Thomas Metzinger
Einleitung: Das Problem des
Bewußtseins
1. Brauchen wir
eine neue Wissenschaft vom Bewußtsein?
Wie ist in
einem physikalischen Universum die Entstehung von Bewußtsein möglich? Kann man
sich überhaupt vorstellen, daß so etwas wie bewußtes
Erleben auf der Grundlage physikalischer Vorgänge entstehen konnte? Sind
subjektives Empfinden und das Entstehen einer Innenperspektive überhaupt als
Bestandteil der natürlichen Ordnung der Dinge denkbar - oder werden wir an dieser Stelle mit einem endgültigen
Mysterium konfrontiert, mit einem weißen Fleck auf der Landkarte des
wissenschaftlichen Weltbildes, der vielleicht aus prinzipiellen Gründen immer ein weißer Fleck bleiben muß?
Das Problem
des Bewußtseins bildet heute - vielleicht zusammen mit der Frage nach der
Entstehung unseres Universums - die äußerste Grenze des menschlichen Strebens
nach Erkenntnis. Es erscheint deshalb vielen als das letzte große Rätsel
überhaupt und als die größte theoretische Herausforderung der Gegenwart.
Zumindest kann man sagen, daß eine Lösung dieses Rätsels durch die empirische
Forschung einer wissenschaftlichen Revolution erster Ordnung gleichkäme. Viel
wahrscheinlicher ist jedoch etwas ganz anderes: Die Herausforderung besteht in
diesem Fall gerade darin, daß es sich hier um einen völlig neuen Typ von theoretischer Umwälzung handelt.
Das zeigt sich bereits daran, daß bei näherem Hinsehen überhaupt nicht klar
ist, worin das Rätsel des Bewußtseins überhaupt besteht und was wir als eine
überzeugende Lösung dieses Rätsels akzeptieren würden. Zweitens geht es hier in
einem sehr starken Sinne um uns selbst:
Es ist immer auch unser eigenes
Bewußtsein, das wir verstehen wollen. Das Problem des Bewußtseins ist darum
auch ein Problem der Selbsterkenntnis. Es berührt uns alle und nicht nur die
Philosophie oder die Einzelwissenschaften. Es ist drittens aus diesem Grund
auch anzunehmen, daß eine solche Revolution - wenn sie denn stattfände -
größere gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen haben würde als jede
andere theoretische Umwälzung vor ihr. Das könnte sowohl die Konsequenzen eines
radikal veränderten Bildes von uns selbst als auch die technologische Umsetzung
neuer empirischer Erkenntnisse, zum Beispiel aus den Neurowissenschaften oder
der Künstliche-Intelligenz-Forschung
betreffen. Diese drei Gründe haben in letzter Zeit zu einer zunehmenden Unruhe
in den beteiligten Wissenschaften geführt, aber auch zu einem stetig steigenden
Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit an Fragen, die mit dem Zusammenhang
zwischen Gehirn und Bewußtsein zu tun haben.
Es ist
deutlich geworden, daß wir uns bereits seit einiger Zeit auf dem Weg zu einer
neuen Theorie des Geistes befinden. Diese neue Theorie des Geistes wird unter
anderem auch eine Theorie darüber sein, was bewußtes
Erleben ist. Sie wird außerdem die erste Theorie dieser Art in der
Geschichte der Menschheit sein, die ein solides empirisches Fundament besitzt.
Am Ende dieses Jahrtausends scheint deshalb eine theoretische Revolution in der
Luft zu liegen, die uns in unserem Selbstverständnis auf eine bisher unbekannte
Weise berühren könnte. Obwohl es auf der empirischen Seite der
Bewußtseinsforschung erst wenige Anzeichen gibt, die überhaupt auf eine solche
Entwicklung hindeuten, ist das Rätsel des Bewußtseins bereits jetzt in einer ganzen
Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen zur "heimlichen
Forschungsfront" avanciert. Diese Entwicklung wiederum ist in der
Philosophie auf großes Interesse gestoßen.
Seit zehn oder
fünfzehn Jahren gibt es auch in der Philosophie ein steil ansteigendes Interesse
am Problem des Bewußtseins. Ein ganze Reihe von Zeitschriften und
wissenschaftlichen Organisationen sind neu gegründet worden, immer häufiger
finden große Konferenzen zum Thema "Bewußtsein" statt. Die
gegenwärtige Situation ist auch dadurch so interessant geworden, daß
mittlerweile aus einer Vielzahl von Disziplinen heraus - von der Quantenphysik
über die Neurobiologie bis hin zur Kognitionswissenschaft - ernstgemeinte
Erklärungsansprüche bezüglich des Phänomens "Bewußtsein" erhoben werden.
In der Philosophie des Geistes sind viele dieser Vorschläge aus den empirischen
Wissenschaften mit großer Aufmerksamkeit beobachtet worden. Gleichzeitig
erkennen immer mehr empirische Forscher, daß es Philosophen waren, die dieses theoretische Problem zuerst entdeckt,
in vielen Varianten formuliert und bereits seit Jahrhunderten immer neue
Lösungsversuche entwickelt haben: Der Begriff des Bewußtseins ist seinem
Ursprung nach ein philosophischer Begriff. In den Neuro- und
Kognitionswissenschaften, aber auch in der allgemeinen Öffentlichkeit gibt es
deshalb ein steigendes Interesse an einer seriösen und empirisch informierten
Philosophie des Geistes. Das zeigt sich unter anderem daran, daß eine Reihe
prominenter Hirnforscher längst selbst damit begonnen haben, populäre Bücher
philosophischen Inhalts zu veröffentlichen.[1]
Dieses
gestiegene Interesse hat seinen Ausdruck auch in einer immer stärker werdenden
interdisziplinären Verflechtung der Philosophie mit den angrenzenden
Forschungsbereichen in den Neuro- und Kognitionswissenschaften und der
Informatik gefunden. Viele glauben, daß wir derzeit auf eine der größten
wissenschaftlichen Revolutionen der Menschheitsgeschichte zusteuern und daß
diese Revolution nur dann stattfinden wird, wenn der Vernetzungsgrad der Forschung
über alle Fachgrenzen hinweg deutlich erhöht wird. Auf der anderen Seite wird
immer deutlicher, daß auch eine systematische Bündelung der
Forschungsaktivitäten notwendig ist. Diese Situation hat dazu geführt, daß auf
Seiten der empirischen Bewußtseinsforschung - aber auch von so prominenten
Theoretikern wie von Roger Penrose - der Ruf nach der Gründung einer neuen
Wissenschaft laut geworden ist, nach einer Wissenschaft
des Bewußtseins.[2] Diese Idee ist natürlich mehr als
faszinierend. Man darf jedoch zweierlei nicht übersehen. Erstens ist die
Schaffung einer eigenen "Wissenschaft vom Bewußtsein" - zumindest aus
Sicht der Philosophie - alles andere als ein neuer Gedanke. Wenn man so will,
kann man zum Beispiel die gesamte phänomenologische Bewegung (und auch ihr
Scheitern) als eben genau dies verstehen. In einem viel allgemeineren Sinne ist
die Philosophie als Liebe zur Weisheit und Königin der Wissenschaften natürlich
immer schon genau die Wissenschaft des Bewußtseins gewesen. Das Ideal der
Selbsterkenntnis ist auch in dieser Ausprägung ein klassisches Ideal der
Philosophie. Deshalb wird die aktuelle Euphorie bei professionellen Philosophen
leicht in den Verdacht einer intellektuellen Modeerscheinung geraten. Zweitens
gibt es - wie immer - starke Zweifel am Sinn und den Erfolgschancen eines
solchen Unternehmens überhaupt. Man muß deshalb fragen: Wird durch den Begriff
"Bewußtsein" überhaupt ein eigenständiger und kohärenter
Gegenstandsbereich ausgezeichnet, dem ein autonomer Forschungsbereich entsprechen könnte?[3]
Was wäre der
Gegenstand, die Arbeitsweise und das Ziel eines solchen neuen
Forschungsbereichs? Mit dieser Frage berühren wir wieder unseren Ausgangspunkt:
Worin besteht eigentlich das Problem des Bewußtseins? Kann man dieses Problem
überhaupt mit den Mitteln der Naturwissenschaft angehen? Was genau ist es, das
wir wissen wollen? Dieser letzte Teil der Frage - die Fixierung des
epistemischen Ziels - ist bereits eine typisch philosophische Frage. Als
Philosophen wollen wir außerdem wissen, wie es möglich war, daß ein so
komplexes Phänomen wie Bewußtsein in einem physikalischen Universum entstehen
konnte: Wir suchen nach einer begrifflich überzeugenden Analyse des Phänomens
und seiner Beziehung zur objektiven Welt. Das erste Ziel ist demnach
Widerspruchsfreiheit und begriffliche Klarheit. Als empirisch orientierte
Forscher wiederum wollen wir wissen, wie dies tatsächlich vonstatten gehen konnte: Uns interessiert die
Geschichte des Phänomens in unserer eigenen Welt. Gibt es ein neuronales
Korrelat von Bewußtsein? Welche Formen von Informationsverarbeitung im Gehirn
sind es, die zum Auftreten derjenigen Zustände führen, die wir dann als unsere
bewußten Erlebnisse bezeichnen? Solche
Fragen sind typisch für zweite Ziel auf dem Weg zu einem besseren Verständnis des
Phänomens Bewußtsein. Es besteht in der Erarbeitung einer empirisch
gehaltvollen Theorie des Bewußtseins.
Wie ist das
Entstehen von bewußtem Erleben mit den Naturgesetzen zu vereinbaren, die in
dieser Welt gelten und sie beherrschen? Nach allem was wir wissen, ist das
Phänomen des Bewußtseins mit Blick auf die Entstehungsgeschichte unseres
physikalischen Universums ein sehr junges Phänomen, denn wieder kann man sagen,
daß wir in gewissem Sinne selbst
dieses Phänomen sind. Die Entstehung der ersten Lebewesen mit höher organisierten Nervensystemen und bald
darauf des Menschen waren Ereignisse, die unter kosmologischen Gesichtspunkten
gerade eben erst stattgefunden haben. Der Gedanke, daß in einem starken Sinne wir selbst das Phänomen sind, um das es
hier geht, führt zu einer dritten vorläufigen Antwort auf die Frage, was wir
uns eigentlich von einer befriedigenden Theorie des Bewußtseins erwarten. Um
wirklich überzeugend zu sein, muß eine solche Theorie nicht nur begrifflich
kohärent und empirisch plausibel sein: Wir müssen diese Theorie letztlich auch
als eine Theorie über unser eigenes
inneres Erleben akzeptieren können. Sie muß der Subtilität und dem
phänomenologischen Reichtum dieses Erlebens Rechnung tragen und die
Innenperspektive des erlebenden Subjekts wirklich ernst nehmen. Vor allem muß
sie uns erklären können, wie die Perspektive der ersten Person mit der
Dritte-Person-Perspektive der von außen operierenden Wissenschaft
zusammenhängt. Sollte es zum Beispiel der Fall sein, daß sich die lebensweltlichen
Intuitionen, die wir alle über unser eigenes Bewußtsein besitzen, und die
Interpretation dieser Intuitionen durch unsere Alltagspsychologie als radikal
falsch erweisen, dann müßte uns zumindest eine detaillierte Erklärung dafür angeboten werden, warum wir alle uns so sehr über unser eigenes Bewußtsein täuschen.
In jedem Fall steht fest, daß eine seriöse
Theorie des Bewußtseins dem phänomenologischen Reichtum, der Buntheit
und Vielfalt unseres Innenlebens Rechnung tragen muß. Erfreulicherweise läßt sich
in dieser Hinsicht ein breiter Konsens beobachten: Es gibt - zumindest in der
Philosophie des Geistes - nur noch wenige Beispiele für naive und
ideologisierte Formen des Reduktionismus. Es ist längst klar geworden, daß ein
primitiver Szientismus, der die subtile Struktur und die Tiefe unseres
Bewußtseinsraums einfach nur durch die Einführung eines neuen materialistischen
Jargons einplanieren wollte, den
wirklichen Problemen aus dem Wege geht.
Die Probleme
auf dem Weg zu einer überzeugenden Theorie des Bewußtseins unterscheidet sich
grundlegend von anderen ungelösten Problemen in den Naturwissenschaften. Obwohl
die Physik, die Chemie oder die Biologie auf ihrem Siegeszug viele der
grundlegenden Rätsel in ihrem Gegenstandsbereich bereits gelöst haben, gibt es
natürlich auch in diesen Disziplinen eine beträchtliche Anzahl von weißen
Flecken auf der Landkarte. Die entsprechenden Wissenschaften sind weit entfernt
davon, ihren Gegenstandsbereich vollständig beschreiben zu können. Trotzdem ist
in diesen Disziplinen weitgehend klar, was als eine Lösung der Probleme gelten würde. Für das Phänomen des Bewußtseins
gilt dies nicht, und zwar aus einer Reihe von Gründen.
Um ernsthaft
von einer Wissenschaft des Bewußtseins
sprechen zu können, müßten zunächst eine Reihe sehr grundlegender Fragen
beantwortet werden. Man kann sich dies
verdeutlichen, indem man die Aufmerksamkeit wieder auf die objektive Geschichte
des fraglichen Phänomens in der physikalischen Welt zurücklenkt. Wir haben
bereits gesehen, daß bewußtes Erleben etwas ist, das erst sehr spät aufgetreten
ist. Interessant ist außerdem, daß sich mit der Entstehung von Bewußtsein immer
auch Innenwelten entfalten, Räume des inneren Erlebens. Diese Räume sind aber individuelle Räume: In einem
mittelpunktlosen Universum entstehen plötzlich Ich-Zentren, Brennpunkte des
Bewußtseins.[4] Jedes dieser
Bewußtseinszentren konstituiert eine eigene Perspektive auf die Welt. Diese
Perspektive ist das, was Philosophen gerne „die Perspektive der ersten Person“
nennen. An jede einzelne dieser Perspektiven ist wiederum eine eigene
phänomenale Welt gebunden. Diese individuellen Erlebniswelten besitzen außerdem
eine geschichtliche Dimension. Mit ihnen entsteht fast immer auch eine
psychische Biographie - eben genau das, was wir als unser „inneres Leben“
bezeichnen. Man könnte deshalb auch hier von der Entstehungsgeschichte einer
Welt sprechen, von einer phänomenalen
Kosmologie: In und durch jeden von uns entfaltet sich vorübergehend ein eigener
Kosmos des Bewußtseins, ein subjektives
Universum. Der erste Teil des Problems besteht demzufolge darin, zu verstehen,
wie in unserem objektiven Universum ständig eine Vielzahl subjektiver Universen
entstehen und wieder vergehen können. Er entspricht dem bereits erwähnten
Projekt der empirischen Bewußtseinsforschung. Die objektive
Entstehungsgeschichte dieser subjektiven Universen, die evolutionstheoretische
oder neurobiologische Genese von Bewußtsein ist jedoch nur ein Teil dessen, was
das eigentliche Problem des Bewußtseins ausmacht. Der philosophische Teil des
Problems besteht darin, zu verstehen, wie wir selbst solche subjektiven
Universen sein können und vor allem
darin, zu verstehen, was all das eigentlich heißen
soll. Intuitiv mag die obige Skizze von Bewußtsein als einem
individuengebundenen Phänomen vielen von uns einleuchten. Aber verstehen wir
überhaupt, was wir da sagen, wenn wir uns selbst als dynamische subjektive
Universen beschreiben, die so etwas wie einen Mittelpunkt besitzen und vorübergehend in einem objektiven Universum aufleuchten? Ich denke nicht.
Bevor unsere
allgemeinen Zielvorstellungen zu konkreten Forschungsprojekten werden können,
brauchen wir deshalb eine sorgfältige begriffliche Analyse der Problematik.
Empirische Praxis und philosophische Metatheorie müssen Hand in Hand gehen.
