Im Seebade. Die Bucht, an welcher das wegen seines Seebades beruehmte Staedtchen Fallum liegt, wird zur Rechten von der weit vortretenden, aus schroffen Felsen zusammengesetzten Kueste, zur Linken aber von einer Landzunge eingefasst, die in Form eines scharf gebogenen Hornes in die See hinausragt und bis an ihre aeusserste Spitze einen dichten Eichen- und Buchenwald traegt, durch den nur wenige schmale Pfade fuehren, welche es den Badegaesten ermoeglichen, sich aus dem Geraeusche des waehrend der Saison vielbesuchten Ortes in die tiefste Einsamkeit und Stille der Natur zurueckzuziehen. Die Landzunge haelt die hohen Wogen und der Wald die Winde von der Bucht ab, ein Umstand, welcher sehr zur Frequenz des Bades beizutragen geeignet ist und es selbst zaghaften Gemuethern gestattet, sich badend oder im Boote sitzend den sonst gefuerchteten Wellen anzuvertrauen. Es war an einem schoenen Julinachmittage, als drei Damen auf einem der erwaehnten Waldwege dahinspazierten. Sie bildeten eine interessante, ja sogar auffaellige Gruppe. Abgesehen von ihren gelben Sommerhueten war die Eine ganz in Blau, die Andere ganz in Gruen und die Dritte ganz in Purpurroth gekleidet. Die Blaue, sehr lang und hager Gebaute, trug ein dreifarbiges Cyperkaetzchen, die Gruene, klein und schmaechtig Gestaltete, ein Meerschweinchen und die Purpurrothe, mit einer kurzen, sehr dicken taillenlosen Figur Ausgestattete ein Eichhoernchen auf dem Arme, welches letztere ausserdem mittelst eines Halsbandes und einer goldenen Kette an den Busen seiner Traegerin befestigt war. Ihre Anzuege waren aus Stoffen gefertigt, deren Preis darauf schliessen liess, dass diese drei Damen den gut situirten Staenden angehoerten. Kein Mensch haette geahnt, dass diese von der Natur so verschieden begabten Spaziergaengerinnen Schwestern seien, und dennoch waren sie es, wie sich aus ihrem Gespraeche deutlich erkennen liess. "Ja, meine gute Schwester Zilla," seufzte die Blaue, "unser Bruder Emil ist gegen fremde Damen und sogar gegen seine abscheulichen Hunde ruecksichtsvoller als gegen uns. Diese Maenner sind und bleiben Barbaren, die man auch mit der groessesten Geduld und Nachgiebigkeit nicht anders machen kann!" "Sie wollen niemals einsehen, meine liebe Freya, dass wir unendlich zarter besaitet sind als sie, fiel die Gruene ein. Und darum ist es keinem Maedchen zu verdenken, wenn es sich nicht entschliessen kann, eine lebenslange Verbindung mit diesem Geschlechte der Vandalen einzugehen. "Ja," floetete die Purpurne mit fetter Stimme, "wir haben das gute Theil erwaehlt, und das soll nicht von uns genommen werden, trotzdem es besonders mir leicht sein wuerde, eine standesgemaesse und glaenzende Mariage abzuschliessen." "Besonders Dir?" frug die Traegerin des Kaetzchens schnippisch. "Hoerst Du, Wanka, dieses "Besonders" klingt ganz wie eine Injurie gegen uns Beide. Schwester Zilla meint, weil sie die juengste von uns ist, stehen ihr mehr Partien zu Gebote als uns. Aber Damen koennen ja ueberhaupt niemals alt werden. Meine vierunddreissig Jahre sind -" "Entschuldige, Freya," fiel die Dicke ein, "neununddreissig bist Du im November gewesen!" "Neununddreissig? Ah, Du scheinst Dich mehr um das Alter Anderer als um das Deinige zu bekuemmern!" "O nein, aber ich kann mir das Deinige so leicht merken, weil wir gerade zehn Jahre auseinander sind - Du neununddreissig und ich neunundzwanzig." Ah, schau doch an! Schwester Wanka, wie alt ist Zilla?" "Fuenfunddreissig." "Und Du achtunddreissig," raechte sich Zilla. "Nein, sechsunddreissig!" "Achtunddreissig, nicht wahr, Freya?" "Allerdings. Aber streiten wir uns nicht um solche Nebensachen. Die Hauptsache bei einer ehelichen Verbindung bleibt naechst den geistigen Vorzuegen doch jedenfalls die koerperliche Erscheinung, und in dieser Beziehung muesst Ihr Beide gestehen, dass ich Euch ueberrage und sehr im Stande bin, jedem Manne zu imponiren." "Es gibt genug Herren, welche sich fuer eine zarte aetherische Gestalt mehr interessiren als fuer grosse Laenge," vertheidigte sich Wanka. "Ebenso wie ich in der Lage bin die Erfahrung zu machen, dass ein glueckliches Embonpoint von der Mehrzahl der Herren immer reizend gefunden wird," fuegte Zilla bei. "Das hat mir sogar Lieutenant von Wolff gesagt, den ich, wie Ihr wisst, zu meinen neuesten und besten Eroberungen zaehlen darf." "Du?" rief die Lange. "Er hat mir erst vorgestern gestanden, dass ihm von mir getraeumt habe." "Und ich," fiel die Kleine ein, "habe erst vorhin mit ihm eine Partie Sechsundsechzig gespielt, die er verloren hat, weil ihn, wie er sich entschuldigte, meine suesse entzueckende Naehe verwirrt. Er ist sehr liebenswuerdig, dieser Herr Lieutenant von Wolff!" "Ja, sehr, sehr!" stimmte die Lange mit einer gewissen Ironie bei. "Nur meine ich, dass - aber seht doch einmal dieses allerliebste kleine Genrebildchen!" "Genrebildchen? Wo denn?" "Gleich hier am Wasser. Aber mein Gott, das ist ja unser Magdalenchen!" "Wahrhaftig, unser Maedchen!" stimmten die Andern bei und eilten rasch vorwaerts. Der Weg, welchem sie folgten, endete an einem schmalen, auf drei Seiten von dichten Bueschen umgebenen Einschnitte des Wassers. Dort lag ein Boot angebunden, dessen Segelstange niedergelegt worden war. Am Hintertheile sass ein Knabe, in einen grauleinenen Seemannsanzug gekleidet und einen Suedwester, unter welchem eine Fuelle blonder Locken hervorquoll, auf dem Kopfe. Er mochte ungefaehr vierzehn Jahre zaehlen und hatte seine ganze Aufmerksamkeit einem etwa zehnjaehrigen Maedchen zugewendet, welches auf der vorderen Bank Platz genommen hatte und mit Angeln beschaeftigt war. Dieses Maedchen war ein allerliebstes reizendes Geschoepfchen, und die ausserordentliche Beweglichkeit, mit welchem es seiner gegenwaertigen Beschaeftigung oblag, diente jedenfalls nicht dazu, einen grossen Fang zu machen. "Also wie heisst Du?" frug die Kleine. "Ich habe Deinen Namen bereits wieder vergessen." "Kurt." "Und wie noch?" "Schubert." "Also Kurt Schubert! Hoere, Du gefaellst mir. Du hast so ein lichtes Haar und doch so pechrabenschwarze Augen. Und Kraft und Gewalt hast Du fast so viel wie mein Papa." "Wer ist denn Dein Papa?" "Mein Papa? Das ist der tapfere General Helbig, der juengst ganz Suederland erobert hat. Da kannst Du Dir nun wohl denken, dass er sehr stark sein und eine ausserordentliche Force besitzen muss!" "Ja aber kann er denn auch ein Boot regieren?" "Natuerlich! Ich habe es zwar noch nicht gesehen, aber er kann Alles. "Und auch segeln?" "Auch! Aber am Besten koennen das meine Tanten." "Deine Tanten? Muessen bei Euch auch die Tanten segeln lernen?" "Allerdings, denn der Papa sagt sehr oft, wenn sie spazieren gehen: "Gott sei Lob und Dank, da segeln sie hin!" Sie muessen also das Segeln verstehen. Hast Du sie schon einmal gesehen?" "Das weiss ich nicht, denn ich kenne sie ja nicht." "O, die sind sehr leicht zu erkennen: Die Eine ist lang und traegt eine Katze; die Andere ist klein und duenn und traegt ein Meerschweinchen, und die Dritte ist dick und hat ein Eichkaetzchen." "Ah, das also sind Deine Tanten! Die habe ich gesehen; sie sind ja im ganzen Orte bekannt. Heissen Sie auch Helbig, wie Dein Papa?" "Freilich, denn sie sind ja seine Schwestern. Ausserdem heissen sie noch Freya, Wanka und Zilla; aber der Kunz sagt statt dessen Schreia, Zanka und Bruella." "Wer ist dieser Kunz?" "Das ist unser Leibdiener, den ich sehr lieb habe und Papa auch; aber die Tanten zanken sich immer mit ihm, und dann wird er wuethend, geht auf sie los und - reisst wieder aus." "Ah, dann hat er wohl keinen rechten Muth?" "Muth? Ganz gewiss so viel wie Papa selbst, aber er darf sich ja doch nicht an den Schwestern seines Herrn vergreifen; allein nur darum reisst er aus. Hast Du auch einen Papa, drei Tanten und einen Leibdiener?" "Eine Mutter habe ich und einen Stiefvater, dann vier Schwestern, und der Diener bin ich selber." "Du? Warum?" "Weil ich Alles machen muss. Und dennoch bekomme ich sehr viel Schlaege und dazu weniger zu essen als die Andern." "Schlaege? Du?" frug das Maedchen halb verwundert und halb veraechtlich. "Ja. Ich muss die Netze legen und die Herrschaften rudern, und wenn ich zu wenig gefangen oder zu wenig verdient habe, so erhalte ich Schlaege." "Du Armer! Wie viel denn?" "Sie thun weh, aber ich zaehle sie nicht," antwortete er stolz. "Wenn ich nach Hause komme, ist der Vater stets betrunken. Ich koennte mich wehren, oder ich koennte auch fortgehen, aber dann wuerde die Mutter weinen, und das soll sie doch nicht. Eigentlich verdiene ich die Schlaege, denn ich gebe dem Vater nicht Alles, was ich verdiene, sondern ich nehme etwas fuer die Mutter weg, sonst muesste sie hungern." "Mein Gott, liebe Wanka, hoerst Du es? Ist das nicht ein Rabenvater?" Dieser Ruf erscholl hinter den naechsten Straeuchern, wo die drei Schwestern den letzten Theil des kindlichen Gespraeches belauscht hatten. "Ja, ein wahrer Rabenvater, meine gute Freya," antwortete die Gefragte. "Nein," fiel die Purpurrothe ein, "nicht blos ein Rabenvater, sondern sogar ein Stiefrabenvater! Aber, meine suesse Magda, wie kommst denn Du hierher an diesen Ort?" "Kurt hat mich hergefahren, Tantchen." "Ueber die ganze Bucht?" "Ja. Wir wollten angeln." "Aber, Kind, wenn es nun ein Unglueck gegeben haette! Du kannst nass werden; Du kannst Dich erkaelten; Du kannst umkippen; Du kannst ertrinken!" "O nein, Tantchen; von alledem thue ich nichts, denn Kurt faehrt mich ja. Er hat mir sogar versprochen, dass ich ganz sicher sein kann." "Kurt heisst er also?" "Ja. Kurt - den andern Namen habe ich wieder vergessen." "Kurt Schubert," verbesserte der Knabe, welcher mit abgenommenem Suedwester aufrecht und in unterthaeniger Haltung im Boote stand. Die drei Schwestern blickten mit sichtlichem Wohlgefallen auf seine fuer sein Alter ausserordentlich kraeftige Gestalt und in sein offenes wettergebraeuntes Gesicht. "Verstehst Du es denn wirklich, ein Boot ganz sicher zu fuehren?" frug die Blaue. "Sie brauchen keine Angst zu haben, mein gnaediges Fraeulein. Wollen Sie es einmal versuchen? Ich habe Platz genug." "Ja, ich moechte wohl, denn ich gondele sehr gern; aber die Schwestern fuerchten sich, und mein Kaetzchen kann das Wasser vielleicht nicht vertragen. Wenn es mir seekrank wuerde!" "Ein Kaetzchen wird niemals seekrank, mein Fraeulein," laechelte der Knabe, und zu gleicher Zeit nahm Zilla das Wort: "Wir uns fuerchten? Weisst Du, Freya, dass dies eine ganz ausserordentliche Verleumdung ist! Ich habe ja dem Herrn Lieutenant von Wolff versprochen, dass er mich einmal gondeln darf." "Ich auch!" erklaerte Wanka. "Und ich auch!" bekraeftigte Freya. "Wollen wir einsteigen?" "Hm, mein Meerschweinchen - hm, mein Eichkaetzchen!" erklang es in zweifelndem Tone. "Diese Thierchen werden nicht krank werden," versicherte Kurt. "Gewiss?" "Ganz gewiss!" "So wollen wir es wagen. Kommt!" Das Einsteigen war allerdings fuer die umstaendlichen Damen mit einiger Schwierigkeit verknuepft, kam aber mit Hilfe Kurts recht gut zu Stande. Der Knabe zeigte ueberhaupt eine beinahe maennlich zu nennende Sicherheit, welche den Damen Vertrauen einfloesste. "Wohin?" frug er, als das Boot in Bewegung war. "Nach der Stadt oder ein wenig hinaus?" "Hinaus, aber ja nur ein wenig," entschied Freya. "So koennen wir das Segel aufnehmen." Er richtete die Stange und an ihr die Leinwand empor; eine linde Prise legte sich ein und das Boot strich, ein wenig zur Seite geneigt, stet und ruhig ueber die Bucht dahin. Die drei Schwestern verriethen anfaenglich die bei Damen gewoehnliche Aengstlichkeit vor dem Wasser, doch verlor sich unter der guten Fuehrung und dem sichern Gange des Fahrzeuges nach und nach die Besorgniss, und es kam zwischen ihnen und dem Knaben eine Unterhaltung zu Stande, welche ganz geeignet war, ihnen ein lebhaftes Interesse fuer den kleinen Schiffer einzufloessen, welcher so keck und doch besorglich am Steuer stand, so offen und ehrlich in die Welt hineinblickte und so verstaendig und hoeflich zu antworten wusste. Die Schoenheit des Wetters hatte auch zahlreiche andere Boote herausgelockt, so dass ein reges Leben auf den schimmernden glitzernden Wellen herrschte. Eines dieser Fahrzeuge zog durch sein sonderbares Gebahren die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Es war von zwei Herren besetzt, welche sich die Aufgabe gestellt zu haben schienen, die andern Fahrenden so viel wie moeglich zu belaestigen. "Wem gehoert dieses Boot?" frug Wanka. "Es gehoert einem der Badegaeste," antwortete Kurt. "Wem?" "Ich kenne seinen Namen nicht, aber es muss ein sehr vornehmer Mann sein, da er stets solchen Unfug machen darf, ohne dass es ihm die Polizei verbietet. So oft er auf das Wasser kommt, treibt er es so wie gerade jetzt. Er rudert quer durch den Kurs der Andern, um sie zu erschrecken; er spritzt sie voll Wasser, wenn es Damen sind; er wirft faules Obst nach ihnen, und es ist sogar vorgekommen, dass er kleinere Boote umgestossen hat. Ich hasse ihn!" Sein jugendliches Gesicht nahm bei diesen letzten Worten einen so ausgepraegt feindseligen Ausdruck an, wie man demselben gar nicht zugetraut haette. "Hat er Dir denn etwas Besonderes gethan?" "Ja." "Was?" "Ich kam mit der Mutter vom Strande, und er begegnete uns. Wir hatten einen grossen schweren Wasserkuebel mit Fischen zu tragen und sollten ihm damit ausweichen, obgleich dort Platz fuer hundert Menschen ist. Wir kamen mit unserer Last nicht schnell genug zur Seite, und da schlug er die Mutter dreimal mit seinem Stocke." "Schaendlich! Nicht wahr, liebe Wanka?" "Brutal!" antwortete diese. "Nicht wahr, meine gute Zilla?" "Das ist noch mehr! Das ist geradezu barbarisch und vandalisch! Was habt Ihr denn gethan nachher, mein lieber Junge? Ihr habt ihn doch wohl angezeigt, nicht?" "Nein; dazu ist er ja zu vornehm. Wir haetten keine Hilfe bekommen. Ich wollte ihn fassen, aber die Mutter hielt mich zurueck. Wenn er mir aber etwas Aehnliches wieder thut, so haelt mich nichts ab ihn zu zuechtigen!" Er sah wirklich recht drohend und heldenhaft aus, wie er so dastand, das Ruder in der Rechten und die Segelleine in der Linken, und es hatte ganz das Aussehen, als ob trotz seines jugendlichen Alters in so ernsten Dingen nicht wohl mit ihm zu spassen sei. Sie lavirten herueber und hinueber und kamen auf diese Weise in das Innere der Bucht. Da schlug das besprochene Boot einen Bogen und kam auf sie zu. Freya hielt die Hand ueber die Augen, um dieselben gegen das sich auf der Oberflaeche des Wassers brechende Sonnenlicht zu schuetzen, und rief: "Jetzt weiss ich, wer es ist!" "Nun?" frug Wanka. "Hugo von Suederland." "Ists moeglich! Der "tolle Prinz?" Und er kommt auf uns zu! Kleiner, weiche ihm aus!" "Warum?" "Er kann uns nicht leiden. Er wird uns einen Schabernak spielen." "Das mag er versuchen! Ausweichen aber kann ich ihm nicht." "Warum?" frugen die Damen aengstlich. "Ich habe den Wind kontraer und bin allein beim Rudern, waehrend sie zu Zweien sind." "Mein Gott, was wird das werden!" jammerte Zilla. "Ich vergehe vor Angst!" "Er wird doch Ihnen nichts thun!" schuettelte der Knabe mit dem Kopfe. "Und doch! Pass auf, Junge! Sie rudern ja gerade gegen uns. Sie haben etwas Schlimmes vor." Wirklich kam der Prinz in einer Weise herbei, welche diesen Verdacht begruendete. Als er die Damen erkannte, hoerte man ein haessliches Lachen und den Ruf: "Hallo, wer ist denn das? Die drei Papageyen, hahahaha!" Dann raunte er seinem Gefaehrten einige Worte zu, und darauf hielten sie auf Kurts Fahrlinie in der Art zu, dass man sah, sie wollten mit seinem Boote zusammenstossen. Die Damen stiessen einen lauten dreifachen Hilferuf aus. "Halten Sie sich an Ihren Sitzen fest!" rief Kurt. "Ausweichen kann ich nicht, wenn sie es auf uns absehen; aber das kann ich machen, dass der Stoss nur ein leichter wird." Seine dunklen Augen blitzten den beiden Widersachern zornig entgegen. "Fallt rechts ab!" gebot er ihnen. "Fall Du ab nach links, dummer Junge!" lachte der Prinz. In drei Augenblicken musste sein Boot gerade auf die Mitte von Kurts Fahrzeug treffen. Da riss dieser mit all seiner Kraft das Steuer herum und liess die Leine los, so dass das Segel klappte und den Wind fahren liess. Sein Boot gehorchte; es stoppte, hob sich vorn in die Hoehe und drehte den Bug. Dadurch wurde der Stoss ein schiefer und statt in einem rechten, fuhr der Kahn des Prinzen in einem sehr spitzen Winkel an das Vordertheil des Bootes. Dennoch aber war die Erschuetterung eine ganz bedeutende fuer die nicht seeerfahrenen Frauen. Am meisten wurde Magda von ihr betroffen, weil sie vorn auf dem Schnabelsitze Platz genommen hatte. Sie suchte vergeblich sich zu halten, verlor das Gleichgewicht und stuerzte ueber Bord in das Wasser. "Hollah, das Kuechlein schwimmt. Fischt es heraus!" rief der Prinz lachend und ruderte weiter. Die drei Schwestern sassen vollstaendig starr und wie gelaehmt von dem Schrecke. Auf den andern Fahrzeugen hatte man den ganzen Vorgang mit angesehen und kam in groesster Eile herbei, um zu helfen. Gluecklicher Weise aber war dies schon nicht mehr noethig. Kurt war dem Maedchen sofort nachgesprungen, fasste sie mit der Rechten und hob sie, waehrend er mit der Linken den Rand des Bootes erfasste, in dasselbe hinein. In einer Minute waren sie von saemmtlichen vorhandenen Fahrzeugen umgeben, und ringsum waren Beweise des Bedauerns und der tiefsten Entruestung zu vernehmen. Kurt allein hatte seine Ruhe bewahrt. "Sie ist nicht todt," rief er. "Sie ist nur nass geworden. Nachbar Klassen, Ihr habt Platz; nehmt doch einmal die Damen in Euer Boot und bringt sie nach Hause!" "Warum, Junge?" "Werdet es gleich sehen!" "Na, dann herueber!" Mehrere Haende griffen zu, und trotz der grossen Aengstlichkeit der Damen wurden sie in das andere Boot gebracht. Kaum war dies geschehen, so nahm Kurt den Wind wieder in das Segel und griff zum Steuer. "Hollah, wirst doch nicht, Junge?" "Ja, ja, werde doch, Nachbar Klassen!" "Braver Kerl! So steh nur fest!" Das Boot des Prinzen hatte nach dem Ausgange der Bucht zu gehalten. Kurt that dasselbe. Er beobachtete das Segel, pruefte den durch die Landzunge gedaempften Wogenschlag und hielt dann sein Auge scharf auf den Gegner gerichtet. Der muthige Knabe hatte jetzt den Wind auf seiner Seite; er kannte sein Boot und wusste, dass ihm die Bestrafung seines Feindes gelingen werde. Dass dieser ein Prinz und er selbst ein armer Fischerjunge sei, danach fragte er nicht, er musste die Mutter und auch Magda raechen; nur dieser Gedanke leitete ihn. Der Prinz war zu Wasser zu wenig erfahren, um gleich von vornherein die Absicht des Knaben zu merken, nach und nach aber erkannte er die ihm drohende Gefahr. Doch that er nicht das Geringste ihr zu entgehen. Es schien ihm ein Ding der absolutesten Unmoeglichkeit zu sein, dass dieser Knabe es wagen koenne, einen solchen Coup gegen ihn auszufuehren. Sie hielten sich jetzt parallel mit einander nach der felsigen Kueste zu, welche die Bucht zur rechten Seite einfasste. Hier gab es mehrere Untiefen und Baenke, welche der Prinz gar nicht, Kurt aber sehr genau kannte. "Halloh, hab Acht!" rief der Letztere und richtete den Bug seines Fahrzeuges herum. "Hallo, Bube, halte an!" klang es ihm entgegen. "Kann nicht. Fahre sonst auf die Klippen." "Alle Wetter, so lass das Segel fallen!" "Ist unmoeglich. Komme ja dann nicht von den Riffen ab!" Der schlaue Knabe hatte sich wirklich in eine Situation gebracht, die es ihm unmoeglich machte, zu stoppen oder einen andern Kurs zu legen. Sein Boot war groesser und segelte, das des Prinzen war leichter und hatte zwei Ruderer, die keine Knaben waren, es war unbedingt dasjenige, welches auszuweichen hatte. Der Prinz versuchte dies endlich, aber es war bereits zu spaet dazu. Das Schifferboot kam unter voller Segelkraft wie ein Sperber herbeigestossen. "Hoi, fallt ab nach Back!" rief Kurt. Dies geschah mit voller Berechnung. Er hatte bereits gesehen, dass die Beiden nach Steuerbord abfallen wollten, und die Befolgung seines Rufs musste ihm also das feindliche Boot in seiner ganzen Breite vor den Schnabel bringen. "Hoi, zu wenig, viel zu wenig. Haltet Euch an, Jungens!" Noch diesen letzten Ruf stiess er aus, dann liess er das Segel los, um nicht durch volle Benutzung des Windes sein Boot zu zerschmettern oder dasselbe zum Kentern zu bringen. Der jetzige Zusammenstoss war ein ganz anderer, als der vorherige. Er geschah mit unwiderstehlicher Kraft auf die Mitte des prinzlichen Fahrzeuges. Die Planken desselben krachten; es wurde vollstaendig umgestuerzt, mit dem Kiele nach oben; das Vordertheil des Fischerbootes ritt einige Augenblicke auf demselben, dann glitt es wieder herab. Der Prinz hatte mit seinem Begleiter einen Schrei ausgestossen und war mit ihm weit in das Wasser hinausgeschleudert worden. Beide waren jedoch leidliche Schwimmer; sie hielten sich oben, bemerkten die Klippe in der Naehe und schwammen auf dieselbe zu, da ihnen das umgestuerzte Boot nichts helfen konnte. Auch Kurt hatte geschrien und war in das Wasser geworfen worden, aber nur zum Scheine. Ein Seemann oder auch nur ein aufmerksamer Beobachter haette bemerken koennen, dass sein Schrei nur ein Ruf des Jubels sei und dass der Sprung in die Fluthen ein ganz und gar freiwilliger war. Er besass trotz seiner Jugend Scharfsinn genug, sich Alles zu ueberlegen. Im Falle, dass ihn der Prinz zur Anzeige brachte, musste er sich vollstaendig vertheidigen koennen. Darum ruderte er so lange wie moeglich im Wasser umher und kletterte erst dann wieder in das Boot, als die Beiden auf der Klippe standen, bis an die Hueften von den Wogen umspuelt. "Halt, Junge, hole uns weg!" gebot der Prinz in strengem Tone. "Geht nicht, Mann! Mein Fahrzeug geht zu tief. Ich komme nicht hinan. Waeret Ihr ausgewichen, so saesset Ihr nicht in der Patsche." "Du kannst doch nahe anlegen." "Bei diesem Wellenschlage? Das versteht Ihr nicht!" "Donnerwetter, Bube! Weisst Du, wen Du vor Dir hast?" "Wisst Ihr denn etwa, wen Ihr vor Euch habt?" "Ich bin der Prinz von Suederland!" "Und ich ein braves Seemannskind. Wer von uns ist mehr werth hier auf der See, Ihr oder ich?" "Das werde ich Dir zeigen lassen, Taugenichts! Jetzt holst Du schnell wenigstens mein Boot herbei!" "Damit Ihr einsteigen koennt?" "Ja." "Geht wieder nicht. Die Planken sind durch. Uebrigens koennte ich allein es gar nicht wenden, und Ihr seht ja, dass es bereits sinkt. Da, da, jetzt ists hinunter!" Wirklich entstand unter dem Fahrzeuge ein Trichterstrudel, der es zur Tiefe zog. Kurt hatte seinen Suedwester jetzt aufgefischt und griff zum Steuer. "Halt, warte!" gebot der Prinz. "Wir werden zu Dir hinueberkommen." "Auch das geht nicht," lachte der Knabe. "Mein Boot ist vorn leck geworden, es trinkt Wasser, und ich darf es gar nicht wagen, noch zwei Mannen aufzunehmen. Aber Denen da hinten am Strande werde ich es sagen, dass sie Euch holen sollen, wenn sich je Einer findet, der sein Boot einem Manne bietet, welcher so vornehm sein will und doch arme Frauen mit dem Stocke schlaegt, Fahrzeuge umstuerzt, Frauen bespritzt und Kinder in das Wasser wirft. Solche Streiche darf hier kein Bube wagen, sonst bekommt er von seinem Schulmeister Pruegel und wird noch obendrein von der Polizei oeffentlich ausgepeitscht. Wohl bekomme das Bad, und nun adieu! Er segelte davon und bemerkte mit Freuden, dass saemmtliche Fahrzeuge den Strand aufgesucht hatten, um ihm seinen Coup nicht zu verderben. Als er dort ankam, forderte er die Anwesenden auf, den Prinzen abzuholen. "Faellt uns nicht ein, Junge!" antwortete ein alter Seebaer, der ihm die Rechte bieder entgegenstreckte. "Bist ein tuechtiger Kerl und wir werden dafuer sorgen, dass Dir nichts geschieht, wenn Dich Der da draussen erfassen sollte. Aber ihn holen, nein! Die Fluth beginnt bereits; sie wird schnell steigen, und er mag ein wenig Wasser kosten, ehe man ihn ins Schlepptau nimmt. Gar zu zart wird das nicht geschehen. Wir haben keine Verpflichtung, ihm das Bad zu verwehren, das Wachboot ist weit draussen ausser Sicht und die Rettungsmannen sind alle auf Fang hinaus, denn Alarm kann es nicht geben, weil frei Wetter ist. Sie moegen zappeln! - - In einer der schoensten Strassen des Badestaedtchens stand, rings von wohlgepflegten Baeumen und duftenden Blumenanlagen umgeben, eine reizende Villa, fuer welche waehrend der Saison gewiss eine sehr hohe Miethe erzielt wurde. Sie wurde gegenwaertig von dem norlaendischen General Emil von Helbig und seiner Familie bewohnt. Helbig war ein sehr verdienter Offizier, bei seinem Koenige sehr in wohlerworbener Gunst und daher auch von betraechtlichem Einflusse bei Hofe. Dennoch erschien er dort nicht allzugern. Sein kerniges, zuweilen sogar etwas muerrisches oder auch wohl rauhes Wesen gab ihm ein gewisses Gefuehl des Unbehagens in jenen Kreisen, in denen die Umgangsformen am hoechsten zugespitzt erscheinen. Er fuehlte sich am wohlsten bei sich selbst und hatte auch dafuer gesorgt, dass seine naechste Umgebung aus lauter Leuten bestand, die ihm aehnlich waren. Seine Dienerschaft zaehlte nur lang gediente Soldaten, und besonders war sein Leibdiener Kunz ein wahrer Eisenfresser, der ohne seinen Herrn, wie auch dieser ohne ihn, gar nicht leben konnte. Sie hatten sich in frueheren Zeiten auf dem Schlachtfelde kennen gelernt und waren einander bis auf den heutigen Tag in Kriegs- und Friedensjahren treu geblieben. Kunz kannte jede Eigenthuemlichkeit seines Herrn, hatte gelernt sich ihr anzuschmiegen und war in Folge dessen ein wahres Spiegelbild des Generals geworden, bei dem er sich aus diesem Grunde mehr erlauben konnte, als einem Andern gestattet gewesen waere. Der General sass in seiner Stube, welche von einem dichten Tabaksrauche erfuellt war. Auf der Diele, dem Sopha und den leeren Stuehlen lagen elf Hunde von ebenso verschiedener Ra(e und Groesse, die sich in diesem Qualme sehr wohl zu befinden schienen. Vor ihm lag ein Band von General Klausewitz, in dem er eifrig studirte. Da ging die Thuere auf, und mit kraeftigem Schritte trat ein Mann ein, den man beinahe mit ihm verwechseln konnte. Beide trugen denselben grauen, militaerisch zugeschnittenen Anzug, nur war der des Generals aus einem feineren Stoffe gefertigt. Beide hatten dasselbe Alter, dieselbe Groesse, dasselbe kurz verschnittene Haar, denselben martialischen Schnurrbart; aber der Angekommene hatte blos noch das rechte Auge; das linke war ihm in Folge eines Pistolenschusses verloren gegangen. Er klappte die Absaetze laut zusammen, richtete sich stramm empor, legte die kleinen Finger an die Naehte seiner Hosen und wartete. "Kunz!" "Herr General." "Was willst Du?" "Excellenz haben befohlen jetzt anzufragen, ob wir spazieren gehen wollen, verstanden?" "Ach so! Ich bin gerade ueber einem hoechst interessanten Buche. Kennst Du es?" "Was ist es, Excellenz?" "Der Klausewitz." "Ist sehr ausgezeichnet, habe ihn aber nicht gelesen." "Woher weisst Du dann, dass er so sehr ausgezeichnet ist, wie Du sagst?" "Weil Excellenz ihn sonst nicht lesen wuerden; verstanden?" "Schoen! Wo ist Magda?" "Auf Rekognition." "Wie meinst Du das?" "Sie wollte einmal sehen, wie es da drueben im Walde aussieht; verstanden?" "Ich habe Dir doch geboten, sie niemals an solche Orte allein gehen zu lassen, Kunz!" "Halten zu Gnaden, Herr General, wir muessen das kleine Fraeulein so erziehen, dass sie nicht lernt Furcht zu haben! Im Walde hier gibt es keine Tiger und Klapperschlangen; verstanden?" "Hm! Wo sind meine Schwestern?" "Auf Vorposten." "Wie so?" "Werden wohl das Hauptquartier verlassen haben, um Junggesellen zu attakiren." "Pst, Kunz, das geht Dich nichts an!" "Halten zu Gnaden, Herr General, das geht mich wohl etwas an! Die Schreia spricht, sie heirathet nie; die Zanka spricht, sie mag keinen Mann, und die Bruella spricht, sie werde als alte Jungfer sterben; dennoch aber fouragiren sie stets nach Schnurrbartspitzen, und wenn sie nichts erwischen, so kommen sie nach Hause, ziehen Sturmmarschgesichter und schreien, bruellen und laermen mit jedermann, vor allen Dingen aber mit mir. Ich bekomme den Aerger aus erster Hand, und darum geht es mich gar wohl etwas an, wenn sie auf die Suche gehen. Verstanden?" Helbig lachte. Er selbst hatte nicht wenig unter den Eigenthuemlichkeiten seiner Schwestern zu leiden, und darum war es ihm zuweilen recht lieb, dass er in Kunz einen muthigen Verbuendeten besass. "Wo ist Hektor?" frug er weiter. "Es sind nur elf Hunde hier." "Excellenz, das ist wieder so ein Streich von der roth-gruen-blauen Dreieinigkeit! Ich merkte, dass der Hektor fehlt, und suchte. Als ich an den Damengemaechern vorueberging, hoerte ich von drinnen ein fuerchterliches Husten, Pusten, Winseln und Niesen. Ich rief den Hund, und der Laerm wurde groesser; er war es, aber die Thueren hatte man verschlossen. Nun zwang ich die Kammerjungfer zu oeffnen, und was sah ich?" "Nun?" "Der Hund stak im Reisekorbe. Die Bibi, die Lili und die Mimi hatten mit ihm spielen wollen, und er kann doch nur das Eichkaetzchen leiden, die andern beiden Kreaturen aber nicht. Da hat er die Bibi und die Lili ein wenig gezwickt oder gekniffen, und dafuer haben ihm die gnaedigen Damen eine Duete Schnupftabak auf die Nase gebunden und ihn in den Korb gesperrt." "Alle Wetter, solche Pensionatsstreiche werde ich mir verbitten!" "Ich auch, Excellenz! Soll ich den Damen auch Schnupftabak aufbinden? Sie muessen auch sehen, wie es einem Viehzeuge dabei zu Muthe ist." "Wo ist der Hund?" "Als ich ihn aus dem Korbe und von dem Schnupftabake befreit hatte, sprang er davon. Er wird sich draussen in der Luft erholen wollen; verstanden?" "Er kommt von selbst wieder. In einer Stunde gehen wir spazieren. Halte Dich bereit! Kehrt; marsch!" Kunz machte Kehrt und stampfte hinaus. Draussen blieb er kurze Zeit stehen und schien nachzudenken. Dann eilte er die Treppe hinab nach dem Garten. Dort war der Gaertner bei den Beeten beschaeftigt. "Heinrich, hast Du Zeit?" "Wozu?" "Sollst mir schnell etwas holen." "Was?" "Ich brauche Froesche und Kroeten." "Froesche und Kroeten?" frug der Gaertner ganz erstaunt. "Wozu denn?" "Hm! Du kannst doch schweigen?" "Unter Umstaenden." "Ich brauche das Viehzeug fuer unsere Mamsells." "Ah, schoen, praechtig! Da laufe ich natuerlich gleich." "Dauert es lange?" "In einer Viertelstunde einen ganzen Sack voll. Diese Sorte von Fleisch ist hier schnell zu haben. Soll ich auch einige Krabben und Meerspinnen mitbringen?" "So viel Du erwischen kannst." "Gut. Ich eile!" Hoechst befriedigt kehrte Kunz in das Haus zurueck und sorgte dafuer, dass keine Stoerung eintreten konnte. Der Gaertner brachte eine ganze Menge der bestellten Thiere. Beide schlichen sich nach dem Zimmer, in welchem Hektor gefangen gewesen war, schuetteten den Sack in den Reisekorb aus und entfernten sich dann unbemerkt. Wenn es galt, den Schwestern einen Schabernak zu spielen, so schloss sich sicher keiner von den Leuten aus. Der General hatte unterdessen bei seinem Klausewitz gesessen. Da ertoenten draussen eilige Schritte. Die Thuer wurde aufgerissen, und die lange Freya trat in hoechster Eile und mit einem Gesichte ein, welches Zeugniss von einer sehr grossen Aufregung gab. "Emil - Bruder!" "Was ists?" "Ah, lass mich erst verschnaufen! Ich bin so sehr gerannt und gesprungen, dass ich mit allen Gliedern Athem hole." "Alle Wetter, was ist denn los?" "Was los ist? Wer denn anders als der Teufel, oder was ganz dasselbe ist, der tolle Prinz!" "Ach der! Wieder einmal?" "Wieder! Mein Gott, was fuer ein Mensch ist das! Waere ich ein Herr, ein Offizier, ein Kavalier, ich forderte ihn und so wahr ich - " Sie erhob bei diesen Worten die geballte Faust und schlug damit als Zeichen der Betheuerung vor sich auf das Sopha nieder, auf welchem sie Platz genommen hatte, traf aber ungluecklicher Weise ihre Katze, welche, einer solchen Behandlung ungewohnt, mit einem lauten schrillen Kreischen auffuhr, ueber das Zimmer schoss und zum geoeffneten Fenster hinausflog. Freya sprang auf und an das Fenster. "Weg! Bruder - Emil - General! Herrgott, siehst Du denn nicht, dass die Bibi nun auch todt ist? Todt, zerschmettert, zerschlagen, zerschmissen, zermalmt, zerquetscht und zerschunden, Alles nur wegen diesem schrecklichen Prinzen!" "Auch todt, sagst Du? Wer ist denn noch todt?" "Mein Gott, das weisst Du noch nicht? Er stuerzte sie in das Wasser, und da - " Wieder wurde die Thuere aufgerissen, und die kleine Wanka erschien. "Da bist Du ja schon, Freya! ja, Deine Beine sind laenger als die meinigen. O, ich vergehe; ich verschwinde; ich zerfalle; ich loese mich auf! Mach Platz!" Sie sank auf das Sopha und schloss die Augen. Dem General wurde es jetzt wirklich angst. "So sprecht doch nur! Wer ist denn todt?" "Todt nicht," rief Wanka, die also doch noch nicht vollstaendig aufgeloest war, denn sie hatte noch die Kraft, die Augen wieder zu oeffnen. "Sondern in das Wasser - " "O ja, todt, vollstaendig todt, meine suesse Bibi!" rief Freya. "Bei einem solchen Sturze kann sie doch unmoeglich lebendig unten ankommen!" "Zum Donnerwetter," schalt der General, "wer in das Wasser gestuerzt worden ist, das will ich wissen! Heraus damit!" In diesem Augenblicke stoehnte es draussen, als ob eine Lokomotive angefahren komme, und die Thuer wurde zum dritten Male aufgemacht. Die dicke Zilla trat ein. Sie hatte keinen Athem mehr, und ihr Gesicht besass eine vollstaendig zinnoberrothe Farbe. "Ah - oh - uh - uuuh! Oh, oooh!" Waehrend dieser verzweifelten Interjektionen rannen ihr dicke Tropfen von der Stim und den Wangen herab. Sie wollte sie entfernen, machte sich aber in ihrer Aufregung einer sehr merkwuerdigen Verwechslung schuldig; sie drueckte naemlich das Taschentuch an ihren nach Luft ringenden Busen und wischte sich mit Mimi, dem Eichhoernchen, den Schweiss vom Gesichte. Das kleine Thierchen wehrte sich nach Kraeften gegen diese Realinjurie, und dies gab seiner Herrin den verlorenen Odem wieder. "Emil - Du weisst es bereits?" "Ich? Kein Wort! Was ist denn eigentlich geschehen?" "Da - da kommt sie selbst!" Wirklich trat jetzt Magda ein. Sie eilte auf den Vater zu und umarmte ihn. "Nicht wahr, Papa, Du bist mir nicht boes?" "Worueber sollte ich Dir boes sein?" "Nun, weil mich der tolle Prinz in das Wasser geworfen hat." "Dich? Ists moeglich! Aber nur aus Versehen!" "Nein, sondern mit Absicht. Aber Du darfst nicht zanken, denn ich bin noch vor den Tanten nach Hause gelaufen und habe mich gleich umgekleidet. Es hat mir gar nichts geschadet." "Welch ein Glueck! Erzaehlt einmal!" Diesem Gebote wurde von vier Stimmen zu gleicher Zeit Folge geleistet, und die Schwestern entwickelten eine Sprachfertigkeit, welche den General in Verzweiflung bringen konnte. Aber er wusste recht gut, dass er den rauschenden Strom ihrer Rede nicht unterbrechen duerfe, und so wartete er in Geduld, bis der Bericht beendet war. "Wo ist der Prinz hin?" frug er dann. "Wir wissen es nicht. Er ruderte weiter." "Dern Lande zu?" "Nein." "Also noch nicht zu Hause. Und wie hiess dieser brave und muthige Knabe?" "Kurt Schubert. Er hat einen Stiefvater," antwortete Freya. "Oder vielmehr einen Stiefrabenvater, der ihn taeglich schlaegt und misshandelt," setzte Zilla hinzu. "Wenn er sich nicht so geschickt betragen haette, waeren wir Alle ertrunken." "Das ist wahr," bestaetigte Wanka. "Wir muessen ihm eine Dankbarkeit erweisen." "Das werde ich sofort besorgen," entschied der General. "Ihr koennt gehen!" Sie entfernten sich nach ihren Gemaechern. Dort angekommen fiel ihnen zunaechst der Reisekorb in die Augen. "Ah, den Hund haben wir ganz vergessen!" erinnerte sich Freya. "Wollen wir oeffnen?" "Ja. Er ist genug bestraft worden, und Bruder Emil koennte ihn vermissen." Sie hoben den Deckel empor, und in demselben Augenblicke erschallte von ihren Lippen ein dreifacher Schrei des Entsetzens. Ihr Auge war auf den Inhalt gefallen. Sie wollten fliehen, aber das blaue Kleid Freyas blieb an dem Korbe bangen; dieser wurde umgerissen und entleerte seine Versammlung. Froesche, Kroeten und Molche aus dem nahen Teiche nebst Meerspinnen, Krabben, grossen, langbeinigen Kaefern und allerhand ungethuemlichen Geschoepfen, wie sie von der Fluth taeglich zweimal an das Land gespuelt werden und welche die Kinder fangen, um sie an die Fremden zu verkaufen, zappelten und krappelten, wibbelten und kribbelten, krochen und zerrten, huepften und sprangen, schnellten und schluepften in dem Zimmer herum, so dass es nicht einen Fussbreit des Bodens gab, wo man sicher haette auftreten koennen. Die Blaue warf sich auf das Sopha; die Gruene sprang auf den naechsten Stuhl, und die Purpurrothe retirirte sich hinauf auf den Tisch, auf welchen sie sogar die Beine zu retten suchte. Waehrend dieser nicht ganz aesthetischen Sitzung ging draussen der General mit Magda vorueber. Beide wollten zunaechst den Schifferknaben aufsuchen. Ihnen folgte, wie bei allen Ausgaengen Helbigs, Kurt [sic!], der Diener. Die beiden ersteren nahmen keine Notiz von dem Laerm in den Damengemaechern, da sie ihn fuer eine Fortsetzung des bei dem Generale stattgefundenen Gespraeches hielten; der letztere aber oeffnete leise und unbemerkt die Thuer ein wenig und warf einen schnellen Blick auf die possierliche Situation. Mit einer Miene der innigsten Befriedigung zog er den Eingang leise wieder zu, drehte den Schluessel um und steckte ihn zu sich. Dann eilte er seinen Herrschaften nach. Der General begab sich zunaechst nach dem Strande. Als er dort ankam, war das Wachtboot soeben um die Landzunge gebogen, hatte den Prinzen mit seinem Begleiter erblickt und beeilte sich ihn an Bord zu nehmen. Es brachte Beide, die natuerlich vollstaendig durchnaesst waren, an das Land. Der Prinz bot jetzt nicht den Anblick eines Helden, welcher eine ruehmenswerthe That vollbracht hat, und mit sichtbarer Genugthuung oder auch Schadenfreude ruhten die Augen aller Umstehenden auf ihm. Der Erste, welcher ihm entgegentrat, war der General. "Hoheit!" "Excellenz." "Sie machten sich das Vergnuegen, das Boot meiner Schwestern zu attakiren?" "Pah! Es wurde von einem Knaben falsch gesteuert." "Dieser Knabe versteht besser zu steuern, als mancher Mann. Wollen Sie etwa behaupten, dass der Zusammenstoss nicht von Ihnen beabsichtigt wurde?" "Ich pflege nie zu luegen." "Sie gestehen es also?" "Ja." "Sie sind ein Elender!" "Wohl! Das ist eine Meinung, fuer welche Sie sich mit mir schlagen werden." "Faellt mir nicht ein! Ein ehrenhafter Offizier befleckt seinen Degen nicht durch die Beruehrung mit einem Menschen, der keine Spur von Bildung oder Ehre besitzt und bereits als Schurke gekennzeichnet wurde." "Mensch!" donnerte der Prinz. "Pah! Koennen Sie die Ruthenhiebe verleugnen, die Ihnen einst der Kapitaen von Sternburg versetzte, weil Sie eine ehrbare Dame ueberfielen, und deren unvertilgbare Spuren noch heut in Ihrem Gesichte zu sehen sind? Ein Edelmann, ein Ehrenmann kann sich mit Ihnen, ohne sich selbst zu entehren, niemals schlagen. Und dennoch werde ich von Ihnen Genugthuung fordern, aber nicht mit der Waffe, sondern vor den Schranken des Gerichts. Was Sie thaten, ist keine Unvorsichtigkeit, kein Vergehen, sondern ein Verbrechen, ein Ueberfall friedlicher Menschen, welche leicht das Opfer Ihrer Rohheit werden konnten. Man wird auch einem Prinzen zeigen koennen, unter welchen strengen Paragraphen des Kriminalgesetzbuches dieses Verbrechen zu stellen ist!" Der Prinz hatte ihn unterbrechen wollen, war aber nicht dazu gekommen. jetzt aber antwortete er mit drohender Miene: "Mensch, Sie sprechen entweder aus Altersschwaeche oder aus Verruecktheit in dieser Weise mit mir! Ich werde Sie schon zu zwingen wissen, sich mit mir zu schlagen, und was Ihre Paragraphen betrifft, so habe gerade ich das Recht, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. - Halten Sie Ihre Frauen und deren Bootsfuehrer fest; ich koennte auf den Gedanken kommen, sie einsperren zu lassen!" Er ging, und nur finstere Blicke folgten ihm. Da trat einer der Schiffer, den Suedwester verlegen zwischen den Haenden drehend, zu Helbig. Es war Nachbar Klassen. "Nicht wahr, Sie sind der Herr General, und dieses kleine, schoene Fahrzeug da ist Ihr Fraeulein Toechterchen?" "Ja. Was wuenschen Sie?" "Ich bitte fuer diesen wackern jungen, den Kurt!" "Ah, Kurt Schubert?" "Ja. Er hat dem gnaedigen Fraeulein aus dem Wasser geholfen, und da koennten Sie ihm ja dann auch einen Gefallen thun!" "Welchen?" "Hm! Er hat schon lange einen Pik auf den Prinzen, weil dieser seine Mutter beleidigt hat, und heute ist dann Abrechnung gewesen. Der Prinz wollte naemlich Ihre Fraeuleins ueberfahren, und das ist ihm nicht gelungen, weil Kurt sein Handwerk ganz vortrefflich versteht; dann aber hat der junge auf den Prinzen Jagd gemacht und ihm sein Fahrzeug in den Grund gebohrt, so dass der Prinz da draussen im Wasser stehen und warten musste, bis er herausgefischt wurde. Nun wird er den jungen zur Anzeige bringen, Sie haben es ja selbst gehoert, und da mag es gut sein, wenn der Kurt einen so hohen Herrn faende, der sich seiner ein wenig annaehme. Er verdients, das kann jeder versichern." "Wirklich? Wo wohnen seine Eltern?" "Dort in der vorletzten Huette. Die Frau ist ein Muster, aber der Mann ein Spieler und Trinker, der niemals eine Hand regt im Geschaefte. Der Junge muss Alles verdienen und die ganze Familie ernaehren. Pruegel genug bekommt er dafuer, desto weniger aber zu essen. Die Mutter hat es in schlechten Haenden. Sie stammt weit von hier und muss ein schoenes Maedchen gewesen sein. Sie war mit einem Steuermann verlobt, der Schubert hiess und in fremden Meeren Schiffbruch gelitten haben muss, denn er kam nicht wieder. Der Junge ist sein Sohn. Die Mutter wollte nicht heirathen, sie wurde aber gezwungen, und kam darauf mit ihrem Manne hierher. Besser als den Kurt gibt es Keinen, dar- auf koennen Sie sich verlassen, und er verdient es, dass er gegen den Prinzen in Schutz genommen wird. Auch wir Alle werden das Unserige thun, wenn er angezeigt werden sollte. Der General reichte dem Manne die Hand entgegen. "Der Knabe hat meiner Tochter hier das Leben gerettet, und es versteht sich ganz von selbst, dass ich ihm dafuer dankbar bin. Auch Ihnen danke ich. Sie handeln, wie ein braver Nachbar handeln muss. Also dieser Kurt hat sofort an dem Prinzen Vergeltung geuebt?" "Ja, und zwar so schlau und regelrecht, dass es keiner von uns befahrenen Schiffern besser fertig gebracht haette." "Das freut mich von ihm!" "Aber sagen darf man es nicht. Vor Gericht ist natuerlich der Prinz selbst an dem Zusammenstosse schuld. Der junge hat so geschickt manoevrirt, dass dies jedem Sachverstaendigen leicht wird zu beweisen." "Also der Knabe besitzt nicht nur Muth und Geistesgeger,wart, sondern auch Ueberlegung und Klugheit?" "So viel, als er nur brauchen kann! Er hat das Rettungsboot nicht nur erst einmal gefuehrt und liegt in jeder freien Stunde ueber den Buechern, die er sich zusammenborgt. Er ist ein Prachtkerl! Unter uns sind viele weitgereiste Seemaenner, welche die Schifffahrt aus dem Fundamente verstehen und fremde Sprachen oder anderes dazu. Bei ihnen lernt er, aber heimlich, um keine Strafe zu bekommen, denn sein Stiefvater leidet das nicht." "Schoen; werde mich darnach richten! Ist der Mann hier, der meine Schwestern an das Land gebracht hat?" "Der bin ich selbst." "Es ist vergessen worden Sie zu bezahlen. Hier haben Sie!" Nachbar Klassen bedankte sich fuer das reiche Geschenk, welches ihm wurde, und dann ging der General mit Magda auf die Wohnung Kurts zu. Bei derselben angekommen konnte er keines Menschen ansichtig werden; aber aus dem Innern drang ein unterdruecktes Weinen. Er trat ein und waere beinahe zurueckgefahren bei dem Anblicke, welcher sich ihm bot. An der Wand stand oder vielmehr hing Kurt. Seine beiden Haende waren mit einem Riemen zusammengebunden und mittelst einer Schlinge an einen starken Nagel in der Weise befestigt, dass der Knabe den Fussboden kaum mehr mit den Fussspitzen erreichen konnte. Darauf war ihm der Oberkoerper entbloesst und auf eine so unbarmherzige Art behandelt worden, dass man das rohe blutige Fleisch erblickte und die Diele roth gefaerbt worden war. In dieser torturaehnlichen Stellung hing er noch jetzt, ohne einen Laut von sich zu geben. Seine Augen waren roth geschwollen, und vor seinen zusam- mengepressten Lippen stand grossblasiger Schaum. Daneben lagen die Stoecke, mit denen die Zuechtigung vorgenommen worden war. In der hintersten Ecke sass seine Mutter mit verbundenem Kopfe. Sie hatte mehrere Hiebe ueber denselben erhalten und schien nicht ungefaehrlich verwundet worden zu sein. In ihrer Naehe lagen vier kleinere Kinder am Boden, welche leise weinten, und auf einer alten Pritsche sass der Mann, welcher diese Grausamkeiten veruebt hatte. Seine knochige Gestalt und seine rohen Zuege machten einen hoechst unguenstigen Eindruck, und man sah es ihm auf den ersten Blick an, dass er sich im Zustande der Betrunkenheit befand. Er achtete gar nicht auf die Eintretenden. Als Magda den Knaben erblickte, welcher ihr so schnell lieb geworden war, stiess sie einen Ruf des Schmerzes aus und eilte auf ihn zu. "Ach Gott, Papa, das ist er! Hilf ihm, Papa, schnell, schnell!" Der General trat naeher und streckte die Hand nach dem Knaben aus. Da aber erhob sich der Betrunkene und fasste ihn am Arme. "Halt! Was wollt Ihr hier?" "Zunaechst diesen Knaben befreien, Mensch." "Dies Haus ist mein, und der Knabe auch. Packt Euch fort!" "Nur langsam! Wir werden gehen, aber nicht ohne vorher unsere Pflicht zu thun." Hinaus mit Euch. Ihr habt hier nichts zu befehlen; ich leide es nicht!" Er fasste den General beim Arme; dieser aber stiess ihn von sich ab. "Kerl, wage es noch einmal mich anzuruehren, so sollst Du sehen, was passirt! Ist dies Euer Vater?" Eins der Kleinen nickte. "Und dies Eure Mutter?" "Ja." "Kunz, nimm den Knaben herab!" "Versucht es einmal!" drohte der Schiffer, indem er zum Stocke griff. "Kunz!" Der Diener erhielt einen \Vink, welchen er sofort verstand. Er eilte hinaus und kam bald mit Polizei und einigen Schiffern zurueck, mit deren Hilfe der Mann gebunden wurde. Dann konnte man Kurt ungestoert aus seiner Lage befreien. Er war in der Weise geschlagen worden, dass er kaum noch die noethige Besinnung besass die Umstehenden zu erkennen. Er hatte sich, um den Schmerz zu beherrschen und nicht zu schreien, in die Lippen und die Zunge gebissen. Auch die Mutter war von den Streichen, welche ihren Kopf getroffen hatten, beinahe betaeubt und konnte nur in kurzen abgerissenen Worten Auskunft ertheilen. Der Knabe war ohne Geld nach Hause gekommen, und als sein Vater dazu gehoert hatte, wie Kurt mit dem Prinzen, von dem er doch eher haette etwas verdienen sollen, umgesprungen war, hatte er seine Wuth nicht zuegeln koennen und war ueber Mutter und Sohn in dieser unmenschlichen Weise hergefallen. Die Polizei fuehrte ihn ab. Die Wunden der Beiden wurden von den theilnehmenden Nachbarn mit Essig behandelt und dann verbunden. Kurt konnte sich wieder ankleiden. "Armer Junge! meinte der General. Willst Du fort aus 'diesem Hause?" "Nein." "Wirum nicht?" "Ich bleib bei meiner Mutter." "Ah, brav! Aber wenn sie nun auch fortgeht?" "Und auch die Geschwister?" "Ja." "Und der Vater nicht?" "Nein." "So gehe ich mit, gnaediger Herr. Aber wohin sollen wir?" "Zu mir. Ich werde fuer Euch sorgen. jetzt muss ich nach Hause. Koenntest Du mich begleiten, oder sind die Schmerzen zu gross dazu?" Der Knabe laechelte, schien sich aber dennoch zugleich zu schaemen. "Ich habe oft so ausgesehen und doch sogleich wieder arbeiten muessen." "So komm!" Er legte der Mutter, welche noch immer wie gelaehmt an ihrem Platze sass, seine Boerse in den Schooss und verliess das Haus. Magda ergriff die Hand des Knaben. "Armer Kurt! Du bist so gut und so muthig, hast mich aus dem Wasser gezogen und musst Dich dafuer so sehr schlagen lassen! Thut es noch recht sehr weh?" Sein jugendliches Gesicht erhellte sich. "Nun gar nicht mehr." "Ist es auch wahr?" "Ja." Das kleine Maedchen ahnte nicht, welchen Eindruck ein einziges Wort, ein einziger Blick oder Haendedruck hervorbringen kann. Sie liess den Knaben nicht los, bis sie die Wohnung des Generals erreichten. Dort bot sich ihnen ein sonderbarer Anblick dar. Auf dem Korridore stand saemmtliches Dienstpersonal und korrespondirte durch die verschlossene Thuer mit drei weiblichen Stimmen, welche man im Innern bitten, rufen, befehlen, jammern und wehklagen hoerte. "Was gibt es?" frug der General. Alle wollten zu gleicher Zeit antworten; aber die schrille Stimme der Zofe errang zuletzt den Sieg. "Was es gibt, Excellenz? Ein Unglueck, ein grosses, fuerchterliches, ungeheures Unglueck." "Welches?" "Ja, das wissen wir nicht." "Macht auf!" "Wir koennen nicht. Der Schluessel ist fort." "So wartet!" Er trat zur Thuer und klopfte. "Wer ist drin?" "Wir!" antworteten kreischend die drei schwesterlichen Stimmen. "Ihr habt Euch eingeschlossen?" "Nein!" klang es unisono. "Was ist geschehen?" "Mach auf und bring Hilfe! Das Zimmer wimmelt von - " "Ungeheuern -," rief eine zweite Stimme. "Schlangen -," die dritte. "Molchen und Drachen -," die erste wieder. Und dann kreischte es in fuerchterlichen Dissonanzen: "Lindwuermer, Madenwueriner, Bandwuermer, Chamaeleons; o, komm, ich falle vom Tische, ich vom Stuhle, ich vom Sopha, Hilfe, Hilfe, Hilfe!" Da gab Kunz dem Gaertner, welcher natuerlich auch mit anwesend war, einen Wink und dieser blickte nieder. "Ah, meinte er,"da habt Ihr vergebens gesucht, und hier liegt der Schluessel am Boden!" "Her damit!" gebot der General. Er oeffnete, und nun bot sich ein Anblick, der nicht nur den Herrn, sondern auch die Dienerschaft zum lauten Lachen zwang. "Wer hat das gethan?" frug der Herr. "Ich nicht," antworteten Alle. "So! Wo sind die Thiere hergekommen?" "Hier aus dem Korbe," berichtete Freya. "Ah!" machte der General und streifte dabei seinen Leibdiener mit einem raschen Blicke. "Da hat sich der Hektor in diese Thiere verwandelt. Wunderbar! Macht, dass Ihr sie aus dem Hause bringt!" Er ging. "Fort doch damit, greift zu!" gebot Freya, und ihre Schwestern stimmten bei. Der Gaertner schuettelte hoechst bedenklich den Kopf. "Der Hektor in diese Thiere verwandelt? Hm, gefaehrlich! Mein Dienst ist nicht hier, sondern im Garten!" Er ging. Auch Kunz zog ein eigenthuemliches Gesicht. "Der Hektor? Hm, ist stets ein obstinates Viehzeug gewesen, das den Teufel im Leibe hatte. Aber ich habe nicht die Damen, sondern den Herrn General zu bedienen." Auch er verliess das Zimmer. Weder Magda noch eine der Dienerinnen getrauten sich, eines dieser haesslichen Thiere zu erfassen. Da erschien endlich Kurt unter der Thuer. Er hatte sich bisher aus Bescheidenheit zurueckgehalten. Die Schwestern sahen ihn und jubelten. "Da kommt ein Retter! Kurt, lieber Kurt, schaffe dieses Gewuerme fort!" "Wohin?" "Wohin Du willst, nur fort!" Er sah den offenen, umgestuerzten Korb, richtete ihn wieder empor und sperrte alle die schrecklichen Geschoepfe, welche er mit der groessten Schnelligkeit fing, in denselben ein. "So, meine gnaedigen Fraeuleins, nun koennen Sie ihn fortbringen lassen." Die Damen verliessen ihre Festungen, auf denen sie bisher so arg belagert worden waren. "Wir danken Dir, Junge!" rief Zilla. "Du darfst gar nicht wieder fort von uns." "Nein, Du bleibst hier bei uns!" stimmte Wanka bei. "Natuerlich!" bestaetigte auch Freya. "Er bleibt hier, denn er muss ja vor allen Dingen meine arme Mimi suchen, welche sich wegen dieses Prinzen aus dem Fenster stuerzen musste. Und dann gleich muss er versuchen herauszubekommen, wer uns diesen Streich gespielt hat, denn wir muessen Rache nehmen!" "Rache!" rief auch Wanka. "Rache!" rief auch Zilla. "Dreifache Rache; und der Herr Lieutenant von Wolff wird uns nach Kraeften unterstuetzen!" H i m m e l u n d H oe l l e . Mitten in der weiten Ebene erhebt sich ein vielfach zerkluefteter, aus gewaltigen Basaltmassen bestehender Berg, welcher mit seinem Haupte hoch in die Wolken ragt und seine Fuesse weit in das Land hineinstreckt, wie ein vom Himmel gefallener Titane oder ein aus dem Innern der Erde emporgeschleuderter riesiger Cyklope, der nun seit Jahrtausenden im Schlummer liegt, um von den gigantischen Kaempfen auszuruhen, die ihn vom Olympos stuerzten oder aus dem Orkus an das Tageslicht hervorgetrieben haben. Auf seinem Gipfel stand seit uralten Zeiten eine Burg, die den Namen Himmelstein fuehrte. Sie wurde niemals erobert und zerstoert, denn ihre Lage machte sie vollstaendig uneinnehmbar. Aber der Zahn der Zeit nagte unaufhaltsam an ihren Mauern, und als sie in den Besitz des koeniglichen Hauses kam, war es nothwendig geworden, sie von Grund auf zu renoviren, wobei ihre Einrichtung in jeder Beziehung den Anspruechen der neueren Zeit angepasst wurde. jetzt gehoerte sie als Privateigenthum dem Prinzen Hugo, der "tolle Prinz" genannt. Ungefaehr auf der Hoehenmitte des Berges liegt auf der Nordseite desselben ein Moenchs- und auf seiner suedlichen Seite ein Nonnenkloster. Die beiden geistlichen Anstalten sind beinahe so alt wie die einstige Burg, und gleichen, von unten aus gesehen, mit ihren hohen dicken Umfassungsmauern kleinen Festungen, sind aber in ihrem Innern ganz den Anforderungen der Gegenwart gemaess eingerichtet und bieten ihren Bewohnern und Bewohnerinnen alle die Bequemlichkeit, welche die "Hirten Christi" und die "Braeute des Hirnmels" zu beanspruchen haben. Tief unten am Fusse des Berges liegt zwischen ueppigen Feldern und gruenenden Hainen, die sich langsam zur Hoehe ziehen, ein kleines schmuckes Staedtchen, einst den Rittern und Kaempen da oben zu Lehn gehoerig und auch jetzt noch unter der direkten Botmaessigkeit des alten Schlossvogtes stehend, der seinem gegenwaertigen Herrn ausserordentlich treu ergeben ist, von seinen Untergebenen aber mehr gehasst und gefuerchtet als geehrt und geliebt wird. Wenn man von diesem Staedtchen ostwaerts geht, gelangt man in eine tiefe enge Schlucht, durch welche sich ein wildes Wasser rauschend Bahn gebrochen hat und das Rad einer Muehle treibt, die wie ein Schwalbennest an den steilen Felsen haengt. Die Umgebung der einsamen Muehle ist mehr als romantisch, sie ist schauerlich. Die Schlucht heisst die Hoellenschlucht, und darum darf es nicht Wunder nehmen, dass man die Muehle die Hoellenmuehle genannt hat. Das Schloss heisst Himmelstein, und in den beiden Kloestern werden die nach der Seligkeit lechzenden und duerstenden Seelen fuer den Himmel zubereitet; daher sagt der Staedter oder der laendliche Bewohner der Umgegend, wenn er den Berg besteigen will, er wolle "zum Himmel" empor; will er dagegen sein Korn zur Muehle bringen, so meint er: "ich gehe in die Hoelle." Droben der Himmel und unten die Hoelle. Haben diese Bezeichnungen auch in Beziehung auf das Glueck, auf das Thun und Treiben der Bewohner der beiden Orte ihre Berechtigung? Die Hoellenmuehle galt seit langen, langen Zeiten im weiten Umkreise fuer einen unheimlichen Ort, den man eher fliehen als aufsuchen solle. Sie war der Schauplatz von Tragoedien gewesen, deren Verlauf man nicht genau kannte, welche aber gerade in Folge dessen der Zunge Veranlassung gaben, das Dunkle mit noch groesseren Schrecken auszuschmuecken, so dass eine Reihe von grauenhaften Sagen entstanden, die weithin ueber das ganze Land ihre Ausbreitung fanden. Der alte Stamm der Hoellenmueller hatte sich in seinem Familien- und auch aeusseren Leben durch allerhand Ungluecksfaelle ausgezeichnet. Der letzte war in dem rauschenden Muehlenwasser ertrunken; seine Wittwe hatte das Besitzthum verkaufen muessen und war dann fortgezogen und spurlos verschollen. Es war ihr allerdings nicht leicht geworden einen Kaeufer zu finden, und nur durch die Hilfe eines Agenten war sie die Muehle um einen Preis losgeworden, der kaum die Haelfte ihres eigentlichen Werthes betrug. Ihr Nachfolger war eine hohe blonde Gestalt, wie man sie hier im Sueden selten findet. Er stammte aus Norland und war kein Katholik, weshalb er von den geistlichen Vaetern und Muettern da oben nicht eben freundlich angesehen wurde. Er hatte sein Vaterland nur verlassen, weil er nicht eigentlich ein Vermoegen besass und hier fuer seine Ersparnisse Herr eines Besitzthurns wurde, dessen Ankauf ihm als ein hoechst vortheilhafter bezeichnet worden war. Es war im Fruehherbste. Die Raeder der Muehle standen, denn es hatten alle Haende mit dem Einbringen und Bergen der ueberaus reichen Ernte zu thun. Eben wieder war ein Wagen voll praechtiger Roggengarben vor der beinahe gefuellten Scheune abgeladen worden, und nun sass die Familie des Muellers nebst den Knappen und Dienstboten um den im Freien aufgestellten Tisch, um das Vesperbrod einzunehmen. Die Muellerin war eine jener Frauen, welche, obgleich sie stets mit Sorge und Arbeit zu kaempfen haben, doch niemals alt werden. Das treue, ewig heitere Gernueth uebt einen erhaltenden Einfluss auf die Gestalt und die Gesichtszuege, und die Jahre gehen vorueber wie die Stuerme an der Eiche; sie ruetteln, sie schuetteln, aber sie bewirken nur, dass sich die Wurzeln immer tiefer in den Boden gruenden. Neben ihr sass ihr Ebenbild, ihre Tochter, ein kraeftiges freundliches Maedchen, dessen Wuchs und Zuege wohl geeignet waren, auch einen Mann zu fesseln, der sonst nicht an eine gewoehnliche Muellerstochter dachte. Die originellsten Personen des kleinen Kreises waren jedenfalls die beiden Knappen. Der Eine hatte die Jugendjahre laengst schon hinter sich. Er war lang und stark gebaut und besass eine Nase, ueber welche man beinahe haette erschrecken koennen. Der Ausdruck Habichtsnase sagte nichts, geradezu nichts, diesem riesigen Theile des Gesichtes gegenueber, der bei einer entsprechenden Haltung seines Besitzers und der geeigneten Stellung der Sonne leicht einen fuenf Meter langen Schatten geben konnte. Und das Eigenthuemlichste an dieser Nase war, dass sie an jedem Gefuehle und Gedanken, an jeder Bewegung und an jedem Worte des Knappen sich durch eine entsprechende Faerbung, Haltung oder Bewegung zu betheiligen strebte. Im Gegentheile von ihm hatte der andere Knappe gar keine Nase. Er hatte sie jedenfalls durch irgend einen Ungluecksfall verloren und besass nun jenen eigenthuemlichen Ton der Stimme, welcher nasenlosen Leuten unvermeidlich ist. Dazu war ihm das linke Bein am Knie amputirt, und er trug an Stelle des fehlenden Gliedes einen hoelzernen Stelzfuss, welcher zu besserer Haltbarkeit sehr dick mit Eisen beschlagen war. "Wie steht es, Klaus," frug der Mueller den Langnasigen. "Werden wir noch heut den Roggen hereinbringen?" "Versteht sich ganz von selber, Meister Uhlig!" Er nickte waehrend dieser Antwort, und es war drollig anzusehen, dass sich dabei die Spitze seiner Nase erst hob, dann schnell senkte und nachher in ihren frueheren status quo zurueckkehrte. Den Andern fiel dies nicht auf, da sie diese Beweglichkeit des Riechorganes bereits gewohnt waren. "Wenn nicht vielleicht ein Gewitter kommt!" "Faellt ihm nicht ein!" Ohne dass er den Kopf bewegte, ging die Nase herueber und hinueber, um zu bekraeftigen, was ihr Besitzer ausgesprochen hatte. "Brendel kann Dir heut nicht mehr helfen." "Ich?" frug der Stelzfuss verwundert. "In wie so denn, wenn ich fragen darf?" "Der Braune ist lahm geworden; Du musst zum Thierarzt reiten." Auf allen Mienen zeigte sich ein erwartungsvolles Laecheln. jeder wusste, dass Brendel vor nichts so grossen Abscheu hatte, als vor dem Reiten, und dass der Meister diese Bemerkung nur machte, um ihn in Angst zu bringen und ihn zu vermoegen, die Geschichte zu erzaehlen, welche sie Alle laengst kannten, weil er sie bei jeder Gelegenheit wieder auftischte. "Reiten? Zum Thierarzte? In wie so denn? Kann ich nicht laufen?" "Nein. Es ist zu weit." "So will ich fahren!" "Geht nicht. Du hast nur ein Bein, und der Schimmel muss einmal gehoerig in Gang genommen werden. Es bleibt also dabei, Du reitest!" "Dann mag doch der Klaus den Weg machen. Er ist Wachtmeister bei den Kuerassieren gewesen und versteht es besser als ich, den Schimmel in Gang zu bringen." "Der muss beim Wagen bleiben. Fuerchtest Du Dich denn?" "Ich mich fuerchten? In wie so denn? Aber ich reite nicht; ich reite sogar niemals." "Aber wenn ich es Dir befehle!" "Das ist schlimm!" "Warum?" "Ich darf nicht reiten." "Nun, warum? Heraus damit!" "Sie wissen es ja schon!" "Ich? Was denn?" "Von dem Geluebde." "Pah! Was denn fuer ein Geluebde?" "Dass ich im ganzen Leben niemals wieder reiten will." "Ja, zum Teufel, warum eigentlich?" "Na, wenn Sie es nicht wissen, da muss ich es erzaehlen, denn in wie so denn, weil Sie sonst denken, ich will Ihnen nicht gehorchen." "Nun -!" "Das war also damals, und ich stand als Knappe in der Sonntagsmuehle. Da kommt eines schoenen Tages ein Rosskamm und bietet uns ein Pferd an, einen Apfelschimmel, der aber keine Apfeln mehr hatte, denn in wie so denn, er hatte sie vor Alter laengst wieder verloren. Das Thier war nicht zu hoch, aber kraeftig gebaut und recht gut erhalten. Es trug das Militaerzeichen und hatte bei den Husaren gedient. Dann hatte es ein Pferdeverleiher gekauft, und weil es gar so ein frommes Pferd gewesen war und einen Trompeter getragen hatte, kam es sogar zuweilen in das Theater, denn in wie so denn und in wie fern denn, es gibt doch Stuecke, in denen ein Schauspieler zuweilen auf einem wirklichen lebendigen Pferde erscheinen muss. Dann wird die hintere Theatertreppe so vorgerichtet, dass das Pferd leicht hinauf kann und gleich auf die Buehne kommt. Nachher war es aelter geworden, und der Pferdeverleiher hatte es an den Rosskamm verhandelt, von dem wir es auch wirklich kauften." "War es denn wirklich noch brauchbar?" "Ja. Ein Bischen maulfaul war es, denn in wie so denn, es geht den Pferden wie den Menschen; je aelter man wird, desto mehr hoert das zarte Gefuehl im Maule auf, und wenn es einmal den Rappel bekam, so musste man es gehen lassen, weil es dann nicht zu lenken war." "Hast Du es denn auch geritten?" "Allerdings; ich hatte ja damals noch kein Geluebde gethan. Eines schoenen Nachmittages nun musste ich in die Stadt. Ich setzte mich auf den Schimmel, ritt fort und kam auch wohlbehalten an. Weil ich aber sehr viel zu besorgen hatte, konnte ich erst spaet an die Rueckkehr denken. Ich musste ueber den Theaterplatz, den mein Schimmel sehr gut kannte. Ungluecklicherweise wurde ein Stueck gegeben, welches ich damals noch gar nicht kannte, das ich mir aber nachher mit angesehen und genau gemerkt habe, denn in wie fern und in wie so, es hat mich ins Malheur gebracht und ist schuld an dem Geluebde, welches ich gethan habe." "Wie heisst das Stueck?" "Es heisst "die Stumme von Portici," und es kommt ein Kerl darin vor, ein gewisser Masaniello, ein Fischer, der Rebellion macht und auf einem lebendigen Pferde auf die Buehne geritten kommt. Dazu nun war frueher mein Schimmel gebraucht worden, und er kannte nicht nur das Stueck und die Musik, sondern auch den Weg von der Strasse bis hinauf hinter die Koulissen ganz genau." "Aha!" "Ja, nun kommt es, das Unglueck! Also ich reite ueber den Theaterplatz; da fangen auf einmal drinnen die Pauken, Trommeln und Trompeten an, und es beginnt eine Musik, die meinem Schimmel bekannt vorkommen muss, denn in wie fern denn und in wie so denn, er spitzt die Ohren, faengt an zu schnauben, steigt in die Hoehe und schuettelt ganz bedenklich mit dem Kopfe. Wieder wirbelt, klingt und donnert es drinnen los, und das Volk von Neapel singt die Worte, die ich nachher auswendig gelernt habe, weil sie schuld an meinem ganzen Peche sind: "Geehrt, gepriesen Sei der Held, den Ruhm bekraenzt! Frieden gab uns der Sieger, Von Edelmuth umglaenzt!" Es war gerade, als ob der Schimmel diese Worte auch auswendig gelernt haette. Er hatte oft da oben gestanden, als "Held und Sieger," von "Edelmuth und Ruhm bekraenzt," und nun gab es kein Halten mehr. Ich konnte schreien, rufen, ziehen, zerren, schimpfen und fluchen, mit Haenden und Fuessen stampfen und strampeln, wie ich wollte, es half nichts, denn in wie so und in wie fern, wenn so eine Kreatur infam werden will, so wird sie infam." "Also er ging durch? "Natuerlich! In drei Ellen langen Saetzen flog er auf das Theater zu. Ich stand noch im letzten Lehrjungenjahr und hatte mir, um gross zu thun, dem alten Mueller seine Meerschaumpfeife wegstibitzt und seine grossen Kanonenstiefeln dazu, die mir um die Beine schlotterten, wie ein Paar alte blecherne Ofenrohre um eine Bohnenstange, wenn man die Sperlinge vertreiben will. Eine weisse Mehlhose, eine weisse Mehljacke und eine weisse Zipfelmuetze, so sass ich auf dem weissen Gaule. Dieser kannte seinen Weg sehr genau. Wie ein Affe kletterte er an der Treppe empor, die jetzt beinahe wie eine Bruecke aussah. Dann ging es einen engen Gang hinter, auf dem nur eine einzige Lampe brannte und wo ich mich auf allen Seiten stiess und quetschte. Nachher wurde es lichter; ich sah die Koulissen und die strahlende Buehne. Dort war ein ganzer Haufe Volks versammelt; Masaniello wurde auf seinem neuen Schimmel vorgefuehrt, und der Triumphzug sollte beginnen. O weh!" "Du bist doch nicht etwa hinaus auf die Buehne?" "Wohin denn sonst? Der Schimmel war ja hartmaeulig! Mit der Linken musste ich die Meerschaumpfeife festhalten, und mit der Rechten hatte ich mich an das Viehzeug geklammert, dass es nicht parterre mit mir gehen sollte. Da faengt drin das Chor der Rache nach derselben Melodie von vorhin zu singen an: "Noch heute soll der Stolze buessen, ich schwoers, obgleich ihn Ruhm bekraenzt! Der feindliche Stahl trifft den Sieger, Wenn auch Hoheit ihn jetzt umglaenzt!" Da macht mein Schimmel einen Riesensprung, den man eine Lan(ade nennt, und im naechsten Augenblicke fliege ich mit ihm mitten in das Volk von Neapel hinein; meine Meerschaumpfeife fliegt dem Rebellen Masaniello ins Gesicht, mein rechter Stiefel wirbelt links und der linke wirbelt rechts vom Beine herunter, der eine in die Musikanten und der andere gar in die Zuschauer hinein, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie waren mir ja viel zu gross und weit; der richtige Schimmel beisst nach dem falschen, und der falsche schlaegt nach dem richtigen; es wird ein Heidenskandal, Mordspektakel; das ganze Volk von Neapel mit dem ganzen Chor der Rache stuerzt auf mich herein und reisst mich vom Pferde; der Vorhang faellt dem geehrten Publikum vor der Nase zu; das Ehrikum sitzt draussen und bruellt vor Lachen; ich aber werde von sechzig Faeusten "durchgepubelt," dass mir die Schwarte knackt, und als ich wieder zur Besinnung komme, liege ich zerschunden und zerschlagen draussen vor dem Theater, die Kanonenstiefeln kruemmen sich vor mir, als ob sie Kolik und Leibschmerzen haetten, die Meerschaumpfeife hatten sie mir in die Zipfelmuetze gewickelt, aber der Stiefel, der Kopf und die Spitze waren nicht aufzufinden gewesen, rechts vor mir steht der Schimmel und macht ein Gesicht, als ob er das Chor der Rache verschlungen habe und nicht wieder von sich bringen koenne, und links steht ein Polizeidiener, der nur darauf gewartet hat, dass ich wieder zu Athem kommen soll, um mich nachher zu arretiren. "Hat er Dich denn wirklich mitgenommen?" "Natuerlich; mich sammt dem ganzen Schimmel! Ich musste auf die Polizeiwache, bekam einen fuerchterlichen Verweis, aus dem sich der Schimmel gar nichts, ich mir aber sehr viel machte, und dann trollte ich mich von dannen. Draussen aber vor der Stadt liess ich den Schimmel halten, reckte alle zehn Finger und auch die Kanonenstiefel zu den Sternen empor und that den grimmigen Schwur, in meinem ganzen Leben niemals wieder eine solche Bestie zu besteigen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich hatte mit diesem einen Male mehr als genug!" "Aber wie war es nachher beim Militaer?" "Ich wurde fuer die Reiterei ausgehoben und kam zu den Husaren, wurde aber spaeter zur Infanterie versetzt. Das war eine boese Zeit, die ich niemals vergessen werde." "Warum versetzt?" "Weil ich nicht auf das Pferd zu bringen war. Und schafften sie mich ja einmal links hinauf, so machte ich sofort, dass ich schleunigst rechts wieder herunter kam. Dem Pferde ging es dabei gut, mir aber desto schlechter, denn in wie fern denn und in wie so denn, mein Ruecken sah stets himmelblau und im Arrestlokal hatte ich mein immerwaehrendes Standquartier." "Und wie ging es bei der Infanterie?" "Besser, naemlich bis der Krieg kam. Ich bin stets ein alter seelenguter Kerl gewesen und kann nicht dazu kommen, einen Menschen zu erschiessen oder das Bajonnet durch den Leib zu rennen. Als daher die Kanonen anfingen zu brummen und ich auch mit todtschlagen sollte, da that ich, als haette mich eine Kugel getroffen und legte mich in einen Graben. Aber da kam die Kavallerie herangesaust; es waren Kuerassiere, und das Pferd eines Wachtmeisters trat mir auf das Knie, hols der Teufel! Die Unsrigen wurden zurueckgeworfen, und als ich mich davon machen wollte, fielen ein paar feindliche Hallunken ueber mich her. Ich sollte mit und wollte nicht. Der Eine holte mit dem Saebel aus, und weil ich mich in diesem Augenblicke umdrehte, so traf die Klinge nicht meinen Ruecken, sondern sie fuhr mir an dem Gesichte vorbei und nahm mir die Nase weg. Ich habe sie gar nicht wieder gefunden, und an dem ganzen Unglueck ist hier der lange Klaus schuld, denn er ist der Wachtmeister gewesen, dessen Pferd mich getreten hat, so dass ich nicht ausreissen konnte. Und nachher wurde mir auch das Bein abgeschnitten, weil der Brand dazugekommen war." "Lass es gut sein, Alter," meinte der andere Knappe. "Ich konnte ja nicht dafuer, denn ich hatte Dir ja nicht geheissen, Dich in den Graben zu legen. Und da wir uns einmal zusammengefunden haben, werde ich Dich auch nie wieder verlassen." Er reichte ihm die Hand, welche Brendel mit sichtbarer Ruehrung drueckte. Der alte Wachtmeister hatte nun bereits seit langen Jahren treu zu ihm gehalten und stets so an ihm gehandelt, dass es ihm leichter wurde, den Verlust seines Beines und seiner Nase zu ertragen. Das Essen war beendet und die Leute erhoben sich, um wieder an ihre Arbeit zu gehen. Anna, die Tochter, war noch mit Abraeumen beschaeftigt, als ein Reiter durch die Schlucht kam, bei dem Anblicke des huebschen Maedchens stutzte und dann sein Pferd in schnelleren Gang versetzte. Vor dem Tische hielt er an und stieg ab. Sie sah, dass es ein vornehmer Herr sein muesse. "Guten Tag, mein schoenes Kind!" gruesste er. "Darf ich fragen, wer Du bist?" "Ich bin die Tochter des Muellers," antwortete sie. "Das ist nicht wahr. Der Mueller hat gar keine Tochter!" "Ja, der vorige!" "Ach so!" meinte er, sich besinnend. "Es ist ja ein neuer Mueller hier. Wo ist er her?" "Von drueben herueber, aus Norland." "Ah! Wie heisst er?" "Uhlig." "Und Du?" "Anna." "Ein huebscher Name, mein Kind! Kann man bei Euch ein Glas Milch bekommen?" "So viel Sie wollen." "So bringe es mir dort in jene Laube!" Er band sein Pferd an den naechsten Baum und schritt der Laube zu. Nach einiger Zeit brachte Anna das verlangte Getraenk. Er musterte das Maedchen mit einem Blicke, der sie hoch erroethen machte, und ergriff ihre Hand. "Sage einmal, hast Du bereits einen Schatz?" "Sind solche Fragen hier in der Sitte?" antwortete sie. "Nicht nur hier, sondern ueberall. Ich muss wissen, ob Du einen Geliebten hast." "Warum?" "Du bist ein reizendes Wesen, und wenn Du noch frei bist, so musst Du mein werden." "Danke sehr! Dann will ich ihnen lieber gleich sagen, dass ich bereits versehen bin." "Ah! An wen?" "Meine Sache!" "Auch gut! Aber einen Kuss hast Du doch wohl auch an einen Andern uebrig?" "Nein." Er versuchte sie an sich zu ziehen; es gelang ihm nicht; ebensowenig aber konnte sie ihre Hand, die er fest gefasst hielt, aus der seinigen bringen. "Nicht? So nehme ich ihn mir!" "Das werden Sie nicht thun!" "Warum?" "Weil ich es nicht leide." "Wollen sehen!" Er fasste sie nun auch mit der Linken; sie aber schob ihn sehr kraeftig zurueck. "Lassen Sie mich gehen. Ich habe mehr zu thun, als mich mit Fremden herumzubalgen!" "Ich aber balge mich gern, zumal mit einem so huebschen Maedchen wie Du bist." "Sie scheinen aber nicht immer gut dabei zu fahren!" "Wie so?" "Man sieht es ja Ihrem Gesichte an, in dem die Schwielen und Narben noch zu sehen sind. Lassen Sie mich endlich sonst weiss ich mich zu wehren!" "Pah, einen Kuss!" Er umfing sie wirklich und spitzte bereits die Lippen; da aber holte sie aus und gab ihm eine solche Ohrfeige, dass er sie fahren liess. Sie sprang zur Laube hinaus. "Donnerwetter!" rief er. "Das sollst Du mir buessen!" Er eilte ihr nach, und es gelang ihm, sie wieder zu ergreifen. "Lassen Sie mich, Sie Unverschaemter, sonst rufe ich um Hilfe!" drohte sie. "Rufe doch!" antwortete er, sie fest an sich drueckend. "Hilfe!" Es haette dieses Rufes nicht bedurft, denn bereits war der Mueller aus der Thuer getreten und kam herbeigesprungen. "Herr, was wollen Sie? Lassen Sie los!" "Nicht eher, als bis ich meinen Kuss erhalten habe!" "Da kannst Du warten, Buerschchen!" Mit diesen Worten fasste der Mueller zu, und zwar so kraeftig, dass der Fremde das Maedchen augenblicklich freigab. "Hund, Du wagst es, Dich an mir zu vergreifen!" "Kerl, rede anstaendig mit mir, sonst zeige ich Dir, wie man mit ehrlichen Leuten zu verkehren hat! Du stehst hier auf meinem Grund und Boden." "Oder auf dem meinigen! Weisst Du, wer ich bin? Kennst Du mich?" "Nein, habe aber auch gar kein Verlangen darnach. Trolle Dich von dannen!" "Ganz, wie es mir beliebt! So hoere: ich bin Prinz Hugo, dem das Schloss dort gehoert!" Der Mueller erschrak doch ein wenig, fasste sich aber sofort wieder. "Das glaube, wer da will, ich aber nicht. Ein koeniglicher Prinz stellt keinem braven buergerlichen Maedchen nach!" "Zuweilen doch, wenn es ihm Vergnuegen macht. Ich verlange meinen Kuss. Erhalte ich ihn, so bin ich bereit, Dir zu vergeben." "Meine Tochter kuesst keinen Andern als Den, der ein Recht auf ihre Liebe hat. Und zu vergeben haben Sie mir nicht das Mindeste. Sind Sie wirklich Prinz Hugo, so zolle ich Ihnen gern die Ehrerbietung, welche ich Ihnen schuldig bin, kann aber nicht dafuer, wenn Sie sich so verhalten, dass diese Ehrerbietung unmoeglich ist." "Oho! Ich bin Dein Herr, und werde Dir zeigen, wie Du Dich zu verhalten hast!" "Das weiss ich auch ohnedies. Ich fuerchte Gott, thue recht und zahle meine Steuern; mehr kann Niemand verlangen, und mein Kind lasse ich mir nicht beleidigen und schimpfiren." "Beleidigen? Schimpfiren? Mensch, kann es eine groessere Ehre fuer Dich und Deine Tochter geben, als wenn sie mir gefaellt?" "Danke fuer diese Ehre! Koenigliche Hoheit, trinken Sie Ihre Milch, wie es sich gehoert, und Sie werden mir stets willkommen sein; sonst aber muss ich mir Ihre Gegenwart verbitten." "Ganz wie Du willst; aber Du sollst an mich denken!" Er bestieg sein Pferd und ritt davon. Sein Weg fuehrte ihn die Burgstrasse empor, welche in zahlreichen Kruemmungen und Windungen zur Hoehe stieg und zuerst an dem Nonnen- und dann am Moenchskloster vorueberfuehrte. Einige hundert Schritte noch ueber dem letzteren lag ein kleines Kapellchen. Es enthielt ein Marienbild, welches wegen seiner Wunderthaetigkeit weithin beruehmt war und jaehrlich zweimal den Zielpunkt ausserordentlicher Wallfahrten bildete. Dann herrschte ein sehr reges Leben auf dem Berge, welcher sich in einen ungeheuren Mess- und Belustigungsplatz verwandelte. Die Herren Patres gaben der heiligen Mutter Gottes ihre Erlaubniss, irgend ein in die Augen fallendes Wunder zu verrichten, verkauften Rosenkraenze und Heiligenbilder und vertauschten ihren Segen gegen klingendes Metall, welches reichlich einzufliessen pflegte. Jetzt war die Strasse und das Kapellchen leer, und nur hinter dem letzteren ertoente eine Stimme, welche Befehle zu ertheilen schien. Der Prinz lenkte sein Pferd um das kleine Gebaeude herum und erblickte einen ungefaehr sechzehnjaehrigen Knaben, welcher einen vor ihm sitzenden Hund Kunststuecke zu lehren schien. Dabei aber war er noch bei einer zweiten Beschaeftigung, welche allerdings sehr eigenthuemlich genannt werden musste. Der Hund hatte den Prinzen bemerkt und knurrte. Der Knabe wandte sich um und erblickte den Reiter, liess sich aber in seiner Arbeit nicht im mindesten stoeren. Es schien nicht diese Arbeit allein, sondern noch etwas Anderes zu sein, was den Prinzen frappirte. Er lenkte sein Pferd hart an den Knaben heran und frug mit barscher Stimme: "Kerl, was thust Du hier?" Der Gefragte hielt es nicht der Muehe werth sich zu erheben; er blickte sehr unbesorgt empor und antwortete in einem sehr renitenten Tone: "Das sehen Sie ja. Ich schmiere meine Stiefel!" "Aber womit!" "Mit Oel." "Aber dies ist ja die ewige Lampe hier aus der Kapelle!" "Ja; aber das Oel ist ganz gut fuer die Stiefel." "Wie kommst Du von Fallum hierher, Buerschchen?" "Von Fallum! Wo ist das?" Jetzt stutzte der Prinz. Er fand hier eine hoechst seltene und auffaellige Aehnlichkeit, die er bewundern musste. Nach einer schaerferen Musterung des Knaben frug er: "Heisst Du nicht Schubert?" "Nein." "Und bist nicht der Stiefsohn eines Fischers im Seebad Fallum?" "Sie hoeren ja, dass ich gar nicht weiss wo Fallum liegt!" "Wie ist Dein Name?" "Franz Geissler." "Geissler? So heisst der Schlossvogt." "Das ist mein Oheim, bei dem ich jetzt bin." "Auf Besuch?" "Fuer immer. Mein Vater, der sein Bruder war, ist gestorben, und da hat er mich zu sich genommen." Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, welchem anzuhoeren war, dass dem Knaben der Tod seines Vaters eine hoechst gleichgiltige Sache sei. "Was treibst Du denn bei ihm?" "Ich? Nichts!" "Du musst doch etwas thun und etwas lernen!" "Ist nicht nothwendig. Ich werde Diener oder Reitknecht beim tollen Prinzen." "Ah! Wer sagt das?" "Mein Oheim. Wenn der Prinz kommt wird es abgemacht." "Dann bekommt er einen Diener, ueber den er sich freuen kann, einen, der seine Stiefel aus der ewigen Lampe schmiert. Das duerften die frommen Vaeter sehen!" "Fromm? Sie sollten nur wagen mich auszuzanken! Komm, Tiras, ich bin fertig!" Er erhob sich, trug die Lampe in das Kapellchen und verschwand dann mit seinem Hunde hinter den Baeumen, welche die Strasse zu beiden Seiten einfassten. "Hm," machte der Prinz, "ein kostbarer unverfrorener Bengel. Solche Subjekte sind sehr oft die brauchbarsten, welche man finden kann. Aber eine solche Aehnlichkeit ist mir noch nicht vorgekommen. Ich hielt ihn wahrhaftig fuer diesen Fallumer Schifferjungen, der an mich gedenken soll. Wer weiss, wie diese Aehnlichkeit noch einmal benuetzt werden kann." Er verfolgte seinen Weg weiter und gelangte zur Burg, deren Thor weit geoeffnet war, da man seine Ankunft bemerkt hatte. Geissler, der Vogt, stand zum Empfange bereit, und hinter ihm diejenigen Bewohner des Schlosses, welche er in der Eile hatte zusammenraffen koennen. "Koenigliche Hoheit, welch eine Ueberraschung! Haette ich ahnen koennen, dass uns das Glueck Ihrer Gegenwart bevorstehe, so waeren sicher - " "Schon gut! Sie wissen, dass ich Privatmann sein will, wenn ich Burg Himmelstein aufsuche. Meine Zimmer sind in Ordnung?" "Stets, gnaediger Herr!" "Dann vorwaerts!" Er stieg ab, warf die Zuegel seines Pferdes einem Knechte und schritt ueber den Burghof hinweg gegen eine Treppe, welche ihn in diejenigen Raeume fuehrte, die er hier zu bewohnen pflegte. Das waren noch dieselben Gemaecher, in denen die alten Himmelsteiner gehaust hatten, aber die alten Eichenmoebel waren verschwunden, um einer Einrichtung nach dem neuesten Stile Platz zu machen, und an Stelle der klein- und rundscheibigen Fenster waren grosse geschliffene Tafeln getreten, welche beim Untergange der Sonne wie gluehendes Gold ueber das weite Land zu schimmern pflegten. Von hier aus hatten die alten Ritter dem edlen Handwerke des Wegelagerns obgelegen, und von hier aus setzte der Prinz dieses edle, aecht aristokratische Vergnuegen fort, nur auch in einer Weise, welche den gegenwaertigen Zustaenden angemessener war. In seinem gewoehnlichen Wohnzimmer eingetreten, nahm er auf einem Sopha Platz. "Etwas vorgefallen?" "Nichts von Bedeutung, Hoheit." "Ihre Familie hat sich vergroessert?" "Durch einen Neffen, dessen ich mich annehmen musste, als sein Vater starb." "Bin ihm begegnet. Scheint ein sehr wohlerzogener Bursche zu sein." Das Gesicht des Vogtes verfinsterte sich. "Der Bube ist mit dem Hunde fort. Ich hoffe nicht, dass er sich durch irgend eine Ungehoerigkeit das Missfallen des gnaedigen Herrn zugezogen hat!" "Nicht im Geringsten. Im Gegentheile, ich habe mich sehr ueber ihn amusirt. Er sass mit dem Hunde hinter der Kapelle, hatte sich die ewige Lampe aus derselben geholt und schmierte mit dem Oele seine Stiefel ein. Ich waere neugierig das Gesicht zu sehen, welches ihm beim Atrappiren von den frommen Patres gemacht worden waere." "Verzeihen Hoheit ihm diesen Knabenstreich! Der Junge hat wirklich keinen Begriff von der schweren Suende, welche er begangen hat." "Pah; das hat er mit der heiligen Mutter Gottes abzumachen! Man soll der Jugend die Scheriagen nicht allzu sehr verkuerzen, sonst zieht man sich Schwaechlinge oder Duckmaeuser heran. Uebrigens frappirte mich seine ausserordentliche Aehnlichkeit mit einem Burschen, fuer den ich ihn wirklich ganz und gar gehalten habe. Sie lesen die Zeitungen?" "Ein wenig." "Haben Sie mein Fallumer Abenteuer mit dem General von Helbig gefunden?" "Allerdings. Ich begreife die geradezu riesenhafte Ruecksichtslosigkeit nicht, mit welcher die dortigen Behoerden diesen schauderhaften Fall behandelten. Ein Prinz von Suederland gegen einen schmutzigen Fischerjungen, oeffentlich verhandelt und endlich gar in Strafe genommen. Solche Richter verdienen durchgepeitscht zu werden!" "Eigenthuemlich genug war es. Ich zeigte den Jungen an, und mich zeigte der General an; ich wurde zu einer mehrmonatlichen Gefaengnissstrafe verurtheilt, von welcher ich mich nur auf dem Gnadenwege zu befreien vermochte, und den jungen sprach man frei, so dass ich noch die Untersuchungskosten zu tragen hatte. Das sind norlaendische Zustaende, hahaha! Seit dort ein Schmiede- sohn Kronprinz und ein Zigeunerbankert Herzog von Raumburg geworden ist, gilt koenigliches Gebluet noch weniger als Vagabundensaft. Und solchem obskurioesen Volke gibt man meine Schwester Asta zum Weibe!" "Ist es wahr, dass General Helbig diesen Fischerbuben adoptirt hat?" "Adoptirt nicht, doch beinahe so. Er hat ihn und seine Mutter zu sich genommen, um fuer seine Erziehung zu sorgen. Es wird eines schoenen Tages die Zeit kommen, in welcher ich mit diesem Volke Abrechnung halte! Doch wie steht es mit der Komtesse?" "Gesund ist sie, ob aber gefueger geworden kann ich nicht sagen." "Wo ist sie?" "Im Gaertchen jetzt." "Wer verkehrt mit ihr?" "Nur ich und meine Frau, wie Ew. Hoheit streng befohlen haben." "Ich werde sie aufsuchen. Doch, apropos, da faellt mir ein: in der Hoellenmuehle ist ein neuer Besitzer?" "Ja, ein Norlaender Namens Uhlig." "Was sind es fuer Leute?" "Sie sind, was man so stille und arbeitssame Menschen zu nennen pflegt. Er versteht sein Handwerk aus dem Fundamente und ist ein ausgezeichneter Landwirth, wie es den Anschein hat. Besseres Brod und Mehl als bei ihm hat es noch nicht gegeben." "So kaufen Sie auch jetzt noch in der Hoelle?" "Ja." "Auch die Patres?" "Nein. Der Mueller ist Protestant, daher mag der Bruder Proviantmeister nichts mit ihm zu thun haben." "Hat Uhlig Kinder?" "Eines, eine Tochter." "Ledig?" "Verlobt." "Mit wem?" "Habe es zufaellig gehoert. Mit einem Hauslehrer drueben in ihrer Heimath. Er wird naechstens auf Besuch kommen." "Aber ob er sie finden wird!" Diese Worte waren in einem so eigenthuemlichen Tone gesprochen, dass der Schlossvogt ihn anblickte, doch zeigte seine Miene keineswegs eine Ueberraschung. "Ah, der gnaedige Herr haben das Maedchen bereits gesehen?" "Ja, vorhin." "Ich kenne den Geschmack Ew. Hoheit und hatte mir vorgenommen, Sie auf diese schoene Muellerstochter aufmerksam zu machen." "Ist noch Platz?" "Hm, Zwei ist gefaehrlich und koennte die Sache verrathen!" "Sie unbemerkt heraufzubekommen kann doch unmoeglich schwierig sein!" "Das nicht; aber sie wuerde mit der Komtesse zusammen kommen, was gar nicht zu vermeiden ist, und das mindert die Sicherheit. Hoheit muessten sich entschliessen, sie in einem der alten Verliesse unterzubringen, im Falle sie sich obstinat zeigt." "Das wird sie allerdings thun, wie ich es aus Erfahrung weiss." "Sollten der gnaedige Herr bereits mit ihr gesprochen haben?" "Mit ihr und ihrem Vater. Ich forderte einen Kuss von ihr, wurde aber zu einem sehr schmaehlichen Rueckzuge getrieben. Waere ich laenger geblieben, so glaube ich, man haette mich fortgepruegelt." "Auf diese Weise ist man Ihnen begegnet? Hoheit, ich stehe zu Diensten!" "Das versteht sich ganz von selbst. Ehe ich mich aber zu irgend einem Schritte entschliesse, werde ich mit der Komtesse sprechen. Vor allen Dingen merken Sie sich, dass von meiner Anwesenheit hier so wenig wie moeglich verlautet. Ich will ungestoert sein. Da, wo der Basaltfelsen von dem Schlossplateau jaeh und senkrecht zur Tiefe fiel, lag hinter der hohen Umfassungsmauer der Burg ein kleines Gaertchen, in welchem die Edelfrauen frueherer Jahrhunderte wohl einige der ihnen nothwendigsten Kuechengewaechse gebaut hatten. Der Prinz hatte diesen Platz in einen allerliebsten Blumengarten umwandeln lassen. Zwar war er rings von hohen starken Mauern umgeben, aber in das aeussere Gemaeuer, welches sich auf die scharfe Kante des Felsens stuetzte, hatte man einige Schiessscharten aehnliche Oeffnungen angebracht, durch welche ein Ausguck weit in das Land hinein ermoeglicht wurde. Vor einer dieser Oeffnungen stand eine mit weichem Moose bedeckte Bank, welche von einem dichten, Schatten spendenden Epheu laubenartig ueberwoelbt wurde. Auf dieser Bank sass eine junge Dame, welche vielleicht zweiundzwanzig Jahre zaehlen mochte. Sie trug ein einfaches weisses NegligÈkleid, welches sich schlafrockaehnlich um die ueppig vollen Formen legte und nur mit einem schmalen blauseidenen Guertel um die Taille befestigt war. Ein reiches lichtblondes Haar fiel in reizender Unordnung von dem schoenen Koepfchen auf die weichen Schultern nieder, deren reines Weiss verfuehrerisch durch den transparenten Stoff schimmerte; Nacken und Hals waren unbedeckt und auch die Aermel waren bis weit hinauf aufgeschlitzt, so dass die herrlich geformten Arme bis beinahe herauf an die Schultern frei zu liegen kamen. Der duenne Stoff legte sich verraetherisch eng an die Hueften und Beine, und die kleinen niedlichen Fuesschen waren nur mit tuerkischen Pantoffeln bekleidet, so dass es ganz den Anschein hatte, als sei diese Dame eine jener Phrynen, welche es verstehen, durch eine raffinirte Toilette ihre Reize zu verdoppeln und ihr Opfer unwiderstehlich zu fesseln, wie die Schlange, welche mit ihrem Blicke den unschuldigen Vogel bezaubert, dass er ihr nicht zu entfliehen vermag. Blickte man aber in dieses schoene reine Angesicht, in diese kindlich treuen vertrauensvollen Augen, so war es geradezu unmoeglich zu glauben, dass dieses suesse Wesen einer solchen Berechnung faehig sei. Man haette vielmehr annehmen moegen, dass die Dame ein solches Gewand ae la Kleopatra nicht aus eigenem und freiem Antriebe gewaehlt habe, sondern durch irgend welche Umstaende gezwungen worden sei es anzulegen. Auf ihrer reinen klaren Stirn schien eine Falte des Truebsinns sich gewaltig Bahn brechen zu wollen; die Winkel des kleinen Mundes waren mit einer gewissen Strenge nach unten gezogen, und der Blick suchte in dieser Schwermuth durch die Mauerspalte die Ferne, in welcher sich der Aether zu einem immer dunkleren Blau verdichtet. Dieses Blau, dieses tiefe, feuchte, thraenenschwangere Blau hatten auch die Augen, aus denen eine Sehnsucht sprach, welche vielleicht ohne Hoffnung war. Da wurden Schritte hoerbar. Sie wandte sich um und erblickte den Prinzen. Im Nu verbreitete sich heller Sonnenschein ueber ihr Angesicht; sie sprang empor, oeffnete die Arme und eilte ihm einige Schritte mit sichtlichem Entzuecken entgegen. "Hugo, mein Hugo, endlich, endlich!" Er umfing sie und drueckte sie heiss an sich. Sie lag an seinem Herzen und litt die gluehenden Kuesse, unter welchen seine Lippen ihren Mund und ihre Wangen beruehrten. "Toska, meine suesse herrliche Toska; endlich ist es mir vergoennt, wieder bei Dir zu sein!" Er zog sie auf die Bank zu sich nieder und schlang die Arme noch inniger um sie als vorher. Auch sie legte ihren Arm um seinen Nacken. Da aber fiel ihr Auge auf diesen unverhuellten Koerpertheil, und mit einem Male kam sie wieder zum Bewusstsein dessen, was ihr Gefuehl bereits seit Monaten empoert hatte. liefe Gluth legte sich ueber ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken herab; sie riss sich ungestuem los, trat zurueck und huellte sich so tief wie moeglich in das Gewand, welches ihr doch keine genuegende Huelle bot. "Was ists? Was hast Du so ploetzlich?" frug er "Hugo, wo sind meine Kleider, welche ich mit hierher brachte? Man verweigert sie mir und zwingt mich, Gewaender anzulegen, die mich noch toedten werden." "Ich kenne nur ein Gewand, welches getoedtet hat, naemlich dasjenige des Herkules, und dieses war vergiftet." "O, auch diese Kleider enthalten ein Gift, ein fuerchterliches Gift. Gieb Befehl, dass ich die meinigen wieder erhalte, sonst fuerchte ich mich vor mir selbst!" "Du wirst sie erhalten, vorausgesetzt, dass Du mir folgsam bist." "Wie wuenschest Du dass ich sein soll?" "Liebevoll." "Bin ich dies nicht stets gewesen, bin ich dies nicht auch heute wieder?" "Ich meine diejenige Liebe, welche die Frau zum Manne hat." "Die sollst Du nicht vergebens suchen, doch zuvor muss ich erst Dein Weib sein. Ich habe meine Ehre auf das Spiel gesetzt; ich habe Dir meine Freiheit und alle meine Vergnuegungen geopfert, weil Du es so wolltest. Ich sollte scheinbar verreisen, sollte mich auf einige Zeit zurueckziehen, um die Augen irre zu leiten, welche unsere Liebe zu erforschen suchten. Die Zeit, welche Du bestimmtest, ist laengst vorueber, und noch immer bin ich gefangen, darf mit keinem Menschen verkehren und habe, wenn Du je kommst um mich zu besuchen, mit Dir und mit einer Liebe zu ringen, welche Deiner und meiner nicht wuerdig ist. Du liebst mich nicht mehr!" "Mehr als jemals, ich schwoere es Dir; aber warum ringst Du mit meiner Liebe?" "Ich verstehe sie nicht." "Dann liebst Du nicht! Du denkst an die Krone, welche ich vielleicht einst tragen werde, aber nicht an das Glueck, welches ich bei Dir suche und doch nicht finde." "Warum muss ich mich noch immer verbergen? Warum nimmt man mir meine Garderobe und legt mir Kleider hin, deren sich nur eine Taenzerin nicht schaemt?" "Weil die Liebe nur im Verborgenen ihre schoensten und suessesten Triumphe feiert, und weil ich wuensche, Dich so reizend und entzueckend wie moeglich zu sehen, wenn mein Verlangen mich zu Dir treibt. Komm, setze Dich auf meinen Schooss und lass uns kosen!" Ihr Blick verfinsterte sich, und sie huellte sich womoeglich noch tiefer ein. "Also immer noch wie zuvor! Ich habe gehofft und geharrt, ich habe gebetet und geweint - vergebens. Ich warte nicht laenger. Mache mich zu Deinem Weibe, offen oder heimlich einstweilen, oder lasse mich wieder zurueckkehren!" "Du kannst Schloss Himmelstein noch nicht verlassen, Toska; die Umstaende verbieten es. Man weiss bereits, dass Du nicht verreist bist; man ahnt sogar, dass ich Dich verberge. Deine Rueckkehr ist unmoeglich, so lange Du noch nicht mein Weib geworden bist." "So mache mich zu diesem!" "Das geht noch nicht. Die Hindernisse, welche es vorher gab, sind nicht verschwunden, sie haben sich vielmehr vergroessert, und ehe ich sie besiege, wird eine lange Zeit vergehen." "Du gabst mir Dein Wort!" "Ich halte dasselbe. Komm!" Er nahm sie bei der Hand und zog sie wieder an sich. Sie liess es zoegernd geschehen. Unterdessen gab der Schlossvogt seine Befehle und suchte dann seine Frau auf, welche sich in der Kueche befand. "Wo ist der Prinz?" frug sie. "Im Garten." "Ist nicht auch die Komtesse dort?" "Ja. Ich hoffe, sie wird endlich klug werden!" "Was nennst Du klug?" "Die Aufgabe ihres Widerstandes gegen ihn." "Ja, Ihr Maenner seid sehr weise. Oft aber seid Ihr zum Bedauern dumm. Ein Gehorsam gegen ihn wuerde die groesste Albernheit sein!" "Wie so?" "Das muss ich diesem Menschen erst erklaeren! Er liebt sie; nicht?" "Hin, er liebt Alle!" "Gut; dann will ich sagen, dass er entzueckt ist von ihrer Schoenheit; denn schoen ist sie, wie ich noch niemals eine Andere gesehen habe. Er hat ihr versprochen sie zu heirathen, will aber nur ihre Schoenheit geniessen, und das ahnt sie jetzt. Er hat sich durch diesen albernen Befehl, sie zum Anlegen unzuechtiger Kleidungsstuecke zu zwingen, verrathen. Gehorcht sie ihm, so ist sie verloren, denn er wird satt und vergisst sie. Sie stirbt dann auf Schloss Himmelstein oder da unten im Nonnenkloster; denn er sorgt ganz sicher dafuer, dass sie verschwunden bleibt. Durch das Versagen seiner Wuensche aber facht sie dieselben vielleicht zu einer solchen Hoehe an, dass er doch noch am Ende die Unklugheit begeht, sie zu heirathen. Dazu gehoert freilich mehr Talent als sie besitzt; dazu gehoert eine genaue Berechnung, eine so schlaue Taktik, wie sie nur bei sehr erfahrenen Frauen zu finden ist." "Pah, Ihr Weiber seid alle erfahren! Der juengste Backfisch versteht es heut zu Tage ganz gut, den vorsichtigsten Mann zu ueberrumpeln und zu ueberlisten." "So! Hast Du Dich vielleicht auch bereits von einem Backfische ueberlisten lassen?" "Nein, aber von einem Stockfisch!" "Wen meinst Du mit diesem Worte, he? Doch nicht etwa mich?" "Wen ich meine, das kannst Du Dir - horch, was war das? Rief da nicht jemand um Hilfe?" "Es klang beinahe so. Aber wer sollte hier um Hilfe rufen?" "Es war im Garten. Horch, noch einmal - zum dritten Male! Es kommt naeher. Er wird durch seine Unvorsichtigkeit Skandal verursachen. Ich muss hinab!" Der Vogt eilte nach dem hinteren Hofe, aus welchem ein kleines Pfoertchen nach dem Gaertchen fuehrte. Toska hatte nur in diesen Hof Zutritt, und wenn sie dort erschien, war dafuer gesorgt, dass Niemand von der Dienerschaft dort zugegen sein konnte. Sie war eine Gefangene im wahrsten Sinne des Wortes, deren Anwesenheit man so viel wie moeglich zu verheimlichen suchte. Als der Vogt diesen Hof erreichte, kam ihm Toska mit wehendem Haare und fliegendem Gewande entgegen. Sie wurde von dem Prinzen verfolgt. Geissler wollte sie halten, aber sie entschluepfte ihm. Beide rannten ihr nach, die Treppe empor und einen Korridor entlang, dessen Eckzimmer ihre Wohnung bildete. Sie erreichte dasselbe in demselben Augenblicke mit dem Prinzen; er trat mit ihr ein und verschloss die Thuer. Waehrend dies geschah und er ihr dabei den Ruecken zukehrte, hatte sie ein Messer von dem Tische ergriffen und an sich genommen. "So, mein Schaetzchen," lachte er. "Eine solche kleine Jagd ist interessant, aber entkommen kannst Du mir nicht!" "Meinen Sie?" antwortete sie mit keuchendem Athem und fliegendem Busen. "Jetzt erst kenne ich Sie; jetzt thue ich den ersten klaren Blick in die Verworfenheit Ihrer niedertraechtigen Seele. Verlassen Sie mich, wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen!" "Wirklich? Ich meine, dass wir erst noch einen zaertlichen Abschied feiern werden, ehe wir scheiden. Komm an mein Herz, mein suesses holdes Liebchen!" Er machte Miene sie zu umarmen. Da erhob sie die mit dem Messer bewaffnete Hand: "Wagen Sie es, mich anzuruehren!" Er trat bei diesem entschlossenen Tone doch einen Schritt nach rueckwaerts. "Ah, interessant, ganz wie auf der Buehne. Sie verrathen theatralisches Talent!" "Moeglich, aber ich werde nicht nur spielen, sondern vielmehr wirklich handeln. Verlassen Sie augenblicklich mein Zimmer, sonst rufe ich die Leute herbei!" "Das wuerde Ihnen nichts helfen, Komtesse, denn diese Leute stehen in meinem Dienste und haben also nur mir zu gehorchen. Wollen Sie mich anhoeren?" "So sprechen Sie. Aber machen Sie es kurz, und versuchen Sie es nicht sich mir zu naehern, da ich sonst von meiner Waffe Gebrauch machen werde. Sie kennen mich!" "Allerdings kenne ich Sie. Ich weiss, dass Sie das einzige Kind waren und eine Erziehung genossen haben, wie sie sonst nur Knaben zu Theil zu werden pflegt. Sie reiten, turnen, schiessen und fechten, ich weiss es; Ihr Messer aber floesst mir dennoch keine Furcht ein." "Pah, ich werde es gebrauchen, mit welchem Erfolge, das wird sich zeigen!" Der Prinz schien doch ein wenig schuechtern zu werden. Er wich noch um etwas zurueck und meinte dann: "Diesen Erfolg kenne ich. Sie sind nicht der erste Vogel, den ich hier zaehmen lasse. Wir wollen offen sein." "Oh, fuerchten Sie nicht, dass ich schmeicheln werde." "Wohl Komtesse, so hoeren Sie! Burg Himmelstein wird oefters von Damen bewohnt, welche die Liebe und ihre Schoenheit heraufgefuehrt haben. Fuegen sie sich in meine Befehle, so werden sie spaeter mit reichen Geschenken entlassen und haben die Wonne aller Seligkeiten genossen. Fuegen sie sich aber nicht, so verschwinden sie aus dem Leben; sie sterben nach Jahren in den Verliessen, aus denen seit Jahrhunderten kein Auferstehen gewesen ist. Waehlen Sie!" Sie war erbleicht, fuerchterlich erbleicht. "Sie sind ein Teufel!" hauchte sie endlich. "Und einen solchen Satan liebte ich!" "Ja, Sie liebten mich und folgten mir, wie alle Ihre Vorgaengerinnen," laechelte er. "Glaubten Sie wirklich, dass ich Sie an meine Seite heben wuerde? Sie waren schamhaft, verteufelt schamhaft und zurueckhaltend, ich suchte dieses alberne Gefuehl zu toedten, indem ich Ihnen eine geeignete Toilette aufnoethigte. Es hat nichts geholfen. Sie werden mir gehoeren oder diese Mauern niemals verlassen. Waehlen Sie!" Ihre Augen leuchteten. "Ich habe gewaehlt." "Wie?" "Sie sind mir mehr zuwider als das haesslichste Gewuerm, das auf Erden kriecht." "Gut. So ist Ihr Schicksal entschieden. Man wird Sie in das Verliess bringen." "Noch ist es nicht so weit. Noch habe ich mein Messer!" "Machen Sie sich nicht laecherlich. Es gibt hier Haende genug, welche es Ihnen zu entringen vermoegen." "So sterbe ich als Gefangene, aber doch mit dem Bewusstsein, dass Sie mich nicht anruehren durften." "Dieses suesse Bewusstsein will ich Ihnen goennen, obgleich es mir doch vielleicht noch beikommen koennte, mich Ihnen zu naehern, wenn Sie gefesselt und unschaedlich gemacht worden sind." "Feiger elender Schurke!" "Danke! Auf alle Faelle aber muss ich Ihnen sagen: Sobald Sie sich in dem Verliesse befinden, sind Sie das Eigenthum des Knechtes, der Sie fuettert. Er wird gluecklicher sein als ich." Scheusal!" "Noch einmal, waehlen Sie!" "Ich habe gewaehlt uend wuerde mich auf der Stelle toedten, aber ich hoffe auf die Gerechtigkeit und Hilfe Gottes; er wird mich nicht verlassen, Sie aber zu treffen wissen!" "Auch diese Hoffnung lasse ich Ihnen. Wir sind fertig. Adieu!" Er verliess das Gemach und verschloss es von aussen, so dass sie es nicht verlassen konnte. Als er seine Wohnung erreicht hatte, klingelte er. Der Schlossvogt erschien. "Hat Jemand etwas gemerkt?" "Nein." "Sie bleibt unverbesserlich. Ich gebe sie auf." "Was befehlen Ew. Hoheit mit ihr?" "Sie kommt in das Verliess." "Entschuldigung, das wird nicht gehen!" "Warum?" "Es sind nur zwei sichere Steinkammern vorhanden, und diese sind besetzt. Die beiden Letzten sind noch nicht todt." "Noch nicht? Sie scheinen sehr luxurioes zu leben!" "Das nicht; aber sie waren beide kerngesund, und mit einem Morde kann ich mein Gewissen denn doch nicht beschweren." Der Prinz lachte cynisch. "Ja, ich weiss, dass Sie ein ausserordentlich zartes Gewissen besitzen! Weiss Ihre Frau von den Beiden?" "Dass sie da waren weiss sie natuerlich, nicht aber wo sie hingekommen sind. Sie ganz und vollstaendig in meine Geheimnisse einzuweihen halte ich nicht fuer noethig." "Das laesst sich begreifen. Sie koennte sonst einen Anflug von demjenigen ueberfluessigen Gefuehle bekommen, welches man Eifersucht nennt. Und nun weiss ich auch, warum die Beiden noch leben. Sie waren schoen, die Saengerin sowohl als auch die Gouvernante." "Hoheit glauben doch nicht etwa, dass - - " stockte der Vogt verlegen. "Pah, wir kennen uns! Doch, ich will nicht zanken. Also die Komtesse hat keinen Platz da unten? Was meinen Sie, wie waere es bei den Nonnen?" "Sehr praktisch. Da steckt sie gut und bleibt Ew. Hoheit immer aufgehoben. Ich wette, dass sie in kurzer Zeit so wohl erzogen ist, dass sie Ihren Besuchen mit Sehnsucht entgegensieht." "Meinen Sie? Sollten die frommen Schwestern so gute Erziehungsmittel haben?" "Allerdings." "Strenge?" "O nein, sondern das Beispiel. Das Beispiel ist in der Liebe ebenso maechtig wie irgend wo anders, in der Angst, in der Furcht oder im Hasse. Das Beispiel erzieht mehr als Bitte oder Strafe. Sprechen Sie mit dem Prior!" "Von ihm weiss ich, dass er sie aufnehmen wird. Aber die Gefahr! Sie wird gegen die Nonnen sprechen." "Pah, das schadet nichts, denn diese werden kein Wort weiterreden, sondern sie vielmehr zu ueberreden suchen. Es gibt in dem Klosterkirchhofe einen Winkel, in welchem man beim Nachgraben nichts finden wuerde als die Ueberreste neugeborener Kinder." "Nicht moeglich! Wer waeren dann die Vaeter?" "Die Moenche. Wer anders?" "Alle Teufel!" "Ja. Die frommen Vaeter und Muetter haben einander sehr lieb, und der alte Basaltfelsen hat nicht umsonst so tiefe Klueftungen und unterirdische Gaenge." "Ich weiss allerdings bereits Verschiedenes; von einem so nahen Umgange zwischen den beiden Kloestern aber erfuhr ich noch nichts. Sind Sie sicher?" "Pater Philippus, der Kuechenmeister, ist mein leiblicher Bruder. Wir haben keine zahlreichen Geheimnisse vor einander." "Dann bin ich ueberzeugt und werde sofort zum Prior gehen. Die Komtesse muss schon deshalb fort, um der Muellerstochter Platz zu machen." "Ah, diese soll noch heute - -?" "Wollen erst sehen." "Erlauben mir Hoheit die Bemerkung, dass es gefaehrlich ist, uns einer Person zu bemaechtigen, welche hier in der Naehe wohnt. Und die Gefahr waechst, wenn dies noch heut geschehen sollte. Bei solchen Dingen ist es gut, den geeignetsten Augenblick geduldig abzuwarten." "Ich kann nicht hier bleiben, bis es einem geeigneten Augenblick beliebt zu erscheinen." "Aber Hoheit koennten wiederkommen!" "Meinen Sie, dass Unsereiner ueber seine Zeit zu bestimmen vermag wie jeder beliebige Privatmann?" "Ich bin vom Gegentheile ueberzeugt. Bestimmen Ew. Hoheit, ich werde gehorchen." "Ich habe ausser alledem noch eine Aufgabe fuer Sie, deren Loesung nicht ganz leicht sein wird. Sie kennen den Prinzen von Raumburg?" "Welchen?" "Den General, welcher sich bei der letzten Verschwoerung in Norland kompromittirte und zu lebenslaenglicher Haft verurtheilt wurde." "Ihn kenne ich." "Er hat es fertig gebracht, auf irgend einem heimlichen Wege einige Zeilen an mich gelangen zu lassen. Er sehnt sich natuerlich nach der Freiheit, doch kann man offiziell nicht das mindeste fuer ihn thun, und ich am allerwenigsten, da ich mich nicht der Simpathie der norlaendischen Herrscherfamilie erfreue. Der ominoese Fall im Seebad Fallum hat diesen Riss bedeutend vergroessert, und ich bin wahrhaftig nicht abgeneigt, diesen Norlaendern einen Streich zu spielen, der ihnen zu schaffen macht. Die groesste Verlegenheit wuerde ihnen bereitet, wenn es Prinz Raumburg gelaenge zu entspringen. Dazu bedarf es der Hilfe von aussen her, und ich bin sehr bereit ihm dieselbe zu gewaehren, wobei ich mich allerdings auch gern auf Sie verlassen moechte." "Ich stehe zu Diensten. In welcher Weise wuerde ich mich zu betheiligen haben?" "Raumburg muss natuerlich ueber die See, doch nicht sofort, denn das waere eine Unvorsichtigkeit. Er ist nicht blos politischer Gefangener, sondern man hat die Guete gehabt, ihn auch krimineller Punkte anzuklagen und zu ueberfuehren; er muesste also selbst vom Auslande ausgeliefert werden. Er kann sich erst, und zwar unter einem fremden Namen, in See wagen, wenn der Laerm, den sein Entkommen verursacht, vorueber ist, und bedarf daher eines Asyles, in welchem er Sicherheit findet. Dies wird Schloss Himmelstein sein. Er soll als Ihr Verwandter bei Ihnen wohnen. Dies wird die passive Theilnahme sein, welche ich von Ihnen fordere. Ob Sie vorher oder nachher auch aktiv eingreifen muessen, werden die Umstaende ergeben. jetzt nun bringen Sie einen Imbiss, und dann werde ich mich zum Prior begeben." Eine halbe Stunde spaeter stieg er den Burgweg herab und nach dem Kloster zu. Er setzte den grossen ehernen Klopfer in Bewegung, und der Bruder Pfoertner erschien, um den Einlass Begehrenden zu examiniren. Er erkannte natuerlich den Prinzen, da derselbe oft hier am Orte verweilte, auf der Stelle und riss beide Fluegel des Thores auf, um ihn mit einer tiefen Verneigung und salbungsvoller Ansprache zu begruessen. Dann zog er die Glocke, auf deren Ton saemmtliche Insassen des Gott geweihten Ortes herbeieilten. Der Prior trat heran. Er war ein mit solcher Leibesfuelle begabter Mann, dass sein Durchmesser fast seine Laenge erreichte. Sein Gesicht glaenzte von Fett, Salbung und Unterthaenigkeit, und seine Rede duftete von himmlischem Weihrauch und goettlicher Ambrosia. Er geleitete den Prinzen zunaechst in das Refektorium und dann in den Speisesaal, wo der Bruder Kuechenmeister unter Beihilfe des Bruders Kellermeister schnell ein Ehrenmahl aufgetragen hatte. So wenig Zeit er dazu gehabt hatte, es liess doch kaum etwas zu wuenschen uebrig und gab den deutlichen Beweis, dass die frommen Brueder wohl geistlich der Welt entsagt hatten, koerperlich aber mit ihr in sehr innigem Zusammenhange geblieben waren. Am Schlusse der Tafel sprach der Prinz seine Anerkennung aus und ersuchte den Prior um einen Rundgang durch die Raeume des Klosters, verbat sich aber jede weitere Begleitung. Er wurde durch die Kirche, durch Kueche und Keller, in alle Zellen und auch hinaus in den Klostergarten gefuehrt. Dieser lag nicht eben, was ja das Terrain gar nicht erlaubte, sondern zog sich bergauf gegen das Schloss hinan. Rundum von einer sehr hohen und wohl erhaltenen Mauer umgeben, zeigte er in seinem hoechsten Theile den Klosterfriedhof, wo die sterblichen Leiber ruhten, deren einstige Bewohner nun im hoeheren Lichte wandelten. je ein Kreuz bezeichnete die Staette, an welcher Staub zu Staub geworden war. Der Prinz wanderte mit dem Prior zwischen den Huegeln dahin, auf denen fromme Haende allerlei duftende Zierde gepflanzt hatten. "Hier ruhen die Vaeter Ihres Klosters?" frug Hugo. "Welche eingingen in die Huetten der Seligen," antwortete der Prior. "Und die Muetter dort unten, haben sie einen eigenen Friedhof?" "Nein. Die beiden Kloester wurden von dem frommen Ritter Theobald von Himmelstein zu gleicher Zeit gestiftet, und er bestimmte, dass die Vaeter und Muetter von einem und demselben Orden sein und an einem und demselben Orte zur ewigen Ruhe gebettet werden sollten. Friede sei mit seiner und mit ihrer Asche!" "Liegen die Vaeter und Muetter getrennt?" "Nein, obgleich dies anderwaerts unter gleichen Verhaeltnissen nicht Sitte ist. Aber es stehet geschrieben: "Sie werden nicht freien und nicht gefreit werden;" die Engel und die Seligen kennen kein Geschlecht und keine andere Lust, als die Lust am Herrn. Darum duerfen die in Christo Entschlafenen bei einander ruhen ohne Aergerniss. Ihre Seelen schweben um den Thron Gottes und sind rein gewaschen von allem Schmutze dieses Lebens." "Darf man das Kloster der frommen Frauen auch besuchen?" "Nur Auserwaehlten ist es erlaubt." "Darf ich mich zu diesen Auserwaehlten rechnen?" "Ich bitte in Unterthaenigkeit darum!" "Ich muss gestehen, dass ich in geistlichen Dingen einigermassen unerfahren bin. Ihr Kloster steht in keinem amtlichen Zusammenhange mit diesem andern." "Doch. Weder die Priorin noch irgend eine der Schwestern hat das Recht, eine kirchliche Handlung vorzunehmen. Das duerfen nur wir." "So verkehren Sie in Folge Ihrer priesterlichen Wuerde wohl oft mit den frommen Schwestern?" "Sehr oft. Habe ich doch die Oberaufsicht ueber das Schwesterhaus zu fuehren. Soll eine Messe celebrirt, eines der heiligen Sakramente ertheilt oder sonst eine kirchliche und priesterliche Handlung vorgenommen werden, so muss entweder ich oder einer der Brueder hinuntergehen." In diesem Augenblicke bueckte sich der Prinz, griff zwischen die Epheuranken hinein und zog einen Gegenstand hervor, den er sehr aufmerksam betrachtete. Auch der Prior sah ihn und entfaerbte sich leicht. "Sind Sie ein Physiolog, Hochwuerden?" "Nicht sehr." "Aber doch so viel, um diesen Gegenstand bestimmen zu koennen. Bitte, wollen Sie sich denselben einmal betrachten!" "Hm, die Roehre von einer Gans, wie ich vermuthe." "Ja, eine Roehre ist es allerdings, doch das Geschoepf, an dessen Bein sie sich befand, muss noch sehr jung gewesen sein, da die Knochenbildung so wenig vorgeschritten war, dass die beiden Roehrenkoepfe noch ganz aus Knorpel bestanden. Vielleicht ein Lamm. Aber dessen Knochen vergraebt man doch nicht in geweihter Erde." "Diese Roehre war wohl auch nicht vergraben. Sie lag frei zu Tage." "Aber sie hat laengere Zeit, wenn auch nicht Jahre lang, in der Erde gelegen." Er barg die Roehre sorgfaeltig wieder an dem Orte, an welchem er sie gefunden hatte, und fuhr dann fort: "Es muss etwas Grosses sein um das Amt eines geistlichen Hirten. Kein Fuerst, kein Koenig hat die Macht, die ihm gegeben ist." "Ja; der Herr verleiht seinen Dienern die hoechste Gewalt, sie koennen die Seligkeit verweigern, sie vermoegen aber auch den Himmel zu oeffnen." "Welch ein Bewusstsein muss es sein, an Gottes Statt dazustehen und der Vertreter des hoechsten Wesens zu sein, dem jeder in vertrauender Ehrfurcht nahen kann. Wird diese Gewalt nicht vielleicht zuweilen missbraucht, Hochwuerden?" "Das waere die Suende wider den heiligen Geist, die niemals vergeben wird." "Niemals?" "Nie." "So duerfte sie auch von der weltlichen Gerechtigkeit nicht vergeben werden." "Hoheit irren. Hier hat das weltliche, das buergerliche Gesetz nicht mitzusprechen, sondern dieser Fall gehoert einzig und allein in die Disziplin des priesterlichen Standes." "Ich will Ihnen einen Fall erzaehlen: Ein Koenig, Bekenner der alleinseligmachenden Kirche, hatte, um eine grosse Gefahr von sich und seinem Lande abzuwenden, einen geheimen Traktat mit dem protestantischen Monarchen des Nachbarlandes abzuschliessen. Er wusste bereits vor Abfassung des Vertrags, dass er die Bestimmungen desselben brechen werde, und zog seinen Beichtvater zu Rathe. Dieser absolvirte ihn und hiess sein Vorhaben gut, da der Kontrahent ja ein Ketzer sei. Dieser Beichtvater stand, ich weiss nicht in Folge welcher Umstaende, unter der Gewalt einer alten Zigeunerin, die also eine Heidin war. Sie hiess Zarba. Ihr machte er, ich weiss nicht ob freiwillig oder erzwungen, Mittheilung von dem Vorhaben des Koenigs." "Unmoeglich! Einer Zigeunerin!" rief der Prior, aber sein vorher von Roethe glaenzendes Gesicht war ploetzlich leichenblass geworden. "Ja, einer Zigeunerin. Auch ich kenne sie und habe diese Mittheilung aus ihrem eigenen Munde. jedenfalls verfolgte sie dabei eine Absicht, die ich aber leider nicht zu durchschauen vermag." "Der Beichtvater eines Koenigs? Sollte dies nicht eine hoellische Verleumdung sein?" "Nein. Sie suchte den Priester in seiner Wohnung auf und erhielt das Bekenntniss von ihm sogar in zwei Exemplaren niedergeschrieben. Das eine gab sie juengst mir, und das andere hebt sie fuer meinen Vater, den Koenig auf." "Ah, sonderbar!" Dicke Schweisstropfen standen ihm jetzt auf der Stirn. Er blickte wie Hilfe suchend umher und konnte sein Auge nicht zum Prinzen erheben, der ihn laechelnd fixirte. "Ja, sehr sonderbar! jetzt ist dieser Beichtvater Prior, er er hielt diese Pfruende von dem Koenige als Anerkennung seiner treuen Amtsfuehrung." "Was werden Hoheit mit dem Exemplare thun, welches sich in Ihren Haenden befindet?" "Darueber habe ich noch keinen Beschluss gefasst, doch bemerke ich, dass ich nicht rachsuechtig bin und es vielleicht vermag, auch das andere Exemplar unschaedlich zu machen." "Sie kennen den Namen dieses Priesters?" "Natuerlich. Er hat sich ja unterzeichnet und sogar sein Amtssiegel aufgedrueckt. Doch das war eine Episode, welche ich nur nebenbei erzaehlte, da mich unser Gespraech auf dieses Thema fuehrte. Ist es noch Tageszeit genug, die frommen Schwestern zu besuchen?" "Hoheit, das Haus steht Ihnen zu jeder Zeit geoeffnet!" "Ich bin in der Lage, einige Erkundigungen einziehen zu muessen." "Ich stehe zu Diensten." "Sind die beiden Kloester durch verborgene Gaenge verbunden?" "Koenigliche Hoheit - - - !" "Die Wahrheit, nichts weiter, Hochwuerden!" gebot der Prinz in strengem Tone. "Bei der Beschaffenheit dieses Felsens waere es moeglich, dass sich ohne unser Wissen - - " "Mit einer Moeglichkeit ist mir nicht gedient," unterbrach ihn schnell der Prinz. "Ich habe ein Exempel zu loesen, von welchem ich nur zu Ihnen sprechen kann, und will dabei nicht mit Moeglichkeiten, sondern mit Wirklichkeiten rechnen. Also - -?" "Die Verbindung ist da," gestand jetzt der Prior. "Und wird benutzt?" "Zuweilen, jedoch nur zu Zwecken, von denen ich sagen kann, dass sie - - - " "Schon gut, Hochwuerden! Ich bin befriedigt und frage nicht nach diesen Zwecken, obgleich es moeglich ist, dass mich ein ganz aehnlicher Zweck zu meiner Erkundigung veranlasst hat." "Ah!" holte der Prior tief Athem. "Ja. Und dabei habe ich nicht einen geistlichen, sondern einen sehr weltlichen oder vielmehr koerperlichen Zweck im Auge." "Darf ich um die Mittheilung desselben ersuchen, koenigliche Hoheit?" "Ich werde zunaechst weiter fragen. Bedarf es zur schleunigen Aufnahme einer Novize der besonderen Befragung derselben?" "Gewoehnlich, ja. Gibt es aber ernste Ruecksichten, welche mit ihrem Seelenheile in Verbindung stehen, so kann oder muss vielmehr die heilige Kirche die ihr verliehene Macht gebrauchen und wird den Eintritt gebieten." "Schoen; das ist mein Fall! Wird die heilige Kirche nach dem Namen der Novize fragen?" "Ihr oberster Diener ist dazu verpflichtet, wird ihn aber verschweigen und auch dafuer sorgen, dass er den andern Schwestern niemals genannt werden kann." "Pah! Dieser oberste Diener wird vielleicht ebenso verschwiegen sein, wie jener unvorsichtige Beichtvater, von dem ich Ihnen erzaehlte." "Vielleicht ist es ihm moeglich, Ihnen Garantie fuer seine Verschwiegenheit zu geben." "Das wuerde mir lieb sein. Worin wuerde diese Garantie wohl bestehen?" "Das kann ich jetzt leider noch nicht bestimmen, ich vermag darueber erst dann zu entscheiden, wenn ich den Fall moeglichst kennen gelernt habe." "So werde ich ihn mittheilen. Sie wissen ja, dass die hoechste Macht der heiligen Kirche in der Liebe besteht, und ihr hoechstes Ziel ist die Seligkeit, zu welcher man durch diese Liebe gelangt. Ein Mann lernte ein junges schoenes Maedchen kennen. Sie liebten sich, und er vermochte sie, sich in die Verborgenheit zurueckzuziehen. Sie verschwand. Aber ihre Liebe war eine zu irdische, eine egoistische; sie strebte nach den Guetern und Wuerden des Geliebten, die ihr doch niemals gehoeren konnten. Er versagte sie ihr, und nun verwandelte sich die Liebe in einen grimmigen Hass, welcher seine Erlaubniss zu dem ersehnten braeutlichen Verschmelzen der Seelen verweigerte und sie auf das Vorhaben brachte, in die suendhafte Welt zurueckzukehren. Er musste ihr diesen Weg mit Gewalt verschliessen. Da er aber nicht die wirksamen Mittel besitzt, ihr die himmlische Liebe wieder zurueckzurufen, will er das suendhafte widerstrebende Kind der heiligen Kirche uebergeben, damit diese ihre heilsame Macht gebrauche und das verirrte Schaf an sein Herz zurueckfuehre. Er besitzt der irdischen Gueter in Menge, um die heilige Kirche fuer ihre Sorgen und edlen Bestrebungen zu belohnen. Das ist der Fall. Nun sprechen Sie, Hochwuerden!" "Die heilige Kirche kennt dieses Schaeflein bereits, wenn ich mich nicht irre, und ist bereit, es zu dem guten Hirten zurueckzubringen." "Und die Garantie, von welcher Sie vorhin sprachen?" "Werde ich vollstaendig geben. Doch muss ich vorher erwaehnen, dass die Kirche in solchen schwierigen Faellen verpflichtet ist, ihre Bedingungen zu machen." "Ich werde sie hoeren." "Sind Sie bereit, der Kirche jene Schrift auszuantworten, welche die Zigeunerin Ihnen uebergab?" "Ja." "Wenn?" "Ich trage sie bei mir, trenne mich aber nicht eher von ihr, als bis mir die erwaehnte Garantie geboten ist." "Die Dame, von der Sie sprechen, gehoert einem beruehmten adeligen Hause an?" "Ja." "Und befindet sich hier in der Naehe?" "Moeglich." "Wie viele Personen kennen ihren jetzigen Aufenthaltsort?" "Nur zwei." "Koennen Sie es der heiligen Kirche ermoeglichene bei dem ersten Schritte Gewalt zu vermeiden?" "Ich hoffe es." "So bin ich bereit, Ew. Hoheit zu den frommen Schwestern zu geleiten." "Auf dem gewoehnlichen Wege oder unterirdisch auf dem verborgenen?" "Auf dem ersteren. Der letztere ist nur den Auserwaehlten bekannt, und unser Verschwinden wuerde auffallen. In kurzer Zeit ist es Nacht, und dann ist es mir moeglich jene Garantie zu geben, von welcher ich vorhin gesprochen habe." "Ich werde natuerlich bis dahin nicht weiter mittheilsam sein." "Bemerken Hoheit hier das kleine Pfoertchen in der Mauer? Es ist fuer die Gartenarbeiter und Laienbrueder angebracht, welche von der strengen Klausur nicht betroffen werden. Dieser Schluessel oeffnet es von aussen und von innen. Sie werden ihn wohl nachher brauchen, wenn es dunkel geworden ist. Bitte, nehmen Sie ihn zu sich!" Sie kehrten in das Klostergebaeude zurueck und gelangten nachher durch dasselbe auf die Strasse, welche nach der entgegengesetzten Seite des Berges fuehrte, wo das Frauenkloster lag. Auch dort kannte man den Prinzen, welcher mit frommer Ostentation empfangen wurde. Speise erhielt er nicht, aber man kredenzte ihm einen alten, sehr guten Wein in einem goldenen Ehrenhumpen, welcher jedenfalls noch aus der Zeit des Faustrechtes stammte. Vielleicht diente er nicht blos zum Willkomm fuer Ehrengaeste, vielleicht schluerften auch die frommen Klosterfrauen zuweilen aus seiner goldenen Tiefe das Getraenk der Wahrheit, der Liebe und Begeisterung. Sie sahen nicht aus, als ob sich das Gegentheil von selbst verstehe. Die Priorin war dem Prior in Beziehung auf ihren Koerperumfang vollstaendig ebenbuertig, und alle Schwestern erfreuten sich eines stattlichen Aeussern, welches allerdings in Folge der strengen Tracht nicht so zur Geltung kommen konnte, als wenn sie dieselbe mit einer andern vertauscht haetten. "Hat vielleicht eine der frommen Schwestern das Beduerfniss zur heiligen Ohrenbeichte zu kommen?" frug der Prior, als sie sich mit der Oberin im Refektorium befanden. "Wohl mehrere. Hochwuerden haben eine laengere Zeit nicht vorgesprochen." "So sind vielleicht einige dabei, welche heut der heiligen Poenitenz beduerfen?" Er betonte die Worte "heilige Poenitenz" so eigenthuemlich, und die Priorin warf dabei einen so erschrockenen Blick auf den Prinzen, dass dieser sofort errieth, dass es mit dieser Buessung eine ganz besondere Bewandtniss habe. "Es ist moeglich," antwortete sie beinahe zoegernd. "Soll ich die Schwestern fragen?" "Fragen Sie," bat er. Sie entfernte sich. Um die Lippen des Priors spielte ein schlaues feines Laecheln. "Errathen Hoheit, was es mit dieser heiligen Poenitenz fuer eine Bewandtniss hat?" "Ich ahne es, moechte es aber dennoch nicht errathen." "Sie werden Aufklaerung finden. Die christliche Kirche hat der herrlichen Gaben so sehr viele, dass sie Vergebung und Gnade mit vollen Haenden auszustreuen vermag und jeder glaeubigen Seele das bietet, was zu ihrem zeitlichen und ewigen Heile erforderlich ist." Die Oberin kehrte zurueck und meldete, dass sechs Schwestern um die Erlaubniss baeten, dem frommen hochwuerdigen Vater zu beichten. "Ich werde ihnen den Trost unserer allerheiligsten Religion bringen," antwortete er. "Beurlauben mich koenigliche Hoheit fuer eine Viertelstunde. Die ehrwuerdige Schwester wird Sie bis dahin durch die Raeume des Hauses begleiten; in der Kirche sehen wir uns wieder." Als sie nach einer halben Stunde das Schiff der Kirche betraten, bemerkte der Prinz vier Nonnen, welche am Hochaltare knieten. Es waren lauter junge Schwestern, welche hier ihre stille Andacht verrichteten. Seitwaerts sass eine Fuenfte auf der Bank; ihrem huebschen Gesichte war ein tiefer Verdruss, welcher beinahe wie ein Schmollen aussah, deutlich anzumerken. Am Beichtstuhle kniete die Sechste und hielt ihr Ohr an die Oeffnung desselben. Der Prior sprach mit sehr ernstem Gesicht in sie hinein. Sie antwortete, und der Prinz sah, dass seine Zuege wirklich zornig wurden. Er schien eine Drohung auszusprechen, dann entliess er sie, ohne ihr seinen Segen zu ertheilen. Die Schmollende warf einen hoehnischen veraechtlichen Blick auf sie. Diese Sechste war eine Schoenheit. Ihre Gestalt zwar wurde von der haesslichen Klostertracht verhuellt, aber ihr Gesicht war von einer wunderbaren Reinheit und ihre Bewegungen liessen errathen, dass sie wohl nicht den niederen Staenden angehoert habe. Der Prior verliess den Beichtstuhl und trat zu den Beiden. Die Oberin blickte ihm fragend entgegen. "Diesen vier reuigen Schwestern habe ich die Poenitenz gestattet," berichtete er, "der Fuenften aber verweigert. Ihrer Seele ist nicht die Sanftmuth der Bitte gegeben, welche auf Gewaehrung hoffen darf. Die Sechste ist renitent und kommt in die Strafzelle, wo sie sich mit Gottes Hilfe zum rechten Pfade wenden wird. \Vir verlassen Sie jetzt, verehrte Schwester. Der Herr sei mit Ihnen und diesem frommen Hause jetzt und in alle Ewigkeit, Amen!" Er erhob die Arme und ertheilte ihr seinen Segen. "Werden Hochwuerden die Poenitenz selbst leiten?" frug sie, indem eine leise Roethe ueber ihr Angesicht flog. "Allerdings. Der Diener am Weinberge des Herrn darf nicht saeumig sein. Er soll sich keiner Arbeit und keiner Anstrengung scheuen, und dann wird der Segen Gottes ihn und die Seinen begleiten auf allen ihren Wegen. Leben Sie wohl!" Sie verliessen das Kloster. Draussen war es mittlerweile Nacht geworden. Das Schloss zwar liess sich noch so ziemlich erkennen, aber das Thal lag bereits in tiefem Dunkel unter ihnen. Der Prior schritt nur sehr langsam vorwaerts. Man sah, dass er wuenschte, es moege vollstaendig finster werden, ehe sie das Moenchskloster erreichten. "Jetzt nun bin ich im Stande, Ew. Hoheit die versprochene Garantie zu geben." "Worin besteht sie?" "In der Offenbarung unseres wichtigsten Geheimnisses." "Welches?" "Hoheit, der Weg zur Vollendung ist nicht glatt und eben, sondern mit rauhen schmerzhaften Dornen bewachsen, und das goettliche Wort sagt bereits, dass die Pforte eng und klein sei, durch welche man zum Heile gelangt. Auch die nach Erloesung, nach Seligkeit duerstende Seele strauchelt, aber das Auge der Gnade wacht ueber ihr und richtet sie auf. Der Geist trachtet nach himmlischen Guetern, aber der Koerper ist zuweilen schwach. Die Wuensche und Lueste des Fleisches sind nur schwer zu toedten, und wenn man sie gestorben meint, so erheben sie sich doch oft ploetzlich wie ein gewappneter Mann, dem kaum zu widerstehen ist. Dann fliehen die frommen Schwestern dorthin, wo sie Rettung finden, in die Arme der Busse, und ich gewaehre ihnen dieses Mittel, um sie zu staerken gegen die spaeteren Anstrengungen, die sie auf ihrem rauhen einsamen Pfade zu ueberwinden haben. Die suendhaften Gedanken des Fleisches werden besiegt durch die Kraft der heiligen Poenitenz." "Und worin besteht nun diese, Hochwuerden? Ich bin wirklich wissbegierig." "In der Kasteiung und Toedtung des aufruehrerischen Fleisches, in der Gewoehnung an eine hoehere Kaltbluetigkeit und Gleichgiltigkeit gegenueber der Suende, welche den Koerper empoert und den Geist mit verderblichen Wuenschen erfuellt. Die heilige Poenitenz findet statt in besonders dazu eingerichteten Zellen des Schwesterhauses. Diese liegen verborgen hinter den Kellerraeumen und sind mit dem Bruderhause durch einen unterirdischen Gang verbunden." "Ah! Die Kasteiung und Abtoedtung des Fleisches wird also wohl von den frommen Vaetern und Bruedern unternommen?" "Ja, denn keine der Schwestern ist zu einer solchen priesterlichen Handlung befugt. Die Buesserinnen werden in einzelne Zellen eingeschlossen, welche verriegelt werden, nachdem je ein Bruder bei ihnen Zutritt genommen hat. Er ertheilt ihr die Ruthenschlaege auf den entbloessten Ruecken und bewirkt unter frommen liebevollen Worten das Verschwinden der suendhaften Wuensche und Regungen. Erst dann, wenn sie denselben abgestorben ist, ertheilt er ihr seine Absolution und gibt das Zeichen, dass er die Zelle verlassen will." "Interessant, hoechst interessant, diese fromme priesterliche Bemuehung um das Heil einer strauchelnden Seele!" "Ja; diese Bemuehung aber dient auch zur Uebung fuer den Bruder selbst. Auch er ist ein schwacher Mensch, den nur die Gnade staerken kann; auch er hat Augenblicke, in denen sein Geist mit dem Koerper ringen muss, und dann bittet er die Schwester, ihm die Kasteiung zu ertheilen. An den Thueren der Poenitentiarzellen sind kleine, mit einem Glasfensterchen versehene Klappen angebracht, durch welche es mir und der Priorin moeglich gemacht wird, die Buessung zu ueberwachen." "Wie ich vorhin bemerkt habe, kommt es auch vor, dass Sie diese Buessung verweigern?" "Ja, wenn sie von einer Unwuerdigen gefordert wird. Die Reinigung des Koerpers und der Seele von den Schlacken der Suende ist eine hohe Gnadengabe, welche sich die heilige Kirche nicht abzwingen und abtrotzen lassen kann. Es muss in demuethigen Worten um dieselbe gebeten werden. Ich kann nicht verschweigen, Hoheit, dass es zuweilen eine Seele gibt, welche sich nach der Kasteiung nur mit dem Leibe sehnt; dann muss das renitente Fleisch durch eine strenge Verweigerung gezuechtigt werden." "Und die sechste Schwester?" "Kommt in die Besserungszelle. Ich gebot ihr die heilige Poenitenz, sie aber weigerte sich, den Weg der Gnade zu wandeln. Es ist unsere juengste Schwester, die erst vor Kurzem Profess gethan hat. Die Ruecksicht auf das Heil ihrer Seele macht es erforderlich sie an die strenge Zucht des Klosters zu gewoehnen." "Was hat es mit der Besserungszelle fuer eine Bewandtniss, Hochwuerden?" "Es sind darin alle Vorrichtungen angebracht, welche noethig sind einer Widerstrebenden die heilige Poenitenz aufzuzwingen, und ich muss sagen, dass dieser Zwang stets gefruchtet hat, es ist niemals ein Rueckfall eingetreten. Doch hier liegt das Kloster. Wir werden uns vor den Augen des Bruder Pfoertners hier von einander verabschieden. Dann gehen Sie hinter der Mauer weg, doch so, dass Sie nicht bemerkt werden, und treten durch das Pfoertchen, welches ich Ihnen vorhin zeigte, in den Garten. Ich werde Sie von der Pforte nach kurzer Zeit abholen." "Und dann?" "Fuehre ich Sie dahin, wo Sie die Poenitenz genau beobachten koennen, ohne selbst bemerkt und gesehen zu werden. Das ist die Garantie, welche ich Ihnen bieten will; sind Sie damit zufrieden?" "Ja." "Und beharren Sie bei Ihrem Entschlusse, der heiligen Kirche ein verirrtes Schaeflein anzuvertrauen?" "Allerdings." "Wann werden Sie dasselbe in unsere Arme fuehren?" "Noch heute, wenn Sie es da bereits aufnehmen koennen." "Ich werde nachher mit der Schwester Priorin darueber sprechen und Sie benachrichtigen. Doch wuensche ich, wie bereits gesagt, dass alle Gewalt und alles Aufsehen dabei vermieden werde. Die Diener der Kirche haben zuweilen Veranlassung so listig zu sein, wie die Kinder der Erde es sind." "Es wird sich wohl arrangiren lassen. Hat das Schwesterkloster auch so ein kleines Pfoertchen, durch welches man unbemerkt Zutritt nehmen kann?" "Ja." "Dann ist es zu ermoeglichen. Besorgen Sie mir den Schluessel dazu. Eines aber muss ich bemerken: Ich wuensche naemlich nicht, dass die Buesserin, welche ich Ihnen zufuehre, von einem Fremden zur heiligen Poenitenz gezwungen werde." "Sie betrachten also die Seele der Verirrten als Ihr immerwaehrendes Eigenthum?" "Ja; wenigstens so lange, als bis ich sie Ihnen ausdruecklich uebergebe." "Und wenn sie nun verlangt Busse zu thun?" "So haben Sie mich zu benachrichtigen. Die heilige Kirche ist reich an himmlischen Guetern, aber sie kann ohne irdischen Besitz nicht sein. Wir Fuersten haben die Macht, ihr den Glanz zu verleihen, der ihr gebuehrt, und das werden wir gern thun, wenn ihre Diener sich freundlich und hilfreich zu uns stellen." "Ich stehe Ihnen zur Verfuegung, Hoheit. Aber die Unterschrift - - - ?" "Erhalten Sie, sobald die betreffende Dame Aufnahme bei den frommen Schwestern gefunden hat. Jetzt nun ist es vollstaend- ig dunkel, und ich will gehen. Ich hoffe, dass Sie mich nicht lange warten lassen!" Er schritt, waehrend der Prior durch das Thor trat, die Strasse entlang bis zu der Kapelle, hinter welcher er heute den Neffen des Schlossvogtes getroffen hatte, lenkte dann um dieselbe herum und erreichte die Mauer und das Pfoertchen, durch welches er zu treten hatte. Der Schluessel passte; die Thuer ging auf und wurde von innen wieder verschlossen. Der Prinz hatte die Ueberzeugung, dass er einem hoechst interessanten Abenteuer entgegengehe. - Unterdessen sass Toska in ihrer Wohnung, welche noch kein Mensch geoeffnet und wieder betreten hatte. Die Daemmerung war gekommen und der Abend hereingebrochen. Sie hatte kein Licht, um das Zimmer zu erleuchten, aber das Dunkel war ihr wohlthaetig. Sie hielt die Augen geschlossen und liess all ihr Herzeleid und Bangen, alle ihre Hoffnungen und Wuensche an sich vorueberziehen. Ihr war, als sei ein schweres Rad zermalmend durch ihre Seele gegangen, aber nicht diese Seele, sondern nur die Liebe, welche dieselbe bisher erfuellt hatte, war vernichtet worden. Sie fuehlte die Kraft in sich, sich zu wehren und zu vertheidigen, und hielt den Griff des Messers, welches sie noch nicht wieder von sich gelegt hatte, fest mit der kleinen Hand umschlossen, die trotz ihrer Zartheit doch im Stande war, eine Waffe kunstgerecht zu fuehren. So verging Stunde um Stunde. Sie vermuthete, dass heute irgend etwas gegen sie unternommen werde, aber Niemand kam, kein Schritt liess sich hoeren, und die Schlossuhr schlug Mitternacht, ohne dass sich draussen auf dem Korridore etwas geregt haette. Da endlich, horch! Waren das nicht Laute, als ob sich jemand leise und heimlich nahe? Sie horchte. Sie hatte die Thuer auch von innen verriegelt, und Niemand konnte eintreten. Da wurde die Klinke niedergedrueckt, und als die Thuer nicht nachgab, liess sich ein vorsichtiges Klopfen vernehmen. "Wer ist draussen?" frug Toska. "Ich bin es, Komtesse. Bitte, oeffnen Sie!" "Wer denn?" "Die Kastellanin!" fluesterte es. "Ich oeffne waehrend der Nacht keinem Menschen." "So sind Sie verloren. Haben Sie Vertrauen zu mir?" "Was wollen Sie?" "Ich will Sie retten." Toska war ueberrascht. Die Kastellanin war ihr nie als ein Weib erschienen, zu dem man ein besonderes Vertrauen haben konnte. Sollte sie etwa nur hinausgelockt oder durch eine so plumpe List vermocht werden die Thuer zu oeffnen? Aber wenn es wirklich Rettung sein sollte, die einzige Rettung aus den Haenden dieses verhassten gewissenlosen Menschen, war es dann klug sie zurueckzuweisen? Sie bot sich ganz sicher nicht so bald oder vielleicht gar niemals wieder. "Mich retten? Womit?" "Ich fuehre Sie heimlich aus der Burg." "Wirklich? Wer gibt mir Sicherheit, dass Sie es ehrlich meinen?" "Ich gebe Ihnen mein Wort. Sie haben mich schon laengst gedauert, Sie armes junges Blut, und ich habe heute das Geluebde gethan Sie zu retten. Vertrauen Sie mir!" Diese Worte klangen wohl gut und schoen. Aber sollte die Kastellanin wirklich ein so mitleidiges, muthiges und entschlossenes Herz besitzen, die Stellung ihres Mannes und ihre eigene Sicherheit durch die Befreiung einer Gefangenen, die ihr noch gar nichts geboten hatte, auf das Spiel zu setzen? "Sprechen Sie die Wahrheit?" "Ich habe es der heiligen Mutter Gottes gelobt, Sie aus dem Schlosse zu bringen." "Schwoeren Sie es!" "Ich schwoere es bei allen Heiligen und bei meiner Seligkeit! Ich habe einen Ihrer Anzuege bereits mitgebracht. Sie sollen ihn anlegen und werden mir heimlich folgen." "So treten Sie ein!" Sie oeffnete vorsichtig, so dass nur ein Raum fuer eine einzige Person blieb, und fuehlte sich allerdings ausserordentlich erleichtert, als sie bemerkte, dass die Kastellanin allein sei. Hinter derselben wurde die Thuer wieder verschlossen. "So ist es also doch Ihr Ernst mich von hier fortzubringen." "Ja, mein heiliger Ernst. Ich weiss, welche Gefahr ich laufe. Mein Mann wird wohl seine Stelle verlieren, aber ich denke, dass die gnaedige Komtesse sich dann ein wenig unserer annehmen werden." "Ja, das werde ich thun, gute Frau; ich verspreche es Ihnen hiermit sowohl mit der Hand als auch mit dem Herzen. Ich bitte Sie auch um Verzeihung fuer den Mangel an Freundlichkeit und Vertrauen, den ich Ihnen stets gezeigt habe!" "O, daran war ich selbst schuld! Ich durfte ja nicht zeigen, wie lieb ich Sie habe und wie gern ich Ihnen geholfen haette." "Brave gute Frau. Aber wird man uns nicht bemerken und aufhalten?" "Nein. Ich habe fuer Alles gesorgt. Bitte, wollen Sie sich anklei den! Wir haben nicht viel Zeit. Licht duerfen wir leider nicht anbrennen." "O, es geht auch ohne Beleuchtung!" Und waehrend sie die mitgebrachten Kleider anlegte, frug sie: "Aber wo werden Sie mich hinbringen? Wohl nur bis auf die Strasse? Denn laenger koennen Sie das Schloss doch nicht verlassen." "Allerdings, und dies verursacht mir Bedenken." "Warum?" "Sie koennen doch unmoeglich allein fortgehen. Erstens wird man sie verfolgen, und zweitens sind Sie es ja Ihrem Namen und Stande schuldig, sich nicht so hilflos auf der Strasse finden zu lassen. Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?" "Welchen?" "Es sind nur wenige hundert Schritte bis hinunter zum Kloster der frommen Schwestern. Ich bin sehr viel bei ihnen, und die Frau Priorin ist stets sehr freundlich mit mir. Als ich heute bemerkte, welche Gefahr Ihnen droht, wollte ich meine Seele retten und ging zu ihr. Ich erzaehlte ihr Alles. Sie darf nichts davon verrathen, aber sie war bereit Ihnen zu helfen. Sie hat mir befohlen, Sie zu ihr zu bringen. Unter ihrem Schutze sollen Sie bleiben, bis nach zwei oder drei Tagen der Prinz in seinen Nachforschungen ermuedet ist, und dann wird sie Ihnen Alles bieten was nothwendig ist, in Sicherheit zu gelangen." Toska athmete bei dieser Kunde hoch und freudig auf. "Ist das wahr, was Sie mir da sagen?" "Ja. Hier, fuehlen Sie den Schluessel, den mir die Priorin gegeben hat. Er fuehrt durch eine Nebenpforte in das Kloster. Sie sollen auch dort so wenig wie moeglich gesehen werden Die Schwestern sind zwar schweigsam und kennen Sie wohl nicht; aber man muss immer vorsichtig sein. Die Frau Priorin meinte, es sei nothwendig Alles zu thun, damit es nicht bekannt werde, dass eine so hohe Dame so lange Zeit ganz allein bei dem Prinzen gewohnt habe." "Ich werde Ihnen und der Aebtissin dankbar sein so lange ich lebe. Aber wenn wir dennoch beobachtet und ergriffen werden?" "Das ist unmoeglich. Ich habe alle Thueren und Korridore verschlossen und das Thor bereits ein wenig geoeffnet. Es kann Niemand zu uns, wir aber koennen sehr leicht in das Freie. Sind Sie bald fertig?" "Nur noch dieses Tuch. So. jetzt bin ich bereit." "So bitte, kommen Sie!" Die Vogtin schritt voran. In einer Anwandlung von Besorgniss ergriff Toska unbemerkt das Messer, welches sie vorhin auf den Tisch gelegt hatte, und steckte es zu sich; dann folgte sie. Der Weg fuehrte durch mehrere Gaenge, welche saemmtlich unbeleuchtet waren. Dann gelangten sie in den vorderen Schlosshof, welchen Toska nur ein einziges Mal, naemlich bei ihrer Ankunft, und dann nicht wieder betreten hatte. Das Thor war wirklich um eine Luecke geoeffnet, welche sehr leicht und ohne Geraeusch erweitert werden konnte. Sie schluepften hindurch. Draussen vor demselben holte Toska tief Athem und ergriff beide Haende ihrer Fuehrerin. "Gott sei Dank, ich fuehle mich frei! Ich werde diesen Augenblick nie, niemals vergessen. Sie kennen meinen Namen und wissen auch wo ich zu finden bin. Ich kann Ihnen jetzt nicht lohnen, aber kommen Sie zu mir, und ich werde Ihnen Alles vergelten, was Sie jetzt an mir thun." "Ich bin davon ueberzeugt, gnaedige Komtesse. Aber kommen Sie. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Es koennte doch jemand erwachen und Argwohn schoepfen, und die Frau Priorin wartet bereits!" Sie eilten vorwaerts. Toska merkte nicht, dass zwei maennliche Gestalten ihnen vorsichtig folgten und erst dann wieder umkehrten, als sie hinter dem Pfoertchen und der Mauer des Nonnenklosters verschwunden war. Man hatte sie aus der Hoehle des Fuchses in diejenige der Hyaenen gefuehrt. Sie sollte das Opfer von allen Beiden werden. Im Zuchthaus. Die Maschine stiess einige gellende Pfiffe aus, die Raeder kreischten unter dem Drucke der angezogenen Bremsen, und der Personenzug fuhr in den Bahnhof ein. Die Wagen kamen zum Halten, und einige Coupees wurden geoeffnet. "Station Hochberg. Fuenf Minuten Aufenthalt!" ertoente der Ruf der Schaffner. "Ihr Aufenthalt wird wohl etwas laenger dauern," meinte ein Passagier, der nebst noch einem andern in einem Einzelcoupee dritter Klasse gesessen hatte, in strengem Tone. Er trug die Uniform eines Amtswachtmeisters und hielt den linken Arm in einer Binde. "Geht Niemanden etwas an," antwortete grob der Andere. "Es hat sich hier schon mancher, der erst gar aufgeblasen that, fuer laengere Zeit vor Anker gelegt. Ich glaube gar, es sind auch schon Wachtmeisters hier geblieben, Wachtmeisters; merken Sie sich das!" Der Sprecher war eine rohe untersetzte Gestalt, in ein sehr abgetragenes Gewand gekleidet. Er trug unter demselben ein rauhmaschenes Hemde; sein Gesicht war gewaschen und sein Haar gekaemmt, aber diese Reinlichkeit wollte zu dem Manne nicht recht passen; es hatte ganz den Anschein, als ob sie ihm ungewohnt oder gar aufgedrungen worden sei. Was aber am meisten auffiel, war, dass er "geschlossen" war. Seine Haende waren in einer eisernen "Bretzel" vereinigt, welche man zu noch groesserer Sicherheit an einen starken, um den Leib geschlungenen Riemen befestigt hatte. Der Mann war ganz sicher ein Gefangener. "Schon gut. jetzt aussteigen!" antwortete der Transporteur. "Na, na; nur sachte. Ich steige aus, wenn es mir beliebt!" klang es noch zurueck. "Meinetwegen. Aber nur schnell!" Der Wachtmeister schob ihn aus dem Wagen. Der Gefangene blickte sich schnell um, sah das ihn umwogende Gedraenge und glaubte, Rettung in demselben zu finden. Mit einem schnellen Sprunge war er mitten zwischen die ausgestiegenen Passagiere hinein und versuchte, sich durch sie hindurchzudraengen. "Haltet ihn auf!" rief der Wachtmeister. Dieser Ruf war eigentlich ueberfluessig. Man hatte in dem Manne sofort einen fluechtigen Gefangenen erkannt und ihn umringt und festgehalten. "Hier ist er. Nehmen Sie ihn." "Danke, meine Herren! Das war ein geradezu unbegreiflich alberner Versuch mir zu entkommen." Ein auf dem Bahnhofe stationirter Gensdarm trat herbei. "Soll ich Ihnen bei dem Transporte helfen, Herr Amtswachtmeister?" frug er. "Danke bestens! Er ist mir sicher genug, werde ihn nun aber noch fester nehmen." Er zog eine Leine aus der Tasche, band sie dem Gefangenen um den Arm und fuehrte ihn in dieser Weise neben sich fort. Sein Weg ging nach dem aeussersten und hoechsten Theile der Stadt, wo hinter ungewoehnlich hohen Mauern die Thuerme und Gebaeude eines schlossaehnlichen Baues hervorragten. Das war Schloss Hochberg, welches seit langer Zeit viele Hunderte derjenigen Ungluecklichen in seinen Mauern barg, welche sich gegen die Gesetze vergangen hatten und nun gezwungen waren, dies durch die Entziehung ihrer Freiheit zu buessen. Hochberg war das Zuchthaus fuer Norland. Die Strasse endete vor einem breiten, finsteren, massiv mit Eisen beschlagenem Thore, an welchem ein maechtiger Klopfer befestigt war. Der Transporteur ergriff denselben und liess ihn erschallen. Wie musste dieser Klang jeden nicht gefuehllosen Menschen beruehren, der hier gezwungen war, mit dem bisher zurueckgelegten Theile seines Lebens abzuschliessen! Ein kleiner Schieber oeffnete sich, an welchem ein baertiges Gesicht erschien. "Wer da!" "Transporteur mit Zuwachs." "Herein." Das Thor oeffnete sich. Die beiden Ankoenimlinge traten in eine finstere tunnelfoermige Mauerflur. Der militaerische Posten, welcher geoeffnet hatte, schloss wieder und oeffnete dann eine andere Thuer, welche in einen kleinen Hof fuehrte. "Gerade aus!" Der Transporteur nickte. Er war nicht zum ersten Male hier und mit den Raeumlichkeiten dieses Hauses bereits vertraut, wenigstens so weit es ihm gestattet war sie zu betreten. Er fuehrte seinen Gefangenen ueber den Hof hinueber in ein kleines Stuebchen, dessen einziges Fenster mit starken eisernen Kreuzstaeben versehen war. Hier sass der Aufseher von der Thorwache, welcher das Hoefchen ueberblicken und den kleinsten Verkehr ganz genau kontroliren konnte. Er hatte jede einoder ausgehende Person in das Passirbuch zu verzeichnen. "Guten Morgen, Herr Aufseher!" "Guten Morgen, Herr Amtswachtmeister. Wieder Einen?" "Wie Sie sehen." "Bitte, tragen Sie sich hier ein!" Der Transporteur vermerkte seinen Namen in das Buch und frug dann: "Der Herr Regierungsrath selbst da?" "Ja. Werde klingeln." Er bewegte einen Glockenzug. Eine Klingel ertoente in der Ferne, worauf ein zweiter Aufseher erschien. "Zuwachs!" meldete der Thorhabende. "Kommen Sie!" forderte der Andere den Wachtmeister auf. Er fuehrte ihn aus dem Zimmer durch einen langen Gang in [sic!] einer Thuer, hinter welcher er verschwand um ihn anzumelden. Nach einigen Augenblicken kam er wieder zum Vorschein. "Herein!" Der Transporteur trat ein, zog die Thuer hinter sich zu und stand an derselben in strammer militaerischer Haltung ohne zu gruessen. Er wusste, dass er erst auf die Anrede des Direktors zu sprechen hatte. Dieser, welcher, wie bereits bemerkt, den Charakter eines Regierungsrathes hatte, war ein hoch und stark gebauter Mann. Er trug die Uniform hoeherer Anstaltsbeamten mit Brillons [sic!] und einen langen Stossdegen. Der dichte Schnurrbart stand ihm ‡ la maggiar zu beiden Seiten weit ab, und sein ganzes Aeussere zeigte, dass mit ihm nicht wohl zu scherzen sei. Er blickte den Eingetretenen gar nicht an, bis er nach einiger Zeit die Feder weglegte und, noch immer mit den vor ihm liegenden Papieren beschaeftigt, in kurzem Tone frug. "Wer?" "Amtswachtmeister Haller aus Fallum, Herr Regierungsrath." "Was bringen Sie?" "Maennlichen Zuwachs, einen." "Namen?" "Heinrich Hartig aus Fallum." "Stand?" "Fischer oder Schiffer." "Einlieferungsakten!" Der Transporteur ueberreichte ihm das Aktenheft, welches er bereits parat gehalten hatte. "Schoen, haben Sie persoenliche Bemerkungen?" "Zu Befehl, Herr Regierungsrath." "Welche? Aber kurz!" "Hartig war angeklagt, seine Frau und seinen Stiefsohn lebensgefaehrlich und kontinuirlich maltraitirt zu haben. Er kam unter meine Bewachung, machte einen Fluchtversuch und versetzte mir dabei drei Messerstiche hier in Hand und Arm. Er ist ein Trinker, ein boesartiger, gefuehlloser und auch frecher Gesell, der sich sogar noch waehrend des heutigen Transportes renitent erwiesen hat. Er meinte unter anderem, dass auch bereits schon Amtswachtmeister auf dem Zuchthause gewesen seien, und versuchte noch auf dem Bahnhofe zu entspringen, wurde aber vom Publikum sofort ergriffen." "Fertig!" "Zu Befehl!" "Werden ihn zu fassen wissen. Erhaelt dritte Disziplinarklasse und zwanzig Tage Kostentziehung gleich als Anfang und Willkommen. Hier, Ihre Empfangsbescheinigung, Herr Wachtmeister. Adieu." Waehrend der Direktor nun Einblick in die Einlieferungsakten des neuen Zuechtlings nahm, kehrte der Transporteur in das Stuebchen des Thorhabenden zurueck, um die dort abgelegte Kopfbedeckung zu holen. "Leben Sie wohl, Hartig," meinte er, sich zum Gehen anschickend. "Haben Sie vielleicht etwas an Ihre Frau und Ihre Kinder auszurichten? Es ist zum letzten Male, dass dies auf solche Weise geschehen kann." "Packen Sie sich fort!" lautete die dankbare Antwort. "Gut! Adieu, Herr Aufseher!" "Adieu, Herr Wachtmeister!" Er ging. Der Gefangene war von diesem Augenblicke an von der Aussenwelt abgeschlossen, war keine Person, sondern nur ein Gegenstand, auf den sich die physiologischen Bestrebungen seiner Vorgesetzten richteten, und besass keine Selbstbestimmung, keinen freien Willen mehr. Nach einiger Zeit oeffnete sich die Thuer wieder, und abermals trat ein Aufseher ein. "Komm!" meinte dieser, nachdem er ihn mit einem kurzen Blicke ueberflogen hatte. "Oho! Hier geht es wohl per Du?" Der Thorhabende, welcher bisher schweigsam dagesessen hatte, wandte sich jetzt zu seinem Kollegen. Ein ganz und gar frecher und unverschaemter Bengel. Muss scharf gehalten werden." "Wird es schon spueren. Vorwaerts!" Er fasste ihn und schob ihn zur Thuer hinaus. Es ging denselben Korridor hinunter, welchen vorhin der Transporteur durchschritten hatte, dann rechts ab bis an eine vollstaendig eiserne Thuer. Als zwei grosse Vorlegeschloesser von derselben entfernt und drei starke Riegel zurueckgeschoben waren, zeigte sich hinter dieser Thuer ein schmaler kurzer Gang, welcher keine Fenster besass und deshalb von einer Lampe beleuchtet wurde. Zu beiden Seiten desselben befanden sich je acht aehnlich verschlossene eiserne Thueren, deren jede einen sieben Fuss hohen, vier Fuss breiten und fuenf Fuss tiefen Raum verschloss, in welchem nichts zu sehen war, als ein Heizungsrohr fuer den Winter, ein Wasserkrug, ein niedriger Schemel zum Sitzen und eine eiserne, tief in die Mauer eingefuegte Kette. Die nur anderthalb Fuss im Quadrat haltenden Fensterchen waren innen mit einer durchloecherten Eisenplatte und von aussen mit einem starken Doppelgitter versehen. Von hier haette ein Loewe sich keinen Austritt verschaffen koennen. Dies waren die Zu- und Abgangszellen des Zuchthauses von Hochberg, die schlimmsten Zellen der ganzen Anstalt. Es ist nothwendig, dem eingelieferten Verbrecher seine Lage sofort in ihrer haesslichsten Gestalt zu zeigen und denjenigen, welcher seine Strafzeit ueberstanden hat, noch vor dem Rueckfalle abzuschrecken. jeder Zuechtling verlebt den ersten und den letzten Tag seiner Detentionszeit in einer dieser fuerchterlichen Zellen. Der Aufseher oeffnete eine derselben. "Hier herein!" "Was, hier? Gibt es keine bessere?" "Nein." "Da waren sie doch in Fallum huebscher!" "Im Hotel de Saxe sind sie noch huebscher, kosten aber auch zehn bis zwanzig Mark per Tag. Zeig Deine Taschen!" "Donnerwetter, ich lasse mich nicht Du heissen!" "Wirst es schon leiden. Zeige Deine Taschen!" klang es jetzt barscher als vorher. "Ich habe ja nichts darin!" "Davon will ich mich ja eben ueberzeugen. Na, oder soll ich nachhelfen?" Die Fesseln hatte der Transporteur wieder mit sich genommen. Der Gefangene konnte also die Arme wieder bewegen. Von dem strengen Tone des Aufsehers doch eingeschuechtert, wandte er alle seine Taschen um. Dann durchsuchte ihn der Beamte noch ausserdem sehr sorgfaeltig von Kopf bis zu Fuss. "Wie hast Du geheissen?" "Hartig." "Was warst Du?" "Schiffer." "Was hast Du begangen?" "Muessen Sie das wissen?" "Das lese ich schon spaeter, Du brauchst mir es also nicht zu sagen. Doch will ich Dich im Guten darauf aufmerksam machen, dass es besser fuer Dich ist, wenn Du hier gegen Deine Vorgesetzten hoeflich und zuvorkommend bist. Du bist noch keine halbe Stunde da und hast doch bereits schon eine Strafe von zwanzig Tagen Kostentziehung erhalten." "Ich? Moechte wissen wofuer!" "Weil Du gegen den Amtswachtmeister grob gewesen bist und hast entfliehen wollen. Hier in der Anstalt wird der allergeringste Fehler sehr streng bestraft. Ihr seid hier, zur Strafe und zur Besserung. Wer willig und arbeitsam ist, kann nicht klagen, wer aber widerstrebt, dem geht es nicht gut. Merke Dir das! Also wie lange Strafzeit hast Du?" "Vier Jahre." "Weshalb?" Weil ich meine Frau und meinen Stiefjungen geschlagen und den Wachtmeister gestochen haben soll." "Haben soll? Sage doch gleich: geschlagen und gestochen habe, denn Du hast es doch gethan! Kannst Du lesen?" "Ein Bischen, wenn es gross gedruckt ist." "Hier an der Thuer klebt ein Zettel, darauf steht wie Ihr Euch im Allgemeinen zu verhalten habt. Licht kommt wohl genug zum Fenster herein. Lies ihn genau durch bis ich wieder komme, und beherzige es!" Er verliess die Zelle. Die Schloesser klirrten, und die Riegel rasselten, dann war es still. Die fuerchterliche Umgebung verfehlte doch ihren Eindruck nicht auf den Gefangenen. Es war ihm, als haette ihn jemand vor den Kopf geschlagen. Er liess sich auf dem alten hoelzernen Schemel nieder und legte das Gesicht in die beiden hohlen Haende. Aber sein Auge blieb trocken, und keine Thraene der Erleichterung oder der Reue drang zwischen seinen Fingern hervor. So sass er lange, lange Zeit bis die Schloesser wieder klirrten und die Riegel abermals rasselten. Der Aufseher oeffnete zum zweiten Male. "Komm!" Er folgte willig aus der Zelle hinaus und durch mehrere Gaenge bis in einen groesseren von Wasserdunst erfuellten Raum, welcher durch niedrige bretterne Scheidewaende in mehrere Abtheilungen geschieden war. In jeder derselben stand eine Badewanne und ein Schemel dabei. Auf einem dieser Schemel lagen einige Kleidungsstuecke, und dabei stand ein Mann, der Scheere und Kamm in der Hand hielt. Er trug eine Jacke und Hose von starkem, grobem, braunem Tuche und harte rindslederne Schuhe an den Fuessen. Die Haare waren ihm kurz verschoren, dennoch aber sah man es ihm an, dass er frueher wohl gute Tage gesehen und feinere Kleider getragen habe. "Nummer Zwei, ein Zuwachs!" meinte der Aufseher. "Kleide ihn ein. Ich habe jetzt Weiteres zu thun. Aber macht mir ja keine Dummheiten! In einer halben Stunde bin ich wieder hier." Er ging und schloss hinter sich ab. Die Beiden befanden sich ganz allein in dem Raume. "Vierundsiebenzig, setze Dich!" gebot der Mann. "Wer?" "Du! Du hast jetzt keinen Namen mehr, sondern die Nummer Vierundsiebenzig; nur bei dieser wirst Du genannt." "Donnerwetter, das ist huebsch!" "Fluche nicht!" fluesterte der Mann. Dann fuegte er lauter hinzu: "Setzen sollst Du Dich, habe ich gesagt. Oder hoerst Du schwer?" Hartig liess sich auf den Schemel nieder. Der Andere griff zu Kamm und Scheere. "Was soll denn das werden, he?" frug der erstere. "Die Haare muessen herunter. Dann badest Du Dich und ziehst die Anstaltskleidung an. Die Deinige kommt in diesen Sack, der Deine Nummer hat, und wird aufgehoben, bis Du wieder entlassen wirst." "Na, dann zu, wenn es nicht anders moeglich ist!" Das Schneiden des Haares begann. Dabei fluesterte der Nummer zwei Genannte: "Bewege die Lippen nicht wenn Du sprichst. Wir werden scharf beobachtet!" "Wo?" "Durch die kleinen Loecher ueber den Badewannen. Was bist Du?" "Schiffer." "Woher?" "Aus Fallum." "Ah, das Seebad Fallum?" "Ja. Kennst Du es?" "War oefters dort. Weisst Du nicht, ob Prinz Hugo von Suederland in der gegenwaertigen Saison das Bad besucht?" "Vor sechs Wochen war er noch da. Seit dieser Zeit bin ich gefangen. Kennst Du ihn?" "Sehr gut." "Wer bist Du denn?" "Das ist Nebensache!" Dennoch aber siegte die den meisten Menschen innewohnende und sogar sich in der tiefsten Erniedrigung regende Eitelkeit so, dass er hinzusetzte: "Ich war nichts Gewoehnliches; der Prinz war mein Freund." "Ah!" machte Hartig verwundert. "Leise! Ist seine Schwester, Prinzess Asta, verheirathet?" "Freilich. Mit dem Kronprinzen Max, der frueher ein Schmied gewesen sein soll. Ich bin wegen dem tollen Prinzen hier." "Nicht moeglich! Wie so?" "Er fuhr auf dem Boote und stuerzte die Tochter des Generals Helbig in das Wasser. Mein Junge warf ihn wieder hinein, und ich zuechtigte den Buben ein wenig zu derb. Darueber wurde ich angezeigt und eingesteckt. Ich wollte ausreissen und stiess dem Wachtmeister dabei das Messer in den Arm. Dafuer habe ich vier Jahre bekommen." "Und der Junge?" "Nichts. Der Prinz hat noch die Kosten bezahlt." "Ja, das sind die jetzigen Zustaende; frueher unter der alten Regierung war es besser!" "Du meinst, als die Raumburgs noch am Ruder waren? Ja, da wurde nicht so kurzer Prozess mit einem gemacht; da ging es fein huebsch langsam. Wenn das noch waere, so saesse ich nicht hier. Nun aber ist der alte Herzog todt, elend umgekommen, und sein Sohn, der Prinz von Raumburg, soll gar im Zuchthause stecken!" Der Sprecher ahnte nicht, dass er gerade diesen Prinzen vor sich habe. "Waren die drei Schwestern des Generals von Helbig im Seebade?" frug dieser. "Ja." "Dachte es. Die kommen alle Jahre hin. Aber jetzt bin ich fertig. Nun ziehe Dich aus und steige in die Wanne. Deine Kleider habe ich wegzunehmen!" "Was bist Du hier denn eigentlich?" "Badewaerter." "Und was bekommst Du dafuer?" "Sechs Pfennige taeglich." "Alle Wetter, ist das viel!" "Ja, das ist auch viel. Du bekommst volle drei Monate nichts, dann aber taeglich drei Pfennige, aber auch nur dann, wenn Du Dein Pensum vollstaendig fertig bringst." "Was ist Pensum?" "Die Zahl, wie viel Du taeglich zu arbeiten hast. Bringst Du das nicht, so wirst Du bestraft, mit Arrest, mit Kostentziehung oder gar mit Pruegeln. Und weil Du dritte Disziplinarklasse hast, so wird Dir von Deinen drei Pfennigen zur Strafe taeglich einer abgezogen. Du bekommst dann also blos zwei." "Was ist das mit der Klasse?" "Wer schlecht eingeliefert oder hier bestraft wird, bekommt dritte, wer gut eingeliefert wird, zweite, und wer sich sehr lange Zeit ausgezeichnet betraegt, erste Klasse. Die erste Klasse traegt blanke, die zweite traegt gelbe und die dritte traegt schwarze Knoepfe." "So hast Du also erste Klasse?" "Ja; aber nicht, weil ich mich lange Zeit gut gefuehrt habe, denn ich bin noch nicht sehr lange hier, sondern der Direktor beruecksichtigt mich, weil ich draussen etwas Vornehmes gewesen bin. Das Amt eines Badewaerters ist auch ein Vorzug. Es ist ein Vertrauensposten, weil ich da mit jedem Gefangenen zu sprechen komme. Ich kann also den Gefangenen sehr viel nuetzen. Willst Du mir einen Gefallen thun?" "Ja. Welchen?" "Du sollst mir einem andern Gefangenen ein paar Zeilen geben." "Die schreibst Du erst?" "Nein; dazu waere jetzt keine Zeit. Ich habe sie bereits fertig, fuer den Fall, dass ich Einen finde, der bereit ist, sie mir zu besorgen." "Komme ich denn mit ihm zusammen?" "Ja. Du kommst gleich von hier weg zum Anstaltsarzte, der Dich zu untersuchen hat. Bei ihm sitzt ein Gefangener, der seinen Schreiber macht. An ihn hast Du das Billet zu geben." "Wird es Niemand sehen?" "Nein. Er kennt mein Zeichen und sieht jeden aufmerksam an. Wenn Du die Jacke ausziehest, so niesest Du und wischest Dir dann mit der linken Hand das rechte und mit der rechten das linke Auge zu. Er wird sofort hinkommen und Dich mit entkleiden helfen. Dabei nimmt er das Papier an sich, welches ich Dir nachher unter das Halstuch binden werde. Es wird Dir nuetzlich sein. Wer Kaffee oder sonst etwas Aussergewoehnliches haben will, muss den Arzt bitten, dieser gibt dem Schreiber seine Entscheidung, und was dieser schreibt, das gilt und wird nicht mehr kontrolirt. Da kann es vorkommen, dass er viel mehr schreibt, als er eigentlich sollte, oder sogar dass er einem etwas notirt, der um gar nichts gebeten hat. Bekommst Du also einmal etwas, so sage nur zum Aufseher, Du haettest den Arzt darum gebeten!" "Werde es merken! Welche Arbeit werde ich bekommen?" "Das weiss ich noch nicht, denn das bestimmt im Laufe des Tages der Arbeitsinspektor." Unterdessen war das Bad beendet, und das Einkleiden begann. Der Badewaerter war ihm dabei behilflich und legte ihm auch das Halstuch um. "Du hast doch den Brief vergessen!" fluesterte Hartig. "Sorge Dich nicht! Er ist an seiner Stelle; aber ich waere sehr ungeschickt, wenn Du es bemerkt haettest, denn dann haette es der Aufseher draussen auch gesehen." "Er belauscht uns also wirklich?" "Ja. Du wirst sehen, dass er hereinkommt, sobald wir fertig sind. Diese Leute halten sich allein fuer sehr klug und weise und sind noch dreimal dummer als dumm." Wirklich hatte Hartig kaum die Arme in die Aermel seiner Jacke gesteckt, so trat der Aufseher herein. "Fertig?" "Gleich, Herr Aufseher!" "Wieder einmal fleissig geschwatzt?" "Kein Wort! Oder glauben Sie, dass Unsereiner das Beduerfniss hat, sich solchen Leuten mitzutheilen?" "Hoffe es auch nicht. Also vorwaerts wieder!" Hartig wurde in ein anderes Gebaeude gefuehrt, wo ihn der Aufseher in ein Zimmer schob, in welchem ein Herr in Civil an einem Schreibtische sass. An der andern Seite sass ein dicker Mann in der Straeflingskleidung und schrieb, ohne von dem Papiere aufzublicken. Dieser erstere war der Anstaltsoberarzt. Er fixirte den Angekommenen einen Augenblick; dann frug er in dem kurzen Ton dieser Beamten: "Wer bist Du?" "Schiffer." "Wie alt?" "Fuenfzig." "Einmal krank gewesen?" "Nein." "Fehlt Dir jetzt etwas?" "Nein, aber Hunger habe ich immer." "Ach so!" lachte der Arzt. "Die Herren Gefangenen haben waehrend der Untersuchungshaft auf schmaler Kost gesessen und wollen sich nun hier herausfuettern lassen. Bleibt draussen, und macht keine Dummheiten, wenn Ihr nicht leiden wollt! Ziehe Dich aus!" Er bog sich auf seine Schreiberei zurueck. Hartig fuhr langsam aus der Jacke und nieste; dann wischte er sich die Augen in der angegebenen Weise. Sofort erhob sich der dicke Schreiber und trat zu ihm. "Na, das hat ja noch gar keine Spur von Geschicke! Wie lange soll da der Herr Oberarzt warten, he? Herunter damit!" Er band ihm das Halstuch ab und warf es zur Erde, half ihm auch beim Ablegen der uebrigen Kleidungsstuecke. Als dies geschehen war, erhob sich der Arzt und untersuchte Hartig sehr genau. Er hatte heute Zeit dazu, denn es war kein zweiter Gefangener eingeliefert worden. Waehrend dieser Prozedur bemerkte Hartig, dass der Schreiber hinter dem Tische einen kleinen Zettel las und schnell einen zweiten schrieb. Als die aerztliche Untersuchung beendet war, trat er wieder zu Hartig heran und half ihm beim Anlegen der Kleider. Dabei steckte er ihm den zweiten Zettel abermals, aber jetzt hinten und von oben unter das Halstuch und fluesterte: "Beim Arbeitsinspektor wieder niesen!" Die Prozedur war beendet, und Hartig wurde entlassen. Draussen vor der Thuer empfing ihn der Aufseher wieder, welcher ihn in seine Zelle zurueckbrachte und dann verliess. Waehrend dieser Pause wagte der Gefangene es, den Zettel herauszunehmen und zu oeffnen, obgleich es moeglich war, dass man ihn beobachtete. Er war in einer fremden Sprache geschrieben. Sein Verfasser und derjenige, an den er gerichtet war, konnten keine ganz gewoehnlichen Leute sein. Jetzt dauerte es einige Stunden, ehe die Riegel wieder zurueckgezogen wurden und der Aufseher wieder oeffnete. Er brachte Wasser und Brod. "Hast Du beim Arzte um doppelte Ration Brod gebeten?" "Ja." "Bist Du denn ein so starker Esser?" "Ein Seemann hat stets Hunger." "Hier aber hoert die See auf. Ein Zugaenger erhaelt gewoehnlich taeglich ein halbes Pfund Brod und erst spaeter, wenn er wiederholt darum bittet, ein ganzes und auch anderthalb Pfund. Dir aber sind gleich zwei Pfund zugeschrieben worden. Da heisst es nun auch fleissig sein, damit Du diese Verguenstigung nicht etwa wieder verlierst. Der Herr Oberarzt muss heut bei sehr guter Laune gewesen sein. jetzt komm!" Das Versprechen des Badewaerters war also doch bereits in Erfuellung gegangen. Der dicke Krankenschreiber hatte aus eigener Machtvollkommenheit zwei Pfund Brod notirt. Und diese Anstaltsbeamten sagen, dass der Gefangene keinen Willen habe, sie wollen ihn als Gegenstand irgend einer Besserungsmethode behandeln! Wieder ging es ueber mehrere Hoefe bis vor eine Thuer. "Den Herrn da drinnen hast Du "Herr Arbeitsinspektor" zu tituliren!" bedeutete der Aufseher und schob dann den Gefangenen in das Zimmer. Der Beamte war noch jung und hatte ein wohlwollendes Gesicht. Die stramme Uniform stand ihm recht gut, und es sah ganz so aus, als ob er sich dessen auch bewusst sei. Auch hier blieb der Aufseher vor der Thuer, um seinen Pflegling draussen zu erwarten. "Was bist Du?" frug der Inspektor gerade so wie vorher der Arzt. "Schiffer." "Schiffer, also kraeftig." Er blaetterte dabei in einigen Papieren herum. "Hier finde ich, dass Du vom Arzte zwei Pfund Brod erhalten hast; da musst Du auch arbeiten koennen. Gesund bist Du?" "Ja." "Hast Du vielleicht ausser Deinem Berufe nebenbei ein Handwerk betrieben?" "Nein," antwortete er niesend und sich dann die Augen wischend. "Aber im Winter, wo der Fischfang und die Schifffahrt feiert, was hast Du da gethan?" "Hm," raeusperte sich der Gefangene verlegen, waehrend der Schreiber, welcher an einem Seitentische beschaeftigt war, der Scene mit Spannung folgte. "Ach so, ich verstehe! Nichts hast Du gemacht. Gespielt, was?" "Blos Abends," entschuldigte sich Hartig. "Und am Tage?" "Geschlafen." "Schoen! Das heisst also, Du hast vom Abend bis an den Morgen gespielt und dann den Tag verschlafen. Hast Du Weib und Kinder?" "Ja." "Also Familie, und ein so luederliches Leben! Scheinst mir ein sauberer Kerl zu sein! Ich werde Dir eine Arbeit geben, bei der Du mir nicht so leicht einschlafen sollst. Das sage ich Dir: das Pensum ist sehr schwer, bringst Du es aber nicht, so hilft Dir Deine doppelte Brodration nichts; ich gebe Dir Kostentziehung, und zwar genug!" Der gute Inspektor war wirklich in Rage gekommen, auch mit dem Schreiber schien dies der Fall zu sein. Er erhob sich und trat naeher. "Und auch unordentlich ist er," meinte er, der seinen Vorgesetzten sehr gut kennen musste, um diese Theilnahme am Gespraeche zu wagen. "Dieser Knopf ist auf, und das Halstuch guckt hinten ueber den Kragen in die Hoehe. Die Herren Aufseher sehen nicht darauf. Ich habe nur immer nachzubessern, damit die Leute anstaendig vor dem Herrn Inspektor erscheinen!" Dabei knoepfte er ihm die aufgesprungene Jacke zu und nestelte emsig an dem Halstuche herum. Dann trat er wieder zurueck und setzte sich mit zufriedener Miene nieder. "Richtig ist es," meinte der Inspektor. "Wenn ein Zuwachs kommt, muss ihn mein Schreiber immer in das Geschicke richten. Ich werde mich beschweren. Also, was geben wir Dir fuer Arbeit?" Er sann eine Weile nach und meinte dann zu seinem Schreiber: "Notiren Sie ihn unter die Schmiede, und besorgen Sie das Uebrige. Ich habe mich zu beeilen, dass ich den Zug nicht versaeume. Du aber kannst jetzt gehen!" Hartig verliess das Gemach und wurde von seinem Aufseher in seine Zelle zurueckgefuehrt. Er blieb dort nicht lange allein, denn bald wurde wieder geoeffnet und der Aufseher trat in Begleitung des Anstaltskoches herein. "Also dies ist der Mann?" frug der letztere, den Gefangenen musternd. "Ja, er hat ungeheures Glueck," antwortete der Aufseher. "Wird mit zwanzig Tagen Kostentziehung eingeliefert und bekommt doppeltes Brod und Beschaeftigung in der Kueche, waehrend andere sich Jahre lang zu einem solchen Posten melden und immer wieder abgewiesen werden. Ich bin neugierig, wie der Herr Direktor die Kostentziehung mit der Kuechenarbeit und der Brodration zusammenreimen wird." "Das ist nicht unsere Sache," meinte der Koch. "Es liegt hier jedenfalls ein Versehen vor, ich aber habe mich nach der Notiz des Herrn Arbeitsinspektors zu richten und diesem hier zu sagen, dass er morgen frueh in der Kueche antreten wird. Besorgen Sie ihm eine weisse Schuerze und eine Kuechenmuetze." Unterdessen stand der Schreiber des Arbeitsinspektors an seinem Fenster und blickte hinaus auf den Hof. Er war allein, denn sein Vorgesetzter hatte die Anstalt verlassen, um seiner vorhin gethanen Aeusserung nach eine Reise zu unternehmen. Der Schreiber schien von einer peinigenden Unruhe erfuellt zu sein, und immer wieder zog er den Zettel hervor, welchen er unter dem Halstuche des Zuganges herausgenommen hatte. Dieser war in franzoesischer Sprache verfasst und lautete zu deutsch: "Endlich ist es Zeit, wie mich Raumburg benachrichtigt. Warte in Deiner Expedition auf uns." Da kam ein einzelner Zuechtling ohne Begleitung eines Aufsehers ueber den Hof. Es war der Schreiber des Oberarztes. Er trat ein. Beide kannten einander sehr gut. Der eine war Direktor und der andere Oberarzt einer Irrenanstalt gewesen und hatten sich derartiger Vergehen schuldig gemacht, dass sie sich jetzt fuer lebenslang im Zuchthause befanden. "Der Inspektor fort?" frug der dicke fruehere Irrenhausdirektor. "Ja," antwortete sein frueherer Untergebener. "Woher weisst Du, dass er verreisen will?" "Er war am Vormittage beim Doktor und sagte es diesem. Bist Du bereit?" "Natuerlich. Ich wage das Leben, wenn es sein muss. Aber wie?" "Weiss es selbst noch nicht. Raumburg schrieb mir heute, dass ich um die jetzige Zeit bei Dir sein solle." "Er kommt also auch?" "Jedenfalls." "Wie gut, dass die zur ersten Disziplinarklasse Gehoerigen die Erlaubniss haben, ohne Beaufsichtigung ihrer Arbeit nachgehen zu koennen. Wenn man mich hier bei Dir sieht, koennen wir sagen, dass wir uns ueber irgend eine Schreiberei zu besprechen haben. Hast Du den Ueberbringer der Zeilen belohnt?" "Ja. Ich habe ihm doppeltes Brod geschrieben." "Dachte mir, dass dies nur von Dir kaeme." "Und Du?" "Ich habe mir den Spass gemacht, ihn unter die Kuechenarbeiter zu schreiben. Wir gehen fort, und ich habe keine Unannehmlichkeit davon. Doch schau, da kommt Raumburg!" Der Zuechtling Nummer Zwei kam ueber den Hof herueber und in das Zimmer. "Gut, dass Sie schon beisammen sind! Sie haben meine Bemerkung erhalten?" "Ja." "Sie gehen mit?" "Versteht sich! Aber welche Vorbereitungen haben Sie getroffen?" "Ich noch gar keine, aber wir werden draussen erwartet." "Von wem?" "Das moechte ich jetzt noch verschweigen. Im Gasthofe des naechsten Dorfes hat sich ein Kutscher einquartirt, der seine Pferde stets angeschirrt bereit haelt. Eine Minute nach unserem Eintreffen dort kann es fortgehen." "Das waere ganz gut. Aber wie kommen wir aus der Anstalt?" "Sehr einfach: als Aufseher verkleidet. Da haelt uns der Posten nicht an." "Alle Teufel, das ist verwegen! Am hellen lichten Tage ganz gemuethlich hinauszuspazieren! Aber die Kleider?" "Bekommen wir bei dem Thorhabenden." "Wird sich hueten!" "Freiwillig gibt er sie natuerlich nicht her. Wir nehmen sie ihm." "Dann gibt es einen Kampf, welcher Laermen verursachen wird." "Das werde ich schon zu vermeiden wissen. jeder Aufseher, welcher von zu Hause kommt und die Anstalt betritt, hat Muetze und Kapot beim Thorhabenden abzulegen. Diese Sachen werden in die Garderobe gehaengt, welche sich neben der Wachtstube befindet. Das ist genug fuer uns, denn wir brauchen ja jeder nur Kapot und Muetze, um ganz sicher fuer Aufseher gehalten zu werden." "Man wird uns aber dennoch erkennen." "Warum?" "Wir sind rasirt, wie jeder Gefangene, und saemmtliche Aufseher tragen Baerte." "Ich habe mich vorgesehen. Bei meiner Arbeit kommen mir die groessten Baerte, die ich abschneiden muss, in die Haende. Ich habe die Haare zu den schoensten falschen Baerten verarbeitet. Hier probiren Sie einmal!" Er zog ein Papierpaket unter der Jacke hervor und oeffnete es. Die drei Baerte, welche es enthielt, passten ganz genau, und es gehoerte ein sehr scharfes Auge dazu, um zu erkennen, dass sie falsch seien. "Das ist vortrefflich!" meinte der einstige Direktor. "Aber wir koennen unsere Hosen und Schuhe nicht verbergen." "Unter dem Thore ist es finster." "Aber, wenn man uns auf dem Hofe begegnet? Selbst wenn wir vollstaendige Uniform truegen, wuerde jeder Aufseher, auf den wir treffen, wegen unsern fremden Gesichtern aufmerksam werden und uns anhalten." "Ich werde dafuer sorgen, dass uns Niemand begegnet." "Wie wollen Sie das fertig bringen?" "Sie wissen, dass ich sehr oft Befehle des Direktors an andere Beamte zu ueberbringen habe. Ich werde eine augenblickliche Konferenz im Speisesaale anheissen." "Gefaehrlich!" "Gar nicht, denn der Direktor ist jetzt nicht in der Anstalt. Ich brauche diesen Befehl nur den beiden Oberaufsehern zu ueberbringen, so sind in fuenf Minuten alle Aufseher ausser dem Wachthabenden und den Visitatoren, die nicht von ihren Leuten fortkoennen, im Speisesaale versammelt. Also einmal fest und sicher: Sie fliehen wirklich mit?" "Ja; lieber todt als laenger hier!" "Gut; so gehe ich jetzt. Zwei Minuten, nachdem Sie mich wieder voruebergehen sehen, kommen Sie zum Thorhabenden, aber einzeln, damit es nicht auffaellt." Er ging. "Ein verwegener Kerl!" meinte der Arbeitsschreiber. "Er haette Anlagen, ganz so zu werden, wie sein Vater frueher war. Ich moechte doch wissen, warum er sich gerade fuer uns Beide so interessirt und uns gern mit frei sehen moechte." "Einestheils, weil wir seinem Vater, dem Herzoge von Raumburg, so treu dienten und deshalb in die gegenwaertige Lage kamen, und anderntheils, weil er glaubt, dass unsere Anhaenglichkeit ihm spaeter von Nutzen sein wird. Wir koennen uns seine Sorge fuer uns sehr gefallen lassen. Ohne ihn wuerde uns eine Flucht schwerlich gelingen, und wenn wir die Freiheit erreichen, gewaehrt er uns mit seinen Verbindungen die beste Sicherheit, dass wir nicht in die Haende unserer Verfolger zurueckgerathen. Es versteht sich ganz von selbst, dass unsere Flucht ein ungeheures Aufsehen erregen und man Alles aufbieten wird, uns wieder zu ergreifen." "Wenn ihnen dies gelaenge, wuerde ich mich toedten." "Ich mich auch; vorher aber wuerde ich mich nach allen Kraeften zur Wehre setzen. Ehe man mich faengt muessen erst Einige daran glauben. Ich habe aus dem Bestecke des Arztes einige Messer zu mir gesteckt, mit denen man sich schon vertheidigen kann. Willst Du eins?" "Ja. Gib her!" Jetzt schritten einige Aufseher eilig vorueber. "Schau, seine Finte beginnt bereits zu wirken. Die gehen nach dem Speisesaale." "Dieser Gedanke von ihm war ausgezeichnet. Nun wird fuer uns der Weg frei." Einige Augenblicke spaeter schritt der Badewaerter langsam ueber den Hof und gab ein leises, fuer andere unbemerkbares Zeichen, dass Alles gut gehe. Er begab sich in die Wachtstube, wo sich der Thorhabende ganz allein befand. "Herr Aufseher!" "Was willst Du?" "Der Herr Aufseher Wendler ist bei mir im Bade. Er hat die Seife vergessen, die in der Tasche seines Kapots steckt. Sie sollten so freundlich sein und sie ihm schicken." "Gleich. Warte hier!" Er trat in die nebenan befindliche Garderobe und suchte. Nach kurzer Zeit meinte er: "Es steckt keine Seife drin. Komm heraus und suche selbst einmal nach!" Der Badewaerter warf einen raschen Blick durch das Fenster und sah den Arbeitsschreiber bereits kommen. Ein anderer Mensch war nirgends weiter zu sehen. Es war Zeit. Er trat zu dem Aufseher. "Hier sind die Taschen!" sprach dieser. "Schoen. Werde Ihnen zeigen, dass ich mehr Geschick besitze als Sie, mein Gutester!" Mit diesen Worten fasste er den Aufseher von hinten bei der Gurgel und drueckte diese zusammen, dass der Ueberfallene keinen Laut von sich geben konnte. Er versuchte sich zu befreien, brachte es aber nur zu einigen kurzen konvulsivischen Bewegungen. In diesem Augenblicke trat der Schreiber ein und eilte sofort herbei. "Nehmen Sie sein Taschentuch und stecken Sie es ihm in den Mund!" gebot Raumburg. Der Schreiber gehorchte, musste aber mit seinem Messer die Zaehne des Aufsehers auseinanderbrechen. "Nehmen Sie die Schnur hier aus meiner Tasche und binden Sie ihm die Haende auf den Ruecken und die Fuesse zusammen!" Dies geschah, und hier konnte auch der Krankenschreiber mithelfen, welcher unterdessen hinzugekommen war. Dann wurde der gefesselte und geknebelte Mann in den Winkel geworfen. "Hier haengt sein Degen, den er abgelegt hat," meinte Raumburg. "Ich werde ihn umschnallen, da ich unter uns wohl derjenige bin, der am besten mit dieser Waffe umzugehen versteht. Nun schnell die Ueberroecke an und die Muetzen auf. Dann fort." Den beiden Andern ging denn doch der Athem etwas laut. In solchen Faellen handelt auch der Muthigste nicht ohne einige Erregung. So vorbereitet verliessen sie das Zimmer. Der Badewaerter verschloss es und steckte den Schluessel zu sich. "Nun straks ueber den Hof und zwar in militaerischer sicherer Haltung." Sie gelangten unangefochten an das Innenthor des Eingangs und klopften. "Wer da! liess sich im Thorgewoelbe die Stimme des Postens vernehmen. "Drei Aufseher zum Ausgehen," antwortete Raumburg fest. "Koennen passiren!" Es oeffnete sich zuerst das innere und dann auch das aeussere Thor, und Raumburg selbst zog dieses letztere hinter sich zu, damit es dem Posten nicht einfallen solle ihnen nachzublicken. "Gott sei Dank; es scheint zu gelingen! Nun schnell die Mauer entlang und in das Freie; denn den betretenen Weg muessen wir vermeiden." Nicht gar zu eilig, denn das haette Verdacht erregen koennen, aber doch mit moeglichster Schnelligkeit gingen sie laengs der Mauer hin und gelangten in das offene Feld. Hier sahen sie einen schmalen Fusspfad, welcher zum naechsten Dorfe fuehrte und, wie sich von hier oben leicht bemerken liess, jetzt nicht begangen war. Ihn schlugen sie ein. "Nun koennen Sie uns wohl auch sagen, auf welche Weise Sie in Verbindung mit der Aussenwelt gelangten," meinte der fruehere Irrenhausdirektor zu Raumburg. "Das war nicht so schwierig, als ich vorher meinte," antwortete dieser. "Als Badewaerter hatte ich sehr oft in der Kueche zu thun, des heissen Wassers wegen. Der Fleischer, welcher das wenige Fleisch, das in das Anstaltsessen geschnitten wird, zu liefern hat, kommt taeglich des Morgens zu einer bestimmten Stunde, um dasselbe abzugeben. Er gehoert zu denjenigen nicht amtlichen Personen, denen der Zutritt ohne besondere vorherige Anmeldung gestattet ist. Als ich ihn zum ersten Male sah, erkannte ich in ihm einen frueheren Ulanen, der, als ich noch den Grad eines Rittmeisters besass, mein Bursche gewesen war. Er war ein treuer williger Kerl gewesen, und ich hatte ihn bei seiner Verabschiedung unterstuetzt, so dass er heirathen und eine eigene Fleischerei anfangen konnte. Er war mir also einige Dankbarkeit schuldig. Er erschrak foermlich, als auch er mich erkannte, liess sich aber nichts weiter merken. Aus einigen Worten, welche er scheinbar an den Koch richtete, hoerte ich, dass er mich wiedersehen wolle, und so suchte ich es einzurichten, dass ich am naechsten Tage zu derselben Stunde wieder in die Kueche musste. Er liess ein zusammengewickeltes Papierchen fallen, auf welches ich den Fuss setzte, um es dann unbemerkt aufzuheben. Er frug mich in den wenigen Zeilen, welche es enthielt, ob er etwas fuer mich thun koenne, und erklaerte sich zu allem bereit, was ich von ihm wuenschen werde. Ich hielt mich in fortwaehrendem Verkehre mit ihm und liess durch ihn einen Brief an Prinz Hugo von Suederland abgehen. "Den tollen Prinzen?" "Ja. Dieser antwortete mir, dass er gern nach Kraeften fuer mich handeln und sorgen werde, und hat mir einen Vertrauten ge- schickt , der mich mit einem Wagen erwartet, um uns ueber die Grenze und dann einstweilen in ein sicheres Asyl zu bringen." "Werden auch wir dem Prinzen willkommen sein?" "Ich verbuerge mich dafuer." "Dann gestatte ich mir in Beziehung auf unsere Reise nach der Grenze einige Bedenken." "Welche?" "Es ist zu Wagen nicht geheuer dort, wir Beide haben dies zur Genuege erfahren." "Ah, ich weiss, dass Sie da oben gefangen worden sind." "Allerdings. Die Bahn koennen wir freilich nicht benutzen, aber der Wagen bietet uns bei den wenigen Paessen, welche durch das Gebirge fuehren, ganz dieselbe Gefahr. Man wird bei der Nachricht von unserer Flucht diese Paesse sofort besetzen, so dass ein Wagen nicht passiren kann ohne durchsucht zu werden." "Hm, das ist richtig! Es waere da wohl vortheilhafter, wenn wir die Tour zu Fusse machten. Da kann man leichter ausweichen und ist freier und ungebundener in allen seinen Bewegungen. Ich moechte mich beinahe dafuer entscheiden. Was sagen Sie dazu?" "Ich rathe es sehr." "Gut, so sei es entschieden. Aber heut und morgen kommen wir noch nicht in die Berge. Da nehmen wir den Wagen. Dort ist das Dorf. Aber kommt uns da nicht ein Mann entgegen?" "Ein Spaziergaenger." "Es scheint so, denn er schlendert dahin, als ob er sich nur ein wenig ausgehen wolle. Aber, hat er nicht etwas in der Hand?" "Allerdings. Es scheint eine Peitsche oder etwas dem Aehnliches zu sein." "Wenn es eine Peitsche ist, so ist er unser Mann. Es ist ausgemacht, dass er dieses Erkennungszeichen mit sich fuehren und so viel wie moeglich gegen die Anstalt zu patroulliren soll. Sehen Sie, auch er hat uns bemerkt und bleibt stehen. Er ist es jedenfalls." Sie kamen naeher. Er zog die Muetze und gruesste hoeflich. Raumburg dankte und frug: "Sagen Sie einmal, lieber Mann, sind Sie da aus diesem Dorfe?" "Nein." "Woher sonst?" "Weit her." "Was thun Sie hier?" "Ich warte." "Ah, richtig! Sie sind aus Himmelstein?" Der Mann nickte erfreut. Er wusste jetzt, dass er nicht umsonst gewartet habe. "Ja, meine Herren." "Wohl ein Schlossbedienter des Prinzen?" "Der Schlossvogt selbst. Welcher von den Herren ist es, den ich fahren soll?" "Wir sind es alle Drei." "Ah, ich weiss nur von Einem!" "Thut nichts. Ich bin Derjenige, an den Sie adressirt sind, mein Name ist von Raumburg. Diese Herren hier sind meine Freunde, welche ich Ihrem Herrn sehr zu empfehlen habe. Wie lange Zeit brauchen Sie um uns aufnehmen zu koennen?" "Nicht volle zehn Minuten von jetzt an. Ich brauche nur die Pferde, welche bereits eingeschirrt sind, aus dem Stalle zu ziehen und an den Wagen zu haengen." "So kommen Sie!" "In das Dorf? Nein, meine Herren; es ist nicht nothwendig, dass Sie sich dort sehen lassen; das wuerde Ihre Spur ja sofort verrathen. Man ist uebrigens bereits aufmerksam auf mich geworden, weil ich die Pferde gar nicht ausgeschirrt habe und immerwaehrend hier spazieren gegangen bin. Gehen Sie rechts um das Dorf herum und dann moeglichst in der Naehe der Strasse weiter. Ich komme sofort nach, und dann koennen Sie einsteigen." "Sind Sie fuer mich mit allem Noethigen versehen?" "Mit Kleidungsstuecken nur fuer Sie, und zwar auch nur fuer den ersten Augenblick, da ich nicht weiss, ob sie passen werden. Doch sind solche Dinge ja in jedem Laden sehr leicht zu bekommen, nur muessen wir diese Gegend erst hinter uns haben." "Und Geld?" "So viel, wie Sie bis Schloss Himmelstein nur immer brauchen koennen. Seine Hoheit haben mir diese Boerse und diese Brieftasche gegeben, um Beides Ihnen zu ueberreichen." "Danke! Also spannen Sie schleunigst an, damit wir nicht auf Sie zu warten brauchen." Der Schlossvogt eilte in das Dorf zurueck, und die drei Fluechtlinge wandten sich um dasselbe herum. Sie gelangten hinter demselben auf die Strasse, und da sie Niemand da bemerkten, schritten sie langsam auf derselben vorwaerts. Sie sollten bald erkennen, was fuer eine grosse Unvorsichtigkeit sie damit begingen. Als sie an eine Biegung der Strasse kamen, wo die Fortsetzung der letzteren ihnen durch ein Gebuesch verdeckt gewesen war, zuckte Raumburg vor heftigem Schreck zusammen. "Alle Teufel, ein Gensdarm!" "Wahrhaftig!" rief auch der Krankenschreiber. "Was thun wir?" "Fliehen," meinte der fruehere Oberarzt. "Dort seitwaerts in die Buesche hinein!" "Nein, das geht nicht. Er hat uns bereits gesehen. Vorwaerts, wir gehen gerade auf ihn zu!" entschied Raumburg. "Aber er hat den Karabiner!" "Und wir sechs Haende. Fuerchten Sie sich?" Der Gensdarm kam langsam naeher, den Karabiner ueber die Schulter gehangen. Er hielt sie fuer Strafanstaltsbeamte und hob schon die Hand zum militaerischen Grusse zur Muetze empor, liess sie aber ueberrascht wieder sinken. Er war aufmerksam geworden. 2Guten Tag, meine Herren! Wohin?" "Spazieren," antwortete Raumburg. "Sie haben frei?" "Ja, Nachtdienst gehabt; da gibt es stets einen offenen Tag." "Habe Sie noch niemals gesehen und kenne doch die Kameraden alle. Sie sind wohl noch nicht lange hier angestellt?" "Schon seit geraumer Zeit; doch sind wir erst vor Kurzem hieher versetzt worden." "Es scheint, Sie haben sich noch nicht vollstaendig equipirt, oder trugen Sie an Ihrem frueheren Dienstorte Schuhe und Hosen von Straeflingstuch?" "Allerdings." "Auch ein Straeflingshalstuch anstatt der Binde? Ah, mein Lieber, machen Sie den Mund zu, sonst faellt Ihnen der Schnurr- bart hinein! Meine Herren, Sie haben wohl die Guete, mit mir nach dem Dorfe zurueckzukehren!" "Warum?" "Sie kommen mir verdaechtig vor." "Verdaechtig? Anstaltsaufseher? Das ist denn doch im hoechsten Grade spasshaft!" "Nicht ganz so spasshaft wie die Maskerade, welche Sie treiben, trotzdem wir nicht in der Fastenzeit leben. Bitte, drehen Sie sich um; Sie begleiten mich!" "Meinetwegen!" antwortete Raumburg gleichmuethig. "Wir wollen den Spass mitmachen und haben keineswegs etwas dagegen, wenn ein Gensdarm Lust hat, sich da von den Bauern auslachen zu lassen." "Das mit dem Auslachen wird sich wohl finden! Ah, was ist denn das?" Ein dumpfer, weithin droehnender Ton war von der Stadt her erschollen. Der Sicherheitsbeamte blieb horchend stehen und liess dann den Karabiner von der Schulter schluepfen. "Ein Kanonenschuss - - noch einer - - - und jetzt ein dritter! Holla, es sind drei Zuechtlinge entsprungen, und die seid Ihr. Vorwaerts marsch, zurueck!" "Herzlich gern, Herr Wachtmeister!" antwortete Raumburg. Er hatte seinen Wagen kommen sehen, der mit zwei ausgezeichneten Braunen bespannt war. Der Schlossvogt sass auf dem Bocke. Er sah den Gensdarm, welcher die Drei gefuehrt brachte, und liess sofort die Pferde halten. Absteigen, den einen Wagenschlag oeffnen und wieder aufspringen war bei ihm das Werk eines Augenblicks. Er wusste, dass jetzt alles auf ihn ankam. "Herr Wachtmeister," rief er, als dieser mit seiner Begleitung herangekommen war; "haben Sie die Schuesse gehoert? Es sind drei Zuechtlinge entsprungen." "Habe sie bereits erwischt. Hier sind sie!" "Donnerwetter! Dachte mir gleich so etwas, als ich Sie sah. Aber besser ist besser: ich habe schon aufgemacht; wollen Sie nicht meinen Wagen nehmen? Da haben Sie die Hallunken sicherer." "Ists Ihr Ernst?" "Freilich! Ich versaeume hoechstens eine halbe Stunde Zeit, und die bringe ich schnell wieder ein. Ein Glas Bier faellt wohl auch ab?" "Das und noch mehr. Ich nehme Ihr Anerbieten an." "Wo lade ich ab?" "Vor dem Anstaltsthore. Lenken Sie um!" "Ist auch Zeit, wenn Sie drinnen sind. Man darf solche Schlingels nicht so lange auf der Strasse stehen lassen." "Gut! Vorwaerts, eingestiegen!" Der Vogt hielt die Peitsche hiebgerecht, nahm die Pferde hoch in die Zuegel und wartete auf den entscheidenden Augenblick, der ja gleich kommen musste. Erst stiegen die beiden Schreiber ein, dann folgte Raumburg. jetzt legte der Gensdarm die Hand an den Schlag. "Herr Wachtmeister!" rief der Kutscher. "Was?" "Sie haben am Ende doch die Unrechten! Sind das nicht Zuechtlinge, die drei Maenner, welche dort ueber die Wiese gesprungen kommen?" "Wo?" "Rechts da drueben!" Die Kutsche stand zwischen dem Gensdarm und der Gegend, nach welcher der Schlossvogt zeigte. Darum nahm der Beamte die Hand vom Schlage und trat nach hinten, um besser sehen zu koennen. Da sauste die Peitsche auf die Pferde nieder; diese stiegen in die Hoehe und zogen mit einem schnellen Rucke an. "Adieu, Herr Wachtmeister; es sind doch die Richtigen!" klang es lachend vom Bocke hernieder. Der Geprellte fasste sich schnell. Er hob den Karabiner in die Hoehe und rief: "Halt, oder ich schiesse!" Das Gebot wurde nicht beachtet. Der Schuss krachte und noch einer - die Kugeln schlugen beide in den Wagen ein; dieser jedoch flog in sausendem Galoppe weiter. Die Voegel waren zum zweiten Male entwischt. -- Am spaeten Nachmittage des folgenden Tages ritten auf der Gebirgsstrasse ein Knabe und ein Maedchen auf kleinen schottischen Ponnys dahin. Der Knabe mochte etwas ueber vierzehn und das Maedchen ungefaehr zehn Jahre zaehlen, doch war das letztere im Reiten sichtlich bewanderter als der erstere. "Das ist eigentlich sonderbar bei Dir," meinte das Maedchen. "Du hast drei Vaeter." "Wieso, Magda?" "Nun, Du hast einen Vater, den hast Du gar niemals gesehen, dann hast Du einen Vater, der ist Dein Stiefvater, und endlich hast Du noch einen Vater, der ist auch mein Papa." "Ja, ich muss Papa zu ihm sagen, aber hat er mich denn auch wirklich so lieb, wie ein Vater gewoehnlich seine Kinder liebt?" "Der Papa? Der hat Dich sehr lieb, das kannst Du mir glauben. Ich war dabei, als er mit Herrn Walther von Dir sprach." "Was hat er da gesagt?" "Ja, das darf ich Dir eigentlich gar nicht verrathen, Kurt; denn sonst wirst Du mir am Ende gar stolz, und Du weisst doch, dass ich dies niemals gern leiden mag." "Ich verspreche Dir, dass ich nicht stolz werde. Ich habe uebrigens auch gar keine Anlagen dazu." "Er sagte naemlich so:["] Dabei setzte sich das huebsche Kind auf ihrem Ponny in eine sehr wuerdevolle Positur zurecht, um die Haltung und Miene nachzuahmen, welche ihr Vater bei den betreffenden Worten gezeigt hatte. "Mein lieber Herr Walther, Sie sind der Erzieher meiner Tochter, und ich freue mich Ihnen sagen zu koennen, dass ich mit Ihnen sehr zufrieden bin. Ich habe Ihnen jetzt auch meinen Pflegesohn uebergeben. Er ist ein armer Schifferknabe und hat nur einen solchen Unterricht genossen, wie er in einer gewoehnlichen Volksschule ertheilt wird; aber er besitzt ausgezeichnete Anlagen und eine Lust zum Lernen, die ihm helfen wird auch groessere Schwierigkeiten zu ueberwinden. Er hat ein sehr gutes Herz, ist offen und ehrlich in allen Faellen; man muss ihm herzlich gut sein, und ich wuensche, dass auch Sie ihm Ihre Liebe widmen. Er soll Marineoffizier werden, haben Sie die Guete, Ihren Unterricht nach diesem Plane zu arrangiren! Siehst Du, so hat Papa gesagt, und noch vieles Andere dazu, was Alles sehr gut und schoen geklungen hat." "Das freut mich sehr. Das haette meine Mutter hoeren sollen, die waere recht gluecklich darueber gewesen. Sie hat mir geboten, Alles zu thun um die Zufriedenheit Deines Papa zu erlangen." "Ich habe es ihr bereits erzaehlt. Aber, Kurt, Du sollst nicht sagen "Deines" Papa; er ist ja auch Dein Vater, und ich bin also Deine Schwester. Ich freue mich unendlich, dass ich einen Bruder habe, denn das ist viel besser als vorher. Auch die Tanten haben Dich sehr gern. Sie gewinnen nicht gleich jemanden lieb, aber Du, weisst Du, wodurch Du ihre Zuneigung sogleich erobert hast?" "Nun?" "Dadurch, dass Du so muthig und klug gegen den tollen Prinzen gewesen bist, und dann auch ganz besonders damit, dass Du damals die Froesche und Krebse entfernt hast. Auch uns er alter guter Kunz ist Dir sehr gut. Wenn er von Dir spricht, so wirst Du gar nicht anders als "unser Junge" oder "unser Kurt" von ihm genannt." "Ja, wir haben es gegen frueher wie im Himmel bei Euch, und das goenne ich meiner armen guten Mutter von ganzem Herzen. Sie graemt sich gar sehr darueber, dass mein Stiefvater jetzt in das - das - - das - - - " "Sage nur das Wort, lieber Kurt; Du bist doch nicht schuld daran!" "In das - Zuchthaus gekommen ist, wollte ich sagen." "O, wie schrecklich muss es dort sein! Man kann sich gar nicht wundern, wenn einmal Einer zu fliehen versucht, wie der Kutscher gestern erzaehlte. Wie war denn das eigentlich? Du bist ja mit dabei gewesen." "Nun, ich musste den Papa und Kunz, als sie abreisten, mit zur Station begleiten, und da trafen wir im Wartesaale einen Herrn in Uniform. Der war, wie er Papa erzaehlte, Arbeitsinspektor im Zuchthause und mit dem letzten Zuge gekommen, um mit einem Geschaeftsmanne zu verhandeln, der in der Strafanstalt sehr viel arbeiten laesst. Waehrend dieser Mittheilung hoerten wir, dass die Bahnbeamten sich etwas zuriefen. Es war soeben eine Depesche gekommen, welche an alle Stationen des Landes gerichtet ist. Sie lautete, dass drei sehr vornehme, sehr wichtige und auch sehr gefaehrliche Gefangene entsprungen seien, naemlich der Prinz von Raumburg und zwei Aerzte, von denen der eine Direktor und der andere Oberarzt im Irrenhause gewesen sind. Du kannst Dir denken, wie der Arbeitsinspektor erschrocken ist. Der fruehere Oberarzt war sein Schreiber im Zuchthause; er gab die vorgenommene Besprechung auf und kehrte gleich mit dem naechsten Zuge, welchen auch Papa benutzte, in die Anstalt zurueck. "Das sind allerdings drei sehr gefaehrliche Leute. Der Prinz hat mit seinem Vater, der nun todt ist, eine Verschwoerung gegen unsern guten Koenig angezettelt und das Land um ungeheure Summen betrogen, wie sich nachher herausstellte. Auch gemordet haben sie, heimlich und oeffentlich, und viele Leute, die ihnen im Wege waren, als Wahnsinnige in das Irrenhaus gebracht, wo sie so gemartert wurden, dass sie wirklich wahnsinnig werden oder sterben mussten." "Das ist ja ganz und gar entsetzlich! Woher hast Du es denn erfahren?" "Papa und die Tanten haben sehr oft davon gesprochen. Der alte Herzog hatte auch den Krieg angestiftet und das Land an den Koenig von Suederland verrathen, das Volk sollte Revolution machen und er wollte dabei Koenig werden. Aber es ist ihm nicht geglueckt. Der tolle Prinz kam zwar mit seinen Soldaten in das Land; aber der General von Sternburg hat ihn umzingelt, und Papa ist mit seinem Heere ganz unvermuthet in Suederland eingefallen und hat die Hauptstadt erobert. Deshalb kann ihn der tolle Prinz nicht leiden. Die beiden Aerzte, welche mit entsprungen sind, sind ganz gewiss dieselben, von denen Papa erzaehlt hat. Sie haben dem alten Raumburg geholfen die Feinde desselben wahnsinnig zu machen. Ich wollte, sie wuerden wieder erwischt und in das Zuchthaus zurueckgeschafft!" "Man wird sie schon ertappen. Die ganze Polizei ist auf den Beinen, und alle Strassen sind besetzt um sie abzufangen. Die Depesche lautete naemlich, dass sie in einem Wagen, der mit zwei Braunen bespannt ist, die Strasse nach dem Gebirge zu eingeschlagen haben." "Schrecklich! Wenn wir ihnen hier begegneten!" "Oh, die sollten uns nur etwas thun! Ich habe mich vor dem tollen Prinzen nicht gefuerchtet, und nun vor ihnen erst recht nicht. Ich koennte sie nicht aufhalten, denn ich bin zu klein dazu; aber Dir sollten sie kein boeses Auge machen; das wollte ich mir sehr verbitten!" "Oder wenn sie nach Helbigsdorf kaemen! Der Papa ist mit Kunz verreist, und die Tanten sind auf Besuch hinueber zu Barons. Die kommen ja erst morgen wieder." "Nach Helbigsdorf sollen sie erst recht nicht kommen." "Und unser Herr Walther ist auch fort, auf Ferien zu seiner Braut nach Himmelstein!" "Schadet nichts. Papa hat in seinem Waffenschranke eine ganze Menge von Degen und Pistolen, ich wuerde alle drei todtstechen oder niederschiessen. Ich lerne das ja jetzt!" "Ich habe dennoch Angst. Sie koennten Dich ja auch todt machen. Aber schau, wer sitzt dort unter dem Baume? Ich fuerchte mich. Komm herueber auf die andere Seite!" Die Strasse fuehrte durch den Wald. An dem einen Saume desselben lehnte unter einer knorrigen Fichte eine alte Frau. Sie war vollstaendig barfuss, trug einen einzigen Rock von grellrother Farbe, um die Schultern einen gelben, arg beschmutzten Ueberwurf und hatte ein blaues Tuch turbanartig um den Kopf geschlungen. Ihr Teint war tiefbraun; zahlreiche Runzeln durchfurchten ihr Gesicht, in welchem eine scharfe Nase ueber einem spitzigen Kinne thronte, und ihre Gestalt lag gebeugt auf dem Stocke, auf den sie die beiden Haende stuetzte. Mit ihren tiefliegenden schwarzdunklen Augen musterte sie aufmerksam die von ihrem Spazierritte heimkehrenden Kinder. Als diese herangekommen waren, streckte sie die Rechte bittend aus und trat unter dem Baume hervor. "Gebt einer armen Zigeunerin etwas, Ihr blanken Kinder!" Magda wollte aengstlich weiter reiten, aber Kurt hielt ihr Pferd und das seinige an. "Eine Zigeunerin bist Du? Da habe ich ja noch gar keine gesehen!" Sein offenes Angesicht und seine ehrlichen freundlichen Augen mochten der Alten gefallen. "So sieh mich einmal ganz genau an," meinte sie laechelnd, und ihre Augen zeigten dabei einen Ausdruck, wie man ihnen denselben so freundlich gar nicht zugetraut haette. Dadurch und in Folge von Kurts Muthe wurde Magda auch beherzter. "Du bist heute wohl schon sehr weit gegangen?" fragte sie. "Nein; aber ich bin alt, und da wird man leichter muede als in der Jugend." "Also muede bist Du? Und wohl auch hungrig und durstig?" "Beides ein wenig." "Da bist Du ja recht schlimm daran. Kurt, ich habe meinen Beutel vergessen. Bitte, gib ihr auch fuer mich etwas, damit sie zu Essen und zu Trinken kaufen kann!" "Ja," erwiderte dieser verlegen, "ich habe auch kein Geld mit. Was thun wir da?" Das Maedchen blickte ueberlegend vor sich nieder. Die Zigeunerin nickte freundlich. "Wenn Ihr nichts bei Euch habt, so koennt Ihr mir ja auch nichts geben. Es ist so gut, als haettet Ihr es gethan. Ihr seid gute Kinder. Gott segne Euch!" Da hob Magda sehr entschlossen das Koepfchen. "Nein, Du musst etwas von uns haben. Aber sage mir vorher, ob es wahr ist, dass die Zigeuner so schlimme Leute sind. Die Tanten sagen, dass sie sogar Kinder stehlen." "Nein, das ist nicht wahr. Die Zigeuner sind so arm, dass sie froh sind, wenn sie gar keine Kinder haben. Und wenn einmal Einer etwas Boeses thut, so sind die Andern doch nicht schuld daran." "Ja, das will ich auch gern glauben. Du siehst gar so mild und gut mit Deinen grossen Augen und kannst sicherlich nur Gutes thun. Ich moechte gern, dass Du zu essen und zu trinken bekommst und Dich recht schoen ausruhen kannst. Willst Du mit uns kommen?" "Wohin?" "Nach Helbigsdorf. Wir haben nur noch eine Viertelstunde bis dahin." "Ihr seid von Helbigsdorf? "Ja. Helbigsdorf ist unser," antwortete Magda mit einem gewissen Selbstbewusstsein. "Es gehoert doch dem General von Helbig." "Das ist unser Papa. Willst Du mit? Du kannst bei uns essen und trinken so viel Du willst, und auch in einem schoenen Bette schlafen. Wir geben Dir das ganz gern!" Die Alte nickte zustimmend und kam ueber den Strassengraben herueber. "Ja, ich gehe mit Euch, Ihr guten Kinder." Kurt sah ihren Bewegungen mit einigem Bedenken zu. "Du bist sehr muede, wie es scheint, und wirst mit unsern Pferden gar nicht fortkommen." "So reitet Ihr voraus oder macht ein wenig langsamer." "Das geht nicht. Die Ponnys laufen nicht langsam, und zuruecklassen wollen wir Dich auch nicht. Wenn Du Dich doch auf mein Pferdchen setzen koenntest. Ich wuerde gern absteigen und es so fuehren, dass Du nicht faellst." "Wolltest Du das wirklich, mein guter Knabe?" "Ja, sonst wuerde ich es Dir doch gar nicht anbieten. Willst Du es versuchen?" "Ja, wenn Du es mir wirklich erlaubst." "So komm!" Er stieg ab und wollte ihr behilflich sein. Zu seinem Erstaunen aber schwang sie sich mit einer Gewandtheit auf das Pferdchen, die er selbst noch gar nicht besass. "Ah, ging das schnell! Das sieht ja aus, als ob Du schon sehr viel geritten seist." "Das ist auch wirklich der Fall, mein Kind." Sie nahm ihm die Zuegel aus der Hand, und es ging im raschen Schritte vorwaerts. Die Zigeunerin ergriff zuerst das Wort: "Also Ihr seid die Kinder des Herrn Generals von Helbig? Ich dachte, er haette nur eine Tochter." "Das ist auch eigentlich richtig," antwortete Magda, die jetzt ganz zutraulich geworden war. "Ich habe Kurt erst ganz kuerzlich zum Bruder erhalten." "Wie so?" "Wir waren im Seebad Fallum; da haben wir ihn kennen gelernt und ihn mit nach Helbigsdorf genommen, ihn und seine Mutter. Er hat mir das Leben gerettet und den tollen Prinzen mit sammt seinem Kahne umgefahren; darum ist er nun mein Bruder geworden." "Den tollen Prinzen, ah!" "Kennst Du ihn?" "Ja." "Du scheinst ueberhaupt recht sehr bekannt zu sein. Dass Papa eine Tochter habe, wusstest Du ja auch. Ist es wahr, dass die Zigeuner weissagen koennen und Dinge wissen, die sonst niemand weiss?" "Es gibt welche unter ihnen, denen die Gabe verliehen ist, von der Du redest." "O, dann hast Du sie wohl auch?" "Ja," antwortete die Alte einfach. "Dann bitte, weissage mir doch einmal!" "Dazu bist Du noch zu jung, mein Kind. Die Zuege Deines Gesichtes und die Linien Deiner Hand sind noch nicht genug entwickelt und ausgebildet. Spaeter werde ich Dir weissagen." "Kannst Du mir nicht wenigstens etwas sagen?" "Vielleicht," laechelte die Zigeunerin. "Wie heisst Dein Bruederchen hier?" "Kurt." "Nun gut: Kurt ist jetzt nur Dein Bruder, aber einst wird er Dein Mann sein." Magda schlug froehlich die Haende zusammen und rief: "Das ist praechtig. Ich moechte auch gar keinen Andern zum Manne haben! Aber ist es auch wahr, ist es auch wirklich sicher und gewiss?" "Es ist wahr," bestaetigte die Alte halb scherzend, halb ernsthaft. "Aber er heisst doch wohl nicht Kurt allein, sondern er muss auch noch einen andern Namen besitzen!" "Kurt Schubert." "Schubert? Was ist denn Dein eigentlicher Vater?" Magda antwortete auch jetzt an des Knaben Statt: "Ja, das ist etwas, wo Du zeigen koenntest, dass Du mehr weisst als andere Leute. Er hat seinen Vater gar niemals gesehen, und das ist eine sehr traurige Geschichte. Sein Vater war Steuermann und ist rnit seinem Schiffe in alle Welt gefahren, aber nicht wiedergekommen. Dann hat seine Mutter einen boesen Stiefvater heirathen muessen, der stets betrunken gewesen ist und jetzt nun gar im Zuchthause steckt." "Steuermann war er, und Schubert hiess er?" frug die Zigeunerin nachdenklich. "Balduin Schubert vielleicht?" "Ja, Balduin!" rief Kurt schnell. "O, Du kennst seinen Namen?" "Was weisst Du noch von ihm?" "Nichts, als dass er einen Bruder hat, der Thomas hiess und Geselle in einer Hofschmiede war. Das hat mir meine Mutter erzaehlt." "Ich werde Euch doch beweisen, dass ich mehr weiss als andere Leute. Ich werde Deiner Mutter von Deinem Vater erzaehlen, den ich kenne, und mit dem ich kuerzlich noch gesprochen habe." "Ist es moeglich? Ist es wahr?" "Ja, Dein Vater ist jetzt Obersteuermann auf dem beruehmten Kriegsschiffe "Tiger". Ich habe einen Bruder, der auf demselben Schiffe Hochbootsmann ist." "O welch ein Glueck; wie wird Mutter sich freuen. Komm, wir wollen schneller reiten!" "Die Zigeuner sind wirklich klueger als wir," meinte Magda nachdenklich. "Wie heisst Du denn eigentlich? Du musst doch auch einen Namen haben." "Ich heisse Zarba." "Zarba?" rief das Maedchen ganz erstaunt. "Papa hat uns sehr viel erzaehlt von einer Zigeunerkoenigin, welche Zarba heisst. Sie ist die Freundin des Koenigs und des Kronprinzen, den sie erst zum Kronprinzen gemacht hat. Sie ist auch die Freundin des Generals und des Kommodores von Sternburg und sogar die Verwandte der beiden jetzigen Herzoge von Raumburg. Den frueheren Herzog hat nur sie allein gestuerzt. Sie muss eine ganz ausserordentliche Macht besitzen. Bist Du etwa diese Zarba?" "Ich bin es." "Wirklich? O wie gut, dass wir Dich zu uns geladen haben, und wie schade, dass Papa nicht zu Hause ist! Aber Du sollst dennoch gerade so aufgenommen werden, als ob er da waere. Darauf kannst Du Dich verlassen!" "Ja, meine Mutter ist naemlich Wirthschafterin auf Helbigsdorf," meinte Kurt altklug, "und da kannst Du Dir denken, dass Du sehr gut empfangen wirst." Nach kurzer Zeit erreichten sie ein groesseres Dorf, an dessen Ende sich die stattlichen Gebaeude eines Herrensitzes praesentirten. Als sie zwischen den sehr gut aussehenden Haeusern dahinritten, sahen ihnen die Bewohner verwundert nach. Die Reiterin kam ihnen gar so sonderbar vor. Als sie durch das Thor kamen, empfing sie der Verwalter, um ihnen die Pferde abzunehmen. Er warf einen erstaunten missmuthigen Blick auf die Zigeunerin. "Was ist denn das fuer eine Gesellschaft? Eine Zigeunerin! Das sollte der Herr wissen!" "Warum?" frug Magda. "Weil dies keine Begleitung fuer Sie ist, gnaediges Fraeulein." Die kleine zehnjaehrige Generalstochter blitzte ihn mit zornigen Augen an. "Welche Begleitung passend fuer mich ist, muss ich selbst wissen, Herr Verwalter. Sie haben sich nur um das zu bekuemmern, was Ihres Amtes ist!" "Aber jetzt ist weder Ihr Herr Papa, noch eines der gnaedigen Fraeuleins, noch der Herr Erzieher da, und da habe ich als Verwalter die Aufsicht ueber Sie zu uebernehmen!" "Wer hat Ihnen gesagt, dass wir Beide der Aufsicht, und noch dazu der Ihrigen beduerfen? Doch nicht etwa Papa! Wenn ich ihm Ihre Worte erzaehlte, waere Ihnen ein Verweis sicher. Aber ich will Ihnen verzeihen. Sie haben die Oekonomie zu leiten, so viel ich aber weiss, gehoeren wir Beide weder zum Gesinde noch zu den Thieren. Fuehren Sie die Pferde in den Stall. Komm, Zarba!" Sie nahm die Zigeunerin bei der Hand und fuehrte sie nach dem Portale des Wohnhauses. Kurt folgte ihnen. Der Verwalter blickte ihnen erschrocken nach. "Zarba? Alle Wetter, da habe ich einen ganz gewaltigen Bock geschossen! Das also war Zarba, die beruehmte Vajdzina* aller Zigeuner von Nor- und Suederland! Wer konnte das denken? Sie verkehrt mit Fuersten und Koenigen und kommt hierher barfuss und in Lumpen. Diesen Fehler muss ich schleunigst wieder gut machen. Und das kleine Fraeulein, wie · propos das thut! In der steckt bereits ganz und gar der Alte, dem man auch nicht in die Quere kommen darf, sie kann die Reden setzen wie ein Professor. Wie gut und nobel sie das zum Vorschein brachte, dass sie so gnaedig sein und mir verzeihen wolle. Ich werde mir sicher nicht wieder beikommen lassen sie beaufsichtigen zu wollen." Waehrend dieses auf dem Herrensitze geschah, kam von der anderen Seite her ein Mann in das Dorf gegangen, welcher im Gasthofe einkehrte und sich ein Glas Bier geben liess. "Nicht wahr, dieser Ort hier heisst Helpigsdorf? frug er den Wirth. "Ja." "Und der Pesitzer des Schlosses da open ist der Herr General von Helpig?" "Ja." "Er ist nicht zu Hause?" "Nein, er ist verreist." "Aper seine drei Damen sind da?" "Auch nicht. Sie sind auf Besuch in die Nachbarschaft." "So. Wer ist denn da anzutreffen?" "Der Verwalter und die neue Wirthschafterin." "Die Wirthschafterin? Was ist denn das fuer eine Madame? Wie heisst sie?" "Ihr Name ist Hartig." "Hartig? Hin. Sie ist wohl noch nicht laengst in Helpigsdorf?" "Erst seit kurzer Zeit. Der Herr General hat sie mit ihrem Sohne aus dem Seebade mitgebracht, wo er Beide kennen gelernt hat." "Aus dem Seepade; das stimmt; ich pin also am richtigen Orte angekommen." Er bezahlte sein Bier und ging nach dem Schlosse zu. Die Sonne hatte sich gesenkt und war im Scheiden begriffen. Sie vergoldete die Giebel, Zinnen und Fenster des Schlosses und huellte den gegenueberliegenden Waldesrand bereits in halbe Schatten. Dort standen drei Maenner, welche die vor ihnen liegende Gegend musterten. "Dern Wegweiser nach muss dies Helbigsdorf sein, eine Besitzung des Generals von Helbig, wenn ich mich recht erinnere. Im Walde schlafe ich nicht, Helbig kennt mich. Wir muessen also weiter, aber es fragt sich, in welche Richtung wir uns wenden." Der Sprecher war der juengste von den Dreien. Der Zweite, ein sehr dicker Mann, meinte: ich habe auch keine Lust, im Walde zu schlafen und mir einen Rheumatismus zuzuziehen, aber ebensowenig habe ich Lust weiter zu gehen. Seit wir den Wagen verlassen haben, bin ich ermuedet zum Umfallen." "Ich auch," stimmte der Dritte bei. "diese Waldwege sind verteufelt anstrengend." "Hm," machte der erste Sprecher. "Helbig ist sehr reich und hat viele Besitzungen, warum soll er gerade hier anwesend sein? Koennte ich erfahren, dass er nicht hier ist, so wuerde ich mich entschliessen auf dem Schlosse zu bleiben; ein Gasthof ist mir zu gefaehrlich." "Das koennen wir ja gleich erfahren. Dort den Hohlweg kommt ein Brieftraeger herauf. Diese Leute wissen gewoehnlich Alles, und er hat sicher auf dem Schlosse zu thun gehabt." "Er kommt nach hier. Treten Sie zurueck, dass er Sie nicht bemerkt. Ich werde so thun, als ob ich ihn begegnete, und ihn fragen." * Fuehrerin, Koenigin. Die beiden Andern steckten sich in das Strauchwerk, er aber schritt in den Wald hinein und kehrte dann wieder um. Er richtete dies so ein, dass er gerade am Saume des Holzes auf den Briefboten stiess, der ihn hoeflich gruesste. "Guten Abend," antwortete er. "Ist dieses Schloss hier Schloss Helbigsdorf?" "Ja." "Es gehoert dem General von Helbig?" "Allerdings." "Wissen Sie nicht, ob er anwesend ist?" "Er ist nach der Residenz verreist." "Sind seine Schwestern hier?" "Eigentlich, ja. Aber sie sind auch fort, auf Besuch bis morgen." "Wissen Sie dies gewiss?" "Ich hatte an jede von ihnen einen Brief und erhielt diesen Bescheid." "Wer ist denn da zu treffen?" "Der Verwalter und die Wirthschafterin, wenn man das kleine Fraeulein nicht rechnet." "Wie alt ist dieses?" "Zehn Jahre vielleicht." "Ich danke Ihnen!" Der Brieftraeger verfolgte seinen Weg weiter, der Andere suchte seine Genossen auf. Diese drei Maenner waren die entsprungenen Zuechtlinge, deren Aeusseres sich allerdings bedeutend veraendert hatte. Sie trugen feine Touristenanzuege, und jeder von ihnen hatte eine gruene Botanisirbuechse ueber die Achsel gehaengt. "Wir sind sicher," meinte Raumburg. "Der General ist nicht anwesend und seine Schwestern ebensowenig. Die andern Personen kennen mich nicht. Ich werde mir das Vergnuegen machen, hier zu uebernachten und dann spaeter dem General zu schreiben, dass ich auf meiner Flucht seine Gastfreundschaft in Anspruch genommen habe. Er wird ausser sich gerathen vor Aerger. Kommen Sie, wir umgehen das Dorf. Wir sind Touristen, das heisst Botaniker und Geologen; da kann es nicht auffallen, wenn wir ueber die Felder kommen." "Wird man uns auch behalten?" "Versteht sich. Lassen Sie dies nur meine Sorge sein, und richten Sie sich ganz nach mir!" Auch sie schritten dem