Thomas Metzinger

 

 

PERSPEKTIVISCHE FAKTEN?

 

Die Naturalisierung des Blick von nirgendwo

 

In „Der Blick von nirgendwo“ hat Thomas Nagel seine anti-reduktionistische Argumentationslinie von phänomenalen types auf quasi-transzendentale individuals verlagert (Vgl. Nagel 1981 und 1992). Nagel stellt dabei eine Behauptung bezüglich einer bestimmten Klasse von Sätzen auf, nämlich monologisierenden Sätzen vom Typ „Ich bin TN“. Diese Sätze sind ihrer logischen Form nach Identitätsaussagen und sie enthalten einen indexikalischen Ausdruck, nämlich das Wort „Ich“. Nagel behauptet nun zweierlei: Erstens sind Sätze, in denen solche indexikalischen Ausdrücke vorkommen, nicht übersetzbar in objektive Aussagen, die von der dritten Person Gebrauch machen. Zweitens drücken diese Sätze eine nicht-triviale Wahrheit über uns alle aus, eine Wahrheit, die nicht in der selbstreferentiellen Bezugnahme auf einen Sprecher mit einer bestimmten Geschichte und bestimmten öffentlichen Eigenschaften besteht.

Wenn das wahr ist, dann muß es perspektivische Fakten geben, die die Referenz für den zweiten inhaltlichen Aspekt der fraglichen Identitätsaussagen bilden (sie besäßen demnach einen „doppelten Set von Wahrheitsbedingungen“). Dieser Typ von Tatsache könnte sich nicht in aus objektiven Aussagen bestehenden Beschreibungen der Welt - wie sie die Wissenschaft liefert - wiederfinden. Im ersten Teil meines Beitrags werde ich sehr kurz andeuten, warum Nagels Position sich auf analytischer Ebene nicht halten läßt. Im zweiten Teil biete ich ein psychologisches Plausibilitätsargument an, welches seine Theorie auch auf deskriptiv-phänomenologischer Ebene als falsch erweist. Im dritten Teil werde ich kurz zeigen, daß es jenseits der rein sprachanalytischen Auflösung des Problems einen repräsentationstheoretischen Zusammenhang gibt, der zu Nagels essentialistischen Fehlschlüssen führt. Durch eine naturalisierende Reinterpretation lassen sich diese Fehlschlüsse vermeiden und seine ursprüngliche Einsicht tritt deutlicher hervor.

1. Begriffliche Probleme

Vielen Autoren ist aufgefallen, daß Nagel Begriffe wie „Selbst“, „Ich“ oder „Bewußtsein“ im Text unscharf verwendet. Dies führt zu allerlei subtilen Themenwechseln, manchmal auch zu Widersprüchen. Mit diesen möchte ich mich hier nicht auseinandersetzen, ich beschränke mich auf eine kurze Aufzählung der analytischen Schwierigkeiten, an denen sein Projekt gescheitert ist.

 

1.1

Die logische Struktur des postulierten Sachverhalts wird niemals angegeben. Diesen Punkt hat Bill Lycan herausgearbeitet (Vgl. Lycan 1987, 78f, 1996, 50; Metzinger 1993, 233).

1.2

Das objective self besitzt große Ähnlichkeit mit dem transzendentalen Ego der Husserlschen Spätphilosophie. Das wunderschöne Bild des Blicks von Nirgendwo ist eine Variante der klassischen abendländischen Begriffsfigur von Erkenntnis als „geistigem Schauen“: Die von Nagel eingesetzte Zentralmetapher des Einnehmens und Aufgebens von Perspektiven ist eine räumliche Metapher, die auf unsere dominante Sinnesmodalität, nämlich auf die visuelle Wahrnehmung bezugnimmt. Diese Metapher aber erzeugt in ihrer begrifflichen Umsetzung fast automatisch distale Objekte und einen Beobachter. Es gibt dementsprechend eine in Nagels Gedankengängen ständig mitlaufende und persistierende Akt-Objekt-Äquivokation, durch die mentale Ereignisse oder Vorgänge zu nicht-physischen Einzeldingen „eingefroren“ werden (Vgl. wieder Lycan 1987, 79f, 1996, 51f).