Auch an diesem Punkt zeigt sich, daß das Problem des Bewußtseins nur gelöst
werden kann, wenn eine Vielzahl von Disziplinen auf systematische und
produktive Weise zusammenarbeiten. Owen Flanagan hat in diesem Zusammenhang das
Projekt einer „Vereinheitlichten Theorie des Bewußtseins“ formuliert, einer Unified Theory of Consciousness.[5]
Auch dieser Gedanke ist faszinierend. Ihm entspricht die bereits erwähnte
Beobachtung, daß tatsächlich aus einer Reihe von sehr unterschiedlichen
Forschungsbereichen immer häufiger Rufe nach der Schaffung einer eigenständigen
Disziplin zur Erforschung des Bewußtseins laut werden. Eine solche
wissenschaftliche Gemengelage ist typisch für Situationen, in denen große
theoretische Fortschritte in greifbare Nähe gerückt sind. Sie zeigt aber auch
deutlich den zweiten Aspekt, der das Problem des Bewußtseins zu einem besonderen Problem macht. Denn die
allgemeine wissenschaftstheoretische Einordnung und insbesondere der Methodenkanon einer neuen
"Bewußtseinswissenschaft" wären mehr als unklar: Was sind überhaupt
die Methoden, mit denen wir uns dem Problem des Bewußtseins annähern können? In
welcher Beziehung stehen diese Methoden zueinander? Immerhin könnte ein typisch
philosophischer Einwand hier wieder folgendermaßen lauten: Wenn wir unser
eigenes Bewußtsein wirklich als ein an individuelle Erlebnisperspektiven
gebundenes Phänomen ernst nehmen wollen, dann können wir uns ihm prinzipiell nicht durch objektive
Methoden des Erkenntnisgewinns annähern, weil die erkenntnistheoretische Essenz
und die Stärke dieser Methoden ja
genau darin besteht, sich von allen bloß individuellen Perspektiven so weit wie
möglich zu entfernen.[6]
Wenn wir dann aber beginnen, ernsthaft darüber nachzudenken, was es überhaupt
bedeuten würde, bewußtes Erleben als ein subjektives Phänomen ernstzunehmen,
werden wir erneut auf unsere Ausgangsfrage zurückgelenkt: Was ist es
eigentlich, das wir wissen wollen?
Der letzte
Aspekt der Frage besteht dann darin, daß im gegenwärtigen Stadium der
interdisziplinären Bewußtseinsforschung das Explanandum
alles andere als klar ist. Bewußtes Erleben ist natürlich in Wirklichkeit nicht
ein einziges Problem, sondern ein ganzes Bündel von Problemen. Es fragt sich,
was die Bestandteile dieses Bündels sind, ob und wodurch sie überhaupt verbunden
werden, ob es sich wirklich um ein
Bündel von Problemen handelt. Solange es keine überzeugenden Antworten auf die
drei Aspekte unserer Ausgangsfrage gibt, besteht die Gefahr, daß die aktuelle
Begeisterung für das Thema des Bewußtseins zu einer modischen Euphorie
verkommt, die am Ende keinen greifbaren Erkenntnisfortschritt erzeugt. Man muß
deshalb seriöserweise zugeben, daß die Erforschung des Bewußtseins sich
gegenwärtig noch in einem präparadigmatischen Stadium befindet: Es gibt derzeit
noch keinen einheitlichen theoretischen Hintergrund, vor dem wirklich so etwas
wie eine Wissenschaft des Bewußtseins
entstehen könnte. Um diesen Hintergrund zu schaffen, müssen allerdings nicht
nur generelle Fragen wie die nach dem epistemischen Ziel, dem Methodenkanon und
dem Katalog der Explananda beantwortet werden. Wie gleich deutlich werden wird,
gibt es in Wirklichkeit eine ganze Palette von Detailproblemen, denen wir uns
stellen müssen, wenn wir herausfinden wollen, ob der Gedanke einer
einheitlichen Wissenschaft vom Bewußtsein nicht nur ein faszinierender, sondern
auch ein kohärenter Gedanke ist. Die
Autoren dieses Bandes haben aus der Perspektive der Philosophie versucht, einen
Beitrag zu diesem Projekt zu leisten.
Der restliche
Teil dieser Einleitung wird nun in drei Schritten eine Annäherung an das
Problem des Bewußtseins versuchen. Der erste Schritt wird darin bestehen, den
wichtigsten phänomenologischen Merkmalen von Bewußtsein Rechnung zu tragen.
Hier geht es darum, eine erste Beschreibung von drei konkreten Eigenschaften
anzubieten, die dieses Phänomen tatsächlich zu einem besonderen Problem machen. Im zweiten Schritt muß dann der Übergang
von der phänomenologischen auf die analytische Ebene vollzogen werden: Die
globale Beschreibung muß zu einer Liste der sich aus ihr ergebenden
begrifflichen Probleme werden. Im übernächsten Abschnitt werde ich deshalb
versuchen, dem Leser einen kurzen Katalog dieser Probleme anzubieten und zwar
so, wie sie sich aus der Perspektive der Philosophie des Geistes darstellen.
Der dritte Schritt besteht dann darin, den Kontakt mit der Gegenwartsdiskussion
aufzunehmen und in sie einzudringen. Im vierten und letzten Abschnitt der
Einleitung finden sich deshalb
Informationen über den Aufbau und die Zielsetzung dieser Textsammlung,
2.
Transparenz, Perspektivität und Gegenwärtigkeit:
Konkrete Eigenschaften des bewußten
Erlebens
2.1 Das pure Erleben:
Phänomenaler Gehalt, phänomenale
Eigenschaften, phänomenale Zustände
Nichts ist uns
gleichzeitig so nah und so fern wie unser eigenes Bewußtsein. Zunächst scheint
es nichts in der Welt zu geben, was uns vertrauter ist, als die Inhalte unseres
eigenen Bewußtseins: Unsere Sinnesempfindungen, unsere Gefühle, unsere Gedanken
sind uns auf eine selbstverständliche und sehr direkte Art gegeben. Zwar ist es
immer möglich, daß wir einer Sinnestäuschung erliegen, weil wir uns über die
wahren Ursachen unserer sensorischen Empfindungen täuschen. Auch unsere
bewußten Gedanken und Gefühle können uns in die Irre führen, denn wir haben
manchmal Meinungen über die Welt, die sich nicht rechtfertigen lassen. Von Zeit
zu Zeit werden wir von Emotionen erfaßt, die sich später als unserer Beziehung
zu anderen Personen in dieser Welt nicht angemessen herausstellen. Trotzdem
gibt es dem subjektiven Erleben nach nichts, was offensichtlicher sein könnte
als die einfachen Tatsachen des Bewußtseins selbst: Die Tatsache, daß ich jetzt den Umschlag dieses Buches als
blau empfinde, die Tatsache, daß ich jetzt
der Meinung bin, daß ein grundsätzliches neues Bild des Menschen im Entstehen
ist, oder auch die Tatsache, daß ich jetzt
gerade neugierig bin. Das pure Erleben selbst kann man allem Anschein nach
nicht anzweifeln.
In der
Philosophie des Geistes wird dieses pure Erleben als der phänomenale Gehalt
unserer mentalen Zustände bezeichnet. Bewußtsein in diesem Sinne wird deshalb
von Philosophen häufig auch als "phänomenales Bewußtsein" bezeichnet.
Bewußtseinszustände sind diesem Verständnis zufolge immer auch phänomenale
Zustände, weil zusammen mit Bewußtsein das entsteht, was wir in der
Alltagssprache als "Erleben" bezeichnen. Es handelt sich also um
einen speziellen Sinn des Worts „Bewußtsein“, der zunächst nichts mit
geläufigen Wendungen wie „feministisches Bewußtsein“, „ökologisches Bewußtsein“
oder etwa „Bewußtheit“ im spirituellen und psychotherapeutischen Sinn zu tun
hat. Wenn man von phänomenalem Bewußtsein
spricht, dann meint man immer den Aspekt des puren, subjektiven Erlebens. Es
ist genau dieser Aspekt, um den es in diesem Buch geht.
Ich habe eben
gesagt, daß der Aspekt des puren Erlebens in der Philosophie des Geistes als
der phänomenale Gehalt unserer mentalen Zustände bezeichnet wird. Worum es
geht, ist, daß manche mentalen Zustände nicht nur einen Wissens- oder
Informationsgehalt besitzen, sondern daß sie sich auf eine bestimmte Weise anfühlen. Die populärste Formulierung
dieses Punkts war in den letzten zwei Jahrzehnten die von Thomas Nagel: Es ist irgendwie, sich in diesen
Zuständen zu befinden.[7]
Dieses Wie-es-ist ist der phänomenale
Gehalt, der subjektive Charakter des Erlebens. Aber was genau ist gemeint, wenn
man sagt, daß viele unserer geistigen Zustände einen subjektiven
Erlebnischarakter besitzen? Verdeutlichen wir uns diesen Erlebnischarakter an
einem einfachen Beispiel. Betrachten Sie dazu einen Moment lang die
Hintergrundfarbe, die wir für den Umschlag dieses Buches ausgewählt haben. Der
Name dieser Farbe ist Pantone Blue 72.
Wenn Sie nun die Farbe dieses Buchumschlags auf sich wirken lassen, dann können
Sie direkt erleben, was mit dem Wort "phänomenaler Gehalt" gemeint
ist: Im visuellen Erleben der Farbe des Buchumschlags ist dieser phänomenale
Gehalt die subjektiv empfundene Eigenschaft der Bläue, also die in Ihrem Bewußtsein auftretende Qualität von Pantone Blue 72. Ich nehme einen
bestimmten Gegenstand wahr und mit diesen Wahrnehmungsvorgang entsteht die
subjektive Empfindung der Bläue, das Buch erscheint
mir als blau. Weil die Bläue von Pantone
Blue 72 als eine Eigenschaft des Buches erscheint, spricht man hier auch
von "phänomenalen Eigenschaften". Solche einzelnen phänomenalen
Eigenschaften sind die einfachsten Beispiele für den subjektiven Erlebnischarakter des Bewußtseins, um den es hier
geht. Selbstverständlich gibt es auch höherstufige Formen phänomenalen Gehalts:
Gestaltwahrnehmung, Gegenständlichkeit, Selbstbewußtsein oder das bewußte
Erleben von Situationen und Kontexten. Davon später mehr. Bleiben wir zunächst
bei einfachen Eigenschaften.
Im
angelsächsischen Raum werden mentale Zustände, die wir anhand solcher einfachen
phänomenalen Eigenschaften erkennen, auch mit dem Begriff raw feeling umschrieben.[8]
Wieder ist dabei der Aspekt des puren Empfindens, der Aspekt des puren Erlebens
ausschlaggebend. Im deutschen Sprachraum hat sich seit einiger Zeit der Begriff
von Qualia eingebürgert. Man kann
leicht eine Vielzahl von Beispielen für Qualia finden: Die Schmerzhaftigkeit
von Schmerzen oder den Geruch von Sandelholz, den Geschmack von Bourbon-Vanille
oder die ganz besondere Klangqualität im Ton eines Cellos. Aber auch das
Schweregefühl, das Sie jetzt gerade in ihrem Körper empfinden, oder das
Tasterlebnis der „Glätte“, das Sie haben, wenn Sie mit Ihrer Hand über den
Buchumschlag streichen, sind Beispiele für solche Qualia. Die subjektiv erlebte
Eigenschaft der Schwere des eigenen Körpers (das „Schwere-Quale“) und die
subjektiv erlebte Eigenschaft der Glattheit des Buchumschlags (das
„Glätte-Quale“) sind etwas, das es nur gibt, wenn es auch Bewußtsein gibt.
Phänomenaler Gehalt ist also erstens qualitativer Gehalt und zweitens der
subjektive Erlebnisgehalt des
Bewußtseins.
Wenn man
diesen Erlebnisgehalt jetzt als eine Eigenschaft
analysiert, indem man - wie ich es oben bereits getan habe - von phänomenalen
Eigenschaften spricht, dann handelt man sich bereits das erste schwerwiegende
philosophische Problem ein. Von was
sind phänomenale Eigenschaften Eigenschaften? Was sind die logischen Subjekte,
denen wir solche Eigenschaften zuweisen? Oder, anders gefragt: Ist Pantone Blue 72 die Eigenschaft eines
nicht-physikalischen Einzeldings, eines phänomenalen Individuums, das nur im
Raum des bewußten Erlebens existiert? Das scheint unwahrscheinlich, weil dann
das klassische Leib-Seele-Problem entsteht: Das Prinzip der kausalen
Geschlossenheit der physikalischen Welt verträgt sich nicht mit der Annahme, daß
das bewußte Erleben - im Sinne des Auftretens eines oder mehrerer
nicht-physikalischer Einzeldinge - einen Einfluß auf unser Verhalten und unsere
Handlungen hat. Wie sollte man sich die Wechselwirkung solcher
nicht-physikalischer Einzeldinge mit unserem Gehirn vorstellen? Wenn bewußtes
Erleben das geistige Erfassen nicht-physikalischer Einzeldinge sein sollte,
dann kann man überhaupt nicht mehr verstehen, was dies bedeuten könnte: Was
genau ist hier mit dem Wort „Erfassen“ gemeint?
Vielleicht
gibt es einen anderen Ausweg aus dem Problem. Ist die subjektiv erlebte Bläue vielleicht das Merkmal eines Vorgangs, nämlich eines visuellen
Wahrnehmungsprozesses? Die naturwissenschaftliche Untersuchung des menschlichen
Farbensehens liefert uns mittlerweile sehr genaue Beschreibungen solcher
Wahrnehmungsvorgänge.[9]
Aber keiner der in solchen objektiven Beschreibungen auftauchenden Gegenstände
hat je die konkrete Eigenschaft der Bläue
im hier gesuchten Sinn: Nichts an den komplizierten Vorgängen im Auge und im
Gehirn ist in diesem Sinn blau. Man könnte deshalb auch denken, daß es eben ganz einfach das Buch „da draussen“ ist,
welches blau ist. „Da draussen“ gibt es jedoch nur elektromagnetische
Schwingungen, die in einer bestimmten Mischung unterschiedlicher Wellenlängen
von der Oberfläche des Buchs zurückgeworfen werden. Auf der Netzhaut ins
unserem Auge gibt es nur das, was die Naturwissenschaftler eine
„Grauwertverteilung“ nennen. Auch im Traum - also dann, wenn überhaupt keine
Lichtstrahlen auf die Netzhaut fallen - kann man Blauerlebnisse haben:
Vielleicht träumen Sie schon heute nacht von Pantone Blue 72! Ein anderes Beispiel spricht ebenfalls dagegen,
daß phänomenale Eigenschaften konkrete Eigenschaften von Dingen in der
Außenwelt sind. Wenn wir in ein grünes Blitzlicht schauen und danach die Augen
schließen, sehen wir ein rotes
Nachbild. Von was aber ist die
Eigenschaft der Röte hier eine Eigenschaft? Solche einfachen Beobachtungen
legen bereits die Auffassung nahe, daß phänomenale Eigenschaften keine
objektiven Eigenschaften sind. Was immer sie sind, sie scheinen nicht „da
draussen“ zu sein.
Das Problem
taucht dann wieder auf, wenn wir Mengen von phänomenalen Eigenschaften
betrachten und dementsprechend von „phänomenalen Zuständen“ sprechen.
Phänomenale Zustände sind Bewußtseinszustände. Wenn sich solche Eigenschaften
ändern, dann haben wir es mit subjektiven Ereignissen zu tun; wenn Ketten
solcher Ereignisse phänomenale Zustände aneinander reihen, dann haben wir es
mit phänomenalen Prozeßabläufen zu tun: mit Bewußtseinsvorgängen. All das
scheint klar und einfach zu sein. Die Frage jedoch bleibt bestehen: Was verändert sich hier; von was sind phänomenale Zustände Zustände? Sind phänomenale Zustände
die Zustände der Seele oder die Zustände eines Ichs? Sind phänomenale Zustände
einfach bloß Gehirnzustände? Oder sind phänomenale Zustände etwas, das irgendwo
in der Mitte liegt: Informationsverarbeitungszustände im zentralen
Nervensystem, vielleicht die Zustände einer sehr großen Datenstruktur, die von
unserem Gehirn in Wach- und Traumzuständen vorübergehend aktiviert wird?
