Bei geringen Lichtintensitäten sind bei Wirbeltieren die Stäbchen aktiv.
Der Verlauf der Dunkeladaptationskurve (Schwellenintensität als Funktion der Zeit nach Ausschalten des Lichts) ist nicht kontinuierlich, sondern zeigt einen Knick, der den Übergang vom Zapfen- zum Stäbchensehen widerspiegelt.
In einem klassischen Experiment konnten Hecht, Shlaer & Pirenne (1942) die absolute Empfindlichkeit der Stäbchen bestimmen. Die Versuchspersonen gaben in 60 % der Fälle die Antwort "gesehen", wenn 5-14 Lichtquanten in einem Areal von 1', das ca. 500 Stäbchen enthält, absorbiert wurden. Das heißt, ein absorbiertes Lichtquant genügt, um ein Stäbchen zu aktivieren. Die Unsicherheit des Antwortverhaltens beruht auf der Quantenfluktuation des Lichtreizes.
Die Sehpigmente isomerisieren mit einer gewissen endlichen Wahrscheinlichkeit (ca. 5x10-12 s-1) spontan. Bei ca. 4x106 Pigmentmolekülen pro Stäbchen kann die absolute Sehschwelle durch diese Isomerisierungen limitiert sein.
Experimente an Kröten und Fröschen zeigen, daß spontane Isomerisierungen von der Temperatur abhängen. Bei 15 °C sind Kröten 10 mal so empfindlich wie der Mensch mit einer Körpertemperatur von 37 °C.
Bei Fischen ist das Absorptionsmaximum der Stäbchen an den Ausschnitt
des elektromagnetischen Spektrums in ihrem Lebensraum angepaßt. Im
Meer verschiebt sich das Maximum mit zunehmender Tiefe zu kleineren Wellenlängen
(von 500 zu 490-460 nm). Interessanterweise verschiebt sich das Maximum
bei Tiefseefischen im Baikalsee zu ähnlichen Werten, obwohl der Ausschnitt
des elektromagnetischen Spektrums bei längeren Wellenlängen liegt.
Dies deutet darauf hin, daß thermisches Rauschen ebenfalls ein Selektionsfaktor
sein kann. Pigmente, die im langwelligen absorbieren, sind anfälliger
für thermische Isomerisierungen.
Bei manchen Tiefsehfischen, die selbst langwelliges Licht mit Hilfe
ihrer suborbitalen Photophoshoren emittieren, gibt es ein Sehpigment, das
bei 700 nm sein Absorptionsmaximum besitzt. Dies beruht auf einem zusätzlichen
Chlorophyll-ähnlichen Pigment, das seine Energie auf das Retinal überträgt
(Photosensitivierung).
Thermisches Rauschen ist vermutlich auch der Grund dafür, daß bisher kein Tier bekannt ist, das infrarote Strahlung mit den Augen detektiert.
Wärmestrahlung wird von manchen Schlangen (Grubenottern
und Boas) mit den Grubenorganen detektiert.
Bei manchen Käfern (z.B. der Gattung Melanophila), die nach Waldbränden
ihre Eier in verkohlter Rinde von Bäumen ablegen, gibt es spezielle
Infrarot-empfindliche Sinnesorgane.
Literatur:
Hecht S., Shlaer S., Pirenne M.H. (1942) Energy, quanta and vision.
J. Gen. Physiol. 25: 819-839. (Siehe auch in v. Campenhausen)
Aho, A.-C. et al. (1988) Low retinal noise in animals with low body
temperature allows high visual sensitivity. Nature 334: 348-350.
Bowmaker J.K. et al. (1994) Visual pigments and the photic environment:
the cootoid fish of lake Baikal. Vision Research 34: 591-605
Douglas R.H. et al. (1998) Dragon fish see using chlorophyll. Nature
393, 423-424
Newman E.A., Hartline P.H. (1982) The infrared "vision" of snakes.
Sci. Amer. March 1982
Schmitz H, Bleckmann H (1998) The photomechanic infrared receptor
for the detection of forest fires in the buprestid beetle Melanophila acuminata.