Schlosse zu, dessen Fenster nun bereits im halben Lichte lagen. Dort war die Zigeunerin von der Wirthschafterin sehr freundlich aufgenommen worden. Die beiden Kinder konnten das was sie erfahren hatten, nicht einen Augenblick verschweigen. "Wissen Sie, wen wir Ihnen gebracht haben, meine gute Frau Hartig?" frug Magda. "Nun?" "Das ist die beruehmte Zarba, von der uns Papa so viel erzaehlt hat." "Wirklich?" rief die Frau mit einem ehrerbietigen Blicke auf die Vajdzina. "Ja. Sie kann weissagen und ist allwissend. Sie hat auch mir bereits prophezeit." "So! Was denn, wenn ich es erfahren darf?" "Dass Kurt einmal mein Mann wird." "Ah!" laechelte die Wirtlischafterin. "Da wuerde ich doch Deine Schwiegermutter!" "Allerdings. Und das freut mich sehr, denn eine bessere Schwiegermutter koennte ich im ganzen Leben niemals finden. Aber nun kommt die Hauptsache fuer Sie: Zarba kennt naemlich Ihren Braeutigam und weiss auch, wo er sich befindet." "Meinen Braeutigam? Ich habe ja keinen. Wen meinst Du, mein Kind?" "Kurts Vater." "Ist es moeglich? Nein, der ist todt, sonst waere er gekommen." "Im Gegentheile, er lebt; nicht wahr, Zarba?" "Ja, er lebt, und ich habe mit ihm gesprochen." Die Wirthschafterin erbleichte im freudigen Schrecke. "Mein Gott, wenn dies wirklich wahr waere! Schnell, schnell, sprechen Sie!" "Sagen Sie mir erst alles, was Sie von ihm wissen!" "Er hiess Balduin Schubert und war Steuermann auf einem Kauffahrer, als ich ihn kennen lernte. Verwandte hatte er nicht, als nur einen Bruder, von dem er mir erzaehlte, dass er bei dem Hofschmied Brandauer in der Residenz gelernt habe und jetzt dort Geselle sei. Dann ging er in See und liess nichts wieder von sich hoeren. Oder ist er gekommen und hat mich nicht gefunden, denn ich wurde gezwungen, einen Andern zu heirathen und musste mit diesem die Heimath verlassen." "Haben Sie sich nicht einmal an seinen Bruder gewendet?" "Ich wollte ihm einmal schreiben, obgleich ich nicht wusste, ob er noch bei Brandauer sei; aber mein Mann kam dazu und las den Brief. Er behandelte mich darauf in der Weise, dass ich es nie wieder wagte, einen Brief zu verfassen. Er mochte meinen, Kurt zu verlieren, der fast ganz allein uns ernaehren musste. Also er lebt wirklich noch?" "Ja. Er ist jetzt Obersteuermann auf dem Tiger," den der Kommodore Arthur von Sternburg befehligt. Dieser ist mehr sein Freund als sein Vorgesetzter, und ich kann versichern, dass es ihm sehr gut geht." "Wo haben Sie mit ihm gesprochen?" "Droben in den Bergen, waehrend des letzten Krieges." "Wie sah er aus? War er gesund?" "O, man sah ihm keine Krankheit an." "Hat er von mir gesprochen?" "Nein, denn dazu gab es weder Zeit noch Gelegenheit." "Er hat mich sicher nicht vergessen, das weiss ich ganz gewiss. Koennte ich ihn doch einmal sehen!" "Das wird wohl geschehen, jetzt zwar nicht, aber spaeter sicher!" meinte Zarba. "Aber wer kommt denn da ueber den Hof?" Sie traten an das Fenster und sahen den Mann, welcher sich im Gasthofe so genau erkundigt hatte. Ueber die Zuege der Zigeunerin ging ein leises Laecheln. Sie musste ihn kennen. Die Wirthschafterin bemerkte es und frug: "Wer ist es?" "Sie werden es gleich von ihm selbst erfahren. Ich werde mich einstweilen verbergen." Sie trat hinter das Kamin. Kaum war dies geschehen, so ging die Thuere auf. Der Eintretende gruesste und wandte sich an die Wirthschafterin. "Entschuldigen Sie, Madame! Werden Sie pei dem Namen Hartig gerufen?" "Ja." "So sind Sie die Frau Wirthschafterin des Herrn Generals von Helpig?" "Allerdings." "So sind Sie diejenige Dame, mit der ich zu reden hape. Ich pin naemlich der Gastwirth und Schmiedemeister Schupert aus der Residenz." "Schubert? Ah! Wir haben soeben von Ihnen gesprochen. Seien Sie mir herzlich willkommen!" "Freut mich sehr, dass ich Ihnen willkommen pin! Sie hapen soepen von mir gesprochen? Da muss ich Ihnen doch pereits ein Pischen pekannt sein." "O, ich kenne Ihren Namen schon fuenfzehn Jahre lang." "Mein Pruder Palduin hat Ihnen denselben wohl gesagt?" "Ja. Aber bitte, setzen Sie sich!" "Ja, ich will Platz nehmen, denn wir werden wohl viel zu sprechen hapen." "Kann ich erfahren, wie Sie zu meiner Adresse gelangt sind?" "Ich hape sie von Herrn General von Helpig pekommen. Sie muessen naemlich wissen: Der Hofschmied Prandauer, mein frueherer Meister, gipt sein Geschaeft auf, und der Koenig Seine Majestaet will mich zum Hofschmied machen. Die peiden Gesellen, naemlich der Heinrich und der Paldrian, werden da pei mir arpeiten, opgleich ich Ihnen unsere Gastwirthin und Kartoffelhaendlerin Parpara Seidenmueller weggefischt hape, die nun meine Frau ist. Alle hohen Herrschaften, welche pei dem Meister arpeiten liessen, kommen nun zu mir, und auch der Herr General von Helpig kam gestern mit dem Kronprinzen Max. Wr hapen von Ihnen und meinem Pruder gesprochen; ich erfuhr, dass der alte Schwede einen Sohn hat, und hape mich sofort aufgemacht, um Sie und ihn aufzusuchen. Kann ich den jungen einmal zu sehen pekommen? "Hier ist er!" "Das? Dieser da? Sapperlot, ist das ein Prachtkerl! Junge, ich pin Dein Onkel und Du pist mein Neffe. Komm an mein Herz und giep mir einen tuechtigen Schmatz!" "Da ist er!" jubelte Kurt, der ganz gluecklich war, so ploetzlich einen Oheim zu bekommen. "So! junge, Du gefaellst mir ganz ausgezeichnet. Willst Du Schmied werden? Ich nehme Dich in die Lehre, und Du sollst es pei uns gut hapen!" "Das geht nicht, Onkel, denn ich soll Marineoffizier werden." "Was? Marineoffizier? Das ist verteufelt hoch hinaus. Aperich hape nichts dagegen, opgleich ich Dir sagen muss, dass es nach Offizier nichts Pesseres gipt, als ein tuechtiger Schmied zu sein. Was wird sich meine Parpara freuen, wenn sie erfaehrt, dass sie einen so schmucken Neffen hat! junge, Du musst mit mir nach der Residenz, damit sie Dich zu sehen pekommt." "Ich gehe mit, denn ich habe Ferien, weil unser Hauslehrer verreist ist; nicht wahr, Mutter?" "Ich weiss nicht, ob es der Herr General erlauben wird." "Op der? Natuerlich erlaupt er es; das versteht sich ja ganz von selper!" "Ja, Papa erlaubt es, stimmte Magda bei. Ich fahre auch mit." "Du? Wer pist denn Du, Du kleines Mamsellchen?" "Ich bin die Tochter von meinem Papa, dem General." "Vom Herrn General? Alle Wetter, da pist Du ja ein ganz vornehmes Fraeulein. Na, das wird meine Parpara pei der Ehre jucken, wenn eine Paronesse mitkommt. Macht Euch fertig, Ihr kleines Volk; wenn wir uns peeilen, kommen wir noch mit dem Nachtzuge fort!" "Nein, so schnell geht das nicht," lachte die Wirthschafterin. "Heut bleiben Sie natuerlich hier bei uns. Sie werden mir sehr viel von Ihrem Bruder zu erzaehlen haben." "Von Palduin? Da werde ich nicht viel erzaehlen koennen, denn ich hape lange Jahre selpst nicht viel von ihm erfahren." "Aber jetzt wissen Sie doch von ihm." "Allerdings. Er hat mir auch von Ihnen erzaehlt; aper dass er einen Jungen hat, das weiss er nicht. Er hat Sie sehr liep gehapt und pis heute noch nicht vergessen; aper er redet nicht gern davon. Der Kauffahrer, auf welchem er damals gewesen ist, verunglueckte in der Suedsee, und Palduin hat auf einem Wilfischfaenger Aufnahme gefunden, auf dem er drei volle Jahre gewesen ist. Er konnte also nicht zurueck, und als er wiederkehrte, hoerte er, dass Sie einen Mann genommen hatten und fortgezogen waren." "Ich wurde gezwungen." "Davon hoerte er nichts.. Er ging sofort wieder in See und ist pis vor kurzer Zeit in der Fremde gepliepen. jetzt ist er wieder fort, und zwar auf dem peruehmten "Tiger," der frueher ein Seeraeuperschiff gewesen ist und das peste Fahrzeug in allen Meeren sein soll." "Wenn kommt er wieder?" "Das weiss ich nicht, da er mir noch nicht geschriepen hat; aper wenn sein Prief kommt, werde ich es erfahren, und da wird auch der Ort genannt sein, wohin wir das Schreipen zu richten hapen, wenn wir ihn penachrichtigen wollen. Er hat versprochen, mich sofort zu pesuchen, sopald er zurueckkehrt, und dann wird er seinen Freund, den Hochpootsmann Karavey mitpringen. Rathen Sie einmal, wer das ist!" "Der Bruder von Zarba, der Zigeunerkoenigin." "Wahrhaftig, Sie wissen es! Kennen Sie denn diese verteufelte Zarpa auch?" "Ja." "Wo hapen Sie dieselpe kennen gelernt?" "Hier. Sie war einmal auf Schloss Helbigsdorf." "Ah! Was wollte sie denn hier?" "Sie wollte mir sagen, dass Ihr Bruder noch am Leben ist." "Ah! Sie ist allwissend. Was kein Mensch sonst erfaehrt, das weiss sie Alles. Wie hat sie Ihnen denn gefallen?" "Gut, sehr gut." "Mir auch. Ich hape sie zuerst fuer eine Hexe gehalten, die dem Teufel ihre Seele verschriepen hat; spaeter aber hape ich eingesehen, dass sie ein ganz ordentliches und tuechtiges Frauenzimmer ist, vor der man alle moeglichen Sorten von Respekt hapen muss. Ich pin pegierig, op ich sie noch einmal zu sehen pekommen werde. Es sollte mich freuen." "Das kann sogleich geschehen!" ertoente eine Stimme hinter dem Kamin hervor. Thomas drehte sich um und erblickte diejenige, von der er soeben gesprochen hatte. Er fuhr zurueck und schlug die Haende zusammen. "Da ist sie; wahrhaftig, da ist sie, wie sie leipt und lept! Das schlechte Weipsen hat sich versteckt, weil sie mich pelauschen wollte. Wo kommst Du denn her, Zarpa?" "Ich komme von ueberall." "So, nun weiss ich es ganz genau! Und wo willst Du hin?" "Ueberall." "Das ist noch pestimmter und eingehender gesprochen! Hast Du einen Prief von Deinem Pruder Karavey erhalten?" "Nein. Der "Tiger" ist wahrscheinlich nach Amerika hinueber. Da kann noch keine Nachricht von ihm gekommen sein." "Sein Prief kann Dich doch auch gar nicht treffen, wenn Du von Ueperall kommst und nach Ueperall gehst!" "Es ist dafuer gesorgt, dass ich Alles bekomme, was ich zu bekommen habe." "Heut pleipst Du hier?" "Ja." "Das ist gut! Da koennen wir schoen peisammen sitzen und erzaehlen, was wir auf dem Herzen hapen. Hier, Madarne Hartig, hapen Sie meinen Hut und meinen Regenschirm. Hepen Sie mir die Sachen auf; aper nehmen Sie pesonders den Regenschirm in Acht; er ist ein Erpstueck von meiner Parpara ihrer Grossmutter, und diese rothen Paraplues mit plaugelper Kante sind jetzt eine seltene Raritaet geworden." "Wir bleiben nicht hier, sondern gehen hinauf in mein Zimmer," meinte die Wirthschafterin. "Da ist es gemuethlicher als im Salon. Wir nehmen dort das Abendbrod, und spaeter weise ich Ihnen dann Ihre Zimmer an." Sie gingen nach einem Seitenfluegel des Herrenhauses, wo Frau Hartig ihre Wohnung hatte, und waren eben daran es sich bequem zu machen, als der Verwalter erschien. "Frau Hartig, kommen Sie schnell herueber!" "Weshalb?" Es ist Besuch hier. "Fuer mich?" "Nein, fuer den Herrn General. Drei vornehme Herren, weiche sich auf der Reise befinden und mit Seiner Excellenz sprechen wollten." "Sapperlot!" fluchte Thomas Schubert. "Nun verlieren wir unsere Frau Hartig, denn nun wird sie um diese vornehmen Leute herumzuspringen hapen!" "Sorgen Sie sich nicht. Sie sind mir lieber als alle vornehmen Herren, welche kommen, um den Herrn General zu besuchen. Ich werde moeglichst kurz mit ihnen sein. Im Nothfalle kann ich sie ja dem Herrn Verwalter uebergeben. Nicht?" "Ja wohl," antwortete dieser, der froh war eine Gelegenheit zu finden, welche ihm gestattete seinen Fehler wieder gut zu machen. "Ich werde Ihnen gern behilflich sein, so dass Sie sich ausschliesslich Ihren Freunden widmen koennen." Er fuehrte die Wirthschafterin in das Empfangszimmer, wo Raumburg mit seinen zwei Gefaehrten auf sie warteten. "Ihre Dienerin, meine Herren! Wer gibt mir die Ehre -?" Raumburg ergriff das Wort: "Mein Name ist von Hellmann; ich bin Oberstlieutenant bei den Husaren und ein Freund des Generals von Helbig. Diese beiden Herren sind Verwandte von mir - hier der Herr Praesident und hier der Herr Kanzleirath von Hellmann. Wir sind auf einem Ausfluge begriffen, kamen in diese Gegend und beschlossen, unsern Freund zu besuchen. Leider ist er nicht anwesend, wie wir hoeren?" "Er befindet sich in der Residenz." "Aber die drei gnaedigen Fraeulein Schwestern?" "Sind zu Besuch in die Nachbarschaft." Die Wirthschafterin antwortete so kurz, weil diese drei Herren etwas an sich zu haben schienen, was ihr nicht gefiel. Was es eigentlich war, das konnte sie sich nicht sagen; aber sie fuehlte, dass sie kein Vertrauen zu diesen Maennern haben koennte. "Das ist wirklich unangenehm," fuhr Raumburg fort. "Wollen Sie uns nicht wenigstens den Herrschaften bei deren Rueckkehr empfehlen?" "Gewiss! Es wird ihnen sicher sehr leid thun, dass es ihnen nicht vergoennt war Sie zu empfangen." "So erlauben Sie uns, bevor wir gehen, eine Erkundigung. Es ist bereits spaet, und wir sind zu ermuedet, als dass wir unsere Fusstour noch sehr weit fortsetzen moechten. Gibt es hier im Dorfe einen Gasthof, in welchem man findet, was man zu beanspruchen gewoehnt ist?" Jetzt sah sich die Wirthschafterin doch von derjenigen Seite angegriffen, auf welcher sie aus Hoeflichkeit an ihre Verpflichtung denken musste. "Einen Gasthof gibt es allerdings hier, doch werden Ihnen dort die gewohnten Bequemlichkeiten nicht geboten. Es ist jedoch meine Pflicht, Sie an Stelle des Herrn Generals darauf aufmerksam zu machen, dass Ihnen unsere Zimmer ja gern zur Verfuegung stehen. Ich sprach dies nur noch nicht aus, weil ich glaubte, dass Sie Ihre Wagen in der Naehe und sich ein weiteres Ziel vorgesteckt haetten. Darf ich annehmen, dass Sie meine Bitte nicht zurueckweisen?" "Falls wir Ihnen keine Unruhe verursachen." "Nicht im mindesten!" "Wohl, so nehmen wir an. Aber ich bemerke Ihnen, dass wir heut keinerlei Ansprueche machen. Wir reisen so zu sagen inkognito; verstehen Sie wohl. Ein kleines Abendbrod und ein einfaches Bette zum Ausruhen, das ist Alles, um was wir Sie ersuchen." "Ich werde Ihren Anordnungen gern nachkommen. Wuenschen die Herren noch in Gesellschaft zu bleiben, oder soll ich Ihnen Ihre Zimmer sogleich anweisen?" "Wir bleiben noch." "So erlauben Sie, Ihnen den Herrn Verwalter zu empfehlen. Es wird ihm eine Ehre sein, Ihnen zu Diensten stehen zu duerfen." Sie ertheilte in der Kueche ihre Befehle und kehrte dann zu Thomas und Zarba zurueck. Die beiden Kinder waren in den Garten gegangen. jetzt kehrten sie wieder, und Magda meinte altklug: "Frau Hartig, ich habe unsern Besuch gesehen." "Wo denn?" "Im Garten, wo der Verwalter sie herumfuehrt. Der Eine ist mir bekannt, doch komme ich nicht sogleich auf seinen Namen. Ich muss ihn bei Papa gesehen haben. Er ist ein Offizier." "Das stimmt auch. Ich will Dir den Namen sagen: Es ist der Oberstlieutenant von Hellmann, mein Kind. Die andern Herren sind Verwandte von ihm." "Von Hellmann? Nein. Dieser Herr muss anders heissen. Den Herrn Oberstlieutenant von Hellmann kenne ich sehr genau. Er ist ein kleiner hagerer Herr mit einem sehr gewaltigen Barte im ganzen Gesichte. Nein. Es kommt mir vor, als ob der Herr im Garten etwas viel Hoeheres gewesen sei, nicht blos Oberstlieutenant. Er muss General oder so etwas sein." "Du irrst Dich, mein Kind. Siehe ihn Dir noch einmal genau an. Da kommen sie eben ueber den Hof." "Ich sehe es ja, es ist der Oberstlieutenant von Hellmann nicht!" Auch Thomas war aufgestanden und an das Fenster getreten. Er fuhr erschrocken einige Schritte zurueck. "Alle Teufel! Nein, das ist der Hellmann nicht. Das ist hm, es ist doch wahrhaftig gar kein Irrthum moeglich!" "Wer ist es denn?" frug die Wirthschafterin. "Hm, und drei sind es auch; das stimmt!" "So sagen Sie aber doch, wer es ist!" bat sie. Sie war bei dem Tone, welchen Thomas hatte, wirklich aengstlich geworden. "Zarpa!" rief dieser. "Komme einmal herueper an das Fenster und siehe Dir den grauen Kerl an, der soepen in den Stall guckt!" Sie folgte seiner Aufforderung. "Raumburg!" meinte sie ueberrascht. "Ja, Prinz Raumpurg, den ich damals mit gefangen hape!" "Mein Gott, ist das moeglich!" rief die erschrockene Wirthschafterin. "Er soll aus dem Gefaengnisse entsprungen sein." "Das ist er auch, meine liepe Frau Hartig, und diese peiden andern Vagapunden mit ihm. Sie werden verfolgt und koennen nicht gut in einem Gasthofe pleipen; darum sind sie zu Ihnen gekommen." "Was thun wir?" "Natuerlich unsere Pflicht. Wir fangen sie." "Aber wie? Sie sind ja hoechst gefaehrlich und werden sich zur Wehre stellen." Thomas warf ihr einen sehr ueberlegenen Blick zu. "Hapen Sie keine Angst. Der Thomas Schupert wird mit solchen Hallunken ganz alleine fertig!" "Sie gegen Drei!" "Noethigenfalls. Aper eine solche Anstrengung ist ja gar nicht einmal nothwendig. Hapen Sie den Schlingels schon ihre Zimmer und Schlafstupen angewiesen?" "Noch nicht. Das werde ich erst dann thun, wenn sie gegessen haben." "Gut. Dann suchen Sie es so einzurichten, dass sie sich nicht zu Hilfe kommen koennen." "Ich werde weit auseinander liegende Zimmer waehlen." "Ja. Und wenn sie dort sind, dann spiele ich den Hausknecht oder den Zimmerkellner und nehme sie pei dieser Gelegenheit gefangen." Magda war bei dem Gehoerten natuerlich sehr erschrocken und hatte sich aengstlich in die Ecke des Sophas geschmiegt. Kurt aber hatte aufmerksam zugehoert und schlich sich jetzt zur Thuere hinaus nach seinem Stuebchen. Dort hatte er seine beiden Pistolen, welche er beim Schiessunterrichte zu gebrauchen pflegte. Er lud sie und steckte sie zu sich. Dann ging er in den Hof hinunter. Auf der Treppe begegnete ihm der Verwalter mit den beiden einstigen Irrenaerzten. Raumburg war zurueckgeblieben, um den Pferdestall einer Besichtigung zu unterwerfen. Kurt trat zu ihm. "Wie gefallen Ihnen unsere Ponnys?" frug er treuherzig. "Sie sind ausgezeichnet, mein Knabe," antwortete Raumburg. "Und der Rapphengst da?" "Ein sehr edles Pferd. Ich kenne es. Der Herr General pflegt es zu reiten, wenn es gilt, ungewoehnliche Anstrengungen auszuhalten." "Ja, es wird auch hoechst aufmerksam gepflegt. Sind Sie auch ein Freund von guten Hunden, Herr Oberstlieutenant?" "Natuerlich!" "Hat Ihnen der Verwalter unsern Hundezwinger gezeigt?" "Nein." "Bitte, den muessen Sie sehen. Wollen Sie mitkommen?" "Gern." Kurt fuehrte ihn zu einer Thuer, hinter welcher bei ihrer Annaeherung ein freudiges Gewinsel zu hoeren war. "Nur still da drin. Ich komme!" Er oeffnete und war augenblicklich von einer Menge von Thieren umringt und umsprungen, von denen jedes einzelne ein Muster seiner Rasse war. Der Prinz von Raumburg fuehlte sein Interesse steigen und trat tiefer in den Stall. "Bitte, nicht zu weit hinter, Herr Oberstlieutenant. Das ist gefaehrlich! Da hinten liegt einer, der ist schlimmer als ein Tiger." "Ah, ein Wolfshund!" "Das waere weiter nichts; aber ein sibirischer. Wollen Sie ihn genau sehen?" "Wenn es ohne Gefahr moeglich ist." "So treten Sie an die Seite." Kurt ging nach dem hintersten Winkel. "Wjuga, steh auf!" Auf diesen Ruf erhob sich langsam ein maechtiges weisszottlges Geschoepf, welches einem Eisbaeren bei weitem aehnlicher sah als einem Hunde. Kurt kettete ihn los und fuehrte ihn bis vor an die Thuer. Raumburg stand im Innem des Stalles. "Sehen Sie, Herr Oberstlieutenant, diese Faenge! Ein Kampf mit ihm ist unmoeglich. Ich brauche gar nichts zu sagen, sondern nur mit der Zunge zu schnalzen und mit dem Finger auf Sie zu zeigen, so liegen Sie an der Erde. Wollen Sie dann wenigstens Ihr Leben retten, so duerfen Sie sich nicht im mindesten bewegen und nur ganz leise sprechen. Das erste ueberlaute Wort wuerde Ihnen das Leben kosten; er wuerde Sie zerfleischen." "Das traue ich ihm allerdings zu." "Nicht wahr! Ich werde es Ihnen zeigen. Passen Sie auf, jetzt schnalze ich mit der Zunge. Sehen Sie, da steht er schon vor Ihnen, weil Sie der Einzige sind, auf den sich dieses Zeichen beziehen kann. Erhebe ich den Finger, so liegen Sie augenblicklich an der Erde. Soll ich?" "Das wollte ich mir allerdings verbitten," antwortete Raumburg. Das Gebahren des Knaben kam ihm nicht ganz geheuer vor. "Und dennoch werde ich es thun, sobald Sie von jetzt an lauter sprechen als ich es wuensche!" Raumburg sah ihn mehr erschrocken als ueberrascht an. "Warum? Ich befehle die Unterbrechung dieses gefaehrfichen Scherzes!" "Es ist kein Scherz, sondern es ist mein Ernst. Ich gebe Ihnen nochmals meine Versicherung, dass Sie beim ersten ueberlauten Worte niedergerissen werden." "Aber warum?" "Weil ich Sie dahin senden werde, wohin Sie gehoeren." "Ah! Wohin?" "Zurueck in das Zuchthaus, Herr von Raumburg." "Alle Teu - -!" Das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. Sein Ton war ein zorniger gewesen, und sofort fletschte der Eishund die fuerchterlichen Zaehne und machte Miene sich auf ihn zu stuerzen. "Sehen Sie, mein Herr, dass Wjuga nicht mit sich spassen laesst? Sie sind unser Gefangener. Ich werde jetzt die Thuere verschliessen und Sie unter der Obhut meiner Hunde lassen. Da sind Sie sicher. Wenn ich zurueckkomme, so stehen Sie entweder noch genau so wie jetzt, oder Ihr Koerper liegt in Stuecken hier am Boden." "Mensch - junge - Kerl, Du bist verrueckt; Du bist wahnsinnig!" Kurt antwortete gar nicht. Er trat aus dem Zwinger und warf die Thuere zu. Er ging nach dem Empfangszimmer, wo er die beiden andern Entsprungenen mit dem Verwalter fand. "Meine Herren, Mutter laesst Sie ersuchen, doch einmal zu ihr zu kommen." "Wer ist das?" "Die Frau Wirthschafterin," antwortete der Verwalter. "Schoen, mein Knabe. Fuehre uns zu ihr." "Kommen Sie. Der Herr Verwalter wird auch folgen." Er ging voran nach dem Zimmer seiner Mutter und liess, dort vor der Thuer angekommen, die Beiden zuerst eintreten. Der Verwalter folgte ihnen, und dann zog Kurt die Thuer hinter sich zu. Die Ueberraschung der zwei Maenner war unbeschreiblich. Sie erkannten Zarba und wollten sich umwenden. Da aber stand Kurt mit einer gespannten Pistole in jeder Hand. Er blitzte sie mit seinen schwarzen Augen an und meinte: "Meine Herren, wenn Sie nur ein Glied bewegen, so erschiesse ich Sie! Onkel, binde sie." Der dicke Krankenschreiber schwitzte ploetzlich vor ungeheurem Schrecke. "Aber, meine Herren und Damen, was wollen Sie? Sie irren sich!" "Nein," sprach Zarba. "Wir irren uns nicht. Ihr seid die entsprungenen Tiger, welche man jetzt im ganzen Lande verfolgt. Ich habe in Eurer Hoehle gesteckt, wo Ihr mich wahnsinnig machen wolltet, und kenne Euch genau. Versucht keinen Widerstand, denn er ist umsonst!" "Aber ich versichere, dass Sie uns wirklich verkennen. Unser Cousin, der Herr Oberstlieutenant, wird dies bestaetigen." "Ihr Cousin, der Herr von Raumburg, braucht nichts zu bestaetigen," lachte Kurt. "Wir sind auch ohne ihn unserer Sache gewiss. Uebrigens ist er bereits mein Gefangener." "Was!" rief Thomas. "Wo denn?" "Im Hundezwinger." "Er kann doch nicht fliehen?" "Das ist unmoeglich. Der Eishund wuerde ihn in Stuecke reissen." "Gut. Also her mit den Haenden, meine liepen Spitzpupen! Werde Euch so pinden, dass Ihr mit mir zufrieden sein koennt." Sie sahen, dass ein Widerstand unmoeglich war. Zwar wollten sie noch allerhand Einsprueche und Vorstellungen versuchen, doch da es ihnen nichts half, sahen sie sich endlich gezwungen, sich in ihr Schicksal zu ergeben. Kurz vor dem Antritte ihrer Flucht hatten beide versichert, dass sie lieber sterben als sich fangen lassen moechten und ihr Leben theuer verkaufen wuerden. Es kam weder zum Sterben noch zu einer Vertheidigung. Die beiden Aerzte wurden gefesselt und in sicheren Gewahrsam gebracht. Dann begab man sich nach dem Hundezwinger. Als dieser geoeffnet wurde, stand Raumburg noch gerade so, wie er vorhin gestanden hatte. Er musste eine fuerchterliche Angst ausgestanden haben, erbleichte aber noch tiefer, als er Thomas und Zarba erblickte. "Ah, guten Tag, Herr General!" gruesste der erstere. "Wir pegegnen uns da auf einer Sommerpromenade. Wie pekommt Ihnen die frische Luft?" Raumburg knirschte mit den Zaehnen, antwortete aber kein Wort. Auch Zarba sprach nicht. Sie begnuegte sich damit, den Vorgang einfach zu beobachten. "Er erkennt uns und redet nicht, weil er einsieht, dass aller Widerstand vergeplich ist. Hm, ein Prinz und General laesst sich von einem vierzehnjaehrigen Jungen fangen! Kurt, laesst mich der Hund hinan?" "Ja. Binde den Mann." Raumburg wurde gefesselt und zu den zwei Andern gebracht, die man in ein sicheres Gewoelbe eingeschlossen und so angebunden hatte, dass eine Flucht ganz unmoeglich war. Als sie sich allein befanden, nahm nach einer langen lautlosen Weile der Arbeitsschreiber das Wort. "Was nun!" "Entsetzlich!" keuchte der Krankenschreiber. "Wer haette dies gedacht!" "Dass Ihr Beide so feige Toelpel waeret? ja, das haette ich nicht gedacht!" "Feig? In wie fern?" "Lasst Euch aus frischer freier Hand wegfangen, und habt die Revolver bei Euch!" "Haben Sie es besser gemacht?" "Konnte ich mich vertheidigen? Dieser junge, den der Teufel holen mag, lockte mich in den Hundezwinger, wo ich bei der geringsten Bewegung zerrissen worden waere!" "Konnten wir uns vertheidigen? Uns lockte er in ein stark besetztes Zimmer, wo er uns bei der geringsten Bewegung erschossen haette. Also, was nun?" "Was nun? Albernheit! Eingeliefert werden wir wieder. Pruegel bekommen wir und Fusseisen oder Kloetze an die Beine; Kostentziehung und strengen Arrest. Herrgott, ich wollte, die ganze Menschheit haette nur einen einzigen Kopf, und ich koennte ihn herunterhauen!" "Wuerde Ihnen auch nichts nutzen! Wollen lieber unsere Lage ueberlegen, ob nicht doch vielleicht die Flucht noch moeglich ist." "Toelpel!" meinte Raumburg veraechtlich. "Diese Zarba, welche Ihr besser kennt als ich, wird schon dafuer sorgen, dass wir fest sitzen. Wir kommen in das Zuchthaus zurueck, daran gibt es gar keinen Zweifel, und so wie wir es dort jetzt hatten, bekommen wir es niemals wieder." "Ich toedte mich!" meinte der Krankenschreiber. "Ich auch!" stimmte sein Gefaehrte bei. "Ich nicht!" knirschte Raumburg. "Ich bleibe leben, um mich zu raechen." "Aber wenn! Fuer uns gibt es keine Hoffnung, dass wir jemals entlassen werden." "Nein; aber Hoffnung gibt es, dass man doch einmal fliehen kann. Und dann, das schwoere ich bei allen Teufeln, wird man mich nicht wieder ergreifen!" "Hm, aber lange werden wir aushalten muessen, ehe sich uns eine Gelegenheit bieten wird. Man wird uns trennen; eine Verstaendigung ist also unmoeglich." "Pah! Wir sind doch jetzt noch beisammen. Wir kennen alle Raeume und die ganze Einrichtung des Zuchthauses. Wir koennen uns ja jetzt verstaendigen." "Recht so! Benuetzen wir diese letzte Gelegenheit, um einen Plan zur Flucht bis in das Eingehendste zu entwerfen!" Waehrend sie diese Berathung pflogen, hatte droben im Salon Thomas Schubert seinen Neffen beim Kopfe. "Kerl, ich kuesse Dir die Packen herunter. Ist erst vierzehn Jahre alt und faengt drei entsprungene Zuechtlinge auf eigene Rechnung. - Wie wird meine Parpara den Mund vor lauter Erstaunen aufsperren, wenn ich ihr das erzaehle. Aper nun sagt einmal, wem uepergepen wir unsere Gefangenen?" "Dem naechsten Militaerkommando entweder, oder wir telegraphiren an die Anstaltsdirektion, die sie abholen lassen wird." "Das letztere ist das Peste. Aper nicht plos an die Direktion hapen wir zu telegraphiren, sondern noch an andere Leute." "An wen?" "Zuerst an den Koenig und dann noch an den Kronprinzen Max. Diese Peiden hapen das groesseste Interesse daran, dass Raumpurg jetzt sicher sitzt." "Und an Papa," meinte Magda. "Natuerlich. Und wer pesorgt die Depeschen? In der Schreiperei und mit der Feder pin ich nicht ganz so pewandert wie mit dem Hammer und der Zange." "Der Herr Verwalter wird sie abfassen und auch zur Station bringen." "Gut. Und pis die Gefangenen apgeholt werden, muss vor der Thuer zum Gewoelpe und auch vor dem Fenster desselpen Tag und Nacht ein Posten stehen!" "Den ersten mache ich!" rief Kurt und verliess den Salon. Nach einiger Zeit kam Magda herunter und sah ihn vor der Thuer des Gewoelbes hin und her patroulliren. "Siehst Du jetzt, Magda, dass sie doch gekommen sind und ich sie gefangen habe!" "Ja, Du hast noch niemals Angst oder Furcht gehabt und wirst einst ein grosser Held werden." "Und Du meine Frau, meine Heldin!" "Natuerlich. Und weil eine Frau ihrem Mann Alles belohnen muss, so darf ich Dir jetzt fuer Deine Tapferkeit einen Kuss geben. Nicht wahr?" "Ja. Komm schnell!" D e r S c h a t z d e r B e g u m . Es war vor langen langen Jahren, und zwar im Wunderlande von Indien. Ein von vierzehn Kulis gerudertes Boot fuhr den Ganges hinauf, dessen Wasser bei den Indiern so heilig gilt, dass sie es weithin versenden und sogar den Glauben hegen, dass Derjenige, welcher in den Fluthen des beruehmten Stromes den Tod sucht oder sich von den darin befindlichen Krokodilen auffressen laesst, sofort von Brahma in den herrlichsten seiner Himmel aufgenommen wird. Das Boot war mit zwei Mattensegeln und einem Zelte versehen, unter welchem ein Mann lag, der hier Schutz vor den gluehenden Strahlen der Sonne suchte. Er hatte seine lange hagere Gestalt auf einem rothseidenen Divan ausgestreckt und sog den Duft eines koestlichen Tabakes aus einer persischen Hukah,* welche mit praechtigen Edelsteinen ausgelegt war. In der Linken hielt er die neueste aus London nach Indien gekommene Nummer der Times, welche bereits seit einer vollen Stunde seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. Jetzt legte er sie von sich. "Raadi!" "Sihdi!" ertoente eine sanfte Stimme von aussen. Der Musquitovorhang, welcher den Eingang des Zeltes verhuellte, wurde bei Seite geschoben, und der Kopf eines indischen Dieners erschien. "Was befiehlst Du?" "Frage den Steuermann, wie lange es noch dauert, bis wir nach Augh kommen!" Der Kopf verschwand und kehrte nach wenigen Augenblicken wieder. "In einer Stunde werden wir die Stadt des Rajah erreichen." "Dann wecke mich!" Er schob sich ein Kissen unter den Kopf und plazirte den letzteren so, dass seine duennen Bartkoteletten unmoeglich in Unordnung gerathen konnten. Noch waren nicht zwei Minuten vergangen, so schlief er fest, wie die schnarchenden Toene bezeugten, welche er hoeren liess. Genau zu der angegebenen Zeit erschien der Diener wieder. "Sihdi!" Ein leises Klatschen seiner hellbraunen Haende begleitete diesen halblauten Ruf. Der Englaender erwachte. "Die Stadt ist da.Willst Du Dich erheben, Sahib?" "Yes!" Der Diener kam vollends in das Zelt und war seinem Herrn behilflich, sich von dem Divan zu erheben. "Befiehlst Du Deine Waffen?" "Yes!" Raadi brachte einen krummen Saebel, einen malayischen Kais und zwei kostbar ausgelegte Pistolen herbei, band dem Gebieter einen persischen Shawl um die Hueften und befestigte die Waffen an und in demselben. Nun trat der Englaender aus dem Zelte. Der heilige Strom erglaenzte im Lichte der strahlenden Sonne wie feuerfluessiges Silber. Zahlreiche Boote durchkreuzten seine Fluthen und dazwischen bewegten sich die schwimmenden Fischer, nach indischer Sitte auf zwei mit einander verbundenen irdenen Toepfen liegend, waehrend sie mit den Haenden das Netz regieren. Am Landeplatze hielt ein Zug von englischen und eingeborenen Offizieren, vor welchen ein Sipoy ein koestlich aufgeschirrtes Pferd hielt, welches fuer einen Fuersten bestimmt zu sein schien. Der Englaender verliess, waehrend zwei Kulis einen breiten Sonnenschirm ueber ihn hielten, das Boot. Kaum beruehrte sein Fuss den festen Boden, so ertoenten von der Stadt her Flintensalven und Kanonenschuesse, und saemmtliche anwesende Indier beugten sich demuethig zur Erde. Auch die englischen Offiziere begruessten ihn in einer Weise, welche vermuthen liess, dass er sie an Rang bedeutend ueberrage. Dieser Mann war General Lord Haftley, der gegenwaertige Bevollmaechtigte der englisch-ostindischen Regierung. Er kam nach Augh, um mit dem Fuersten dieses Landes zu verhandeln, und hatte seine Equipage nebst den Offizieren, welche ihn jetzt empfingen, voraus gesandt, um ihm seine Wohnung zu bereiten. Ein reich bewaffneter Indier trat auf ihn zu. "Sahib, mein Herr, der Rajah Madpur Sing, dem Alles gehoert, was dieses Land bedeckt, hat mir befohlen, Dich willkommen zu heissen." "Yes!" Er begruesste mit einer leichten Handbewegung die ihn erwartenden Offiziere und liess sich von den Kulis auf das Pferd heben. Der Indier hielt sich an seine Seite. Die Augenbrauen des Lords hatten sich zusammengezogen. Er schien nicht sehr guter Laune zu sein. "Rittmeister Mericourt!" Auf diesen Ruf draengte einer der ihm folgenden Offiziere sein Pferd an die rechte Seite des Generals, da der Indier auf der Linken ritt. "General!" "Sie sind ein Franzose!" "Zu dienen." "Die Franzosen sind das hoeflichste Volk der Erde." "Wie man sagt." "Sie wissen also, was hoeflich ist?" "Ich denke es zu wissen." "Ist dieser Empfang von Seiten des Rajah hoeflich?" "Es scheint mir nicht so!" "Yes!" "Er schickt seinen Hausmeister und eine handvoll Soldaten, um den Vertreter und Gesandten des allmaechtigen Albion zu empfangen. Das ist Alles." "Yes!" "Wo bleibt das Aufsehen, der grossartige Pomp, den diese Rajahs bei andern Gelegenheiten entwickeln? Wo bleibt die Schaar der Reitelephanten, der Leoparden- und Tigerkaefige und tausend andere Dinge, mit denen die indischen Fuersten zu prahlen pflegen? Der Empfang entspricht nicht der Wuerde dessen, der empfangen wird." "Yes!" "Man muss diesen Leuten zeigen wer wir sind. Man moechte sich wundern, dass man die Guete gehabt hat, uns in dem Palaste des Radjah einzuquartiren." "Yes!" Der Indier hatte bisher seinen Blick kaum von dem Kopfe seines Pferdes erhoben. Er verstand jedenfalls kein Wort von ihrer Unterhaltung, wie die Beiden annahmen. "Sie werden, Excellenz, waehrend den Verhandlungen dieselbe Hoeflichkeit zeigen muessen, die man Ihnen jetzt entgegenbringt." "Yes!" Und streng auf die Erfuellung unserer Forderungen dringen, General." "Yes!" Das hinterste Paar des kleinen Zuges bildeten zwei Lieutenants. Der Eine war auf alle Faelle ein Englaender; der Andere schien von suedlicherer Abstammung zu sein. Er mochte ungefaehr zweiundzwanzig Jahre zaehlen und zeigte neben der Gestalt eines Adonis das offene, Vertrauen erweckende Gesicht eines Kindes. "Der Alte macht ein sehr schlechtes Gesicht," meinte der Erstere. "Der einfache Empfang wird ihm nicht gefallen, und dieser Mericourt, von dem er sich so auffaellig bevormunden und beeinflussen laesst, thut das Seine, um Oel in die Flamme zu giessen." "Du liebst den Rittmeister nicht, obgleich Ihr Landsleute seid." "Pah! Er ist ein Pariser, und ich bin ein Korse; wir gehen einander nichts an." "Noch mehr, Ihr hasst einander." "Meinetwegen!" "Der Rittmeister kann Dir schaden." "Pah! Er ist ein Feigling, der seinen Rang nur seiner Schlauheit, nicht aber seiner Tapferkeit verdankt. Er war frueher vielleicht Gamin, Flaneur oder Kommis voyageur und ist nach Indien gegangen, weil er es daheim zu nichts bringen konnte. Ich sage Dir, Harry, dass ich ihn noch einmal vor den Degen bekommen und dann sicherlich nicht schonen werde!" "Er muss Dich wirklich ganz ausserordentlich beleidigt haben!" "Allerdings." "Darf man das Naehere erfahren?" "Gern. Du weisst, dass ich in Kalkutta sehr viel im Hause des Majors Wilson verkehrte. Die Majorin sah mich gern bei sich, weil unsere Unterhaltung ihr Gelegenheit gab, sich im Franzoesischen zu vervollkommnen. Sie ist eine Schoenheit, aber wie ich bestaetigen * Wasserpfeife. muss, eine Dame von der strengsten reinsten Moralitaet, und es ist zwischen uns nie ein Wort gefallen, welches ihr Gemahl nicht haette hoeren duerfen; das darfst Du mir glauben." "Ich glaube es, denn ich kenne Dich," bestaetigte Harry im Tone der Ueberzeugung. "Auch der Rittmeister kam. Er fand die Majorin schoen, reizend, entzueckend und suchte sich ihr zu naehern. Sie behandelte ihn kalt, zurueckhaltend. Er wurde eifersuechtig auf mich und handelte, wie ein Mann von seinem Charakter zu handeln pflegt." "Mit Hinterlist?" "Ja. Eines Tages fragte mich der Major nach der Ursache meines intimen Verkehres mit seiner Gemahlin. Ich war erstaunt. Es kam zum Wortwechsel, und er forderte mich. Mir war es nicht um den Hieb, welchen ich empfangen konnte, mir war es nur um die Ehre seines braven unschuldigen Weibes. Ich suchte ihn also zu beruhigen und von ihrer Unschuld zu ueberzeugen; es half nichts; ich musste mich mit ihm schlagen. Er stach mir ein Loch in den Rockaermel, und ich zeichnete ihm einen Cirkumflex in das Gesicht. Dann vermied ich sein Haus. Auch der Rittmeister durfte sich dort nicht mehr sehen lassen. Das ist die Kugel, welche er sich gegossen hat; es wird die Zeit kommen, in welcher ich sie ihm vorschiessen werde, und dann soll es ihm schwer werden sie zu verdauen." Dann lass nur mich mit dabei sein; auch ich goenne ihm alles Gute. Doch, hier sind wir am Palais des Rajah, und noch immer will sich kein Wuerdentraeger sehen lassen!" Der Andere laechelte fein. "Der hoechste Wuerdentraeger hat sich bereits sehen lassen." "Du meinst den Haushofmeister?" "Ja, oder vielmehr den Rajah selbst." "Ah, Du willst doch nicht etwa sagen, dass -" "Natuerlich! Ich will sagen, dass dieser Indier, welcher so still neben dem General reitet, kein Anderer ist als Madpur Sing selbst. Er ist ein Anderer als sein Vater war. Dieser hat sein Land durch seine Prunksucht beinahe aufgezehrt. Madpur Sing aber sucht es durch weise Sparsamkeit und Einfachheit wieder empor zu bringen. Wir finden keinen pompoesen Empfang, weil er ein guter Fuerst ist, nicht weil er uns nicht achtete. Die Ehre, dass er uns in eigener Person empfaengt, ist groesser als alles Andere." "So kennst Du ihn?" "Ich habe mit ihm in Kalkutta gesprochen." "Ah, und dies erfahre ich erst jetzt?" "Muss man mit seinen Bekanntschaften prahlen?" "Er war in Kalkutta! So spricht er wohl auch etwas Englisch?" "Er versteht und spricht es vollkommen." "O weh! Er hoert ja jedes Wort, welches der General mit dem Rittmeister spricht." "Mir sehr gleichgiltig. Sie moegen die Augen auf- und den Mund zumachen, dann kommen sie nicht in solche Verlegenheiten!" Der kleine Zug hielt vor dem Portale des Schlosses. Die Wachen, welche hier standen, warfen sich zur Erde nieder. Der General laechelte veraechtlich; er glaubte, diese Ehrenbezeugung gelte ihm. "Erlaube, dass ich Dich in das Zimmer des Rajah bringe," meinte der Indier in der Sprache seines Landes. "Mich und mein Gefolge." "Er wuenscht Dich allein bei sich zu sehen." "Ich bin kein Paria, der allein gehen muss. Warum empfaengt mich Dein Herr wie einen Teppichhaendler?" "Und wenn die Koenigin Deines Landes, wenn alle Koenige der Erde kaemen, er wuerde sie nicht anders empfangen. Er ist in Euren Laendern gewesen und hat sich gar nicht empfangen lassen. Komme allein zu ihm!" "Ich komme mit meinem Gefolge oder gar nicht. Melde es ihm!" "Er hat diesen Wunsch nur um Deinetwillen ausgesprochen. Doch, da Dein Wille nicht anders ist, so komm!" Er fuehrte den General und seine Begleiter durch mehrere prachtvolle Hoefe nach einer breiten Granittreppe, die zu einer Saeulenhalle von jener Architektonik fuehrte, wie sie vor zwei Jahrtausenden in Indien zu finden war. Die zahlreichen Personen, denen sie begegneten, warfen sich alle schweigsam zu Boden und blieben liegen, bis sie vorueber waren. "Hat ihnen Dein Gebieter befohlen, sich vor uns auf die Erde zu legen?" "Das wuerde er ihnen nie befehlen. Sie fallen nieder aus Ehrfurcht nur fuer ihn." Der Englaender schien nicht begreifen zu koennen, dass diese Ehrenerweisung auch in der Abwesenheit des Fuersten vorgenommen werde. Er laechelte abermals veraechtlich. Die Saeulenhalle war mit kostbaren Teppichen belegt. In ihrem Hintergrunde stand ein ganz aus Elfenbein gefertigter Thron, welcher einen liegenden Elephanten vorstellte. Zu beiden Seiten desselben standen vier Sklaven, welche aus Pfauenfedern gefertigte und mit kostbaren Perlen besetzte Wedel trugen, um dem Fuersten Kuehlung zuzufaecheln. "Wie wuenscht Dein Gebieter, dass wir uns stellen?" "Stellt Euch, wie Ihr wollt, und thut ganz nach den Sitten Eures Landes!" "Sage ihm, dass wir nicht vor ihm niederfallen werden, wie seine Sklaven." "Das fordert er auch gar nicht von Euch. Wie wollt Ihr mit ihm reden, in seiner oder in Eurer Sprache?" "Spricht er denn Englisch?" "Er spricht Englisch und auch Franzoesisch." "So wird er aus Hoeflichkeit gegen seine Gaeste Englisch mit uns sprechen." Ebenso koenntet Ihr aus Hoeflichkeit gegen ihn in seiner Sprache mit ihm reden. Doch wird er sich freuen, hoeflicher sein zu duerfen als Ihr. Ihr koennt beginnen!" "Wie? Beginnen? Er ist ja noch nicht da!" "Er ist laengst schon da und wird seinen Platz jetzt einnehmen." Der Sprecher bestieg den Thron und liess sich auf demselben nieder. Die Englaender waren einigermassen ueberrascht oder sogar verbluefft darueber, und nur Lieutenant Alphons sah, dass die Reihe zu laecheln jetzt an ihn gekommen sei. Der General sowohl als auch der Rittmeister erkannten jetzt, weshalb der Rajah den ersteren allein hatte empfangen wollen. Er hatte jedes ihrer Worte verstanden und sie vor den Ihrigen schonen wollen. Die gegenwaertige Audienz war nur der allgemeinen Begruessung gewidmet und nahm nicht lange Zeit in Anspruch. Die eigentlichen Verhandlungen sollten spaeter gepflogen werden. Schon erhob sich der General von dem Divan, auf welchem er gesessen hatte, um anzudeuten, dass er nichts mehr zu sagen habe, als ihm der Rajah winkte. "Ich werde noch eine Frage an Dich richten. Darf ich einen Offizier begruessen, den ich kenne und welcher bei Dir ist?" "Ich erlaube es ihm mit Dir zu sprechen." "Ah! Bin ich ein Gefangener, oder ist er Dein Gefangener, dass es erst Deiner Erlaubniss bedarf, wenn Madpur Sing, der Koenig von Augh mit ihm reden will?" Der General sah ein, welche Beleidigung er ausgesprochen hatte. "Du verstehst mich falsch. Den Sinn, den Du aussprichst, haben meine Worte nicht gehabt. Welcher ist es, mit dem Du sprechen willst?" "Du sagst, ich habe Deine Worte nicht verstanden; Du sprichst also, dass ich Deine Sprache nicht verstehe. Ich werde versuchen sie besser zu lernen und bitte Dich, mir Den, welchen ich sprechen will, zum Lehrmeister zu geben. Es ist der Lieutenant Alphons Maletti." "Maletti!" rief der General ueberrascht. Und dann gebot er mit scharfer, beinahe drohender Stimme: "Treten Sie vor!" Alphons gehorchte. Er naeherte sich dem Rajah, welcher ihm freundlich die Hand reichte. "Wir haben uns in Kalkutta gesehen; ich liebe Dich und habe Dich nicht vergessen. Du sollst in meinen Gemaechern wohnen und pruefen, ob ich Eure Sprache rede oder nicht. Erlaubst Du dies?" frug er, zum General gewendet. "Ich erlaube es!" So kannst Du jetzt mit Deinen Leuten gehen. Eure Wohnungen sind bereit. Meine Diener werden euch fuehren!" Er stieg vom Throne, ergriff den Lieutenant bei der Hand und verschwand mit ihm hinter einem Vorhange. Am Abende desselben Tages wurde Maletti zum General befohlen. Dieser sass bei seiner Hukah, und neben ihm stand der Rittmeister Mericourt, als Alphons eintrat. Der General gab dem Rittmeister einen Wink, worauf dieser begann: "Herr Lieutenant, Sie kannten den Rajah?" "Ja." "Wo lernten Sie ihn kennen?" "In Kalkutta. Ich glaube, dass er dies in Ihrer Gegenwart bemerkte." "Wie oft verkehrten Sie mit ihm?" "Einen Monat lang fast taeglich." "Sie sprachen doch nicht von dieser fuer uns so wichtigen Bekanntschaft?" "Madpur Sing war nach Kalkutta gekommen, um Studien zu machen. Er hielt sich deshalb inkognito, und ich musste ihm mein Ehrenwort geben, dieses nicht zu verrathen." "Aber dann, als Ihnen das Ziel unserer Reise bekannt wurde, erforderte es Ihre Pflicht, den Schleier zu lueften." "Wie Sie es mit Ihrer Ehre halten, das ist Ihre Sache; meine Pflicht aber gebietet mir, niemals ein gegebenes Ehrenwort zu brechen." "Herr Lieutenant!" "Herr Rittmeister!" "Sie stehen vor Ihrem Vorgesetzten!" "Allerdings, und dieser Vorgesetzte sitzt vor mir. Sie aber sind es nicht!" "Was soll das heissen?" "Das soll heissen, dass ich mit dem Herrn General, nicht aber mit Ihnen zu sprechen wuensche." "Der Herr General haben mich beauftragt, das Gespraech zu uebernehmen. Ist dies nicht so, Excellenz?" "Yes!" antwortete der Gefragte mit einem finstern Blick auf Maletti. "Sie hoeren es!" "Ich hoere es. Da aber der Herr General sicherlich nicht unter Kuratel gestellt sind und auch jeder Untergebene das Recht hat, direkt mit seinem Vorgesetzten zu verkehren, falls derselbe gegenwaertig ist, so werde ich jetzt sprechen und antworten, um nur den allgemeinen Pflichten der Hoeflichkeit zu genuegen, nicht aber, weil ich von dienstlichen Erfordernissen dazu gezwungen bin." "Alle Teufel, sprechen Sie kuehn! Eine solche Rede verdient der Zuechtigung. Nicht wahr, Herr General?" "Yes!" Malettis Augen leuchteten auf. "Der Zuechtigung? Wie meinen Sie das? Wer wird gezuechtigt? Sagen Sie das!" "Wer es verdient hat!" "So bin von uns Beiden ich dies jedenfalls nicht; dieser Gedanke beruhigt mich." "Herr Lieutenant!" "Herr Rittmeister!" "Der Herr General hat Sie rufen lassen, um Sie zur Rechenschaft darueber zu ziehen, dass Sie Ihre Bekanntschaft mit dem Rajah verschwiegen haben. Sie tragen die Schuld, dass uns ein so demuethigender Empfang geworden ist!" "Ich! Pah! Ich habe keinem Menschen geboten, eine Unterhaltung in Gegenwart eines Mannes zu fuehren, welcher jedes Wort hoeren musste und moeglichen Falles auch jedes Wort verstehen konnte." "Maessigen Sie sich! Sie hatten zu melden, wer der Mann sei, der uns empfing." "Ich kann meine Verpflichtung zu dieser Meldung nicht ersehen und bitte, die gegenwaertige Konferenz moeglichst abzukuerzen. Ich wurde fuer die jetzige Zeit zu dem Rajah gewuenscht, dem ich leider den schwierigen Beweis zu liefern habe, dass er nicht englisch sprechen kann." "Sie haben zuvoerderst zu bedenken, dass jetzt wir es sind, bei denen Sie gebraucht werden! Nicht wahr, Herr General?" "Yes!" "Ihre Verschwiegenheit ist ein Vergehen von solcher Tragweite, dass wir noch gar nicht im Stande sind, die Strafe zu bemessen, welche mit diesem Vergehen kongruent ist. Wir befinden uns jetzt, so zu sagen, nicht im Dienste, weshalb wir Sie gegenwaertig noch nicht bestrafen koennen, muessen uns aber doch Ihren Degen ausbitten, Herr Lieutenant. Nicht wahr, Herr General?" "Yes!" Maletti fuhr wirklich mit der Hand nach dem Degen, nicht aber um denselben abzugeben, sondern instinktiv, wie um den Beleidiger damit zu zuechtigen. Das Blut fliesst dem Korsen heiss und gluehend durch die Adern, und er hat eine groessere Empfindlichkeit und ein unendlicheres Gedaechtniss fuer Beleidigungen, als mancher Andere. Man sah es ihm an, dass er seinen Zorn mit aller Gewalt niederkaempfte. "Sind Sie damit fertig, mit dem was Sie mir zu sagen hatten, Herr Rittmeister?" "Ja." "So werde auch ich gleich fertig sein! Ich soll Ihnen meinen Degen abgeben, weil ich mein Ehrenwort nicht brach. Ein solches Urtheil kann nur die Ehrlosigkeit selbst faellen -" "Lieutenant!" "Pah, spielen wir nicht Komoedie! Sie koennen wohl Andere in einen Zweikampf verwickeln, besitzen aber nicht den Muth sich selbst zu schlagen. Sie verlangen meinen Degen. Wohlan, Sie sollen ihn haben, doch nicht so, wie Sie ihn wuenschen, sondern wie ich Ihnen denselben geben will, naemlich mit dem Griffe in das Gesicht!" "Das ist eine Beleidigung, welche bestraft werden muss, nicht wahr, Herr General?" "Yes." "Bestraft? Sie verwechseln die Begriffe. Ein Vergehen wird bestraft, eine Beleidigung aber wird geahndet, mein Herr. Ihre Feigheit allerdings braechte es zu Stande, meinen Worten den Stempel eines dienstlichen Vergehens zu ertheilen, um nur nicht in die Lage zu kommen, sich mir bewaffnet entgegenstellen zu muessen. Doch das kann Ihnen leider nicht gelingen, da Sie soeben selbst gesagt haben, dass wir uns hier nicht im Dienste befinden. Sie betragen sich nicht nur ruecksichtslos, ungerecht und feig, sondern auch unklug. Der Herr General ist mit Vollmachten versehen, gewisse schwierige Verhandlungen mit dem Maharajah von Augh anzuknuepfen; der Herr General weiss, dass der Rittmeister Mericourt den Rajah heut beleidigt hat; der Herr General hat gehoert, dass der Rajah zu dem Lieutenant Maletti gesagt hat "ich habe Dich lieb!" Der Herr General bestraft aber den Lieutenant wegen dieser Liebe. Der Herr General mag nachdenken, wie ein solches Verfahren genannt werden muss und welches die geeignetste Person waere, den Rajah seinen Plaenen geneigt zu machen. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte, und bitte mich zu verabschieden." "Sie sollen einstweilen gehen, muessen aber Ihren Degen zuruecklassen! Nicht wahr, Herr General?" "Yes!" "Gut, meine Herren. Dieser Degen ist mein Privateigenthum, das ich nur dann von mir gebe, wenn ich es verkaufe oder verschenke. Ich bin Ihnen, Herr General, als Volontair beigegeben, und bitte, mich zu entlassen. Ich ersuche um meinen Abschied!" "Den bekommen Sie nicht." "So nehme ich ihn mir." "Merken Sie wohl, das wird Desertion genannt; nicht wahr, Herr General?" "Yes!" "Wohlan, so lasse ich mich lieber als Deserteur erschiessen, als dass ich mich fuer einen Wortbruch belohnen lasse. Ich erklaere, dass Ihnen meine Person in keiner Beziehung mehr zur Verfuegung steht. Gute Nacht!" Maletti ging. Das hatten die beiden Andern nicht gedacht. Der Lieutenant war trotz seiner Jugend ein kenntnissvoller, muthiger und sehr brauchbarer Offizier. War es ihm wirklich gelungen, sich die Freundschaft des Rajah zu erwerben, so stand ihm eine glaenzende KarriËre bevor und er konnte den Englaendern ganz ausserordentlich hinderlich werden. Das sagte sich auch der General, und darum meinte er: "War dies nicht zu scharf, Rittmeister?" "Nein. Dieser Mensch hat uns ungeheuren Schaden gemacht. Denken Sie sich, welche Avantagen wir hatten, wenn wir gewusst haetten, dass der Rajah in Kalkutta sei. Wir konnten in Guete und mit List auf ihn einwirken, wir konnten ihn andernfalls in Angelegenheiten verwickeln, welche uns das Recht gaben, ihn festzuhalten; wir konnten - soll ich wirklich Alles herzaehlen, was wir konnten? Ich bin ueberzeugt, dass ich gegen den Lieutenant vollstaendig gerecht gehandelt habe. Nicht wahr, Herr General?" "Yes!" "Aber was nun thun? Er wird den Rajah bearbeiten und ihn bestimmen, unsere Vorschlaege zurueckzuweisen!" Jetzt bequemte sich der General endlich zu einer laengeren Rede. "Das ist es ja, was wir wuenschen!" "Ah! Ist es moeglich?" "Ich kenne meine Instruktionen. Das Koenigreich Augh wird unser." "Alle Teufel, also darum die heimlichen Ruestungen; darum diese hastige Konzentration des verfuegbaren Militaers an die Gangesstationen, und darum diese Anhaeufung von Transportmaterial am untern Flusse?" "Yes!" "Sie sollen verhandeln, um nachweisen zu koennen, dass nur der Rajah es ist, der den Krieg heraufbeschworen hat, aber Sie sollen so verhandeln, dass man ein Resultat erzielt, welches zum Kriege ermaechtigt." "Yes!" "Hoechst interessant! Dieser Lieutenant Maletti dient also zur Foerderung unserer Interessen, anstatt dieselben zu schaedigen. Ich werde ihn noch ein wenig beleidigen, aber nicht in dienstlicher Weise, sondern auf meine Privatrechnung hin. Geben Sie mir die Erlaubniss dazu, Herr General?" "Yes!" "So bin ich im Stande, Ihnen die glueckliche Loesung unserer Aufgabe zu garantiren." Vor Freude darueber liess sich der wortkarge General zu einer weiteren rednerischen Anstrengung hinreissen: "Haben Sie das im Auge, dass unsere Abreise gleich einer Kriegserklaerung gilt. Der Maharajah ist auf Feindseligkeiten keineswegs vorbereitet, er kann uns keinen nennenswerthen Widerstand leisten, und wenn drei oder vier Tage nach unserem Aufbruche von hier unsere Truppen in sein Gebiet einruecken, so muss er fliehen oder untergehen. Weitere andere Wege sind nicht denkbar." "Wer wird den Oberbefehl ueber die Okkupationsarmee erhalten? Ich vermuthe, dass man Sie selbst dabei in das Auge genommen hat. Nicht, Herr General?" "Yes!" "Darf ich dann bitten, eine Schwadron uebernehmen zu duerfen?" "Yes!" "Ich danke! Es soll mein Bestreben sein, mir Ruhm und Ihre Anerkennung zu erwerben." "Und schwere Beute!" meinte der General mit sarkastischem Laecheln. "Jetzt aber will ich zur Ruhe gehen. Gute Nacht, Rittmeister!" "Gute Nacht, Herr General!" Der Rittmeister ging, er trug in seinem Herzen das stolze Bewusstsein, ein Mann zu sein, der seinen hoechsten Vorgesetzten zu lenken und zu regieren verstehe. Und der General suchte sein reiches ueppiges Lager auf mit der Ueberzeugung, dass der Abenteurer ein sehr selbstbewusstes aber gerade deshalb brauchbares Werkzeug fuer ihn sei, welches man abnutzen und dann fallen lassen werde. Hinter dem Palaste des Maharajah dehnte sich ein ungeheurer Garten, welcher mit seiner hinteren Seite an den Ganges stiess. Er war in zwei ungleiche Haelften getheilt, deren kleinere fuer die Frauen des koeniglichen Harems bestimmt war. Kurz nach der bei dem General stattgefundenen Unterredung gingen zwei Maenner in der groesseren Haelfte des Gartens spazieren. Es war der Rajah und sein oberster Minister. "Du irrst, Tamu," meinte der erstere. "Diese Englaender kommen nicht in friedlicher Absicht. Was wollen sie in Gibraltar, auf Malta, auf dem Kap, in Amerika, China und Japan? Was wollen sie in Indien? Brauchen wir sie? Wenn wir sie brauchten, wuerden wir sie rufen. Aber, haben wir sie gerufen? Wo sie hinkamen, flossen Stroeme von Blut. Es wird auch hier fliessen." "Nein, es wird keines fliessen. Sie kommen, um ein Buendniss mit Dir abzuschliessen gegen Deine Feinde und die ihrigen." "Ich brauche dieses Buendniss nicht. Ich bin maechtig genug, um meine Feinde zu besiegen, wenn ich welche haette; aber ich habe keine. Ich regiere mein Volk in Liebe, und ich bin freundlich und gerecht mit meinen Nachbarn." "Die Englaender werden Dir beweisen, dass Du Feinde hast." "Sie koennen es nicht beweisen." "Sie werden Dir sagen, was ihnen Deine Nachbarn fuer Vorschlaege gemacht und fuer Rathschlaege gegeben haben." "Das werden sie luegen." "Sie werden Dich ueberzeugen." "Haben Sie Dich schon ueberzeugt?" "Ja." "Mit ihrem Golde." "Sahib, Du weisst, dass ich der treuste Deiner Diener bin!" "Ich weiss, dass Du ein Mensch bist, und dass Du in Deinem Hause viel brauchst." "Sahib, nimm Deinen Dolch und stosse ihn mir in das Herz; ich werde unschuldig sterben." "Unschuldig sollst Du nicht sterben. Dieser Dolch ist nur dann fuer Dich, wenn Du schuldig bist, dann aber, Tamu, wird er Dich so sicher treffen, wie er hier diesen Farren trifft!" Er durchfuhr mit seinem haarscharfen Kris die Luft und faellte mit demselben einen Baumfarren, dessen Schaft die Staerke eines Armes hatte. Dann fuhr er fort: "Du hast mit dem General gesprochen?" "Nicht mit ihm, sondern mit dem Franzosen." "Aber der General war dabei?" "Nein. Der Franzose war allein bei mir." "Der General ist ein listiger Schakal. Er spricht nicht selbst, um alle Folgen auf seinen Diener zu werfen. Und dieser kennt die Gefahr nicht, die ihm droht. Warum verhandelt er nicht selbst mit Dir?" "Du verhandelst auch nicht selbst mit ihm, Sahib. Ich spreche fuer Dich, und sein Diener spricht fuer ihn." "Das ist falsch, Tamu. Ich habe zu verhandeln mit der Regierung dieser Englaender. Der General spricht fuer diese Regierung, und Du sprichst fuer mich. So ist es richtig. Wenn Dir der General den Franken schickt, so beleidigt er mich. Du sollst nie wieder mit dem Franken reden. Sage das dem Generale. Ich gebiete Dir dieses ganz ausdruecklich!" Der Minister blickte vor sich nieder. "Sihdi, einst besass ich Dein ganzes Vertrauen, jetzt aber besitze ich es nicht mehr!" "Tamu, einst besass ich Deine ganze Treue, jetzt besitze ich sie nicht mehr! Ich sage Dir dies weil ich Dich liebe. Du dientest meinem Vater und solltest auch mir dienen bis an meinen oder Deinen Tod. Wenn ich Dich nicht liebte, wuerde ich schweigen; ich zeige Dir aber meine Trauer um Dich, damit Du umkehrest und wieder mein Freund werdest. Gehe jetzt heim und sprich mit Deinem Gewissen. Es wird Dir den rechten Rath ertheilen!" Der Minister verbeugte sich und ging. Eben als er in den Palast treten wollte, tauchte eine Gestalt vor ihm auf. Es war der Rittmeister. "Nun, Du hast mit dem Rajah gesprochen?" "Ja." "Was sagte er?" "Er trauert." "Warum?" "Weil er ahnt, dass ich Euer Freund geworden bin." "Und Du trauerst mit?" "Nein. Ich habe seinem Vater treu gedient, denn er wusste meine Treue zu belohnen. Dieser aber maestet seine Unterthanen und laesst seine Minister hungern. Verdopple die Summe, welche Du mir geboten hast, und das Koenigreich Augh ist Euer!" "Darueber muss man noch sprechen. Doch jetzt komm, es ist hier nicht der geeignete Ort zu solchen Geschaeften. Diese Muskatbaeume koennten Ohren beherbergen, die uns gefaehrlich sind." Sie verschwanden unter den Saeulen. Der Maharajah war tiefer in den Garten hineingegangen und hatte sich dann hinueber nach der fuer die Frauen bestimmten Abtheilung gewendet. Er erreichte einen in arabischem Stile erbauten Kiosk, welchen ein aus dem Ganges abgeleiteter kleiner Kanal von drei Seiten umfloss, um Denen, welche darin Ruhe und Erholung suchten, die Gluth der indischen Sonne durch die Verdampfung des Wassers zu kuehlen. Einige Stufen fuehrten zum Eingange empor. Er stieg hinan, bis er einen Vorhang erreichte, welcher aus den feinsten Kaschmirgespinnsten bestand. Hier schlug er leicht die Haende zusammen. "Rabbadah!" "Wer ist es?" frug eine weibliche Stimme von innen. "Dein Bruder. Darf ich eintreten?" "Komm herein, mein Lieber!" Er schob den Vorhang zur Seite und trat ein. Er befand sich in einem kleinen, achteckigen Gemache, welches mit einem Luxus ausgestattet war, den nur ein orientalischer Fuerst erdenken und bestreiten kann. Auf dem reichen schwellenden Sammetpolster ruhte ein Wesen, welches aus dem Himmel Muhammeds herniedergestiegen zu sein schien, um die suessesten und entzueckendsten Begriffe und Vorstellungen der Schoenheit und Liebe zu verkoerpern. Auch ein Meister aller Meister unter den Malern haette nicht vermocht, diese Schoenheit auf die Leinwand zu zaubern, und kein Dichter, selbst kein Hafis haette vermocht, dieses Goetterbild gebuehrend zu besingen, und waere der Rajah nicht ihr Bruder gewesen, er waere vor ihr niedergesunken, um ihr sein Koenigreich fuer ihre Liebe anzubieten. Sie empfing ihn mit einem holdseligen Laecheln und reichte ihm die Hand entgegen. "Willkommen, mein Freund. Schon wieder sehe ich Wolken auf Deiner Stirn." "Sie werden wohl niemals wieder vergehen!" "Hat die Hand Deiner Schwester ihre Macht verloren? Hat sie Dir nicht stets geholfen?" "Ja. Wenn mein Herz bekuemmert war, kam ich zu Dir, und Du machtest mich wieder froehlich, froehlicher, als es eine meiner Frauen vermocht haette; denn Du gabst mir nicht nur Liebe, sondern auch den Rath, der mir immer der Beste war." "So ist mein Rath jetzt nicht mehr so gut und heilsam wie vorher, mein Bruder?" "Er ist noch so, Rabbadah, aber die Gefahren, welche mich umschweben, sind groesser als die frueheren." "Welche sind es? Theile sie mir mit, ich werde Dir ueberlegen helfen!" "Du weisst, dass die Englaender gekommen sind - - - " "Ah, von daher droht Dir Gefahr? Sagtest Du mir nicht, dass sie als Deine Freunde kaemen, um ein Buendniss mit Dir abzuschliessen, welches Dir viele Vortheile bringt?" "Ich sagte es, denn ich glaubte es nicht anders. Heute aber bin ich vom Gegentheile ueberzeugt." "Wer gab Dir diese Ueberzeugung?" Ein Dragoman*, den ich miethen wollte, damit meine Diener mit den Englaendern sprechen koennen." "Was sagte er?" "Er erzaehlte mir, dass er noch vor kurzem in Lada gewohnt habe. Da ist ein Indier zu ihm gekommen und hat ihm viel Geld zu einer Unterredung mit einem Englaender gegeben. Auch dieser hat ihn ausserordentlich gut bezahlt. Die Unterredung hat im Geheimen stattgefunden und sich auf eine Summe bezogen, welche mein Minister Tamu von dem englischen General Haftley erhalten soll. Wofuer diese Zahlung erfolgen solle, ist nicht erwaehnt worden. Sie sind nicht einig geworden. In dem Indier hat der Dragoman einen Schreiber meines Ministers und in dem Englaender heut einen Offizier erkannt, der mit dem General gekommen ist. Vorhin ging ich mit Tamu nach dem Garten und erblickte im Voruebergehen die Gestalt des Franken, welcher Rittmeister ist und Mericourt heisst. Er hat unter den Muskatbaeumen auf die Rueckkehr des Ministers gewartet, um unser Gespraech von ihm zu erfahren. Beide ahnen nicht, dass ich ihn gesehen habe." "Was haben Dir die Englaender fuer Vorschlaege gemacht?" "Noch kenne ich sie nicht. Ich werde sie erst morgen erfahren." "Durch Tamu?" "Durch ihn." "Entziehe ihm die Verhandlung oder toedte ihn sofort." "Er hat meinem Vater treu gedient, und so will ich sein Leben schonen, so lange nicht die Beweise seiner Untreue offen liegen. Aber ich werde ihm verbieten, ferner mit den Englaendern zu verhandeln. Auch ich dachte daran, was Du mir raethst, doch habe ich es ihn nicht merken lassen." "Wen wirst Du an seine Stelle setzen?" "Keinen Eingeborenen." "Keinen Indier? Wen sonst?" *Dolmetscher. "Einen Franken." "Einen Franken? Bruder, das wirst Du nicht thun. Die Franken sind falsch!" "Die Indier auch, ganz ebenso. Es gibt ueberall fromme und gottlose, treue und untreue, gute und boese Menschen. Dieser Franke ist treu." "Wer ist es? Hat er Dir bereits gedient und seine Treue bewiesen?" "In dem Sinne, in welchem Du es meinest, noch nicht. Aber wenn ich Dir seinen Namen sage, so wirst Du glauben, dass ich ihm vertrauen kann." "Sage ihn!" "Alphons Maletti." "O, der tapfere und starke Lieutenant, welcher Dir das Leben rettete, als Dich die Thugs* ueberfielen? "Derselbe." "Wo ist er?" "Er ist mit dem General gekommen und wohnt mit in meinen Gemaechern." "Darf ich ihn einmal sehen?" "Du sollst ihn sehen. Ich werde den Gaesten zu Ehren ein Kampfspiel veranstalten, bei welchem auch meine Frauen in ihren vergitterten Logen anwesend sein werden. Da kannst Du ihn sehen." "Du wirst mir sagen, wo er sitzt!" "Ja. Glaubst Du nun, dass mir dieser Franke treu sein wird?" "Ich glaube es. Er hat Dein Geheimniss treu bewahrt, obgleich er grossen Nutzen haette davon haben koennen. Er ist nicht nur stark und tapfer, sondern auch verschwiegen, edel und uneigennuetzig." "Er hat auch spaeter nichts erzaehlt, als ich bereits Kalkutta verlassen hatte. Ein Anderer haette wenigstens damit geprahlt, dass er einem maechtigen Koenige das Leben gerettet habe." "Sollte er wirklich auch dann noch geschwiegen haben?" "Ja, ich habe heute den Beweis erhalten. Als ich ihn zu mir rief, um ihn auszuzeichnen, staunten alle seine Begleiter darueber, dass ich ihn kannte. Der General warf ihm, als ich sagte, dass wir uns in Kalkutta gesehen haetten, einen sehr boesen Blick zu, der mich vermuthen laesst, dass er ihn bestrafen wird." "Dann nimmst Du ihn in Deinen Schutz!" "Ich schuetze ihn. Vorhin wurde er zum General gerufen, wo er wohl erfahren wird, was ueber ihn beschlossen wurde. Er wird es mir mittheilen." "Wenn?" "Noch heute. Er wird in den Garten kommen." "Wohin hast Du ihn bestellt?" "Nach der Bank unter den Drachenbaeumen." "Hast Du ihm bereits gesagt, dass er in Deine Dienste treten soll?" "Er ahnt von diesem Entschlusse nicht das mindeste." "So bist Du mit Deinen Mittheilungen jetzt wohl zu Ende?" "Du moechtest gern, dass ich mich entferne?" "Nein, mein Bruder; aber ich moechte nicht, dass dieser Mann allzulange auf Dich wartet. Vielleicht ist der General sehr zornig gewesen und hat ihm gedroht. Da sollst Du ihn schnell zu erheitern suchen." Der Maharajah laechelte. "Meine Schwester scheint diesem Franken sehr gewogen zu sein." "Soll ich nicht? Muss ich nicht gern eines Mannes denken, der meinem Bruder das Leben rettete, welches mir so unendlich theuer ist?" "Glaube nicht, dass ich Dir darueber zuernte. Wohl, ich habe Dir jetzt nichts mehr mitzutheilen. Doch morgen sollst Du mehr erfahren. Ich gehe!" Er kuesste sie auf die lilienweisse Stirn und verschwand hinter dem Vorhange. Sie wartete eine kleine Weile, dann erhob sie sich. Ihr Gewand war blau; es konnte nicht durch das naechtliche Dunkel schimmern. Sie huellte sich in einen Shawl, der ihre ganze Gestalt bedeckte, verloeschte das Licht und verliess das Gartenhaus auch. Ihre Schritte brachten sie nach der groesseren Abtheilung des Gartens. Es war das erstemal in ihrem Leben, dass sie eines Mannes wegen eines ihrer kleinen Fuesschen ruehrte. Ihr Herz klopfte so eigenthuemlich, wie es noch niemals geklopft hatte, ihre Wangen brannten, und ihre Stime gluehte. Es war ihr, als ob sie im Begriffe stehe, ein schweres Verbrechen zu begehen. Jetzt erblickte sie die dichte Gruppe der Drachenbaeume, von welcher der Rajah gesprochen hatte. Leise, ganz leise schlich sie sich im Schutze der Ingwer- und Pfefferstraeucher heran. Sie war vollstaendig ueberzeugt, dass man sie nicht gesehen habe und liess sich hinter einem der Baeume so nieder, dass sie die Bank ueberblicken konnte. Nur der Rajah war da. Der Franke fehlte noch. Eine Weile verging in lautloser Stille, dann aber machte der Rajah eine ploetzliche Bewegung. "Rabbadah!" Sie erschrak und zuckte zusammen, als ob sie einen Schlag erhalten habe. "Rabbadah, bist Du da?" Sie schwieg und wagte nicht sich zu bewegen. Ihr Puls klopfte, dass sie seine Hammerschlaege deutlich vernahm. Der Rajah liess ein leises Lachen hoeren. Ohne dass er sich umwandte, sagte er mit halblauter Stimme: "Warum frugst Du, wohin ich ihn bestellt habe, und warum wolltest Du so gern, dass er nicht auf mich warten solle. Nun muss ich selbst auf ihn warten." Sie war halb todt. Wie konnte sie den Bruder jemals wieder anblicken! Da nahten sich Schritte. Eine hohe Gestalt erschien und blieb vor dem Rajah stehen. "Maletti!" "Sahib!" "Du kommst sehr spaet. Setze Dich!" "Ich komme sehr spaet, weil ich zwei Schlangen beobachtete, welche ihr Gift nach Deinem Gluecke spritzen wollen." "Wer ist es?" "Wirst Du mir glauben?" "Ich glaube Dir." "Und wirst Du mich nicht fuer einen Schleicher, fuer einen Spionen halten, der Andere ertappt, weil er selbst das Dunkel liebt?" "Ich selbst habe Dich in das Dunkel bestellt." "Nun wohl, so sollst Du es erfahren. Die eine der Schlangen ist Tamu, Dein Minister, dessen Worte ich gehoert habe." "Ich weiss es." "Ah, Du weisst es bereits?" "Ich kenne auch die andere Schlange. Es ist der Rittmeister Mericourt." "Wahrhaftig!" "Aber ihre Worte kenne ich nicht. Willst Du sie mir sagen?" "Ich kam vom General und wollte in den Garten zu Dir. Meine Schritte waren auf den Decken zwischen den Saeulen unhoerbar. Eben wollte ich meinen Fuss hinter der letzten Saeule hervorsetzen, als ich einen Mann sah, welcher aus dem Garten kam. Es war der Minister. Aus den Muskatbaeumen vor der Saeule tauchte eine Gestalt auf, in welcher ich den Rittmeister Mericourt erkannte. "Nun, hast Du mit dem Rajah gesprochen?" frug der Rittmeister. - "Ja," antwortete der Minister. "Was sagte er?" lautete die weitere Frage. - "Er trauert." "Warum?" - "Weil er ahnt, dass ich Euer Freund geworden bin." - "Und Du trauerst mit?" - Da antwortete Tamu: "Nein. Ich habe seinem Vater treu gedient, denn er wusste meine Treue zu belohnen, dieser aber maestet seine Unterthanen und laesst seine Minister hungern. Verdoppele die Summe, welche Du mir geboten hast, und das Koenigreich Augh ist Euer." Der Rajah war aufgesprungen und ballte die Faeuste. "Und was gab darauf der Rittmeister zur Antwort?" "Er sagte, dass man darueber noch zu sprechen habe. Dann traten sie in den Palast. Ich liess sie an mir vorueber und folgte ihnen dann, ohne dass sie mich bemerkten. Sie gingen durch den Palast hindurch und dann durch den Garten des Ministers nach dessen Wohnung. Ich blieb eine Zeit lang stehen, aber der Rittmeister kam noch immer nicht, und da ich wusste, dass Du auf mich wartest, durfte ich Deine Geduld nicht laenger ermueden." "Der Rittmeister ist ein Franke wie sein Name sagt?" "Ja." "Und dennoch stellst Du Dich auf meine Seite anstatt auf die seinige?" "Dich liebe ich, ihn aber verachte ich. Er ist wie das Gewuerm, welches man zertritt ohne es anzugreifen. Uns hat ein gleiches Land geboren ebenso, wie der Giftstrauch neben dem nuetzlichen Bambus waechst. Mir ahnt, dass er einst von meiner Hand sterben wird." "Er muss Dich sehr beleidigt haben." "Ich wuerde ihn verachten auch ohne diese Beleidigung. Er hat einst ein edles Weib gekraenkt, die meine muetterliche Freundin war. Ich habe sie an ihm zu raechen." *Eine religioese Moerdersekte in Indien "Vielleicht will er auch Dich verderben." "Das hat er laengst gewollt. Heute aber hat er mir den offenen Fehdehandschuh hingeworfen; ich habe ihn aufgehoben und werde diesen Menschen unschaedlich machen." "Er war wohl