All diese
Versuche, mögliche Antworten bereits durch die Fragestellung nahezulegen, sind
mehr als problematisch. Man könnte versuchen, sie einfach als
Forschungsprogramme für die Zukunft zu verstehen, als offene Fragen, auf die
empirische Antworten gegeben werden können. Begrifflich plausibel wären solche
Forschungsprogramme jedoch nur, wenn klargemacht werden könnte, ob unsere
traditionelle formale Ontologie sich überhaupt auf die phänomenale Ontologie unseres
bewußten Erlebnisraums projizieren läßt. Das würde bedeuten, daß all das, was
es im bewußten Erleben und aus der Perspektive der ersten Person gibt, sich mit den uns zur Verfügung
stehenden Mitteln sprachlich adäquat beschreiben und auf begrifflich klare
Weise erfassen läßt. Nur dann könnte es überhaupt eine abstrakte Analyse
phänomenaler Zustände und Eigenschaften geben, die zumindest prinzipiell
vollständig sein könnte. Genau das aber ist von Philosophen häufig bezweifelt
worden. Ich werde deshalb auf diesen Punkt noch zurückkommen.
Zunächst
jedoch sollten wir den ersten Schritt tun. Er besteht darin, sich bei der
Annäherung an das Phänomen „Bewußtsein“ zuerst den konkreten Merkmalen phänomenaler Zustände zuzuwenden. Nachdem nun
klar ist, was phänomenaler Gehalt, phänomenale Eigenschaften und phänomenale
Zustände sind, kann man untersuchen, was eigentlich die interessanten Merkmale
dieser Zustände sind. Wir sind jetzt bereit, einen ersten Blick auf die
Phänomenologie des Bewußtseins zu werfen. Bereits dieser erste Schritt wird ein
weiteres Mal zeigen, daß das Problem des Bewußtseins tatsächlich ein besonderes Problem ist. Phänomenale
Zustände sind nämlich etwas ganz anderes als physikalische, chemische,
biologische oder neurobiologische Zustände: Sie sind transparent, sie sind
perspektivisch und sie sind präsent.
2.2 Die Transparenz phänomenaler Zustände
Phänomenale
Zustände sind uns unendlich nah. Schon vor aller philosophischen
Begriffsbildung ist uns das Erleben gegeben: Nichts könnte natürlicher und
vertrauter sein als eben genau dieses bewußte Erleben. Ich habe bereits darauf
hingewiesen, daß wir in gewissem Sinne selbst
dieses Erleben sind - was wären Menschen ohne phänomenales Bewußtsein? Menschen
ohne phänomenales Bewußtsein wären keine Personen, sondern Zombies,
umherwandernde Tote. Zombies hätten wahrscheinlich weder auf wissenschaftlicher
noch auf philosophischer Ebene ein Bewußtseinsproblem. Für uns dagegen ist
bereits am Anfang klar: Bevor wir überhaupt beginnen können, über das Problem des
Bewußtseins nachzudenken, stehen die einfachen Tatsachen des Bewußtseins schon
fest. Man kann diese Einsicht auch so formulieren: Aus der Perspektive des
erlebenden Ichs ist phänomenales Bewußtsein transparent.[10]
Das heißt, daß unser Bewußtseinsraum in dieser Hinsicht - was also den
subjektiven Charakter des Erlebens selbst angeht - durchsichtig zu sein scheint. Daß die meisten phänomenale Zustände
durchsichtig sind, bedeutet demnach, daß wir sie nicht als phänomenale Zustände erleben, sondern daß wir durch diese Zustände hindurch schauen
und ihren Gehalt im Modus der direkten Gegebenheit wahrnehmen. Sie scheinen uns
in einen direkten Kontakt mit der Welt zu bringen. Wir haben eben gerade nicht
das Gefühl, in einem dreidimensionalen Film oder in einem inneren
Darstellungsraum zu leben: In Standardsituationen spielt sich unser bewußtes
Leben immer in der Welt ab. Wir
erleben unseren Bewußtseinsraum nicht als einen von unserem Gehirn erzeugten Cyberspace, sondern ganz einfach als die
Wirklichkeit, mit der wir auf natürliche und unproblematische Weise in
Berührung sind. In Standardsituationen sind uns die Inhalte des puren Erlebens
direkt und unmittelbar gegeben. Und genau in diesem Sinne kann man sagen: Sie
sind uns unendlich nah. Diese unendliche Nähe ist das erste phänomenologische
Hauptmerkmal von Bewußtsein.
Wie könnte man
diese Tatsache naturwissenschaftlich erklären? Kann man die Transparenz des
Bewußtseins ernst nehmen, indem man
sie zu einem Gegenstand der empirischen Theoriebildung macht? Wenn bewußtes Erleben
tatsächlich - wie die Mehrheit der empirischen Forscher heute denkt - ein auf
Vorgängen der Informationsverarbeitung und mentalen Repräsentation im Gehirn
beruhendes Phänomen ist, dann könnte man vielleicht sagen: Die jeweils aktiven
Datenstrukturen werden vom System nicht mehr als solche erkannt. Sie stellen
die Information, daß sie eben solche
Datenstrukturen sind, selbst nicht noch einmal auf der Ebene ihres Gehalts dar.
Sie enthalten keine Variablen und sind immer interpretiert. Wir haben ganz einfach
deshalb das Gefühl, direkt mit dem Inhalt unseres Bewußtseins in Kontakt zu
stehen, weil wir Systeme sind, die sich selbst aus Gründen ihrer funktionalen
Architektur in einen naiven Realismus hineinzwingen. Und dieser naive Realismus
mag seine Wurzeln wiederum in unserer biologischen Geschichte haben: Wir sind
natürlich entstandene Informationsverarbeitungssysteme, die durch eine
Millionen von Jahren dauernde Evolution konfiguriert und optimiert wurden.
Optimale Lösungen aber sind häufig einfache
Lösungen. Es geht hier gar nicht darum, ob eine solche Erklärungsskizze in die
richtige Richtung deutet. Es geht darum zu verdeutlichen, wie unser eigenes
Bewußtsein durch den Versuch, es auf empirischer Ebene besser zu verstehen,
sehr schnell von etwas unendlich Nahem zu etwas Fremden und weit Entferntem
werden könnte. Was ist meinem eigenen Erleben fremder als „aktive
Datenstrukturen im Gehirn“? Was könnte mich mehr von meinem eigenen Bewußtsein
entfernen als die zweifelhaften Versuche der Naturwissenschaftler, seine
Durchsichtigkeit durch Merkmale der Informationsverarbeitung in meinem
zentralen Nervensystem zu erklären?
Aber auch wenn
wir uns auf philosophischer Ebene um ein begrifflich überzeugendes Verständnis
der phänomenologischen Globaleigenschaft „Transparenz“ bemühen, wird Bewußtsein
leicht von etwas unendlich Nahem zu etwas unendlich Fernem. Die von Philosophen
immer wieder zitierte Formel esse est
experiri[11] - also: das
Sein phänomenaler Qualitäten besteht gerade in ihrem Erlebtwerden - bedeutet
unter anderem, daß wir den wesentlichen Gehalt phänomenaler Zustände im Erleben
vollständig erfassen. Wenn das aber wirklich wahr ist, dann sind die
phänomenalen Zustände, aus denen sich unsere Bewußtseinsraum aufbaut, nicht nur
transparent, sondern auch etwas, über das wir uns niemals täuschen können.
Bereits hier erheben sich allerdings ein weiteres Mal eine ganze Reihe von sehr
einfachen, aber folgenreichen Fragen: Ist etwas, über das wir uns allem
Anschein nicht täuschen können, deshalb auch etwas, das wir wissen? Ist phänomenale Transparenz
wirklich dasselbe wie Gewißheit? Gibt es eigentlich eine Garantie dafür, daß
bewußtes Erleben eine Form von Erkenntnis ist? Oder, in anderen Worten: Woher
wissen wir überhaupt, daß die einfachen Tatsachen des Bewußtseins wirklich Tatsachen sind?
2.3 Die Perspektivität phänomenaler
Zustände
Ein zweiter
Aspekt ist wichtig, wenn man verstehen will, was phänomenales Bewußtsein
eigentlich ist. Er besteht darin, daß Erlebnisse immer Erlebnisse für ein
erlebendes Ich zu sein scheinen: Ich selbst
bin es, der seine Gefühle und Empfindungen auf eine bestimmte Art und Weise
erlebt. Ich selbst bin es, der an
seinen sinnlichen Wahrnehmungen bestimmte subjektive Qualitäten entdeckt - etwa
die "Bläue" in einem Farberlebnis oder den charakteristischen Geruch
von Sandelholz. Das pure Empfinden dieser einfachen Qualitäten ist also immer
an eine subjektive Erlebnisperspektive gebunden. Denn zumindest in den üblichen
Bewußtseinszuständen gilt: Subjektive Empfindungen sind immer meine Empfindungen, sie besitzen ihren
spezifischen Erlebnischarakter für mich.
Niemand weiß, wie es für mich ist,
den Ton eines Cellos zu hören oder das spezielle Blau des Buchumschlags zu
betrachten. Und ich weiß nicht, wie es für eine Fledermaus ist, den Ton eines
Cellos zu hören oder wie es für eine meiner Leserinnen ist, das Pantone Blue 72 des Buchumschlags zu
betrachten. Man kann diese Eigenschaft phänomenalen Bewußtseins auch als seine Perspektivität bezeichnen: In
Standardsituationen geht phänomenaler Gehalt immer mit dem Auftreten eines
phänomenalen Standpunktes einher, mit einem erlebenden Ich. Dieses erlebende
Ich macht bewußte Erlebnisse zu seinen
Erlebnissen. Auch für dieses Ich gilt, daß es sich selbst unendlich nah ist.
Vor allem philosophischen Nachdenken über das theoretische Problem des
Selbstbewußtseins gibt es nämlich eine interessante und begrifflich schwer zu
fassende Qualität, der jede überzeugende Theorie des Bewußtseins Rechnung
tragen muß. Ein sehr einfaches Wesen, das nur empfinden und überhaupt nicht
denken kann, könnte ebenfalls diese Eigenschaft besitzen. Sie wird von
Philosophen manchmal als "präreflexive Selbstvertrautheit"
bezeichnet.[12] Diese
Qualität entsteht dadurch, daß auch die Zustände phänomenalen Selbstbewußtseins wieder in dem oben erläuterten
Sinn transparent oder durchsichtig sind.
Unser
Bewußtsein ist ein zentriertes
Bewußtsein, weil es fast immer einen Mittelpunkt besitzt. Der Mittelpunkt, der
Fokus des Bewußtseins, sind wir selbst. Vor allen intellektuellen Operationen
„haben“ wir uns bereits, wir sind immer schon mit uns selbst vertraut.
Phänomenale Zustände sind nicht nur jeweils an eine individuelle Perspektive
gebunden, diese Individualität zeigt sich auch auf der Ebene des bewußten
Erlebens selbst. Weil ein großer Teil
des Gehalts des Selbstbewußtseins als direkt gegeben erlebt wird, sind wir uns
selbst unendlich nah. Besonders interessant ist nun, daß unser Erlebnisraum als
Ganzer eben durch diesen Umstand nicht nur einen zentralen Brennpunkt des
Bewußtseins erhält, sondern eine perspektivische Struktur: Es entsteht auf der
Ebene des bewußten Erlebens das, was Philosophen auch in der Erkenntnistheorie
und in der Sprachphilosophie gerne die "Perspektive der ersten
Person" nennen. Zusammen mit dem strukturellen Merkmal der Perspektivität
des Bewußtseins entsteht ein weiteres psychisches Phänomen, das jede
anspruchsvolle Theorie des Bewußtseins ernstnehmen muß. Dieses Phänomen heißt Innerlichkeit.
Kehren wir
kurz zurück zu den bereits en passant
erwähnten einfachen phänomenalen Eigenschaften. Der qualitative Gehalt mentaler
Zustände - die Bläue in einem Blauerlebnis oder die Schmerzhaftigkeit von
Schmerzen - ist nicht nur erlebnismäßig transparent in dem am Anfang
beschriebenen Sinne. Er scheint auch das essentielle
Merkmal solcher Zustände zu sein: Schmerzen, die nicht schmerzhaft sind, sind
unvorstellbar. Ein Blauerlebnis ohne die subjektive Farbqualität ist kein Blauerlebnis. Es ist nun
allerdings fraglich, ob solche "privaten" Eigenschaften mentaler
Zustände jemals mit öffentlichen und objektiven Eigenschaften der
zugrundeliegenden physischen Zustände verknüpft werden können. Könnte die
subjektive Taxonomie dieser Zustände prinzipiell auf eine objektive, neuro-
oder kognitionswissenschaftliche Kategorisierung - zum Beispiel von Informationsverarbeitungsvorgängen
im Gehirn - abgebildet werden? Ihr Sein besteht ja gerade in ihrem
Erlebtwerden, in der Art wie sie uns erscheinen: Ein Schmerzerlebnis, das nicht
schmerzhaft ist, ist überhaupt kein
Schmerzerlebnis - und eine Theorie über Schmerzen, in der diese qualitative
Eigenschaft nicht mehr vorkommt, ist überhaupt keine Theorie über Schmerzen
mehr. Eine solche Theorie wäre uns unendlich fern, sie würde genau das
auslassen, was uns interessiert. Dies ist einer der Gründe, aus denen eine
Reihe von Philosophen den phänomenalen Gehalt von Qualia für eine irreduzible
Eigenschaft solcher Zustände halten.
Manche
Philosophen denken nun ähnlich über den zweiten Aspekt, über die Perspektivität des Bewußtseins. Es ist
einer weitverbreiteten Überlegung zufolge ebenfalls ein essentielles
Charakteristikum bewußter Zustände, daß sie immer an eine subjektive
Erlebnisperspektive gebunden sind. Aus der Innenperspektive ist dieses
Strukturmerkmal des bewußten Erlebens ebenfalls transparent: Was ist natürlicher
und selbstverständlicher als die Tatsache, daß nur ich selbst weiß, wie es sich für mich anfühlt, in diesem Augenblick
eben genau diese bewußten Erlebnisse zu haben, die ich gerade jetzt durchlaufe?
Und was ist einfacher zu verstehen als die Tatsache, daß ich selbst der unverrückbare Mittelpunkt
meines Bewußtseinsraums bin, daß ich zwar immer versuchen kann, mich mit den
Ressourcen meines eigenen Bewußtseins in die subjektiven Zustände eines
fremdartigen Wesens - etwa einer Fledermaus - einzufühlen, daß ich aber niemals wissen werde, wie es ist, eine
Fledermaus zu sein?
Die
präreflexive Selbstvertrautheit des phänomenalen Ich ist vielleicht das
Paradebeispiel dafür, daß uns unser eigenes Bewußtsein gleichzeitig unendlich
nah und unendlich fern ist. Zumindest reden wir so, als wären wir selbst uns im
Erleben unendlich nahe und als gäbe es tatsächlich so etwas wie die Perspektive
der ersten Person. Aber niemand weiß eigentlich, was all das genau heißen soll.
"Nähe" ist eine räumliche Metapher, die auf eine Beziehung zwischen
räumlichen Gegenständen anspielt. Niemand würde allerdings im Ernst von einem
Stuhl behaupten, daß er sich selbst unendlich nah ist. Die "Perspektive
der ersten Person" ist ihrerseits die Kombination einer räumlich-visuellen
mit einer grammatischen Metapher: Es
mag noch angehen, unseren Erlebnisraum als perspektivisch zu bezeichnen, weil
man hier auf unseren dominanten Sinn des Sehens bezug nimmt. Unser visuelles
Erleben der Umwelt ist tatsächlich um ein Zentrum herum aufgebaut, denn als
Sehende erleben wir die Welt scheinbar von einem Standpunkt aus. Dieser
Standpunkt scheint hinter unseren Augen zu liegen und er ist der Mittelpunkt
unseres visuellen Erlebnisraumes. Aber wer soll "die erste Person"
sein - ein kleines Männchen im Kopf, daß durch die Fenster der Augen in die
Welt hinausblickt?
