Vorlesung: Vergleichende Physiologie der Sinnesleistungen (WS 2003/04)

Lehrbücher:
Campenhausen, C. von (1992) Die Sinne des Menschen. 2. Aufl., Thieme Verlag, Stuttgart
Heldmaier, G., Neuweiler, G. (2003) Vergleichende Tierphysiologie. Band 1. Neuro- und Sinnesphysiologie. Springer Verlag
 
 
 

Farbensehen
 

Teil 1: Das Farbensehen des Menschen

Farbe - Physikalische Eigenschaft des Lichtes oder Empfindung?

Isaac Newton (1642-1727)
Experimente mit dem Prisma. Weißes Licht in die Spektralfarben zerlegt, Teil-Bereiche des Spektrums additiv gemischt ergeben neue Farben. Daraus folgt, farbiges Licht des Spektrums ist unterschiedlich brechbar. Das ist die physikalische Eigenschaft. Farbe entsteht erst in unserem Sensorium. (Newton: Opticks or a treatise of the reflections, refractions, inflections & colors of light (1703). Dover Publications, New York, 1979)

Thomas Young (1773-1829)
Wellennatur des Lichtes; drei schwingende Elemente (z.B. drei Typen von Nervenfasern) in der Netzhaut genügen, um alle Farben zu erzeugen.

Experimenteller Nachweis der Existenz von drei Typen von Zapfen durch additive Farbmischung durch Hermann von Helmholtz und James Clerk Maxwell.
Trichromatische Theorie des Farbensehens (auch Dreikomponenten-Theorie).

Direkter Nachweis der drei Zapfentypen
1.) Durch intrazelluläre Ableitung aus den Zapfen des Karpfen durch Tomita (1963)
2.) Durch Mikrospektrophotometrie von Marks (1965)
3.) Durch Patch-clamp-Ableitungen von Julie Schnapf (1987)
 

Literatur:
Tomita, T. et al. (1967) Spectral response curves of single cones in carp. Vision Res. 7: 519-523
Marks WB et al. (1964) Visual pigments of single primate cones. Science143: 1181-1183
Schnapf, J., Baylor, D.A. (1987) How photoreceptors respond to light. Sci. Amer. April 1987, 40, oder Spektrum der Wissenschaft, Juni 1987
 

Sehpigment: Rhodopsin, aus Opsin und Retinal

In Zapfen: drei Typen von Opsin, die sich in ihrer Aminosäuresequenz unterscheiden.
Analyse der Gene für die vier Opsinmoleküle beim Menschen durch Nathans (1986).

Literatur:
Nathans, J. (1989) The Gene für das Farbensehen. Spektrum der Wissenschaft, April 1989
Neitz, M., Neitz, J. (1998) Molecular Genetics and the biological basis of color vision. In: W. Backhaus et al. (Eds) Color Vision. De Gruyter, Berlin
 

Die Sehkaskade

Das Absorptionsspektrum des Sehpigmentes gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der Licht einer bestimmten Wellenlänge (oder Lichtquenten einer bestimmten Energie) absorbiert werden. Der Prozess der Transduktion führt dazu, daß die Absorption eines Lichtquants zu einer Änderung im Membranpotential der Sinneszelle führt. Die Änderung ist umso größer, je mehr Lichtquanten absorbiert werden. Die Antwort des Photorezeptors enthält keine Information über Wellenlänge oder Energie des Lichtquants, da sie nur von der Gesamtzahl der absorbierten Lichtquanten abhängt (Univarianz-Prinzip nach Rushton). D.h. jeder einzelne Photorezeptortyp ist "farbenblind". Information über Farbe entsteht erst im Gehirn durch Vergleich der Erregungswerte der spektral verschiedenen Photorezeptortypen.

Es ist eine Aufgabe der Hirnforschung herauszufinden, wie die von den Photorezeptoren kommende Information in Retina und Gehirn verarbeitet wird, damit es zu Farbwahrnehmung kommt. Die Eigenschaften der hieran vermutlich beteiligten Nervenzellen werden in elektrophysiologischen Ableitungen untersucht. Beim Menschen ist das Areal V4 des visuellen Cortex offenbar für die Farbwahrnehmung entscheidend. Schädigungen dieses Areals führen zu Achromatopsie.
 