beim Generale zugegen, als Du zu diesem gerufen wurdest?" "Ja. Er empfing mich an Stelle des Generales." "Was wollte er von Dir?" "Er forderte Rechenschaft von mir, dass ich Deine Anwesenheit in Kalkutta nicht verrathen hatte. Er stellte mich ferner zur Rede darueber, dass ich auch heut nicht gesagt hatte, dass Du es seist, der den General empfing. Er erklaerte mich meiner Freiheit verlustig, indem er mir den Degen abforderte, und versprach mir nach unserer Rueckkehr strenge Bestrafung meiner verbrecherischen Verschwiegenheit." "Du hattest wirklich zu keinem Menschen jemals von mir gesprochen?" "Wie sollte ich?" frug er einfach. "Ich hatte Dir ja mein Wort gegeben! Und dieses breche ich niemals, selbst wenn es mich mehr als Alles kosten sollte. Das thut jeder Ehrenmann." "Aber Du traegst Deinen Degen noch, wie ich bemerke. Du gabst ihn also nicht ab?" "Meinen Degen gebe ich nur mit meinem Leben von mir." "Aber Dein Vorgesetzter verlangte ihn von Dir! Was hast Du ihm geantwortet?" "Ich sagte ihm, dass er den Degen bekommen solle, jedoch nur mit dem Griffe in das Gesicht. Statt aber sofort blank zu ziehen, wie jeder wackere Mann gethan haette, igno- rirte er meine Worte. Er ist ein Feigling, der nur im Dunkeln handelt." "Und welches war das Endresultat Eurer Unterhaltung?" "Ich habe um meinen Abschied gebeten." "Und ihn auch erhalten!" "Nein; sie verweigerten mir ihn. Da erklaerte ich kategorisch, dass ich ihn mir selbst geben werde, wenn ich ihn nicht erhalte." "Dann waerest Du in ihren Augen und nach Euren Gebraeuchen ein Deserteur." "Pah, ich fuerchte diese Gebraeuche nicht! Sie sagten mir dies ebenso wie Du; ich aber erklaerte, dass ich lieber als Deserteur sterben, als mich wegen eines Wortbruches belohnen lassen werde. Die beiden Memmen verwehrten es mir nicht, sie ungehindert zu verlassen." "Und nun, was wirst Du beginnen?" "Ich werde Beide fordern, erst den Rittmeister und dann den General." "Du kannst fallen!" "Das ist moeglich aber nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlicher noch ist es, dass ich sie beide niederschlage. Sie sind Offiziere und koennen mir die Genugthuung nicht verweigern." "Und dann, selbst wenn Du sie besiegt hast, was thust Du dann?" "Ich wuerde, wenn man mich ergreift, als Deserteur behandelt werden, aber ich glaube nicht, dass es ihnen gelingt. Ich gehe nach Batavia in hollaendische Dienste." "Warum willst Du nicht in Indien bleiben?" "Wo faende ich einen Fuersten, der mir eine Zukunft boete!" "Hier in Augh." "Hier? Inwiefern?" "Du bleibst bei mir." "Bei Dir? Ich wuerde Dir nur Schaden bringen." "Nein. Deine Anwesenheit wuerde mir von grossem Nutzen sein." "Auf welche Weise?" "Was ist Deine Waffe?" "Meine Lieblingswaffe ist die Artillerie." "Das ist mir lieb. Du wirst in meine Dienste treten, mir Kanonen versorgen und meine Artillerie nach abendlaendischer Weise organisiren. Willst Du?" "Ist es Dein Ernst?" "Ja. Du sollst mein Kriegsminister, Du sollst mein Bruder sein. Sage ja!" "Wohlan, so nimm mich hin, und ich schwoere Dir, dass Dir von diesem Augenblicke an mein Blut, mein Leben und alle meine Kraefte gehoeren werden, denn ich weiss, dass Du nicht zu jenen Tyrannen gehoerst, welche um einer Laune willen ihre treuesten Diener von sich werfen oder sie noch schlimmer als mit blossem Undanke belohnen." "Ich werde Deine Kraefte schon morgen gleich in Anspruch nehmen." "Thue es. Ich werde gehorchen!" "Ich werde Tamu, meinen Minister entfernen. Du sollst an seiner Stelle fuer mich mit den Englaendern unterhandeln." "Sahib, das wirst Du mir nicht gebieten!" "Warum. nicht? Willst Du mein Vertrauen dadurch verdienen, dass Du mir gleich bei dem ersten Auftrage den Gehorsam verweigerst?" "Ja. Schau, Sahib, fuer einen kleinlichen ehrsuechtigen Charakter wuerde es die groesste Genugthuung sein, wenn er morgen vor den General hintreten und sagen koennte: "Ihr habt mich gestern zum Verbrecher gemacht und mir meinen Degen abgefordert, und heute bin ich Kriegsminister des Maharajah von Augh und stehe als sein Bevollmaechtigter vor Euch um Euch die Bedingungen vorzuschreiben, unter denen er bereit ist, Eure Vorschlaege anzuhoeren!" "Diese Genugthuung will ich Dir ja geben." "Aber sie wuerde Dein Verderben sein. Man wuerde sagen, dass man mit einem ehrlosen Ueberlaeufer nicht verhandeln koenne; man wuerde Dein Verfahren fuer eine Majestaetsbeleidigung, fuer eine graessliche Verletzung des Voelkerrechtes erklaeren; man wuerde sich von Dir zurueckziehen und diese Beleidigung durch eine sofortige Kriegserklaerung raechen. Du siehst, dass ich nur an Dich, an Dein Wohl und an dasjenige Deines Landes denke!" "Ich sehe es und danke Dir. Ich werde die Verhandlung einem Andern uebergeben, aber sie soll in meiner Wohnung gefuehrt werden, wo wir Beide jedes Wort hoeren koennen, und Dein Rath soll ebenso gehoert und beruecksichtigt werden wie der meinige. Hast Du vielleicht erfahren, welche Vorschlaege mir die Englaender zu machen haben?" "Nein. Nur der General kennt sie und vielleicht der Rittmeister, wenn der erstere ihm Einiges davon mitgetheilt haben sollte." "Er wird ihm Alles gesagt haben, denn der Rittmeister ist seine rechte Hand." "Du irrst. Der Rittmeister gilt weniger bei ihm als jeder andere seiner Untergebenen. Der General weiss, dass Mericourt ein Abenteurer und ein hinterlistiger Feigling ist. Er thut, als ob er sich von ihm lenken lasse, und benutzt ihn doch nur wie das Wasser, welches das Rad zu treiben hat und dann weiter fliessen muss." Der Rajah hatte sich waehrend dieser Worte seines neuen Kriegsministers erhoben. "So thun es die Englaender," meinte er. "Sie werfen ihre Werkzeuge undankbar von sich, wenn sie dieselben ausgenutzt haben. Und ganz dieselbe Undankbarkeit zeigen sie auch gegen uns. Dieser Lord Haftley kommt zu mir und sagt, dass er das Wohl meines Landes im Auge habe, aber er traegt die Falschheit und den Verrath in seiner Hand. Er will den Inglis mein Land oeffnen, und dann, wenn ich ihnen dies gestattet habe, werden sie es mir nehmen." "Was wirst Du ihm antworten?" "Ich kenne die Englaender. Sie haben sehr Vieles, was wir gebrauchen koennen, und wir haben gar Manches, was ihnen unentbehrlich ist. Ein Handel mit ihnen wird beiden Theilen Nutzen bringen, und ich habe also nichts dagegen, dass sie zu mir und auch meine Unterthanen zu ihnen kommen, um ihre Waaren auszutauschen. Aber ich werde meine Bedingungen so stellen, dass mir kein Schaden daraus erwachsen kann." "Welches sind diese Bedingungen, Sahib?" "Darf bei Euch ein Staat ohne Erlaubniss der andern Nationen ein Land erwerben?" "Nein. Er muss sich erst im Stillen und dann auch oeffentlich ihrer Zustimmung versichern." "Nun gut. Ich werde den Englaendern mein Land oeffnen, wenn sie mir nachweisen, dass die Frankhi, die Italini, die Nemssi*, die Russi, die Spani und Portugi ihnen die Erlaubniss geben. Und diese Nationen muessen mir versprechen mich zu vertheidigen, wenn die Ingli mir mein Land nehmen wollen." "Auf diese Bedingungen werden die Englaender nicht eingehen." So moegen sie von Augh fortbleiben und wieder dahin zurueckkehren, woher sie gekommen sind!" "Sie werden gehen, aber dann wiederkommen, doch nicht so wie jetzt, sondern mit ihrer bewaffneten Macht, um Dich zu zwingen." "Dann werde ich kaempfen. Ich habe Dich ja zu meinem Bruder gemacht, damit Du mir helfen sollst sie geruestet zu empfangen. Doch jetzt lass uns die Ruhe suchen! Morgen ist ein Tag, welcher uns wach und kraeftig sehen muss. Die Inglis sind ein maechtiges Volk; ich muss ihre Gesandten wuerdig behandeln und werde ihnen morgen ein Schauspiel geben." "Welches?" "Einen Kampf zwischen Elephanten, Baer und Panther. Hast Du so etwas bereits einmal gesehen?" Der Lieutenant laechelte und antwortete einfach: "Ich bin ein Jaeger." "So wird dieses Schauspiel Deine Aufmerksamkeit erwecken. Ich habe einen wilden Baer vom Himalaja, der groesser ist als alle, die ich bisher gesehen habe. Und den Panther erhielt ich vom Maharajah von Singha zum Geschenke. Er ist dem Baeren gewachsen. Doch jetzt komm." Sie verliessen den Ort und schritten dem Palaste zu. Kaum waren sie fort, so erhob sich Rabbadah aus ihrem Verstecke und trat zu dem Sitze, den sie verlassen hatten. Warum liess sie sich gerade an der Stelle nieder, auf welcher Maletti gesessen hatte? Sie legte sich diese Frage gar nicht vor; sie haette dieselbe gar nicht beantworten koennen. Sie folgte der ploetzlichen Regung ihres Innern und handelte nicht anders als rein instinktiv. Ueber ihr breitete sich der tiefdunkle Himmel des Suedens mit seinen strahlenden Sternbildern aus. Wollte auch in dem Himmel ihres Herzens ein Stern aufgehen, strahlender noch vielleicht als all die glaenzenden Welten am Firmamente? Um sie her traeumte und duftete die tropisch ueppige Natur, und die reiche Vegetation wiegte sich leise im Zephyre, der durch die Wipfel der Palmen strich. Auch im Herzen dieses herrlichen Weibes wollte es aufsteigen wie Traeume und Duefte eines nahen Glueckes, von dem sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. Da vernahm sie ploetzlich nahende Schritte, und noch ehe sie *Deutschen. sich erheben und entfernen konnte, stand eine maennliche Gestalt vor ihr. Es war Maletti. Er hatte seine Wohnung wieder verlassen, weil er das Beduerfniss fuehlte, die Ereignisse des heutigen Tages in seinem Innern zu verarbeiten, bevor es ihm moeglich war, Schlaf und Ruhe zu finden. Es zog ihn nach dem Platze, an welchem sein Leben eine hoechst bedeutungsvolle Wendung dadurch genommen hatte, dass er vom Rajah in einen so wichtigen Dienst genommen worden war. Mit gesenktem Kopfe und in tiefes Sinnen versunken war er durch den Garten gegangen, erst als er an dem vorhin verlassenen Platze anlangte, erhob er den Blick und gewahrte zu seiner Bestuerzung, dass er sich vor einer weiblichen Gestalt befand, welche sich erschrocken von ihrem Sitze erhob. Er kannte die strenge Sitte des Landes; er wusste vor allem, dass es hier im Palaste und Garten des Rajah bei hoher Strafe verboten war, die Begegnung mit irgend einem Weibe aufzusuchen, aber er befand sich ja in demjenigen Theile des Gartens, welcher von den Maennern betreten werden durfte, und das gab ihm die Kraft, seiner Bestuerzung Herr zu werden. Auch sie war erschrocken; ihre ganze Haltung zeigte es, doch sie erkannte ihn, huellte sich fester in ihr Gewand, machte aber keine Bewegung, welche die Absicht sich zu entfernen verrathen haette. "Verzeihe!" bat er nach einer kurzen Pause. "Ich dachte nicht, jemand hier zu finden." Er wandte sich zur Rueckkehr um. "Bleibe!" gebot sie. Der Ton dieser Stimme hatte etwas so Gebieterisches und doch so Liebliches, er drang durch das Ohr des Hoerers bis in das tiefste Leben desselben hinab. Maletti gehorchte und drehte sich wieder um. "Was befiehlst Du?" frug er. "Setze Dich!" Er liess sich nieder und sie nahm in einer kleinen Entfernung neben ihm Platz. "Wie ist Dein Name?" begann sie. "Alphons Maletti." "Du gehoerst zu den Inglis?" "Ich bin ein Frankhi, ich gehoerte bis heut zu ihnen, jetzt aber nicht mehr." "Warum nicht mehr?" Er zoegerte mit der Antwort. "Wer bist Du?" erkundigte er sich dann. "Mein Name ist Rabbadah. Hast Du noch nicht von mir gehoert?" Er machte eine Geste der hoechsten Ueberraschung. "Rabbadah, die Begum*, die Schwester des Maharajah, die Blume von Augh, die Koenigin der Schoenheiten Indiens? O, ich habe von Deinem Ruhme, von Deiner Herrlichkeit und von der Guete Deines Herzens, der Weisheit Deines Verstandes viel, sehr viel gehoert, noch ehe ich dieses Land betrat." Sie zauderte einen Augenblick, dann sagte sie: "Ja, ich bin die Begum, und Du kannst mir also sagen, warum Du nicht mehr zu den Inglis gehoerst." "Weil ich ein Diener Deines Bruders, des Maharajah von Augh, geworden bin." "Auf welche Weise dienst Du ihm?" "Er hat mir die Reorganisation seiner Truppen uebergeben." "So muss er ein grosses Vertrauen zu Dir haben." "Ich liebe ihn!" "Ich danke Dir, denn auch ich liebe ihn. Aber lass Deine Liebe nicht sein wie diese Blume, welche nur kurze Zeit duftet und dann stirbt!" Sie pflueckte eine nahestehende Rose ab und enthuellte dabei einen Arm, dessen herrliche Formen ihm die Pulse schneller klopfen machten. "Meine Liebe und Treue gleicht nicht der Blume, welche bald stirbt, sondern dem Eisenholzbaume, der sich von keinem Winter faellen laesst." "Dann segne ich den Tag, welcher Dich zu meinem Bruder fuehrte." Sie reichte ihm die Rose dar; er nahm sie und beruehrte dabei ihr kleines, zartes, warmes Haendchen. Diese Beruehrung elektrisirte ihn foermlich, so dass er es wagte, die duftende Bluethe an seine Lippen zu druecken. Ich danke Dir, Sahiba!** Diese Rose wird noch bei mir sein, wenn ich einst sterbe!" "Du wirst dieser Rosen schon sehr viele erhalten haben!" "Es ist die erste!" "Du sagst die Wahrheit?" "Ich luege nie." "Das weiss ich. Du bist keiner Luege und keines Verrathes faehig." Er erstaunte. "Woher weisst Du das?" "Hast Du meinen Bruder verrathen?" Nein. Aber was weisst Du von mir und ihm?" "Ich kannte Dich und Deinen Namen noch ehe Du nach Augh kamst. Er hat mir von Dir erzaehlt. Ich bin seine Vertraute, der er Alles mittheilt, was sein Herz bewegt. Du sollst seine Sorgen theilen. Darf ich auch Deine Vertraute sein?" Bei dieser leise und zoegernd ausgesprochenen Frage erbebte er bis in sein tiefstes Innere hinein. "O wenn dies moeglich waere, Sahiba!" "Es ist moeglich, und ich bitte Dich darum," antwortete sie. "Es gibt manches, was ein Diener aus Liebe seinem Herrn verschweigt, um ihm keine Sorgen zu machen, und dies Alles sollst Du mir anvertrauen. Willst Du?" "Ich will es." "Schwoere es mir." "Ich schwoere es!" "Doch darfst Du mir von jetzt an nichts verschweigen, bis ich Dich von Deinem Schwure entbinden werde." Sie reichte ihm ihre Hand entgegen; er nahm dieselbe in die seinige, und es war ihm dabei als ob sein Herz von einem Strom durchdrungen werde, der aus der Seligkeit der Goetter herabgefluthet sei. Er vergass, diese Hand wieder freizugeben, und sie vergass, sie wieder an sich zu ziehen. In jenen tropischen Laendern tritt jedes Naturereigniss mit groesserer Schnelligkeit ein als bei uns, der Sturm kommt unvorhergesehen; das Wetter umzieht ohne alle Vorbereitung den Horizont, die Sonne durchbricht die finstern Wolken ohne sich erst anzumelden; Tag und Nacht scheiden ohne Daemmerung, und auch die Gefuehle des Menschen erobern sein Leben, Denken und Handeln ohne erst den kuehlen berechnenden Verstand um die Erlaubniss zu befragen. "Du sollst mich nie, niemals von diesem Schwure entbinden, Sahiba," fluesterte er mit erregter zitternder Stimme. "Ich will Dir dienen und gehorchen, bis Gott mein Leben von mir fordert. Aber es ist hier verboten mit Frauen zu verkehren." "Ich bin die Begum, und ich darf gebieten. Die Gesetze werden von den Koenigen gemacht, und die Koenige haben also auch das Recht, die Gesetze wieder aufzuheben oder zu veraendern. Und wer soll es denn erfahren, das wir mit einander sprechen? Mein Bruder, der Rajah, nicht, und ein anderer noch viel weniger." "Und wo koennen wir sprechen, ohne dass es Jemand erfaehrt?" "Komm; ich werde Dir es zeigen!" Sie hielten sich noch immer bei der Hand und erhoben sich. Sie fuehrte ihn vorsichtig nach der Frauenabtheilung des Gartens und dem Kiosk, in welchem sie vorher ihren Bruder empfangen hatte. "Verstehst Du den Laut nachzuahmen, welchen der Buelbuel*** ausstoesst, wenn er traeumt? "Ich verstehe es." "Versuche es." Er legte die beiden Haende an den Mund und ahmte die abgerissenen Traumtoene der Nachtigall nach. "Du kannst es," meinte sie. "Wenn Du mit mir sprechen willst, so komme hierher, ohne Dich von jemanden erblicken zu lassen und stosse diese Laute aus. Es wird stets vom Einbruche des Abends an eine treue Sklavin auf Dich warten, bis ich selbst erscheine. Sie fuehrt Dich in das Innere des Haeuschens und wird Dich dort bis zu meiner Ankunft verbergen. Bin ich selbst da, so hoerst Du von mir das Girren einer Turteltaube und kannst sogleich eintreten. Hoerst Du aber dieses Zeichen nicht und komme ich auch nicht, so ist das ein Zeichen, dass mein Bruder bei mir ist. Dann musst Du Dich verbergen bis er geht." Diese Auseinandersetzung erfuellte ihn mit einem unnennbaren Gluecke. Die Huelle hatte sich von ihrem Gesichte verschoben; er fuehlte sich von der unbeschreiblichen Schoenheit desselben bezaubert und haette in diesem Augenblicke tausend Leben fuer dieses herrliche unvergleichliche Wesen lassen koennen. "Ich werde kommen, Sahiba!" *Koenigin oder Prinzessin. **Herrin. ***Nachtigall. Das war alles, was er zu sagen vermochte. "Und Du wirst mir nie etwas verheimlichen?" "Nie." "Nichts von Eurer Politik und Euren Kriegsgeschaeften und auch nichts von - - von - -" Sie stockte. Er sah, dass ihr Auge sich groesser auf ihn richtete, und glaubte trotz des unzureichenden Sternenlichtes eine Roethe zu bemerken, welche ihre Wangen faerbte. Er frug: "Von was noch?" "Von - von Dir selbst?" "Auch nichts von mir selbst!" gelobte er. Er haette noch viel mehr, er haette Alles versprechen koennen, was sie von ihm forderte. "Ich glaube Dir. jetzt gehe. Le(lkum saaide!* Le(lkurn saaide! antwortete er. Er ergriff nochmals ihr Haendchen und zog es an seine Lippen. Sie fuehlte das Beben seiner Hand und die Gluth seines Mundes, seines Athems. "Sei treu nur meinem Bruder und mir; keinem Andern und auch - keiner Andern!" Diese Worte fluesterte sie noch in bittendem Tone, dann wandte sie sich dem Kiosk zu. Er begab sich nach dem Palaste und den Gemaechern zurueck, welche ihm angewiesen worden waren. Er befand sich wie in tiefem Traume, konnte aber doch keine Ruhe finden, bis endlich erst mit dem Anbruch des Tages der Schlaf sich ueber ihn neigte und die Gestalten verscheuchte, welche die geschaeftige und gefaellige Phantasie herbeigezaubert und mit den gluehendsten Farben ausgestattet hatte, mit Farben, die nur der Sueden kennt und die nur ein suedliches Auge zu ertragen vermag. Waehrend er schlief herrschte auf dem weiten Hofe des Palastes ein reges naechtliches Leben. Man war beschaeftigt, Bauten zu errichten, welche sich rings an der Mauer herumzogen und deren Beschaffenheit man bei dem unzulaenglichen Fackellichte nur schwer zu erkennen vermochte. Erst als der Morgen graute und die Fackeln ausgeloescht wurden, erkannte man eine kreisrunde Arena, um welche breite Zuschauerraeume errichtet waren. Gerade ueber dem Hofeingange erhob sich eine Loge, welche allem Anscheine nach fuer den Koenig von Augh bestimmt war. Ihr gegenueber, so dass man von dem Palaste aus Zutritt zu ihr nehmen konnte, war eine zweite zu erblicken, deren hoelzernes Gitterwerk vermuthen liess, dass sie die Damen des Maharajah aufnehmen werde. Dann war noch hueben und drueben zu beiden Seiten des Hofes je eine Loge angebracht, jedenfalls die eine fuer die Englaender und die andere fuer die Grossen des Reiches Augh. Seitwaerts befand sich ein doppelter, aus starken Eisenholzbohlen gefertigter Kaefig, dessen Seiten so mit Matten verhaengt waren, dass man die Insassen desselben nicht wahrnehmen konnte. Es befand sich wohl der Panther nebst dem Baer aus dem Himalaya darin. Maletti hatte nicht lange geschlafen. Jede grosse Seelenerregung laesst spaet zur Ruhe kommen und weckt frueh wieder auf. Da der Morgen noch nicht heiss war, beschloss er, zumal seine Zeit jetzt noch nicht von Geschaeften in Anspruch genommen war, einen Spaziergang in die Umgebung der Stadt zu machen. Er kannte bereits denjenigen Theil dieser Umgebung, welcher an den Fluss stiess, und wandte sich daher der andern Seite zu. Nachdem er die Grenze der Stadt ueberschritten hatte, gelangte er zwischen ausgedehnten Reis-, Maniok- und Pisangpflanzungen in einen Palmenwald, welcher nach einiger Zeit in einen dichten Teakforst ueberging. Aus Scheu vor den wilden Thieren, denen er beinahe unbewaffnet gegenuebergestanden waere, war er eben zur Umkehr bereit, als es neben ihm in den Bueschen raschelte. Er zog seinen Handjar, kam aber nicht zum Streiche, denn noch ehe er irgend ein menschliches Wesen erblickt hatte, sauste ihm ein lederner Riemen um den Leib, zog ihm die Arme zusammen, und dann wurde er in fuerchterlicher Eile durch die Buesche gerissen, so dass er die Besinnung verlor. Als er erwachte, befand er sich auf einer engen Lichtung, welche rings von dichten baumhohen Farren umgeben war. Er lag noch immer gebunden am Boden, und um ihn herum hockten einige zwanzig wilde Gestalten, deren verwegenes Aussehen ihn nichts Gutes vermuthen liess. Sie waren bis unter die Zaehne bewaffnet, trugen lange, gekruemmte, absonderlich gestaltete Messer im Guertel und lauschten auf die Worte eines Mannes, welcher auf einem Steine *Gesegnete Nacht. einen etwas erhoehten Standpunkt genommen hatte und in fuerchterlicher Begeisterung zu den Andern redete. Alphons schauderte. Das ganze Aeussere und besonders die Schlingen, welche sie trugen, belehrten ihn, dass er einer Bande jener beruechtigten Thugs in die Haende gefallen sei, bei denen der Mord zur Religion geworden ist, und welche dieser Religion mit der entsetzlichsten Energie huldigen. Diese Thugs sind durch ganz Indien verbreitet, zu ihnen gehoert nicht etwa der Auswurf der Bevoelkerung, nein, sondern sie rekrutiren sich aus allen Kasten und Staenden, von dem verachteten Paria bis hinauf zum weiss gekleideten Priester und Brahmanen, oder gar dem Scepter tragenden Fuersten. Der Thug ist der fuerchterlichste Mensch, den es auf Erden gibt. Er ueberfaellt Dich in der Einsamkeit des Waldes oder der Dschungel, er mordet Dich mitten in der Stadt, mitten in einer Versammlung, welche ihm ein Entkommen zur Unmoeglichkeit macht. Du trittst aus dem Schiffe an das Land, und sein Dolch faehrt Dir in das Herz; er begleitet Dich als treuer sorgsamer Diener Jahre lang durch Indien, und in der letzten Nacht vor Deiner Abreise stoesst er Dir das Messer in die Kehle. Vor ihm ist keiner sicher, weder der In- noch der Auslaender, obgleich er es allerdings zumeist auf den letzteren abgesehen hat. Keiner der zu dieser furchtbaren Sekte Gehoerigen verraeth den Andern; selbst die groesste Marter vermag nicht, ihm ein einziges Woertchen oder auch nur die kleinste Mittheilung ueber seine infamen hoellischen Satzungen zu entlocken, und nur so [sc.: viel] ist gewiss, dass es in diesem weit verbreiteten Henkerbunde verschiedene Grade und Stufen gibt, welche von den Angehoerigen nach und nach erstiegen werden. Die Angehoerigen des einen Grades morden nur mit der Schlinge, die Andern mit Gift, die Dritten mit dem Ersaeufen, die Vierten mit dem Verbrennen, die Fuenften mit der Keule und die Uebriigen mit andern Instrumenten oder Todesarten. Der fuerchterlichste Angehoerige der Thugs aber ist der Phansegar, dessen Mordwaffe in einem haarscharfen, sichelfoermig gebogenen Messer besteht, welches so giftig schneidend und dabei so schwer ist, dass es nur einer geringen Bewegung der geuebten Hand bedarf, um ein Menschenhaupt in einem einzigen Augenblicke vom Rumpfe zu trennen. Einem solchen Phansegar entgeht sicher kein Opfer, welches er sich einmal ausgelesen hat, und so kann man sich den toedtlichen Schreck Maletti's denken, als er an den furchtbaren Messern erkannte, in welche Haende er gefallen war. Der Sprecher war ein alter, vielleicht bereits siebenzigjaehriger Mann, dessen Gestikulationen bei seiner Rede aber trotz dieses Alters von einer solchen Energie und Wildheit waren, dass sein kaftanartiges Gewand seinen hagern braunen Koerper immer wie eine vom Winde gepeitschte Wolke umflatterte. Maletti vernahm ganz deutlich jedes Wort, welches er sprach. Dieser Mensch hatte sicher nicht die mindeste Bildung genossen, aber seine Improvisation, durch welche er die Gefaehrten zu begeistern versuchte, zeigten eine Art diabolischer Poesie, welche ebenso staunenswerth wie beaengstigend war. Nach einem ihm laut zugebruellten Beifallssturme begann er die Fortsetzung seiner Rede, welche zu deutsch ungefaehr gelautet hatte [sic!]: "Da draussen, in dem finstern, wirren Gedschungel, wo der Panther schleicht, Der Schlangen gift'ge Zungen schwirren, Der Suacrong nach Beute streicht, Liegt Bhowannie*, die Allmachtsreiche, Versunken unterm Wunderbaum; Ihr Angesicht, das naechtlich bleiche, Umspielt des Glueckes goldner Traum. Sie traeumt von Lambadans Gefilden, Wo einst ihr heil'ger Tempel stand, Eh' noch ihr Volk den ungestillten Geheimen Wandertrieb gekannt. Wo sie beim Schein der Hekatomben Ihr grosses Reich sich aufgebaut, Bis auf verfall'ne Katakomben Ihr letztgebornes Kind geschaut, Da sind die Saeulen eingefallen, An denen sich die Wolke brach, Versunken die geweihten Hallen In denen sie zum Volke sprach. Als sie zum letzten Mal die Stimme Erhob am blutgetraenkten Thron, Warf sie im ungezaehrnten Grimme Der Knechtschaft Fluch auf ihren Sohn - -" Mehr bekam Maletti jetzt nicht zu hoeren. Der ihm zunaechst sitzende Indier hatte bemerkt, dass ihm das Bewusstsein zurueckgekehrt sei, und band ihm ein altes zerfetztes Tuch um die Ohren, so dass das Blut in denselben zu summen begann und ein Hoeren zur Unmoeglichkeit wurde. Doch konnte der Gefangene genug sehen, um mit der groessten Sorge fuer sein Leben erfuellt zu werden, denn es wurden waehrend der Fortdauer der Rede die Messer auf ihn gezueckt, und eine Menge der scheusslichsten Geberden sagten ihm diejenigen Glieder seines Leibes, welche man der Reihe nach abschneiden werde. Da gab das alte Tuch nach, und es wurde ihm moeglich, den Schluss der Rede zu verstehen: * Bhowannie ist die Goettin der Nacht und des Todes. "Nahm sie im Westen scheinbar nieder Am Abend ihren Tageslauf, So steigt sie doch im Osten wieder Am Morgen sieggekroent herauf. Im Westen ist Dein Volk gesunken, Fern von der Lambadana Hoehn, Im Osten wird es siegestrunken Aus seiner Asche auferstehen. Dann muss die Nacht zum Tage werden, Die Finsterniss zum Sonnenschein, Und der Phansegar wird auf Erden Ein Herrscher aller Herren sein!" Der Sprecher sprang von dem Steine herab. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, und waehrend er sich in rasender Eile auf einem Fusse im Kreise drehte, erhoben sich die Andern, machten ihm die gleiche Bewegung nach und schwangen dabei ihre Messer, bis sie vor Ermuedung zu Boden stuerzten. Dann folgte eine Pause des Verschnaufens, nach welcher der Sprecher, der jedenfalls der Anfuehrer der Bande war, zu dem Gefangenen trat und ihm die Binde von den Ohren nahm. "Du bist ein Fremder?" "Ja," antwortete Alphons. "Aus welchem Lande?" "Aus Frankhistan." "Nein, Du luegst. Du bist mit den Inglis gekommen?" "Ja." "So bist Du also aus Inglistan!" "Nein. Ich bin aus Frankhistan, obgleich ich mit den Inglis gekommen bin." "Aber Du hast zu den Inglis gehoert." "Ja. Aber ich gehoere jetzt nicht mehr zu ihnen." "Du luegest wieder! Du traegst ja ihre Kleidung und Uniform." "Ich bin erst gestern Abend in den Dienst des Maharajah von Augh getreten und hatte keine Zeit, mir bereits jetzt andere Kleidung zu verschaffen." "Du luegst wieder. Der Maharajah von Augh nimmt keinen Ingli in seinen Dienst. Du musst sterben!" "So toedte mich! aber schnell!" Der Andere liess ein haarstraeubendes Lachen hoeren. "Schnell? Ein schneller Tod ist die herrlichste Gabe, welche Bhowannie ihren Soehnen spendet. Wie kann ein Ingli nach dieser Gabe verlangen? Meine Schueler hier werden sich an Deinem Koerper ueben." Er wandte sich im Kreise herum. "Tretet naeher! Ein jeder nehme sich seinen Theil. Erst die Zunge, dann die Nase, dann die Lippen, nachher die Ohren, das eine Auge, die rechte Hand, das andere Auge, die linke Hand, die beiden Waden, die Muskeln am Arme - -" Waehrend er jeden einzelnen dieser Koerpertheile her nannte, deutete er mit dem Zeigefinger auf denjenigen Phansegar, welcher den betreffenden Schnitt ausfuehren sollte. Dann fuhr er, als jedes Glied und jede Muskel erwaehnt worden war, fort: "Aber, dass mir Keiner eine grosse Ader verletzt! Dieser Ingli muss leben, bis ich Euch mein Meisterstueck an ihm zeige: Ich werde ihm die Brust oeffnen, und er soll sein eigenes Herz pulsiren sehen, ehe er stirbt." Dem Gefangenen schwanden vor Entsetzen beinahe die Sinne. Er hatte dem Loewen und dem Tiger gegenueber nicht die mindeste Furcht gezeigt, hier aber war es etwas anderes. Es wirbelte ihm vor den Augen, es brandete ihm vor den Ohren, er machte eine Bewegung, um sich mit Gewalt von seinen Banden zu befreien - es half nichts. "Sei still, Fremdling!" grinste der Anfuehrer. "Ihr seid aus Inglistan gekommen, um von unserem Vaterlande ein Stueck nach dem andern abzuschneiden. Wir werden Vergeltung ueben. jetzt bist Du das Land Indien, von welchem wir mit unsern Messern * Bhowannie ist die Goettin der Nacht und des Todes. eine Provinz nach der andern abtrennen, und Du wirst nichts Anderes fuehlen und leiden, als was Indien gefuehlt und gelitten hat. Beginne, mein Sohn!" Der Phansegar, an welchen diese Worte gerichtet waren, zog sein Messer aus dem Shawl, welcher seine Hueften umwand. "Hilfe!" rief Alphons mit aller Kraft seiner Stimme. "Still!" gebot der Moerder, auf seinen Leib niederkniend. "Es kann Dir Niemand helfen, denn wir sind allein. Und selbst wenn Hunderte in der Naehe waeren, sie wuerden es nicht wagen uns zu stoeren. Gib mir Deine Zunge freiwillig heraus, sonst muss ich Dir den Mund mit dem Messer aufreissen!" Es war keine Hoffnung mehr. Alphons schloss die Augen. Ein einziges Wort nur wollte er noch sprechen; es draengte sich wie das inbruenstige Gebet eines Sterbenden ueber seine Lippen. "Rabbadah - - - !" Der Phansegar hatte bereits das Messer dem Munde des Opfers genaehert, fuehlte aber in diesem Augenblicke seinen Arm zurueckgehalten. "Halt!" gebot der Anfuehrer. "Warum?" frug ganz erstaunt der Andere. An diesem Erstaunen war wohl zu erkennen, dass der Anfuehrer noch niemals einen solchen Befehl gegeben hatte. "Frage nicht!" Nach dieser Abweisung wandte er sich zu den Andern: "Tretet zurueck, bis ich mit diesem Ingli gesprochen habe." Sie gehorchten augenblicklich seinem Gebote. Maletti fuehlte sein Herz mit aengstlicher Hoffnung belebt. "Wie ist Dein Name?" frug der Phansegar. "Alphons Maletti." "Du bist wirklich aus Frankhistan?" "Ja." "Du musst trotzdem sterben, wenn ich mich irre. Du sagtest jetzt ein Wort. Warum dieses?" "Rabbadah?" frug derGefangene. "Ja. Warum?" "Das kann ich Dir nicht sagen." Der Phansegar bohrte seine Augen tief in diejenigen seines Opfers. "Du kannst es nicht sagen? Und wenn Du wegen dieser Schweigsamkeit sterben musst?" "Auch dann nicht!" "Du bist fest und muthig. Doch ich weiss, warum Du es nicht sagen willst. Wo warst Du gestern um Mitternacht?" "Beim Rajah." "Wo?" "Im Garten." "Und dann?" "In meiner Wohnung." "Du luegst! Du warst noch an einem andern Orte." Alphons erstaunte. "Wo soll ich noch gewesen sein?" frug er. "Wo der Buelbuel seufzt und die Turteltaube girrt." Jetzt erschrak Maletti nicht um seinet-, sondern um Rhabbadahs willen. Dieser Mensch hatte sich im Garten befunden und gelauscht. "Wie meinst Du dies?" frug er mit verstellter Verwunderung. "Fuerchte nichts! Ich konnte Dein Angesicht nicht sehen und habe Dich heut also nicht erkannt. Aber als Du den Namen der Begum nanntest, ahnte ich, dass Du es seist. Du sollst dem Rajah Kanonen geben, um die Inglis zu vertreiben?" "Ja." "Und Du wirst ihm und der Begum treu dienen?" "Ja." "So bist Du frei. Aber Eins musst Du mir bei Deinen Goettern schwoeren." "Was?" "Dass Du weder dem Rajah und der Begum, noch einem andern Menschen erzaehlen willst, dass der Phansegar im Garten lauscht, um seinen Koenig zu beschuetzen." "Vielleicht beschwoere ich es, wenn Du mir sagst, warum Du, der Moerder, den Koenig und seine Schwester beschuetzen willst." "Ich werde Dir es sagen, denn ich habe gestern Abend vernommen, dass Du schweigen kannst." "Wo hast Du dies vernommen?" "Am Kiosk der Begum, in welchem der Rajah mit ihr sprach. Ich hoerte da, dass Du ihm das Leben gerettet und ihn mit Deinem Schweigen beschuetzt und behuetet hast. Ich bin unter die Phansegars gegangen, weil Tamu, der Minister, mir Alles nahm, was ich besass. Ich ging zum Koenige, dem Vater des jetzigen Rajah, und wurde nicht nur abgewiesen, sondern gepeitscht und in das Gefaengniss geworfen, wo ich gestorben waere, wenn ich nicht zu entkommen vermocht haette. Der Koenig starb, und am Tage, als der jetzige Rajah Koenig wurde, gab er meinem Sohn Alles wieder, was man mir genommen hatte. Darum beschuetze ich ihn, die Begum und Dich, denn Ihr werdet nie etwas thun, was dem Volke Schmerzen macht. Tamu aber muss sterben, muss sterben den langsamen Tod, den Du vorhin sterben solltest." "Er ist nicht mehr Minister." "Ich weiss es. Ich hoerte es, denn ich lag hinter Euch auf der Erde, als der Rajah mit Dir sprach." "Du hast gehoert, was gesprochen wurde?" "Ja. Ich und noch eine andere Person." "Wer?" "Die Begum." "Die Begum hat uns auch belauscht?" frug Alphons ueberrascht. "Ja. Sie sass neben mir, aber sie hat mich nicht gesehen." "Und dann - - warst Du noch da, als ich zurueckkehrte?" "Ich war da und habe jedes Wort vernommen. Doch fuerchte Dich nicht. Ich werde Dich nicht verrathen, sondern Dich beschuetzen." "Was thatest Du eigentlich in dem Garten?" "Die Inglis sind hier, und ich bin der Freund des Rajah. Soll ich Dir einen bessern Grund sagen?" "Nein. Ich vertraue Dir." "So schwoere, dass auch Du nicht von mir erzaehlen willst!" "Ich schwoere es." "Bei allen Deinen Goettern?" "Ich habe nur einen einzigen." "So bist Du ein sehr armer Mann. Bei ihm also schwoerst Du es?" "Bei ihm!" "So bist Du frei. Du hast schon von den Thugs gehoert?" "Ja." "Und fuerchtetest sie?" "Allerdings." "Sie sind nur ihren Feinden furchtbar, furchtbarer noch als die wilden Thiere der Dschungel; ihren Freunden aber sind sie wie die Sonne der Erde und wie der Thau dem Grase. Hier, nimm diesen Zahn, trage ihn auf der Brust und zeige ihn vor, wenn Du wieder einmal in die Haende der Brueder fallen solltest. Du wirst wie ein Freund entlassen werden." Maletti betrachtete das werthvolle Geschenk. Es war der Zahn eines jungen Krokodils. Er hing an einer einfachen Schnur, und seine Spitze war auf eine ganz eigenthuemliche Weise angeschliffen, welche jedenfalls dazu bestimmt war, als Erkennungszeichen zu dienen. "Ich danke Dir! Wirst Ju oefters in dem Garten des Rajah sein?" "Ich weiss es nicht. Warum?" "Ich koennte Dich vielleicht einmal sprechen wollen." "So gehe von der Stadt aus gerade nach Ost bis an den grossen Wald, den Du in sechs Stunden erreichen kannst. Es ist der Wald von Kolnah. Grade in der Mitte desselben befindet sich die Ruine eines Tempels. Nimm einen spitzen Stein oder Messer und zeichne auf die Mitte der untersten Tempelstufe einen Krokodilszahn, so werde ich kommen." "Wohnest Du dort?" "Ich wohne sehr oft dort. jetzt weisst Du viel. Du bist mein Bruder geworden. Schweigest Du, so werde ich Dich beschuetzen; sprichst Du aber, so musst Du sterben." "Ich werde schweigen!" "Ich glaube Dir. Komm. Ich werde Dich zur Stadt geleiten!" Sie durchschritten den Palmenwald und die Felder. An der Grenze der letzteren blieb der Phansegar stehen. "Hat Dein Vaterland auch Sterne?" frug er. "Es hat welche." "Sind sie so schoen und hell wie die unsrigen?" "Nein." "So kehre nie zurueck, und erlabe Dich vielmehr an den Wundernaechten dieses Landes. Hat Dein Land auch Frauen?" "Ja." "Sind sie so schoen wie die unsrigen?" "Ja." "Auch so schoen wie die Begum?" "Nein." "So kehre nicht zurueck in die Ferne, sondern bleibe hier, um den Stern, welcher Dir in der letzten Nacht aufgegangen ist, festzuhalten, damit er Dir nie wieder untergeht!" Mit diesen Worten gab er ihm die Hand und verschwand zwischen den Feldern. Alphons Maletti athmete tief auf, nicht allein wegen der Wendung, welche der Abschied von diesem Manne genommen hatte, sondern vor allen Dingen wegen der so unerwarteten und sonderbaren Rettung aus der fuerchterlichsten Todesgefahr, welche nur jemals einem Menschenkinde drohen kann. Er stand da, als sei er soeben aus einem wuesten Traume erwacht; aber er hatte ja die Ueberzeugung, dass es kein Traum, sondern Wirklichkeit gewesen war. Und wem hatte er sein Leben zu verdanken? jedenfalls dem Phansegar, eigentlich aber doch der Begum, denn nur der Name der Prinzessin hatte die Hand des Moerders von ihm zurueckgehalten. Er kam sich wie ein Neugeborener vor, als er durch die Stadt schritt, um das Schloss zu erreichen. Dort angekommen, vernahm er, dass der Rajah bereits nach ihm geschickt habe. Er begab sich sofort zu ihm und wurde im ersten Augenblicke mit herzlicher Freundlichkeit, dann aber mit lebhaftem Erstaunen empfangen. "Du warst fort, als ich Dich rufen liess?" "Ja, Sahib. Ich war vor die Stadt gegangen." "Du dachtest nicht, dass ich Dich rufen wuerde?" "Doch! Aber ich dachte nicht, dass ich so spaet zurueckkehren wuerde." "Du hast ein Abenteuer erlebt?" "Woher vermuthest Du dies, Sahib?" "Deine Kleider sind zerrissen." Erst jetzt gewahrte Maletti, dass sein Anzug allerdings betraechtlich gelitten hatte. Das gewaltsame Zerren durch das harte Buschwerk trug die Schuld daran. "Ja. Ich hatte ein Abenteuer." "Welches?" "Ich darf es nicht erzaehlen." "Auch mir nicht?" "Hm! Misstrauest Du mir wenn ich schweige, Sahib?" "Nein. Aber sage mir, ob Du vielleicht Dein Wort gegeben hast zu schweigen?" "Ja." "So werde ich Dich nicht weiter fragen. Ich sehe, dass man Dich angefallen hat, vielleicht weil man Dich fuer einen Englaender hielt. Ich kann leider die Schuldigen nicht bestrafen, weil Du sie mir nicht nennen willst." "Verzeihe Ihnen, Sahib, so wie ich ihnen verziehen habe. Unser Glaube sagt, dass man feurige Kohlen auf das Haupt des Feindes sammele, wenn man ihm vergibt." "So sagt Dein Glaube etwas sehr Gutes. Befolge ihn, wenn es Deine Ehre zulaesst. jetzt aber komme mit mir. Die Verhandlung mit den Englaendern wird beginnen, und ich muss Dir zuvor Kleider geben, die Du in Zukunft tragen sollst." Nach einer Viertelstunde sass Maletti mit dem Rajah in einem Zimmer, welches in seiner Mitte mit einem Teppiche belegt und an den Waenden mit Divans versehen war. Sonst aber befand sich nicht das geringste Moebel oder Geraeth in dem Raume, wenn man nicht einigen thoenernen Kuehlgefaessen diesen Namen geben wollte. Diese poroesen und aus Thon gebrannten Toepfe werden mit Wasser gefuellt, welches durch die Poren sehr leicht und schnell verdunstet und in Folge dessen eine angenehme Kuehle in dem Zimmer verbreitet. Damit nun diese Kuehlung nicht nur einem Raume zu Gute komme, sind oft die Zwischenwaende zweier Zimmer durchbrochen, so dass Nischen entstehen, in denen diese Gefaesse aufgestellt werden. Auch das Zimmer, in welchem sich der Rajah mit seinem neuen Minister befand, hatte zwei solche Nischen, und durch diese Oeffnungen hindurch konnte man jedes Wort hoeren, welches im Nebenzimmer gesprochen wurde. Dort sass Lord Haftley und der Rittmeister Mericourt, um mit dem Bevollmaechtigten des Rajah zu verhandeln. Der stolze Englaender hatte sich also doch herbeigelassen zu erscheinen, sah aber dieses Opfer nicht von Erfolg gekroent, denn die Zugestaendnisse, welche ihm gemacht wurden, geschahen nur unter derjenigen Bedingung, welche Madpur Sing gestern mit Maletti besprochen hatte. Der Lord war natuerlich innerlich entschlossen, keinesfalls auf diese Bedingung einzugehen, hielt aber mit dieser Meinung zurueck und gab vor, sich die Sache erst noch reiflich ueberlegen zu muessen. Er erhob sich und ertheilte dem Rittmeister mit der Hand ein Zeichen, zu sprechen. Dieser erhob sich ebenso und meinte, wie so nebenbei im Gehen: "Ah, da muss ich noch eine Frage aussprechen, die ich beinahe vergessen haette!" "Welche?" "Wo wohnt der Lieutenant Alphons Maletti?" Der Bevollmaechtigte des Rajah war von diesem bereits instruirt worden. "Bei meinem Herrn," antwortete er. "Ihr wisst dies ja." "Wir wissen es," meinte der Rittmeister. "Aber der Lieutenant ist mein Untergebener, und ich wuensche, dass er bei mir wohne." "Hat seine Lordschaft nicht die Erlaubniss ertheilt, dass der Lieutenant bei meinem Herrn, dem Rajah sein koenne?" "Er hat sie ertheilt, doch er sieht sich veranlasst sie wieder zurueckzuziehen." "Das wuerde meinen Herrn, der den Lieutenant ausserordentlich liebt und achtet, kraenken. Will seine Lordschaft meinen Herrn, den Maharajah Madpur Sing von Augh beleidigen?" "Er hat diese Absicht nicht." "Aber es wuerde eine Beleidigung sein, wenn der Lieutenant zurueckgefordert wuerde." "Der Maharajah wird mit dem Lieutenant gesprochen haben, was er mit ihm zu reden hat, und so kann er ihn also entlassen, ohne sich beleidigt zu fuehlen." "Der Maharajah hat,nicht allein mit ihm sprechen, sondern ihn bei sich haben wollen als einen Freund, dem er Gastfreundschaft erweisen will." "Aber der Lieutenant ist dieser Gastfreundschaft nicht wuerdig." "Warum?" "Er ist ein Verraether." "Gegen wen?" "Gegen seine Vorgesetzten." "Auch gegen den Rajah?" "Auch gegen ihn." "Wenn er Euch verrathen hat, so geht dies den Rajah ja gar nichts an, und wenn er den Rajah verraeth, so bitte ich Dich, es zu beweisen!" "Das habe ich nicht nothwendig!" "Das hast Du sehr nothwendig! Du bist ein Mann, und was ein Mann sagt, das muss er auch beweisen koennen. Erlaube mir, Deine Worte dem Lieutenant zu sagen." "Ich erlaube Dir es nicht!" "Aber meinem Herrn darf ich sie sagen?" "Ja. Er wird uns dann den Lieutenant sofort senden." "Nein, das wird er nicht thun." "Was sonst?" "Er wird Dich durch mich fragen lassen, inwiefern der Lieutenant ihn verrathen hat, und wenn Du ihm keine Antwort gibst, so wird er Dich fuer einen Verleumder, den Lieutenant aber fuer einen braven Mann halten, der stets die Wahrheit sagt. Thue, was Du willst." "Ich verlange, dass mir der Lieutenant ausgeliefert wird." "Du sagst, dass Du sein Vorgesetzter bist?" "Ja." "Er traegt eine andere Uniform wie Du. Du bist Rittmeister?" "Ja." "Ist er Lieutenant in Deiner Schwadron?" "Nein." "So bist Du ja auch nicht sein Vorgesetzter. Er ist Artillerist, waehrend Du ja Kavallerist bist!" "Ich bin Rittmeister und er ist Lieutenant; er steht unter mir und ich bin also sein Vorgesetzter." "Du hast einen hoehern Rang, und er muss Dir also das Honneur erweisen, aber zu befehlen hast Du ihm nichts. Ist es nicht so?" "Es ist nicht so. Seine Lordschaft hier befehligen die Division, bei welcher der Lieutenant steht. Haben seine Lordschaft ihm dann zu befehlen?" "Ja." "Nun wohlan! Seine Lordschaft befehlen, dass der Lieutenant ausgeliefert werde." "Ah, das ist nicht klar. Bisher hast nur Du befohlen; seine Lordschaft aber haben noch kein Wort gesagt." "Sie befehlen durch mich." "Davon weiss ich nichts. Ich muss erst die Vollmacht seiner Lordschaft sehen und hoeren." Jetzt beliebte es endlich dem Lord ein Wort zu sprechen: "Ich befehle es!" "Was?" "Den Lieutenant auszuliefern!" "Ausliefern koennte doch wohl nur der Maharajah; also wollen Eure Lordschaft meinem Herrn, dem Koenige von Augh einen Befehl ertheilen?" Haftley befand sich bei dieser Wendung in einiger Verlegenheit. "No!" antwortete er mit Nachdruck. Der Rittmeister ergriff wieder das Wort. "Seine Lordschaft befehlen dem Lieutenant zu mir zu kommen!" "Ist dies so?" frug der Bevollmaechtigte. "Yes!" antwortete der Lord. "Dagegen hat mein Herr nicht das mindeste. Seine Lordschaft moegen dem Lieutenant diesen Befehl erthellen." "Das ist nicht so. Seine Lordschaft ertheilen diesen Befehl hiermit?" "Yes, hiermit!" bekraeftigte Haftley. "Hiermit? Meinen Seine Lordschaft vielleicht, dass ich ein Diener von Euch bin, der diesen Befehl zu ueberbringen habe? Erst befehlt Ihr dem Maharajah, und jetzt befehlt Ihr mir!" "Wir befehlen wem wir wollen!" meinte der Rittmeister. "Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "So seht einmal zu, wie Eure Befehle erfuellt werden!" "Sie muessen erfuellt werden. Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" Mit diesem Kraftworte schritt der Lord dem Ausgange zu, und der Rittmeister folgte ihm in der Ueberzeugung, der Wuerde und Groesse Altenglands nicht das mindeste vergeben zu haben. Kurz nach dieser eigenthuemlichen Konferenz wurden die Hofthore des Palastes geoeffnet, und die maennlichen Bewohner stroemten herein, um dem Schauspiele des Thierkampfes beizuwohnen. Die unteren Plaetze waren sehr bald gefuellt, laenger jedoch dauerte es, ehe die andern besetzt wurden. Da endlich traten die hoeheren Beamten von Augh aus dem Palaste und schritten nach der einen Seitentribuene. Zu gleicher Zeit erschienen die Offiziere der englischen Gesandtschaft und nahmen in der gegenueberliegenden Platz. jetzt konnte man auch trotz der Gitter erkennen, dass sich die Frauenloge belebte, und nur wenige Augenblicke spaeter kam der Maharajah aus dem Palaste, um sich in die seinige zu begeben. Ein Jubelruf seiner anwesenden Unterthanen begruesste ihn. Er dankte durch ein freundliches Nicken seines Kopfes, ging ueber die Arena und stieg die Logentreppe empor. Fast noch mehr als auf ihm, ruhten Aller Augen auf dem Manne, der an seiner Linken schritt. Er bildete die einzige Begleitung des Koenigs, trug die kleidsame Tracht der Krieger von Augh und - mit dieser gar nicht harmonirend, einen englischen Stossdegen an seiner Linken. Es war der Lieutenant Alphons Maletti, welchem die noch nie dagewesene Ehre zu Theil wurde, sich ganz allein an der Seite des Maharajah zu befinden. "Alle Teufel," meinte der Rittmeister, welcher neben dem Lord sass, zu diesem letzteren. "Ist das nicht der Maletti?" "Yes!" "In Augh'scher Uniform?" "Yes!" "Also Ueberlaeufer?" "Yes!" Lieutenant Harry wagte eine Bemerkung. "Belieben der Herr Rittmeister zu sehen, dass er seinen Degen traegt! Kann da von Desertion die Rede sein?" Der Rittmeister nickte nachdenklich. "Ein ebenso ausserordentlicher wie zweifelhafter Fall! Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Und ganz allein mit dem Rajah! Es ist das eine ganz sicher noch niemals dagewesene Auszeichnung!" "Yes!" "Er wird sich darueber zu verantworten haben." "Yes!" "Ich meine, dass es uns zusteht, ihn gleich jetzt von seinem Sitze - - Ah!" Er unterbrach seine Rede mit diesem Ausrufe, dem alle Andern beistimmten. Von einigen auf dem Kaefige sitzenden Eingeborenen waren naemlich die Matten von der einen Thuer entfernt und diese letztere geoeffnet worden. Mit einem einzigen Satze sprang ein riesiger schwarzer Panther bis auf die Mitte der Arena, sah sich im Kreise um, stiess ein zorniges Bruellen aus und legte sich dann in den Sand nieder. "Ein praechtiges Thier, Exzellenz! Nicht?" "Yes!" "Ich glaube kaum, dass ihm ein Himalayabaer Stand halten wird. Dazu gehoerte sehon mehr ein grauer Baer, ein Grizzly aus den amerikanischen Felsengebirgen. Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" Jetzt wurden die Matten von der zweiten Thuer beseitigt. Sie oeffnete sich, und man erblickte einen Baeren, welcher ruhig liegen blieb und nicht die mindeste Anstalt machte, seinen Aufenthalt zu veraendern. Man stiess von oben mit Bambusstangen nach ihm; er schien es gar nicht zu fuehlen. Man brannte einige Feuerwerkskoerper auf ihn ab; er kam in einige Bewegung: er waelzte sich, um die auf seinem Pelze haftenden Funken zu ersticken. "Ein fauler feiger Kerl!" bemerkte der Rittmeister. "Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Er wird sich von dem Panther skalpiren lassen, ohne nur an eine reelle Gegenwehr zu denken." "Yes!" Jetzt griffen die auf dem Kaefige befindlichen Maenner zu dem sichersten Mittel: Sie gossen ein Gefaess mit Reisbranntwein ueber den Baeren aus und warfen dann einige "Froesche" herab. Sobald diese letzteren ihre Funken auf ihn spruehten, gerieth der Pelz in Brand, und der Baer trollte sich im Trabe und brummend aus dem Kaefige heraus, welcher sich sofort hinter ihm schloss. Das Thier war ebenso wie der Panther von ungewoehnlicher Groesse und erstickte das Feuer, indem es sich im Sande waelzte. "Endlich haben wir ihn!" jubelte der Rittmeister. "Jetzt wird es ihm schlecht ergehen, nicht wahr, Mylord?" "Yes! Wetten!" Haftley war ein Englaender. Es waere fuer ihn eine Schande gewesen, eine so guenstige Gelegenheit zu einem Einsatze ungenuetzt voruebergehen zu lassen. Der Rittmeister zog sich scheu zurueck; Lieutenant Harry aber erhob sich. "Erlauben Exzellenz?" "Yes!" "Wie viel? Vielleicht hundert Pfund?" "Yes!" "Auf wen? Auf den Panther?" "Yes!" "So erlaube ich mir, auf den Baeren zu setzen. Angenommen, Exzellenz?" "Yes!" Harry setzte sich wieder und zwar mit einer Miene, in welcher die Erwartung des Sieges deutlich zu lesen war. Er schien auf den Baeren mehr Vertrauen zu setzen als auf den Panther. Dieser letztere hatte seinen Gegner wohl bemerkt, mit seinem Angriffe aber wegen des Feuers noch gezoegert. Als dieses geloescht war, erhob er sich und schlich in katzenhaft geduckter Haltung einige Male um den Baeren herum. Dieser zog eine halb erstaunte halb dumme Physiognomie, erhob sich auf die Hinterfuesse und focht mit den Vordertatzen behaglich in der Luft herum. Da ploetzlich that der Panther einen Seitensprung auf ihn zu - Alles war gespannt - ein Ah der Ueberraschung ging durch die ganze Versammlung: Der Baer war schlauer als sein Gegner gewesen; er hatte sich nur dumm und unbesorgt gestellt. In dem Augenblicke, als der Panther auf ihn einsprang, liess er sich zur Erde fallen; dadurch gerieth der Sprung zu hoch, und indem die gewandte Katze ueber ihn hinwegflog, that er mit seiner Tatze einen gedankenschnellen Griff - ein heisseres entsetzliches Bruellen erscholl, ein tiefes befriedigtes Brummen mischte sich darein: der Baer hatte dem Panther den Leib aufgerissen, so dass der Verwundete die Gedaerme nach der Ecke schleppte, in welche er sich schleunigst retirirte. "Alle Teufel, das konnte man nicht erwarten!" rief der Rittmeister. "Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Das geschah nur ganz aus Zufall von diesem Toelpel von Baeren. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Aber noch ist es nicht aus. Der Panther leckt sich und bringt seine Plessur in Ordnung. Er wird den Angriff wiederholen und dann unbedingt siegen!" "Yes!" Es war wirklich so, wie der Rittmeister sagte. Der Panther erhob sich bereits nach kurzer Zeit und naeherte sich schnaubend und pustend dem Baeren. Dieser oeffnete den blutrothen Rachen, drehte die kleinen Augen im Kopfe herum und retirirte sich vorsichtig gegen die Wand der Arena. Er wollte sich jedenfalls rueckenfrei machen. "Er reisst aus!" jubelte der Rittmeister. "Exzellenz werden Ihre Wette unbedingt gewinnen!" "Yes!" Lieutenant Harry hoerte dies. "Es stehen hundert Pfund, Exzellenz?" "Yes!" "Sagen wir zweihundert?" "Yes!" "Exzellenz auf den Panther und ich auf den Baeren?" "Yes, yes!" "Mylord muessen gewinnen!" versicherte der Rittmeister. In diesem Augenblicke schnellte sich der Panther trotz seiner Wunde auf den Baeren. Dieser lehnte mit dem Ruecken an der Wand und empfing den Feind mit offenen Pranken. Es erfolgte nun ein hoechst interessantes Schauspiel. Die beiden maechtigen Thiere hielten sich mit den Tatzen und Zaehnen gepackt; sie fielen zur Erde und waelzten sich in dem Sande umher, dass der Staub eine dichte Wolke bildete. Das Fell des Panthers bildete fuer den Baeren eine angreifbarere Flaeche als der Zottelpelz des letzteren, welcher vortheilhafter Weise seine hintere Pranke in die Bauchwunde des Feindes gebracht hatte und nun in den Eingeweiden desselben wuehlte. Der Panther stiess ein schreckliches und ununterbrochenes Bruellen aus, waehrend man von dem Baeren nicht einen einzigen Laut, nicht das geringste Brummen vernahm. Da kruemmte sich der Panther zusammen, ein weithin bruellender entsetzlicher Schrei erscholl; ein dumpfes, gurgelndes, wimmerndes Roecheln folgte, dann trat eine Stille ein, die nur durch das knirschende Knacken und Krachen von Knochen unterbrochen wurde: der Baer hatte den Schaedel seines besiegten Gegners zermalmt, um das Hirn desselben zu verzehren. Laute Zurufe belohnten den Sieger fuer seine Tapferkeit. Man hatte ihm im Vorherein den Sieg nicht zugesprochen. Er kuemmerte sich nicht um den Applaus, sondern zog sich, nachdem er das Gehirn verzehrt hatte, in die neben dem Kaefige befindliche Ecke zurueck. "Schauderhaft!" bemerkte der Rittmeister. "So etwas konnte kein Mensch vermuthen. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Die Wette ist zum Teufel!" "Yes!" "Zweihundert Pfund." "Yes!" "Pah! Es wird sich Gelegenheit finden sie zurueck zu gewinnen. Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" Waehrend der eingetretenen Pause gab es in der vergitterten Loge ein leises Gespraech. Es waren nur zwei Frauen zugegen: die Frau und die Schwester des Maharajah, welcher sein Weib so liebte, dass er keine zweite Frau an ihre Seite setzen wollte, sondern es nur liebte, einige Sklavinnen bewundern zu duerfen. Die Koenigin von Augh war eine zart gebaute Indierin von ausserordentlich sanften Gesichtszuegen, die nur von Guete und Milde sprachen. "Wie gefaellt er Dir?" frug sie. "Wer?" klang es ganz erstaunt. "Nun, wer anders als dieser Franke?" "Der Lord da drueben?" "Oh! Der Frankhi bei Deinem Bruder!" "Dieser?" "Ja. Nun?" "Was?" "Wie er Dir gefaellt?" "Ja, duerfte er mir denn gefallen?" "Warum nicht? Darf Dir nicht eine Blume, ein Thier, ein Haus, eine Gegend gefallen?" "Also auch ein Mensch?" "Natuerlich. Also sage es!" "Als ein Mensch gefaellt er mir." Die Koenigin zuckte mit der zarten, in kostbaren durchsichtigen Mousselin gehuellten Schulter. "Weiter nicht?" "Warum weiter?" "Rabbadah! Willst Du mich kraenken?" Bei diesen Worten kam Leben in die bisher kalten Zuege der Begum. Sie legte die Arme um die Schwaegerin, zog sie an sich und kuesste sie innig. "Er ist so schoen, so stolz, so treu," fluesterte sie ihr leise in das Ohr. "Aber vergiss nicht, dass sich ueber uns die Punkah* bewegt und also die Diener nicht weit von uns sind!" *Ein breiter, an die Decke befestigter Faecher, welcher mittelst einer Schnur bewegt wird, um Kuehlung zu faecheln. "Du liebst ihn?" frug die Koenigin ebenso leise. "Ich liebe ihn." "Arme Rabbadah!" "Warum arm?" "Er ist kein Maharajah!" "Aber er ist wie ein Maharajah und soll Augh von seinen Feinden retten." "Moechtest Du sein Weib werden?" "Ich liebe ihn um meines Bruders und um seinetwillen; aber sein Weib - -? Ich habe ihn noch nicht geprueft." "Wie wolltest Du ihn pruefen?" Die Begum laechelte ein wenig versteckt. "Weiss ich es, wie man dies zu machen haette?" "Nein, denn Du bist noch ein Maedchen; aber ich werde Dir helfen!" "Thue es!" Diese Bitte klang beinahe ein Bischen nach Ironie, doch die Koenigin bemerkte dies nicht. Sie antwortete in wohlwollendem Eifer: "Ich werde es thun, doch erlaube mir, zuvor sehr reiflich darueber nachzudenken." "Denke nach! Du wirst sicher das Beste entdecken!" Jetzt oeffnete sich das vom Hofe aus nach der Strasse fuehrende Aussenthor, und unter der Loge des Maharajah weg wurde ein maennlicher Elephant hereingefuehrt. Er war bestimmt gewesen, mit dem Panther zu kaempfen, von welchem man angenommen hatte, dass er den Baeren besiegen werde. "Wie gefaellt Dir der neue Held?" frug der Rajah seinen Nachbar. "Ein praechtiges Thier!" antwortete Maletti. "Aber es waere besser, wenn es eine Heldin waere." "Warum?" "Sind nicht die weiblichen Elephanten gewoehnlich tapferer als die maennlichen?" "Ja. Aber dieser ist dennoch mein bester Jagdelephant." "Auf Tiger?" "Auf Tiger, Panther und Leoparden." "Hat er bereits mit einem Baeren gekaempft?" "Nein." "Dann ist der Ausgang zweifelhaft." "Warum?" "Weil er die Art und Weise des Baeren noch nicht kennt. Man muss den Gegner vollstaendig kennen, um ihn besiegen zu koennen. Das gilt nicht nur bei den Menschen, sondern auch im Reiche der Thiere." "O, dieses Thier ist nicht nur tapfer, sondern auch klug und vorsichtig!" "Der Baer ebenfalls, wie er ja bereits zur Genuege bewiesen hat!" "Ein Elephant, ah!" meinte drueben der Rittmeister. "Ein praechtiger Kerl, nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Gegen diesen kann der Baer unmoeglich aufkommen. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Der Baer ist zu langsam und unbeholfen und von seinem vorigen Feinde bereits zu sehr geschwaecht. Er wird besiegt." "Yes! Wetten!" Wieder hatte nur der Lieutenant Harry den Muth, auf diese Aufforderung einzugehen. "Hundert Pfund, Mylord?" "Yes!" "Oder vielleicht zweihundert, um Excellenz Gelegenheit zu geben, quitt zu werden?" "Yes!" "Mylord auf den Elephanten und ich auf den Baeren?" "Yes, yes!" Der Elephant hatte keinen Kornak* auf seinem Nacken sitzen, und war sich also selbst ueberlassen, was bei einer solchen Gelegenheit wohl auch das Beste war. Er erblickte den Baeren, stiess einen herausfordernden Trompetenruf aus und warf mit seinen Stosszaehnen den Sand empor. "Ah, er beginnt!" meinte der Rittmeister. "Der Baer ist auf jeden Fall verloren!" "Yes!" Der Elephant ist nur durch ein Raubthier zu besiegen, welches ihn im Sprunge zu nehmen vermag. Der Baer aber kann nicht springen." "Yes!" "Exzellenz gewinnen die Zweihundert zurueck!" "Yes!" Da liess sich der unternehmende Lieutenant vernehmen: "Wollen wir dreihundert sagen, Mylord?" "Yes!" "Excellenz noch immer den Elephanten und ich den Baeren?" "Yes, yes!" Diese Zustimmung klang so zuversichtlich, dass der Lord das allergroesste Vertrauen auf den Elephanten haben musste. Dieser schritt langsam und vorsichtig auf den Baeren zu. Meister Petz schien keine rechte Lust an diesem zweiten Kampfe zu haben; er trollte im Trabe rund in der Arena herum, und dabei zeigte es sich, dass er auf dem Ruecken und der rechten Flanke je eine nicht unbedeutende Wunde erhalten hatte. Der Elephant behielt ihn scharf im Auge. Jetzt ploetzlich blieb der Baer stehen; er hatte auch noch nie mit einem solchen Gegner gekaempft und seinen Rundgang nur deshalb unternommen, um ihn von allen Seiten gehoerig betrachten und kennen zu lernen. Bei einem menschlichen Kaempfer haette man diese Thaetigkeit rekognosciren genannt. jetzt nun war er mit seiner Beobachtung fertig und mit seinem Plane im Reinen. Er hatte beschlossen, die vorige Taktik nur theilweise zu wiederholen. Er richtete sich auf die hintern Pranken empor. Der Elephant erkannte dies als eine Herausforderung und stuermte auf ihn zu. Den Ruessel, welcher leicht verletzt werden konnte, hielt er hoch empor, waehrend er die Stosszaehne senkte, um den Feind sofort aufzuspiessen. Kaum aber waren diese gefaehrlichen Waffen noch einen Fuss von dem Leibe des Baeren entfernt, so warf sich dieser, ganz wie vorhin zur Erde nieder, so dass der Elephant ueber ihn hinwegstuermte, und ehe dieser im Laufe innehalten und sich wenden konnte, hatte der Baer bereits das eine hintere Bein des Kolosses erfasst, schlug seine Krallen in das Fleisch und begann, an dem Beine emporzuklettern. Der Elephant stiess einen Schrei des Schmerzes aus und rannte stoehnend und vor Wut trompetend in der Arena umher. Durch diese Bewegung wollte er den Feind, den er mit dem Ruessel nicht zu erreichen vermochte, von sich abschleudern. Es gelang ihm nicht. Die Krallen des Baeren waren zu lang und scharf, sie fanden in dem Fleischklumpen einen zu festen sichern Anhalt. Da kam das schmerzerfuellte Thier auf einen Gedanken, der ihm Rettung bringen konnte. Der Baer hatte mit seinen Vorderfuessen bereits den hintern Theil des Rueckens erreicht, und es war also die hoechste Zeit, sich seiner zu entledigen. Der Elephant trat von hinten an die Bruestung der Arena und versuchte, den Gegner durch einen Druck gegen dieselbe zu zerquetschen. Dieser Druck war ein gewaltiger; der ganze Bau erzitterte; die Holzsaeulen, welche die vergitterte Frauenloge trugen, gaben nach - ein einziger Schrei des Entsetzens ertoente aus vielen hundert Kehlen - die Loge mit den beiden Frauen senkte sich herab und brach dann zusammen. Die Absicht des Elephanten war erreicht, er hatte den Gegner abgestreift, war aber dabei so verwundet und zerfleischt worden, dass er wie rasend und von Sinnen in der Arena herumstuennte. Der Baer hatte jedenfalls bedeutende Quetschungen erlitten, stand aber wohlgemuth auf allen Vieren und betrachtete sich gemaechlich die Truemmer der Tribuene, unter denen die beiden Damen fast begraben lagen. Ein vielstimmiger Schrei des Entsetzens war ausgestossen worden, Alle aber, ausser Zweien, sassen wie gelaehmt vor Schreck. Diese Beiden war [sic!] der Maharajah und Alphons Maletti. Sie stuermten die zu ihrer Loge fuehrenden Stufen herab auf die Arena. Der wuethende Elephant bemerkte sie zuerst und wandte sich mit feindseligen Toenen gegen sie. Er erhob den Ruessel zum toedtlichen Schlage gegen den Rajah; dieser that einen Sprung zur Seite, der ihn rettete, und musste dann zurueckweichen. Maletti war es gelungen, an dem Thiere vorueberzukommen. "Toedte ihn," rief der Maharajah, "und das Koenigreich ist Dein!" Man wagte kaum Athein zu holen, und es herrschte eine Stille, welche das allergeringste Geraeusch vernehmen liess. Hinter sich den aufgebrachten Elephanten und vor sich den unbesieglichen Baeren, eilte Maletti, nur mit seinem Degen bewaffnet, auf diesen letzteren zu. Er zog sich dabei den Turban vom Kopfe, riss den feinen Kaschmirshawl von der Kopfbedeckung los, wickelte sich denselben um den Arm und zog mit der Rechten den Degen. Der Baer richtete sich zu seinem Empfange in die Hoehe, oeffnete den Rachen und breitete, als die Degenspitze bereits seine Brust ruehrte, die Vorderpranken zur toedtlichen Umarmung aus. In dem *Treiber oder Fuehrer. gleichen Augenblicke stiess ihm der verwegene Lieutenant den Stahl in das Herz und den durch den Kaschmir geschuetzten Arm in den Schlund; dann stuerzten Beide nieder und waelzten sich fuer einige Augenblicke im Sande. Der Elephant hatte den einen Mann zurueckgetrieben und kam jetzt herbei, den andern zu suchen; er fand ihn, sich muehsam aus der Umschlingung des todten Baeren windend; schon wollte er ihn mit dem Ruessel niederschmettern, da brachte ihn der Anblick des Baeren zur Besinnung. Der drohende Ruessel senkte sich langsam nieder, um den Baeren zu untersuchen, und da er ihn todt, mit dem Degen im Leibe fand, erkannte das von der Natur mit so viel Klugheit begabte Thier, dass dieser Mensch ja sein Freund, vielleicht gar sein Retter sei. Es stiess einen triumphirenden Schrei aus, fasste den Lieutenant sanft mit dem Ruessel, hob ihn auf den Ruecken empor, spiesste den Baeren an die gewaltigen Zaehne und trug so beide, den Sieger und den Besiegten, einige Male in der Arena herum. Ein lauter jubel erschallte von den Zuschauersitzen, und allen Anderen voran eilte nun der Maharajah zu den beiden Frauen, die er gluecklicher Weise unversehrt, aber ausserordentlich erschrocken und beaengstigt fand. Er liess sie durch die herbeikommenden Dienerinnen nach ihren Gemaechern bringen und naeherte sich dann dem Elephanten, der jetzt in ihm seinen Herrn erkannte und sich von ihm liebkosen liess. "Du bist verwundet?" frug er Maletti. "An der linken Schulter, antwortete dieser laechelnd von oben herab, und ein wenig strapaziert in den Rippen, was aber nichts zu bedeuten hat, wenn man bedenkt, aus welcher Umarmung ich komme." "Verdammter Zufall!" meinte der Rittmeister drueben auf der Tribuene. "Konnten wir nicht unten sein? Wir haetten noch viel weniger Umstaende mit diesem Baeren gemacht. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Aber wer hat nun die Wette gewonnen? Wer war der Sieger von den beiden Thieren? Der Baer?" "Yes!" "Oder der Elephant?" "Yes!" "Oder keiner von Beiden?" "Yes!" "Lieutenant Harry, was meinen Sie?" "Bis zu der Katastrophe war der Baer entschieden im Vortheile, ich meine also nicht egoistisch zu sein, wenn ich annehme, dass die Sache unentschieden geblieben und die Wette also zu anulliren ist. Was sagen Mylord dazu?" "Yes!" "So handelt es sich also nur um die ersten Zweihundert!" "Yes!" Der Rittmeister unterbrach diese geschaeftlichen Interjektionen. "Der Lieutenant Maletti steigt ab. Er blutet an der Schulter und geht verteufelt krumm. Das Embrassement wird ihm wohl nicht ganz bekommen sein. Aber man wird ihn trotzdem im Triumph nach dem Palaste fuehren, ihn den Ueberlaeufer, der eigentlich unser Gefangener ist. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Wollen wir gegen diesen Triumphzug unser Veto einlegen?" "Yes!" "So gehen wir hinab in die Arena und benutzen die Gelegenheit, uns unseres Gefangenen zu bemaechtigen!" "Yes!" "Wer wird das Wort fuehren, Mylord? Ich?" "Yes!" "So wollen wir aufbrechen!" "Yes!" Waehrend Alles dem Helden zujubelte, machten sich diese Beiden auf, ihn gefangen zu nehmen. Zu Ehren der andern Offiziere jedoch musste es gesagt sein, dass sie sich ihnen nicht anschlossen. Unten angekommen, trat Mericourt auf Maletti zu. "Herr Lieutenant, ich ersuche Sie mir zu folgen!" "Wohin?" "Zunaechst nach der Wohnung Seiner Exzellenz." "Und dann?" "Das wird sich finden!" "Der Ausdruck "das wird sich finden" ist bei einem braven Offiziere eine Unmoeglichkeit, Herr Rittmeister, wie Sie sicher zugeben werden." "Wie so?" "Ein guter Taktiker und Stratege darf nur mit bekannten, nie aber mit unbekannten Groessen rechnen. Ich bin Artillerist und werde meine Distanzen stets gut berechnen, nicht aber zu jeder Kugel sagen: fliege fort, und ob Du etwas triffst, das wird sich finden. Erklaeren Sie sich also offen ueber die Absicht, mit welcher Sie mich einladen mit Ihnen zu gehen." "Besitzen Sie so wenig Scharfsinn, dass Sie nicht einsehen, dass ich Sie arretiren will?" "Arretiren? Sie? Mich?" "Ja!" "Dazu sind Sie der Mann doch nicht. Es ist Ihnen bereits wiederholt erklaert worden, dass ich Ihnen keine Subordination zu leisten habe. Wollen Sie sich das nun endlich einmal merken!" "Maessigen Sie Ihren Ton, Herr Lieutenant, sonst - -" "Sonst - -! Was denn?" "Sonst werde ich Ihnen zeigen, wie man mit mir zu sprechen hat! Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Und wie man sich zu Verraethern und Ueberlaeufern verhalten wird! Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" Alphons laechelte, aber hinter diesem Laecheln lauerte der Sturm. "Dann werden Sie mir wohl auch mit zeigen, wie man sich einem ehrlosen Verleumder gegenueber verhaelt?" "Wie meinen Sie das?" "Sie haben heute behauptet, dass ich den Maharajah verrathe." "Nun? weiter!" "Ich ersuche Sie, die Wahrheit dieser Behauptung zu beweisen!" "Ihnen gegenueber bedarf es weiter keines Beweises. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Ach so! Dann entbinde ich Sie davon, mir zu zeigen, wie man mit Ihnen zu sprechen hat, denn ich kenne diese Art und Weise ganz genau. Man spricht mit Ihnen naemlich gerade so, wie mit jedem andern gemeinen Schurken, naemlich so!" Er holte aus und schlug dem Rittmeister die geballte Faust mit solcher Wucht in das Gesicht, dass dieser zuruecktaumelte. Dann fuegte er, sich an den Lord wendend, hinzu: "Nicht wahr, Exzellenz?" Es erfolgte keine Antwort. "Warum bleiben Sie denn gerade dieses Mal mit Ihrem beruehmten Yes zurueck? "Mensch!" bruellte der Rittmeister. "Was hast Du gewagt!" "Nichts! Einen Feigling zu brandmarken ist kein Wagniss." "Ich werde Dir zeigen, dass es sehr wohl ein Wagniss ist!" Der Rittmeister schaeumte. Er zog blank. "Ah, endlich habe ich diesen Menschen einmal bis vor die Klinge!" Mit diesen Worten riss Maletti dem nebenan liegenden Baeren den Degen aus dem Leibe und wandte sich damit seinem Gegner zu. Dieser machte ein eigenthuemliches Gesicht. "Nicht wahr, Mylord, der Lieutenant Maletti ist ein Verraether?" "Yes!" "Und mit einem Verraether darf sich kein braver Offizier und Edelmann schlagen?" "Yes!" "Ich wuerde meinen Degen entweihen durch seine Beruehrung mit diesem Menschen?" "Yes!" "So arretiren wir ihn, Exzellenz!" "Yes!" "Sie haben es gehoert. Folgen Sie uns!" "Feige Buben, Einer wie der Andere! Rittmeister, Mylord, ich sage Ihnen: Wenn Sie in anderthalb Minuten noch in meiner Naehe stehen, werde ich es Ihnen machen, wie ich es mit dem Baeren gethan habe, mein Ehrenwort darauf." Er zog die Uhr aus der Tasche. "Mylord, er ist rasend!" meinte der Rittmeister. "Yes!" "Arretiren wir ihn ein anderes Mal!" "Yes!" Sie wandten sich und schritten ihrer Wohnung zu. "Was sagst Du zu diesen Leuten, Sahib?" frug Maletti den Maharajah. "Wenn sie nicht Gesandte Englands waeren," antwortete dieser, so wuerde ich sie aus meinem Lande peitschen lassen. Komm aber herauf! Dein Angesicht wird bleich. Das Blut rinnt Dir aus der Schulter, und Dein Leben kann mit ihm entrinnen." Sie begaben sich in das Palais. Alphons biss die Zaehne zusammen, erst jetzt fuehlte er die Schwaeche, welche eine Folge des Blutverlustes war, und die Schmerzen seiner Brust, welche unter der gewaltigen Umarmung des Baeren jedenfalls sehr schwer gelitten hatte. Als er mit dem Rajah, der nicht an seine Frauen dachte, sondern erst seinen treuen Diener in Sicherheit wissen wollte, in sein Gemach trat, fiel er ohnmaechtig auf den Divan nieder. Sofort liess der Koenig seinen Arzt rufen. Dieser untersuchte den Verletzten auf das Sorgfaeltigste. "Nun?" "Er wird nicht heut und auch morgen nicht erwachen." "Er stirbt?" "Nein. Es sind ihm zwei Rippen eingedrueckt, und er hat viel Blut verloren, aber er wird bald wieder gesund werden." "Pflege sein, als ob ich es selber waere!" Kaum hatte Madpur Singh seinem Weibe und seiner Schwester einen Besuch abgestattet und sich ueberzeugt, dass sie keinen Schaden gelitten hatten, so wurde ihm der Lord und der Rittmeister gemeldet. Unter den gegebenen Umstaenden entschloss er sich sie selbst zu empfangen. "Was willst Du?" frug er den General mit einer Miene, welche nichts weniger als freundlich genannt werden konnte. "Unsern Gefangenen," antwortete der Rittmeister an Stelle seines Vorgesetzten. "Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Welchen Gefangenen?" "Den Lieutenant Alphons Maletti." "Weshalb ist er Euer Gefangener?" "Er ist ein Verraether. Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Welchen Verrath hat er begangen?" Der Rittmeister schwieg und blickte den General fragend an. Das Gesicht desselben sagte sehr deutlich, dass er diese Frage nicht beantworten moege. "Den Verrath gegen seine Pflicht," antwortete daher endlich Mericourt. "Dein Wort sagt mir nichts. Erzaehle mir, was der Lieutenant gethan hat!" "Das ist eine Dienstsache, die ich nicht mittheilen darf." "Du brauchst sie nicht mitzutheilen, denn ich kenne sie bereits. Ihr nennt den Lieutenant einen Verraether, weil er mich nicht verrathen hat. Habe ich recht gesagt?" Beide schwiegen. "Ihr seid die Gesandten einer grossen und beruehmten Nation, aber Ihr macht auch grosse und beruehmte Fehler." "Sage sie uns!" meinte der Rittmeister. "Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Ihr kommt, um einen Vertrag mit mir abzuschliessen. Ist dies wirklich Eure ehrliche und alleinige Absicht, so muesst Ihr Euch hueten mich zu beleidigen. Ihr beleidigt mich jedoch mit allem Wissen und Willen, und so muss ich erkennen, dass Euch andere Absichten, welche feindlich sind, zu mir hergefuehrt haben." "Inwiefern beleidigen wir Dich?" "Ihr wollt einem Manne, den ich liebe, seine Freundschaft zu mir entgelten lassen. Ihr wollt mich zwingen, die Gastfreundschaft zu verletzen, die uns heiliger ist als Euch. Ist das nicht eine grosse Beleidigung?" "Wir thun unsere Pflicht. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Eure Pflicht war einen Vertrag mit mir abzuschliessen, und indem Ihr mich beleidigt, handelt Ihr gegen diese Pflicht. Ihr habt erfahren, dass der Lieutenant Maletti mein Freund ist, den ich wie einen Bruder achte. Ihr haettet klug sein und ihm die Verhandlung mit mir anvertrauen sollen, dann waere Eure Aufgabe sehr leicht zu erfuellen gewesen." "Wir werden sie dennoch loesen. Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Auf solche Weise nicht!" "Und gerade auf solche Weise! Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "So versucht es!" "Ich habe Dich zu fragen, ob Du dem Volke der Englaender dein Land oeffnen willst." "Ich will es oeffnen, wenn die saemmtlichen Maechte von Europa mir den Besitz dieses Landes garantiren." "Eine solche Garantie zu erlangen ist unmoeglich." "Es ist moeglich." "Bleibst Du bei dieser Forderung?" "Ich bleibe dabei." "So ist unser Geschaeft hier zu Ende und wir werden noch heute Augh verlassen. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Eure Reise sei gluecklich!" "Wir duerfen keinen unserer Leute hier zuruecklassen. Gib uns den Lieutenant heraus." "Er kann nicht mit Euch gehen, denn er liegt todtkrank darnieder." "Lass ihn uns sehen!" Die Augen des Herrschers blitzten zornig auf und seine Hand fuhr nach dem Griffe seines Dolches. "Was wagt Ihr! Wollt Ihr mich zum Luegner erklaeren?" "Wir wollen Dich nicht beleidigen, aber wir muessen den Lieutenant sehen. Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "So kommt!" In stolzer Haltung und ohne sich nach ihnen umzusehen, schritt er ihnen voran aus dem Zimmer und nach der Wohnung Malettis. Dort angekommen fanden sie den Verletzten ohne Besinnung noch in den Haenden des Arztes, welcher bemueht war, die von der Tatze des Baeren zerrissene Schulter zu verbinden. "Hier ist er. Seht ihn Euch an!" "Wir sehen ihn! Wir muessen ihn mitnehmen, todt oder lebendig. Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Er ist mein Gast und sein Leben liegt auf meiner Seele. Ich muss ihn bei mir behalten." "Bedenke, dass es gegen das Voelkerrecht ist, uns einen Verraether vorzuenthalten! Nicht wahr, Exzellenz?" "Yes!" "Bedenkt hingegen Ihr, dass das erste Voelkerrecht das Gastrecht ist! Ich verletze dieses Voelkerrecht indem ich ihn Euch ausliefere. Bei mir wird er genesen, bei Euch aber muesste er unterwegs sterben." "Ist das Dein letztes Wort?" "Mein letztes!" "So muessen wir Dich beklagen, dass Du nicht erkennen willst was zu Deinem Besten dient! Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Und ich beklage Eure Nation, weil sie keine Maenner zu haben scheint, welche sich zu einer friedlichen Gesandtschaft nach Augh geeignet haetten!" "Du willst uns beleidigen?" "Nein. Ich kann keine Nation beleidigen, die ich beklage." "Wir gehen. Es waere gut fuer Dich gewesen, wenn Du unsere Vorschlaege angenommen haettest! Nicht wahr, Mylord?" "Yes!" "Geht! Euer Gott lenke Eure Pfade zum Frieden." Sie verliessen das Zimmer und noch an demselben Tage mit ihrer ganzen Begleitung die Hauptstadt. Maletti blieb zurueck. Als dieser zum ersten Male erwachte, war es Nacht. Er schien sich allein im Zimmer zu befinden. Die Vorhaenge seines Bettes waren zugezogen und durch sie fiel der Schein einer Lampe auf sein Lager. Er musste sich erst besinnen, was mit ihm geschehen war. Ein heftiger Schmerz auf der Brust und der Schulter half ihm sich zu orientiren. Da bewegte sich ein Schatten zwischen ihm und dem Lichte hindurch. Der Vorhang theilte sich, ein kleines weisses Haendchen erschien und dann ein Angesicht, dessen Schoenheit ihn blendete, so dass er die mueden Lider auf die Augen sinken liess. Sie hatte nicht bemerkt, dass seine Augen geoeffnet gewesen waren; sie hielt ihn noch fuer besinnungslos und floesste ihm einen staerkenden Trank ein. Dann trocknete sie ihm den Schweiss von der Stirn und den Wangen, und er fuehlte dabei den Hauch ihres Mundes. Ihr Gesicht musste dem seinigen nahe sein. Er konnte sich nicht enthalten, er musste die Augen aufschlagen. Sie bemerkte es und fuhr mit einem Ausrufe zurueck, welcher halb dem Schrecke und halb der Freude galt. "Rabbadah!" "Du erwachst, Du sprichst wieder!" "Wie lange habe ich geschlafen?" "Fuenf Tage." "Fuenf - Tage -!" Es erschien ihm unglaublich, eine so lange Zeit nicht bei sich gewesen zu sein; es war ihm, als ob er vor kaum einer Stunde die Augen geschlossen habe. "Ja, fuenf Tage. Du warst sehr krank." "Und - Du bist bei mir!" Sie erroethete. "Es darf Niemand etwas wissen. Nur der Arzt, Dein Diener und Aimala wissen es." "Aimala! Wer ist das?" "Das Weib meines Bruders." "Die mit - ah, die mit Dir herunterstuerzte?" "Ja, die. Sie war auch bereits bei Dir. Du hast uns das Leben gerettet, und wir wollten Dich des Nachts gern pflegen. Sprich zum Rajah nicht davon." Er bemerkte durch die Spalte des Vorhanges, dass ihre obere Huelle auf dem Divan lag. Sie war nur mit einem leichten Gewande bekleidet, welches sich so eng an ihre vollen herrlichen Formen. schmiegte, dass er deutlich das Klopfen an seinen Schlaefen hoeren konnte. Er schloss die Augen. "Du bist wieder muede?" frug sie "Nein." "Du hast grossen Schmerz?" "Nein. jetzt nicht. Wo ist der General Haftley?" "Er ist fort." "Seit wann?" "Seit dem Tage, an welchem Du uns rettetest." "O, er wird wiederkommen." "Denkst Du es?" "Ja. Er wird wiederkommen mit einem Heere, und Augh wird unbewaffnet sein. Mein Gott, gib mir meine Gesundheit und meine Kraft zurueck!" "Sei ruhig! Du darfst Dich nicht aufregen. O, es war uns ja doch verboten mit Dir zu sprechen, wenn Du erwachen wuerdest. Ich muss den Arzt um Verzeihung bitten und ihn Dir sofort senden." "O bleibe!" bat er mit flehender Stimme. Sie sah ihm in das Auge und bemerkte nun erst den Mangel ihrer Verhuellung. Tief ergluehend trat sie schnell zurueck, warf das Oberkleid ueber sich und eilte aus der Stube. Am andern Morgen trat der Rajah bei ihm ein. "Du bist erwacht, wie ich hoere!" "Ja, und ich fuehle mich bereits besser als in der Nacht. Ich werde bald das Lager verlassen." "Du wirst es noch lange hueten muessen, wenn Du vollkommen hergestellt sein willst, sagt der Arzt. Deine Brust hat schwer gelitten. Du bist ein Held, ich muss Dich mir erhalten." "Ich werde bis zu meinem Ende bei Dir sein!" "Und ich werde Dir dafuer danken, denn ich kann Dich brauchen, selbst wenn Du krank auf dem Lager liegest." Es war diesen Worten anzuhoeren, dass sie nicht ohne Grund ausgesprochen wurden. "Wie koennte ich Dir jetzt dienen?" "Durch Deinen Rath. Wirst Du nicht erschrecken?" "Ich erschrecke nie." "Die Englaender naehern sich unserer Grenze!" "Ah! Schon jetzt!" "Fluch ihnen! Es war Alles auf den Krieg vorbereitet, noch ehe dieser elende Lord Haftley zu mir kam. Diese Gesandtschaft wurde nur zu dem Zwecke abgesendet, mir einen offiziellen Grund zur Feindseligkeit abzuzwingen. Es ist ihnen gelungen, denn es musste ihnen gelingen." "Sind sie stark?" "So stark, dass ich ihnen nur mit Hilfe meiner Nachbarn gewachsen bin. Ich habe schleunigst meine Boten zu ihnen gesandt." "Und Deine Krieger?" "Sind saemmtliche unter die Waffen gerufen." "Ah! Und hiervon vernahm ich nichts!" "Der Arzt gebot, es Dir zu verschweigen. O, haette ich Artillerie! "Du sollst welche haben!" Der Rajah fuhr erstaunt empor. "Ich? Woher?" "Ich nehme sie den Englaendern ab und bringe sie." Es kam das Feuer des Krieges ueber ihn. Er erhob sich auf dem Lager und griff nach den Kleidern. "Gieb mir so viele Krieger, als ich brauche, und ich werfe die Englaender mit ihren eigenen Geschuetzen ueber den Haufen!" "Wie viele brauchst Du?" "Das kann ich jetzt nicht wissen. Aber ich werde mich orientiren. Erlaube, dass ich mich ankleide! Ich darf nicht mehr ruhen; ich darf nicht mehr krank sein; ich muss kaempfen, kaempfen fuer Dich, mich und - Augh!" Anstatt des letzteren Wortes waere ihm beinahe ein anderer Name entfahren. "Aber Du bist noch zu schwach!" "Nein, ich bin nicht mehr schwach. Siehe mich an; blicke her! Bin ich krank?" Er hatte seinen Degen von der Wand genommen und wirbelte ihn mit solcher Kraft und Behendigkeit um den Kopf, dass man in ihm allerdings keinen soeben erst vom Tode Erstandenen vermuthen konnte. "Nun gut," meinte der Rajah. "Ich brauche Dich, und will daher die Befehle des Arztes uebertreten. Komme zu mir, um an unsern Berathungen theilzunehmen!" Als Maletti in den Divan des Rajah trat, sah er alle Raethe des Herrschers versammelt. Er wurde mit groesster Hochachtung von Allen begruesst und musste bald bemerken, dass der Palast bereits ein Hauptquartier bildete, in welchem fast von Minute zu Minute Berichte anlangten und Befehle ausgingen. Alle verfuegbaren Krieger waren bereits dem nahenden Feinde entgegengeschoben worden. Maletti erkannte die bisherigen Vorbereitungen, falls auf die Hilfe der Nachbarstaaten zu rechnen sei, als praktisch an und bat, ihn sofort zur Armee gehen zu lassen, um eine groessere Rekognition vorzunehmen, von deren Ergebnissen das Weitere abhaengig zu machen war. Sein Wunsch wurde bewilligt. Der Maharajah wollte dann selbst zu seinen Truppen stossen, um die Oberleitung zu uebernehmen. Waehrend diesen Berathungen und so vielen andern nothwendigen Arbeiten war es Abend geworden. Um Mitternacht sollte Maletti mit zweihundert neu eingetroffenen Reitern die Hauptstadt verlassen. Als er sich auf diesen Ritt vorbereitet hatte, beschloss er, zum ersten Male von der Erlaubniss Rabbadahs, sie aufzusuchen, Gebrauch zu machen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er jetzt von dem Rajah gewiss nicht gesucht werde, schlich er sich nach dem Garten und gelangte gluecklich bis vor das Kiosk in der Frauenabtheilung. Er gab das Zeichen. Drinnen ertoente sofort das Girren der Turteltaube. Er stieg mit hoch klopfendem Herzen die wenigen Stufen empor, schob den Vorhang zur Seite und trat ein. Da lag sie, so herrlich und praechtig, wie er trotz ihrer Schoenheit sie sich niemals haette ausmalen koennen. Sie streckte ihm die Hand entgegen. "Ich wusste, dass Du kommen werdest." "Woher?" "Ich hoerte durch das Gitter Euren saemmtlichen Berathungen zu. Setze Dich!" Er nahm an ihrer Seite Platz, und sie duldete es, dass er ihre Hand in der seinigen behielt. "Werden wir hier nicht ueberrascht werden?" frug er. "Nein. Ich habe meine Dienerin aufgestellt, welche mir ein Zeichen gibt, wenn jemand kommen sollte." "Ist es dann fuer mich noch rechtzeitig, das Kiosk zu verlassen?" "Nein. Du muesstest hier bleiben." "Um ertappt zu werden?" "Wieder nein. Dieses Kiosk hat nur diesen einzigen Raum, aber es birgt dennoch gar sichere Verstecke. Es ist gebaut worden, um fuer den Herrscher und seine Familie zu allen Zeiten und in jeder Gefahr einen sichern Zufluchtsort zu bilden, wo man wenigstens eine augenblickliche Sicherheit erlangen kann. Du gehst zum Heere? "Um Mitternacht." "Aber Du bist krank!" "Ich bin gesund!" Sie schuettelte mit dem Kopfe. "Du taeuschest Dich. Dein Muth und Deine Kampfbegier lassen Dich nicht auf die Schmerzen achten. Und dennoch solltest Du Dich - dem Rajah erhalten!" "Ich erhalte mich ihm, indem ich fuer ihn handele." "Du hast mir gelobt, aufrichtig und ohne Falsch mit mir zu sein!" "Ja." "So sage mir ohne Hehl, ob Du fuer Augh befuerchtest oder hoffst." "Noch keines von Beiden. Wenn meine Rekognition beendet ist, werde ich Dir antworten koennen. Werden wir uns in den Nachbarn nicht vielleicht irren?" "Ich denke es nicht." "O, die Englaender sind schlau und wissen mit Geld und glaenzenden Versprechungen auch einen sonst standhaften Verbuendeten zu bethoeren. Es waere fuerchterlich, wenn, waehrend wir ihnen entgegengehen, Augh von einer der anderen Seiten angegriffen wuerde!" "Wir wuerden uns vertheidigen!" "Womit?" "Mit unsern eigenen Haenden!" "Ich glaube es Dir. Aber Ihr wuerdet sterben muessen, ehe wir Hilfe bringen koennten." "Sterben?" Sie schuettelte den Kopf. "Nein. Dieses Kiosk wuerde uns eine sichere Zuflucht bieten." Er warf einen scharf forschenden Blick in dem Raume umher und konnte doch nichts entdecken, was im Stande war, diese Behauptung zu bestaetigen. Sie laechelte und meinte beinahe scherzend: "Und wenn ganz Augh verwuestet und gepluendert wuerde, Du wuerdest dennoch uns und unsere Schaetze hier finden, selbst wenn das Kiosk verbrannt oder zertruemmert waere. Du brauchtest nur meinen Namen zu rufen und das Zeichen des Buelbuel zu geben." "Wohlan, das beruhigt mich, obgleich es nicht so weit kommen wird. jetzt aber muss ich gehen, die Mitternacht ist nahe." Sie erhob sich ebenfalls wie er und wand sich den Guertel von den schwellenden Hueften. "Du kaempfest fuer uns und - auch fuer mich. Nimm diesen Shawl von mir; er mag Deine Waffen tragen und Dir ein Talisman sein in jeder Gefahr, welche Dir droht!" "Wird er uns dem Rajah nicht verrathen?" "Der Rajah kennt ihn nicht; trage ihn getrost!" Sie schlang ihm das kostbare Geschenk mit eigener Hand um die Hueften und reichte ihm dann die Rechte zum Abschiede. "Ziehe hin und kehre siegreich wieder!" Er vermochte nicht zu sprechen. Sie stand vor ihm, so herrlich, so entzueckend und doch so rein, so hehr und hoch, dass er um keinen Preis zu der geringsten Profanation dieses Augenblickes befaehigt gewesen waere. Er drueckte nur ihre Hand an sein Herz und stammelte dann: "Lebe wohl!" Das Kiosk lag hinter ihm und eine halbe Stunde spaeter, als er Abschied von dem Rajah genommen hatte, die Stadt. Er ritt an der Spitze seiner kleinen Truppe neben dem Fuehrer dem Osten entgegen. Es waren halb selige und halb bange Gefuehle, welche sich in seinem Busen theilten. Die kraeftigen Pferde flogen im Trabe ueber die weite Ebene dahin; es wurde kein lautes Wort gesprochen, und nur zuweilen liess sich in den hinteren Gliedern ein fluesternder Ton vernehmen. Da kam ihnen rascher Hufschlag entgegen. Drei Reiter wollten an ihnen vorueber. "Halt!" rief Maletti. "Wohin?" "Nach Augh," lautete die Antwort. Die drei Reiter erkannten jetzt, dass sie es mit einer ganzen Truppe zu thun hatten, und parirten ihre Pferde. "Zu wem?" "Zum Maharajah." "Woher?" "Vom Schlachtfelde." "Vom Schlachtfelde? Ah! Es ist bereits eine Schlacht geschlagen? Du meinst wohl ein Treffen, ein kleines Gefecht!" "Nein, eine Schlacht." "Welchen Ausgang hatte sie?" "Die Inglis haben gesiegt. Sie kamen schneller, als wir dachten; sie kamen von allen Seiten, und wir hatten nur Reiterei, keine Kanonen und keinen Anfuehrer. Die Truppen von Augh sind geschlagen, sind vernichtet, sind zerstreut in alle Winde. Wer seid Ihr?" "Ich bin der Musteschar des Maharajah und wollte zu Euch." "O, Sahib, denke nicht, dass wir Feiglinge waren! Siehe unsere Wunden hier! Wir haben tapfer gekaempft, aber wir konnten ihnen nicht widerstehen." "Ich glaube Euch. Diese Inglis haben uns verraetherischer Weise ueberfallen, ehe wir uns fuer den Kampf zu ruesten vermochten. Wo wurde die Schlacht geschlagen?" "Bei Hobrah." "Wie weit ist dies von hier?" "Du reitest in acht Stunden dahin. Wir aber sind, um die Kunde schnell zu bringen, nur fuenf Stunden geritten." "Wann begann der Kampf?" "Heute am Nachmittage." "So sind die Inglis also nur ungefaehr neun Stunden von der Hauptstadt entfernt. Eilt dorthin und sagt dem Rajah, dass ich versuchen werde, die in der Umgegend des Schlachtfeldes Zerstreuten schleunigst an mich zu ziehen, um mit ihnen die Hauptstadt zu decken. Ha, ein feiger Einfall ohne Kriegserklaerung! Lebt wohl!" Schon wollte er den Ritt in beschleunigter Eile fortsetzen, als er von einem Ausrufe des Schreckes zurueckgehalten wurde. "Was ist es?" "Siehe das Feuer dort im Westen, Sahib!" Er blickte zurueck. Gerade in der Gegend, aus welcher sie kamen, zeigte sich der Horizont geroethet; erst ein schmaler Streifen nur, dann aber mit jedem Augenblicke hoeher und hoeher steigend, nahm das Phaenomen eine Dimension an, welche zum Erschrecken war. "Das ist kein Meteor; das ist ein richtiges, ein entsetzliches Feuer!" "Das ist der Brand nicht eines Dorfes, sondern einer ganzen grossen Stadt!" In dem Innern des Franzosen kochte es. Vor sich eine verlorene Schlacht mit einem zerstreuten Heere in den Feldern, und hinter sich - Herrgott, ja, das konnte nichts Anderes sein als die Hauptstadt Augh, welche brannte. Und wie allein nur konnte dieser Brand entstanden sein? Er gab seinem Pferde die Sporen, dass es wiehernd hoch aufstieg. "Umgekehrt, zurueck! Augh ist ueberfallen und in Brand gesteckt worden. Reitet, was die Pferde laufen koennen, und haltet Euch zuammen!" Das gab einen Ritt, als ob eine entfesselte Hoelle hinter ihnen herfege. Es bedurfte kaum einer Viertelstunde, um die beinahe zwei Stunden weite Strecke zurueckzulegen. je naeher sie kamen, desto deutlicher sahen sie, dass sie sich nicht geirrt hatten. Der groesste Theil der Stadt stand in Flammen; das konnte unmoeglich die Folge eines einzeln in der Stadt ausgebrochenen Feuerschadens sein. Bald kamen ihnen einzelne fluechtige Reiter entgegen. "Was ist geschehen?" frug Alphons den erstern. "Der Sultan von Symoore hat Augh ueberfallen, und vom Westen ist auch schon der Rajah von Kamooh im Anzuge." Maletti knirschte mit den Zaehnen. "Ein laengst vorbereitetes und sorgfaeltig geheim gehaltenes Bubenstueck! Wo ist Madpur Sing, der Maharajah?" "Niemand weiss es; Niemand hat ihn gesehen." "Ist der Feind stark?" "Viele tausend Mann." "Wohlan! Wer geht mit mir, um den Rajah zu retten?" "Wir Alle!" "Bravo! Nehmt breite Linie! Jeder Reiter, welcher uns begegnet um zu fliehen, wird angehalten und muss uns folgen!" Der Trupp donnerte weiter, und als er sich in unmittelbarer Naehe befand, bestand er aus gegen vierhundert muthigen, wohlbewaffneten Maennern. "Jetzt gerade zum Palaste des Rajah hin. Vorwaerts!" Er voran, die Andern hinter ihm drein, brausten sie wie ein Sturmwind in die Stadt hinein. Der Feind bestand gluecklicher Weise nicht mehr aus fest geschlossenen Truppenkoerpern; er hatte sich zerstreut um zu pluendern. Nur hier oder da fiel ein Schuss oder stellte sich ein kleinerer Trupp den todesmuthigen Reitern entgegen; aber solche Hindernisse wurden einfach ueberritten. Maletti hatte das beste Pferd aus dem Stalle des Rajah empfangen. Erst hatte er dies bezweifeln wollen, jetzt aber, da er die Leistung dieses Thieres sah, glaubte er daran. Je naeher sie dem Schlosse kamen, desto dichter wurde der Feind, und vor dem Palaste selbst wogte noch ein ausserodentlich erbitterter Einzelkampf. "Hurrah, drauf und hinein!" rief Alphons, sein Pferd in die Hoehe nehmend und den Saebel schwingend. Der Feind stutzte erst ueberrascht; als er aber erkannte, mit welch kleiner Anzahl Gegner er es zu thun hatte, begann er ein moerderisches Kugelfeuer, welches sofort die Reihen der Helden zu lichten begann. Auf den durcheilten Strassen waren ihrer bereits eine Anzahl gefallen; jetzt schien es, als ob sie der Vernichtung geweiht seien. Maletti sah einige der Diener, welche sich zusammengerottet hatten, im Hofe kaempfen. Er fuhr wie ein Wind zum Thore hinein, auf ihre Gegner zu und ritt sie auseinander. "O, Sahib, Du wieder hier!" scholl es ihm entgegen. "Wo ist der Rajah?" "Nach dem Garten." "Und das Harem?" "Ist mit ihm." "Flieht auch dorthin. Anderswo ist keine Rettung!" Ohne abzusteigen sprengte er die Treppe empor, durch den weiten Flur des Palastes, wo er mehrere Feinde niederstreckte, hindurch und dann hinaus in den Garten. Auch hier wogte der Kampf und toente gellendes Wuth- oder Siegesgeschrei. Rabbadah hatte von einer Zuflucht im Kiosk gesprochen. Der Maharajah, wenn er noch lebte, musste dort zu finden sein. Die einzelnen Feinde theils niederschlagend, theils niederreitend, gewann er die Frauenabtheilung des Gartens. Da ertoente hinter ihm das Schnauben von Pferden. Er bueckte sich um. Fuenf von seinen Wackern waren ihm gefolgt und holten ihn ein. Die koestlichen Anlagen und Blumen nicht achtend, ging es beim Scheine des brennenden Palastes gerade auf das Kiosk los. Da ploetzlich riss er sein Pferd zurueck. Vor ihm lagen zwei Leichen, die eines Mannes und eines Weibes, welche sich umschlungen hielten. Es war der Maharajah und sein Weib, der Leib des ersteren von Kugeln und Stichen ganz durchloechert. Was war aus der Begum geworden? "Rettet diese Leichen. Nehmt sie auf!" Nach diesem Befehle setzte er zwischen einige Hecken hindurch und erreichte den kleinen freien Platz, auf welchem das Kiosk errichtet war. Was er da erblickte, liess ihm die Haare zu Berge steigen. Auf einer der Stufen zum Kiosk hatte Rabbadah gestanden und sich mit einem krummen Scirimar nach Kraeften vertheidigt. Sie war unverwundet. Man hatte sie geschont; zu welchem Zwecke, das sollte sie gleich sehen. Zwei Feinde zugleich fassten sie und entrangen ihr die Waffe. "Wo ist der Schatz des Maharajah?" bruellten sie. "Sucht ihn!" antwortete sie. Aus dreissig Kehlen antwortete ein Schrei der Wuth und der Drohung. "Du bist die Begum; Du weisst, wo der Schatz sich befindet. Sage es, sonst stirbst Du unter tausend Qualen!" "Martert mich!" "Wohlan, brennt ihr zunaechst den Turban an!" Sie wurde von Vier oder Fuenf festgehalten, und ein Sechster brachte einen schnell herbeigehaltenen [sic!] Brand, um die grauenhafte Drohung wahr zu machen. Dies war der Augenblick, an welchem Malettis Rappe die Hecke durchbrach. "Rabbadah!" Nur diesen einen Ruf stiess er aus, dann war er auch schon mitten zwischen den Feinden, welche ueberrascht zurueckwichen. Er benutzte diesen Augenblick sofort. "Herauf zu mir!" Zwei scharfe Saebelhiebe, das Pferd auf den Hinterhufen herumgerissen, ein rascher energischer Griff - die Geliebte lag vor ihm auf dem Pferde. Zugleich erschienen seine fuenf Begleiter, zwei von ihnen mit den Leichen vor sich. "Mir nach, ueber die Mauer in den Fluss. Vorwaerts!" Wie die wilde Jagd ging es weiter. Alphons kannte eine niedrige Stelle der Mauer, welche ein guter Reiter wohl zu ueberfliegen vermochte. Er sprengte zunaechst in die Maennerabtheilung des Gartens zurueck und dann gerade auf diese Stelle zu. Die Andern folgten. "Rabbadah, erschrick nicht. Wir stuerzen in den Fluss!" "Ich erschrecke nicht!" "Aufgepasst! Hurrah!" Er nahm den Rappen empor, und das gewandte sprungkraeftige Thier flog wie ein Pfeil hinueber, mitten in die Fluthen des unmittelbar hinter der Gartenmauer dahinrauschenden Stromes hinein. Noch fuenf ebenso glueckliche Spruenge, und die sechs Reiter hielten auf das gegenueberliegende Ufer zu, welches sie gluecklich erreichten, obgleich drei der Pferde doppelte Lasten zu tragen hatten. "Wohin jetzt, Sahib?" frug einer der Maenner. "Steigt ab und lasst Eure Pferde erst verschnaufen. Wenigstens fuer kurze Zeit sind wir hier jetzt sicher. Wir haben noch einen guten Ritt und muessen dann noch einmal ueber das Wasser." Er stieg mit Rabbadah ab, und die Andern folgten ihm, sich in respektvoller Entfernung von Beiden haltend. Die Begum war zwar vollstaendig durchnaesst, bei dem Klima Indiens aber war dies nicht gefaehrlich. Sie achtete nicht der triefenden Kleidungsstuecke, die sich eng an ihre Gestalt anlegten; sie warf sich auf die Leichen des Bruders und der Schwaegerin und benetzte sie mit heissen wortlosen Thraenen. Dann trat sie zu Maletti und reichte ihm die Hand. "Du warst fort. Wie kamst Du als Retter zurueck in diese graessliche Noth?" "Ich sah den Schein des Feuers und ahnte was geschehen war. Darum kehrte ich um." "Ich danke Dir! Weniger fuer meine Rettung als vielmehr dafuer, dass Du mir hier diese Beiden erhalten hast. Ist Alles verloren?" "Alles! Die Inglis haben uns am Nachmittage vollstaendig geschlagen; der Sultan von Symoore hat Augh genommen, und von Westen her stuermt der Rajah von Kamooh heran." Sie faltete die Haende und schwieg. Dann aber hob sie die Rechte zum Himmel empor. Sie stand da gleich einem ueberirdischen Wesen, von den Flammen der brennenden Stadt und den blutigen Reflexen des Stromes beleuchtet. "Fluch, dreifacher Fluch diesen Inglis! Sie schimpfen und hoehnen, sie treiben und hetzen, sie luegen und betruegen, sie sengen und brennen, sie pluendern und morden; Fluch ihnen, tausendfacher Fluch!" Das war ein fuerchterliches Wort, und Maletti wusste nur zu gut, ob es Wahrheit oder Unwahrheit enthalte. "Wie ist das heut nach meinem Scheiden so gekommen?" frug er. "Erzaehle es mir!" "Jetzt nicht. Ich kann nicht denken, ich kann nicht erzaehlen, ich kann nur fluchen, fluchen diesen Inglis und diesen Teufeln aus Symoore und Kamooh, welche uns Freundschaft heuchelten und doch mit dem Feinde buhlten, um unsere Schaetze zu erhalten. Kein Mogul, kein Schah, kein Sultan und kein Maharajah hat solche Schaetze wie der Maharajah von Augh, und das wussten sie. Sie wollten diese Schaetze haben, aber sie sollen sie nicht erhalten. Der Maharajah von Augh, der edelste und gerechteste der Koenige ist todt, verrathen von den Inglis und treulos gemordet von seinen Freunden. Seine Schaetze gehoeren der Begum und sollen nie in ihre Haende fallen; das schwoere ich bei den Geistern der beiden Gemordeten hier zu meinen Fuessen!" Nach der Juweleninsel. Der in neuerer Zeit so beruehmt gewordene Wald von Koleah bestand damals aus einem einzigen grossen Dickicht von Ebenholz-, Teak- und Drachenbaeumen, untermischt mit riesigen Farren und hohen Schirm-, Kohl-, Areka- und Sagopalmen. Diese baumartigen Gewaechse wurden umschlungen, ueberstrickt und verbunden von einem beinahe unzerstoerbaren Netzwerke von Schling- und Lianengewaechsen, welche desto ueppiger wucherten und bluehten, je mehr sie den Staemmen, an denen sie schmarotzend emporkletterten, den Nahrungs- und Lebenssaft raubten. Nur einige schmale Pfade fuehrten durch diesen Wald auf die Mitte desselben zu, wo die Ruinen eines jener indischen Tempel liegen, mit deren Grossartigkeit sich nur die Ueberreste jener cyklopischen Tempelbauten auf Java zu messen vermoegen. Es war am fruehen Morgen nach dem Ueberfalle von Augh, als sechs Reiter und eine Reiterin dem schmalen Schlangenpfade folgten, welcher von Augh her in den Wald von Koleah fuehrt. Voran ritt Alphons Maletti, der einstige Lieutenant in englischen Diensten und nachherige kurzzeitige Kriegsminister des Maharajah Madpur Sing. Ihm folgte auf einem fuer sie einge- fangenen Pferde Rabbadah, die Begum von Augh, und dann kamen fuenf Reiter, von denen zwei je eine Leiche vor sich auf dem Pferde hielten. "Kennst Du diesen Weg auch ganz genau?" frug die Begum. "Nein," antwortete der Offizier. "Und Du willst unser Fuehrer sein!" "Ja, laechelte er. "Warst Du bereits einmal hier?" "Noch nie." Sie wurde aengstlich, das war ihr anzusehen. "Und Du willst uns hier eine sichere Zufluchtsstaette verschaffen?" "Wie es sicherer keine zweite gibt. Ich habe einen maechtigen Freund in diesem Walde und in dieser Ruine." "Ob er aber auch der meinige ist!" "Er wurde der meinige nur deshalb, weil er der Deinige ist." "Wo ist er zu finden?" "Das weiss ich nicht; ich werde es aber bald sehen." Das Gespraech stockte wieder, bis sie an eine Stelle kamen, von welcher ein zweiter Pfad auf den ersten muendete und dieser nun eine beinahe doppelte Breite gewann. Eben als sie diese Stelle erreichten, traten wohl an die zwanzig wild aussehende Maenner aus dem Dickicht hervor. Rabbadah stiess einen Ruf des Schreckes aus. "Phansegars!" bruellte entsetzt der ihr folgende Reiter. Er glitt sofort vom Pferde und verschwand in dem wuchernden Gewirre der Schlingpflanzen; die andern Vier folgten schleunigst seinem Beispiele und liessen die Pferde im Stich, um sich nur verbergen zu koennen. Sie konnten wegen der engen Passage ihre Pferde nicht umwenden, sonst waeren sie sicher, anstatt zu laufen, davongeritten. "Halt!" rief der Vorderste der Maenner. "Wer seid Ihr?" "Freunde," antwortete Maletti ruhig. "Beweise es!" "Hier!" Er zog den Zahn hervor und zeigte denselben hin. "Du bist ein Freund. Wer ist dieses Weib?" "Das kann ich nur Dem sagen, welcher mir dieses Zeichen gab, und zu dem ich jetzt will." "Wie heisst er?" "Er hat mir seinen Namen nicht genannt." "Das macht Dich verdaechtig. Steigt ab und folgt uns! Ah, zwei Leichen! Was sollen die Kadaver hier?" "Wir wollen sie hier begraben." "Es gibt dazu andere Orte. Uebrigens bist Du ein Ingli oder ein Frankhi, denn bei uns werden die Leichen nicht begraben, sondern verbrannt, Du wirst mir immer verdaechtiger. Vorwaerts mit Euch!" Sie wurden von den Phansegars in die Mitte genommen und verfolgten nun den Weg zu Fusse weiter, bis sie an einen von hohem Baumwuchse freien Platz kamen, auf welchem die selbst in ihren Truemmern noch gigantischen Steinkolosse des einstigen Tempels zu erblicken waren. Man hatte ihnen die Pferde nachgebracht; sie wurden angebunden. "Kommt weiter!" befahl der Fuehrer. Er fuehrte sie zwischen riesigen Felsenstuecken und Mauerueberresten hindurch nach einem engen Gange, welcher sich unter der Erde fortsetzte. Sie mussten im Dunkeln tappen, bis er halten blieb. "Wartet hier! Ich weiss nicht ob ich schnell wiederkommen kann!" Hoechstens drei seiner Schritte waren zu hoeren, dann blieb es still. "Wenn er uns hier verlassen hat, um nie zurueckzukehren!" fluesterte Rabbadah. "Sorge Dich nicht! Wir sind in guten Haenden." "Weisst Du dies gewiss?" "So gewiss, als ich mein Leben tausendmal hergeben wuerde, ehe ich Dir ein Haar nur kruemmen liesse." "Aber es sind Phansegars!" "Ich weiss es." "Woher bekamst Du ihr Zeichen?" "Das darf ich Dir nicht sagen, weil ich geschworen habe zu schweigen. Horch!" Die Mauer, an welcher sie lehnten, konnte nicht sehr stark sein, denn man vernahm jetzt die Schritte vieler Personen und das Summen ihrer unterdrueckten Stimmen. Zugleich ward ein Geruch bemerkbar, welcher demjenigen des Harzes oder des Peches glich. Da erhob sich ploetzlich eine laute deutliche Stimme: Steig nieder, von den heil'gen Hoehen, Wo in Verborgenheit Du thronst; Lass uns, o Siwa, lass uns sehen, Dass Du noch immer bei uns wohnst! Soll Deines Lichtes Sonne weichen, Jetzt von Tscholamandelas1 Hoehn, In Dschahlawan,2 Dein Stern erbleichen Und im Verschwinden untergehn? Maletti erkannte sofort diese Stimme; es war diejenige des Phansegars, welcher ihm das Zeichen gegeben hatte. "Das ist der Freund, der Dich und mich beschuetzen wird," troestete er Rabbadah. Die Stimme fuhr unterdessen fort: Spreng Deines Grabes Felsenhuelle, O Kalldah, steig aus der Gruft Und komm in alter Macht und Fuelle Zum Thuda, der Dich sehnend ruft! Soll der Brahmane schlafen gehen, Die Sakundala in der Hand, Soll er den Zauber nicht verstehen, Der ihn an Deine Schoepfung band? Des Himalaya maecht'ger Ruecken Steigt aus dem Wolkenkreis hervor, Und der Giganten Haeupter blicken Zum Ew'gen demuthsvoll empor. Ihn preist des Meers gewaltge Woge, Die an Kuratschis Strand sich bricht, Und in des Kieles lautem Soge3 Von ihm erzaehlt beim Sternenlicht. Ihn preiset des Suacrong4 Stimme, Die donnernd aus der Dschungel schallt, Wenn er im wilden Siegesgrimme Die Pranken um die Beute krallt. Ihn preist des Feuerberges Tosen, Das jedes Herz mit Graun erfuellt, Wenn aus dem Schlund, dem bodenlosen, Das Flammenmeer der Tiefe quillt! "Ist dies auch ein Phansegar, ein Moerder?" frug die Begum. "Er spricht wie ein Dichter." "Es ist ein Phansegar; er kann wohl weder lesen noch schreiben, und dennoch koennte ein Dichter des Morgen- oder Abendlandes ihn wohl in Beziehung auf die Sprache kaum uebertreffen. Horch!" Es klang weiter: Und Herr i s t er, vom Eiseslande, Wo traeg zum Meer die Lena zieht, Bis weithin, wo am Felsenstrande Der Wilde dem Yahu5 entflieht. Und Herr b 1 e i b t er. Im Sternenheere Erblickst Du seiner Groesse Spur; Sein Fuss ruht in dem Weltenmeere, Und sein Gesetz ist die Natur. Naht auch mit unhellvollen Stuermen Vom Westen her die Wettersnacht, Mag immer sich die Wolke thuermen. Der Hindukoh bricht ihre Macht: Die matt geword'nen Stuerme kraeuseln Mit kuehlem Hauch als Abendwind Des Persermeeres Fluth und saeuseln Dun [sic!] Pendschabs Fluren sanft und lind. Wo die Almeah6 kaum die Lieder Der naechtlichen Bhowannie sang, Toent in die stillen Ghauts7 hernieder Der Kriegstrompete heller Klang. Die duftenden Thanakafelder Zerstampft der Rosse Eisenhuf; Der Phansegar flieht in die Waelder Vor seiner Feinde Siegesruf. 1 So wird in Indien die Kueste Koromandel genannt. 2 So nennt der Indier die Kueste Malabar. 3 So wird das geraeusch genannt, welches das Kielwasser am Schiff hervorbringt. 4 Der indische Tiger. 5 Yahu ist der Teufel der Neuseelaender. 6 Taenzerin. 7 Thaeler. Des Ganges Welle muss sie tragen Bis hin zu Siwas heil'gem Ort,* Und ihre Feuerboote jagen Die Gott geweihten Thiere fort. Dann wird mit festlichem Gepraenge Von einem andern Gott gelehrt, Und von der leicht bethoerten Menge Der Mann aus Falesthin ** verehrt. Sie konnten nicht weiter hoeren, denn der Phansegar, welcher sie hier gelassen hatte, kehrte zurueck, jedoch aus einer anderen Richtung, als er vorhin eingeschlagen hatte. "Folgt mir weiter!" Sie schritten langsam hinter ihm her, bis sie zu einer steinernen Treppe kamen, welche zu einem aehnlichen Gange emporfuehrte. Dieser nahm einen krummen Verlauf und war an seiner Muendung von Rauch erfuellt. Sie traten jetzt in eine bogenartige Erweiterung, von welcher aus, als sich erst das Auge an den Rauch gewoehnt hatte, sie ueber eine steinerne Bruestung hinweg in eine sehr bedeutende Tiefe zu blicken vermochten. "Setzt Euch hier. Und wenn Ihr bei dem was Ihr seht einen Laut ausstosst, so werdet Ihr hinabgestuerzt!" drohte der Fuehrer. An der Rueckwand der Loge zog sich eine lange Steinbank hin, auf welcher etwa zwoelf bis fuenfzehn Thugs Platz genommen hatten, die jedenfalls sehr bereit waren, dieser Drohung augenblicklich Folge zu leisten. "Duerfen wir leise mit einander sprechen?" "Ja." "Duerfen wir auch an die Bruestung treten, um zu sehen, was da unten vorgenommen wird?" "Das sollt Ihr sogar, damit Ihr erkennt, wie es Euch geht, wenn Ihr nicht unsere Freunde seid, sondern zu den Inglis gehoert!" Maletti trat vor und die Begum folgte seinem Beispiele. Beide erblickten vor sich einen hohen, weiten, von riesenhaften Steinmauern begrenzten domartigen Raum, an dessen hinterer Decke sich ihr gegenwaertiger Aufenthaltsort befand. Unten im Schiffe dieses kirchenaehnlichen Raumes knieten vor einem steinernen Altare wohl an die zweihundert Maenner, von denen jeder eine Fackel trug. Daher der Harzgeruch und Rauch. Diese Maenner waren an ihren Waffen sehr leicht als Thugs und meist als Phansegars zu erkennen, denn in ihrer Armirung herrschte das krumme fuerchterliche Messer vor. Zwischen ihnen und dem Altare kauerten vielleicht zwanzig gefesselte Personen, welche alle die englische Uniform trugen. Maletti blickte genauer hin und haette beinahe vor Ueberraschung den so streng verbotenen Schrei ausgestossen. "Siehst Du die Gefangenen?" frug er leise die Begum. "Ja. Es sind Inglis." "Kennst Du sie?" "Nein." "Blicke die Beiden rechts in der vorderen Reihe an, aber sei vorsichtig und bleibe still!" Sie machte die Geberde des Erkennens. "Lord Haftley!" "Und Rittmeister Mericourt!" Da trat der Phansegar herbei, welcher sie gefuehrt hatte. "Ich sehe es Euch an, Ihr habt Gefangene erkannt!" "Ja." "So seid Ihr verloren, denn Ihr gehoert zu ihnen." "Es sind unsere Feinde!" "Wohl Euch, wenn es so ist!" "Wie koennte ich als Euer Feind zu Eurem Zeichen kommen?" "Du koenntest es gestohlen oder geraubt haben." "Waere ich dann zu Euch gekommen?" Der Mann nickte. "Aber warum flohen Deine Begleiter, als sie uns erblickten?" "Sie wussten nicht, was ich hier wollte. Oder willst Du, dass ich Euer Geheimniss einem jeden mittheile?" "Du hast Recht." Er zog sich sichtlich zufriedengestellt wieder zurueck. Drunten auf dem Altare stand der Phansegar, von welchem Maletti das Zeichen erhalten hatte. Seine Rede war nun beendet. Die Beiden hatten sie jedenfalls deshalb so genau vernommen, weil sie gerade jenseits der hinter ihm gelegenen Wand gesessen hatten. Er gab ein Zeichen mit der Hand, und alle Thugs erhoben sich. "Die Lehrlinge vor!" gebot er. Drei Maenner traten bis an den Altar heran. "Ihr sollt heut Euren ersten richtigen Streich vollfuehren. Habt Ihr Euch fleissig an Puppen geuebt?" "Ja!" erscholl es aus drei Kehlen. "So zeigt, was Ihr gelernt habt!" Einer der Gefangenen wurde ergriffen und vor den Altar gefuehrt. Der erste Neuling trat zu dem von drei Thugs festgehaltenen Mann heran und that, als wolle er ihm in das Gesicht blicken. Im Nu aber blitzte das verborgen gehaltene Messer, und der Kopf des Opfers rollte zu Boden. Im Augenblicke des toedtlichen Streiches fasste Alphons die Begum am Arme, und das war sehr wohl berechnet, denn sie haette bei dem Anblicke dieses Mordes sicher einen Schrei nicht unterdruecken koennen. "Ich muss mich setzen," fluesterie sie. "Und ich halte hier aus," antwortete Maletti. "Es ist wohl das erste Mal, dass es einem Europaeer vergoennt ist, einem solchen Opfer der Ihugs zuzuschauen, und ich bin es der Civilisation schuldig, dass ich mir die Faehigkeit erwerbe, ein vollgiltiger Zeuge dieser hoellischen Schauspiele zu sein." Und er hielt aus! Es dauerte wohl an zwei Stunden, ehe er zum Sitz zuruecktrat, und waehrend dieser Zeit hatte mancher graessliche Schmerzensschrei und manches entsetzliche Todesroecheln den Weg zu der hohen Loge gefunden. Es gehoerte dies nur zu hoeren die muthige Seele der Begum dazu. Da endlich erhob sich ihr Fuehrer wieder. "Jetzt hat der Meister Zeit. Kommt!" Er fuehrte sie einen Gang entlang, welcher immer bergab zu gehen schien und sie endlich wieder in das Freie fuehrte. Auf einem sich aehnlich wie vorhin zwischen Felsenstuecken durchwindenden Pfade gelangten sie von der andern Seite des Tempels wieder zu den Pferden. "Warum hast Du uns nicht hier gelassen? Warum mussten wir Dir in den Tempel folgen?" frug Alphons. "Weil ich dachte, der Meister wuerde noch nicht begonnen haben, und weil ich Euch zugleich pruefen wollte. Doch da kommt er!" Der Meister kam in Begleitung von wohl zwanzig seiner Untergebenen. Er erkannte den Lieutenant genau. "Du hier? Ich hoerte, dass ein Mann und ein Weib mich zu sprechen begehrten, aber dass Du es seist, dachte ich nicht, da das Zeichen nicht auf der Stufe gefunden wurde." "Deine Leute nahmen uns gefangen, noch ehe wir den Tempel erreichten." "Kommst Du in einer Absicht?" "Ja. Ich moechte Dir eine Bitte vorlegen." "Eine Bitte? Dem Phansegar? Sprich!" "Siehe Dir einmal diese Todten an!" Er nahm dem Leichnam das Tuch vom Gesichte. Der Phansegar trat hinzu, fuhr aber sofort zurueck. "Madpur Singh, der Maharajah! Wer hat ihn getoedtet? Du kommst, um Rache zu verlangen, und ich schwoere Dir, dass Du sie erhalten sollst!" "Siehe Dir diese Leiche an!" "Wer ist diese schoene Frau?" "Das Weib, das Glueck des Maharajah. Man hat sie an seiner Seite ermordet." "Das soll zehnfach gerochen werden! Und wer ist das Weib hier an Deiner Seite?" Die Prinzessin lueftete den Shawl, welcher ihr Gesicht verhuellte, ein wenig. "Ich bin Rabbadah, die Begum von Augh." "Die Begum! Maenner, schnell, kniet nieder und kuesst den Saum ihres Gewandes! So! Und nun sage, wer hat den Maharajah und sein Weib erschlagen?" "Wir kennen den Moerder nicht," antwortete Rabbadah. "Es geschah gestern Abend waehrend der Eroberung von Augh." "Der - Eroberung - von - Augh?" Er sprach jedes nachfolgende Wort mit groesserer Verwunderung als das vorhergehende. "Ja." "Traeume ich denn? Ist Augh erobert worden?" "Ja." "Und wenn?" "Gestern oder vielmehr heut kurz nach Mitternacht." "Unmoeglich! Am Nachmittage war die Schlacht bei Hobrah, und die Inglis koennen unmoeglich am Abende in Augh gewesen * Benares. ** Palaestina (Christus gemeint). sein, zumal ich ihre Anfuehrer gefangen nahm, um sie fuer den Verrath an dem Maharajah zu zuechtigen!" "Die Inglis waren es nicht; es war der Sultan von Symoore." "Dieser hat Augh ueberfallen?" frug der Meister erstaunt. "Ja." "So ist er der Moerder des Maharajah, gleichviel, wer den Streich gefuehrt hat! Ich habe am Abende die Inglis gefangen und waehrend der Nacht hierher transportirt. Ich glaubte dem Maharajah durch den Schreck zu nuetzen, welcher in ihrem Lager ausgebrochen ist, sobald sie ihre Anfuehrer vermisst haben. Und nun steht es so! Augh gehoert dem Sultan von Symoore!" "Und wohl auch dem Rajah von Kamooh, welcher gestern Abend bereits im Anzuge war." Auch dieser! So ist auch er der Moerder unseres Maharajah. Sie sollen es buessen! Welche Bitte hast Du nun?" frug er den Offizier, und dann setzte er, sich an die Begum wendend, hinzu: "Was Du befiehlst, Sahiba, das wird geschehen!" "Ich bitte Dich zunaechst um Aufbewahrung dieser beiden Todten." "Willst Du sie nicht verbrennen?" "Kann ich sie jetzt verbrennen in der Art und Weise, wie es dem Maharajah von Augh geziemt!" "Du kannst es, jetzt noch besser als frueher oder spaeter." "Wie? An welchem Orte und zu welcher Zeit?" "Das ueberlasse mir, Sahiba! Und was befiehlst Du noch?" "Weisst Du nicht einen Ort, an welchem ich und dieser treue Beamte meines Bruders einige Zeit uns verbergen koennten? Man trachtet ihm und mir nach dem Leben." "Kommt!" antwortete er ohne sich zu besinnen. Er fuehrte Beide um den Tempel herum und mitten in den Wald hinein. Nach ungefaehr zehn Minuten standen sie vor einer zweiten, aber ungleich besser erhaltenen Ruine. "Du warst bisher nur im Vorhause, Sahiba," erklaerte er. "Hier ist der eigentliche Tempel. Meine Leute kennen Einzelnes von ihm, ganz aber ist er nur mir und meinem Schrie in Augh bekannt. Dieser war gestern nicht bei mir. Wenn er nicht mehr lebt, dann wehe seinen Moerdern!" Sie stiegen zu einem wohl hundert Ellen breiten Portikus hinan und traten ein in das kolossale Denkmal der Baukunst einer Zeit, welche um Jahrtausende hinter der Gegenwart liegt. In diesen maechtigen Raeumen mussten sie sich wie Ameisen vorkommen, welche sich in den Koelner Dom verirren. Der Meister hatte keine Zeit, sich mit Erklaerungen aufzuhalten. Er ging im schnellen Schritte voran, die Beiden folgten ihm bis zum Hauptaltar. Hier stampfte er mit dem Fusse, und es oeffnete sich gleich einer Thuere eine Steinplatte, hinter welcher eine Treppe sichtbar wurde. "Dort oben wird Eure Wohnung sein. Merkt Euch also diese Mechanik. Hier stampfe ich zum Oeffnen und hier zum Schliessen, und hinter der Thuer auf der ersten Stufe zum Oeffnen und auf der zweiten zum Schliessen. Nun folgt mir hinauf!" Als sie die Treppe betreten hatten, stampfte er auf die zweite Stufe, und sofort schloss sich die Thuer hinter ihnen. Sie stiegen eine ganze Flucht von Treppen empor und traten dann in einen hell erleuchteten Gang, in welchen der Reihe nach zwoelf Thueren muendeten, deren Oeffnungen durch Matten gleich PortiËren verschlossen waren. "Das sind jedenfalls die Wohnungen der Priester gewesen," erklaerte er. "Befiehl, Sahiba, wie viele Raeume Du haben willst. Die andern gehoeren Deinem Musteschar." "Lass erst sehen!" bat sie. Sie traten ein und hatten nun zwoelf Zimmer zu bewundern, von denen jedes einzelne nach chinesischer, malayischer, indischer oder europaeischer Weise so eingerichtet war, dass sich kein Fuerst zu bedenken brauchte, darin zu wohnen. Die Begum schlug die Haende zusammen. "Welche Pracht! Wer hat diese Raeume ausgestattet?" "Ich," antwortete der Meister mit Selbstgefuehl. "Aber fuer wen?" Er laechelte. "Es kommt mich zuweilen auch der Wunsch an, wie ein Sahib zu wohnen. Ich bin der Maharajah der Thugs von Augh! Es kommen nicht selten sehr vornehme Sihdis und Sahibas zu mir, theils in Geschaeften, theils um sich, wie Ihr, ein wenig zu verbergen. Da muss ich Wohnungen haben, welche fuer solche Leute geeignet sind." "Dann musst Du auch wohl fuer Bedienung sorgen?" Er laechelte wieder sehr selbstbewusst und zeigte auf ein kleines Metallbecken, welches mit seinem Hammer neben dem Eingange hing. "Sahib, gib einmal ein Zeichen!" Maletti liess den Hammer einmal auf das Metall fallen, und im naechsten Augenblicke trat ein sehr reinlich gekleideter Knabe ein, der sich mit gekreuzten Armen bis fast zum Erdboden verbeugte. "Gib zwei Zeichen, Sahib!" Maletti that es, und augenblicklich erschien ein ungefaehr zwoelfjaehriges Maedchen, welches ganz in derselben Weise gruesste. "Gib drei Zeichen!" Jetzt erschien ein Weib in den mittleren Jahren, deren rundes Gesicht ein recht Vertrauen erweckendes genannt werden musste. "Gib vier Zeichen, Sahib!" Dieses Mal trat ein Mann von eben demselben Alter ein und gruesste. Sein Gesicht hatte einen recht freundlich-pfiffigen Ausdruck. Man sah es ihm an, dass er auch schwierige Auftraege gern und mit Gewissenhaftigkeit auszufuehren bereit sei. "Das ist die Bedienung," erklaerte der Meister, auf dessen Wink sich die Vier wieder entfernten. "Ihr kennt die Zeichen und werdet Euch ihrer nach Belieben bedienen. In jedem Zimmer ist Schreibzeug. Braucht Ihr etwas Besonderes, so ist es gut, dies immer aufzuschreiben und den Zettel am Abende zu uebergeben." "Wann bist Du gewoehnlich zu sprechen?" "Das kannst Du jeden Tag von der Bedienung erfahren, Sahiba. Mein Tag verlaeuft nicht ganz so regelmaessig wie der Tag eines Brahmanen, und jetzt, waehrend das Land dem Feinde gehoert, wird das noch ein wenig schlimmer werden. Welche Zimmer nimmst Du?" "Wir werden uns theilen: ich sechs und der Sahib sechs." "Ich brauche nur ein einziges," warf Maletti ein. "Ich auch nicht mehr," antwortete sie laechelnd; "aber da zwoelf da sind, so wollen wir thun, als ob wir auch Silidis seien." "Und mein Pferd?" frug Alphons. "Deine sieben Pferde stehen unten im Stalle und werden gute Pflege finden, Sahib." "Hast Du nach den Namen der Inglis gefragt, welche ich vorhin im Tempel gesehen habe?" "Ja." "War ein Lieutenant Harry dabei?" "Nein." "Das beruhigt mich. Er war ein braver Kamerad und haette mich gedauert. Wird heut einer von Deinen Leuten nach Augh gehen?" "Sehr viele." "So lass nach Allem forschen, was zu erfahren uns lieb sein koennte!" "Und," fuegte die Begum hinzu, "lass im Frauengarten des Palastes nachsehen, ob das Kiosk noch steht. Was Du fuer uns thust, werde ich Dir reichlich lohnen." Er wehrte mit der Hand ab. "Sprich nicht von Lohn! Eine That, die um des Lohnes willen geschieht, ist nur eine Arbeit, aber keine gute That. Ich werde Deinen Befehlen gehorchen und auch nach dem Kiosk sehen; denn - fuegte er mit Bedeutung hinzu - "was er verbirgt, darf nicht in die Haende des Feindes fallen." Sie blickte ihn ueberrascht an. "Was er verbirgt -? Was meinst Du?" Ein leises aber stolzes Laecheln ging ueber sein Gesicht. "Der Phansegar weiss mehr als Andere. Er erkundet das Verborgene und enthuellt die Geheimnisse seiner Feinde und seiner Freunde. Die Ersteren muessen fallen, das Eigenthum der Letzteren aber behuetet er mit seiner Hand, und sein Auge wacht ueber ihrem Leben. Und wenn der Kiosk zerstoert waere, Du wuerdest dennoch wieder bekommen, was Dir gehoert." Er verliess den Raum und begab sich auf dem bereits bekannten Wege nach der vorderen Ruine zurueck. Dort lag Madpur Sings Leiche im Schatten einer Mauer. Bei ihr hielten etliche Thugs die Wache. Er redete den einen von ihnen an. "Lubahl Du warst in Symoore?" "Ja." "Kennst Du den Sultan?" "Ich war unter seinen Reitern und kenne ihn genau." Er wandte sich an den andern: "Du warst in Kamooh?" "Viele Jahre." "Und kennst den Rajah, der jetzt in Augh eingefallen ist?" "Ich kenne ihn." "So hoert, was ich Euch sage: Hier liegt der Fuerst unseres Landes. Er war weise, guetig und gerecht; er wurde von seinen Feinden verrathen und starb unter ihren Streichen. Seine Seele soll aufsteigen zu dem Gotte des Lebens und des Todes, und dort sollen ihm dienen die Geister seiner Feinde von Ewigkeit zu Ewigkeit. Morgen, wenn die Sonne aufsteigt aus dem Schoosse der Nacht, soll das heilige Feuer zusammenschlagen ueber seinem Leibe, und mit ihm wird es verzehren die Koerper der Verraether, der Inglis, welche wir heute richteten, des Sultans von Symoore und des Rajah von Kamooh. Wisst Ihr nun, was ich Euch befehlen werde?" "Wir wissen es," antworteten die Beiden mit einem Gleichmuthe, als ob es sich um eine leichte gewoehnliche Handlung, und nicht um eine lebensgefaehrliche verwegene That handele. "Ihr sollt den Sultan und den Rajah zu mir bringen, todt oder lebendig." "Wir werden es!" Der Phansegar scheut weder Qual noch Tod; aber ihr seid meine beste Soehne, die ich nicht gern verlieren mag. Nehmt Euch also so viele Brueder mit, als Ihr beduerft, um Eure Aufgabe zu loesen, ohne dass es Euer Leben kostet." Die Augen dessen, den er Lubah genannt hatte, blitzten muthig auf. "Ich brauche keinen Bruder!" "So gehe! Ich weiss, Du wirst den Sultan bringen." "Gib mir ein Pferd." "Nimm das beste, welches Du findest." "Ich kann nur das Schlechteste gebrauchen, denn ich werde es verlieren." Lubah wandte sich ab und suchte das Innere des einstigen Tempels auf. In einem niedrigen aber weiten Raume stand eine betraechtliche Anzahl von Pferden, von denen einige bereits gesattelt waren. Er waehlte sich ein ungesatteltes, fuehrte es in das Freie, setzte sich auf und ritt davon. Die Art und Weise, wie er auf das Pferd gesprungen war und jetzt ohne Zaum und Zuegel das Thier nur durch den Schenkeldruck regierte, liess in ihm einen ausgezeichneten Reiter vermuthen. Der alte Fuchs unter ihm schien mit einem Male wieder jung geworden zu sein, und der Reiter zeigte eine solche freie leichte Haltung, als ob es ein so schwieriges Terrain, wie der schmale, viel gewundene Waldpfad bot, gar nicht gebe. In kurzer Zeit lag der Wald hinter ihm, und nun auf dem freien Felde kam er noch bedeutend schneller vorwaerts als zuvor. Wenn er so fortritt, musste er Augh sehr bald erreichen. Doch er hielt nicht in gerader Linie auf diese Stadt zu, sondern er schlug einen Bogen ein, der ihn um dieselbe herum bringen musste. jedenfalls beabsichtigte er vorher zu rekognosziren, ehe er einen entscheidenden Schritt unternahm. Es war gegen Abend desselben Tages. Der Sultan von Symoore hatte sein Hauptquartier in der immer noch rauchenden Stadt aufgeschlagen und fuer sich und seine naechste Umgebung fuers Erste den vom Feuer beinahe zerstoerten Palast des getoedteten Maharajah eingenommen. Er sass auf dem unversehrt gebliebenen Throne, auf welchem Madpur Singh die Englaender empfangen hatte, und um ihn her standen oder lagerten die Grossen seines Reiches, dessen Verwaltung er in die Haende seines Veziers gelegt hatte, und die Obersten seines Kriegsheeres. Zahlreiche Boten kamen und gingen, ihm Nachricht zu bringen oder seine Befehle zu vollziehen, und fuer diejenigen, welche sich der Pferde bedienen sollten, stand eine Anzahl dieser Thiere im Hofe des Palastes bereit. Durch das Thor trat ein Mann, der sich langsam dem Throne naeherte. Es war Lubah, der Phansegar. Schon machte er eine Wendung, um zu dem Sultan zu gelangen, als eine kleine Truppe von Reitern in den Hof einbog und vor den Stufen der Saeulenhalle hielt, in welcher der Thron stand. Ihre Uniform kennzeichnete sie sofort als Englaender. Ihr Anfuehrer, ein Colonel*, stieg ab und naeherte sich dem Sultan in jener selbstbewussten Haltung, welche der britische Offizier selbst den hoechsten indischen Fuersten gegenueber einzuhalten pflegt. Der Sultan runzelte die Brauen. "Wer bist Du?" frug er in halb zornigem Torte. "Mein Name ist Brighton, Colonel Brighton vom Heere Ihrer Majestaet von England und Indien." "Was willst Du hier?" "Ich bringe Dir zwei wichtige Botschaften." "Sage sie." "Der Oberstkommandirende unserer Armee, General Lord Haftley, ist nebst mehreren der wichtigsten Offiziere seit dem Kampfe bei Hobrah spurlos verschwunden, und unsere Nachforschungen haben ergeben, dass er einer Bande Thugs in die Haende gefallen sein muss - -" Er wollte weiter sprechen, doch der Sultan, dessen Stirn sich ploetzlich glaettete, unterbrach ihn: "Und die zweite Botschaft?" "Ich war im Lager des Maharajah von Kamooh, wo grosse Aufregung herrschte. Der Rajah ritt mit seinem Sirdar** aus dem Lager, um einen kurzen Ritt um dasselbe zu unternehmen. Nach einiger Zeit fand man den Sirdar todt am Boden liegen, der Rajah aber ist nicht wieder zurueckgekehrt." Die Zuege des Sultans nahmen beinahe den Ausdruck der Freude an. Es wurde ihm schwer die Gefuehle zu verbergen, welche er bei der Nachricht empfand, dass diese zwei gefaehrlichen Rivalen verschwunden seien. * Oberst. ** General. "Allah ist gross!" rief er: "Er sendet Tod und Leben nach seinem Wohlgefallen. Was hast Du mir noch zu sagen?" "Ich komme im Auftrage des Naechstkommandirenden. Du musst uns helfen, die Thugs zu ergreifen und sie zu bestrafen!" Der Sultan laechelte ueberlegen. "Ich muss?" frug er, das letzte der beiden Woerter scharf betonend. "Du bist ein Christ und kennst unsem heiligen Kuran nicht. Der Prophet sagt: "Des Menschen Wille ist seine Seele, und wer seinen Willen dahingibt, der hat seine Seele verloren." Der Sultan von Symoore hat noch niemals gemusst, er hat stets nur das gethan, was im beliebte. Aber Ihr seid meine Freunde, und ich werde Euch daher freiwillig helfen dieThugs zu ergreifen. Doch sage mir vorher wo sie sich befinden." "Das wissen wir nicht, und das sollst Du uns eben auskundschaften." "So haelt mich Dein General fuer seinen Spion und Polizisten? Ihr seid sehr fremd in diesem Lande, und daher will ich thun, als ob ich diese Beleidigung gar nicht gehoert haette. Aber sage sie nicht noch einmal, sonst lasse ich Dich von meinen Dienern niederschlagen!" Der Oberst legte die Hand an den Degengriff. "Ich bin als Abgesandter meiner Koenigin unverletzlich und stehe unter dem Schutze des Voelkerrechtes." "Du irrst. Du bist nur Abgesandter Deines Generales und stehest nur so lange unter dem Schutze Eures Voelkerrechtes, als Du mich nicht beleidigst. Merke Dir das! Der Maharajah von Kamooh ist verschwunden. Weisst Du, wohin?" "Nein." "Ich ahne es." "Sage es!" "Das werde ich nicht thun, sonst beleidige ich Euch und entferne mich auch aus dem Schutze Eures Voelkerrechtes." Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, aus welchem deutlich zu hoeren war, dass der Sultan die Vermuthung hege, die Englaender haetten den Maharajah verschwinden lassen. Der Oberst legte die Hand zum zweiten Male an den Degen. "Die Beleidigung ist bereits geschehen, denn Du hast deutlich genug gesprochen!" "Du irrst wieder, denn ich habe nichts gesagt, aber man hat mir erzaehlt von mehreren Fuersten, die bei Euch und in Eurer Naehe verschwunden sind. Daher scheint es mir nicht gut zu sein, in Eure Naehe zu kommen." "Damit sind wir gern einverstanden, und ich ziehe daraus die Ueberzeugung, dass Du dem Befehle, welchen ich Dir zu ueberbringen habe, Folge leisten wirst." "Befehl? Wer koennte es wagen, dem Sultan von Symoore einen Befehl zu ertheilen?" "Ich!" "Du?" Der Sultan ueberflog die Gestalt des Englaenders mit einem Blicke, in welchem ebensoviel Verachtung wie Mitleid zu erkennen war. "Ja, ich! Und zwar im Auftrage meines Generales." "So hat die Sonne Dein Gehirn und auch das seinige verbrannt. Ihr seid Beide wahnsinnig geworden!" "Du bist ein Anhaenger der Lehre Muhammeds, und ich weiss, dass diese Lehre den Wahnsinnigen nicht verachtet, sondern ihn selig preist. Waere dies nicht der Fall, so wuerde ich Dir meine Antwort in der That und nicht in Worten geben!" "Ich fuerchte weder Deine Worte noch Deine Thaten. Welches ist der Befehl, den ich so gluecklich bin von Dir empfangen zu sollen?" "Du sollst Augh raeumen, weil wir unser Hauptquartier hier aufschlagen werden." "Gott ist gross, und die Welt ist weit. Sie hat Platz fuer uns und Euch. Schlagt Euer Hauptquartier auf wo Ihr wollt; in Augh aber bin ich und werde es nicht eher verlassen, als bis es mir beliebt." "Ist dies Deine feste Entscheidung?" "Sie ist es." "Du willst also dem Befehle des Generals den Gehorsam versagen?" "Ich habe ihm keinen zu leisten." "Denke an Deine Unterschrift!" "Denkt Ihr an die Eurige. Ich bleibe." "Du suendigest gegen die Bedingungen, welche Du eingegangen bist." "Ihr selbst habt diese Bedingungen nicht erfuellt, denn nicht Ihr habt Augh erobert, sondern ich habe es gethan." "Weisst Du, welche Folgen Deine Weigerung fuer Dich und die Deinigen haben wird?" "Ich werde sie ruhig abwarten." "Und Du willst uns nicht helfen, die Thugs aufzusuchen?" "Sage mir, wo sie sind, dann werde ich Euch beistehen, sie zu fangen und zu bestrafen." "So bin ich fertig und kann gehen." "Du kannst gehen. Allah lenke Dich und Deine Schritte, damit Du nicht strauchelst!" Der Offizier stieg zu Pferde und verliess mit seinen Begleitern [sic!] in moeglichst stolzer Haltung den Hof. Lubah hatte Wort fuer Wort der Unterhaltung gehoert. Der Vezier des Maharajah von Kamooh war getoedtet und der Rajah selbst verschwunden. Der andere Phansegar hatte also bereits seinen Streich gluecklich ausgefuehrt. jetzt gab es kein Zoegern mehr. Lubah schritt die Stufen zur Halle empor und warf sich dann auf den Boden nieder. "Wer bist Du?" frug streng der Sultan. "Herr, lass Deine Augen auf mich leuchten, so wirst Du den gehorsamsten und treuesten Deiner Diener erkennen!" Er erhob den Kopf ein wenig, so dass ihm der Sultan in das Gesicht zu blicken vermochte. Der Herrscher erkannte ihn jetzt. "Lubah, der beste meiner Suwars!"