Man sieht:
Auch hier ergeben sich schnell eine große Anzahl von Fragen und schwierigen
theoretischen Problemen. Betrachten wir für den letzten Schritt wieder zuerst
die einfachen phänomenalen Eigenschaften. Wenn es stimmt, daß die spezielle
phänomenale Eigenschaft der "Bläue" von Pantone Blue 72 ein intrinsisches und essentielles Merkmal
bestimmter bewußter Farberlebnisse ist, dann fragt es sich nämlich, ob es
überhaupt eine wissenschaftliche Theorie über bewußte Farberlebnisse geben
kann. In der physikalischen Außenwelt gibt es, wie gesagt, nur
elektromagnetische Schwingungen bestimmter Wellenlängen, aber nirgendwo die
Eigenschaft "Blau". Eine Vielzahl physikalischer Ereignisse kann in
uns eine Blauempfindung auslösen. Es scheint aber nichts zu geben, was all
diese Ereignisse in der physikalischen Außenwelt miteinander verbindet. Auch
auf der Netzhaut finden wir nur eine zweidimensionale Grauwertverteilung, aber
niemals die Eigenschaft "Blau". Das Feuern des optischen Nervs ist
genauso wenig blau, wie das Feuern der Neuronen in den für das Schmerzempfinden
verantwortlichen Regionen unseres Gehirns schmerzhaft ist: Alles was wir
finden, sind Myriaden feiner elektrischer Impulse. Und auch die räumlich und
zeitlich sehr kompliziert strukturierten Erregungsmuster, die sich dann aus
diesen Myriaden von feinen elektrischen Impulsen in denjenigen Bereichen
unseres visuellen Cortex aufbauen, von denen die Hirnforscher sagen, daß sie
für unser Farbensehen unbedingt notwendig sind, sind natürlich nicht blau. Die Konkretheit des bewußt
erlebten "Bläue" - sagen wir, von Pantone
Blue 72 - werden wir wohl auch nicht in den abstrakten mathematischen
Theorien wiederfinden, mit denen die Neuroinfomatiker uns vielleicht bald eine
präzise Beschreibung der entsprechenden neuronalen Aktivitätsmuster anbieten
werden. Darum fragen sich viele insgeheim, ob die phänomenale Eigenschaft der
"Bläue" überhaupt in dieser Welt ist: Gibt es einen Berührungspunkt
zwischen der Innenwelt des Bewußtseins und der Außenwelt der Physik? Wir alle
wollen, daß die wissenschaftliche Psychologie unser Bewußtsein ernst nimmt.
Aber kann sie das überhaupt? Wenn
schon einfache phänomenale Eigenschaften wie das bewußt erlebte Blau des
Buchumschlags sich allem Anschein nach dem objektivieren Zugriff der
Wissenschaft entziehen, wie soll dann überhaupt eine Theorie phänomenalen
Bewußtseins aussehen, die das wirklich ernstnimmt und überzeugend erklärt, was
wir eben als das Wesensmerkmal subjektiver Zustände dingfest gemacht haben -
ihren qualitativen Charakter?
Wirklich
virulent werden solche Fragen dann, wenn wir jetzt wieder den Aspekt der
Perspektivität, die zweite konkrete Eigenschaft des Phänomens Bewußtsein mit
einbeziehen. Auch die Tatsache, daß bewußtes Erleben immer an eine subjektive
Innenperspektive gebunden zu sein scheint, stellt nach allgemeinem Verständnis
ein essentielles Merkmal des Phänomens dar. Eine befriedigende Antwort auf die
Frage, was es genau heißt, einem beliebigen System eine Innenperspektive
zuzuschreiben, ist aus diesem Grunde unverzichtbar. Wenn ich einem völlig
fremdartigen Lebewesen gegenüberstehe, und mich frage, ob dieses Wesen wirklich
bewußt ist, dann will ich nicht nur
wissen, ob es im Sinne von Thomas Nagel irgendwie
ist, die mentalen Zustände dieses
Wesens zu besitzen. Ich will wissen, ob dieses Wesen auch eine echte Innenwelt
besitzt, ob es im Erleben unmittelbar mit sich selbst vertraut ist, ob es tatsächlich eine subjektive Perspektive auf seine mentalen Zustände einnimmt.
Diese auf ein Ich-Zentrum bezogene Innerlichkeit phänomenalen Bewußtseins müßte
ebenfalls Gegenstand jeder überzeugenden wissenschaftlichen Bewußtseinstheorie
sein. Das dem Objektivitätsideal der empirischen Wissenschaft zugrundeliegende
Prinzip besteht nun aber gerade darin, von allen subjektiven Perspektiven zu
abstrahieren, sich von allen individuellen Standpunkten so weit wie möglich zu
entfernen. Daraus ergibt sich ein fundamentales Problem: Kann eine
Erkenntnismethode, deren leitendes Ideal gerade in der Elimination aller
subjektiven Perspektiven liegt, uns überhaupt bei der Annäherung an unser
eigenes Bewußtsein behilflich sein? Wenn wir ernst machen wollen mit dem
Projekt einer Wissenschaft des
Bewußtseins, dann müssen wir Brücken aus der Außenwelt in die Innenwelt
bauen, also dahin, wo wir doch eigentlich immer schon sind. Das aber ist bei näherem Hinsehen ein inkohärenter Gedanke.
Thomas Nagel
hat sich wie kein anderer Philosoph der letzten Jahrzehnte diesem Problem
gewidmet. Er hat den hier in Frage stehenden Aspekt auf die folgende Weise
illustriert: Selbst aus einer vollständigen Beschreibung der raumzeitlichen
Welt durch eine Physik der Zukunft ginge nie hervor, welche Zeit jetzt ist und welcher Ort hier. Aber auch in einer vollständigen
wissenschaftlichen Beschreibung der Welt, die um das gesamte psychische Universum bereichert wurde,
also um eine allumfassende Beschreibung der inneren Zustände aller bewußten
Wesen zu allen Zeiten und an allen Orten, wären wir mit demselben Problem
konfrontiert. Die für jeden einzelnen von uns wichtigste aller Tatsachen - so
denkt zumindest Thomas Nagel - käme nämlich in einem solchen objektiven Bild
aller subjektiven Erlebnisse und Bewußtseinszustände nicht mehr vor: Die
Tatsache, daß ich identisch mit einer
der in diesem Bild enthaltenen Personen bin und daß die inneren Erlebnisse
dieser Person meine Erlebnisse sind.
In dem objektiven Bild der Welt wäre ich nur das, was Nagel treffend als
"eine Person unter zahllosen anderen in Ozeanen von Raum und Zeit"
und als ein "momentanes Echozeichen auf dem kosmischen Bildschirm"
bezeichnet.[13] Deshalb
entsteht hier eine sehr grundlegende Frage: Kann das aperspektivische Weltbild
der Wissenschaft überhaupt dem
phänomenalen Gehalt Rechnung tragen, der an die vielen individuellen
Bewußtseinsperspektiven geknüpft ist? Wird Bewußtsein unter dem Blick der
Wissenschaft nicht automatisch von etwas ganz Nahem zu etwas ganz Fernem, von
etwas unbezweifelbar Realem zu einer Illusion? Man kann durchaus und mit guten
Gründen daran zweifeln, ob Thomas Nagel diesen Aspekt des Problems auf die
richtige Weise formuliert hat. Noch hat niemand gezeigt, daß die Innerlichkeit
phänomenalen Bewußtseins ein Mysterium ist, an dem das wissenschaftliche
Erkenntnisideal aus prinzipiellen Gründen scheitern muß. Andererseits geht es,
darin hat Nagel sicher recht, in der Philosophie niemals bloß darum, wie wir
uns ausdrücken sollen.[14]
Und die Frage ist hartnäckig, sie taucht in immer neuen Erscheinungsformen auf:
Könnten wir eine - noch so plausible - wissenschaftliche Theorie über das
Entstehen einer phänomenal bewußten Ich-Perspektive jemals wirklich als eine
Theorie über uns selbst akzeptieren?
2.4 Die Präsenz phänomenaler Zustände
Das erste
phänomenologische Hauptmerkmal von Bewußtsein war seine Transparenz. Das zweite
Merkmal ist seine Perspektivität. Wenden wir uns nun dem dritten
Charakteristikum zu: der Präsenz
phänomenalen Gehalts. Zu Beginn habe ich gesagt, daß es dem Erleben nach nichts
offensichtlicheres gibt, als die einfachen Tatsachen des Bewußtseins selbst:
Zum Beispiel die Tatsache, daß ich jetzt
den Umschlag dieses Buches als blau empfinde. Es ist dieses subjektiv erlebte
"Jetzt", welches das dritte wichtige Charakteristikum phänomenalen
Bewußtseins darstellt. Das bedeutet, daß die Merkmale der Transparenz und
unmittelbaren Gegebenheit auch einen zeitlichen
Aspekt besitzen. Für das bewußte Erleben von Zeit und Gegenwart gilt außerdem,
das seiner Transparenz und Nähe ein ebenso deutlicher Aspekt der
Unaussprechlichkeit und kognitiven Undurchdringlichkeit entspricht. Auch das
Zeitbewußtsein ist uns gleichzeitig unendlich nah und unendlich fern. In einer
berühmten Passage im 14. Kapitel des elften Buches seiner (etwa im Jahre 400
verfaßten) Confessiones schrieb der
Heilige Augustinus: "Was ist also
die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem,
der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht; ..." Die Beziehung
zwischen subjektiver und objektiver Zeit ist deshalb heute noch eine der
schwierigsten Varianten des Leib-Seele-Problems.[15]
Die
Mannigfaltigkeit der verschiedensten subjektiven Empfindungen ist uns nämlich
immer in der Einheit eines erlebten Moments
gegeben. So reden und denken wir. Wieder taucht jedoch bei näherem Hinsehen -
insbesondere angesichts neueren empirischen Materials[16]
- die Frage auf, ob wir eigentlich genau verstehen, was wir da sagen. Es scheint zu bedeuten, daß meine bewußten
Gefühle und Gedanken, meine körperlichen Empfindungen und all die anderen
Qualitäten meines sensorischen Bewußtseins einschließlich ihres sprachlich
nicht erfaßbaren Reichtums an subjektiven Nuancen und feinsten Unterschieden
immer dadurch verbunden werden, daß sie Bestandteile einer erlebten Gegenwart
sind. Man kann diese einfache Beobachtung auch so ausdrücken: Phänomenaler
Gehalt ist präsent. Damit will man
nicht sagen, daß phänomenales Bewußtsein etwas Starres ist, indem es kein
Fließen und keine Veränderung gibt. Das könnte nicht wahr sein, weil es in
einem sehr starken Sinne ja gerade das subjektive Erleben ist, das uns
überhaupt erst lebendig macht. Man will vielmehr verdeutlichen, daß es ein
wichtiges Merkmal unseres Bewußtseins ist, daß es uns die in ihm gegebenen
Inhalte immer innerhalb einer konkrekt erlebten Gegenwart präsentiert. Pantone Blue 72 ist immer Pantone Blue 72 - Jetzt. Der Geschmack
von Bourbon-Vanille, der Geruch von Sandelholz oder das Gefühl von Neugier sind
uns dem Erleben nach immer jetzt
direkt gegeben. Wir konstruieren diese subjektiven Erlebnisqualitäten nicht
selbst: Sie sind unbezweifelbar reale
Tatsachen des Bewußtseins. Natürlich können wir Bewußtseinsinhalte auch re-präsentieren, zum Beispiel wenn wir
uns an den Geruch von Sandelholz erinnern oder uns auf den Geschmack von
Bourbon-Vanille freuen. Aber dann ist das, was in unserem Bewußtsein präsent
ist, eben die Erinnerung an ein bestimmtes Räucherstäbchen oder die Vorfreude
auf einen Vanillepudding. Auch das bewußte Erleben höherer kognitiver Vorgänge
wie Erinnerung oder Zukunftsplanung vollzieht sich subjektiv immer in einer
Gegenwart. Phänomenaler Gehalt besitzt also - drittens - immer einen Aspekt der
Präsentation. Dieser Aspekt der phänomenalen Präsenz bezieht sich übrigens auch
auf das Selbst, den Mittelpunkt des Erlebnisraums: Auch das erlebende Ich ist
gegenwärtig, es ist in einem ganz selbstverständlichen und aller
philosophischen Überlegung vorausgehenden Sinne ein anwesendes Ich. Ohne die konkret erlebte Anwesenheit des Ich gäbe
es auch die Perspektive der ersten Person nicht.
Durch dieses
durchgängige Erleben von Präsenz nun werden die Inhalte des Bewußtseins
überhaupt erst zu realen Tatsachen. Wenn wir am Morgen aufwachen, dann
präsentiert sich uns die Wirklichkeit: Mit der Aktivierung phänomenalen
Bewußtseins entsteht immer auch eine phänomenale Realität. Diese phänomenale
Realität ist meine Welt, die Welt in der ich lebe. Sowohl ich selbst als auch
die Welt um mich herum sind - in jedem einzelnen Augenblick - phänomenal
präsent, das heißt: gegenwärtig. Und
auch hier gilt wieder, daß zunächst nichts unproblematischer und selbstverständlicher
sein könnte als die Präsenz meiner Wirklichkeit. Auch sie ist - aus der
Perspektive der ersten Person - transparent. Die bewußte Gegenwart ist uns
unendlich nah.
Wir wissen
jedoch seit langem, daß die Präsenz einer bewußten Wirklichkeit auch künstlich
erzeugt werden kann. Durch die direkte Stimulation des Gehirns mit Hilfe von
Elektroden lassen sich bei Versuchspersonen Episoden subjektiver Erlebnisse
erzeugen, die als absolut real und gegenwärtig erlebt werden.[17]
Zustände nach der Einnahme bestimmter psychoaktiver Substanzen oder schwere
Geisteskrankheiten sind ein weiteres Beispiel für Situationen, in denen durch
einen Eingriff von außen "alternative Wirklichkeiten" in uns
entstehen können. Aber auch im Traum, einem ganz natürlichen und sich regelmäßig
wiederholenden Bewußtseinszustand, erscheint uns die Wirklichkeit als
gegenwärtig und real: Obwohl die Welt des Traums voller Widersprüche ist und
sich ständig auf bizarre Weise ändert, wissen
wir nicht, daß wir träumen.[18]
Bei einer ganzen Reihe von psychiatrischen Störungsbildern kommt es zu
komplexen Halluzinationen, die es den Patienten unmöglich machen, zu erkennen, daß sie gerade halluzinieren. Wieder
entsteht so etwas wie eine "alternative Gegenwart". Es gibt
vielfältige Störungen, bei denen gerade das Zeit- und Gegenwartserleben der
betreffenden Personen verzerrt oder sogar zerstört wird. Auch im gesunden
Zustand kennen wir alle Situationen, in denen die phänomenale Präsenz der
bewußten Wirklichkeit vorübergehend stark abnimmt, etwa nach einer "Schrecksekunde",
in einer Gefahrensituation oder nach Schockerlebnissen: Die Welt nimmt eine
traumartige und "unwirkliche" Qualität an. Das zeigt, daß das Erleben
von Gegenwärtigkeit vielfältigen Schwankungen unterworfen sein kann. Es wird durch
Faktoren determiniert, die ihrerseits außerhalb des Bewußtseins liegen, zum
Beispiel durch komplizierte Ereignisse im Gehirn der betreffenden Person. Die
neuropsychologische Forschung dieses Jahrhunderts hat dies mehr als deutlich
gemacht.