1.3

Der von Nagel eingeführte Begriff des „objektiven Selbst“ ist inkonsistent. Das objektive Selbst ist kein mentaler Gegenstand mehr, weil der Begriff des Mentalen gerade über den Begriff der Perspektive eingeführt wurde (Vgl. Nagel 1992, 68). „Selbst“ ist aber ein mentalistischer Term par excellence. Nagels früherer Lehrer Norman Malcolm hat darauf hingewiesen, daß das perspektivelose objektive Selbst so zu einem „geistlosen Ding“ würde, weil es sich in seinem Streben nach Objektivität so weit vom Standpunkt des psychologischen Subjekts entfernt hätte, daß es nun seinerseits unter keinen mentalen Begriff mehr fallen würde (Malcolm 1988, 158f).

1.4

Der wichtigste analytische Fehler liegt jedoch ganz einfach darin, daß - auch wenn Nagel verschiedentlich andeutet, es ginge ihm nicht darum, ein nicht-physisches Individuum einzuführen - in der „philosophischen“ Lesart der TN-Sätze „Ich“ stillschweigend immer wie ein Designator eingesetzt wird. Für das fragliche Einzelding werden jedoch niemals Identitätskriterien angeboten. Unter Nagels Kritikern ist es wieder Norman Malcolm, der diesen Punkt besonders deutlich macht (Vgl. Malcolm 1988, 154 & 159).

„Does this make any sense? It would if there were criteria of identity for an I. [Hervorhebung TM] ... When we are uncertain about the identity of a person, sometimes we succeed in determining his identity, sometimes we make mistakes. But in regard to the identity of an I that supposedly occupies the point of view of a person, we could be neither right nor wrong. After a bout of severe amnesia Nagel might be able to identify himself as TN - but not as I. 'I am TN' could announce a discovery - but not 'I am I'.
An important source of confusion in Nagel's thinking is his assumption that the word 'I' is used by each speaker, to refer to, to designate - something. But that is not how 'I' is used. If it were, then 'I am I' might be false, because 'I' in these two occurrences had been used to refer to different things. Nagel's statement, 'I am TN', could also be false, not because the speaker was not TN, but because Nagel had mistakenly used 'I' to refer to the wrong thing. If Nagel had not assumed that 'I' is used, like a name, to designate something, he would not have had the notion that in each person there dwells an I or Self or Subject - which uses that person as its point of viewing.“
(Vgl. Malcolm 1988, 159f)

2. Deskriptive Unplausibilität: Ein psychologisches Argument

Nachdem deutlich geworden ist, daß der Begriff des „objektiven Selbst“ in sich widersprüchlich und semantisch leer ist, kann man sich nun dem von Nagel angebotenen Verfahren zuwenden: Dem Blick von nirgendwo. Nagels Grundstrategie ist die folgende: Er bietet seinen Lesern die Gebrauchsanweisung zur Durchführung einer mentalen Simulation an und liefert dann eine neo-cartesianische Interpretation der mit ihr entstehenden phänomenalen Zustände („Mentale Simulationen“ sind Vorgänge bei denen menschliche Gehirne in sich komplexe Darstellungen möglicher phänomenaler Welten aktivieren, z.B. bei Vorstellungen, Gedankenexperimenten oder Fantasien; vgl. Metzinger 1993). Aber auch der Begriff des View from Nowhere ist bei genauerem Hinsehen phänomenologisch unplausibel, wie man mit einem einfachen „psychologischen“ Argument zeigen kann.

