Wenn Sie
schon Sie einmal umgezogen sind, wissen Sie wahrscheinlich, wie
schwierig es ist, die richtige Farbe für die neuen vier
Wände zu finden.
Wir haben untersucht, wie
ein Raum gestrichen werden sollte, damit er höher
erscheint.
Architekturexperten verweisen hierbei gerne auf eine Faustregel:
“Wenn
Ihre Decken niedrig sind, streichen Sie sie ein oder zwei Töne
heller
als die Wände, damit sie höher aussehen”.
Es wird
also angenommen, dass
der Helligkeitskontrast
zwischen Decke und Wänden für die veränderte
Höhenwahrnehmung verantwortlich ist.
Erstaunlicherweise wurden
diese Annahmen jedoch nie in einem kontrollierten Experiment
überprüft.
Wir haben deshalb zwei Wahrnehmungsexperimente
durchgeführt, um mehr
über die Wirkung von Deckenhelligkeit, Wandhelligkeit und
Bodenhelligkeit auf die wahrgenommene Raumhöhe zu erfahren.
- Unsere Ergebnisse
bestätigten die Annahme, dass eine helle
Decke Räume höher
erscheinen
lässt.
- Jedoch fanden wir keine Hinweise
darauf, dass hierfür der
Kontrast zwischen Decke und Wänden wichtig ist.
- Im Gegenteil, die Experimente
zeigten, dass helle
Wände ebenfalls die wahrgenommene
Raumhöhe
erhöhen.
Dieser Effekt fand bisher bei Architekturexperten keine
Beachtung.
Alles in allem weisen unsere Ergebnisse darauf hin,
dass die Richtlinien für die Farbwahl bei niedrigen Decken
erweitert
werden müssen. Eine unseren Ergebnissen entsprechende
Faustregel könnte
wie folgt lauten:
- “Wenn
Ihr Raum höher scheinen soll, streichen Sie sowohl Decke als
auch Wände
in einer hellen Farbe. Die Bodenfarbe können Sie frei
wählen, da diese
keinen Einfluss auf die Raumhöhe hat!”
Unsere Studie wurde im Quarterly Journal of Experimental Psychology
veröffentlicht:
Oberfeld,
Daniel , Hecht, Heiko and Gamer, Matthias (2010). Surface
lightness influences perceived room height, The Quarterly Journal of
Experimental Psychology, Zuerst veröffentlicht
am: 16
April 2010 (iFirst)
[Abstract] [PDF]
[Link
zur Pressemeldung]
Experiment 1
Wir
präsentierten unseren Probanden dreidimensionale virtuelle Räume
(virtuelle Realität, VR). Die Räume variierten in
Deckenhöhe und
Oberflächenhelligkeit.
Zu
diesem Zweck wurde ein länglicher virtueller Raum entworfen,
mit einer
konstanten Tiefe von 6,0 m und einer Breite von 4,5 m. Die
Deckenhöhe
variierte zwischen 2,9 und 3,1. Dieser Raum wurde auf einer
großen
Projektionswand dargeboten (2,6 m Breite, 1,93 m Höhe). Die
stereoskopische Darbeitung erlaubte 3D-Sehen, so dass der Raum
realistisch wirkte.
Decke
und Boden des Raums waren immer jeweils gleich hell: entweder dunkel,
mittel oder hell. Im ersten Experiment veränderten wir die
Helligkeit
von Decke und Boden übereinstimmend, um einen
möglichst hohen Kontrast
zwischen "vertikaler” Oberflächenhelligkeit (Boden
und Decke) und
“horizontaler” Oberflächenhelligkeit
(Wände) zu erzeugen. Die
Helligkeit der Wände wurde unabhängig variiert
(dunkel, mittel und
hell).
Die
Grafik zeigt einen Raum mit dunklen Wänden und hellem
Boden/Decke auf
der Projektionswand im VR Labor sowie die
Kinnstütze, von der aus
die Teilnehmer die Räume betrachteten.