Diese Einsicht
aber betrifft dann auch die Tatsächlichkeit
der einfachen Tatsachen des Bewußtseins: Es gibt - von außen gesehen - starke
Hinweise darauf, daß unser bewußtes Erleben der Realität als Realität ein Konstrukt ist. Wenn das aber wahr sein sollte,
dann zieht es wiederum die Transparenz phänomenalen Bewußtseins in Zweifel. In
anderen Worten: Neue empirische Erkenntnisse über das, was ich Präsenz genannt habe, lenken unsere
Aufmerksamkeit wieder auf das erste phänomenologische Hauptmerkmal von
Bewußtsein zurück, auf seine Durchsichtigkeit oder Transparenz. Jetzt zeigt
sich, daß die traditionelle Annahme, die Inhalte unseres phänomenalen
Bewußtseins seien uns auf direkte und unmittelbare Weise gegeben, falsch sein
muß. Betrachten wir dazu ein Beispiel. Besonders augenfällig wird der
Zusammenhang bei einer bestimmten Gruppe von Störungsbildern, die in der
Neuropsychologie seit langem bekannt sind und die dort als
"Anosognosien" bezeichnet werden. Sie bestehen darin, daß der Patient
einen bestehenden Bewußtseinsdefizit nicht mehr bewußt als solchen erleben
kann, es fehlt ihm aufgrund einer bestimmten Hirnverletzung - also aufgrund
eines rein körperlichen Schadens -
die höherstufige Einsicht in die Tatsache seiner Erkrankung. Ein besonders
eindrucksvolles Beispiel für den Verlust phänomenaler Transparenz ist Antons Syndrom.[19]
Patienten, die durch eine Läsion des visuellen Cortex von plötzlicher Blindheit
überfallen werden, bestehen in manchen Fällen hartnäckig darauf, daß sie noch sehen. Sie stoßen sich
gleichzeitig an Möbelstücken und anderen Hindernissen, sie zeigen alle
Anzeichen funktionalen Blindseins. Trotzdem verhalten sie sich so, als ob ihnen
das subjektive Verschwinden der
visuellen Welt nicht subjektiv bewußt
ist. So produzieren sie zum Beispiel auf Fragen nach ihrer Umgebung falsche,
aber konsistente Konfabulationen: Sie erzählen Geschichten über nicht-existente
phänomenale Welten, die sie selber zu glauben scheinen, und streiten jeden
funktionalen Defizit in bezug auf ihre Sehfähigkeit ab. Diese und viele andere
Befunde aus der empirischen Erforschung des menschlichen Bewußtseins haben auch
auf philosophischer Ebene starke Zweifel daran aufkommen lassen, ob unser
subjektiv als durchsichtig erlebter Bewußtseinsraum wirklich durchsichtig ist.
Und jetzt wird
ein weiteres Mal deutlich, warum ich ganz zu Anfang gesagt habe: Nichts ist uns
gleichzeitig so nah und so fern wie unser eigenes Bewußtsein. Denn bei näherem
Hinsehen wird unser eigenes Bewußtsein zu etwas Rätselhaftem und Mysteriösen.
Die Innenperspektive gerät heute zunehmend in einen Konflikt mit der
Außenperspektive. Durch die Fortschritte der wissenschaftlichen Erforschung des
Bewußtseins werden wir in unserer geistigen Intimsphäre berührt, weil durch die
aus der Dritte-Person-Perspektive operierende Wissenschaft nun auf einmal die
Transparenz unseres Bewußtseinsraums und damit im Grunde die Autorität der
Erste-Person-Perspektive überhaupt in
Frage gestellt werden. Ist Antons Syndrom,
die fehlende Einsicht in die eigene Blindheit, unter Umständen eine
neuropsychologische Metapher für die kulturelle Situation, in der wir uns im
Moment befinden? Sind wir Systeme, die konsistente Konfabulationen produzieren,
die hartnäckig bestimmte überlieferte Sprachspiele spielen und an ihrem
alltagspsychologischen Selbstverständnis festhalten, obwohl sie sich dabei
immer häufiger an Hindernissen stoßen, die sich aus neuem empirischen Material
ergeben? Durch das endgültige Zerbrechen der trügerischen Selbstgewißheit der
Introspektion[20] werden wir
alle in unserem Erleben verunsichert: Unser eigenes Bewußtsein rückt in die
Ferne, es verdunkelt sich und wird zum Rätsel. Descartes Grundannahme der
Selbsttransparenz des Bewußtseins, die über Brentanos "Evidenz der inneren
Wahrnehmung" bis weit in die Philosophie dieses Jahrhunderts hineingewirkt
hat, ist genau dadurch unhaltbar geworden, daß die empirische Psychologie zu
einer eigenständigen Disziplin wurde.
Wenn man den
theoretischen Verlust der Transparenz und Präsenz nun zum Schluß noch auf das
zweite phänomenologische Merkmal des Bewußtseins - die Perspektivität unseres Erlebnisraums - überträgt, dann ergibt sich
eine dramatische Konsequenz. Wir wissen bei genauerem Hinsehen auch nicht mehr,
was es eigentlich heißt, daß wir selbst
uns als anwesend erleben. Wenn es nämlich stimmt, daß die Gegenwärtigkeit der
Inhalte unseres Erlebens ein Konstrukt ist, dann gilt das auch für alle Inhalte
des bewußten Selbsterlebens, für das, was man in der Philosophie des Geistes
als das "phänomenale Selbst" bezeichnet. Wenn außerdem richtig ist,
daß die Introspektion kein zuverlässiges Erkenntnismittel ist, weil der Blick
in das eigene Bewußtsein durchaus zu unbemerkten Täuschungen führen kann, dann
verdunkelt sich damit auch der Innenraum des Selbstbewußtseins, weil die
erlebte Transparenz dieses Raums sich jederzeit als eine Illusion herausstellen
könnte. Aber wessen Illusion wäre es? Denn es ist nun auch nicht mehr klar, was
es überhaupt heißen soll, daß wir die "einfachen Tatsachen des
Bewußtseins" aus der Perspektive der ersten Person erfassen. Wer ist sie
überhaupt, diese erste Person? Worauf beziehen wir uns, wenn wir über das Ich
und seine Perspektive sprechen? Wir sprechen über unsere bewußten Erlebnisse,
als ob wir selbst dies Erlebnisse hätten
und als ob wir in einem ganz unproblematischen Sinne anwesende Erlebnissubjekte wären. Aber schon unsere vorläufige Bestandsaufnahme der konkreten Eigenschaften
phänomenaler Zustände zeigt, das wir eigentlich nicht genau wissen, was wir da
sagen. Am Ende unserer ersten vorsichtigen Erkundung dieser phänomenologischen
Merkmale des Phänomens Bewußtsein besteht also bereits die Gefahr, daß nicht
nur das Bewußtsein, sondern auch wir
selbst von etwas unendlich Nahem zu etwas unendlich Fernem werden.
Die stürmische
Entwicklung im empirischen Bereich hat Konsequenzen für die philosophische
Behandlung des Themas. Es ist heute selbstverständlich geworden, daß auch eine
philosophische Theorie über phänomenales Bewußtsein empirisch plausibel sein
muß: Ein seriöser philosophischer Beitrag zur Lösung des Bewußtseinsproblems
darf nicht mit empirischen Erkenntnissen kollidieren. Das Problem des
Bewußtseins ist längst ein interdisziplinäres
Problem geworden, und dies ist ein Fortschritt. Dadurch jedoch ist auch der
Begriff des Bewußtseins unklar geworden. Er ist in die verschiedensten Disziplinen
abgewandert und so in Distanz zu seinen philosophischen Ursprüngen geraten.
Eine semantische Inflation war die unvermeidliche Folge dieser Entwicklung. Es
ist darum auch auf theoretischer Ebene eine Verunsicherung eingetreten. Ich
habe den Kern dieser Verunsicherung bereits genannt: Wir sind uns häufig über
das epistemische Ziel unserer Bemühungen nicht im Klaren, darüber, was wir
eigentlich wissen wollen, wenn wir nach dem Bewußtsein fragen. Durch die
zunehmende Verankerung des Bewußtseinsbegriffs in der empirischen
Theoriebildung sind die vielen verschiedenen Facetten des Problems besonders
deutlich hervorgetreten: Es gibt nicht das
Problem des Bewußtseins. "Bewußtsein" ist in Wirklichkeit nur der
Obertitel für ein ganzes Bündel von Problemen und möglichen
Forschungsprogrammen. In einer solchen Situation ist es dringend erforderlich,
daß zunächst eine solide Kommunikationsgrundlage geschaffen wird. Jede der
potentiell an dem Projekt einer vereinheitlichten Wissenschaft des Bewußtseins beteiligten Disziplinen muß deshalb
zuallererst einen systematischen Katalog ihrer eigenen Fragestellungen
entwickelt. Dies gilt auch für die Philosophie des Geistes. Natürlich ist diese
Einleitung nicht der richtige Ort, um einen solchen Katalog aufzubauen. Trotzdem
werde ich im folgenden Abschnitt eine kurze Auswahl der wichtigsten Fragen
anbieten, aus denen sich die Problemlandschaft heute konstituiert. Ich hoffe,
daß sie den Lesern und Leserinnen dieses Buches bei ihrer ersten Orientierung
in dieser Landschaft behilflich sein kann.
3.
Die Problemlandschaft: Ein Katalog von Fragen
3.1 Bewußtsein
als begriffliches Problem
Eine
überzeugende Theorie des Bewußtseins muß begrifflich kohärent sein. Dieser Teil
des Projekts fällt eindeutig in den Bereich der Philosophie des Geistes. Dort
wird der Begriff „Bewußtsein“ heute nur noch selten im Sinne einer
unkörperlichen Substanz oder eines nicht-physischen Individuums interpretiert.
Es geht nicht mehr um „das Bewußtsein“, sondern um Bewußtsein im Sinne einer Eigenschaft. Was aber ist die richtige
Analyse von Bewußtsein als einer Eigenschaft?
a) „Bewußt“
als einstelliges oder als zweistelliges Prädikat
Interpretiert
man das Wort „bewußt“ als einstelliges Prädikat, so erscheint es als eine
primitive und nicht weiter analysierbare Eigenschaft mancher mentaler Zustände.
Es existiert keine nicht-zirkuläre Definition für diesen Begriff des
phänomenalen Bewußtseins. Bewußtheit in diesem Sinne scheint eine intrinsische Eigenschaft mentaler
Zustände zu sein, die sich nicht einfach in ein Netz von Relationen zwischen
Entitäten auf einer tieferliegenden Beschreibungsebene auflösen läßt.
Bewußtheit als eine primitive Eigenschaft geistiger Zustände wäre irreduzibel.
Es ist aber diese Interpretation von „bewußt“, die für die Frage nach phänomenalem Bewußtsein zentral ist.
Analysiert man
"bewußt" als ein zweistelliges Prädikat, dann wird man auf das
Problem der Intentionalität des Mentalen gestoßen: In dieser Form ist
Bewußtsein immer "Bewußtsein von etwas". Franz Brentano hatte 1874
das Grundmerkmal des Bewußtseins als die Gerichtetheit psychischer Akte auf
einen Gegenstand beschrieben.[21]
Dieser Gedanke der Beziehung von intentionalen Akten auf ein Objekt hat dann zu
einer aktpsychologischen Konzeption
des Bewußtseins geführt, die viele der psychologischen Theorien des späten 19.
und frühen 20. Jahrhunderts geprägt hat. Edmund Husserl hat die Gerichtetheit
von Bewußtseinszuständen auf einen Gegenstand, der dann zu ihrem intentionalen
Gehalt wird, nicht mehr als eine Art von Tätigkeit oder Aktivität verstanden.
Um den Begriff des psychischen Phänomens zu vermeiden führte er in den Logischen Untersuchungen den Terminus
„intentionales Erlebnis“ ein, behielt aber, um einem bereits tief verwurzelten
Sprachgebrauch entgegenzukommen, den Begriff des Aktes weiter bei. Die
Unterscheidung zwischen Akt und Objekt spielt auch heute noch ein Rolle in der
Diskussion. Sie taucht wieder auf wenn es darum geht, ob man die Bewußtheit
eines Zustandes dadurch erklärt, daß er zum Objekt eines höherstufigen Gedankens
wird (zum Beispiel in David Rosenthals Theorie der Higher-Order-Thoughts[22])
oder dadurch, daß er (im Sinne einer teleofunktionalistischen Theorie des
Geistes) ein Akt ist, mit dessen Hilfe ein Lebewesen Wissen über seine Umgebung
erlangt.[23] Sie spielt
ebenfalls eine wichtige Rolle in der Diskussion um höherstufige Formen des
Selbstbewußtseins.[24]
b)
Zustandsbewußtsein und Systembewußtsein
Man kann von
bestimmten Zuständen einer Person oder eines biologischen (vielleicht auch
eines künstlichen) Systems sagen, daß sie im Sinne einer Zuschreibung mit Hilfe
des oben erwähnten einstelligen Prädikats bewußt sind: Solche Zustände sind phänomenale Zustände. Das logische
Subjekt der Eigenschaftszuschreibung sind hier Zustände eines Systems, zum
Beispiel mentale Zustände, die die
Eigenschaft der Bewußtheit besitzen können oder auch nicht. David Rosenthal
nennt diese Art von Bewußtsein state
consciousness oder auch intransitive
consciousness.
Eine
Schwierigkeit tritt auf, wenn man „bewußt“ im zweiten Sinne (also als „Bewußtsein
von etwas“ oder transitive consciousness)
auf mentale Zustände anwenden will. Man kann wohl sagen, daß mentale Zustände
oft einen intentionalen Gehalt besitzen und eine Person dabei unterstützen,
sich auf Gegenstände in der Welt zu beziehen. Was man nicht sagen kann, ist,
daß diese Zustände selbst ein
Bewußtsein „von etwas“ besitzen: Die Zustände selbst sind keine epistemischen
Subjekte, sie wissen nichts und sie besitzen auch kein Bewußtsein der
Intentionalitätsbeziehung. Vielmehr sind diese Zustände so etwas wie
Hilfsmittel, mit denen Personen oder
Systeme als Ganze zu einem „Bewußtsein von etwas“ gelangen, Instrumente, mit
denen sie die Intentionalitätsbeziehung realisieren
können.[25]
Man muß deshalb fragen, was es bedeutet, die beiden oben erwähnten Interpretationen
des Prädikats „bewußt“ in Hinblick auf Personen oder Systeme als Ganze
einzusetzen.
Wir wollen
auch wissen, in welchem Sinne man von einer Person, einem Tier oder vielleicht
sogar einem künstlichen System sagen kann, daß sie bewußt sind (creature consciousness). Der
interessante Sinn des Worts ist hier wieder der des bewußten Erlebens, und
nicht eher unproblematische Begriffe wie Wachheit, Wahrnehmung oder das
Vorhandensein einer Orientierungsreaktion. Phänomenales Bewußtsein besitzt eine
Person dann, wenn man ihr bewußte Zustände im ersten Sinne zuschreiben kann.
Das bedeutet allerdings noch nicht, daß diese Zustände ihr dabei helfen, sich
im Sinne einer Realisierung der Intentionalitätsbeziehung auf die Welt zu
beziehen. Intentionales Bewußtsein
haben eine Person oder ein System dann, wenn sie phänomenale Zustände mit
intentionalem Gehalt besitzen. Diese Zustände sind Zustände des zweiten Typs,
sie unterstützen die Person beim Aufbau von epistemischen Relationen zur Welt.
Eine einfache und natürliche Lösung für diesen Fall scheint darin zu bestehen,
daß man sagt: Bewußte Zustände sind die Zustände, durch die wir zu bewußten Personen werden. Auf der anderen Seite
erfaßt diese Analyse solche phänomenalen Zustände nicht, die kein intentionales
Objekt oder keine biologische Funktion besitzen. Aus diesem Grund erfordern die
vier hier skizzierten Interpretationen von „bewußt“ eine sorgfältige Analyse
der Beziehung zwischen intentionalem und phänomenalen Gehalt.
c) Die Stärke
der modalen Beziehung zwischen Bewußtsein und seiner explanatorischen Basis
Das Projekt
der empirischen Bewußtseinsforschung
besteht darin, die explanatorische Basis für phänomenales Bewußtsein dingfest
zu machen. Dabei kann es um Bewußtsein im allgemeinen gehen oder auch um die Instantiierungsbasis
bestimmter phänomenaler Eigenschaften. Außerdem stehen solche
Forschungsprojekte immer in Beziehung zu einer bestimmten Klasse von Systemen.