J.Comp.Physiol.A 182:647-657
Arbeitsbereich von Stäbchen und Zapfen
Der gesamte Intensitätsbereich, in dem Stäbchen und Zapfen auf einfallendes Licht reagieren, beträgt ca. 10 logarithmische Einheiten, wobei ca. 3 auf die Stäbchen entfallen. Der Arbeitsbereich eines Zapfens beträgt jedoch nicht 7 sondern nur ca. 3 log Einheiten. Die Wirkung der intrazellulären Adaptationsmechanismen besteht darin, den Arbeitsbereich zu der im Gesichtsfeld vorherrschenden Lichtintensität zu verschieben. Da die Kennlinie des Photorezeptors logarithmisch ist, ergibt sich bei jeder Intensität I dieselbe Kontrastempfindlichkeit delta I/I (Weber'sches und Fechner'sches Gesetz). Da die Oberflächen von Objekten das Licht immer im gleichen Verhältnis reflektieren (zwischen 90 % = weiß und ca. 10 % = schwarz) sind die Photorezeptoren sehr gut an die natürlichen Verhältnisse (weniger gut an die bei Selbstleuchtern) angepaßt. Durch laterale Wechselwirkungen können die Kennlinien steiler werden und sich somit die Kontrastempfindlichkeit erhöhen.
Literatur:
Werblin F.S. (1973) The control of sensitivity in the retina. Sci.
Amer. Jan. 1973
Die Wirkung der lateralen Inhibition wurde beim Pfeilschwanzkrebs Limulus
(von Hartline und Ratliff) und in der Retina der Katze (von Kuffler) nachgewiesen
und untersucht. Bei Wirbeltieren sind die erregenden und hemmenden Areale
konzentrisch organisiert.
Kontrastverstärkung und optische Täuschungen (z.B. Mach'sche
Bänder und das Hermann-Gitter) lassen sich mit diesem Prinzip erklären.
Literatur:
Ratliff F. (1965) Mach Bands. Quantitative studies on neural networks
in the retina. Holden Day Inc.
siehe auch Wehner/Gehring und v. Campenhausen
Bewegungssehen
Für die systemtheoretische Analyse des Bewegungssehens wurde von
Bernhard Hassenstein die optomorische Reaktion des Rüsselkäfers
Chlorophanus
viridis gemessen. Die Ergebnisse führten zu dem Reichhardt'schen
Model der Bewegungsdetektion.
Der (hypothetische) Bewegungsdetektor besteht aus zwei Photorezeptor-"Kanälen",
deren Erregung multiplikativ verrechnet wird. Er reagiert optimal auf einen
bestimmten Zeitunterschied delta t zwischen dem Eintreffen des Lichtreizes
in den beiden Kanälen und ist richtungsspezifisch.
siehe v. Campenhausen
Mit der optomotorischen Reaktion reagieren Tiere aller Tiergruppen auf
gleichförmige Bewegung aller Strukturen des gesamten Gesichtsfeldes
(sog. Ganzfeldreiz). Sie interpretieren diese Bewegung als Eigenbewegung
und versuchen sie zu kompensieren, indem sie sich mitbewegen.
Diese Art des Bewegungssehens ist "farbenblind". Nur ein (spektraler)
Typ von Photorezeptoren ist beteiligt. Bei der Biene ist dies die "Grün"-Retinulazelle
(max. Empfindlichkeit bei 540 nm), beim Goldfisch der L-Zapfentyp (max.
Empf. bei 620 nm). Als Bewegungsreiz wird ein Streifenzylinder verwendet.
Literatur:
Kaiser W., Liske, E. (1974) Die optomotorische Reaktion von fixiert
fliegenden Bienen bei Reizung mit Spektrallichtern. J. Comp. Physiol. 89:
391-408
Schaerer S., Neumeyer C. (1996) Motion detection in goldfish investigated
with the optomotor response is "colo blind". Vision Research 36: 4025-4034