Parallele Verarbeitung der visuellen Information

Sowohl bei der Biene als auch beim Goldfisch trägt der jeweils langwelligste Photorezeptortyp sowohl zum Farbensehen als auch zum Bewegungssehen bei. Neuropharmakologische Experimente beim Goldfisch zeigen, daß beide Funktionen über getrennte "Kanäle" in der Retina verlaufen (C. Mora-Ferrer). Beim Goldfisch ist zudem bekannt, daß Farbensehen und hohes räumliches Aufklösungsvermögen einerseits, und Detektion von Helligkeit und Bewegungssehen anderereseits, getrennt verarbeitet werden. Beim Menschen und bei den Säugetieren ist dieses Prinzip der parallelen Verarbeitung zuerst entdeckt und genauer untersucht worden.

In der Retina von Säugern gibt es bereits verschiedene Typen von Ganglienzellen, die unterschiedliche Funktion haben:
    X-Zellen (midget; Axone bilden parvozelluläre Bahn): Farbensehen und Erkennung feiner Details
    Y-Zellen (Axone bilden magnozelluläre Bahn): Helligkeit und Bewegung
    W-Zellen (Axone ziehen zum Colliculus superior) Bewegung, wichtig für die Steuerung von Augenbewegungen

Neu: Ganglienzellen, deren Axone zum Nucleus suprachiasmaticus ziehen, enthalten in ihren Dendriten Melanopsin und sind dadurch lichtempfindlich.
 

Sehbahn:

Ganglienzellen der Retina, LGN (Geniculatum laterale), visueller Cortex (verschiedene Areale).
Der linke Teil des Gesichtsfeldes wird im rechten Cortex, der rechte im linken Cortex "abgebildet".
Retinotopie; Bereich der Fovea ist überrepräsentiert.
Im primären visuellen Cortex: Augendominanzsäulen (Schicht 4); Blobs; Orientierungssäulen.

Literatur:
Hubel, D.H. (1989) Auge und Gehirn. Spektrum
Seki, S. (1993) A vision of the brain. Blackwell Scientific Publications
Hattar, S. et al. (2002) Melanopsin-containing retinal ganglion cells: architecture, projections, and intrinsic photosensitivity. Science 295: 1065-1070
Hattar, S. et al. (2003) Melanopsin and rod-cone photoreceptive systems account for all major accessory visual functions in mice. Nature 424, 75 - 81
 

Räumliches Auflösungsvermögen (Sehschärfe)

Bau des Wirbeltierauges;
Auge des Menschen

Brechungsindices der optischen Medien:
    Cornea: n = 1,376
    Kammerwasser: n = 1,333
    Linse: n = 1,386

Die Cornea leistet die Hauptbrechkraft; Achsenparallele Strahlen werden auf der Retina gebündelt, bei Nahakkommodation ändert sich der Krümmungsradius der vorderen Linsenfläche von 10 mm auf 5 mm. Zur Berechnung der Abbildungsgröße auf der Retina verwendet man das "reduzierte" Auge, mit Knotenpunkt K, und Abstand des Knotenpunktes von der Retina = 16,8 mm.

Die optischen Eigenschaften des Auges erlauben ein räumliches Auflösungsvermögen von ca. 60-70 Zyklen/Grad Sehwinkel, d.h. zwei Striche sind dann noch getrennt abgebildet, wenn ihr Abstand 1' beträgt.

Limitierend für das Auflösungsvermögen ist die Beugung des Lichtes. Ein Punkt wird dadurch auf der Retina nicht als Punkt, sondern als Beugungsscheibchen abgebildet. Der Durchmesser des Beugungsscheibchens hängt von der Wellenlänge des Lichts und von D, der Größe der Linse (oder der Pupille) ab (W = lamda/D).