Jeder Teilnehmer sah jeden der verschiedenen Räume in einer
zufälligen
Reihenfolge und schätzte in jedem Durchgang die Höhe
der Räume ein.
Ergebnisse
- Erstaunlicherweise nahm die wahrgenommene
Höhe
auch mit der Wandhelligkeit
zu.
Wir fanden aber keine Hinweise darauf, dass der
Helligkeitskontrast zwischen Wänden und Decke eine Rolle
spielte. Wenn
dies der Fall gewesen wäre, hätte ein Raum mit
mittelheller Decke /
Boden und dunklen Wänden höher erscheinen sollen, als
ein Raum mit
mittelheller Decke / Boden und hellen Wänden, da bei ersterem
der
Kontrast stärker gewesen wäre. Unsere Ergebnisse
zeigten keinen solchen
Effekt, sie weisen vielmehr auf einen additiven Effekt von
Wandhelligkeit und Deckenhelligkeit hin.
Das
bedeutet, dass die wahrgenommene Höhe eines Raumes nicht nur
durch die
Helligkeit der Decke,
sondern auch durch die Helligkeit der Wände
beeinflusst wird!
Experiment
2
Im zweiten
Experiment wollten wir
herausfinden, ob der in Experiment 1 gefundene Effekt von der
Deckenhelligkeit, der Bodenhelligkeit oder einer Kombination von beiden
herrührte. Im ersten Experiment waren beide immer gleich hell
gewesen,
in Experiment 2 veränderten wir ihre Helligkeit nun
unabhängig
voneinander.
Wir
erwarteten, dass die Deckenhelligkeit einen größeren
Einfluss haben
würde auf die Höhenschätzung als die
Bodenhelligkeit.
Durch
die unabhängige Manipulation von Boden- und Deckenhelligkeit
wollten
wir außerdem untersuchen, ob es vielleicht eher die Gesamthelligkeit
eines Raumes ist, die seine gefühlte Höhe bestimmt.
Wenn die
Gesamthelligkeit der kritische Faktor wäre, müsste
eine helle Decke
kombiniert mit einem dunklen Boden die gleiche
Höhenschätzung
hervorrufen wie eine dunkle Decke kombiniert mit einem hellen Boden, da
in beiden Fällen die Gesamthelligkeit dieselbe wäre.
Der
Versuchsaufbau war ähnlich wie in Experiment 1. Die wirkliche
Höhe des
Raumes wurde auf drei Ebenen variiert (2.9, 3.0, oder 3.1 m). Auch die
Deckenhelligkeit hatte wieder drei Variationen: dunkel, mittel oder
hell. Die Bodenhelligkeit wurde unabhängig, aber mit den
gleichen
Stufen variiert. Die Wandhelligkeit war konstant (mittelhell).
Ergebnisse
Wieder fanden wir
einen signifikanten Effekt der physikalischen Raumhöhe, die
Probanden waren also in
der Lage, die Raumhöhe einzuschätzen.
Genau wie in Experiment 1 erschienen auch diesmal die Räume
höher, die
eine helle Decke hatten, anstatt einer mittelhellen.
Der
dunkle Boden hatte leicht höhere Raumschätzungen zur
Folge als der
helle Boden, dieser Effekt war aber nicht statistisch signifikant.
Es
ist also die Deckenhelligkeit, die vor allem die wahrgenommene
Raumhöhe
bestimmt, während die Bodenhelligkeit keinen Einfluss hat.
Können
diese Ergebnisse mit der Gesamthelligkeitshypothese erklärt
werden?
Hier muss man sich in Erinnerung rufen, dass nach dieser Hypothese
dieselbe Kombination von Decken- und Bodenhelligkeit (z.B. eine helle
und eine dunkle Oberfläche) je zu identischen
Höhenschätzungen führen
müssten – unabhängig davon, ob der Boden
oder die Decke
heller ist.