Solche Klassen von Systemen können etwa Menschen, Tiere oder künstliche Systeme
sein. Innerhalb solcher Klassen kann man dann weiter differenzieren: Man kann
zum Beispiel Menschen im Traum- oder im Wachzustand untersuchen, Menschen in
verschiedenen Lebensphasen oder Mitglieder unterschiedlicher Kulturen. Man kann
auch Menschen in veränderten Bewußtseinszuständen untersuchen, etwa Menschen,
die unter Schizophrenie, Multiple
Personality Disorder oder bestimmten Hirnverletzungen leiden, aber auch
Menschen im Zustand der Meditation oder der akuten Verliebtheit. Angenommen,
Bewußtsein ist im Sinne eines minimalen Materialismus supervenient auf einem
bestimmten Set von physikalischen Eigenschaften.[26]
Dann kann man jeweils eine Vielzahl von Fragen stellen: Sind die Eigenschaften,
die unter den Bedingungen der in unserer Welt geltenden Naturgesetze das Auftreten
phänomenaler Eigenschaften determinieren, nur intra- oder auch
extra-organismische Eigenschaften? Sind es quantenphysikalische,
neurobiologische oder neurokomputationale Eigenschaften? Sind es funktionale,
teleofunktionale oder repräsentationale Eigenschaften? Es geht immer darum, die
Basismenge der Supervenienzbeziehung
möglichst genau zu beschreiben.
Das philosophische Projekt besteht in diesem
Zusammenhang darin, die Stärke dieser Beziehung genauer zu untersuchen. Es gibt
eine starke modale Intuition (eine weitverbreitete Annahme darüber, was logisch
möglich wäre), die besagt, daß es für jedes wie auch immer physikalisch,
funktional oder repräsentational beschriebene System mit bewußten inneren
Zuständen einen "bewußtlosen Doppelgänger" gibt, der zwar dieselben
physikalischen, funktionalen oder repräsentationalen Eigenschaften besitzt,
aber kein phänomenales Bewußtsein. Welches kognitive Bewußtseinsphänomen man
auch immer einer genaueren Untersuchung unterzieht, am Ende taucht
unvermeidlicherweise wieder die Frage auf, ob all dies nicht auch ohne
Bewußtsein möglich wäre.[27]
Kausale Erklärungen und funktionale Analysen kognitiver Vorgänge scheinen immun
gegenüber der Eigenschaft der "Bewußtheit" zu sein. In anderen
Worten: Es scheint keine notwendige
Verbindung zwischen phänomenalem Gehalt und bestimmten Formen seiner physischen
Realisierung zu geben. In der neueren Diskussion gibt es drei wichtige
Argumente, die zu Kristallisationspunkten der Diskussion um diese Problematik
geworden sind:
- Das Modal Argument
Für jedes
beliebige System mit physikalischen, funktionalen und phänomenalen
Eigenschaften ist immer auch ein Zombie
Twin denkbar, ein bewußtloser Doppelgänger.[28]
Eine neuere Formulierung dieses Gedankens lautet: Phänomenale Eigenschaften
sind, selbst wenn sie in unserer Welt nomisch
supervenient gegenüber physikalischen oder funktionalen Eigenschaften sind,
deshalb noch nicht logisch
supervenient gegenüber diesen.[29]
- Das Absent-Qualia-Argument
Auch für jedes
funktional beschriebene System kann man sich wieder ein Zwillingssystem denken,
das keine Qualia besitzt oder auf so bizarre Weise realisiert ist, daß die
Annahme von Qualia stark kontraintutiv wird. Wenn dies richtig ist, dann
bedeutet es auch, daß der Funktionalismus in der Philosophie des Geistes - der
immerhin den metatheoretischen Hintergrund des
Informationsverarbeitungsansatzes in der Kognitionswissenschaft und der
kognitiven Neurowissenschaft bildet - systematisch blind gegenüber dem Phänomen
des bewußten Erlebens ist.[30]
- Das Inverted-Qualia-Argument
Es ist auch
möglich, eine schwächere Version dieses Arguments zu entwickeln. Diese Version
bestreitet dann nicht die Existenz von Bewußtsein überhaupt, sondern nur die
Notwendigkeit der Verknüpfung bestimmter
Arten von qualitativem Gehalt mit bestimmten funktionalen Zuständen. So kann
man etwa annehmen, daß einer der Leser dieses Buchs in seinem subjektiven Raum
ein systematisch invertiertes Farbspektrum besitzt, daß er also immer da, wo
wir Blau erleben, Gelb erlebt, wo wir Rot erleben, Grün erlebt usw. Natürlich sagt die Person mit den invertierten
Farbqualia immer dann, wenn wir sagen, daß wir ein Blauerlebnis haben, auch,
daß sie ein Blauerlebnis hat. In Wirklichkeit jedoch tritt in ihrem
Bewußtseinsraum ein Gelb-Quale auf. Wieder geht es nicht in erster Linie darum,
wie wir das Vorliegen einer solchen Situation feststellen würden, sondern
darum, daß sie prinzipiell möglich ist.[31]
3.2 Die
epistemische Asymmetrie
Dies ist der
moderne Titel für das erkenntnistheoretische Grundproblem. Dieses Problem
besteht darin, daß es zwei grundverschiedene Zugangsweisen gibt, durch die wir
ein Wissen über Bewußtsein erlangen können: Von innen und von außen, aus der
Perspektive der ersten Person und aus der Perspektive der dritten Person. Das
Phänomen des Bewußtseins scheint sich nämlich dadurch auszuzeichnen, daß sein
jeweiliger Träger einen privilegierten Zugang zu ihm hat. Phänomenales
Bewußtsein ist ein subjektives
Phänomen. Es fragt sich deshalb, wer
die erkenntnistheoretische Autorität über die Tatsachen des Bewußtseins
besitzt: Das erlebende Subjekt oder die Wissenschaft, die von außen auf das
Phänomen zugreift?
Die
epistemische Asymmetrie hat ihren theoriegeschichtlichen Ausdruck in zwei
grundverschiedenen Weisen gefunden, sich dem Problem des Bewußtseins zu nähern.
Die erste Strategie besteht darin, konsequent aus der Perspektive der ersten
Person zu operieren. Das klassische Beispiel für das philosophische Operieren
aus der Perspektive der ersten Person, also für das Projekt einer reinen Untersuchung[32],
ist das Vorgehen von René Descartes in den Meditationen. Schließlich ist diese
Strategie gegen Ende des letzten Jahrhunderts zu dem geworden, was wir heute
als den phänomenologischen Ansatz
bezeichnen. Außerhalb der Philosophie hat sie sich in das verwandelt, was
häufig als die introspektionistische
Phase der wissenschaftlichen Psychologie bezeichnet wird. Die Phänomenologie
war der erste großangelegte Versuch, die begrifflichen und
erkenntnistheoretischen Grundlagen für eine systematische, autonome Wissenschaft des Bewußtseins zu legen.
Darin besteht ihr Verdienst. Gescheitert ist sie in der Hauptsache daran, daß
sich die Evidenz der inneren Wahrnehmung - gerade aufgrund der Resulate
empirischer Untersuchungen - als unhaltbare Grundannahme herausgestellt hat und
daran, daß der phänomenologische Ansatz der Datenerhebung in Fällen miteinander
in Konflikt stehender Aussagen prinzipiell kein methodisch sicheres Verfahren
bieten kann, falsche Beobachtungen und statistische Inkonsistenzen zu
eliminieren.
Die zweite Strategie
war die eines naturalistischen Objektivismus, der Versuch, sich dem Problem des
Bewußtseins von außen anzunähern. Die Datenerhebung beschränkt sich hier
ausschließlich auf objektive und aus der Außenperspektive zugängliche
Information, zum Beispiel auf menschliches Verhalten: Die in eine Erklärung des
Phänomens Bewußtsein eingehenden Tatsachen sind ausschließlich öffentliche Tatsachen. Dem
psychologischen Behaviorismus entsprach auf der Ebene der Philosophie der analytische Behaviorismus Gilbert Ryles.[33]
Ryle hatte Aussagen über mentale Zustände als Aussagen über mögliches Verhalten
analysiert. Einer der Gründe für das Scheitern dieser Strategie lag darin, daß
Dispositionsanalysen die Prozessualität phänomenaler Zustände nicht erklären
können: Wenn ich bewußte Erlebnisse habe, dann geschieht etwas, und zwar in mir. Der Funktionalismus hat wichtige
Einsichten dieser Phase bewahrt, indem er die explanatorische Strategie des
Behaviorismus auf die Untersuchung interner Systemzustände als einer Form von „Mikroverhalten“
ausgedehnt hat.
Beide Klassen
von Forschungsprogrammen sind auch zu Ideologien geworden, die zu
Irrationalismen und methodologischem Radikalismus, zu Berührungsängsten und
Schweigespiralen geführt haben. Mit dem Aufkommen der kognitiven Psychologie
und dem (mittlerweile überholten) „Computermodell des menschlichen Geistes“ hat
sich diese Situation in vielversprechender Weise geändert. Die aktuelle Debatte ist deshalb attraktiv,
weil die alten Fronten zwischen Phänomenologie und analytischer Philosophie des
Geistes sich längst aufgelöst haben. Das Thema des Bewußtseins wird
mittlerweile auch von den besten Denkern der analytischen Tradition als ein
seriöser und vielversprechender Bereich der Theoriebildung akzeptiert. Selbst
die Vertreter strikt reduktionistischer Ansätze geben zu, daß eine Theorie des
Bewußtseins sich durch maximale phänomenologische Plausibilität auszeichnen
muß. Auf der anderen Seite ist unverkennbar, daß viele Autoren aus dem Umfeld
der Phänomenologie begonnen haben, die Kognitionswissenschaft zu entdecken.
Dies gibt Anlaß zur Hoffnung. Denn was wir brauchen, sind Antworten auf die
erkenntnistheoretische Grundproblematik, die sowohl die Perspektive der ersten
Person ernst nehmen als auch in der Lage sind, unser neues empirisches Wissen
auf begrifflich plausible Weise zu integrieren.
Trotzdem wird
bei vielen die erste Reaktion auf die epistemische Asymmetrie eine Variante des
Skeptizismus[34] sein: Ist
das Phänomen des Bewußtseins aufgrund seiner Innerlichkeit nicht prinzipiell allen
aus dem öffentlichen Raum heraus operierenden Versuchen entzogen, es
erkenntnismäßig zu erfassen? Bildet das, was ich im vorangegangenen Abschnitt
als die „einfachen Tatsachen des Bewußtseins“ bezeichnet habe, nicht einen
eigenen Set von Fakten, die dem naturwissenschaftlichen Erkenntnismodell von
vornherein verschlossen bleiben müssen? Wenn ich das erste Mal ein visuelles
Erlebnis von Pantone Blue 72 gehabt
habe, weiß ich dann nicht etwas über die Welt, das man auf keine andere Art wissen kann?
- Das Knowledge-Argument
Das Knowledge-Argument oder „Argument des
unvollständigen Wissens“ ist ein wichtiger Brennpunkt der
erkenntnistheoretischem Diskussion über phänomenales Bewußtsein.[35]
Kern dieser von Frank Jackson entwickelten Überlegung ist die anti-materialistische
Intuition, daß kein wie auch immer vollständiges Wissen über die
neurophysiologischen oder physikalischen Tatsachen bezüglich einer Person
hinreichend ist, um daraus ein Wissen über die phänomenalen Tatsachen bezüglich
des bewußten Erlebens dieser Person ableiten zu können. Das Argument hat auch
eine ontologische Lesart, die darauf hinausläuft, daß der Physikalismus schon
deshalb falsch sein muß, weil es offensichtlich nicht-physikalische Tatsachen
gibt.
Man kann der
erkenntnistheoretischen Grundproblematik auch eine „wissenschaftstheoretische“
Wendung geben, indem man unsere offenkundige epistemische Begrenzung bezüglich
des Bewußtseins anderer Wesen als
eine explanatorische Lücke in unserem generellen wissenschaftlichen Weltbild
interpretiert.
- Das Explanatory-Gap-Argument
Joseph Levine
hat 1983 eine berühmtes modallogisches Argument von Saul Kripke gegen die
Identitätstheorie[36]
in eine erkenntnistheoretische Version transformiert. Weil nichts an den
physischen oder funktionalen Korrelaten eines phänomenalen Zustands uns zu
verstehen hilft, warum dieser Zustand sich subjektiv auf eine bestimmte Weise anfühlt, entsteht eine
Intelligibilitätslücke.[37]
Sie ist die Wurzel der cartesianischen Intuitionen, die Kripkes und andere
modallogischen Argumente dann auf formaler Ebene zu explizieren versuchen. In
anderen Worten: Reduktive Erklärungsstrategien für Qualia lassen eine
Erklärungslücke offen, weil solche Erklärungen - im Gegensatz zu den bekannten
Fällen in den Naturwissenschaften - genaugenommen nicht wirklich verständlich sind. Sie scheinen uns aus
prinzipiellen Gründen nicht das zu sagen, was wir wissen wollen.
3.4 Auszeichnung der Explananda
All dies
macht ein weiteres Mal deutlich, daß Bewußtsein ein besonderes Problem ist. Trotz aller erkenntnistheoretischer
Grundlagenprobleme muß man jedoch versuchen, auch die Explananda zu
charakterisieren, die Gegenstand einer Theorie des Bewußtseins sein sollen.
Wenn es eine solche Liste von Explananda gibt, dann öffnet dies den Weg für
differenziertere Untersuchungen darüber, mit welchen Methoden und welchen
Zielsetzungen man sich diesen Explananda überhaupt nähern kann.[38]
In diesem Bereich muß sich die Rolle der Philosophie nicht nur auf einen
begrifflichen Kommentar zum Fortschritt der empirischen Bewußtseinsforschung
beschränken. Neben der Beschäftigung mit den eben skizzierten
wissenschaftstheoretischen, erkenntnistheoretischen und logischen Fragen können
Philosophen aufgrund ihrer besonders genauen Kenntnis der jahrhundertealten
Problematik des Bewußtseins auch aktiv die Explananda definieren, die jede
überzeugende empirische Theorie erklären muß. Philosophen sind deshalb durchaus
aufgerufen, aktiv und kritisch in die Theoriebildung innerhalb der
Einzelwissenschaften einzugreifen. Zumindest eines hat der Dialog der
Philosophie mit den Neurowissenschaften in den letzten zwei Jahrzehnten schon
erreicht: Es gibt kaum noch einen Hirnforscher, der das Wort „Qualia“ nicht
kennt. Darauf angesprochen beeilen sich mittlerweile viele Hirnforscher, zu
versichern, daß es sich hierbei um ein wirklich tiefes Problem handelt. Werfen
wir nun einen Blick auf mögliche Explananda für die empirische
Bewußtseinsforschung.
3.5 Qualia
Qualia sind
das Lieblingskind der Bewußtseinsphilosophen. In der Philosophie des Geistes
versteht man unter Qualia mentale Zustände, die einen ganz bestimmten
phänomenalen Gehalt besitzen. Die subjektive Qualität von Pantone Blue 72 in einer Farbwahrnehmung oder der
"Schmerzhaftigkeit" in einem Schmerzerlebnis waren unsere ersten
Beispiele für diese Form von mentalem Gehalt. Subjektive Erlebnisqualitäten
erzeugen eine innere Taxonomie mentaler Zustände: Sie scheinen die wesentlichen Merkmale zu sein, anhand
derer wir einen Teil unserer eigenen Zustände in der Introspektion
individuieren. Es ist allerdings fraglich, ob solche "privaten"
Eigenschaften mentaler Zustände jemals mit öffentlichen und objektiven
Eigenschaften der zugrundeliegenden physischen Zustände verknüpft werden
können, ob also die subjektive Taxonomie dieser Zustände auf eine objektive Kategorisierung
abgebildet werden kann. Qualia sind deshalb problematisch, weil sie
- sprachlich nur
schwer mitteilbar sind: Wir können einem Blindgeborenen nicht erklären, was Röte ist.[39]
- allem Anschein
nach private Eigenschaften sind.