Die Dichte der Zapfen in der Fovea ist an die Größe der Beugungsscheibchen angepaßt. Der Durchmesser eines Zapfens beträgt ca. 2 (entspricht der Breite eines Streifens in einem gerade aufzulösendem Streifenmuster von 70 Zyclen/Grad). Kleinere Durchmesser der Photorezeptoren führen zu einer verminderten Güte der Lichtleitereigenschaften. Eine Verbesserung des räumlichen Auflösungsvermögens ist durch eine Vergrößerung des Auges zu erreichen (Adler und Falken, möglicherweise auch Vogel Strauß).

Literatur:
Land, M.F. & Nilsson, D.E. (2002) Animal eyes. Oxford Animal Biology Series
v. Campenhausen
 

Größenkonstanz

Abbildung im Auge (umgekehrtes Bild auf der Netzhaut) hängt von der Größe des Gegenstandes und von der Entfernung vom Auge ab. Größe des Netzhautbildes ist deshalb vieldeutig. Um einen Gegenstand in seiner "tatsächlichen" Größe zu sehen, benötigt das Gehirn Information über den Abstand des Gegenstandes vom Auge.

Nähert man im Greifbereich (zwischen 50 cm und 10 cm) einen Gegenstand, so wird er (mit Ausnahme der kleinsten Entfernungen) immer annähernd gleich groß gesehen, obwohl das Retinabild linear anwächst.
Experimente von Erich von Holst. Nachweis des Beitrags von Akkommodation und Konvergenz bei der Größenkonstanz. Dabei wird die Größe des Retinabildes mit der Stellung der äußeren Augenmuskeln und der Linse über die Efferenzkopie (und nicht über Propriozeptoren) verglichen.

Reafferenzprinzip von v. Holst und Mittelstaedt (1950) erklärt auch die Richtungskonstanz und die Vertikalkonstanz (unabhängig von Eigenbewegungen).

Literatur:
Holst E. von (1957) Aktive Leistungen der menschlichen Gesichtswahrnehmung. In: Zur Verhaltensphysiologie bei Tieren und Menschen. Gesammelte Abhandlungen I. Piper, München
 

Die wahrgenommene Größe des Gegenstandes bei gleichbleibendem Netzhautbild ändert sich bei Änderungen in Konvergenz und Akkommodation. Versuch: Man erzeugt ein Nachbild eines Gegendstandes in mittlerem Abstand und beobachtet die Größe des Nachbildes, indem man auf eine nahe stehende Fläche oder eine weit entfernte Fläche schaut.

Bei weiter entfernten Gegenständen entsteht Information über den Abstand aus:
Perspektive (Ponzo'sche Täuschung); Überschneidungen; Feinstruktur, Luftperspektive, parallaktische Verschiebungen bei Bewegung im Raum

Mondillusion (Der Mond erscheint in Horizontnähe größer als im Zenit).
 

Sehen räumlicher Tiefe

Räumlich ausgedehnte Körper führen zu einem nur zweidimensionalen Bild auf der Retina.

Drahtwürfel: Mit einem Auge gesehen - zwei räumliche Möglichkeiten

Schiefer Raum von Ames: Ein schiefwinkliger Raum, der dasselbe Retinabild entwirft wie ein rechtwinkliger, wird rechtwinklig gesehen. Größentäuschungen!
 

Binokulare Stereopsis

Für die Wahrnehmung räumlicher Tiefe ist das Sehen mit zwei Augen entscheidend. Wegen des Augenabstandes entstehen zwei unterschiedliche Retinabilder in den beiden Augen. Die sog. Querdisparität (die Differenz des Abstandes zweier im Auge benachbart abgebildter vertikaler Linien) ist für die Stärke des Tiefeneindrucks entscheidend.

Stereoskope entwickelt von Charles Wheatstone (1938).

Die Wahrnehmung räumlicher Tiefe ist nicht an die Objekterkennung gebunden. Experimente mit "random dot stereogrammen". Bela Julsez (1957).

Literatur:
Julesz B. (1971) Foundations of cyclopean perception. University of Chicago Press, Chicago