Zunächst aber muß ein anderer Punkt hervorgehoben werden: Es geht Nagel um eine mentale Repräsentation, um einen ganz speziellen „philosophischen“ Gedanken. Er erklärt diesen Gedanken durch die Einführung einer Entität, die zumindest dem Anspruch nach als eine mentale Entität gedacht wird. Das, was Thomas Nagel als das „objektive Selbst“ bezeichnet, ist, so denke ich, die begriffliche Verdinglichung eines Prozesses, der sich auf der Ebene mentaler Repräsentation ereignet. Dieser Prozess erzeugt innerhalb eines perspektivisch organisierten Repräsentationsraums (innerhalb des subjektiven Bewußtseins einer Person, die mit dem Blick von Nirgendwo experimentiert) ein aperspektivisches mentales Simulat der Wirklichkeit. Dieses nicht-zentrierte mentale Modell der Realität enthält, so Nagel, alle Erfahrungen und die Perspektive von TN:

„Doch die Erlebnisse und die Perspektive von TN, die mir unmittelbar gegeben sind, machen nicht den Standpunkt des eigentlichen Selbst aus, da das eigentliche Selbst eben keine Perspektive hat, sondern TN und seine Perspektive in seiner Auffassung von einer zentrumlosen Welt als Inhalt dieser Welt miteinschließt.“ (Vgl. Nagel 1992, 109)

Aber das ist falsch: Diese innere Erfahrung, nämlich den aus der Perspektive des psychologischen Subjekts TN initiierten und durchgeführten View from Nowhere, enthält die „centerless conception of the world“ eben nicht. Das letzte mentale Ereignis - nämlich der absichtlich initiierte Wechsel der Perspektive ist nicht in der azentrischen Darstellung der Welt enthalten, denn dadurch entstünde ein infiniter Regreß. Die aktuelle Perspektive ist in dem zentrumlosen Bild der Welt, auf welches das von Nagel postulierte wahre Selbst in nicht-perspektivischer Weise schaut, nicht enthalten. Den drohenden infiniten Regreß hat Nagel durch eine Objektbildung abgefangen, indem er auf begrifflicher Ebene das metaphysische Objekt des objective self einführt. Der Blick von nirgendwo ist aber immer ein mentales Ereignis oder eine Serie solcher Ereignisse, der Bestandteil einer individuellen psychischen Biographie - so wird er von Nagel beschrieben. Damit wird auch dieser Zentralbegriff inkonsistent. Der Blick von nirgendwo muß immer ein Bestandteil meiner psychischen Biographie sein: Ich bin es, der den Perspektivenwechsel initiiert (beliebig oft und reversibel). Wenn ich mich nicht an diese mentale Operation und an die aus ihr resultierenden Veränderungen des phänomenalen bzw. repräsentationalen Gehalts in meinem mentalen Realitätsmodell erinnern könnte, könnte ich sie auch nicht retrospektiv zu Gegenstand philosophischer Überlegungen machen.

Mir geht es jedoch hier nicht darum, eine destruktive und vernichtende Kritik von Nagels Arbeiten vorzutragen. Nagel ist ein seriöser Philosoph der analytischen Tradition und kein New Mysterian. Die Schwierigkeiten von Nagels analytisch-spekulativer Subjektphilosophie sind nicht die Schwierigkeiten eines reaktionären Obskurantismus, sondern die Probleme eines rationalistischen Unternehmens. Dieses Unternehmen besteht unter anderem darin, die Dimension des Subjektiven in einer Zeit rasanten Erkenntniszuwachses gegen reduktionistische Euphorie und utopistisches Theoretisieren zu verteidigen, und auch darin, unsere eigene Innerlichkeit und die traditionell mit ihr verknüpften philosophischen Rätsel weiter ernst zu nehmen. Nagel geht es nicht darum, ein Scheinproblem zu konstruieren. Er mutet seinen Lesern zu, unter der sprachlichen Oberfläche ein reales Problem zu erkennen.