Einer wissenschaftlichen Untersuchung sind aber immer nur öffentliche
Eigenschaften zugänglich. Dieser Punkt betrifft sowohl die epistemische
Asymmetrie wie auch die Unaussprechlichkeit qualitativen Gehalts.
- möglicherweise
den intrinsischen Kern eines
Zustandes bilden. Das heißt, daß es sich bei diesen Eigenschaften nicht um relationale Eigenschaften handelt, die
einer relationalen Analyse zugänglich wären. Nicht-relationale Eigenschaften
lassen sich nicht auf reduktive Weise naturalisieren: Sie lassen sich nicht auf
Beziehungen zwischen Elementen auf niedrigeren Beschreibungsebenen
zurückführen.
- homogen, d.h. dem Erleben nach ungekörnt oder „glatt“ sind. Einfache phänomenale
Eigenschaften besitzen prima
introspectione keine innere Struktur. Deshalb werden sie als unteilbar, als
phänomenale Atome, erlebt. Dieses Problem ist auch als das Grain Problem bekannt.[40]
- transparent und präsent sind: Sie scheinen dem Subjekt phänomenaler Zustände direkt
gegeben zu sein.
3.6 Phänomenale
Eigenschaften höherer Ordnung und Strukturmerkmale des phänomenalen Raums
Der Raum des
bewußten Erlebens besitzt eine komplexe innere Struktur. Hier sind einige
Beispiele für besonders prägnante Merkmale dieser Struktur:
- Objektbildung. Einfache phänomenale
Eigenschaften treten nicht isoliert, sondern als Bestandteile ganzheitlicher
Komplexe in Erscheinung. Dadurch entsteht das Problem der Eigenschaftsbindung
bzw. der Integration phänomenalen Gehalts. Es fragt sich weiterhin, was genau „Ganzheitlichkeit“ oder „Holismus“
in diesem Zusammenhang heißt.
- Relationstypen. Hier geht es um einen
wichtigen Teil dessen, was manchmal auch als „naive Physik“ bezeichnet wird.
Benötigt wird eine Theorie der Arten von Beziehungen zwischen Objekten und
Ereignissen, die unser bewußtes Modell der Wirklichkeit kennt:
- Zeiterleben. Wie entsteht aus objektiven
Ereignissen eine subjektive Zeit? Was ist phänomenale „Gleichzeitigkeit“ und
wie entsteht der Modus des „Nacheinander“?
- Raumerleben. Wie konstituieren sich
räumliche Beziehungen zwischen Objekten? Was sind die Einbettungsrelationen,
die uns erlauben, eine räumliches Objekt als Teil eines größeren Objekts zu
erleben?
- Kausalitätserleben. Unter welchen
Bedingungen erleben wir ein Ereignis als die Ursache eines anderen Ereignisses?
Wie beeinflußt uns dieses Erleben bei höheren kognitiven Operationen?
- Situiertheit. Was bedeutet es, daß
bewußtes Erleben immer in Situationen und Kontexte eingebettet ist? Wie
beeinflußt implizites Hintergrundwissen den Gehalt unserer expliziten
phänomenalen Zustände? Die „Leiblichkeit“ des phänomenalen Selbst: Was genau
heißt es, daß unsere Form von Bewußtsein auch dem Erleben nach immer ein
verkörpertes Bewußtsein ist?
- Mögliche phänomenale Welten. Wir sind
Wesen, die durch Phantasie, Imagination und Planung „virtuelle“ Erlebniswelten
in unserem Bewußtsein erzeugen können. Was sind die neurobiologischen und
evolutionsgeschichtlichen Bedingungen dafür, daß wir uns manche Dinge
vorstellen können, andere dagegen nicht? Welche Bedeutung haben diese
natürlichen Beschränkungen unseres mentalen Simulationsraums für kognitive
Operationen, z.B. für den Begriff der logischen
Möglichkeit oder für bestimmte theoretische Intuitionen?
3.7
Perspektivität und phänomenale Subjektivität
Hier begegnet
uns die Perspektivität phänomenaler Zustände wieder, diesmal jedoch nicht als
erkenntnistheoretisches Problem, sondern als konkret erlebtes Strukturmerkmal
des phänomenalen Raums. Erstens wird ein wichtiges Element jeder Theorie
phänomenalen Bewußtseins immer auch phänomenales Selbstbewußtsein sein. Das bewußte Erleben der eigenen Identität
und einer Ich-Welt-Grenze ist deshalb selbst ein Explanandum für die empirische
Forschung. Hier geht es zum Beispiel um das neuronale und funktionale Korrelat
des von Selbstbewußtsein, aber auch darum, inwieweit sein Gehalt durch soziale
Interaktionen determiniert wird. Was benötigt wird, ist eine umfassende Theorie
des phänomenalen Selbst. Zweitens jedoch geht es um den Einfluß, den seine
Aktivierung für andere Formen phänomenalen Gehalts hat: Was genau bedeutet es, daß unsere Form von Bewußtsein ein zentriertes
Bewußtsein ist? Wenn es eine überzeugende Theorie darüber gibt, wie das bewußte
Erleben einer „Erste-Person-Perspektive“ zustandekommt, dann wird dies wiederum
Bedeutung für die erkenntnistheoretischen Aspekte der Problematik besitzen.
3.8 Die Einheit
des Bewußtseins
Wirft man
einen Blick in die Geschichte des Bewußtseinsbegriffs[41],
dann lassen sich bei seinen historischen Vorläufern zwei semantische
Grundlinien erkennen: die konkomitierende
und die synthetisierende Funktion
von Bewußtsein. Beide Bedeutungselemente spielen auch in der
Gegenwartsdiskussion noch eine große Rolle. Die erste Funktion des Bewußtseins
als einer Aktivität, die mentale Akte, Ereignisse und Zustände begleitet, indem sie höherstufige
Zustände erzeugt, findet sich heute zum Beispiel in der Kognitionswissenschaft
in Theorien der Metakognition wieder. In der Philosophie des Geistes taucht sie
in Gestalt einer Vielzahl von Theorien über innere Wahrnehmung und Gedanken
höherer Ordnung auf.[42]
Dasselbe gilt für das klassische Problem der Einheit des Bewußtseins im Sinne
einer synthetisierenden Leistung, die die verschiedenen Bewußtseinsinhalte oder
Teile des Erlebnisstroms zu einer holistischen Einheit höchster Stufe
verbindet. Es erscheint in der philosophischen Diskussion der Gegenwart als die
Frage nach der Integration phänomenalen
Gehalts, in der empirischen
Psychologie und in der Hirnforschung als das Bindungsproblem.[43]
Genaugenommen stellt sich das Bindungsproblem jedoch auf einer großen Anzahl
von Ebenen im System. Entsprechend betrifft die Frage nach der ganzheitlichen
Natur phänomenalen Gehalts deshalb auch die beiden vorangegangen Punkte.
Unser
Bewußtseinsraum hat - als Ganzer betrachtet - eine nicht zu leugnende
holistische Qualität. Das bedeutet, daß die verschiedenen Formen von
phänomenalem Gehalt, die in ihm aktiv sind, nicht in Elementbeziehungen zu der
durch sie entstehenden Gesamtheit stehen, sondern in Teil-Ganzes-Beziehungen.
Dieser Holismus phänomenaler Zustände ist eine ihrer höherstufigen
Eigenschaften, genau wie ihre Transparenz, Perspektivität oder Präsenz. Die
Einheit des Bewußtseins ist eine höchststufige
Eigenschaft des jeweils aktiven phänomenalen Modells der Wirklichkeit. Die
globale Einheit des Bewußtseins in diesem Sinne einer konkret erlebten
Ganzheitsqualität höchster Stufe scheint die allgemeinste phänomenologische
Eigenschaft des bewußten Erlebens überhaupt zu sein. Deshalb ist sie auf
begrifflicher Ebene nur sehr schwer zu erfassen.
3.9 Bewußtsein
als die Kernvariante des Leib-Seele-Problems
Das klassische
Leib-Seele-Problem ist in der Diskussion nach dem zweiten Weltkrieg in eine
Vielzahl von Varianten aufgefächert worden. Hier ist eine Auswahl solcher
Varianten:
- Die nomologische Inkommensurabilität
personaler und subpersonaler Beschreibungsebenen: Weil die logischen Subjekte
der personalen und der subpersonalen Beschreibungsebene unterschiedlich sind,
können wir keine detaillierten Kausalketten über diese Ebenen hinweg
beschreiben. Deshalb gibt es auch keine gesetzesartigen Verallgemeinerungen,
die Schritt für Schritt optimiert werden könnten, es gibt keine strengen
(homonomen) psychophysischen Gesetze.
- Mentale Universalien: Eine
philosophische Theorie des Geistes ist nur dann interessant, wenn sie uns über
das Wesen bestimmter Typen von
mentalen Zuständen aufklärt. Sie muß generelle Aussagen über Klassen solcher
Zustände zulassen. Das philosophische Projekt besteht gerade in der Suche nach
einer "universellen Psychologie". Nach allgemeiner Auffassung zeigt
das Multirealisierbarkeits-Argument[44]
jedoch, daß mentale Zustände prinzipiell durch eine breite Palette
unterschiedlicher physischer Zustände physisch realisiert sein können (ähnlich wie ein und dasselbe
Computerprogramm auf verschiedenen Rechnern laufen kann). Dann ist der
generelle Physikalismus (type physicalism)
falsch. Der partikulare Physikalismus (token
physicalism) verbaut uns den Zugriff auf mentale Universalien.
- Das Liberalismus-Chauvinismus-Dilemma des
klassischen Funktionalismus: Wenn wir mentale Zustände über ihre kausale Rolle
individuieren, dann zeigt sich, daß die sich ergebenden Kriterien für die
Zuschreibung solcher Zustände immer entweder zu streng oder zu liberal sind.
Abstrakte Beschreibungen mentaler Zustände, wie sie zum Beispiel durch
Programmlistings oder Turing-Maschinentafeln gegeben werden können, erfassen
die Konkretheit, die Prozessualität und die Parallelität phänomenaler Zustände
nicht.
- Mentale Verursachung: Nicht-reduktive
Formen des Materialismus wie die Supervenienz-Theorie scheitern (genau wie die
klassischen Formen des interaktionistischen Dualismus und des
Epiphänomenalismus) daran, daß sie keine befriedigende Erklärung abwärtsgerichteter Verursachung durch
mentale Zustände entwickeln können. Die starken Varianten kollabieren in eine reduktionistische
Identitätstheorie, die schwachen Formen erfassen die Individuengebundenheit von
Bewußtsein nicht mehr.
- Brentanos Problem: Viele mentale
Zustände besitzen einen intentionalen Gehalt. Sie sind auf einen Teil der Welt
gerichtet und enthalten ihn in einem mysteriösen Sinn ("mentale
Inexistenz"). Es ist völlig unklar, wie diese Bezüglichkeit, die Tatsache,
daß mentale Zustände eine Bedeutung
besitzen, auf natürliche Relationen in der physikalischen Welt zurückgeführt
werden könnte.
- Die Rationalität des Mentalen: Wie
können Gründe Ursachen sein? Um an unsere eigene Vernünftigkeit und auch die
Rationalität unserer Theorien über die Beziehung zwischen Leib und Seele
glauben zu können, muß die Einsicht in Gründe eine kausale Rolle in unserem Verhalten
spielen können. Beziehen sich Rationalitätszuschreibungen auf mentale Prozesse,
oder nur auf extern beobachtbare Verhaltensmuster?
- Personale Identität: Gibt es scharfe
Kriterien, anhand derer wir eine transtemporale Identität von Personen auszeichnen
können? Gibt es eine sich in der zeitlichen Entwicklung durchhaltende
Kerneigenschaft von solchen Systemen, denen wir die Eigenschaft der
Personalität zuschreiben wollen?
- Parallelität versus Serialität: Was ist
das Verhältnis von seriellen kognitiven Operationen mit
symbolisch-propositionalem Gehalt zu subsymbolischen Vorgängen
parallel-distribuierter Informationsverarbeitung auf der
"mikrokognitiven" Ebene neuronaler Informationsverarbeitung?
- Subjektive versus objektive Zeit: Wie
kann aus Einzelereignissen auf der physischen Ebene eine innere Zeitordnung entstehen? Was ist die Beziehung zwischen
physikalischer und psychologischer Zeit?
- Theorieneutrale innere Gegebenheiten:
Was ist der erkenntnistheoretische Status der Introspektion? Gibt es ein von
allen sprachlichen Beschreibungen unabhängiges und nicht
"theorieinfiziertes" Wissen über mentale Zustände? Was sind die
Falsifikationsbedingungen bei der introspektiven Selbstzuschreibung
psychologischer Eigenschaften? Gibt es eine erkenntnistheoretische Autorität
des Subjekt bezüglich seiner eigenen Zustände?
Diese kleine
Liste von Leib-Seele-Problemen ließe sich leicht fortsetzen. Vor allem könnte
man die hier skizzierten Fragen im einzelnen noch wesentlich genauer
differenzieren.[45] Sie zeigen
aber bereits etwas anderes: Das Problem des Bewußtseins ist die Kernvariante des Leib-Seele-Problems.
Und diese Variante des Problems hat schon Thomas Nagel in seinem klassischen
Aufsatz aus dem Jahre 1974 als hoffnungslos bezeichnet, mit einem Satz, der
seitdem häufig zitiert worden ist:
Ohne das Thema
'Bewußtsein' wäre das Leib-Seele-Problem weit weniger interessant. Mit dem
Thema 'Bewußtsein' scheint es hoffnungslos zu sein.[46]
Daß Nagel recht hat, sieht man ganz einfach
daran, daß eine Lösung des Bewußtseinsproblems das Interesse der meisten Leute
an den oben aufgelisteten Fragen sofort deutlich verringern würde. Wenn es eine
empirisch, begrifflich und vor allem auch intuitiv überzeugende Theorie darüber
gäbe, wie phänomenales Bewußtsein in seinem vollen Gehalt - also: unser eigenes bewußtes Erleben - ein Teil der
natürlichen Welt sein kann, dann wären diese Fragen auf einmal nur noch
technische Probleme für analytische Spezialisten oder für die Hirnforscher. Auf
der anderen Seite ließe uns eine komplette und detaillierte Beantwortung all
dieser Fragen unbefriedigt, wenn sie uns nicht sagt, was bewußtes Erleben ist. Bewußtes Erleben ist fast immer das, was wir eigentlich verstehen wollen. Es ist
nicht nur die intuitive Wurzel, sondern auch die theoretische Kernvariante des
Leib-Seele-Problems.
3.10 Aufbau
einer Theorie phänomenalen Gehalts
Es geht
allerdings nicht nur darum, einzelne Explananda zu isolieren, indem man sie
möglichst präzise und differenziert beschreibt. Erforderlich ist auch, daß
solche Analysen zukünftig in einen systematischen Gesamtzusammenhang gestellt
werden. Was deshalb erarbeitet werden muß, ist eine generelle Theorie phänomenalen Gehalts, eine
umfassende Theorie des bewußten Erlebens.