Unsere Ergebnisse sprechen klar gegen die Gesamthelligkeitshypothese.
Im war Mittel die geschätzte Raumhöhe höher,
wenn die Decke (in der
Grafik die Punkte mit hellerer oberer Hälfte) heller war, als
wenn der
der Boden
(Punkte mit hellerer unterer Hälfte) heller war, wie die
folgende
Grafik zeigt.
Diskussion
Unsere Experimente
haben gezeigt, dass mit
zunehmender Deckenhelligkeit auch die wahrgenommene Raumhöhe
steigt.
Dies bestätigt eine der Expertenannahmen. Allerdings fanden
wir auch
zwei Ergebnisse, die die Experten nicht vorhergesagt hatten.
- Erstens
schienen Räume ebenfalls höher, wenn die
Wände heller waren.
- Zweitens
waren die Wirkungen von Decken- und Wandhelligkeit additiv.
Dies
widerspricht der These, dass der Helligkeitskontrast
zwischen Wänden
und Decke für die veränderte
Höhenwahrnehmung verantwortlich ist.
Was könnten die Ursachen
für diese Effekte sein?
Eine
direkte Erklärung könnte sein, dass ein Beobachter
die Höhe eines
Objektes immer mittels der Distanz zu seiner Augenhöhe misst,
und helle
Decken als weiter entfernt wahrnimmt. Erstaunlicherweise ist diese Idee
jedoch nicht
kompatibel mit den etablierten und üblichen Befunden
hinsichtlich
Effekten von Helligkeit und Helligkeitskontrast auf Tiefenwahrnehmung
und Distanzschätzung. Es ist seit langem bekannt, dass helle
Objekte
näher erschienen als dunkle Objekte mit dem gleichen Sehwinke.
Dies
widerspricht unseren Ergebnissen. Also kann der Einfluss von
wahrgenommener Deckenhöhe nicht im Rahmen der These
erklärt werden,
dass Helligkeit zu einer Unterschätzung der Distanz
führt. Es scheint,
als ob die Wahrnehmung von Innenräumen eigenen Regeln folgt,
anderen
als die Entfernungsschätzung von kleinen, isolierten Objekten
vor einem
gleichmäßigen Hintergrund.
Es bedarf weiterer Experimente, um
die genauen psychologischen Mechanismen zu identifizieren, die dem
Effekt von Oberflächenhelligkeit auf die Wahrnehmung der
Raumhöhe
zugrunde liegen.
Außerdem bleibt zu untersuchen, ob andere
Farbdimensionen wie der Farbton
einen zusätzlichen Effekt auf die
Höhenwahrnehmung haben. Zukünftige Experimente werden
außerdem zeigen,
ob vielleicht nicht nur die wahrgenommene Höhe eines
Raumes
von
Deckenhelligkeit beeinflusst wird, sondern auch seine Breite und Geräumigkeit.
Medienberichte
Einige ausgewählte Medienberichte über unsere Studie:
- "Prägendes Gefühl". NZZ am Sonntag vom
27.06.2010
- "Schlauer wohnen". FAZ vom 6.7.2010 [Link
zum Artikel]
- "Raum wirkt höher durch helle Wand", Berliner
Morgenpost, 21.8.2010 [Link zum Artikel]
- "Hell macht hoch". Psychologie Heute,
1.7.2010 [Link zum Artikel]
- "Deckenfarbe und Raumhöhe -
Praktikertipps aus dem Psychologielabor". BDP Newsletter Juli
2010 [Link zum Artikel]
- "Experimentelle Psychologie unterscuht
Raumwahrnehmung". Der
Bausachverständige, 2010, 6(4), S. 7
- "Studie: Einfluss der Raumfarbe auf die
wahrgenommene Raumgröße", DIN
Bauportal [Link zum Artikel]
- "Wohne lieber ungewöhnlich". Gehirn und Geist
4/2008, 16-21 [Link zum Artikel]
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