Literatur:
Hubel, D.H. (1989) Auge und Gehirn. Spektrum Verlag
Zeki, S. (1993) A vision of the brain. Blackwell Scientific Publications

Die Eigenschaften des Farbensehens können nur in psychophysischen Experimenten (beim Menschen) oder in verhaltensphysiologischen Experimenten (bei Tieren) untersucht werden.
Experimentell zu quantifizierende Eigenschaften sind: Additive Farbmischung, Spektrale Empfindlichkeit, Unterschiedsempfindlichkeit für Wellenlängen (-Funktion), simultaner und sukzessiver Farbkontrast, Farbkonstanz, Urfarben, Gegenfarben, Farbkategorien.
 
 

Teil II: Farbensehen bei Tieren

Experiment von Karl von Frisch zum Nachweis des Farbensehens bei Bienen und Fischen (Ellritzen). Gezeigt wurde, daß die Farben, auf die die Tiere dressiert wurden, nicht lediglich als Helligkeitsstufen gesehen werden.

Die beste Methode, um Farbensehen zu untersuchen, ist die Dressur, bei der mit Futter belohnt wird. Sowohl Biene als auch Goldfisch lassen sich besonders gut dressieren und deshalb ist ihr Farbensehen am besten untersucht. Der Goldfisch eignet sich zudem, im Gegensatz zur Biene, hervorragend für elektrophysiologische Analysen der Retina. Er ist deshalb ein wichtiges Versuchstier für die Untersuchung der Frage, wie die Informationsverarbeitung beim Farbensehen (und anderen visuellen Funktionen) erfolgt.

Im Gegensatz zu der Ergebnissen der Mikrospektrophotometrie und der Elektrophysiologie, die drei Zapfentypen beim Goldfisch nachwiesen, zeigten die Verhaltensexperimente, daß der Goldfisch vier Typen von Zapfen besitzt, wobei der vierte ein UV-Zapfentyp ist. Der Goldfisch besitzt ein tetrachromatisches Farbensehen, wie mit additiver Farbmischung nachgewiesen werden konnte.

UV-Zapfen und tetrachromatisches Farbensehen sind auch bei Reptilien und Vögeln verbreitet, möglicherweise auch bei Amphibien. Säugetiere (mit Ausnahme der Primaten) haben im allgemeinen nur zwei Typen von Zapfen (S- und M/L) und ein dichromatisches Farbensehen. Mäuse und Ratten besitzen einen UV-Zapfen und einen S-Zapfen. Nur einen funktionierenden Zapfen haben der Nachtaffe (Aotus) aus Südamerika und manche marine Säugetiere.

Die vergleichende Analyse des Farbensehens und neuerdings auch die Analyse der Opsin-Gene erlauben Aussagen über die Evolution des Farbensehens. Während die Gene aller vier Opsine bei niederen Wirbeltieren und Vögeln sehr verschieden sind und damit sehr alt sein müssen, sind die Gene für M und L beim Menschen und den Altweltaffen sehr ähnlich und relativ (30 Millionen Jahre) jung. Die Neuweltaffen besitzen nur zwei Gene, für S- und M/L- Opsin, wobei letzteres in drei Allelen vorliegt. Wegen der X-chromosomalen Vererbung sind Weibchen entweder Di- oder Trichromaten, während die Männchen immer Dichromaten sind.

Ein hochentwickeltes tri- oder tetrachromatisches Farbensehen ist somit ein sehr altes Wirbeltiermerkmal, das im Zuge der Entwicklung der Säugetiere z.T. verlorengegangen sein muß. Interessanterweise besitzen manche Marsupialier (kleine blütenbesuchende Arten) wahrscheinlich vier Zapfentypen.

Reptilien (mit Ausnahme der Schlangen) und Vögel besitzen in ihren Zapfen farbige Öltröpfchen, die das Licht im kurzwelligen Spektralbereich vollständig absorbieren. Dies wirkt sich in vorhersagbarer Weise beim Farbensehen aus, wie bei Schildkröten eindeutig gezeigt werden konnte.
 