„Solche Fragen mögen dem Leser selbst dann lächerlich vorkommen, wenn er sie sich in bezug auf sich selbst stellt; ich versuche hier jedoch, ein geschärftes intuitives Problembewußtsein zu wecken und ihn davon zu überzeugen, daß auch dann etwas daran ist, wenn die sprachliche Darstellungsform unvollkommen sein mag. Es mag Fälle geben, in welchen eine sprachliche Taschenspielerei uns das Trugbild einer Frage vorgaukelt, wo in Wahrheit keine Frage besteht, aber dies ist kein solcher Fall. Wir können die Frage auch unabhängig von ihrem verbalen Ausdruck in unserem Denken wahrnehmen, und die Schwierigkeit besteht gerade darin, sie so zu stellen, daß sie nicht zu einer Oberflächlichkeit wird oder dazu einlädt, daß man sie nach Maßgabe ihrer verbalen Form beantwortet, ohne wirklich dem Problem unter der Oberfläche gerecht zu werden. In der Philosophie handelt es sich niemals bloß darum, wie wir uns ausdrücken sollen.“ (Vgl. Nagel 1992, 99)

3. Die Naturalisierung des „Blick von nirgendwo“

Ich möchte nun in einem dritten Schritt davon ausgehen, daß Nagels Einführung des objektiven Selbst und des Blicks von nirgendwo - obwohl sie analytisch inkonsistent und deskriptiv wenig überzeugend sind - tatsächlich auf eine sehr interessante Eigenschaft des menschlichen Geistes, auf eine wichtige Eigenschaft unseres kognitiven Apparates zielt. Diese Eigenschaft ist, so glaube ich, eine natürliche Eigenschaft. In anderen Worten: Es gibt so etwas wie das objektive Selbst und es gibt auch den View from Nowhere, man kommt allerdings nur dann zu einer adäquaten Interpretation der entsprechenden mentalen Operationen, wenn man sie naturalisiert. Um also Nagel ernstzunehmen und seine wichtigen Einsichten zu extrahieren, muß man sie auf präzise Weise naturalisieren. Das allerdings ist beim gegenwärtigen Stand unseres empirischen Wissens über das menschliche Gehirn noch sehr schwer.

Wenn man Thomas Nagels Problem trotzdem nicht einfach analytisch einplanieren will, kann man versuchen, den psychologischen Aspekt des Problems weiter zu beleuchten. Man könnte zum Beispiel fragen, ob die notorischen phänomenologischen Reifikationen nicht ihre Wurzeln bereits in der repräsentationalen Architektur unseres Gehirns haben (z.B. weil es ein System ist, das durch Selbstorganisation und temporale Kodierung den in ihm entstandenen Informationsfluß automatisch eben genau durch Objektbildungen segmentiert und strukturiert; vgl. Metzinger 1995; Phillips & Singer 1997). Oder man könnte die Frage stellen: Welche zusätzliche Art von Orientierungsleistung könnte mit den fraglichen Sätzen noch erbracht werden, wenn sie in Gestalt des Nagelschen „philosophical thought“ auftreten? Es könnte ja sein, daß es neben dem Bereich interpersoneller Lokalisierung von Sprechern eine Form interner Selbstreferenz gibt, eine Art innerpsychische Orientierung des Subjekts. Der entscheidende Unterschied wäre in einem solchen Falle derjenige zwischen monologisierender sprachlicher und psychischer Selbstbezugnahme - kurz: zwischen linguistischer und mentaler Repräsentation des betreffenden Systems durch es selbst.

Ich möchte deshalb eine alternative Interpretation der von Nagel vorgeschlagenen „zweiten Lesart“ solcher Sätze anbieten. Wenn solche Sätze in einem monologisierenden Kontext geäußert werden, dann dienen sie einer innerpsychischen Orientierung des Subjekts. Genauer gesagt: Sie indizieren ein spezielles psychisches Ereignis, das als repräsentationales Ereignis beschrieben werden kann. Dieses repräsentationale Ereignis seinerseits kann prinzipiell naturalisiert werden, zum Beispiel durch eine unter dem Informationsverarbeitungsansatz operierende Theorie mentaler Repräsentation.