* rief er. "Ich hielt Dich fuer todt. Warum hast Du mich verlassen?" "Ich habe Dich nicht verlassen, Herr. Ich wurde von Deinen Feinden gefangen genommen und in das Land der Usufzeys** gefuehrt. Dort hielt man mich fest; bis ich den Seyud*** toedtete und entkam." "Ich glaube Dir. Aber warum kehrtest Du nicht zu mir zurueck?" "Um nach Symoore zu kommen, musste ich durch Augh. Hier wurde ich krank, denn ich hatte waerend der Gefangenschaft sehr viel gelitten, und konnte also nicht weiter. Aber mein Herz ist Dir treu geblieben, meine Augen sind auch hier fuer Dich offen gewesen, und da Du nach Augh gekommen bist, nahe ich mich Dir, o Herr, um Dir zu beweisen, dass ich Dir stets treu ergeben war." "Du willst mir Deine Treue beweisen? Deine Augen sind fuer mich offen gewesen? Wenn ich Dich recht verstehe, so willst Du mir etwas mittheilen, was Du gesehen oder erfahren hast?" "Herr, Du bist gross, Du erraethst die Gedanken meiner Seele." "So sprich!" "Ich darf nur dann sprechen, wenn allein Deine Ohren mich hoeren." "Stehe auf und tritt naeher zu mir heran!" Lubah gehorchte und begann mit so gedaempfter Stimme, dass nur der Sultan seine Worte verstehen konnte: "Herr, Du bist maechtig und reich, aber der Maharajah von Augh war noch reicher als Du - -" Augenblicklich nahm das Gesicht des Sultans den Ausdruck der hoechsten Spannung an. "Rede weiter!" gebot er mit einer Stimme, die so freundlich klang, als ob er mit dem vertrautesten seiner Freunde rede. Lubah fuhr fort: "Wie reich der Maharajah war, weiss nur ich genau." "Warst Du sein Schatzmeister?" frug der Sultan mit wohlberechnetem Spotte. "Nein. Er hatte keinen Schatzmeister, denn er brauchte keinen solchen." "Warum?" "Seine Schaetze bedurften nicht der Bewachung, denn kein Mensch ausser ihm und der Begum wusste, wo sie sich befanden." "Allah ist gross, und Du sprichst die Wahrheit. Ich habe ueberall gesucht und nichts gefunden. Aber rede weiter!" Seine Augen blitzten und seine Lippen bebten bei dem Gedanken an den unermesslichen Reichthum, den man Madpur Singh zugeschrieben hatte, und der doch nicht aufzufinden gewesen war. Er begriff, dass sich die Mittheilungen Lubahs auf das Versteck dieser Schaetze bezogen, und bebte vor Begierde, Aufklaerung zu erhalten. Muss ich Alles sagen?" frug der Phansegar, welcher sich Muehe gab, den habsuechtigen Sultan auf die Folter zu spannen. "Alles. Ich gebiete es Dir." "Ich war krank und musste, um meine Glieder zu staerken, viel im Flusse baden. Ich that dies am Liebsten am Abende, weil * Reiter. ** Ein Afghanenstamm. *** Afghanenhaeuptling. am heissen Tage das Licht meinem Auge und die Waerme meinem Kopfe Schmerzen bereitete. Einst lag ich spaet um Mitternacht am Ufer, um vom Schwimmen auszuruhen. Da kam ein grosses Boot den Fluss herab und legte ganz in meiner Naehe an. Zuerst stieg ein Naib* mit mehreren Dschuwans** aus und dann ein Sahib mit einem verschleierten Weibe. Der Sahib war Madpur Singh, der Maharajah von Augh, und das Weib war Rabbadah, die Begum - - -" "Allah il Allah," unterbrach ihn der Sultan; "Du hast die Begum gesehen, das schoenste Weib der Erde, welches kostbarer noch ist als alle Schaetze des Rajah?" "Ich habe sie gesehen, erst verschleiert und dann auch ohne Huelle, wie der Selige im Paradiese die Houris der sieben Himmel erblickt." "Und sie war wirklich so schoen, wie man sich erzaehlt?" frug der Sultan begierig. "Noch tausendmal schoener! Als ich ihr Angesicht erblickte, war es mir trotz der Nacht, als ob ich in die helle strahlende Sonne schaute." "Und diese Sonne ist verschwunden!" "Ich weiss, wohin." "Ha, ist es wahr, dass Du dieses weisst?" "Ich rede die Wahrheit, o Herr." "Wo ist sie? Wenn Du es mir sagen kannst, will ich Dich belohnen, dass Du reich wirst fuer Dein ganzes Leben. Aber in meine Haende, in mein Harem muss sie kommen; verstehst Du?" "Ich verstehe es, und Du sollst sie haben auch ohne dass Du mir Reichthuemer gibst." "Ich gebe sie Dir, das schwoere ich Dir bei Allah und dem Barte des Propheten." "Ich brauche sie nicht, denn -" und die folgenden Worte stiess er mit wichtiger selbstbewusster Miene, aber nur ganz leise fluesternd hervor - "denn wenn ich nur will, so sind die ganzen Schaetze des Maharajah Madpur Singh sofort mein Eigenthum. " * Lieutenant. ** Diener. "Wie? Dein Eigenthum?" frug der Sultan mit nicht beherrschter Hastigkeit. "Ja." "So kennst Du den Ort, an welchem sie der Maharajah verborgen hat?" "Ich kenne ihn; ich kenne ihn so genau wie die Stelle, an welcher ich jetzt stehe." "Wo ist er? Diese Schaetze gehoeren nicht Dir, sondern mir. Ich habe Augh erobert, und Alles, was sich in diesem Lande befindet, ist mein rechtmaessiges Eigenthum." "Bedenke, Herr, dass Du nicht allein nach Augh gekommen bist! Die Leute von Kamooh sind da und auch die Inglis. Wer nun ist der Besitzer des Landes Augh?" "Ich, denn die Hauptstadt befindet sich in meinen Haenden." "Die Hauptstadt, aber nicht der Schatz, denn dieser befindet sich ausserhalb der Stadt." "Wie? Ausserhalb der Stadt? Das waere ja ein grosses Wagniss, eine grosse Unvorsichtigkeit von dem Maharajah gewesen. Hast Du die Wahrheit gesprochen?" "Die volle Wahrheit, Herr. Soll ich Dir meine Geschichte noch weiter erzaehlen?" "Thue es!" "Als der Rajah ausgestiegen war, begab er sich mit der Begum nach einem Orte, den ich Dir vielleicht noch zeigen werde, und die Andern folgten ihm. Sie hatten Hacken und Spaten bei sich; sie gruben und bauten ein Versteck und verbargen dort viele Kisten und andere Dinge, welche sich in dem Boote befunden hatten. Es war der Schatz des Koenigs von Augh. Sie verwischten sorgfaeltig alle Spuren und warfen alles uebrig gebliebene Land in den Fluss. Waehrend dieser Arbeit begab sich der Rajah allein in das Boot; ich lag ganz in der Naehe und konnte ihn deutlich beobachten. Ich bemerkte einen Feuerfunken, welcher nur fuer einen Augenblick blitzschnell in seinen Haenden aufleuchtete; dann kehrte er wieder zu den Leuten zurueck. Ich ahnte, was er gethan hatte. Der Naib und die Dschuwans wussten wo der Schatz lag, und sollten deshalb sterben, um nichts verrathen zu koennen. Er wollte sie mit dem Boote in die Luft sprengen. Sage mir, Herr, ob es meine Pflicht gewesen waere, sie zu warnen!" "Nein. Du haettest Dich verrathen und waerest selbst in grosse Gefahr gekommen." "So dachte ich auch, und darum blieb ich ruhig an meinem Orte liegen." "Steigt ein, und fahrt zurueck!" gebot der Maharajah. Sie gehorchten, und er blieb mit der Begum am Ufer stehen. Kaum hatte sich das Boot eine Strecke weit entfernt, so blitzte es an seinem Borde auf, ein heftiger Knall ertoente, eine Feuersaeule stieg empor und ich hoerte die Truemmer des Bootes und der zerrissenen Leichen in das Wasser schlagen. Die That war geglueckt, und der Maharajah glaubte, dass das Geheinmiss ihm und der Begum von jetzt an allein gehoere." "Hast Du es treu bewahrt?" "Du bist der Erste, zu dem ich davon rede." "Was willst Du dafuer haben, dass Du mir das Versteck der Schaetze zeigest?" "Herr, ich bin Dein Diener und will nur von Deiner Gnade leben. Gib mir was Du willst. Ich fordere nichts, wenn nur Dein Auge freundlich auf mir ruht." "Lubah, Du bist der treueste und der beste unter Allen, die mir dienen. Du sollst gross sein in den Laendern Augh und Symoore. Aber sage mir, wo ist die Begum? Sie ist meinen Kriegem entkommen. Ein kuehner Mann hat sie entfuehrt." "Du sollst sie sehen und in Deinen Harem bringen. Sie ist versteckt bei einem Gurkha,* der zu meinen Freunden gehoert und bei dem ich sie bereits heimlich beobachtet habe. Befiehl, o Herr, wann ich Dir den Ort des Schatzes zeigen soll!" "Morgen, denn heut ist es zu spaet dazu." "Und die Inglis -" "Was meinest Du?" "Waren sie nicht soeben hier, um die Hauptstadt von Dir zu fordern? Sie stellen dieses Verlangen nur deshalb, weil sie wissen, dass der Maharajah unermessliche Reichthuemer besessen hat, von denen sie denken, dass sie sich in Augh befinden. Ihre Gesandten sind zornig von Dir gegangen, und ich glaube, morgen werden ihre Krieger hier sein, um Dir Augh zu nehmen." "Sie moegen kommen und es versuchen!" "Aber bei diesem Versuche kann Dir, selbst wenn Du siegest, der Schatz verloren gehen. Im Frieden bleibt er sicher unentdeckt, aber wenn diese Gegend zum Schlachtfelde wird, so kann ich dann fuer mein kostbares Geheinmiss nicht mehr Buergschaft leisten." Der Sultan musste diesen Grund anerkennen; er neigte zustimmend seinen Kopf. "Du hast Recht, ich muss den Ort noch heute sehen. Befindet er sich weit von hier?" "Von diesem Palaste aus erreichst Du ihn auf einem schnellen Pferde in einer Viertelstunde. Der Abend bricht bereits herein, Du musst Dich schnell entschliessen." "Was raethst Du mir? Soll ich den Schatz sofort holen oder liegen lassen?" "Denkst Du, dass er hier im Lager sicher ist?" "Nein." "So lass ihn noch liegen. Es genuegt, den Ort zu kennen, um im Falle eines Kampfes Deine Massregeln so zu treffen, dass der Feind von ihm abgehalten wird." "Ich stimme Dir bei. Nimm Dir dort ein Pferd, wir brechen sofort auf." Lubah wandte sich ab und begab sich zu den Pferden. Keine Miene seines Gesichtes verrieth seine grosse Freude ueber das Glueck, welches ihn bei seinem gefaehrlichen Vorhaben bisher begleitet hatte. Wie treu- * Hirte. los , verbrecherisch und furchtbar dieses Vorhaben war, das liess ihn gleichgiltig. Er war ein Phansegar, ein Todesfanatiker, dessen Glaube ihm gebietet, durch moeglichst viele Mordthaten sich die Seligkeit des Himmels zu erringen, und nach seiner Meinung war das Attentat auf den Sultan nichts weiter als ein grosser Fortschritt auf dem schrecklichen Wege zu dieser Seligkeit. Nach einiger Zeit und nachdem er fuer die Zeit seiner Abwesenheit die noethigen Befehle ertheilt hatte, bestieg der Sultan ein kostbar aufgezaeumtes Ross, welches ihm vorgefuehrt wurde, winkte Lubah an seine Seite und verliess mit ihm den Hof. Ein kleiner Trupp Suwars* folgte als Bedeckung, hielt sich aber eine ziemliche Strecke hinter dem Gebieter zurueck. Der Weg fuehrte zunaechst durch einige Strassen der Stadt und dann durch verschiedene Haufen von Reiterei und Fussvolk ueber das freie Feld hinweg. Alle Leute, an denen der Ritt vorueberging, warfen sich demuethig zur Erde. Unterdessen senkte sich der Abend mit der jenen Gegenden eigenthuemlichen Schnelligkeit zur Erde nieder, so dass die Suwars die Entfernung zwischen sich und dem Sultan verminderten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren und jedem seiner Befehle oder Winke sofort gehorsam sein zu koennen. Lubah hatte einen spitzen Winkel auf den Fluss zu eingeschlagen, und als eine Viertelstunde vergangen war, hielt er sein Ross an. Einige hundert Schritte vor ihnen rauschten die majestaetischen Fluthen vorueber; man konnte ihr phosphorescirendes Geflimmer deutlich erkennen und die Kuehle empfinden, welche von der Feuchtigkeit hier verbreitet wurde. "Wir sind beinahe am Ziele, Herr," bemerkte der Phansegar. "Warum. haeltst Du an?" "Ist es Dein Wille, dass die Suwars hinter uns das Geheimniss errathen, Herr?" "Nein. Du bist sehr vorsichtig, Lubah, und ich muss Deinen Gedanken beistimmen. Er wandte sich um, gebot seinem Gefolge zu halten und seine Rueckkehr hier zu erwarten, und setzte dann, von jetzt an ein langsameres Tempo einhaltend, seinen Weg weiter fort. Lubah that, als suche er nach den Kennzeichen des Versteckes, bis er eine gehoerige Entfernung zwischen sich und die Suwars gelegt hatte. Nun aber war seine Zeit gekommen. "Es scheint beinahe, als haettest Du den Ort vergessen," bemerkte der Sultan. "Ich kenne ihn so genau, dass ich ihn selbst im tiefsten Dunkel zu finden vermag." "So finde ihn!" gebot der Herrscher. "Es ist Nacht, und die Inghs sind vielleicht in der Naehe. Ich darf mich nicht weiter von Augh entfernen, wenn ich nicht in ihre Haende fallen will." "Allah il Allah! Wir sind am Ziele!" "Ah! Wo ist der Ort?" Lubah streckte seinen Arm nach seitwaerts aus. "Siehst Du die Felsen, Herr, welche dort so weiss vom Ufer herueber schimmern?" "Ich sehe sie nicht." "Deine Augen blicken zu weit nach rechts. Erlaube, dass ich Dir es genau zeige!" Er draengte sein Pferd ganz an dasjenige des Sultans heran, legte die Linke auf den Hintersattel des letzteren und streckte die Rechte aus, so dass seine Hand beinahe das Gesicht des Herrschers beruehrte, welcher sich alle Muehe gab, die gar nicht vorhandenen Felsen zu erkennen. "Dort sind sie." "Ich sehe sie immer noch nicht. "Noch ein wenig mehr nach rechts." "Bin ich denn mit Blindheit geschlagen! Ist das Versteck in der Naehe dieser Steine?" "Ja." "Was halten wir dann hier? Vorwaerts, lass uns doch hinueberreiten, Lubah!" "Ich komme hinueber, Du aber nicht!" Er erklaerte den Doppelsinn dieser im drohenden Tone ausgesprochenen Worte sofort durch die That: Der Sultan kam nicht hinueber, naemlich zu den Felsen, und der Phansegar kam hinueber, naemlich von seinem Pferde auf dasjenige des Fuersten. Er hatte sich waehrend seiner Worte im Sattel erhoben und hinueber geschwungen so dass er hinter den Sultan zu sitzen kam, dem er die beiden Haende um den Hals schlug, dass es dem also Ueberfallenen ganz unmoeglich war, einen Laut auszustossen. Er stiess ein kurzes Roecheln aus, fuhr mit den Haenden und Fuessen konvulsivisch durch die Luft und sank dann schlaff zusammen. Die Besinnung war ihm mit dem Athem verloren gegangen. "Gut gemacht!" murmelte Lubah. "Er ist nicht todt, und ich mache mein Meisterstueck, indem ich ihn lebendig nach der Ruine bringe. Sein Allah kann ihn nicht erretten." Er nahm alle Waffen des Bewusstlosen an sich, riss ihm den Turban vom Kopfe, rollte denselben auf und band ihn damit so auf das Pferd, dass er weder Arme noch Beine zu ruehren vermochte und eine Flucht also unmoeglich war. Dann steckte er ihm einen Knebel in den Mund, bestieg sein Pferd wieder, nahm dasjenige des Sultans beim Zuegel und ritt im schnellsten Galopp von dannen. Die Eskorte des Sultans wartete lange und natuerlich vergeblich. Es verging eine halbe Stunde, noch mehr, sogar eine ganze Stunde, ohne dass der Herrscher zurueckkehrte. Die Leute wurden je laenger desto mehr besorgt und unruhig. Endlich beschloss der Anfuehrer, dem letzten Befehle des Sultans zum Trotze, mit seinen Leuten in der von dem Herrscher eingeschlagenen Richtung langsam vorzureiten. Dabei nahmen die Suwars unter einander Distanz, so dass sie eine gerade Linie bildeten, die in ihrem Vorruecken sich auf der einen Flanke an das Ufer des Flusses stuetzte. So verfolgten sie die Richtung mit scharf umherspaehenden Augen, aber es bot sich ihnen nicht der kleinste Gegenstand dar, welcher ihnen einen Anhalt haette geben koennen. Da ploetzlich erschollen Huftritte gerade vor ihnen. Das waren nicht zwei, sondern mehr, viel mehr Reiter. Die Suwars zogen sich schnell zusammen. Es konnte eine Streifpatrouille der Englaender sein, denen nicht zu trauen war, obgleich man den Feldzug in gegenseitigem freundlichen Einvernehmen begonnen hatte. Weisse Maentel glaenzten durch die Nacht und ueber ihnen war eine Reihe weisser Turbans zu erkennen. "Es sind keine Ferenghis,** es sind Freunde," meinte der Anfuehrer der Suwars. "Kommt, wir werden den Sultan bei ihnen finden!" Sie ritten den Ankommenden entgegen. Diese stutzten erst und blieben halten, schienen aber ihre Besorgniss aufzugeben, als sie erkannten, dass sie nur eine geringe Anzahl Reiter sich gegenueber hatten. Einer loeste sich aus ihrer Reihe und ritt vor. "Halt! Wer seid Ihr?" "Suwars des Sultans von Symoore, den Allah mit Ruhm und Ehre segnet." "Was thut Ihr hier?" "Sage zuvor, wer Ihr seid?" "Suwars des Maharajah von Kamooh, den Allah nach Augh fuehrte." "Augh gehoert bereits unserem Sultan." "Wir wissen es. Also, was thut Ihr hier?" "Wir warten auf unsern Gebieter." "Auf den Sultan?" "Ja." "Ah! Er hat einen naechtlichen Ritt unternommen?" "Ja. Habt Ihr nicht zwei Reiter gesehen?" "Zwei Reiter? ja. Wie waren sie gekleidet?" Der Suwar beschrieb die Kleidung des Sultans und des Phansegars deutlich. "Merkwuerdig!" meinte der Andere. "Ritt der Sultan einen Schimmel?" "Ja." "Und der Begleiter desselben ein etwas kleineres dunkles Thier." "Ja." "Hm! Wir sind zwei Reitern begegnet, von denen der eine gefesselt war. Er war, wie es mir schien, mit seinem eigenen Turban angebunden und ritt einen Schimmel, den der andere Reiter am Zuegel fuehrte. Wir begegneten diesem und hielten ihn an, aber er riss seine Pferde ploetzlich herum und sprang mit ihnen in den Strom." "Allah akbar, es ist der Sultan gewesen, und der Andere war sicher ein Thug." Diese Worte wurden mit dem groessesten Schrecken ausgerufen. "Ein Thug? Woraus schliessest Du das?" "Nur ein Thug wagt es, einen Sultan mitten aus den Seinen heraus lebendig zu entfuehren. Ein gewoehnlicher Feind haette den Sultan getoedtet und waere dann entflohen." "Das ist richtig. Ha, welch eine Nachricht. der Sultan von Symoore in den Haenden der Thugs, und der Rajah von Kamooh verschwunden!" "Wie? Euer Maharajah ist auch verschwunden?" frug der Suwar verwundert. "Ja. jedenfalls ist er ebenso wie Euer Sultan in die Haende * Reiter. ** Fremde. der Thugs gefallen. Kannst Du mir sagen, ob der Maharajah von Augh entkommen oder gefangen worden ist?" "Er wurde getoedtet; aber seine Leiche ist entfuehrt worden." "Getoedtet? Ha, dieser Ritt hat guten Lohn getragen, wie mir scheinen will!" Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie zogen ihre Saebel, und im Nu sahen sich die Suwars von Symoore umzingelt. Der Sprecher zog auch den Degen und fuhr fort: "Lasst Euch sagen, dass wir nicht zum Rajah von Kamooh gehoeren. Wir sind Englaender, ich spreche Eure Sprache so gut wie Ihr und konnte Euch leicht taeuschen. Ihr seid meine Gefangenen. Gebt Eure Waffen ab, sonst hauen wir Euch zusammen!" Der Suwar sah, dass Gegenwehr vollstaendig fruchtlos sein wuerde, da er mit den Seinen einer zehnfachen Uebermacht gegenueberstand. Er versuchte zu unterhandeln: "Ihr gehoert zu den Inglis? Was greift Ihr uns an? Wir sind ja Freunde!" "Wir waren Freunde bis heut. Da Ihr aber Augh nicht raeumt, so ist der Vertrag zwischen uns und Euch ausser Kraft getreten. Wir sind aus Freunden Gegner geworden." "Augh gehoerte doch Dem, der es zuerst eroberte." "Ich kenne die Bedingungen des Vertrages nicht; ich habe nicht darueber zu entscheiden, sondern ich muss Euch einfach gefangen nehmen und bei uns abliefern. Also die Waffen her, sonst zwingt Ihr mich, den Befehl zu geben, Euch niederzuschlagen." "Wohl! Wir sind in Deiner Hand. Allah mag entscheiden zwischen uns und Euch." Er gab sich gefangen. Seine Leute folgten seinem Beispiele. Der kuehne naechtliche Ritt der Englaender hatte einen reichen Erfolg gebracht. Sie hatten nicht nur Gefangene, sondern auch Nachrichten gefunden, welche, wenn sie sich bestaetigten, von ganz ausserordentlicher Wichtigkeit waren. Bewaehrte sich das Verschwinden des Sultans und des Maharajah, so war vorauszusehen, dass die Englaender fuer ihre Intentionen freie Hand behalten wuerden. Unterdessen war man auch in der Stadt um den Sultan besorgt geworden. Es wurden Boten und Patrouillen nach ihm ausgeschickt. Die ersten kamen zurueck, ohne eine Spur von ihm und seiner Begleitung gefunden zu haben, und die spaeter ausgesandten kehrten gar nicht wieder. Dieser letztere Umstand hatte einen ganz besonderen Grund. Derjenige Offizier naemlich, welcher die Suwars gefangen genommen hatte, war bemueht gewesen, schleunigst in das Hauptquartier zurueckzukehren. Die von ihm ueberbrachte Kunde hatte den Oberstkommandirenden vermocht, die Verwirrung, welche das Verschwinden des Sultans hervorrufen musste, zu benutzen und sich Aughs zu bemaechtigen. Die englischen Streitkraefte setzten sich trotz der Dunkelheit gegen die Hauptstadt des Landes in Bewegung. Die Vorhut bestand aus lauter Sepoys*, welche der Feind sehr leicht mit seinen eigenen Leuten verwechseln konnte, und diese Sepoys hatten an ihrer Spitze wieder zahlreiche inlaendische Spione, welche das Terrain ausgezeichnet kannten, vereinzelt vorschwaermten und das geringste Verdaechtige sofort nach hinten meldeten. Auf diese Weise war es gelungen, diejenigen Patrouillen, welche sich zu weit von der Stadt fortgewagt hatten, ohne allen Laerm aufzuheben. Im weiteren Verlaufe des Vorrueckens wurden sogar groessere Truppenkoerper heimlich umzingelt und unschaedlich gemacht, und als der Morgen zu grauen begann, standen die Englaender so nahe und so zahlreich vor der Stadt, dass sie den Angriff augenblicklich unternehmen konnten. Die nur um ihren Sultan besorgten Krieger von Symoore, welche diesen letzteren Umstand nicht im entferntesten vermutheten, erstaunten nicht wenig, als ploetzlich mehrere englische Batterien auf Augh ein Feuer eroeffneten, unter dessen Schutze sich die Kolonnen zum Angriffe formirten. Eine schreckliche Verwirrung brach herein. jeder wollte befehlen, und Keiner wusste, wem er zu gehorchen habe. Der Brand hatte die Stadt bereits verzehrt; die Strassen waren durch Schutt und Ruinen schwer passirbar gemacht, und die Geschosse des bisherigen Freundes, der so ploetzlich zum Gegner geworden war, trugen nicht dazu bei, das Chaos zu entwirren. Da stuermten die Englaender mit einer Wucht heran, welcher nichts zu widerstehen vermochte. Sie warfen Alles, was sich etwa halten wollte, ueber den Haufen; die Eingeborenen flohen und liessen Alles zurueck, was geeignet gewesen waere, ihre Flucht zu hemmen, und noch war der Morgen nicht weit vorgeschritten, so waren die verhassten Inglis Herren von Augh und ihre Reiterei verfolgte die Geschlagenen mit solchem Nachdrucke, dass es ihnen unmoeglich war, sich wieder zu sammeln. Der englische Obergeneral hielt mit seinem Stabe vor der Stadt, da die letztere nochmals in Brand gerathen und nun so in Truemmern lag, dass es unmoeglich war, innerhalb ihrer Mauern Aufenthalt zu nehmen. Von seinem Standorte aus konnte man den Fluss uebersehen, und so bemerkte auch einer der Adjutanten ein hoechst sonderbares Fahrzeug, welches ungewoehnlich langsam den Strom herabgetrieben kam. Von dem Baue seines Bootes war nichts zu sehen. Man erkannte ueber dem Wasser ein eigenthuemliches Geruest, an welchem eine Anzahl menschlicher Gestalten hingen, und zwar ueber einem aus Reisholz und starken Aesten gebildeten Scheiterhaufen, auf dem allem Anscheine nach ein Leichnam lag. Dieses sonderbare Fahrzeug drehte sich im Vorwaertsschwimmen immer um seine eigene Achse, und bei jeder dieser Umdrehungen war ein Mann zu bemerken, welcher mit einer brennenden Fackel am Rande des Scheiterhaufens stand, jedenfalls bereit, denselben in Brand zu stecken. Diese Erscheinung musste die Aufmerksamkeit des Generales allerdings im hoechsten Grade erregen. Er winkte einen der eingeborenen Kundschafter herbei und frug ihn: "Was ist das fuer ein Schiff ?" "Ich weiss es nicht, Sahib." "Ich denke, Du bist hier zu Lande bekannt!" "Ich bin es; aber verzeihe, Sahib, ein solches Schiff habe ich noch niemals gesehen." "Hast Du keine Vermuthung?" "Ich habe sie." "So sprich sie aus!" "Dieses Fahrzeug ist kein Kahn, sondern ein Dschola**, auf welcher die Leiche eines vornehmen Mannes verbrannt werden soll." "Das denke ich mir auch. Aber die Leichen dort am Galgen, was sollen sie?" "Sie sollen jedenfalls mitverbrannt werden, wie ich mir denke, Sahib." "Natuerlich; aber wer sind sie, und wie kommt man auf die eigenthuemliche Idee, diese Leichen mittelst eines Flosses gerade hier auf diesem Strome zu verbrennen?" "Ich weiss es nicht. Befiehlst Du, Herr, dass ich mich erkundige?" "Wie?" "Ich schwimme hinueber und frage den Mann, welcher die Fackel haelt." "Begibst Du Dich dabei nicht in Gefahr?" "Nein. Beim Todtenopfer herrscht Friede; ich habe nicht das Mindeste zu befuerchten." "So eile, damit ich erfahre, ob nicht irgend ein Verrath hinter dieser Sache steckt!" Der Kundschafter sprang von dannen, warf am Ufer seine Kleidung ab, tauchte in die Fluthen und hielt auf das Floss zu. Er hatte es bald erreicht und schwang sich an dem Rande desselben empor. In diesem Augenblicke warf der Mann, welcher ihn erwartet zu haben schien, die Fackel in das Reisig, welches sofort Feuer fing. "Von wem bist Du gesendet?" frug er den Kundschafter mit finsterer Stirn. "Von dem General der Inglis." "So stehest Du in seinem Dienste?" "Ja." "Als was?" "Als Kundschaften" "Das heisst als Spion." Er machte eine Bewegung mit der Hand, welche die groesseste Verachtung ausdrueckte. "Du verraethst also Dein Land, Dein Volk, Dein Weib und Kind, Deinen Gott! Wisse, Verruchter, die Goetter werden Dich strafen durch die Hand des Phansegars!" Der Andere lachte ueberlegen. "Ich fuerchte weder den Thug noch den Phansegar. Aber sage mir, was diese Dschola zu bedeuten hat! Wer ist der Verstorbene, den Du dem Gotte des Todes opfern willst?" "Sage mir vorher, warum Du weder den Thug noch den Phansegar fuerchtest!" "Ich stehe unter einem Schutze, der maechtiger ist als die Gewalt aller Phansegars." "Welchen Schutz meinest Du?" "Den der Inglis." * Eingeborene Soldaten im Dienste der Englaender. ** Floss. "Thor! Blicke hier empor zu diesem Holze! Der Mann mit den lichten Haaren und dem Schnitte in der Kehle war Lord Haftley, der maechtige Sirdar-i-Sirdar* der Englaender; der neben ihm haengt hiess Mericourt und war sein Subadar**, und die Andern rechts von ihm waren alle Offiziere der Inglis. Die Phansegars aber haben diese Maechtigen mitten aus dem Lager des Feindes herausgeholt und gerichtet. Siehst Du nicht, dass ein jeder den bekannten Schnitt des Phansegar am Halse traegt?" "Mensch, so bist Du selbst ein Phansegar!" "Ja. Und ich wage mich ganz allein hier unter die Inglis. Bin ich nicht maechtiger als sie, deren hoechste Maenner ich verbrenne?" "Man wird Dich fangen und toedten!" "Sorge Dich um Dich und nicht um mich! Siehst Du den Todten auf dem Holze? Das ist der edle Madpur Singh, Maharajah von Augh, den die Verraether getoedtet haben. ich uebergebe seine Seele dem Gotte des Himmels. Und siehst Du die beiden Maenner neben dem fremden Sirdar links? Das ist der Sultan von Symoore und der Rajah von Kamooh. Wir haben Beide aus der Mitte der Ihrigen herausgelockt. Sie leben noch, aber sie sind gefesselt, dass sie steif sind wie die Leichen. Der guetige und gerechte Madpur Singh ward durch Verrath ueberfallen und getoedtet; die Phansegars werden ihn raechen. Sie fangen die obersten seiner Feinde und verbrennen sie bei getoedtetem und bei lebendigem Leibe ueber seiner Leiche. Und damit alle Welt erkenne, wie kuehn und maechtig der Phansegar ist, bringt er den Scheiterhaufen hierher, mitten unter Euch hinein. Siehe dieses Messer! Ich wuerde Dich toedten, denn Du bist ein Verraether; aber der General hat Dich gesandt, und ich will, dass Du ihm erzaehlst, was ich Dir gesagt habe. Ich gebe Dir die Erlaubniss zurueckzukehren, aber ich verspreche Dir bei unseren heiligen geheimen Gesetzen, dass Du binnen dreien Tagen dieses Messer gekostet haben wirst, magst Du Dich nun in den Himmel oder in die Hoelle verkriechen." Bei dieser Drohung sprang er in die Fluth und tauchte unter. Erst eine grosse Strecke weiter fort kam er wieder empor und strebte mit kraeftigen Streichen dem gegenseitigen Ufer zu. Der Kundschafter war ganz erstarrt von dem, was er vernommen hatte, er raffte sich zusammen und liess sich in die Fluthen nieder, um zum Generale zurueckzukehren und der Gluth zu entgehen, welche die Flamme jetzt verbreitete. "Nun?" frug der General, als er bei demselben angekommen war. "Schnell, Sahib, lass auf diesen Menschen schiessen, damit er nicht entkommt!" "Warum?" "Er ist ein Phansegar." "Alle Teufel! Aber - er ist schon hinueber und aus der Schussweite unserer Gewehre." "So lass ihm schleunigst nachsetzen!" "Geht nicht. Dies muesste durch Reiter geschehen, und ehe Einer hinueberkommt, ist er laengst in Sicherheit. Was hatte es mit dem Flosse fuer eine Bewandtniss?" "Eine fuerchterliche. Ich zittere, Sahib!" "Du sollst nicht zittern, sondern reden. Zittere, wenn Du gesprochen hast; dann hast Du Zeit genug dazu! Also, wer sollte auf dem Flosse verbrannt werden? Ah, da prasselt das Gerueste zusammen, und die Gehaengten stuerzen in die Gluth!" "Weisst Du, wer sie sind?" "Ich will es von Dir erfahren. Rede endlich!" "Du weisst, dass der General Haftley, der Rittmeister Mericourt und mehrere Offiziers von den Thugs ergriffen und gefangen genommen worden sind - - - "Natuerlich. Weiter!" "Sie hingen dort an dem Galgen." Der General fuhr erschrocken zusammen. "Kerl, Du luegst." "Sahib, ich luege nicht. Ich habe die Herren oft gesehen und sie wieder erkannt." "Ah, also gemordet!" "Ja, gemordet von den Phansegars zu Ehren des Maharajah Madpur Singh." "Wie so?" "Die Leiche auf dem Scheiterhaufen war die Leiche des todten Koenigs von Augh." "Fuerchterlich! Und Du hast diesen Menschen nicht auf der Stelle getoedtet?" "Ich war ohne Waffen, denn ich musste sie am Ufer lassen; er aber hatte das entsetzliche Messer des Phansegars, gegen welches es weder Wehr noch Hilfe gibt." "Was sagte er?" "Zwei von denen, welche an dem Balken hingen, waren noch lebendig. Es war der Sultan von Symoore und der Maharajah von Kamooh. Die Phansegars haben sie gefangen und der Seele Madpur Singhs geopfert. Sie sind lebendig verbrannt." Der General drehte die Spitzen seines Bartes. Ihm als Englaender musste der Tod dieser beiden Maenner sehr willkommen sein. Dennoch aber meinte er: "Ausserordentlich! Aber das soll schnell anders werden. jetzt bin ich Herr von Augh, und ich werde diese Moerder meine Faust so fuehlen lassen, dass sie verschwinden." "Sahib, vielleicht wirst Du ihre Faust eher fuehlen, als sie die Deinige." "Schweige!" herrschte ihn der Brite an, sich wieder nach dem Flusse wendend. * Chef der Generale, Generalissimus. ** Kapitaen, Hauptmann, Rittmeister. Das Floss, jetzt nicht mehr von der Hand des Phansegars in der Mitte des Stromes gehalten, hatte sich dem Ufer genaehert und an dasselbe angelegt. Der General trabte der Stelle zu, und die Andern folgten ihm. Das Opfer war vollstaendig beendet. Die aus Staemmen gebildete Unterlage war durch das Wasser beschuetzt worden und also nicht verbrannt, das uebrige Holzwerk aber hatten die Flammen in Asche verwandelt, unter welcher verschiedene halb verkohlte Knochenreste zu erblicken waren. Der General wandte sich schaudernd ab. "Lieutenant Barrow, ich uebergebe Ihnen dieses Floss. Sorgen Sie dafuer, dass diese menschlichen Ueberreste mit Ehren begraben werden. Das Uebrige werde ich noch anordnen." Er ritt hinweg. Seine Pflicht als Oberbefehlshaber gab ihm so viel zu thun, dass er sich mit dieser Angelegenheit fuer jetzt nicht eingehender befassen konnte. Der Lieutenant liess durch einige Sepoys die Knochen sammeln und verliess dann auch das Floss, welches waehrend des ganzen uebrigen Tages unbeachtet am Ufer liegen blieb. Am Abende aber aenderte sich dies. Augh lag verwuestet. Nur einzelne der gefluechteten Bewohner waren zurueckgekehrt und irrten wie Schatten heimlich zwischen den Truemmern umher. Die Englaender hatten die Gegend verlassen und waren unter Zuruecklassung einer nur geringen Anzahl von Kriegern dem fluechtigen Heere von Symoore gefolgt. Die Sterne leuchteten hernieder auf die noch immer rauchende Verwuestung, und in weiter Ferne war der Flammenschein eines brennenden Dorfes zu bemerken. Da tauchte ploetzlich am Strome eine Gestalt vom Boden empor und nach einiger Zeit eine zweite, welche sich der ersten naeherte. "Alles sicher?" "Wie es scheint." "Keine Wache auf dem Flusse?" "Wir wollen sehen." Sie krochen neben einander langsam auf das Floss zu und fanden dasselbe verlassen. "Hinauf?" frug der Eine. "Nein," antwortete der Andere. "Wir muessen erst sehen, ob die Umgebung sicher ist." Sie verschwanden wieder, kehrten aber bald von verschiedenen Seiten wieder zurueck. "Hast Du etwas Verdaechtiges bemerkt?" "Nein." Ich auch nicht. Nun lass uns sehen, ob die Baender des Flosses noch halten!" Sie bestiegen das Letztere und untersuchten sehr sorgfaeltig die gedrehten starken Ruthen, durch welche die doppelt uebereinander liegenden Staemme verbunden waren. "Alles noch fest?" "Ja." "Ich denke es auch. jetzt wollen wir das Zeichen geben." Er ahmte den Ton nach, welchen der zur Ruhe gehende Krokodilreiher auszustossen pflegt, und nach kurzer Zeit waren wohl an die fuenfzig Gestalten beisammen. Eine derselben stand in der Mitte des Kreises, welchen sie bildeten, und begann halblaut: "Nun sollt Ihr erfahren, weshalb ich Euch hier herfuehrte. Ihr wisst, welch ein guter Herrscher unser Maharajah war -" "Wir wissen es," antwortete Einer fuer Alle. "Er war gerecht und gut; er war auch klug und hat nie einen Thug getoedtet." "Niemals." "Darum haben wir ihn geraecht und werden auch noch viele seiner Feinde toedten. Sein Koerper wurde aus ihren Haenden gerettet, aber nicht sein Eigenthum und seine Schaetze. Wollt Ihr mir einmal sagen, wem sie von jetzt an gehoeren?" "Der Begum." "Du hast recht gesprochen, und Ihr sollt mir helfen sie ihr zu bringen. Wer nicht bereit dazu ist, der mag sich melden und uns dann verlassen." Es meldete sich Keiner und der Sprecher fuhr fort: "Ich wollte die Begum und ihren Fremdling lange bei uns in der Ruine von Koleah behalten, aber die Inglis werden ihre Hand auf das Land legen und uns verfolgen. Das wird uns Kaempfe bringen, welche die Sicherheit der Begum gefaehrden, und daher soll sie dieses Land verlassen, bis es ihr moeglich ist, zurueckzukehren und den Thron ihrer Vaeter einzunehmen. Sie hat die Ruine bereits verlassen und wird sich auf ein Schiff begeben, welches ich fuer sie bestellte. Als ich den Scheiterhaufen errichtete, wusste ich, dass das Floss nicht verbrennen wuerde. Ich liess erkunden, wo es liegt, und nun soll es die Schaetze aufnehmen und der Begum zufuehren. Ihr sollt als Schutz und Wache dienen. Seid Ihr bereit dazu?" "Wir sind bereit. Befiehl nur, was wir thun sollen." "Ihr werdet es sogleich hoeren, denn da sehe ich Lubah zurueckkehren." Es war wirklich der Phansegar, welcher jetzt herbeitrat. Der Anfuehrer frug ihn: "Was hast Du zu berichten?" "Meister, es ist kein Mensch im Garten, und das Kiosk steht noch wie vorher." "So gehe voraus, damit wir nicht ueberrascht werden. Ihr Andern folgt mir!" Sie bildeten eine lange Reihe, welche sich am Ufer des Flusses hin bewegte bis an die Mauer, welche den Garten des Maharajah begrenzte. Die Zerstoerung hatte auch hier gewuethet, denn die Mauer war an mehreren Stellen eingerissen worden. Die Thugs gelangten durch eine dieser Breschen sehr leicht in den Garten und wurden von ihrem Anfuehrer nach dem Kiosk gefuehrt. Hier stellte er einige Wachen aus und betrat dann mit Lubah das Gartenhaus. Nach wenigen Augenblicken liess sich ein leises schleifendes Geraeusch vernehmen, und die Aussenstehenden bemerkten zu ihrem Erstaunen, dass sich das Haeuschen auf seinem Fundamente drehte. Einige Zeit darauf erschien Lubah am Eingange. "Herbei jetzt! Ein jeder erhaelt ein Paket und traegt dasselbe nach dem Flosse." Nun begann ein eifriges und geraeuschloses Hin- und Herwandern zwischen dem Kiosk und dem Flosse, bis sich spaeter das Haeuschen wieder drehte und der Koenig der Phansegars mit Lubah heraustrat. "Fertig. jetzt kommt zurueck!" Auf dem Flosse wurden nun alle Gegenstaende in gute Lage und Ordnung gebracht, und dann entfernten sich die Thugs, waehrend der Anfuehrer mit Lubah zurueckblieb. Keiner von Beiden sprach ein Wort. So verging wohl eine halbe Stunde, bis sich wieder leise Schritte vernehmen liessen. Die Leute kehrten zurueck. Ein jeder von ihnen trug auf der Schulter einen starken aber leichten Bambusstab, an dessen beiden Enden hohle Tongefaesse befestigt waren. Von dieser einfachen aber sehr praktischen Beschaffenheit sind die Vorrichtungen, mit deren Hilfe die Anwohner des Indus, Ganges und anderer ostindischer Fluesse ohne grosse Anstrengung weite Strecken zu Wasser zuruecklegen. Der Schwimmer legt sich mit seinem Vorderkoerper auf den Querstab und wird von den Thongefaessen so bequem ueber Wasser gehalten, dass es ihm leicht wird, auch groessere Entfernungen ohne bedeutende Ermuedung zurueckzulegen. Einer von ihnen brachte auch zwei lange Ruder mit, mit deren Hilfe das Floss gelenkt werden konnte. Es stiess vom Lande und suchte, begleitet von den Thugs, welche jeder mit Saebel und Messer bewaffnet waren, die Mitte des Stromes auf. Diese fuenfzig Schwimmer, welche gewohnt waren mit dem Tode zu spielen, bildeten fuer das Floss eine Bedeckung, die sich unter keinem Umstande gescheut haette, es mit einem weit zahlreicheren Feinde aufzunehmen. Der Schatz der Begum war ihnen und dem Elemente anvertraut, in welchem sie beinahe ebenso zu Hause waren wie auf dem Lande. Die Hauptmacht der Englaender war landeinwaerts gerueckt, das Heer von Kamooh stand fuehrer- und in Folge dessen thatenlos weit von der Residenz entfernt, und die Begleitung des Flosses hatte also nur die kleinen detachirten Trupps der Feinde zu fuerchten, welche zur Erkundigung der Gegend ausgeschickt waren. Furcht aber kannten doch die Maenner nicht, deren bluttriefender Glaube es ihnen als das hoechste Ziel vorsteckte, als Moerder ergriffen zu werden, um eines qualvollen Todes zu sterben. - Es war am vorhergehenden Morgen, als Alphons Maletti vom Schlafe erwachte. Es hatte ihm getraeumt, dass er sich in einer ihn blutig umwogenden Schlacht befinde, unter deren Kanonendonner die Erde erbebte. Noch im Erwachen glaubte er, den dumpfen rollenden Ton der Geschuetze zu vernehmen, und sogar als er die Augen bereits geoeffnet hatte, hoerte er noch das tiefe Grollen einer entfernten Kanonade. Er erhob sich von seinem Lager und trat zum Fenster. Am westlichen Himmel zuckten die ersten Streifen des Tages, waehrend im Osten die Morgenroethe den Horizont bereits zu faerben begann. Er lauschte. ja, wahrhaftig, das war Kanonendonner. Er kannte denselben zu genau, als dass ein Irrthum moeglich gewesen waere. Der Schall kam aus der Gegend von Augh. Was gab es dort noch zu kaempfen? Der Maharajah war ja besiegt und todt: drei maechtige Feinde standen mit ihren Heeren im Lande, und es war also gar nicht denkbar, dass die Bevoelkerung von Augh nach dem Falle ihres Herrschers es gewagt haette, diesem dreifachen Gegner noch immer Widerstand zu leisten. Aber Maletti kannte die Politik der Briten, und daher vermuthete er sofort das Richtige: die Englaender hatten sich gegen ihre Verbuendeten gewandt, um alleinige Herren des eroberten Landes zu bleiben. Er knirschte mit den Zaehnen und murmelte: "Nur einige Monate spaeter! Haette ich nur drei Monate lang mein Amt verwalten koennen, so waeren diese Kraemer so empfangen worden, dass sie das Wiederkommen fuer immer vergessen haetten. Nun aber ist an keine Rettung mehr zu denken." Er hoerte draussen halblaute Schritte und oeffnete die Thuer. Er erkannte das Oberhaupt der Thugs. "Komm herein!" "Ich wollte lauschen, ob Dich der Kanonendonner vielleicht aufgeweckt haette." "Er hat es. Man schiesst in der Gegend von Augh. Weisst Du etwas Naeheres?" "Es geschieht hier im Lande nichts, wovon ich nicht von meinen Leuten benachrichtigt wuerde." "Wem gilt diese Kanonade?" "Die Inglis haben wieder einmal ihre Treue gebrochen und greifen das Heer von Symoore an." "Sie werden siegen, wenn der Maharajah von Kamooh nicht augenblicklich dem Sultan zu Hilfe eilt." "Das wird er nicht thun, Glaube mir, das Gold der Inglis ist noch maechtiger als ihre Waffen. Sie haben doch sogar die Thugs erkaufen wollen, aber der Tod eines einzigen Englaenders ist uns kostbarer als ganze Tonnen des schimmernden Metalles." Da liessen sich leise Schritte vernehmen, und Rabbadah erschien unter der Thuer. "Ich hoere schiessen. Was geht vor? Wer liefert diese Schlacht?" "Die Inglis greifen die Leute von Symoore an," antwortete der Phansegar. "Was sagst Du? Sind die Englaender nicht Verbuendete des Sultans von Symoore?" "Sie waren es, aber sie kennen keine Treue und keinen Glauben, sobald es ihr Vortheil erheischt. Sie wollen Augh allein besitzen und haben es sich von dem Sultan erobern lassen, um es ihm sogleich wieder abzunehmen." "Wird es Ihnen gelingen?" "Ja." "Aber der Sultan von Symoore ist beruehmt als ein grosser und tapferer Feldherr." "Er ist nicht bei seinem Heere und wird in weniger als zwei Stunden todt sein." Die beiden Andern blickten bei dieser Prophezeiung ueberrascht auf. "Er wird sterben?" frug die Begum. "Wer sagt es Dir?" "Ich selbst. Er stirbt gleichzeitig mit dem Maharajah von Kamooh." "Mit dem Maharajah? Unmoeglich! Und wie wolltest Du das voraus wissen?" "Weil ich es bin, der ihnen den Tod gibt. Sie sterben von der Hand des Phansegars." "Unbegreiflicher Mensch! So willst Du sie also ueberfallen und toedten lassen?" "Nein. Sie befinden sich bereits in meinen Haenden. Du weisst nicht, wie kuehn und maechtig der Phansegar ist. Ein einziger meiner Leute hat den Sultan von Symoore mitten aus Augh herausgeholt, und ein einziger meiner Maenner hat genuegt, den Maharajah von Kamooh gefangen zu nehmen und seinen Sirdar zu toedten." "So hast Du den Sultan und den Maharajah hier in der Ruine bei Dir?" "Jetzt nicht mehr. Sie sind bereits auf dem Wege zum Tode." "Wo sterben sie?" "Du bist meine Herrscherin, und ich befolge Deine Befehle, noch ehe Du sie mir gegeben hast. Was soll mit der Leiche Deines Bruders Madpur Singh geschehen?" "Ich werde Dich bitten sie heute verbrennen zu lassen." "So lass Dir sagen, dass ich ein Floss gebaut habe, auf welchem ein Scheiterhaufen errichtet ist. Auf demselben liegt der Todte und ueber ihm haengen seine Feinde, der Sultan, der Rajah, und die Englaender, welche wir toedteten. Das Floss wird von dem besten meiner Leute nach Augh geleitet und dort in Brand gesteckt, und die Inglis sollen erfahren, dass der Maharajah von Augh nicht ungeraecht ermordet worden ist." "Das wolltest Du thun?" "Ich habe es bereits gethan; das Floss ist schon laengst abgegangen und wird nun bald in Augh ankommen." "Wird das Alles auch wirklich gluecken?" "Es glueckt, dafuer buergt mir der Mann, welcher das Floss fuehrt. Er wird sogar die Inglis auf dasselbe aufmerksam zu machen wissen, ehe er es verbrennt." "Ich danke Dir fuer diese Rache und fuer die Treue, die Du mir bewahrst. Ich moechte niemals Deine Feindin sein, denn Du gebietest ueber Leben und Tod, ohne einem Volke oder der oeffentlichen Stimme Rechenschaft geben zu muessen." "Ich bin maechtiger als ein Fuerst, aber meine Macht will ich Dir leihen, bis Du den Englaendern entronnen bist und Dich in Sicherheit befindest." "So meinest Du, dass ich Augh verlassen und mich vor den Inglis fluechten soll?" "Ja." "Warum?" "Weil ihnen Augh gehoeren wird. Auch Symoore und Kamooh werden sie erobern." "Weisst Du dies gewiss?" "Ich weiss es. Sie haben Gold genug, um Laender zu erkaufen, und auch Menschen genug, um das Leben derselben ihren Eroberungen zu opfern. Was sie heute nicht erhalten, das werden sie sich morgen nehmen. Augh ist fuer Dich fuer immer verloren." "Und ich?" "Sie werden damach trachten, Dich in ihre Haende zu bekommen." "Das wird ihnen, so lange ich lebe, nimmermehr gelingen!" betheuerte Maletti. Der Thug laechelte leise, ja beinahe ein wenig geringschaetzend. "Du wuerdest fuer Deine Herrin sterben, ohne ihr nuetzen zu koennen," antwortete er. "Was wolltest Du thun, um sie vor Gefangenschaft und Schande zu bewahren?" "Ich thue Alles, was sie mir gebietet." "Das kann jeder Diener und jeder Sklave thun; jetzt aber ist ihr ein Mann von Noethen, der selbststaendig zu handeln weiss und nicht blos tapfer, sondern auch klug genug ist, ihre Feinde von ihr fern zu halten. Wie wolltest Du dies beginnen?" "Ich fliehe mit ihr." "Wohin?" "Fort aus diesem Lande, nach irgend einer Besitzung der Hollaender." "Das ist gut, denn die Hollandi sind Feinde der Ingli. Aber Du hast einen sehr weiten Weg zu machen, der Dich durch saemmtliche Provinzen fuehrt, in denen sich die Ingli festgesetzt haben. Du wuerdest mit der Begum bald in ihre Haende fallen." "So rathe uns!" "Ihr werdet noch heute fliehen. Der Wald von Koleah, in dem wir uns befinden, liegt so nahe an Augh, dass die Englaender bald hier sein werden. Es werden Viele von ihnen fallen, denn der Phansegar wird in ihren Reihen wuethen, ehe er ihnen die Ruinen der Tempel uebergibt: aber wenn der Kampf beginnt, muesst Ihr bereits fort von hier sein. Darf ich meinen Vorschlag aussprechen?" "Sprich!" gebot die Begum. "Meine Verbindungen gehen durch das ganze Land. Es kostet mich nur einen Wink, so steht ein Gangesschiff fuer Euch bereit, welches Euch sicher nach Kalkutta bringen wird. Die Schiffer sind treue Leute, auf die Ihr Euch verlassen koennt, und werden Euch in Kalkutta zu einem Manne bringen, welcher bereit ist, mir mit seinem Leben dafuer zu buergen, dass Ihr sicher aus dem Lande und auf ein Schiff kommt, welches Euch zu den Hollandi bringen wird. Soll ich diesen Wink geben?" Die Begum blickte Maletti fragend an, und da sie seine zustimmende Miene bemerkte, antwortete sie: "Thue es. Aber sage mir vorher, wenn das Schiff bereit sein wird?" "Heute in der Nacht." "Das ist zu frueh." "Das ist eher zu spaet als zu frueh, denn Du bist auf dem Schiffe sicherer als hier." "Aber ich muss zuvor nach Augh." "Was willst Du dort?" Es befindet sich dort etwas, was ich lieber verderben als zuruecklassen werde." Er nickte laechelnd. "Ich weiss, was Du meinst." "Was vermuthest Du?" "Habe ich Dir nicht bereits gesagt, dass der Phansegar Alles weiss? Was Du mitnehmen willst, liegt unter Deinem Kiosk verborgen, nach dem ich sehen lassen sollte." "Wahrhaftig, Du weisst Alles! Ist der Kiosk zerstoert?" "Nein." "So wirst Du zugeben, dass ich heut noch nicht zu Schiffe gehen kann. Soll ich dem Feinde die Schaetze lassen, die so gross sind, dass er sich Koenigreiche kaufen koennte?" "Du wirst sie mitnehmen und trotzdem heute Nacht noch aufbrechen." "Wie soll dies zugehen?" "Lass mich nur sorgen! Das Floss, welches jetzt in Augh angekommen sein wird, ist so gearbeitet, dass es nicht mit verbrennen kann; das habe ich mit Absicht gethan, denn auf ihm sollen die Schaetze nach dem Schiffe gebracht werden, auf welchem Du mich mit ihnen erwarten wirst." Sie blickte vor sich hin und schuettelte dann nachdenklich mit dem Kopfe. "Du wirst sie nicht finden, und ich muss also bei Dir sein, wenn Du sie holst." Er laechelte wieder. "Soll ich Dir noch einmal sagen, dass der Phansegar Alles weiss? Ich vermag Deinen Kiosk ebenso zu drehen wie Du. Ich bin oefters in dem Gewoelbe gewesen, wo das Gold wie Feuer glaenzt und die Diamanten wie Sterne flimmern." "Wie? Du haettest es gewagt, unser Geheimniss zu belauschen und in den Kiosk einzudringen? Haette dies Madpur Singh gewusst, so waerest Du verloren gewesen!" "Er haette mir nichts gethan," antwortete der Phansegar stolz. "Nun aber sage, wie wollt ihr Beide allein den Schatz heben um ihn vor den Inglis zu verbergen?" "Wir haetten treue Leute gesucht, die uns dabei geholfen haetten." "Das waere gefaehrlich gewesen, denn das Gold ist maechtiger als die Treue. Doch habt ihr diese Leute nicht bereits gefunden? Vertraue mir Deine Reichthuemer an, und ich verspreche Dir bei meinem Messer, dass Dir nicht das Geringste verloren gehen soll!" "Ich weiss es; aber ich glaubte, dass Du den Ort nicht finden wuerdest. Bestimme Du, was wir thun sollen, und wir werden in allen Stuecken Deinen Rath befolgen." "So macht Euch zur Abreise bereit. Ihr muesst die Kuehle des Morgens und des Abends benutzen, um waehrend der Hitze des Nachmittags rasten zu koennen. Meine Reiter werden Euch begleiten und Euch vor aller Faehrlichkeit und Noth zu behueten wissen." "Wohin werden wir gehen?" "Der Ganges macht hier einen Bogen nach der Gegend Ralaak. Ihr werdet diesen Bogen abschneiden und an der Grenze des Landes auf mich und das Floss warten, auf welchem ich Euch den Schatz des Maharajah Madpur Singh zufuehren werde." "Es sei, wie du sagest. Aber wie nun, wenn die Inglis Augh nicht festhalten koennen?" "Sie werden es nicht wieder verlieren. Sollte dies aber dennoch geschehen, so wirst Du unsere Koenigin sein, die wir zurueckrufen und der wir gehorchen werden." "Du weisst dann nicht, wo wir sind. Wie sollen wir Dich davon benachrichtigen?" "Lasst es dem Manne in Kalkutta wissen, der Euch das Seeschiff besorgt. Von ihm werde ich es bald erfahren, und dann kann ich Euch von Allem und zu jeder Zeit Nachricht geben." Waehrend dieses Gespraeches war der Donner der Kanonen verstummt, und es liess sich annehmen, dass der Kampf sich von der Hauptstadt fort und in das Land hineingezogen hatte. Der Handstreich der Englaender war gelungen; sie hatten sich durch die Wegnahme der Hauptstadt zu Herren des ganzen Landes von Augh gemacht. - Als dann spaeter am Abende die Thugs den Schatz aus dem Kiosk holten und zu ihrer Sicherheit Wachen ausstellten, glaubten sie vollstaendig unbeobachtet zu sein. Dem war aber nicht so. Zwischen den rauchenden Truemmern des Palastes hindurch schlichen zwei Maenner. Der Eine derselben war der Kundschafter, welcher heut von dem Generale nach dem Flosse geschickt worden war. Waere es heller gewesen, so dass man die Zuege des Andern haette erkennen koennen, so waere eine Aehnlichkeit aufgefallen, der zu Folge man die Beiden sicher fuer Brueder gehalten haette. Sie kamen an die Grenze zwischen dem Garten und dem Palaste und blieben hier stehen. "Nichts," meinte der Eine. "Nichts," wiederholte der Andere. "Und doch muss er vorhanden sein!" "Er ist vorhanden," meinte der Kundschafter mit sehr bestimmtem Tone. "Woher willst Du dies so genau wissen?" "Weisst Du nicht, dass ich Tamu, den Minister, ueberall hinbegleiten musste, als ich noch in seinen Diensten war? Damals regierte der Vater von Madpur Singh noch, der nicht das Geringste that, ohne Tamu vorher um Rath gefragt zu haben. Einst musste ich sehr spaet des Abends den Minister nach dem Palaste des Maharajah begleiten. Ich blieb im Hofe halten, um die Rueckkehr meines Herrn dort zu erwarten; er aber kam nicht; die Zeit wurde mir lang, und so trat ich zwischen die Saeulen des Palastes, um mich dort auf eine der Matten niederzulassen. Kaum hatte ich dies gethan, so vernahm ich Schritte, und es kamen zwei Maenner." "Der Minister und der Maharajah?" "Ja." "Und sie sahen Dich nicht?" "Nein. Sie gingen hart an mir vorueber, blieben aber bereits nach einigen Schritten halten. Ich bemerkte, dass der Rajah Tamu beim Arme ergriff und hoerte die leise Frage: "Du hast immer einen Diener bei Dir. Ist dies auch heut Abend der Fall?" "Ja, Sahib." "Wo ist er?" "Draussen im Hof." "Weisst Du das gewiss?" "Ganz sicher." "Er wird uns doch nicht bemerken?" "Nein, Sahib." "Ich habe meine Diener so beschaeftigt, dass sie uns nicht beobachten koennen." "Der meinige wird nicht wagen den Palast zu betreten; das weiss ich genau." "So komm!" Sie gingen weiter. Hier musste etwas Wichtiges und Geheimnissvolles vorliegen, und ich beschloss ihnen auf alle Gefahr hin zu folgen. Sie stiegen die Treppe zu dem Gewoelbe hinab, in welchem wir vorhin vergebens gesucht haben, und der Rajah brannte dort eine bereit liegende Fackel an. Dann drueckte er an eine der grossen Steinplatten, die die Mauer bilden; sie wich zur Seite und liess ein kleineres Gewoelbe sehen, in dem ich so viele goldene und silberne Gefaesse, Muenzen und Edelsteine erblickte, dass mir von all dem Glanze die Augen geblendet wurden." "Es war die Schatzkammer?" "Ja. Ganz derselbe Raum, den ich vorhin oeffnete und den wir leer gefunden haben." "Wo ist der Schatz hin?" "Weiss ich es? Haette ich ihn hier gesucht, wenn ich ihn anderswo vermuthete?" "Verschwunden kann er nicht sein, wenn er nicht von dem Sultan gefunden wurde." "Der Sultan hat ihn nicht gefunden. Seit ich den Schatz erblickte, hat die Sehnsucht, ihn zu besitzen in mir gebrannt wie eine Flamme, die zu den Wolken steigt. Nicht durch Gewalt, sondern nur durch List konnte ich zu ihm gelangen. Ich setzte mich daher in dem Vertrauen des Ministers fest; ich trieb ihn zum Verrathe; ich schuerte und schuerte, bis das Feuer des Krieges ausbrach; ich sorgte, dass der Sultan von Symoore den Maharajah von Augh so schnell ueberfiel, dass dieser nicht Zeit fand, seine Kostbarkeiten zu entfernen; dann trieb ich die Englaender herbei, um zu verhueten, dass der Sultan in das Gewoelbe gelange, und nun mir dies Alles so gut gelungen ist, finde ich den Schatz verschwunden!" "Wo ist er hin?" "Das weiss Allah und der Teufel, ich aber nicht! Madpur Singh muss ihn waehrend seiner Regierung an einen Ort gebracht haben, wo er ihn fuer sicherer gehalten hat." "Nun ist er todt!" "Und sein Geheimniss starb mit ihm." "Nein. Es lebt noch." "Wer sollte es kennen?" "Die Begum. Sie war seine Vertraute in allen Stuecken, und es ist daher als unumstoesslich anzunehmen, dass sie genau weiss, wo der Schatz verborgen ist." "Aber wo ist sie?" "Der Maharajah wurde ermordet; sie aber ist entkommen. Ein Krieger hat sie auf das Pferd genommen und ist mit ihr durch den Fluss geritten. Niemand aber kann sagen, wer er gewesen ist und wohin er sie gebracht hat." "Denkst Du, Lidrah, dass der Schatz ausserhalb Aughs verborgen worden ist?" "Nein," antwortete der Kundschafter, welcher also Lidrah hiess. "Er ist ganz sicher in dem Palaste oder in der Naehe desselben versteckt worden; davon bin ich ueberzeugt." "Vielleicht im Garten." "Wahrscheinlich." "Aber an welchem Orte?" "Das waere vielleicht zu erfahren." "Wie so?" "Die Begum wird bei Nacht kommen, um ihn zu holen. Wenn wir uns also taeglich hier auf den Posten stellen, ist es recht gut moeglich, das Geheimniss zu entdecken." Aber wenn wir es entdecken, wird es bereits zu spaet sein, der Schatz wird ja dann gehoben, und wir koennen dies nicht verhindern, sondern haben das Nachsehen." "Verhindern koennten wir es schon. Die Englaender sind da, und die Begum muesste also heimlich kommen. So bald wir Laerm machten, waere sie verloren." "Und der Schatz mit ihr." "Wir muessten sie ruhig gewaehren lassen und ihr dann folgen. Aber, horch!" "Schritte!" "Ja. Komm schnell hinter dieses Zimmetgestraeuch!" Sie verbargen sich und erkannten einen Mann, aus dessen leisen, vorsichtigen und spaehenden Bewegungen zu ersehen war, dass er nachsuchen wolle, ob irgend Jemand hier vorhanden sei. Er schlich sich vor dem Gestraeuch vorueber, ohne die hinter demselben Versteckten zu bemerken. "Ein Spaeher," fluesterte Lidrah. "Komm und folge mir! Ich muss sehen, was er will." Sie schlichen, jede Deckung geschickt benutzend, dem Manne nach und gelangten so in die Naehe des Kiosk. Hier ergriff der Kundschafter seinen Bruder schnell am Arme. "Halt, Kaldi! Dort steht ein Posten und hier auch. Siehst Du die Maenner beim Kiosk?" "Ich sehe sie." "Weisst Du, was sie sind?" "Wie sollte ich!" "Es sind Thugs, ja, es sind sogar Phansegars. Nimm Dich in Acht, Bruder, denn wenn sie uns bemerken, so sind wir ohne alle Gnade und Barmherzigkeit Beide verloren!" "Woran erkennst Du sie als Phansegars?" "Ich sah eines ihrer krummen Messer blitzen, und, ja, blicke einmal dort hinueber!" "Wohin?" "ach den beiden Maennern, welche jetzt die Stufen des Kiosk betreten." "Ich sehe sie." "Der Zweite von ihnen ist der Phansegar, welchen ich heute auf dem Flosse traf." "Unmoeglich! Wie sollte sich dieser Moerder wieder mitten in die Stadt herein wagen!" "In so zahlreicher Gesellschaft? Sei vorsichtig; er hat mir mit dem Tode gedroht." "Lidrah, komm und lass uns schnell Leute holen, sie zu fangen." "Bist du toll?" "Nein, aber man muss den Tiger und die Schlange ausrotten so viel man kann." "Kaldi, Du bist sehr voreilig!" "Willst Du Dich in Stuecke hacken lassen, wenn sie Dich hier finden?" "Nein. Aber Du, willst Du den Schatz verloren geben, den wir suchen?" "Den Schatz? Wie so?" "Schau, der Kiosk dreht sich!" "Wahrhaftig! Das ist sonderbar. Was muessen diese Moerder hier vorhaben?" "Das werden wir ganz sicher noch sehen, ich aber glaube es bereits zu wissen." "Was?" "Sie holen den Schatz." "Unmoeglich! Wie sollten sie wissen, wo ihn der Maharajah verborgen hat?" "Das wissen sie, wie ich vermuthe, jedenfalls aus zwei Quellen, statt aus einer." "Wie so?" frug der Bruder des Kundschafters begierig. "Die Thugs haben ueberall ihre Spione; sie sehen und hoeren, wo Andere blind und taub bleiben; sie erfahren und wissen Alles, und nichts bleibt ihnen verborgen, weil sie mit dem Auge des Todes sehen, der allwissend, allmaechtig und allgegenwaertig ist. Sie sind ganz gewiss heimlich dabei gewesen, als Madpur Singh seinen Schatz verbarg." "Dann haetten sie ihn wohl jedenfalls gestohlen?" "Nein; sie brauchen ihn nicht, denn sie sind auch ohne ihn reich genug. Und weisst Du nicht, dass der Maharajah niemals einen Thug verfolgte? Er war klug gegen sie, nun sind sie seine Freunde gewesen und wuerden ihn niemals bestohlen haben." "Und die zweite Quelle?" "Ist die Begum. Sie wurde mit einer ganz beispiellosen Kuehnheit gerettet, und der sie rettete, ist also wohl ein Phansegar gewesen. Ihr Koenigreich ist verloren, und da hat sie wenigstens ihre Schaetze retten wollen. Um dies zu koennen, hat sie sich den Thugs anvertraut, und diese kommen jetzt, das grosse Erbe des Rajah zu holen." "Wenn dies waere, so - -" Er stockte, denn soeben trat der Phansegar Lubah aus dem Kiosk und gebot: "Herbei jetzt! Ein jeder erhaelt ein Paket und traegt dasselbe nach dem Flosse!" Die beiden Lauscher beobachteten mit zitternder Spannung das geschaeftige aber lautlose Treiben, welches nun begann, bis sich das Gartenhaeuschen wieder drehte und Lubah mit dem Obersten der Phansegars wieder aus dem Kiosk trat. "Fertig; jetzt kommt zurueck!" gebot die halblaute Stimme des Anfuehrers. Die geheinmissvollen Maenner verschwanden einer nach dem andern durch die Mauerluecke. "Wahrhaftig, das ist der Schatz gewesen," meinte der Bruder des Kundschafters. "Er war es. Siehst Du nun, dass ich Recht hatte?" Es hatte sich Beider eine unbeschreibliche Erregung bemaechtigt, welche sie nicht zu beherrschen vermochten. Es galt ja, sich einen Reichthum nicht entschluepfen zu lassen, welcher beinahe beispiellos zu nennen war und der sich jetzt in Haenden befand, die nicht gewohnt waren, etwas herauszugeben, was sie einmal angefasst hatten. "Wis thun wir?" frug Kaldi. "Wir koennen jetzt nichts Anderes thun, als ihnen folgen, um zu sehen, wohin sie gehen." "So komm schnell!" Sie traten durch die Mauerbresche und schlichen sich nach der Gegend zu, in welcher soeben das Geraeusch der letzten Schritte der Phansegars verstummte. "Langsam!" gebot Lidrah dem Bruder. "Wir haben es mit lauter Teufeln zu thun und muessen im hoechsten Grade vorsichtig sein. Lege Dich zur Erde. Wir muessen auf dem Leibe vorwaerts kriechen, wenn sie uns nicht bemerken sollen." Sie thaten dies und gelangten dadurch so nahe an das Floss heran, dass sie die beiden auf demselben befindlichen Gestalten deutlich erkennen konnten. "Wo moegen die Andern sein?" frug Kaldi. "Ich errathe es," antwortete Lidrah, welcher jedenfalls scharfsinniger als sein Bruder war. "Nun?" "Sie holen Ruder fuer das Floss und Schwimmtoepfe fuer sich selbst." "Wohl nicht. Wozu Schwimmtoepfe, da sie auf dem Flosse sein koennen?" "Die Fracht ist zu schwer, als dass dasselbe noch viele Menschen tragen koennte." "Dann genuegen ja diese Beiden!" "Meinest Du? Duerfen zwei Maenner es wagen, waehrend der Feind im Lande ist, einen solchen Reichthum ohne alle weitere Begleitung und Bedeckung fortzuschaffen?" "Wohin?" "Wer kann das sagen? Die Begum steht unter dem maechtigen Schutze der Thugs, und diese werden ihr ganz gewiss ein Schiff versorgen, auf welchem sie mit sammt ihren Schaetzen zu fliehen vermag. Vielleicht steht dieses Schiff schon bereit sie aufzunehmen." "So ist der Schatz fuer uns verloren!" "Noch nicht; ich gebe niemals auf." "So ist es noethig, dass wir schnell handeln. Du hast Dein Messer, und ich habe das meinige. Wir schleichen uns vorwaerts, toedten die zwei Thugs und entfliehen mit dem Flosse." "Und werden bereits nach einer Viertelstunde von den Phansegars eingeholt und ermordet. Bist Du bei Sinnen? Und selbst dann, wenn sie uns nicht verfolgten, wuerden wir mit dem Flosse nicht weit kommen. Wir muessen jedenfalls anders handeln." "Aber wie?" "Wir folgen dem Flosse. Weiter laesst sich jetzt nichts sagen." "Gibt es hier ein Boot?" "Ich habe keines gesehen. Es wuerde uns auch gar nichts nuetzen. Aber ich bemerkte waehrend des Pluenderns in einem Hause hier in der Naehe mehrere Fischertoepfe. Wenn wir sie holen, kommen wir leichter und freier vorwaerts, als in dem Boote." "So komm!" Sie entfernten sich langsam von dem Strande und nahmen dann einen eiligeren Lauf, bis sie an ein kleines Haeuschen gelangten, in welchem der Kundschafter verschwand. Bereits nach kurzer Zeit kam er mit Schwimmtoepfen zurueck, welche zugleich eingerichtet waren, Fische aufzunehmen. Er war so vorsichtig, sie seinem Bruder zu uebergeben, und meinte: "Mit diesen grossen Toepfen wuerden wir sehr leicht bemerkt; ich will also vorangehen und die Thugs beobachten. Du wartest an der Mauer des Palastgartens, und wenn die geeignete Zeit gekommen ist, werde ich Dich holen." Er kehrte nach dem Flusse zurueck; Kaldi aber begab sich langsamen und vorsichtigen Schrittes um den koeniglichen Palast herum nach der Gartenmauer, wo er seine Schwimmapparate ablegte und sich selbst hinter einen Strauch setzte, um zu warten. Nach einiger Zeit vernahm er ein leichtes Rauschen der Fluthen, von denen sein Standort nur wenige Schritte entfernt war. Das Floss erschien. Es wurde von zwei Maennern gefuehrt, welche ihre Ruder handhabten, waehrend mehrere andere, zwischen ihren Schwimmtoepfen liegend, durch kraeftiges Schieben seinen langsamen Gang beschleunigten. Rechts und links von dem Flosse waren andere Schwimmer zu sehen, welche jedenfalls die Bestimmung hatten, die Schaetze der Begum zu behueten. Das Floss verschwand nach einigen Augenblicken aus dem Gesichtskreise Kaldi's, und dann hoerte er langsame Schritte laengs der Mauer nahen. Es war sein Bruder. "Kaldi?" klang es halblaut. "Hier." Der Rufer trat herbei. "Hast Du sie gesehen?" "Ja." "Und gezaehlt?" "Nein." "Du vergissest stets die Hauptsache. Man muss doch wissen, mit wie vielen Gegnern man zu kaempfen hat. Es schwimmen Achtundvierzig, und Zwei sind auf dem Flosse." "Das sind Fuenfzig. Es ist also sicher, dass wir ihnen nichts anhaben koennen." "Durch Gewalt nicht, vielleicht aber durch List." "Inwiefern?" "Das kann ich jetzt noch nicht sagen, sondern es muss sich aus den Umstaenden ergeben. Wir folgen ihnen, und das Uebrige wird sich finden aus dem, was wir sehen." "So komm!" "Wir haben noch Zeit. Wir schwimmen Beide sehr gut, und das Floss kommt nicht so schnell vorwaerts wie ein einzelner Mensch. Auch muessen wir uns sehr hueten, ihnen so nahe zu kommen, dass sie uns vielleicht gar bemerken koennen. Bleibe also sitzen!" Er nahm neben dem Bruder Platz. "Wie viel gibst Du mir, wenn wir die Schaetze bekommen?" frug dieser. "So viel, dass Du fuer alle Zeiten genug hast." "Ich bin zufrieden und werde also Alles thun, was Du von mir verlangst. Ich wuerde sogar das Floss mit ueberfallen, wenn Du es fuer nothwendig haeltst." "Das wuerde nur unser Verderben sein. Was wollen wir Zwei gegen fuenfzig Phansegars beginnen?" "Sie werden das Floss doch wohl nur heute Nacht begleiten und dann zurueckkehren." "Sie werden das Floss begleiten, bis es das Schiff erreicht, welches die Begum fortbringen soll. In Allem, was wir beobachtet haben, liegt ein fester und gewisser Plan; das musst Du ja auch erkannt haben. Das Floss wurde nicht nur gefertigt um den Scheiterhaufen aufzunehmen, sondern es wurde zugleich so gebaut, dass es nicht mit verbrennen konnte, und so geleitet, dass es in der Naehe des Koeniglichen Gartens anlegen musste. Nun konnte es zur Fortfuehrung der Schaetze benutzt werden, und wer dies so schlau ersonnen hat, der wird wohl auch seine Massregeln darnach getroffen haben, dass es noch vor dem Morgen ein Fahrzeug erreicht, auf dem die Begum mit ihren Reichthuemern besser aufgehoben ist, als auf einem offenen Flosse." "Dann koennen wir zurueckbleiben, denn alle unsere Muehe wird umsonst sein." "Geduld ist ein sehr heilsames Kraut, und Ausdauer ueberwindet Vieles. Ich werde Ihnen folgen, und wenn ich auch bis an das Ende der Erde gehen muesste!" Nach diesem entschiedenen Ausspruche trat eine Stille ein. jeder der zwei Maenner dachte an das Ziel, welches sie sich gesteckt hatten, und an die Mittel, zu demselben zu gelangen. Endlich erhob sich der Botschafter [sic!] und griff zu einem der Apparate. "Jetzt ist es Zeit. Wir werden sterben oder unendlich reich werden. Vorwaerts!" Sie gingen in das Wasser, nachdem sie sich ihre leichte Kleidung turbanaehnlich um den Kopf geschlungen oder sie in die hohlen Gefaesse verborgen hatten. Von den Toepfen getragen, brauchten sie sich nicht sehr anzustrengen. Ihre Schnelligkeit uebertraf noch diejenige eines gut geruderten Bootes, und bereits als sie kaum eine Stunde sich im Wasser befanden, verminderte Lidrah diese Raschheit und hob von Zeit zu Zeit den Kopf empor und hielt lauschend an, um zu sehen oder zu hoeren, ob er dem Flosse vielleicht zu nahe gekommen sei. Zuweilen klang es wie ein leises Plaetschern oder Rauschen von vorn her durch die stille Nacht herueber. Dann hielten die beiden Schwimmer an, um einige Zeit vergehen zu lassen. So verging die Nacht, und die Zeit, in welcher sich der Morgen zu roethen beginnt, brach heran. Der Nebel lag auf dem Wasser; es war unmoeglich, vorwaerts zu blicken, aber die durch die Feuchtigkeit der Duenste verdichtete Luft trug dem Ohre jeden Laut mit doppelter Deutlichkeit zu. Ploetzlich hielt Lidrah inne. "Hoertest Du etwas?" frug er den dicht neben ihm schwimmenden Bruder. "Ja." "Was?" "Den Ruf, welchen die Schiffer ausstossen, wenn etwas an Bord gehoben wird." "Richtig. Wir haben ein Schiff vor uns. Vielleicht ist es dasjenige, welches die Phansegars suchen. Rudere hinueber nach jener Landzunge und warte, bis ich wiederkehre. Ich werde einmal sehen, wen wir vor uns haben." Kaldi folgte diesem Gebote. Es ragte in das Wasser ein schmaler Landstreifen herein, dem er zusteuerte, um sich dort im hohen Grase niederzuwerfen. Er hatte nicht allzulange gewartet, als sein Bruder bereits wieder zurueckkehrte. "Trafst Du etwas?" frug er ihn. "Ja. Wir haben sie erreicht und sind ganz nahe bei ihnen. Hier hueben auf unserer Seite liegt ein langes schmales Gangesschiff mit einem Maste und drei Segeln." "Und das Floss?" "Hat bei ihm angelegt und gibt Alles an Bord, was sich auf ihm befindet." "Verloren also!" "Was?" "Der Schatz." "Noch nicht. Es bleibt uns nichts anderes uebrig, als auch an Bord zu gehen." "Ah so! Aber wenn? Jetzt?" "Nein. Der Phansegar kennt mich ja sehr genau und hat mir sogar mit dem Tode gedroht. Uebrigens wuerde es sehr auffallen, wenn wir jetzt zwischen Nacht und Morgen und an einem von Menschen unbewohnten Orte ein Schiff anfragen wollten, ob es uns mitnehmen will." "Es fragt sich, ob es uns ueberhaupt aufnehmen wird." "Es gibt ein sicheres Mittel." "Welches?" "Einem Pilger wird niemals von einem Schiffe die Aufnahrne verweigert." "So wollen wir uns fuer Pilger ausgeben?" "Ja." "Wohin?" "Das Schiff will jedenfalls bis hinunter nach Kalkutta, denn die Begum ist nur dann sicher, wenn sie Indien ganz verlaesst, daher muessen wir es so einzurichten suchen, dass wir bis dorthin mitfahren koennen, ohne aussteigen zu muessen. Wir gehen also nicht nach einem heiligen Orte, sondern wir kommen von einem solchen." "Von welchem?" "Von Ahabar, droben in den Bergen des Himalaya, wo wir den Stier besuchten." "Und wo sind wir her?" "Wir sind Laskaren* und haben keine andere Heimath als die hohe See." "Ah! Warum?" "Dann wird es uns gelingen, mit der Begum und ihren Schaetzen in See zu gehen, wenn wir unsern Zweck nicht bereits vorher auf dein Ganges erreichen konnten." "Du bist schlau. Wie gut ist es, dass wir bereits einmal zur See gewesen sind!" "Wir muessen Alles thun, um jeden Verdacht zu vermeiden, und uns ganz besonders das Vertrauen der Begum und Derer zu erwerben, die bei ihr sind." "Aber wann gehen wir zu Schiffe?" "Heute noch nicht. Ich kenne den Lauf des Flusses sehr genau. Er macht hier viele und bedeutende Kruemmungen, und wenn wir von hier aus den Landweg einschlagen, so sind wir dem Schiffe morgen frueh eine Strecke zuvorgekommen." "Aber dieser Phansegar, welcher Dich kennt und Dir gedroht hat?" "Was ist mit ihm?" "Er wird Dich sofort erkennen, so bald wir das Fahrzeug betreten werden." "Er wird sich nicht auf demselben befinden." "Wie willst Du das so genau wissen?" "Er hat mir gedroht, dass ich binnen dreien Tagen sein Messer gekostet haben werde, er muss sich also waehrend dieser Zeit in der Gegend von Augh befinden und kann unmoeglich mit dem Schiffe der Prinzessin weiterfahren wollen." "Das ist richtig. Aber wirst Du das Fahrzeug auch richtig wieder erkennen?" * Indische Matrosen. "Der Nebel ist dicht; ich habe es mir aber trotzdem so genau betrachtet, dass ich mich nicht irren wuerde, selbst wenn ich den Namen nicht gelesen haette." "Wie lautet er?" "Die Badaya."