Literatur:
Neumeyer C (1986) Wavelength discrimination in the goldfish. J Comp Physiol A 158: 203-213 Neumeyer C (1992) Tetrachromatic color vision in goldfish: evidence by color mixture experiments. J Comp Physiol A 171: 639-649
Przyrembel C, Keller B, Neumeyer C (1995) Trichromatic color vision in the salamander (Salamandra salamandra). J Comp Physiol A 176: 575-586
Arnold K, Neumeyer C (1987) Wavelength discrimination in the turtle Pseudemys scripta elegans. Vision Res 27: 1501-1511
Jacobs, G.H. (1993) The distribution and nature of colour vision among the mammals. Biol. Rev. 68: 413-471
Winter, Y., Lopez, J., v. Helversen, O. (2003) Ultraviolet vision in a bat. Nature 425: 612-614
 
 

Teil III: Farbkontrast und Farbkonstanz

Die biologische Bedeutung des Farbensehens besteht darin, farbige Objekte zu unterscheiden und wiederzuerkennen. Der Farbreiz, der in der Auge gelangt, besteht aus dem von der Oberfläche des Objektes reflektierten Licht. Die spektrale Verteilung dieses Lichtes hängt vom spektralen Remissionsgrad der Oberfläche und vom spektralen Strahlungsfluß der Beleuchtung ab. Da die spektrale Zusammensetzung des natürlichen Himmelslichtes starken Schwankungen unterworfen ist, müßte sich die wahrgenommene Farbe eines Objektes je nach Beleuchtungsfarbe ändern. Dies ist in der Regel nicht der Fall, da die Farbensehsysteme über die Eigenschaft der Farbkonstanz verfügen.

Die Güte der Farbkonstanzleistung, sowie die Bedingungen, unter denen sie auftritt, lassen sich auch bei Tieren quantitativ untersuchen. Bei der Biene und beim Goldfisch zeigten Dressurexperimente eine erstaunlich hohe Fähigkeit der Farbkonstanz. Die Methode besteht darin, dem Tier gleichzeitig eine Reihe von ca. 10 sehr ähnlicher Farbstufen (z.B. von Blau über Grau nach Gelb, oder von Grün über Grau nach Rot) zu zeigen und auf eine mittlere Farbstufe zu dressieren, wobei die gesamte Anordnung von weißem Licht beleuchtet wird. Im Test auf Farbkonstanz wird mit farbigem Licht beleuchtet. Farbkonstanz ist dann gegeben, wenn das Tier die Dressurfarbe weiterhin wählt, obwohl diese die Rezeptortypen in einem anderen Verhältnis reizt als bei weißem Licht, und obwohl es bei farbigem Licht eine andere Farbstufe gibt, die dasselbe Erregungsverhältnis hervorruft wie vorher die Dressurfarbe bei weißem Licht. Die Tatsache, daß das Tier diese Farbstufe nicht wählt, ist der beste Beweis für Farbkonstanz.

Mit derselben Methode läßt sich auch der simultane Farbkontrast untersuchen. Hier erfolgt die Dressur auf grauem Hintergrund, der Test bei farbiger Umgebung. In diesem Falle ändert sich das Wahlverhalten. Die Dressurfarbe wird nicht mehr gewählt, statt dessen eine andere Farbstufe. Damit zeigen die Tiere an, daß sich alle Farben in ihrem Farbton geändert haben.

Farbkonstanz läßt sich qualitativ mit dem von Kries'schen Koeffizientensatz beschreiben.
Durch die Koeffizienten werden die Erregungswerte der Rezeptor-"Kanäle" gewichtet.
Als Mechanismen kommen Adaptationsprozesse in den einzelnen Photorezeptoren, laterale neuronale Interaktion und zentrale Umstimmungprozesse in Frage. Simultaner Farbkontrast läßt sich im wesentlichen durch neuronale laterale Interationen erklären.

Literatur:
Neumeyer, C. (1980) Simultaneous color contrast in the honeybee. J. Comp. Physiol. 139: 165-176
Neumeyer, C. (1981) Chromatic adaptation in the honeybee: successive color contrast and color constancy. J. Comp. Physiol. 144: 543-553
Dörr, S., Neumeyer, C. (2000) Color constancy in goldfish: the limits. J. Comp. Physiol. 186: 885-896

Die Notwendigkeit, die spektralen Änderungen des Himmelslichtes zu kompensieren, ist nach v. Campenhausen der entscheidende Selektionsdruck für die Evolution des Farbensehens. Ein Monochromat hat Probleme Flächen in konstanter Helligkeit wahrzunehmen.

Literatur:
Campenhausen, C. v. (1986) Photoreceptors, lightness constancy and color vision. Naturwissenschaften 73: 674-675