegenden Arbeit analysierten historischen Texte von Johann Rudolph Rengger und den Gebrüdern Robertson erscheinen z.B. als zusammenhängende Zitate im Roman. Sie werden als solche unmittelbar in den Textfluß integriert und mit der fiktiven Handlung verbunden, indem Roa Bastos den Supremo Stellung zu den - seiner Selbstdarstellung meist widersprechenden - Aussagen nehmen läßt. Wehrlos setzt er sie der Kritik des Protagonisten aus und gibt ihm die Gelegenheit, die historische Quelle zu widerlegen oder zu verfremden. Das geschieht im Roman auf unterschiedliche Weise. Passagen aus der schriftlich fixierten Quelle werden beispielsweise ihrem Zusammenhang entrissen oder in gesprochene Sequenzen umgewandelt; das heißt, sie finden sich in abgeänderter Form in den Äußerungen des Supremo wieder. Ihr authentischer Charakter geht damit verloren, als historisches Dokument werden sie abgewertet. Im Gegensatz dazu werden historische Bezugsquellen aller Art als kompakte Zitate dennoch häufig angeführt, um Äußerungen des Supremo zu untermauern oder zu belegen.
Was bedeutet das im Hinblick auf die Funktion der historischen Texte innerhalb der fiktionalen Darstellung? Oliver C. Gliech trifft bezüglich der Gesamtheit der Textbezüge folgende Feststellung:
„Die zahlreichen Textbezüge haben, wie es scheint, die doppelte Aufgabe, ¯Authentizität® zu schaffen und zu zerstören. Ein Teil der Ereignisse könnte so stattgefunden haben, erweist sich aber als mythischen Ursprungs. Irreal Erschei- nendes kann wiederum aus zeitgenössischen Quellen stammen. Die ¯Magie® des Romans besteht darin, daß man oft genug nicht weiß, in welcher der Realitätssphären man sich befindet. [...] Die Veränderbarkeit der Texte zeigt mithin, daß nicht nur historische Erkenntnisse, sondern die Quellen selbst, aus denen sie resultieren, etwas Vorläufiges sind."
Die Grenze zwischen Historie und Fiktion wird aufgehoben, indem Elemente der Realwelt mit jenen der Vorstellungswelt vertauscht werden. Die Kompilation im Roman entpuppt sich folglich als Persiflage auf die Methoden der Geschichts-schreibung. Simuliert sie, daß der Roman ein historisches Werk darstellt, so wird die fiktionale Darstellung auf eine Ebene mit den als Fakten propagierten histo-rischen Quellen gestellt. Die Glaubwürdigkeit der letzteren wird dadurch hinter- fragt, den ebenso in die Romanhandlung eingeflochtenen Quellen mündlicher Tradition und fiktiver Natur quasi geschichtliche Beweiskraft eingeräumt.
Hinter der eigentümlichen Konzeption des Werkes verbirgt sich zum einen die Kritik des Autors an der herkömmlichen Historiographie Lateinamerikas, die eben jenen Quellen der mündlichen Überlieferung nur geringfügige Bedeutung beige-messen hat oder sie bewußt außer Acht ließ, und zum anderen die Absicht, demgegenüber eine kollektive Geschichte zu schreiben, die alle Traditionen mit einbezieht.
In den Reflektionen des Supremo lassen sich zahlreiche Anspielungen auf einzelne Kritikpunkte und die Intention Augusto Roa Bastos` erkennen. So charakterisiert der Protagonist die Geschichtsschreiber z.B. als Verfasser von Schmähschriften, denen lediglich persönliche Interessen zugrunde liegen:
„Después vendrán los que escribirán pasquines más voluminosos. Los llamarón libros de Historia, novelas, relaciones de hechos imaginarios adobados al gusto del momento o de sus intereses. Profetas del pasado, contarán la historia de lo que no ha pasado." (YES, S.127)
Oder er bekundet im folgenden die Auffassung, daß nur jenes literarische oder historische Werk von bleibendem Wert sei, das eine Gemeinschaft zum Verfasser habe:
„Hubo épocas en la historia de la humanidad en que el escritor era una persona sagrada. Escribió libros sacros. Libros universales. Los códigos. La épica. Los oráculos.[...] No asquerosos pasquines. Pero en aquellos tiempos el escritor no era un individuo solo; era un pueblo. Transmitía sus misterios de edad en edad. Así fueron escritos los Libros Antiguos. Siempre nuevos. Siempre actuales. Siempre futuros." (YES, S. 169)
Darin überschneiden sich die Ansichten des Supremo mit der des Autors, der seine schriftstellerische Tätigkeit wie folgt beschreibt:
„No me opongo a la historiografía. Simplemente hago otra clase de historia que se nutre en la historia vivida de nuestro pueblo, imaginada libremente por mí , ya que nuestros conciudadanos no han podido vivirla libremente en la alucinada irrealidad de la historia. Imagino pues que la dictadura perpetua inaugural es el núcleo y raíz de la discordia histórica."