Es ist eine empirisch plausible Annahme, daß wir natürlich entstandene Informationsverarbeitungssysteme mit einer langen biologischen Geschichte sind. Wir erzeugen innere Darstellungen der Welt und von uns selbst in ihr. Solche inneren Darstellungen werde ich ab jetzt „mentale Modelle“ nennen. Unser Erlebnisraum, das ist die Grundannahme, baut sich in Standardsituationen aus einem mentalen Weltmodell und einem mentalen Selbstmodell auf. Außerdem sind wir Systeme, die solche mentalen Modelle auch absichtlich und unabhängig vom Strom des Inputs in sich aktivieren können: Wir können uns etwas vorstellen, wir sind Wesen, die über Fantasie verfügen und auch über die Fähigkeit, philosophische Gedankenexperimente durchzuführen indem wir absichtlich mentale Modelle möglicher Welten in uns erzeugen. Solche absichtlich eingeleiteten Modellierungsvorgänge habe ich im vorangegangenen Abschnitt als „mentale Simulationen“ bezeichnet.

Mentale Simulationen sind natürliche Vorgänge im zentralen Nervensystem menschlicher Personen und der Blick von nirgendwo ist ein ganz besonders interessantes Beispiel für solche höheren kognitiven Operationen. Die fraglichen TN-Sätze beziehen sich in solchen Fällen - das ist meine These - auf zwei mentale Modelle, von denen das eine in das andere eingebettet wird. „Ich“ bezieht sich - in Fällen monologisierender Selbstbezugnahme - auf den Gehalt des gerade aktiven mentalen Selbstmodells der betreffenden Person. Das System kann sich auf nicht anderes als auf sein Selbstmodell beziehen, weil dies in den zugrundegelegten Situationen die einzige Art ist, in der es sich selbst gegeben ist. In monologischen Situationen ist „Ich“ ein Indikator, mit dem ein solches System sich in Gestalt einer sprachlichen Gebärde gewissermaßen selbst auf den Gehalt des jetzt aktiven Selbstmodells hinweist. „TM“ bezieht sich auf das mentale Modell der objektiven und öffentlichen Eigenschaften (in diesem Fall von Thomas Metzinger). Dieses mentale Modell von Thomas Metzinger aus der „inneren Aussenperspektive“ wird absichtlich durch den View from Nowhere erzeugt: Indem wir Nagels Anweisungen für einen ganz bestimmten Typ von mentaler Simulation befolgen, immer größere Partitionen des Selbstmodells entleeren und in das mentale Modell einer „TM“ genannten Person überführen, geschieht eine Verobjektivierung aller denkbaren subjektiven Beschreibungen meiner selbst, also gewissermaßen das Hinausschieben ihres Gehalts aus dem Ich in eine Totalansicht der Welt sub specie aeternitatis. Man darf hier nicht übersehen, daß es sich lediglich um eine mentale Simulation (eine „repräsentationale Verobjektivierung“), also um ein absichtlich durchgeführtes Gedankenexperiment handelt und nicht um die Erzeugung des analogen repräsentationalen Gesamtzustandes - dies käme dem Eintritt in ein mystisches Erlebnis gleich (sozusagen in den Großen Blick von Nirgendwo). Der Blick von nirgendwo ist eine komplexe mentale Operation, die Nagel uns vorschlägt, um uns hinterher eine essentialistische Interpretation der durch sie entstehenden inneren Erfahrungen anzubieten.