* "Und was thun wir jetzt?" "Wir treten unsern Weg an, ohne uns weiter um das Schiff, das Floss und die Phansegars zu bekuemmern. Hier erwartet uns nur Unheil, wenn wir gesehen werden, und je weiter wir fort sind, desto naeher sind wir am Ziele." "Doch unsere Schwimmtoepfe?" "Duerfen wir weder liegen noch fortschwimmen lassen, da sie uns dann leicht verrathen koennten. Wir nehmen sie eine Strecke mit in das Land hinein und werfen sie dann von uns. Lege jetzt nun Deine Kleider an!" Kaldi gehorchte, und dann begannen sie ihre Wanderung. Sie kamen durch zahlreiche Doerfer, welche je entfernter von Augh, desto weiter vom Kriegsschauplatze lagen und ein ruhiges Leben zeigten. Die beiden Pilger erhielten ueberall einen Trunk Wasser und eine Handvoll Reis, und ein reicher Brahmane gab ihnen sogar neue Sandalen an die Fuesse, als er entdeckte, dass Lidrah musikalisch war und zur Raflah** zu singen verstehe. Als sich dieser erste Tag zum Abende neigte, machten sie Halt auf einer Anhoehe, wo sie unter dem Schutze dicht belaubter Baeume sich ein Nachtlager herrichteten. Die Dunkelheit brach herein, und schon wollten sie die Ruhe suchen, als ploetzlich gerade vor ihnen ein Feuer aufleuchtete, welches die Naehe von Menschen bekundete. "Schau!" meinte Kaldi. "Was muss dies fuer ein Feuer sein?" "Ein Wachtfeuer nicht, denn hier gibt es keine Krieger und auch keine Jaeger." "Es sieht beinahe wie ein Schiffsfeuer aus." "Warum?" "Weil es vom Nebel umgeben ist." "Wirklich!" "Es muss ein Fluesschen in der Naehe sein." "Oder gar der Ganges." "Den haetten wir bemerkt." "Es war bereits ziemlich duester, als wir hier anlangten, und der Huegel kann so vor dem Wasser liegen, dass man den Fluss gar nicht sehen kann. " "Wir wollten ihn aber doch erst morgen erreichen." "Ich glaube, dass wir uns zu weit nach Mittag hielten. Uebrigens, wo ein Feuer ist, da sind auch Leute, und da ist es mir lieber als hier in der Einsamkeit. Wir wollen uns erheben und sehen, wer dort zu finden ist. Komm!" Sie standen wieder auf und schritten auf das Feuer zu. Je mehr sie sich demselben naeherten, desto groesser und heller wurde es, und endlich erkannten sie in seinem flackernden Scheine die breite glaenzende Flaeche des Ganges, an dessen diesseitigem Ufer ein Fahrzeug vor Anker lag. Jetzt blieb Lidrah ueberrascht halten. "Kaldi, wir sind wirklich zu weit nach Mittag gegangen, viel zu weit." "Woraus erkennst Du das?" "Weil wir sonst dieses Schiff nicht hier an dieser Stelle treffen koennten." "Welches ist es?" "Die Badaya." "Wirklich?" "Wirklich! Ich erkenne den Bau sehr genau, und siehst Du an der Seite seines Schnabels die weibliche Figur, welche tanzend den Schleier schwingt? Das Licht des Feuers faellt hell darauf. Es ist kein anderes Fahrzeug als die Badaya." "Desto besser. So brauchen wir nicht laenger zu suchen." "Komm naeher. Das Schiffsvolk hat sich an das Land gemacht und bereitet sich das Nachtmahl. Wollen einmal erst sehen, was es fuer Leute sind." Sie schlichen sich heimlich hinzu und betrachteten die vor ihnen liegende Gruppe. "Es sind Schiffer und verschiedene Passagiere," meinte der Kundschaftet. "Vielleicht befinden sich unter den letzteren einige Thugs und Phansegars, welche die Begum begleiten und beschuetzen sollen. Der aber, den ich zu fuerchten habe, der ist nicht dabei. Komm ein Stueck wieder zurueck, und dann lassen wir uns sehen." Sie schritten leise retour und traten dann laut auf das Feuer zu. * Indischer Ausdruck fuer Bajadere. ** Indische Laute mit drei Saiten. Die um dasselbe Versammelten vernahmen ihr Nahen und blickten sich um. Als sie zwei Maenner erkannten, die eine ernste ehrwuerdige Pilgermiene machten, gruessten sie: "Ihr kommt ganz gewiss weit her. Wie schwitzet Ihr?" Dieser Gruss ist der unter den Indiern allgemein uebliche, da in diesem heissen Lande die Transpiration ein Zeichen der Gesundheit ist, waehrend das Ausbleiben des Schweisses auf eine nahende und jedenfalls gefaehrliche Krankheit deutet. "Wir danken Euch, Ihr Brueder," antwortete der Kundschafter. Wir schwitzen gut, und dafuer ist Gott zu danken, da wir eine weite Reise hinter uns haben." "Wo kommt Ihr her?" "Von den heiligen Bergen da oben, wo die Sonne kein Eis verzehren kann." "Was habt Ihr dort gethan?" "Wir waren an der beruehmten Quelle von Ahabar, aus welcher der heilige Stier der Berge trinkt. Wer von ihrem Wasser kostet, dem sind alle Suenden vergeben und er hat sogar auch noch Vergebung uebrig fuer Alle, die ihr Lager und ihren Reis mit ihm theilen. Wie schwitzet Ihr?" "Wir schwitzen sehr, denn wir haben dieses grosse Schiff zu regieren." "Wo wollt Ihr hin?" "Hinunter nach Kalkutta. Und ihr, meine frommen Brueder?" "Auch nach Kalkutta." "So weit?" "Das ist nicht weit. Das Reich der Laskaren ist groesser und weiter als von Kalkutta nach Ahabar und von da wieder zurueck nach der Stadt des Stromes." "Wie, Ihr seid Laskaren?" frug der Mann, der jedenfalls der Fuehrer der Badaya war. "Ja." "So seid uns willkommen! Setzt Euch nieder und esset und trinket mit uns. Dann sollt Ihr uns von Eurer frommen Reise erzaehlen." Das liessen sie sich nicht zweimal sagen. Sie setzten sich und erhielten ihren Reis. Dann bereitete sich ein jeder nach indischer Sitte sein Essen abgesondert von jedem Andern und verzehrte es, nachdem er sich so plazirt hatte, dass er von niemand beobachtet werden konnte. Einer der Schiffer, welcher mit seinem Male zuerst fertig geworden war, griff an den Stamm eines Pfefferstrauches, an welchem seine Raflah hing. Er stimmte die Saiten und sang ein Lied, welches er mit einfoermigen Griffen begleitete. "Nun erzaehlt uns von Dem, was Ihr gesehen habt," meinte der Schiffer. "Lass diesen Mann erst noch sein Lied singen," bat Lidrah. "Ich liebe die Raflah und das Lied und habe seit langer Zeit keines gehoert." "So spielest Du die Saiten wohl auch selbst?" "Ja, Sahib." "Und singest dazu?" "Ja." "So sollst Du uns ein Lied singen. Nimm die Raflah, und wenn mir Dein Lied gefaellt, dann nehme ich Euch umsonst bis nach Kalkutta mit." "Deine Seele ist voller Guete und Dein Herz voller Barmherzigkeit, Sahib," antwortete Lidrahl im hoechsten Grade erfreut ueber das glueckliche Gelingen seiner Absichten. "Ich werde mir Muehe geben, Dir und den Deinen zu gefallen." Er nahm die Raflah, gab den Saiten eine andere Stimmung und begann: "Es treibt die Fanna heimathslos Auf der bewegten Fluth, Wenn auf dem See gigantisch gross Der Talha Schatten ruht." Alle Anwesenden horchten auf. Das waren ganz andere Klaenge, als sie zu hoeren gewohnt waren. Lidrah bemerkte es und fuhr fort: "Er breitete die Netze aus Im klaren Mondesschein, Sang in die stille Nacht hinaus Und traeumte sich allein." Jetzt erschien ueber dem Borde des Fahrzeuges ein Maennerkopf, der seine dunklen Augen auf den Saenger richtete, welcher weiter sang: "Da rauscht' es aus den Fluthen auf, So geisterbleich und schoen; Er hielt den Kahn in seinem Lauf Und ward nicht mehr gesehn." Da war neben dem Maennerkopfe ein wunderbar schoenes Frauenantlitz zu erblicken. Kein Schleier deckte es, kein vorgehaltenes Tuch verbarg es vor dem Auge des Kundschafters, welcher jetzt das Lied beendete: "Nun treibt die Fanna heimathslos Auf der bewegten Fluth, Wenn auf dem See gigantisch gross Der Talha Schatten ruht." Die Maenner schlugen zum Zeichen ihres Beifalles mit den Haenden auf ihre Knie. Lidrah achtete gar nicht darauf. Sein Auge war auf den schoenen Mann gerichtet, welcher jetzt an einer von Palmenfasern gedrehten Strickleiter vom Schiffe an das Ufer stieg und zum Feuer trat. Es war Maletti. "Wer bist Du?" frug er den Botschafter [Kundschafter]. "Ein Laskar, Namens Lidrahl Sahib." "Ein Laskar? Wie kommst Du hierher?" "Ich und mein Bruder Kaldi hier kehren von einer Pilgerschaft zurueck." "Du singst und spielst, wie ich es von einem Indier noch nie gehoert habe." "Ich habe es von einem Manne gelernt, der aus dem Lande der Franken kam." "Dachte es. Kannst Du noch mehrere solcher Lieder?" "Ja, Sahib." "Die Sahiba dort oben will gern noch eines hoeren." "Wenn sie es befiehlt, so werde ich ihr sehr gern gehorsam sein, Sahib." Er nahm das Instrument wieder zur Hand und begann mit einigen einleitenden Griffen in die Saiten. Er sah die praechtigen Augen Rabbadah's auf sich gerichtet; er fuehlte sich wie getroffen von einem Strahle, den er so heiss noch niemals gefuehlt hatte, und begann sein Lied mit einer Stimme, die allerdings nicht unschoen genannt werden konnte: "Die Lotosblume bluehet So einsam auf dem See; In stiller Sehnsucht siehet Verlangend sie zur Hoeh. Des Ufers Schatten ruhten, Ach lange schon so kalt, Rings auf den tiefen Fluthen, Die sie so kuehl umwallt. Nun moechte sie gar balde Den Strahl der Sonne sehn, Vor dem zum dunklen Walde Die finstern Schatten gehn. Und sinnend durch die Fluthen Fahr ich mit meinem Kahn; Es hats mit ihren Gluthen Die Lieb' mir angethan. Ich bin mit meinem Leide So einsam und allein, Und moecht an ihrer Seite Doch gerne gluecklich sein. Und doch in ihren Blicken, Die nimmer mich verstehn, Will es mir niemals gluecken, Der Liebe Strahl zu sehn." Das Lied war zu Ende und erhielt ganz denselben Beifall wie das vorige. "Ich bin zufrieden mit Dir," meinte der Fuehrer des Schiffes. "Ihr sollt Beide mit uns nach Kalkutta gehen. Ihr seid Laskaren und kennt also die Schifffahrt?" "Ja, Sahib." "Erlaubt Euch Eure fromme Pilgerschaft, auf einem Schiffe zu arbeiten?" "Ja, wenn wir die Zahl der Gebete einhalten, welche wir gelobt haben." "Ihr sollt sie einhalten und dennoch einen guten Lohn erhalten, wenn Ihr mir bis Kalkutta zuweilen mithelfen wollt, die Segel zu richten oder etwas Anderes zu thun." "Wir wollen Dir gerne helfen, Sahib. Lass uns nur Deine Befehle wissen." Maletti stieg auf das Deck der Badaya zurueck. Er war die einzige Person, die sich jetzt mit Rabbadah dort befand. Sie hatte sich am Steven niedergesetzt und erwartete ihn. "War dieser Mann ein Eingeborener?" "Ja." "Aber er sang so fremd und schoen, wie ich mir nach der Beschreibung meines Bruders die Lieder der Franken vorgestellt habe." "Er hat die seinigen allerdings auch von einem Franken gelehrt bekommen." "Wunderbar, dass Ihr Franken alles besser wisst und besser koennt als wir!" "Das hat zwei sehr wichtige Gruende, Sahiba." "Hast Du schon wieder vergessen, dass Du mich nicht mit diesem Titel nennen sollst!" "Verzeihe mir! Ich bin ein armer Krieger, Du aber bist eine reiche Fuerstin." "Die Fuersten stammen aus der Kriegerkaste, und mein Reichthum ist mir nicht so werth wie der Deinige. Der Geist und die Seele stehen hoeher als Gold und Silber. Aber sage mir, welche Gruende Du meintest!" "Bei uns gibt es keine Kasten; ein jeder kann werden, was er will, und die Gaben ausbilden und gebrauchen, welche er von Gott geschenkt erhalten hat." "So koennte bei Euch ein Paria ein Priester, ein Brahmane werden?" "Ja, denn Gott schuf Beide zu seinem Bilde. Nicht die Geburt gibt dem Menschen seinen Werth, sondern der Mensch ist gerade so hoch oder so niedrig wie seine Gedanken, welche er denkt, seine Gefuehle, welche er empfindet, und seine Thaten, welche er thut." "Das klingt so schoen und richtig, aber ich kann es nicht verstehen. Vielleicht kommt die Zeit, in welcher ich weiss, was Du sagen willst. Und der zweite Grund?" "Bei uns hat das Weib dieselben Rechte, wie der Mann sie hat." "Erklaere mir dies!" "Das Maedchen wird so frei geboren wie der Knabe; es wird ihm Alles gelehrt, was es lernen will; es kann sich seinen Gatten waehlen und ist nicht die Sklavin desselben. Es nimmt Theil an seinen Freuden und seinen Leiden und hat ueber die Kinder ganz dieselbe Gewalt wie der Mann. Gott ist die Allmacht und die Liebe, der Mensch aber ist sein Ebenbild; da nun aber der Mensch aus Mann und Frau besteht, so soll der Mann ein Ebenbild der goettlichen Allmacht und das Weib ein Ebenbild der goettlichen Liebe sein. Und wo Allmacht und Liebe auf Erden so innig zusammenwirken, da wird der Mensch seinem Gotte immer aehnlicher, da steigt die Weisheit und Gerechtigkeit vom Himmel hernieder, und die Voelker naehern sich immer mehr der Erhabenheit und Herrlichkeit Dessen, der ihnen das Leben und das Dasein gab." "Auch dies verstehe ich nicht," meinte sie, "aber ich wuensche, dass ich es begreifen koennte." Dann fuegte sie nachdenklich hinzu: "Das Weib soll ein Ebenbild der goettlichen Liebe sein - - - " Der Blick ihres wunderbaren Auges war gegen die Sterne gerichtet; ihr Angesicht war ganz dasjenige eines Engels, welcher aus jenen Hoehen hernieder gestiegen ist. Alphons konnte seinen Blick nicht von ihr wenden und wagte es, hingerissen von dem Zauber, den sie auf ihn ausuebte, seine Hand auf die ihrige zu legen. "Kennst Du die Liebe?" frug er mit leiser zitternder Stimme. "Ich weiss es nicht." "So hast Du nie geliebt!" "Vielleicht doch. Oder ist das keine Liebe, die man zur Mutter und zum Bruder hat?" "Ja. Aber es gibt noch eine andere Liebe, die unendlich reicher, entzueckender und beseligender ist und diese arme Erde zum Himmel, zur Wohnung der Seligen macht." "Welche meinest Du?" "Die Liebe im Herzen des Mannes und des Weibes. Hast Du sie gekannt?" "Nein. Ich kannte keinen Mann, ich wollte keinen Mann, ich liebte keinen Mann." "Und kennst und willst und liebst auch jetzt noch keinen Mann?" "Darf nach Eurer Sitte ein Weib dies sagen?" "Ja." "Wem darf sie es sagen?" "Dem, den sie liebt." "Dann weiss er ja, dass sie ihn liebt!" "Warum sollte er es nicht wissen duerfen?" "Wenn er sie nun nicht wieder liebt?" "O, die Liebe ist allmaechtig, und kein Herz kann ihr widerstehen. Wer aus dem tiefsten Grunde seines Herzens liebt, der wird ganz sicher wieder Liebe finden." "Wenn dies doch wahr waere!" fluesterte sie. Er zog ihre Hand an sein Herz und neigte sich naeher zu ihr hernieder. "Weisst Du noch, was Du mir vorhin gebotest?" "Was?" "Ich soll Dich nicht mehr Sahiba nennen." "Ja. Nenne mich Rabbadah, wie mich die Mutter und der Bruder nannte." "Das darf ich nicht." "Warum?" "Die Sitten und Gebraeuche meiner Heimath gebieten, dass nur der Mann sein Weib bei diesem Namen nennen darf." Sie schwieg; aber sie liess ihre Hand in der seinigen, und dies gab ihm,den Muth, den Gefuehlen Raum zu geben, welche die tiefste Tiefe seines Herzens durchflutheten. "Nicht wahr, nun muss ich Dich dennoch Sahiba nennen?" "Nenne mich, wie Du willst!" antwortete sie nach einigem Zoegern. "Und wenn ich nun dennoch jetzt Rabbadah zu Dir sagen wollte - - - ?" "Du darfst es." "Ich darf! Ist dies wahr, ist dies moeglich, ist dies kein Traum, keine Taeuschung?" "Nein." Er hoerte das Zittern ihrer fluesternden Stimme; er fuehlte das Beben ihres kleinen Haendchens; er konnte nicht anders, er musste den Arm um sie legen und sie an sich ziehen. "Rabbadah," frug er mit stockender Stimme, "weisst Du, was Du jetzt gesagt hast?" "Ich weiss es." "Genau?" "Genau! Ich habe weder Vater noch Mutter, ich habe weder Bruder noch Schwester, ich habe keinen Freund und keinen Menschen als Dich allein. Du hast mich aus den Krallen des Panthers errettet, Du hast mir das Leben erhalten, als es bereits verloren war; es ist Dein, es gehoert Dir, ich weiss nun, welche Liebe Du vorhin meintest, denn ich habe sie kennen gelernt und in meinem Herzen getragen seit dem Augenblicke, an welchem mir der Bruder von Dir erzaehlte. Nenne mich Rabbadah!" "Rabbadah!" jubelte er. Aber es war kein lauter, sondern ein leiser, tief innerlicher Jubel, der aus seiner Stimme klang. Er schlang die Arme um das herrliche Wesen und zog es fest und innig an seine vor unendlicher Seligkeit hochklopfende Brust. "Meine Seele, mein Engel, meine Goettin, so willst Du mein Weib sein, willst bei mir sein und mit mir, jetzt und immerdar?" "Jetzt und immerdar!" hauchte sie, den Kuss erwidernd, den er auf ihre Lippen drueckte. "So schwoere ich Dir, dass jeder Augenblick meines Lebens, jeder Athem meiner Brust und jeder Pulsschlag meines Herzens nur Dir, Dir allein gehoeren soll, Rabbadah!" Sie sassen eng umschlungen neben einander; die Sterne funkelten wie Diamanten, das Kreuz des Suedens leuchtete glaenzend auf sie hernieder, doch die Sterne, welche in den Herzen dieser beiden Gluecklichen aufgegangen waren, strahlten heller, viel heller noch als alle die Brillanten des tropischen Firmamentes. Drunten am Feuer hatte unterdessen die Unterhaltung ihr Ende erreicht, und man traf Anstalten, sich zur Ruhe zu begeben. Lidrah trat zum Schiffsfuehrer. "Sahib, erfuelle mir und meinem Bruder eine Bitte." "Welche?" "Wir sind Laskaren und haben das Geluebde gethan, niemals auf der Erde zu schlafen, wenn es moeglich ist, auf einem Schiffe Ruhe zu finden." "Ihr scheint begeisterte Matrosen zu sein! Ihr wollt auf der Badaya schlafen?" "Ja. Unser Geluebde gebietet es uns." "Dann muss ich Euch Eure Bitte gewaehren. Aber stoert den Sihdi und die Sahiba nicht, welche sich in die Kajueten des Hinterdecks zurueckgezogen haben werden!" Die beiden Maenner stiegen, Lidrah voran, an der Strickleiter empor. Sie erreichten das Verdeck, ohne von den beiden Liebenden bemerkt zu werden. "Kaldi!" fluesterte der Kundschafter. "Was?" "Siehst Du dieses herrliche Weib?" "Sie ist schoener noch als die Sonne, schoener als die Morgenund Abendroethe!" "Es ist die Begum." "Ist dies wahr?" "Ja. Komm leise. Sie haben geglaubt, allein auf dem Schiffe zurueckzubleiben, und darum ihre Kajueten noch nicht aufgesucht. Wir legen uns unter das Segel, wo sie uns nicht bemerken koennen." Sie schlichen sich an der Schanzverkleidung hin und krochen unter die dicke Matte, welche der Badaya als zweites Segel diente und von wo aus sie Maletti und Rabbadah ganz genau beobachten konnten, ohne von ihnen gesehen zu werden. "Weisst Du, Kaldi, wie viel dieses Weib werth ist?" frug Lidrah. "Wie viel?" "Mehr, tausendmal mehr als alle ihre Schaetze, als all ihr Gold und ihre Diamanten." "Hm! Ich ziehe mir vielleicht doch ihre Diamanten vor." "Ich folgte ihr um ihrer Schaetze willen, nun aber steht es fest, dass auch sie mein werden muss. Hast Du mich verstanden, Kaldi? Mein muss sie werden!" "Du bist von Sinnen!" "Ja, denn alle meine Sinne sind bei ihr." "Du und eine Prinzessin! Du und die Schwester des Maharajah von Augh!" "Ja, ich und sie! Sie muss mein Weib werden, wenn ich nicht vorher sterbe." "Und dieser Mann, der bei ihr sitzt?" "Ich kenne ihn nicht, ich frage nicht nach ihm, obgleich er sie umschlungen haelt. Vielleicht ist es der Phansegar, der mit ihr aus dem Garten des Rajah geflohen ist." "Sie lieben sich!" "Es wird nicht lange waehren, so ist er todt und sie liebt mich!" "Du willst das Weib haben und wirst Dich dadurch um ihre Schaetze bringen!" "Nein, denn ich werde nicht unklug, sondern nur mit der allergroessesten Vorsicht und Schlauheit handeln; darauf kannst Du Dich verlassen. Wir werden alle Abende, wenn das Schiff an das Ufer anlegt, auf dem Decke bleiben und jede Gelegenheit erspaehen, nach dem Schatze der Begum forschen zu koennen. Mein wird er und sie dazu, das schwoere ich bei allen Goettern und Geistern des Himmels und der Erde!" - - - Mehrere Wochen spaeter langte die Badaya in Kalkutta an. Es war am Abende, als sie vor Anker ging. Der Kapitaen gab Befehl, dass keiner der Leute das Schiff verlassen duerfe, er selbst aber bestieg das kleine Boot und ruderte sich mit eigener Hand vorwaerts, bis er an eine breite Treppe gelangte, welche vom Wasser aus zum hohen Ufer fuehrte. Hier befestigte er das Boot an einem eisernen Ring und stieg die Treppe empor. Er gelangte auf der letzten Stufe an ein hohes breites Thor, welches verschlossen war. Er schien oefters hier gewesen zu sein, denn schon bei dem ersten Griffe fand er den Knopf, welcher eine Klingel in Bewegung setzte. Schnelle Schritte ertoenten hinter dem Thore, und eine Stimme gebot: "Es ist zu spaet zum Oeffnen. Geht wieder fort, und kommt morgen wieder!" "Ali, oeffne!" antwortete der Kapitaen einfach. Dieser Ruf musste doch eine gewisse Wirkung ausueben, denn die Stimme frug: "Wer ist draussen?" "Ein Freund der Freunde." "Das ist etwas anderes. Wartet. Ich werde sofort oeffnen!" Ein Schluessel wurde angesteckt, ein Riegel zurueckgeschoben und ein Fluegel des Thores aufgezogen. "Wer da!" "Namen werden nicht genannt. Kennst Du mich nicht, Ali?" Der Diener blickte dem Kapitaen in das Gesicht und beugte sich dann zur Erde nieder. "Sahib, Euer Eingang sei gesegnet jetzt und in Ewigkeit. Tretet naeher!" Er verschloss das Thor wieder und schritt dann voran, ueber den Hof hinweg. "Ist Dein Herr zu Hause?" "Ja. Er sitzt ueber seinen Buechern." "Und zu sprechen?" "Fuer Euch immer, wie Ihr wisst." "So melde mich ihm!" Sie betraten ein grosses palastaehnliches Gebaeude, schritten durch mehrere breite, lange und sparsam erleuchtete Korridore und hielten endlich vor einer Thuer an. "Tretet ein, Sahib! Euch brauche ich nicht anzumelden," meinte der Diener. Der Kapitaen trat ein. Er stand iri einem hohen Raume, dessen vier Waende ganz von Buechergestellen eingenommen wurden, welche von gruenen Vorhaengen verdeckt waren. An einem alterthuemlichen Schreibtische sass ein hoch und kraeftig gebauter Mann, den man an seiner eigenthuemlichen Kleidung gleich als einen jener Parsi erkannte, welche in ganz Indien wegen ihrer Reichthuemer und strengen Rechtlichkeit bekannt sind. Der Mann warf einen Blick nach der Thuer, erkannte den Eintretenden und erhob sich sofort. "Kapitaen! Du hier! Es muss eine wichtige Botschaft sein, die Dich zu so spaeter Stunde zu mir fuehrt." "Das ist sie, Samdhadscha." "So setze Dich und sprich! Wo kommst Du her?" "Aus Augh," antwortete der Gefragte, indem er ungenirt Platz nahm. "Aus Augh? Die Englaender haben dort gesiegt, wie man hoerte?" "Durch Verrath!" "Ich glaube es. Der Maharajah soll todt sein." "So ist es." "Der Sultan von Symoore und der Rajah von Kamooh desgleichen?" "Desgleichen." "Es liegt ein Fluch auf diesem Lande, welches in die Haende der Franken gelegt wurde, um seinen letzten Lebenstropfen zu verbluten. Welche Ladung hast Du?" "Eine geheimnissvolle." "Ah!" "Daher komme ich so spaet zu Dir. Ich habe Dir eine Botschaft zu ueberbringen." "Welche?" "Keinen Brief, kein Wort, sondern nur dieses einfache Zeichen hier." Er zog aus seiner Tasche ein kleines Lederetui und oeffnete es. Es enthielt ein winziges, in Silber gearbeitetes Messer, welches ganz genau dieselbe Form wie ein Phansegarmesser hatte. Der Parsi griff mit sichtbarer Ueberraschung nach demselben. "Das geheime Zeichen! Gib her, gib schnell her; kein Mensch darf es sehen!" "Weisst Du, was es bedeutet?" "Es bedeutet, dass ich Alles thun werde, was Du jetzt von mir verlangst." "Es ist nicht viel." "Sag es!" "Mich nach meinem Schiffe zu begleiten." "Was gibt es dort?" "Das wirst Du sehen und erfahren." "So komme!" Samdhadscha setzte seine hohe Muetze auf, theilte seinen langen Bart auf die beiden Seiten der breiten Brust und schritt mit dem Kapitaen dann denselben Weg zurueck, den dieser gekommen war. Ali schloss das Thor hinter ihnen. "Keine Ruderer?" frug der Parsi verwundert, als sie bei dem Boote anlangten. "Ich rudere selbst. Es darf niemand erfahren, wen ich an Bord habe, und darum soll auch keiner meiner Leute das Schiff verlassen bis Alles in Ordnung ist." "Du sprichst in Raethseln!" "Die Dir bald klar sein werden." Sie langten bei der Badaya an und stiegen an Bord. Dann fuehrte der Kapitaen den Parsi nach dem Hinterdecke und oeffnete die Thuer einer Kajuete. "Tritt hier hinein!" Samdhadscha trat ein und zog die Thuer hinter sich zu. Der Raum war klein und enthielt nur einen einzelnen Menschen, der sich jetzt erhob. Es war Maletti. "Friede und Heil sei mit Dir!" gruesste der Parsi. "Bist Du es, der mich rufen liess?" "Ich bin es. Setze Dich!" Er bot dem Gaste Platz neben sich auf dem Divan und eine persische Hukah*, zu welcher er ihm das Feuer reichte. "Erlaube, dass ich Dich bediene. Wir brauchen keinen Tschibuktschi** hier." * Tabakspfeife. ** Diener, welcher den Tabak anzuendet. Der Parsi brannte an und lehnte sich dann gemaechlich in das Polster, die Rede erwartend, die ihm erklaeren sollte, weshalb er an Bord gerufen sei. "Du hast das Zeichen erhalten?" frug Maletti. "Ja." "Es wurde mir gesagt, dass Du es beachten wuerdest." "Es gilt mir als die beste Empfehlung, vielleicht sogar als ein Befehl. Wer hat es dem Kapitaen uebergeben, Du oder ein Anderer?" "Ich." "So sprich, was Du von mir verlangest." "Ein Schiff." "Wohin?" "Nach Batavia!" "Es geht bereits morgen eines dorthin ab. Du sollst den besten Platz erhalten." "Ich muss es allein haben." "Allein, das geht nicht." "Warum?" "Weil es Dich zu viel kosten wuerde." "Ich bezahle es." "Ich muesste die Passagiere fortjagen, die sich bereits an Bord befinden." "So gib mir ein anderes Schiff." "Du sprichst, als besaessest Du Millionen!" "Ich besitze sie." Ah? Du kennst meinen Namen? "Ja. Ich habe ihn vom Kapitaen erfahren." "So ist es wohl billig, dass ich auch den Deinigen erfahre?" "Gewiss. - Ich heisse Alphons Maletti - -" "Weiter!" "War Volontaer-Lieutenant in englischen Diensten - -" "Also kein Englaender?" "Nein. Und ging mit General Lord Haftley nach Augh -" "Um dem Maharajah durch Verrath sein Land zu stehlen!" meinte der Parsi mit zornig blitzenden Augen, indem sich seine Stirne in finstere Falten legte. "Ich konnte kein Verraether sein, weil ich ein Freund des Maharajah war." "Du?" "Ich lernte ihn hier kennen, als er sich inkognito hier befand." "Ah, so bist Du jener Lieutenant, von dem er mir erzaehlte! Sei mir gegruesst, denn es ist ganz unmoeglich, dass Du sein Gegner geworden sein kannst!" "Er sprach zu Dir von mir? Er hat bei Dir verkehrt? Ich weiss nichts davon." "Es gab wichtige Gruende, unsere Zusammenkuenfte geheim zu halten. Er ist todt!" "Ich war dabei," antwortete Maletti duester. "Ich rettete seine Leiche." "Das thatest Du? Und doch zogst Du mit diesem Haftley gegen ihn!" "Haftley wollte mich bestrafen, weil ich das Inkognito des Maha- rajah nicht verrathen hatte. Ich ging zu dem Koenige von Augh ueber. "Das war gut, das war brav, das war edel von Dir!" "Der Sultan von Symoore eroberte die Stadt Augh; die Englaender vergalten ihm den Undank und vertrieben die Leute von Symoore und Kamooh aus Augh. Das Land gehoert den Englaendern. Die Thugs verbrannten die Leiche von Madpur Singh und mit ihr den Sultan von Symoore, den Rajah von Kamooh, den General Haftley, den Rittmeister Mericourt und mehrere britische Offiziere." "Das haetten sie gethan? Eine solche Rache haetten sie genommen?" "Ich erzaehle es, und also ist es wahr." "Ich glaube es Dir, und darum will ich den Thugs so Vieles vergeben, was sie auf ihrem Gewissen haben. Aber der Maharajah hatte eine Schwester, die ihm noch lieber als sein Leben war. Was ist aus der Begum geworden? Wurde sie auch getoedtet?" Maletti erhob sich und oeffnete die Thuere zu einer Nebenkajuete. "Hier ist sie." Rabbadah stand unter der Thuer. Kein Diamant, kein Ring, keine Spange glaenzte in ihrem Haare oder an ihrem Gewande; sie trug nur den einzigen Schmuck ihrer Schoenheit, aber dieser war so gross, so bezaubernd und ueberwaeltigend, dass der Parsi, welcher sich ebenso erhoben hatte, sich ganz verwirrt niederbeugte, um den Saum ihres Kleides zu kuessen. "Fuerstin," rief er, "gebiete ueber mich und mein Leben; es gehoert nur Dir!" "Dein Name ist Samhadscha, der Aelteste der Parsi in Kalkutta?" "Ich bin es." "Madpur Singh liebte dich. Du warst sein Freund. Willst Du auch der meinige sein?" "Ich will Dein Freund, Dein Diener und Dein Sklave sein." "Eine Fluechtige braucht Freunde, Sklaven kann sie sich kaufen. Dieser Mann wird mein Gemahl sein. Willst Du uns im Geheimen nach Batavia bringen?" "Ich werde es thun. Noch mit dem fruehesten Morgen soll ein Schiff abgehen, und es soll Euch keine Rupie kosten. Sage es mir, ob Du Geld bedarfst. Ich gebe es Dir." "Ich brauche es nicht, denn ich habe den ganzen Schatz von Augh bei mir. Doch setze Dich, und lass uns erzaehlen von dem, was wir so Trauriges erfahren haben!" "Verzeihe, Fuerstin, dass ich dazu keine Zeit jetzt habe. Du bist in Kalkutta keinen Augenblick in Sicherheit, und daher muss ich schleunigst eines meiner Fahrzeuge fertig machen und bei der Hafenbehoerde jedes Hinderniss beseitigen, welches das in See stechen desselben verzoegern koennte. Du sollst mein bestes Schiff und meinen besten Kapitaen haben; nur glaube ich, dass es mir bei solcher Eile an guten Matrosen fehlen wird. Selbst wenn ich alle Leute zusammensuche, fehlen noch ihrer Zwei." "Wir haben zwei an Bord bei uns," fiel die Prinzessin ein. "Welche mitfahren wuerden?" "Ja." "Was fuer Leute?" "Laskaren." "Das sind gewoehnlich wackere und brauchbare Matrosen, aber auch sehr zank- und haendelsuechtige Menschen." "Diese Beiden sind ausserordentlich friedfertige und sanfte Maenner." "Abgerechnet," fiel hier Maletti ein, "dass mir ihre Augen nicht gefallen." "An den Augen kann man sich irren," antwortete der Parsi, "und bei einem Matrosen ist der Blick Nebensache. Wann kamen sie auf die Badaya?" "An der Grenze von Augh." "Wo kamen sie her?" "Von einer Pilgerfahrt." "Haben sie an Bord gearbeitet?" "Mehr als die Andern alle." "So sind es nicht blos fromme, sondern auch fleissige Maenner, die man gebrauchen kann. Haltet sie bereit, wenn ich Euch abhole! Jetzt aber, Fuerstin, muss ich mich entfernen. Erzaehlen koennen wir, wenn wir uns an Bord des Dreimasters befinden." - - Es war ungefaehr eine Woche spaeter. Der Schnellsegler Bahadur* hatte die Adamanen und Nikolaren douplirt und hielt sich im Westen von Sumatra gerade nach Sueden, um dann mit dem Passat gerade Ost auf Java zu gehen. An Bord stand Alles wohl, das musste man dem froehlichen Gesichte des Kapitaens ansehen, welcher mit Maletti auf dem Hinterdecke hin und her spazierte. Er war ein Franzose, gerade wie der Lieutenant, und daher war es nicht verwunderlich, dass Beide waehrend der Fahrt sehr viel und gern mit einander verkehrten. "Ein Roman, ein voelliger wirklicher Roman ist es, den Sie durchlebt haben," meinte soeben der Kapitaen. "Ich wollte, dass ich der Held desselben waere!" "Noch ist der Schluss desselben nicht im Druck erschienen!" "Pah! Der Schluss laesst sich aus der ganzen Anlage des Opus leicht vermuthen." "Und dennoch muss ich gestehen, dass ich seit einiger Zeit von finsteren Gedanken geplagt werde, die ich trotz aller Muehe nicht von mir weisen kann." "Finstere Gedanken?" lachte der Kapitaen. "Sie sehen am hellen lichten Tage Eulen fliegen. Unsere Fahrt ist eine ausserordentlich gute und schnelle, und wird voraussichtlich bis Batavia nur eine ganz kurze Unterbrechung erleiden." "Welche?" "Ich habe stets das seltene Glueck gehabt, mit meinen Leuten zufrieden sein zu koennen, bekam aber vor meiner letzten Fahrt doch einen Kerl an Bord, der mir ein Weniges zu schaffen machte. Damit er die Andern nicht anstecken sollte, kam ich auf den Gedanken ihn auszusetzen - - - " "War das nicht ein wenig grausam?" "Gar nicht. Ich gab ihm Proviant die Menge und setzte ihn auf eine kleine Insel, die ihm mehr Fruechte und Wasser liefert, als zehn Maenner brauchen." "Also eine kleine Robinsonade?" "Klein und kurz, denn er sollte dort bleiben nur bis ich wieder vorueberkommen wuerde." "Das werden Sie jetzt?" "Ja. Das Eiland liegt zwar ein wenig ausser der Route, aber gerade deshalb passte es mir zu dem angegebenen Zwecke. Ich wusste, dass es nur allein mir bekannt sei und also kein anderes Schiff die Einsamkeit meines Buessers verkuerzen werde." "Sie wird ihn gebessert haben." "Ich hoffe es; er war nur leichtsinnig, nicht aber boshaft." "Wann werden wir dort anlegen?" Der Kapitaen pruefte das Segelwerk. "Ich halte bereits etwas ausser der Route nach Sued, und bei dieser Luft ist vorauszusehen, dass wir das improvisirte Gefaengniss noch heute Nacht erreichen werden. Wo nicht, so werde ich bis zum Morgen vor demselben kreuzen." Waehrend dieses Gespraeches sass der Schiffszimmermann mit den beiden Laskaren vorn im Quartier. Es war ein alter hollaendischer Seebaer, hatte sich aber so viel und lange in diesen Gewaessern herumgetrieben, dass es ihm nicht schwer wurde sich mit einem Malayen, einem Singhalesen oder einem Indier verstaendlich zu machen. "Also Du sagst, dass wir nicht den rechten Kurs einhalten?" frug Lidrah. "Ich? Hm! Meinst Du? Hm, ja, so etwas habe ich gesagt." "Welche Seite sollten wir denn eigentlich halten?" "Welche Seite? Hm! Ich glaube, der eigentliche Kurs liegt mehr nach Lee." "Aber warum lassen wir ihn denn fallen?" "Wen? Hm! Den richtigen Kurs? Hm, das wird wohl wegen Hilbers sein." "Hilbers? Wer ist das?" "Wer das ist? Hm! Das ist nicht, sondern das war. Naemlich das war der Segelmacher hier an Bord." "Wegen was ist es denn wegen ihm?" "Wegen was? Wegen ihm? Hm, weil er da gerade vor unserem Bug wohnt." "Das verstehe ich nicht!" "Glaube es. Hm! Erst wohnte er allerdings nicht dort, sondern in seiner guten Koje auf dem Bahadur; dann aber macht er das Ding zu stark." "Welches Ding?" "Welches? Hm! Ich denke, es wird entweder seine Segelnadel oder sein Maul gewesen sein. Das eine war naemlich so spitz und scharf wie das andere." "So erzaehle doch weiter!" "Erzaehlen? Hm! Kann man denn erzaehlen, wenn man nicht gefragt wird?" "Allerdings!" "Glaube es nicht, denn aus Wind und Segel wird eine Fahrt, und aus Rede und Antwort wird eine Geschichte. Oder meint Ihr, dass ich nicht Recht habe?" "Also was war es denn mit diesem Segelmacher?" "Was? Hm! Ihr wisst doch, dass die Subordination allerorts die Hauptsache ist!" "Das wissen wir." "Schoen! Hm! Und gerade von dieser Hauptsache wollte der Hilbers nichts wissen." "Wie so?" "Wie so? Hm! Weil er lieber machte, was er wollte, statt zu thun, was ihm der Kapitaen befahl. Und kam dann der Verweis, so gebrauchte er die Zunge in einer Art und Weise, die sich kein braver Kapitaen gefallen lassen kann." "Und dann?" "Dann? Hm, dann kam natuerlich die Zeit, in welcher es dem Kapitaen zu toll wurde; das koennt Ihr Euch als Seeleute und Laskaren doch wohl denken!" "Da bekam er wohl die Katze?" "Katze? Hm! Hatte sie schon sehr oft bekommen, es half aber nichts." "Oder halbe Ration?" "Half nichts." "Ins Tau gehaengt?" "Half nichts." "Spiessruthen?" "Half nichts." "Gekielholt?" "Gekielholt? Hm! Das waere doch vielleicht etwas zu stark gewesen!" "Nun, was that der Kapitaen denn?" "Der Kapitaen? Hm! Der nahm ihn und setzte ihn gemuethlich auf die Insel." "Auf welche Insel?" "Habe nicht nach dem Namen gefragt; soll auch gar nicht auf der Karte stehen." "Also ausgesetzt ist er worden? Und auf der Insel ist er wohl noch?" "Noch? Hm! Freilich ist er noch dort, und daher eben fallen wir vom gewoehnlichen Kurse ab, denn der Kerl wird wieder an Bord genommen." "Wann kommen wir an diese Insel?" "Wann? Hm! Vielleicht noch heute, wie der Steuermann gestern sagte." "Ist diese Insel gross?" "Diese Insel? Ich denke, sie wird vielleicht ein wenig groesser sein als meine Hand hier; so gross aber wie China und beide Indien scheint sie nicht zu sein." Lidrah blickte sehr nachdenklich vor sich hin; fast schien es, als ob er im Begriffe stehe, einen Gedanken zu verarbeiten, der ihm selbst noch nicht ganz klar sei. "Waren Baeume auf der Insel?" "Baeume? Hm! ja, es wird wohl sein, dass ich welche darauf gesehen habe." "Was fuer welche?" "Was? Hm! Ihr thut ja gar, als ob es ebenso viele Arten von Baeumen gaebe, als es Arten von Schiffen gibt. Baum ist Baum, das koennt Ihr Euch nur merken." "Und gab es Wasser da?" "Wasser? Natuerlich! Genug und satt, besonders um die Insel herum." "Sahst Du Berge dort?" "Berge? Hole Euch der Teufel! Was gehen einem Seemanne die Berge an!" "Oder Thiere?" "Thiere? Hm! Ich glaube, der Hilbers wird das einzige Viehzeug auf der Insel sein, wenn es nicht unterdessen einem Walfisch eingefallen ist, dort an Land zu segeln, um Eure vielen Arten von Baeumen zu studiren." "Ist ein Hafen da?" "Hafen? Hm! Ja, gerade so gross, dass Du Dich lang hineinlegen kannst. "Gibt es Gras und andere Pflanzen dort?" "Gras und Pflanzen? Hin! Hoert einmal, Ihr Maenner, haltet Ihr mich etwa fuer eine Kuh oder fuer einen Ziegenbock, dass Ihr mir zumuthet, mich um Gras und Grummet zu bekuemmern? Hole Euch der Teufel! Zuletzt fragt Ihr mich auch noch ob es Huehnernester dort gibt, weil Ihr meint, ich solle Euch einige Dutzend Eier legen. Bleibt mir vom Leibe, Ihr neugierigen Bengels, Ihr!" Er warf seine Priese Kautabak aus dem linken in den rechten Backen und schob sich hoechst verdriesslich ueber das verunglueckte Examen von dannen. Die beiden Laskaren blieben zurueck. "Warum frugst Du ihn in dieser Weise aus, Lidrah?" meinte Kaldi. "Weil ich denke, dass nun endlich die Zeit gekommen ist." "Ah!" "Ja." "In wie fern?" "Weil wir auf Java oder gar in Batavia nichts mehr zu thun vermoegen." "Das ist sehr richtig." "Auch in der Naehe von Java, auf dem befahrenen Seewege ist es bereits zu spaet." "Allerdings." "Also muessen wir unsern Plan unbedingt vorher ausfuehren." "Unsern Plan? Hast Du denn endlich einen Plan?" "Ich habe ihn. Ich dachte ihn mir waehrend der Erzaehlung des Zimmermanns aus." "So lasst ihn hoeren." "Der Schatz wird unser; die Begum wird mein, und die Andern muessen sterben." "Wie willst Du dies anfangen? Das ist ja doch die Hauptsache!" "Es soll einer auf einer wuesten Insel aufgenommen werden. Auf dieser Insel werden wir den Schatz verstecken und warten, bis uns ein Schiff aufnimmt." "Wie kommen wir mit dem Schatze auf die Insel?" "Der Kapitaen muss entweder vor ihr halten oder vor ihr kreuzen oder mit eingerefften Segeln an ihr voruebertreiben, indem er ein Boot absendet, den Matrosen zu holen. Das gibt uns Zeit und Gelegenheit, Alles auf dem Schiffe zu toedten." "Ich stimme bei. Aber warum den Schatz auf der Insel verbergen?" "Was denn sonst?" "Wir segeln mit dem Schiffe weiter." "Und werden ergriffen und gehaengt, wenn uns nicht vorher die See verschlungen hat! Wir Zwei koennen das Fahrzeug doch unmoeglich bedienen, und selbst wenn wir dies koennten, wuerden uns die Spuren bei der ersten Begegnung oder im ersten Hafen verrathen. Wir schaffen den Schatz mit der Begum an das Land und bohren dann das Schiff an, dass es mit Mann und Maus auf offener See versinkt." "Aber auch dann wird uns der Schatz verrathen." "Thor! Sobald ein Schiff erscheint, geben wir uns fuer Schiffbruechige aus und nehmen von dem Schatze nur so viel mit, als wir an unserm Leibe verbergen koennen. Das Uebrige holen wir spaeter nach, indem wir uns eine Praue miethen." "Und die Begum?" "Bleibt auf der Insel dann zurueck." "Sie wird sich dagegen wehren und uns verrathen." "Wer todt ist, wehrt sich nicht mehr. Jetzt aber treffen wir bis zum Abende nicht mehr zusammen, damit nicht unsere Unterredungen Verdacht erregen." Am Nachmittage starb der Wind langsam ab, und selbst als er sich gegen Abend ein wenig erholte, war er so schwach, dass kaum ein Vorwaertskommen zu bemerken war. Dennoch bemerkte man noch vor Hereinbrechen der Dunkelheit ein kleines Eiland, welches sich in nicht zu grosser Ferne aus den Fluthen des Meeres erhob. "Werden Sie ein Boot aussetzen, um den Mann abholen zu lassen?" frug Maletti den Kapitaen, an dessen Seite er die Insel durch das Glas betrachtete. "Nein." "Warum, nicht?" "In diesen Breiten bricht die Dunkelheit so schnell herein, dass das Boot vorher die Insel nicht erreichte und sich also leicht von uns verlieren koennte. Die Schiffslaterne leuchtet nicht bis dort hinueber. Und selbst wenn es das Eiland erreichte, muss es den Mann vielleicht erst suchen, und dann koennen wir nicht wissen, welche Abtrifft wir haben und welche unvorhergesehene Ereignisse eintreten koennen." "Was werden Sie also thun?" "Ich lasse das Steuer so halten, dass wir bei dieser flauen Luft auf die Insel zu und in einiger Entfernung waehrend der Nacht an ihr voruebertreiben, am Morgen ist der Mann dann leicht gefunden und schnell eingeholt. Bemerken Sie, wie schnell es bereits dunkelt? Das Abendbrod steht bereit. Lassen Sie uns zur Kajuete gehen." Nach dem Abendessen wurden die Glasen* abgerufen, und die erste Nachtwache trat an. Bei ihr befand sich der Laskare Lidrah, welcher sich mit seinem scharfen Dolche bewaffnet hatte. Der Steuermann hatte den Befehl auf Deck; der Kapitaen war schlafen gegangen und ebenso alle uebrigen Mannen. Nur der Lieutenant lehnte neben der verschleierten Begum noch einige Zeit an der Reiling, bald aber begaben sich Beide auch zur Ruhe. Lidrah wartete noch eine Weile und trat dann zum Steuermann. "Sehr langsame Fahrt, Herr!" "Sehr!" antwortete der Mann kurz. "Werden wir heute Nacht bis an die Insel kommen?" "Meine es!" "Wo mag sie jetzt wohl liegen?" "Dort!" Es war das letzte Wort, welches er aussprach, denn indem er den Arm in der Richtung nach dem Eilande ausstreckte, fuhr ihm der Dolch mit solcher Sicherheit in das Herz, dass er nur noch einen leise pfeifenden Seufzer ausstiess. Der Laskare fing den Koerper auf und liess ihn geraeuschlos niedergleiten. Dann suchte er sich unbefangen sein zweites Opfer aus. Es war dies ein Matrose, welcher behaglich am Besaanmast lehnte. Nur fuenf Minuten spaeter liess er sich durch die vordere Luke zu den Schlafkojen hinab, wo eine Oellampe - ihren trueben, taeuschenden Schein verbreitete. Nur Kaldi hatte sich wach erhalten; die Andern schliefen alle den festen Schlaf, der solchen kraeftigen Naturen eigen zu sein pflegt. Ein Wink genuegte, und der Bruder erhob sich vorsichtig aus seiner Haengematte, um ihm in seinem blutigen Werke beizustehen. Fast zu derselben Zeit war es dem Kapitaene trotz des Schlummers, in welchem er lag, als habe er ein ordnungswidriges Geraeusch vernommen. Er wachte sofort vollends auf und lauschte. Es nahten Schritte seiner von innen verriegelten Thuer, und dann klopfte es respektvoll an dieselbe an. "Wer draussen?" "Matrose Lidrah!" "Was gibt es?" "Der Steuermann schickt mich. Es ist so etwas wie ein Feuerschein am Horizonte zu sehen, Sahib." "Pah! Der ausgesetzte Mann hat unser Schiff gegen Abend bemerkt und ein Feuer angebrannt, um uns auf die Insel aufmerksam zu machen." "Das ist es nicht, Sahib, denn der Schein ist Nord bei West zu sehen." * Schiffszeit "Dann brennt ein Fahrzeug. Ich komme gleich; lasst aber noch nicht wecken!" Die Schritte draussen entfernten sich, und der unglueckliche Kapitaen konnte nicht hoeren, dass sie leise wieder zurueckkehrten. Er warf schnell die nothwendigsten Kleidungsstuecke ueber, oeffnete die Thuer und trat hinaus. In demselben Augen blicke erhielt er einen Dolchstoss in die Brust. Der Stich war nicht sofort toedtlich. "Hilfe! Moerder! Alle Mannen zum Kapitaen!" rief er mit droehnender Stimme. Auch er sprach nicht weiter. Indem er zufassen wollte, erhielt er einen zweiten Stich, der so sicher gezielt war, dass er seinem Leben ein Ende machte. Der Hilferuf des Kapitaens war so laut gewesen, dass ihn Maletti ganz nothwendiger Weise hoeren musste, selbst wenn er auch bereits geschlafen haette. Das war aber nicht der Fall; vielmehr sass er an seinem Tische und arbeitete an einem Tagebuche, welches er sich seit seiner Abreise von Kalkutta angelegt hatte. Weil seine Thuer sehr dicht schloss, hatte der Laskare den Schein des Lichtes nicht bemerken koennen, und dieses stand zufaelliger Weise so, dass auch kein Strahl davon durch das kleine runde Fensterchen hinaus auf die See fallen konnte. Als Maletti den Hilferuf vernahm, warf er die Feder von sich, riss den Degen und den stets geladenen Revolver von der Wand, stiess die Thuer auf und sprang empor zum Verdecke. In demselben Augenblicke kamen die beiden Laskaren aus der Kapitaenskajuete. "Was ist los beim Kapitaen?" frug er sie. Lidrah kam langsam schleichend auf ihn zu und antwortete mit unterwuerfiger Stimme: "Der Kapitaen muss getraeumt haben, Sahib, denn - -" "Halt!" unterbrach ihn Maletti. "Bleib stehen, sonst schiesse ich." Er hatte den Beiden schon laengst nicht getraut und ahnte jetzt augenblicklich, dass der Kerl sich ihm nur naehern wolle, um sich dann ploetzlich auf ihn zu werfen. Lidrah sah den Lauf des Revolvers blitzen und blieb unwillkuerlich halten. "Steuermann!" rief Maletti. Keine Antwort ertoente, aber unweit von sich sah er den bewegungslosen Koerper eines Menschen liegen. "Alle Mann an Deck!" donnerte er jetzt. Auch das war vergebens. Nur eine einzige Bewegung gab es: Lidrah erhob den Arm; sein Dolch sauste herbei und fuhr Maletti in den linken Arm; da aber erscholl der erste Schuss, und der Moerder stuerzte, von der Kugel durch den Kopf getroffen, zu Boden. Im naechsten Momente stand der Lieutenant vor Kaldi; sein Degen blitzte und der Hieb traf den Laskaren so tief in die Schulter, dass auch dieser augenblicklich niedersank. Da oeffnete sich eine andere Thuer, und Rabbadah erschien. "Man schiesst! Was gibt es hier?" frug sie mit aengstlicher Stimme. "Erschrick nicht, Rabbadah; es muss ein Unglueck geschehen sein!" "Welches?" "Ich habe hier die beiden Laskaren getoedtet, weil sie mich ermorden wollten." "Ist es moeglich! Rufe sofort die Leute herbei!" "Ich habe bereits gerufen, aber es kommt Niemand. Kehre in Deine Kajuete zurueck. Entweder sind Alle ermordet, oder es ist eine Meuterei an Bord und man wartet nur, bis ich mir eine Bloesse gebe." "In die Kajuete? Dich verlassen? Niemals. Ich bleibe bei Dir!" "So warte einen Augenblick!" Er trat in seinen Raum zurueck und holte die Lampe, mit welcher er zunaechst vorsichtig in die Kajuete des Kapitaens leuchtete. Dieser lag todt am Boden. "Mein Gott, so habe ich mich also nicht geirrt; er ist erstochen worden!" Da fasste ihn die Begum bei dem Arme. "Welch eine Gefahr fuer Dich! Komm schnell herein zu mir, bis es Tag ist!" "Nein; dies darf ich nicht, denn vielleicht ist noch jemand zu retten." Er machte, waehrend Rabbadah entschlossen nicht von seiner Seite wich, muthig die Runde auf dem Decke und fand Alle todt, die sich auf demselben befunden hatten. Auch die Kojen der Matrosen waren nur mit Leichen gefuellt, und schon glaubte er, dass er und Rabbadah die einzigen lebenden Wesen an Bord seien, als vom Hinterdecke her ein lautes Roecheln erscholl. Es kam von Kaldi, welcher aus der Bewusstlosigkeit zur Besinnung zurueckkehrte. Maletti eilte zu ihm hin. "Unglueckseliger, was habt Ihr gethan!" Der Laskare hatte einen fuerchterlichen Hieb erhalten; die ganze Schulter klaffte auseinander, und so kurze Zeit er erst hier lag, sein Blutverlust war jedenfalls ein so bedeutender, dass eine Hilfe nicht mehr moeglich war. Er stierte mit glaesernen Augen dem Lieutenant in das Gesicht. Dann lallte er: "Den Schatz will ich - und Lidrah will die Begum." "Also das ist es! Und deshalb habt Ihr Alles umgebracht." "Auf die Insel mit dem Schatz!" fibrirte der Verwundete. "Ha, sie holen ihn im Kiosk, die Phansegars! Ruhig, Lidrah, dass sie uns nicht sehen! Wir schwimmen dem Flosse nach! Wir gehen dann als Pilger auf die Badaya!" Er richtete sich in halb sitzende Stellung auf und rief: "Du hast Tamu gedient, den Maharajah und den Sultan verrathen; die Begum sei Dein. Der Schatz aber wird getheilt, denn - denn - denn - - - " Er sank todt zusammen. Rabbadah stand nicht mehr dabei. Der Anblick so vieler Ermordeten hatte das muthige Weib so ergriffen, dass sie jetzt mit verhuellten Augen in ihrer Kajuete kniete. Maletti trat zu ihr herein und zog ihren Kopf zu sich empor. "Rabbadah!" "Mein Geliebter! O, wenn sie auch Dich getoedtet haetten!" "Gott hat mich beschuetzt! Aber es ist schrecklich, fuerchterlich, entsetzlich!" "Allein unter Leichen, hier auf der einsamen weiten See!" "Fuerchte Dich nicht, mein - - - " Er wurde waehrend der Rede zu Boden geschleudert, und zugleich vernahm man ein knirschendes, bohrendes und saegendes Geraeusch, als wenn tausend Haende beschaeftigt seien, den Rumpf des Schiffes zu zerstoeren. Die Begum stiess einen Ruf des Entsetzens aus, und Maletti erhob sich, um auf das Deck zu eilen. Hier bot sich ihm ein trostloser Anblick dar. Gerade vor dem Buge des Schiffes erhob sich eine dunkle drohende Felsenmasse, und zu beiden Seiten zogen sich Steinbaenke dahin, welche einen engen Kanal bildeten, durch welchen das Schiff auf die Insel gerannt war. An ein Wenden desselben, an eine Rettung war gar nicht zu denken, und es musste nur ein Glueck genannt werden, dass die Luefte nur leise gingen, sonst waere das Fahrzeug bei dem Anstosse sofort zerschellt worden. Es war uebrigens gar kein Wunder, dass der Bahadur auf die Insel gelaufen war, denn die Nacht war waehrend der letzten Scenen fast vergangen und Maletti hatte nicht daran denken koennen, auf den Lauf des Schiffes zu achten. Er eilte hinab in den Raum und fand einen Leck, durch welchen das Wasser in Stroemen drang; er vermochte es unmoeglich zu verstopfen. Nach einer schnellen ungefaehren Berechnung blieb ihm kaum eine Stunde Frist, sich nebst Rabbadah zu retten und Einiges von der Ladung des Schiffes zu bergen. Er brachte mit Muehe hinten am Stern ein Boot in das Wasser. Zunaechst musste die Geliebte und ihr Eigenthum gerettet werden. Waehrend Rabbadah behilflich war Alles herbei zu schaffen, liess er so viel wie moeglich von dem Schatze in das Boot hernieder und stieg mit der Geliebten nach, um diese an Land zu rudern. Dieses stieg schroff und steil aus den Fluthen empor, doch gelang es ihm mit Hilfe des beginnenden Tageslichtes eine Stelle zu entdecken, an welcher er bequem zu landen vermochte. Dann kehrte er zu dem Schiffe zurueck, um die Bergung des Schatzes zu beenden und demselben noch einige Lebensmittel und anderes Noethige hinzuzufuegen. Als er zum vierten Male landete, war der Morgen so weit vorgeschritten, dass man die einzelnen Gegenstaende zu unterscheiden vermochte. Rabbadah stand am Ufer und deutete nach einem nahen Gebuesche hin. "Siehe einmal, was ist das?" "An jenem Baume?" "Ja." Er trat zoegernden Fusses auf den Ort zu. An dem Aste des Baumes hing ein Menschenkopf an einem aufgedrehten Tauende, und der halbverweste Koerper lag am Boden. Daneben war ein Messer, ein Suedwester und nebst verschiedenen Kleinigkeiten ein Heuerbuch zu bemerken. Maletti oeffnete es und las den darin verzeichneten Namen. Er stand vor der Leiche des auf die Insel ausgesetzten Matrosen, der seiner Einsamkeit dadurch ein Ende gemacht hatte, dass er sich an dem Baume erhing. Dort das Schiff mit den Leichen, hier die Ueberreste des Selbstmoerders - es schauderte den tapfern Offizier, wenn er an das unvergleichliche Wesen dachte, welches neben ihm diesen Schrecknissen ausgesetzt war. - - Der Seekadett. Es war am fruehen Morgen. Zwar hatte es noch nicht vier Uhr geschlagen, doch machte sich bereits das rege Leben einer Residenzstadt bemerklich. Die letzten Nachtschwaermer taumelten bleichen Angesichtes nach Hause und gaben sich Muehe, sich nicht vor den Milch- und Gemuesefrauen zu schaemen, welche bereits vom Lande hereingekommen waren, um ihre taeglichen und fruehen Kaeufer und Kunden zu befriedigen. Hier und da oeffnete sich eine Hausthuer, aus welcher ein bereits munteres oder auch noch ziemlich verschlafen aussehendes Dienstmaedchen trat, und hier und da konnte man wohl auch einen Arbeiter bemerken, welcher den Weg nach einer entfernten Fabrik einschlug. In dem Gasthofe der frueheren Wittfrau und Kartoffelhaendlerin Barbara Seidenmueller herrschte auch schon einiges Leben. Wenigstens hoerte man ein Paar Holzpantoffeln kraeftig durch die Hausflur traben, und dann rief eine droehnende Bassstimme: "Parpara!" Keine Antwort erfolgte. "Liepe Parpara!" Es blieb so stumm wie vorher. "Meine herzliepe Parpara!!!" Auch jetzt war nichts zu hoeren. "Donnerwetter! Parpara, mein Taupchen!!!!" Es schien gar keine Barbara mehr zu geben. "Na, Himmelpataillon, Parpara, Du alte Schlafmuetze, kommst Du denn eigentlich oder kommst Du nicht, mein gutes Weipchen!" Als auch dieser Ruf vergeblich war, lief dem guten Gastwirth und Schmiedemeister Thomas Schubert denn doch die Galle ueber. "Kreuz-Mohren-Schock-Granaten-Hagel- und Graupelwetter, ist das eine Zucht und eine Supordnung in diesem Hause! Warte, ich werde Dir gleich einmal die Reveille trommeln, Du alte Nachthaupe Du!" Er nahm die beiden Holzpantoffeln von den Fuessen und begann mit ihnen auf der Treppenstufe einen solchen Sturmmarsch zu schlagen, dass das ganze Haus zu wackeln schien. Da aber wurde ganz ploetzlich die Kuechenthuer geoeffnet, und wer stand da, die weisse Schuerze vorgebunden, ein nettes Haeubchen auf dem Kopfe und die beiden dicken Arme drohend in die Hueften gestemmt? Die leibhaftige Frau Barbara, die von ihrem Eheliebling aus dem Bette getrommelt werden sollte. "Was ist mir denn das, Thomas, he?" Bei dieser Stimme fuhr der Wirth erschrocken herum und liess vor hellem lichtem Erstaunen beide Pantoffeln aus den Haenden fallen. "Parpara - - - !" Er machte dazu ein Gesicht, als ob er ein Gespenst vor sich sehe. "Thomas - - - !" antwortete sie in der gleichen Weise. "Pist Du es denn wirklich, oder pist Du es denn wirklich nicht?" "Ich bin es wirklich noch nicht," antwortete sie, das Lachen verbeissend. "Aper, liepe Parpara - -" "Aber, lieber Thomas - -" "Ja, aper meine peste liepste Parpara, ich denke dass - -" "Aber mein bester liebster Thomas, was denkst Du denn eigentlich?" "Ich denke, Du liegst noch dropen im Pette!" "Und wozu denn eigentlich der Heidenspektakel hier im Hause!" "Ich wollte Dich soepen heruntertrommeln!" "So! Du konntest wohl nicht erst in der Kueche nachsehen?" An der Kueche? Donnerwetter, daran hape ich vor lauter Eile und Arpeit gar nicht denken koennen; das kannst Du mir glaupen!" "Was hast Du denn fuer so eilige Arbeit?" "Das kannst Du Dir doch denken, meine gute Parpara." "Nein, das kann ich mir gar nicht denken, das musst Du mir sagen." "Nun, Du weisst doch, dass morgen der Kurt - wollte sagen, der Herr Seekadett kommen will, und da - da - -" "Nun! Und da - - - ?" "Und da - - - da pin ich heut Etwas pei zeitener aufgestanden. " "Zu welchem Zwecke denn eigentlich, mein bester Thomas?" "Ich wollte - -" "Du wolltest - -" "Den Riegel an der Gartenthuere - -" "Du wolltest den Riegel an der Gartenthuere - -" "Ich wollte den Riegel an der Gartenthuere repariren - -" "Warum denn das heute so frueh?" "Na, Parpara, siehst Du denn nicht ein, dass es dem Kurt, Donnerwetter, dem Herrn Seekadett auch einfallen koennte hinten herein zu kommen, statt vorne durch die Hausthuer! Und da muss doch unpedingt der Riegel reparirt worden sein. Was soll der junge Herr denn sonst von mir denken!" Da konnte sich die gute Barbara nicht laenger halten; sie brach in ein schallendes Gelaechter aus, welches beinahe denselben Eindruck machte wie vorhin die Pantoffelreveille ihres Herrn Gemahles. "Also, weil morgen der Kurt kommen will, steht dieser Mann heut bei nachtschlafender Zeit schon auf, um einen Nagel in der Gartenthuer festzuschlagen. Und dann trommelt er mich aus dem Schlafe, waehrend ich doch bereits eine ganze Stunde lang in der Kueche stehe! Thomas, Thomas, ich weiss wahrhaftig gar nicht, was ich heut von Dir denken soll!" "Eine ganze Stunde in der Kueche?" "Ja." "Aper weshalp denn nur? Was hast Du denn gemacht?" "Ich? Hin! Ich habe - -" "Du hast - -?" "Gekocht - -" "Gekocht? Was denn?" "Oder vielmehr, gebraten." "Gepraten also! Was denn?" "Nein, ich habe gesotten." "Gesotten? Gut! Aper was hast Du gesotten?" "Das kannst Du Dir doch denken!" "Ich kann mir nichts denken. Vielleicht Karpfen?" "Ist lange fertig!" antwortete sie stolz. "Schleie?" "Mag Kurt keine, weil sie zu sehr nach Schlamm schmecken." "Krepse?" "Lange fertig!" "Eier?" "Auch fertig!" "Donnerwetter, was denn, he, Parpara?" "Muss denn blos etwas zum Essen gesotten werden?" "Was denn sonst?" "Nun, zum Beispiel, Schmiere!" "Schmiere? Was denn fuer Schmiere?" "Stiefelschmiere!" "Stiefelschmiere? Aper die hast Du doch nicht gesotten?" "Und doch!" "Nicht moeglich! Frueh um drei Uhr!" "Aus Fischthran und Talglichtstummeln, das wird die beste Stiefelschmiere." "Aus Thran und Stummeln? Fuer wen denn eigentlich, meine Parpara?" "Nun, fuer - -" "Nun, fuer? - -" "Fuer den jungen Herrn Seekadett Kurt Schubert." Jetzt war die Reihe den Mund aufzusperren an dem Gastwirth. "Fuer den Herrn Seekadett - - - !" "Ja." "Stiefelschmiere?" "Ja." "Aus Fischthran und Inseltstummeln?" "Ja." "Na, Parpara, nun hoert mir aper doch Alles und Verschiedenes auf! So etwas ist noch gar nicht da gewesen! Steht diese Madame Parpara Schupert frueh Punkt drei Viertel auf drei Uhr auf, um Stiefelschmiere zu sieden, Stiefelschmiere aus Talg und Fischthran, weil morgen der Kurt zum Pesuche kommen will! Was will denn der damit?" "Kannst Du Dir denn nicht denken, dass er auch einmal geschmierte Stiefel verlangen koennte anstatt gewichste?" "Heiliges Pech! Ein Seekadett und geschmierte Stiefel!" "Heiliges Pech! Ein Seekadett und durch die Gartenpforte Einzug halten!" "Parpara, aergere mich nicht!" "Thomas, bringe mich nicht in Harnisch!" "Mach keinen Spass; Du pist ja gar nicht in Harnisch zu pringen!" "Und Du, Alter, muesstest Dich recht possirlich ausnehmen, wenn Du einmal thun wolltest, als ob Du Dich aergertest! Ich glaube, dass Du gar keine Galle hast." "Glaupst Du? Hin, wenn ich einmal hinein komme, so hape ich sogar sehr viele Gallen; aper ich hape ein gutes Weipchen, eine Frau, die meine Galle nicht in Aufregung pringt." "Und ich ein liebes Maennchen, das mich gewiss niemals in Harnisch versetzen wird." "Ja, Parpara, als wir uns heiratheten, hapen wir alle Peide in einen grossen Glueckstopf gegriffen. Aper, was ich sagen wollte, wenn dieser Kurt, oder vielmehr unser Herr Seekadett, morgen kommt, so muessen wir Alles aufpieten, um ihm zu zeigen, dass er uns - - - " Er hielt inne. Sein Auge war nach dem Hofe hingerichtet; er sperrte den Mund mit einer Miene auf, in welcher sich die allergroesseste Ueberraschung ausdrueckte. "Parpara, da ist er!" Sie wandte sich um und schlug dann, vor Freude am ganzen Gesichte glaenzend, die Haende zusammen. "Kurt!" rief sie. "Kurt!" rief nun auch der Gastwirth. "Herr Kadett!" verbesserte sie sich sofort. "Herr Kadett!" verbesserte sich auch Schubert. Draussen im Hofe stand er, strahlend vor Jugend und Kraft, und die schmucke Uniform, welche er trug, war ganz geeignet, die Formen seines kraeftigen Koerpers hervorzuheben. "Onkel! Tante!" Mit diesem Rufe kam er herbeigesprungen und schloss Beide zugleich in seine Arme. "Willkommen, Herr - - - " "Papperlapapp, liebe Tante, lass nur das Tituliren! Ich heisse Kurt, verstehst Du?" "Gut, wie Du willst. - Also, willkommen lieber Kurt! Ich denke, dass Du - -" "Ja, willkommen lieper Kurt!" meinte, sie unterbrechend, auch der Schmied. "Ich denke," fuhr Frau Barbara fort, "dass Du erst morgen kommen willst." "So schrieb ich Euch, weil ich Euch gern ueberraschen wollte. Ist es mir gelungen?" "Sehr!" "Sehr!" bekraeftigte der Schmied. "Aper, Kerl, was Du huepsch und sauper geworden pist in der Zeit, die wir einander nicht gesehen hapen!" "Ja," stimmte Barbara bei, "zum Anbeissen." "So beisse an, liebe Tante!" Er umschlang sie wieder und drueckte einen herzhaften Kuss auf ihre Lippen. "Aber," frug sie, "wie kommt es denn, dass Du so zeitig kommst?" "Ich bin mit dem Nachtzuge gefahren." "Und durch den Garten - -!" "Geradewegs ueber den Zaun!" lachte er. "Hape ich also nicht Recht gehapt, Parpara?" frug der Schmied mit wichtiger Miene. "Ja," antwortete sie lachend; "ich goenne Dir es gern. Doch wer ist denn - - - ?" Im Hofe erschien naemlich ein zweiter junger Mann in ganz derselben Kleidung wie Kurt Schubert, der ihm ein Zeichen gab, herbei zu treten. "Da kommt noch ein Freund und Kamerad von mir, der mir zu Gefallen mit ueber den Zaun gesprungen ist und sich dann ein wenig versteckte, weil er uns nicht stoeren wollte." "Her mit ihm!" kommandirte Thomas. "Ist uns herzlich willkommen." "Ja, kommen Sie nur naeher, junger Herr!" knixte Barbara. "Grosse Ehre fuer uns." "Graf Karl von Mylungen," stellte Kurt den Kameraden vor. Thomas riskirte zunaechst eine tiefe Verbeugung; da diese aber nicht ganz gelingen wollte, so richtete er sich stramm empor, hielt die linke Hand an die Hosennaht und die Rechte an den Muetzenschild, ein Honneur, welches ihm von seiner Dienstzeit her gelaeufig war. "Zu Pefehl, Herr Graf, hapen Sie die Guete, sich in die Stupe zu verfuegen!" Barbara riss die Thuer auf und liess die beiden Gaeste eintreten, dann eilte sie zur Kueche, um den ersten Pflichten der Gastfreundschaft obzuliegen. "Wo sind die Gesellen?" frug Kurt. "Die schlafen noch, weil sie gestern bis zum spaeten Apend arpeiten mussten." "Hast sie alle noch?" "Alle." "Wirst originelle Leute kennen lemen," erklaerte Kurt dem Freunde. "Von dem frueheren Hofschmied Brandauer habe ich Dir erzaehlt. Der Onkel war Obergeselle bei ihm und'hatte zwei Mitgesellen, den Baldrian und den Heinrich; sie sind jetzt hier beim Onkel, seit dieser Hofschmied geworden ist, und mit ihnen der fruehere Lehrjunge Fritz, ein sehr gelungener Kerl, der nur den Fehler hat, dass er die beiden Andern gern ein wenig aergert. Vom Baldrian hoerest Du den ganzen Tag kein anderes Wort als "das ist an Dem", oder wie er sich ausdrueckt "das ist am Den", und der Heinrich, welcher frueher Artillerist gewesen ist, erzaehlt Schiessabenteuer, in denen er das Blaue vom Himmel herunter luegt." "Ja," fiel der Wirth ein, "luegen kann er wie gedruckt, das ist wahr. Aper, es ist doch gewiss, wenn man den Teufel an die Wand malt, da kommt er sicher!" Die Thuer war naemlich aufgegangen, und die drei Genannten erschienen auf der Schwelle. "Was, der Herr Seekadett!" rief Heinrich. "Ists moeglich? Guten Morgen und Willkommen! Das ist eine Ueberraschung! Wir dachten, Sie kaemen erst morgen." Er gab Kurt die Hand. "Das ist am Den!" meinte Baldrian und reichte seine Hand auch her. Auch Fritz brachte seinen Gruss an; dann frug Heinrich mit unternehmender Miene: "Herr Kadett, nicht wahr, nun haben Sie es auch mit Kanonen zu thun?" "Freilich!" "Schoen! Die Artillerie ist die allerbeste und interessanteste Waffe, nicht wahr?" "Vielleicht." "Nicht nur vielleicht, sondern ganz gewiss! Allerdings ist ein grosser Unterschied zwischen der Marineartillerie und der Feldartillerie, den man beherzigen muss. "Welcher?" "Nun das ist doch sehr einfach: Die Marineartillerie wird auf dem Schiffe, und die Feldartillerie wird auf dem festen Lande gebraucht; das ist leicht zu begreifen." Kurt lachte. "Schau, was Du klug und weise bist!" "Nicht wahr? Aber das war nur die Einleitung, denn nun kommt die Folge, dass die Feldartillerie viel sicherer schiessen muss als die Marineartillerie." "Moechte es doch nicht ganz zugeben." "Nicht? Das Schiff schaukelt; wer soll da sicher schiessen? Zu Lande ist das etwas ganz Anderes; da schiesst man auf fuenftausend Schritte einem die Pfeife aus dem Maule." "Oho!" "Oho? Einmal bei der Felduebung springt ein Hase auf. Da kommt der Hauptmann schnell zu mir heruebergelaufen und fragt: Heinrich, getraust Du Dir, ihn zu treffen?" "Allemal, Herr Hauptmann." "Zwanzig Groschen kriegst Du; aber das Fell muss ganz bleiben." "Zu Befehl, Herr Hauptmann." Ich ziele, druecke ab, und die Kugel nimmt ihm die beiden Vorderbeine weg, so dass er nicht mehr laufen kann. Der Hauptmann laesst ihn holen und todtschlagen, und ich habe meine zwanzig Groschen. Ist so etwas auf der See moeglich, Herr Seekadett?" "Ich glaube nicht," lachte dieser. "Nicht?" frug da Fritz, der vormalige Lehrjunge. "Warum nicht? Ich kann das Gegentheil beweisen. Wir fuhren von Amerika ueber den grossen Ozean nach Australien. Da ploetzlich springt eine alte Haesin vor uns auf, und weil das Schiff zu langsam fuhr, nahm ich die Kanone unter den linken Arm, die Kugel in die rechte Hand und sprang zu gleichen Beinen hinter dem Viehzeuge her. Als ich im Laufen geladen hatte, drueckte ich ab und schoss dem Thiere die beiden rechten Laeufe weg. Es war wirklich eine Haesin, und als ich ihr den Gnadenstoss versetzte, meinte sie: "Fritz, richte mir ein Kompliment aus an den Heinrich; ich bin die Wittwe von dem Hasen, den er damals geschossen hat!" Baldrian nickte bedaechtig. "Das ist am Den!" meinte er zustimmend. Alle lachten von ganzem Herzen. Heinrich aber fuhr zornig empor. "Dummer Junge!" Mit diesem gefuehlvollen Worte und einem niederschmetternden Blicke auf Fritz verliess er den Schauplatz seiner moralischen Niederlage. Bald darauf erschien Frau Barbara mit dem Morgenkaffee, bei welchem alle Neuigkeiten gegenseitig ausgetauscht wurden. Man war damit noch lange nicht fertig, als sich die Thuer oeffnete und eine Person eintrat, bei deren Anblick sich Alle sofort erhoben. Es war Max, der Kronprinz. "Guten Morgen," gruesste er freundlich. "Frau Barbara, mir auch eine Tasse!" "Augenblicklich!" knixte sie und verschwand in der Kueche. "Thomas, hast Du heute Zeit zum Beschlagen?" "Zu Pefehl, Koenigliche Hoheit!" "So komme auf das Schloss. Ah, da ist der Besuch wohl bereits eingetroffen?" "Zu Pefehl, Koenigliche Hoheit! Sie hapen meinen Neffen noch nicht gesehen?" "Nein." "Der da ist es, mit dem plonden Haare und den schwarzen Augen." Der Kronprinz reichte Kurt die Hand. "Willkommen in der Heimath, Herr Schubert! Sie tragen einen Namen, den ich gern nennen hoere. Ich hoffe, dass er mir oefters genannt werde. Und dieser Herr? Ein Kamerad von ihnen, der sich Ihnen angeschlossen hat?" "Graf Karl von Mylungen, Koenigliche Hoheit." "Mylungen? Ein Suederlaender? Ah, ich erinnere mich. Sie wurden bei uns naturalisirt, damit Sie nicht in die Dienste Suederlands zu treten brauchten?" "So ist es, Koenigliche Hoheit," antwortete der junge Graf. "Diese interessante Angelegenheit kam auch mir in die Hand, und ich gab meine Unterschrift und mein Fuerwort, ohne den Grund zu kennen, der Sie veranlasste, norlaendische Dienste zu nehmen. Darf man ihn erfahren?" "Koenigliche Hoheit, Familienangelegenheiten - -" "Ah, so - -! Man darf nicht allzu wissbegierig sein, aber es ist mir doch, als ob ein Weniges von diesen Familienangelegenheiten auch vor mir zur Sprache gekommen sei. Erscheint Ihr Herr Vater bei Hofe?" "Nein." "Ich hoere, der Koenig von Suederland schenke ihm seine Achtung." "So ist es, Papa aber zieht sich zurueck, um Begegnungen zu vermeiden, welche sehr im Stande sein duerften, unangenehme Gefuehle in ihm zu erwecken." "Ich verstehe das, und da ich die betreffende Person genau kenne, so sagen Sie Ihrem Vater, dem Grafen, dass ich ihm gern zur Verfuegung stehe, wenn es einmal gelten sollte, die betreffenden Angelegenheiten zu entwickeln." Hierauf wandte er sich wieder an Kurt: "Wie lange bleiben Sie hier?" "Nur einige Stunden, Hoheit." "Oho!" fiel Schubert ein. "Ich glaupe gar, heute schon wieder fortgehen!" "Allerdings, Onkel; aber ich komme sehr bald wieder." "Wo willst Du denn hin?" "Das ist sehr leicht zu errathen: zum General. Ich bin sein Pflegesohn, und da versteht es sich von selbst, dass ich mich ihm noch heute vorstelle." "Weiss er wann Du kommst?" "Ich habe geschrieben, dass ich morgen komme; ich will ihn ueberraschen, gerade wie Euch." "Aper Du musst sehr pald wiederkommen, das sage ich Dir sehr ernstlich!" "Gewiss, Onkel; Du kannst darauf rechnen." "Und wenn Du nach Helpigsdorf kommst, so gruesse mir Deine Mutter." "Versteht sich!" "Und die kleine Magda, und den Herrn General und die drei Jungfern." "Natuerlich Alle!" "Und - ja, was ich sagen wollte, ich hape einen Prief pekommen. Rathe einmal, von wem er ist!" Ueber das Gesicht Kurts fuhr die Roethe der Freude. "Von - von meinem Vaeter?" "Ja." "Wo hast Du ihn?" "Dropen in der Kommode." "Hole ihn, lieber Onkel, hole ihn! Ach, Entschuldigung, Koenigliche Hoheit!" "Geniren Sie sich nicht! Es ist leicht begreiflich, dass der Sohn sich sehnt eine Nachricht vom Vater zu erhalten. Apropos, Sie haben ihn noch gar nicht gesehen?" "Noch niemals." "Seltsame Umstaende! Die Verhaeltnisse haben es so gefuegt, dass sein Schiff sehr lange Zeit die Heimath nicht angelaufen hat. Aber geschrieben haben Sie?" "Oefters; doch ist es unsicher, ob er meine Briefe erhalten hat." "Er mag Urlaub nehmen!" Jetzt kam der Wirth, welcher sich entfernt hatte, wieder zurueck und brachte einen Brief, der allem Anscheine nach sehr oft durchgelesen worden war. Kurt nahm ihn in Empfang und blickte auf den Kronprinzen. "Lesen Sie immerhin," meinte dieser. "Ich bitte sogar ihn vorzulesen, denn ich moechte selbst gern wissen, was der alte ehrliche Steuermann schreibt." Kurts Augen hafteten mit sichtbarer Ruehrung an dem hoechst sonderbar stilisirten Brief, dessen Orthographie eine ebenso eigenthuemliche war wie die Schrift, welche dem Schreiber sicher manchen Tropfen Schweisses gekostet hatten. Er lautete: Lieber Bruhder. Hier luegen Wir vor Badafia, der Teifel hole die Hizze und die Langeweule! Ich schreiwe Dihr, aber ich mache es kurzz, denn ich habe kein Geschihke dazuh. Wie? Einen Jungen haete Ich? Heiliche Kreuzstaenge! Ich weis kein Wort von! Awer Ich glauwe es. Und die Gusstel laebt noch? Donerwaetter! Juchhee! Ich komme, awer noch nigt gleuch, denn Ich und der Boodsmann, Wir haben Etwass vor, was aerst faertig seyn muss. Gott sei Dank, diesser Brief isst alle. Wihr gehen von huer nach Pompei. Schreiwe auch an Mich, awer Meer als Ich. Daussend Griesse an alle von Mier und dem Boodsmann. Dein Bruhder Steuermann." - Am Nachmittage sassen die beiden Kadetten im Koupee. Sie befanden sich allein darin und waren also ungestoert. "Wie gefallen dir meine Verwandten?" "Ausserordentlich." "Das konnte ich nicht vermuthen." "Weil es so einfache Leute sind? Pah, ich gebe den Teufel auf Aeusserlichkeiten! Diese Leute sind herzensbrav. Der Edelstein hat auch ungeschliffen seinen Werth; durch den Schliff verliert er an Volumen. Und verkehrt nicht sogar der Koenig und der Kronprinz bei Deinem Onkel! Eigentlich sind dies recht interessante Verhaeltnisse." "Allerdings. Der Kronprinz war selbst Schmiedesohn. Er wurde seinen Eltern durch den Herzog von Raumburg geraubt, welcher nach der Krone trachtete, und kam durch eine Zigeunerin Namens Zarba in das Haus des Hofschmieds Brandauer. Dessen Sohn wurde mit ihm verwechselt und als ein Prinz von Sternburg erzogen. Es ist der jetzige Admiral. An diese Begebenheiten knuepfen sich noch Dinge und Verwickelungen, welche Stoff zu vielen Romanbaenden geben wuerden." "Von dem Romantischen hast Du auch ein kleines Quantum erhalten." "Allerdings, und hoffentlich zu meinem Gluecke." "Ich bin begierig, die Familie Deines Pflegevaters kennen zu lernen." "Sie ist interessant. Der General selbst ist ein alter wackerer Degenknopf, der sich in der Gesellschaft seiner zwoelf Hunde am wohlsten befindet, und die Damen sind auch ganz gut, wenn man ihre kleinen Eigenheiten zu beruecksichtigen versteht. Ich habe Dir alle Personen genau beschrieben, so dass Du Dich genau darnach richten kannst." "Ich interessire mich fuer den General, weil er fuer den groessten Feind Suederlands gilt." "Du hast eine tiefe Aversion gegen Dein Vaterland. Mir unbegreiflich!" "Und doch sehr natuerlich, wenn Du mir die Bemerkung gestattest, dass ich nicht mein Vaterland, sondern gewisse Personen und Zustaende hasse, welche fuer meine Familie verhaengnissvoll geworden sind." "Der Kronprinz frug Dich heute damach, und Du wichest ihm aus. Waere ich ein so maechtiger Mann, ich wuerde mich ebenso darnach erkundigen, um Dir meine Hilfe anzubieten." "Das sind Dinge, ueber welche man am liebsten schweigt. Doch mit einem vertrauten Freunde kann man vielleicht eher darueber sprechen, als mit einem Andern, selbst wenn dieser Andere ein Kronprinz oder ein Koenig waere. Ich weiss, dass Du schweigen kannst." "Natuerlich!" "Ich bin der einzige Sohn meiner Eltern, hatte aber eine Schwester, welche aelter war als ich." "Ah! Von ihr hast du mir noch gar nichts gesagt. Sie ist todt?" "Wir wissen es nicht." "Wissen es nicht? Du sprichst in Raethseln. Man weiss von einer Schwester doch, ob sie lebt oder gestorben ist!" "Unter gewoehnlichen Umstaenden, ja." "So hast Du es mit ungewoehnlichen Umstaenden zu thun? Du machst mich neugierig." "Meine Schwester hiess Toska. Ich verstand nichts davon, aber ich hoerte sagen, dass sie die schoenste und umworbenste Dame unseres Hofes sei." "Das will viel heissen!" "Muss aber doch wahr gewesen sein, da sogar der Prinz sie sehr beachtete." "Der Kronprinz?" "Nein, Prinz Hugo." "Der tolle Prinz?" "Ja. Er zeichnete sie vor den uebrigen Damen auf eine Weise aus, welche auffaellig erscheinen musste, leider aber Toskas Herz gefangen nahm. Sie liebte ihn." "Den Alle hassen!" "Man sagt ja, dass die Liebe blind sei, bei meiner Schwester war sie es. Aber wie ich Toska kannte, muss der Prinz eine ganz ausserordentliche Verstellungsgabe besitzen. Sie konnte nur einen Mann lieben, den sie fuer ihrer wuerdig hielt." "Wurde sie nicht gewarnt?" "Oft; natuerlich nur seitens der Eltern. Doch alle Vorstellungen blieben fruchtlos, und - ploetzlich war sie verschwunden." "Verstehe ich recht? Wer war verschwunden? Deine Schwester?" "Ja. Sie gab vor, zu einer entfernten Verwandten auf Besuch zu gehen, ist aber dort weder eingetroffen noch zu uns zurueckgekehrt." "Es ist ihr ein Unglueck widerfahren!" "Natuerlich!" "Sie wurde unterwegs ueberfallen, beraubt und ermordet!" "Nein." "Nein? Du sagst dies mit solcher Sicherheit? Habt Ihr eine Spur gefunden?" "Ja. Sie wurde mit einem Manne gesehen, der kein Anderer als der tolle Prinz sein kann, welcher gerade zu jener Zeit verreist war. Seitdem ist sie verschwunden." "Und Ihr habt kein Lebenszeichen von ihr erhalten?" "Nicht das mindeste. Vater hat sich alle moegliche Muehe gegeben, das Dunkel aufzuklaeren, aber vergeblich. Er musste dabei alles vermeiden, was uns kompromittiren konnte, und das ist der Grund, weshalb unsere mehrjaehrigen Nachforschungen keinen Erfolg hatten. jetzt nagt der Gram an dem Herzen und dem Leben der Eltern, das Faktum laesst sich kaum mehr verbergen, und dennoch bleibt der Prinz frech und undurchsichtig wie zuvor. Ich bin zwar noch ein halber Knabe, aber er mag sich hueten, zwischen meine Haende zu gerathen!" "Und dies ist also der Grund, wegen dessen Du in norlaendische Dienste tratest?" "Ja. Ich mag einem Lande nicht dienen, in dessen Herrscherfamilie der raffinirteste Satan lebt, der jemals unter Menschen gewandelt hat. Seine Thaten, welche oft dem Verbrechen so aehnlich sehen wie ein Ei dem andern, sind offenkundig, man erzaehlt sie sich laut und ohne alle Scheu, ohne dass bei Hofe dadurch der geringste Eindruck hervorgebracht wuerde. Eine einzige seiner Handlungen haette einen gewoehnlichen Mann in das Zuchthaus gebracht; er aber ist Prinz des koeniglichen Hauses und darf suendigen nach Wohlgefallen." "Ich haette den Kerl ersaeufen sollen!" "Du? Wann und wo?" "Und dennoch bin ich ihm eigentlich Dank schuldig, denn er ist die eigentliche Ursache, dass ich in das Haus des Generals von Helbig gekommen bin." "Er? Das musst Du mir erzaehlen!" "Gern." Er berichtete von jener Wasserfahrt im Seebade Fallum, und als er geendet hatte, hielt der Zug an der Station, wo Beide aussteigen mussten. Kurze Zeit spaeter fuhren sie in einem Miethswagen Schloss Helbigsdorf entgegen. Dort sass der General in seinem Arbeitszimmer, welches von einem dichten Tabaksqualm erfuellt war. Auf der Diele, dem Sopha und den Stuehlen lagen seine zwoelf Hunde; er selbst las in einem Buche, welchem er seine vollste Aufmerksamkeit zu widmen schien. Eben hatte er sich eine neue Pfeife angesteckt, als er eine Miene zog, als ob der Geruch des Tabaks ihm die Nase zerreissen wolle. Er zog die Glocke, und gleich darauf trat der Diener ein. "Kunz!" "Herr General!" "Was ist das hier?" "Eine Tabakspfeife." "Wem gehoert sie?" "Natuerlich dem Herrn General. Verstanden?" "Aber nicht Dir!" "Nein." "Und doch hast Du sie fuer Dich gestopft!" "Fuer mich?" "Ja, und sie nachher hierher gehaengt, ohne sie vorher auszurauchen." "Donnerwetter, Exzellenz, das ist die groesste Luege, die es nur geben kann! Verstanden?" "Mensch, werde nicht grob! Hier hast Du die Pfeife; ziehe einmal!" Kunz fuehrte die Pfeife zum Munde und that ein paar gehoerige Zuege, wobei er dem General die dichten Tabakswolken ganz ungenirt in das Gesicht blies. Hm!" knurrte er. "Nun?" "Hm!" "Was ist das fuer Tabak?" "Rollenknaster mit etwas Portoriko vermischt, Exzellenz. Verstanden?" "Und wer raucht diesen famosen Rollenknaster, mit etwas Portoriko vermischt?"