Roa Bastos erhebt anstelle seines Volkes das Wort. So könnte die Kernaussage dieser Darstellung lauten. Das demonstriert er im Roman Yo el Supremo, indem er durch die Einbeziehung der Dokumente mündlicher Tradition und mythischen Charakters versucht, die Geschichte seines Landes, wie sie in der Erinnerung des Volkes überlebt hat, neu zu schreiben. Als vielschichtigere und ebenso reale Variante stellt er sie den häufig einseitigen, lediglich die Sichtweise einer elitären Minderheit repräsentierenden, historischen Darstellungen gegenüber. Denn selbst der Supremo gelangt zu der Erkenntnis: „Memoria de uno solo no sirve para nada." (YES, S. 96)
Die wenigen zeitgenössischen Zeugnisse entstammen der Feder einer Minderheit von ausländischen Reisenden, die - wie es der Supremo im Roman kritisiert - in ihrer Darstellung persönlichen Interessen folgen. Das trifft ebenfalls auf eine Mehr-heit der in den Jahren nach dem Tod Francias verfaßten historischen Werke zu. Ihre Verfasser gehörten hauptsächlich der Oberschicht der Weißen spanischer Herkunft an. Da sie unter Francia erstmals entmachtet wurden, konnte eine Interpretation seiner Regierung aus ihrer Sicht nur darauf abzielen, sie in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken.
Eine Vielzahl persönlicher Interessen hat das Bild des Dr. Francia folglich geprägt, was eine objektive Beurteilung seiner Person von seiten der Nachwelt erschwert, aber gleichzeitig bis heute zahlreiche Historiker zur Auseinandersetzung mit seiner Person herausgefordert hat.
Betont Roa Bastos in seinem Roman die inspiración popular des Supremo, so greift er damit auf einen Aspekt der Politik Francias zurück, der ihn unbestritten von der Mehrheit der südamerikanischen Machthaber unterscheidet und auch im Hinblick auf die aktuellen Machtverhältnisse bedeutsam geblieben ist:
„Was Francia von der Masse der lateinamerikanischen Potentaten unterschied, war nicht nur seine soziale Herkunft: Die anderen ¯Caudillos®, Diktatoren und Präsidenten waren nahezu ausnahmslos Exponenten der alten Oberschicht, reiche Grundbesitzer, die nur die Interessen ihrer Klasse im Auge hatten, wenn ihre Politik auch teilweise populistische Züge trug. Francia ging den entgegengesetzten Weg: Er entmachtete die Eliten und versperrte ihnen den Zugang zu den wichtigsten Resourcen, aus denen sich zuvor ihr Einfluß gespeist hatte."
Bedenkt man, daß zum Zeitpunkt der Publikation des Romans von Roa Bastos unter Stroessner nach wie vor eine winzige Minderheit der Weißen spanischer Herkunft, die wirtschaftlichen wie politischen Schlüsselpositionen in Paraguay innehatten, so verdient die Politik Francias, die immerhin danach strebte, die indianisch-ländliche Bevölkerung in ihren Mittelpunkt zu stellen, auch heute noch besondere Beachtung.
„Dr. Francia war eine umstrittene Gestalt und wird eine umstrittene Gestalt bleiben, nicht allein seiner eigenwilligen Persönlichkeit wegen, sondern weil die Fragen seiner Zeit - Diktatur, Demokratie, Unabhängigkeit, Dependenz, Rechte des Einzelnen, Rechte der Gemeinschaft, Staat, Gesellschaft, Traditionalismus, Modernisierung, Preis des Fortschritts - auch die Fragen der Gegenwart und der Zukunft sind."