Diese Operation ist reversibel: Das System erzeugt zuerst in einem Teil seines inneren Simulationsraumes das mentale Modell einer „TM“ genannten Person. Dieses mentale Modell reichert es so stark wie möglich mit dem Gehalt eines anderen Modells an, nämlich mit dem Gehalt des Selbstmodells (würde das System sein Selbstmodell vollkommen deaktivieren, gäbe es auch kein subjektives Erleben und keine Erinnerung an den View from Nowhere mehr). So entsteht das mentale Modell einer anderen Person, allein in Ozeanen von Raum und Zeit, „a momentary blip on the cosmic TV-screen“ (Vgl. Nagel 1986, 61) - ein Modell des Systems, als ob es nur durch indirekte Quellen externen Wissens gegeben wäre.

In einem zweiten Schritt kann das System nun das mentale Modell der Person „TM“ wieder in das Selbstmodell einbetten. Dieses innere Ereignis ist in der Tat ein ganz erstaunliches psychisches Phänomen, das die Aufmerksamkeit der Philosophie des Geistes - wenn auch keine cartesianisch-husserlsche Interpretation - verdient. Auf dieses Ereignis, auf die Fusionierung zweier mentaler Modelle unter sehr speziellen Bedingungen also, beziehen sich Sätze wie „Ich bin TM“ in ihrer zweiten Lesart. In dieser  Lesart sind sie monologisierende Identitätsaussagen, sprachliche Gebärden, die der innerpsychischen Orientierung des Systems dienen, indem sie quasi-indexikalisch auf ein repräsentationales Ereignis im System hinweisen. Das System führt eine Identifikation zweier mentaler Simulate durch, indem es das mentale Modell der Person „TM“ wieder in sein Selbstmodell einbettet. Auf diese mentale Operation kann es dann (in einer monologischen Situation) mit Hilfe des Satzes „Ich bin TM“ für sich selbst hinweisen. Es bezieht sich dabei nicht auf ein irreduzibles, perspektivisches Faktum, sondern drückt ganz einfach ein subjektives Erlebnis aus, nämlich das wiedergewonnene Erlebnis der Perspektivität.

Genaugenommen ist diese Perspektivität niemals vollständig verloren gegangen. Es gibt keinen kleinen Homunkulus, der sich kurzfristig mit dem transzendentalen Ego (Nagels objektivem Selbst) vereint hat und nun ins empirische Ich zurückgeschleudert wird. Dies wäre nur eine metaphysische und naiv-realistische Interpretation bestimmter introspektiver Erlebnisse. Die richtige Interpretation des fraglichen psychischen Phänomens lautet: Ein selbstmodellierendes System aktiviert vorübergehend in einem Teilbereich seines inneren Simulationsraums das mentale Modell einer Person, die einen großen Teil genau jener Eigenschaften besitzt, die vorher im Modus der Selbstmodellierung intern dargestellt wurden. Nach einiger Zeit beendet es diese mentale Simulation und bindet das in ihr entstandene Modell wieder in das Selbstmodell ein. Es gibt allerdings immer nur ein einziges System, das auf diesen Vorgang unter der Hinsicht der Internalität hinweisen kann.

4. Bibliographie

 

Lycan, William G.: Consciousness. Cambridge, Mass. / London 1987.

Lycan, William G.: Consciousness and Experience. Cambridge, Mass. / London 1996.

Malcolm, Norman: Subjectivity. Philosophy 63 (1988).

Metzinger, Thomas: Ganzheit, Homogenität und Zeitkodierung. In: Bewußtsein - Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie, hrsg. V. Thomas Metzinger, Paderborn 1995.

Metzinger, Thomas: Subjekt und Selbstmodell. Paderborn 1993.

Nagel, Thomas: The View from Nowhere. Oxford 1986.

Nagel, Thomas: Der Blick von nirgendwo. Frankfurt 1992.

Nagel, Thomas: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? In: Analytische Philosophie des Geistes, ed. Peter Bieri, Königstein 1981 (1993).

Phillips, William A. & Singer, Wolf: In search of common foundations for cortical computation. Behavioral and Brain Sciences, ///.