Eine solche
Theorie müßte zunächst Abgrenzungskriterien für den Phänomenbereich des
bewußten Erlebens liefern (dies war Brentanos Ausgangsproblem). Das betrifft in
erster Linie die Unterscheidung zwischen bewußten und unbewußten mentalen
Zuständen: Was genau ist es, das einen mentalen Zustand zu einem Inhalt des bewußten
Erlebens macht? Auf welche Weise beeinflussen unbewußte mentale Zustände die
Struktur und den expliziten Gehalt phänomenaler Zustände? Die empirische
Forschung hat, besonders im Bereich der kognitiven Neuropsychologie, längst
gezeigt, das die Unterscheidung zwischen „bewußt“ und „unbewußt“ keine einfache
Alles-oder-Nichts-Unterscheidung ist.[47]
Deshalb müßte eine Theorie phänomenalen Gehalts genauer untersuchen, was die
Eigenschaft der „Phänomenalität“ ist. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die
Entwicklung von Zuschreibungskriterien für phänomenale Zustände: Unter welchen
Bedingungen kann man davon ausgehen, das ein beliebiges System bewußte
Erlebnisse besitzt?[48]
Es geht also auch darum, empirisch plausible und pragmatisch befriedigende
Kriterien für das zu entwickeln, was
unter erkenntnistheoretischer Perspektive das Other-Minds-Problem oder das Problem des Fremdpsychischen ist. Es
mag durchaus sein, daß Beschreibungen phänomenaler Zustände mit Hilfe von
Begriffen wie „Information“, „Repräsentation“ oder „Gehalt“ bald aufgegeben
werden, etwa zugunsten des terminologischen Instrumentariums, das uns die
nichtlineare Dynamik anbietet. Solange dies noch nicht der Fall ist, muß jede
Theorie phänomenalen Gehalts - das ist ein dritter Punkt - auch die Beziehung dieser
speziellen Form von Gehalt zu anderen Formen von Gehalt untersuchen. Das
betrifft besonders den intentionalen und den unbewußten Gehalt mentaler
Zustände.
Die empirische
Bewußtseinsforschung nähert sich dem Problem des Bewußtseins auf einer Vielzahl
von Beschreibungsebenen. Dadurch entsteht die Frage, welche dieser
Beschreibungsebenen für eine an maximaler begrifflicher Präzision orientierte
philosophische Theorie des Bewußtseins am interessantesten ist. Ich denke, was
wir brauchen, sind letztlich mathematische Modelle der phänomenalen Ontologie
des menschlichen Gehirns. Welche Wissenschaft liefert uns die besten abstrakten
Beschreibungen der Struktur des phänomenalen Raums und der Dynamik phänomenaler
Zustände? Lassen sich mathematische Modelle des neuronalen Korrelats von
Bewußtsein auf interessante Weise mit den aus philosophischer Sicht relevanten
theoretischen Entitäten verknüpfen? Diese Frage ist offen. Wenn es sich zum
Beispiel zeigen sollte, daß sich die Struktur und die Dynamik unseres Bewußtseins
unter einem durch Prinzipien der Zeitkodierung erweiterten konnektionistischen
Ansatz plausibel beschreiben läßt, dann könnte man das von Thomas Nagel
formulierte Projekt einer objektiven
Phänomenologie als eine
„Neuroinformatik phänomenaler Zustände“ bezeichnen.
Die
Hauptschwierigkeit bestünde hier darin, unscharfe mentale Universalien der
Alltagsphänomenologie bzw. klassischer Theorien des Geistes auf sinnvolle Weise
mit dem erst im Entstehen befindlichen Begriffsapparat einer (z.B. am Modell
der Informationsverarbeitung orientierten) empirischen Psychologie zu
verknüpfen. Das darüber hinausgehende philosophische
Projekt einer universellen Theorie des Geistes verlangt sogar, daß
"Bewußtsein" als eine mentale
Universalie rekonstruiert wird. Der philosophische Traum besteht nämlich
nicht nur in einer generellen, sondern auch in einer universellen Theorie des
bewußten Erlebens. Das bedeutet, daß man über hardware- und speziesunabhängige Zuschreibungskriterien eine
Theorie des Bewußtseins entwickelt, die eine Antwort auf die Frage gibt, was
Bewußtsein bei allen möglichen
Systemen, die diese Eigenschaft besitzen, zu Bewußtsein macht. Es könnte allerdings sein, daß genau dieses
Projekt im Verlaufe einer Naturalisierung des Mentalen aufgegeben werden muß,
weil die für die Klärung des Begriffs notwendigen
"bottom-up-constraints" zu stark sind und uns deshalb in einen
Anthropozentrismus verwickeln.
4.
Die gegenwärtige Situation und die Beiträge des Bandes
Das Ziel der
hier vorliegenden Textsammlung besteht unter anderem darin, einen auf hohem
Niveau angelegten Querschnitt durch die aktuelle Debatte anzubieten.[49]
Dabei habe ich eine Fokussierung auf Spezialthemen absichtlich vermieden und
gleichzeitig versucht, den Leser mit den Mitteln zu versehen, seine eigenen Interessen
nach der Lektüre effektiv weiter zu verfolgen. Die Beiträge des Bandes
operieren deshalb - entsprechend den verschiedenen thematischen Bereichen der
Diskussion - auf unterschiedlichen Ebenen der Abstraktion und mit verschiedenen
Graden der Interdisziplinarität. Bei der Zusammenstellung der Texte für diese
Sammlung wurde darauf geachtet, daß es sich um Beiträge handelt, welche
wichtige und zukunftsweisende Hauptlinien der Gegenwartsdiskussion markieren.
Außerdem habe ich ein großes Gewicht auf die Originalität der Beiträge gelegt.
Mit Ausnahme des Aufsatzes von Peter Bieri, der hier zum ersten Mal in Buchform
erscheint, handelt es sich ausschließlich um deutsche Erstveröffentlichungen.
Die Arbeiten von Patricia Churchland, Owen Flanagan, Ned Block und Tyler Burge
sind teilweise überarbeitete Versionen von Texten die zeitgleich oder kurz
zuvor an anderer Stelle auf Englisch erschienen sind. Alle anderen Beiträge und
insbesondere die Bibliographie am Ende sind ausschließlich für dieses Buch
verfaßt worden. Die normalerweise an dieser Stelle übliche Darstellung des
Inhalts und der Zielsetzung der einzelnen Aufsätze habe ich angesichts des
großen Materialumfangs in die neun kurzen Einleitungen zu den thematischen
Blöcken des Bandes verlegt. Dort findet sich dann jeweils auch ein knappe
Auswahl von speziellen Literaturempfehlungen. Ich hoffe, daß dies der
Übersichtlichkeit dient und den Benutzern die Arbeit mit dem Buch erleichtert.
Literatur:
Anton,
G. (1899). Über die Selbstwahrnehmungen der Herderkrankungen des Gehirns durch
den Kranken bei Rindenblindheit und Rindentaubheit. Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 32, 86-127.
Baars,
B.J. (1988). A Cognitive Theory of
Consciousness. Cambridge: Cambridge
University Press.
Baars,
B.J. (im Druck). Consciousness regained:
The New Science of Human Experience. Oxford: Oxford University Press.
Benson,
D.F. & Greenberg, J.P. (1969). Visual Form Agnosia. Archives of Neurology, 20, 82-89.
Bieri,
P. (1981). Einleitung: Selbstbewußtsein,
Privatheit und Subjektivität. In P. Bieri (1981; 2. Auflage 1993)[Hrsg.], Analytische Philosophie des Geistes. Königstein: Hain.
Block, N. & Fodor, J. (1972). What psychological states are not. In N. Block (1980)[ed], Readings in Philosophy of Psychology, Vol. 1. Methuen: Cambridge & MA.
Block,
N. (1980a). Are absent qualia impossible? Philosophical
Review, 89, 257-74.
Block,
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[1] Eine Auswahl solcher Bücher findet sich in Sektion 1.3 der Bibliographie im Anhang dieses Bandes.
[2] Vgl. Penrose 1995: 7ff. Wichtige weitere Texte zu der Debatte um eine eigene Bewußtseinswissenschaft sind Baars 1988, Baars 1996, Chalmers 1996, Flanagan 1992: 213ff, Revonsuo 1994: 249ff, die Textsammlung von Hameroff et al. 1996 und die fortlaufende Diskussion in Anschluß an Chalmers 1995. Vgl. auch Scott 1995 und Velmans im Druck.
[3] Bezüglich skeptischer Überlegungen zu diesem Punkt vgl. die im zweiten Teil dieses Bandes zusammengestellten Texte von Kathy Wilkes, Martin Kurthen und David Papineau.
[4] In der neueren Diskussion hat niemand diesen Punkt so deutlich gesehen und hervorgehoben wie Thomas Nagel. Vgl. Nagel 1992; dazu auch 1984 und 1991.
[5] Vgl. Flanagan 1992: Kapitel 11.
[6] Wieder ist es Thomas Nagel, dessen
Verdienst es ist, diesen Punkt in einem ungünstigen ideologischen Klima sehr
deutlich hervorgehoben hat, zuerst in Nagel 1974 (deutsch 1981). Vgl. auch
Nagel 1984, 1992 und die in Sektion 3.7 der Bibliographie zusammengestellten
Texte. Zur Kritik der Annahme perspektivischer "Erste-Person-Fakten"
vgl. Lycan 1987: Kapitel 2, Malcolm 1988, Metzinger 1993: Kapitel 4 &
5, Metzinger 1995.
[7] Vgl. Nagel 1974.
[8] Andere häufig verwendete Ausdrücke sind qualia, secondary qualities, sensory qualities, subjective qualities of experience, experiential properties oder the subjective character of experience. Vgl. z.B. Kirk 1994 und Clark 1992.
[9] Eine speziell auf die philosophische Problematik zugeschnittene Einführung bietet Hardin 1988.
[10] Zum Begriff der „semantischen Transparenz“ vgl. Metzinger 1993, van Gulick 1988a, b.
[11] Vgl. z.B. Bieri 1981: 206. Eine Einschränkung dieses Prinzips nimmt Tyler Burge in seinem hier abgedruckten Beitrag vor.
[12] Vgl. Frank 1991.
[13] Vgl. Nagel 1986: 61.
[14] Vgl. Nagel 1992: 99.
[15] Vgl. dazu den Beitrag von Eva Ruhnau im dritten Teil dieses Bandes und die in der Einleitung zu diesem Teil gegebenen Literaturhinweise.
[16] Eine gute Einführung in die empirische Seite der Problematik findet sich in Pöppel 1987, vgl. auch Pöppel 1978.
[17] Vgl. Penfield 1975.
[18] Das muß nicht so sein, denn es gibt auch Träume, in denen wir ein kritisches Verhältnis zur phänomenalen Realität entwickeln, sogenannte "luzide Träume". Weitere Literaturverweise zum Phänomen des luziden Traums finden sich in der Einleitung zum siebten Teil dieses Bandes und in Metzinger 1993. Bezüglich der Bedeutung von Träumen für die Philosophie des Bewußtseins im allgemeinen verweise ich den Leser auf den Beitrag von Owen Flanagan in diesem Teil.
[19] Vgl. Anton 1899, Benson & Greenberg 1969.
[20] Bezüglich des Niedergangs introspektionistischer Forschungsprogramme vgl. Lyons 1986.
[21] Vgl. Brentano 1973[1874]: 124f.
[22] Vgl. hierzu Rosenthal 1986, 1993; bezüglich Rosenthals eigener Theorie des Bewußtseins siehe Rosenthal 1996 sowie seinen Beitrag im sechsten Teil dieses Bandes.
[23] Vgl. Dretske im Druck.
[24] Das gilt zum Beispiel für die von Lycan als banana-peel-Fehlschluß bezeichnete Form einer Akt-Objekt-Äquivokation, die er in seiner Kritik an Nagels Begriff des „objektiven Selbst“ und auch Kripkes essentialistischem Argument gegen die Identitätstheorie diagnostiziert. Vgl. Lycan 1987: 79f & 17, Nagel 1992, Kripke 1972.
[25] Vgl hierzu wieder Dretske im Druck.
[26] Zum Begriff der „Supervenienz“ vgl. Kim 1993.
[27] Vgl. hierzu den Text von Peter Bieri im ersten Teil.
[28] Vgl. hierzu Campbell 1970, Kirk 1974 sowie einige der in den Sektionen 3.2 und 3.8 aufgeführten Texte.
[29] Vgl. Chalmers 1996.
[30] Vgl. Shoemaker 1975, Block & Fodor 1972, Block 1980a, b, den Text von David Chalmers im fünften Teil dieses Bandes und die Literaturhinweise in Sektion 3.8 der Bibliographie.
[31] Vgl. Lycan 1973, Shoemaker 1982, Block 1990, Horgan 1984, Hardin 1996, Nida-Rümelin 1995, den Text von David Chalmers im fünften Teil und die Literaturhinweise in Sektion 3.8 der Bibliographie.
[32] Vgl. Williams 1988.
[33] Vgl. Ryle 1949.
[34] Vgl. hierzu McGinn 1989 und, aus anderen Perspektiven, die Texte des zweiten Teils
[35] Vgl. hierzu Jackson 1982, Nagel 1974, die in diesem band abgedruckten Texte von Nida-Rümelin, Lycan, Papineau sowie die in der Einleitung zum vierten Teil sowie in Sektion 3.7 der Bibliographie gegebenen Literaturhinweise.
[36] Vgl. Kripke 1972, 1977. Kripke hatte dort argumentiert, daß psychophysische Identitätsthesen, die auf beiden Seiten der Aussage starre Designatoren wie „mein Blauerlebnis vom Typ P“ und „mein Hirnzustand vom Typ X“ einsetzen, falsch sein müssen, da Identität in diesem Sinne eine notwendige Identität ist, die in allen logisch möglichen Welten besteht. Da wir uns jedoch alle vorstellen können, den betreffenden mentalen Zustand - z.B. das Quale von Pantone Blue 72 - zu besitzen, ohne uns in dem fraglichen Hirnzustand zu befinden, handelt es sich hierbei höchstens um kontingente Identitätsaussagen und deshalb in diesem Sinne um falsche Identitätsaussagen.
[37] Die Texte von David Papineau und Robert Kirk in diesem Band sind Versuche, einen Beitrag zur Schliessung dieser Lücke zu leisten.
[38] Das hat Robert van Gulick in seinem Beitrag zu diesem Band getan.
[39] Zur Frage der Unaussprechlichkeit phänomenalen Gehalts verweise ich auf den Beitrag von Diana Raffman in diesem Band.
[40] Vgl. hierzu den Beitrag von Thomas Metzinger in diesem Band.
[41] In der Tat entstehen viele der nicht-trivialen Mißverständnisse in der aktuellen Diskussion genau dadurch, daß die lange Geschichte des Begriffs „Bewußtsein“ so ungemein reichhaltig und voll von semantischer Komplexität ist: Das Problem des Bewußtseins ist nicht nur das größte persistierende Problem auf dem Weg zu einem vollständigen naturwissenschaftlichen Bild der Welt, sondern auch deshalb so hartnäckig, weil es aus einem unüberschaubaren Geflecht historisch-kultureller Wurzeln erwächst. Ich verzichte deshalb in dieser Einleitung absichtlich auf eine historische Darstellung der Entwicklung des modernen Bewußtseinsbegriffs. Eine solche begriffsgeschichtliche Darstellung könnte an dieser Stelle schon allein aus Platzgründen nur weniger als eine grobe Skizze sein. Reichhaltige Literaturhinweise zur Begriffsgeschichte von „Bewußtsein“ in Philosophie und Psychologie finden sich bei Diemer 1971, Grauman 1966, Güzeldere 1995a, 1995b und Sachs-Hombach 1994.
[42] Vgl. hierzu die Texte im sechsten Teil dieses Bandes und die in der Einleitung zu diesem Teil gegebenen Literaturhinweise.
[43] Vgl. hierzu den Beitrag von Thomas Metzinger im siebten Teil.
[44] Vgl. Putnam 1967.
[45] Vgl. Metzinger 1985, 1990, 1991.
[46] Vgl. Nagel 1974: 261.
[47] Siehe etwa Kihlstrom 1993.
[48] Vgl. zu dieser Frage den Text von Dieter Birnbacher am Ende dieses Bandes.
[49] Eine ausgezeichnete Zusammenstellung kanonischer Texte
der neueren angelsächsischen Debatte findet sich in Block et al. 1996. Einen guten Überblick über den aktuellen Stand und die
Hauptlinien der deutschen Binnendiskussion vermittelt der von Sybille Krämer
herausgegebene Sammelband; vgl. Krämer 1996. Zwei wichtige interdisziplinär
ausgerichtete Textsammlungen sind Marcel & Bisiach 1988 sowie Davies &
Humphreys 1993. Weitere Textsammlungen sind unter den Abschnitten 2.1 bis 2.3
der Bibliographie am Ende dieses Bandes aufgeführt.