"Ich." "Und was rauche ich fuer Tabak, he?" "Den reinen Varinas." "Nun, alter Schwindelmeier, da hast Du also Dir den Varinas eingestopft, und ich soll Deinen Rollentabak rauchen!" "Schwindelmeier? Donnerwetter Exzellenz, das leide ich nicht! Verstanden?" "Maul halten! Sind Deine Pfeifen gestopft?" "Ja." "Hole sie!" Kunz entfernte sich und kam gleich darauf wieder zurueck. "Hier sind die Pfeifen, Herr General. Und hier sind auch die beiden Tabaksbuechsen, naemlich die meinige und die Ihrige. Verstanden? Wollen doch sehen, ob ich ein Schwindelmeier bin." "Stecke eine davon an!" "Zu Befehl!" Er setzte eine von seinen Pfeifen in Brand, und Beide steckten ihre Nasen pruefend in die Rauchwolke, welche er mit einer Miene von sich paffte, als ob er den General verschlingen wolle. Doch bereits im naechsten Augenblicke bekam sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck, er zog eine hoechst bedenkliche und dann sehr verlegene Grimasse. "Nun," frug der General, "was fuer Tabak ist das da in Deiner Pfeife?" "Weiss Gott, der reine Varinas! Verstanden, Exzellenz?" "Und wie kommt er hinein?" "Das weiss der Teufel! Aber der Herr General koennen mir glauben, dass ich an dieser verteufelten Geschichte nicht die mindeste Schuld trage. Ich verwechsle weder die Pfeifen noch die Tabaksbuechsen. Da hat irgendwer eine ganz heillose Luderei getrieben, um mich in Verlegenheit zu bringen. Das ist entweder die Schreia oder die Zanka oder die Bruella gewesen; denn wo es einen Streich gegen mich gibt, da sind sie sicher dabei!" "Wird ihnen gar nicht einfallen, sich an den Pfeifen zu vergreifen!" "Faellt ihnen schon ein, Exzellenz! Verstanden? Die Tabaksbuechsen haben sie mir nicht verwechselt; das haette mich nicht irre gemacht, denn ich weiss den Varinas von dem Rollenknaster mit ein wenig Portoriko ganz genau zu unterscheiden, ich glaube vielmehr, dass man mir in meiner Abwesenheit die Pfeifen umgestopft hat. Wollen diesen Tabak doch gleich wieder herausthun. Ich mag keinen Varinas; er ist mir zu stark. Verstanden?" Er klopfte ohne Umstaende saemmtliche Pfelfenkoepfe auf den Schreibtisch des Generals aus und war damit beinahe fertig, als er einen Ruf der Ueberraschung hoeren liess. "Was gibt es?" frug Helbig. Kunz griff in den Tabak und hielt ihm einen Gegenstand entgegen, den er in demselben gefunden hatte. Dann frug er mit triumphirender Miene: "Was ist das, Exzellenz?" "Ein Ring." "Und wem gehoert er?" "Ich weiss nicht; ich kenne ihn nicht." "Aber ich kenne ihn. Er gehoert der Jungfer. Verstanden, Exzellenz?" "Der Jungfer? Wie sollte der Ring des Maedchens in meine Pfeife kommen?" "O, das ist sehr einfach; das ist sehr leicht zu begreifen. Sie ist es gewesen, welche die Pfeifen umgestopft hat, und dabei ist ihr der Ring im Pfeifenkopfe stecken geblieben, ohne dass sie etwas davon gemerkt hat. Verstanden, Herr General?" "Ja. Gieb den Ring her, Kunz! Ich werde ein Exempel statuiren." "Nein, das werde ich statuiren, denn fuer den Herrn General passt es sich nicht, sich mit einem solchen dummen Geschoepfe herumzuzanken. Verstanden?" "Gut. Aber was wirst Du machen?" "Weiss es noch nicht, muss es mir erst vorher reissich ueberlegen." Dabei aber zog er ein Gesicht, welches sehr verrieth, dass er bereits mit sich eines sei. "Nur keine Dummheiten, Kunz! Uebrigens gehen wir heute nicht spazieren." "Warum?" "Ich bin hier ueber einer sehr interessanten Lektuere." "Was ist es?" "Brand, die Taktik der drei Waffen." "Ein ausgezeichnetes Buch, Herr General!" "Ah, Du kennst es?" "Nein." "Aber wie kannst Du dann sagen, dass dieses Buch ein ausgezeichnetes sei?" "Weil Exzellenz es lesen, was nicht geschehen wuerde, wenn es nicht gut waere." "Schoen! Kannst jetzt gehen; aber nimm die Pfeifen und den Tabak mit!" "Zu Befehl, Exzellenz! Den Tabak muss ich nun wegwerfen. Er schmeckt nicht, da er so in den Koepfen herumgemanscht wurde. Verstanden?" Er trug die Pfeifen in seine Stube; den Tabak aber schlug er in ein Papier, welches er zu sich steckte. Dann schlenderte er den Korridor entlang und lugte durch die angelegte Kuechenthuer. Die Kueche war leer, und die Nachmittagschokolade stand auf dem Herde. "Passt!" Schnell trat er hinzu, warf den Tabak in das Getraenke und quirlte ihn gehoerig um; dann schlich er sich davon, ohne von irgend jemand gesehen zu werden. Unweit des Schlosses gingen die drei Schwestern im Walde spazieren. "Wollen wir ihn morgen persoenlich von der Station abholen?" frug die Lange. "Nein, meine liebe Freya," antwortete die Duenne. "Das schickt sich nicht." "Warum, nicht?" "Weil er eigentlich gar nicht zur Familie gehoert, sondern nur in Pssege genommen ist." "Aber er ist so brav. Was meinst denn Du dazu, meine gute Zilla?" Die Dicke drueckte ihr Eichhoernchen an den Busen und antwortete zaertlich: "Ich hole ihn ab, denn ich liebe ihn." "Gut. So fahren wir also." "Das geht nicht,´ warf Wanka ein" "Warum. nicht?" "Weil er schreibt, dass er einen Kameraden mitbringen werde." "Ist das ein Grund ihn nicht abzuholen?" "Ja." "Warum?" "Wie wollen wir uns setzen? Der Wagen fasst nur vier Personen, wir allein sind drei, die beiden Kadetten zwei, macht zusammen fuenf." "So bleibt eine von uns zu Hause!" "Aber wer?" "Ich nicht!" "Ich auch nicht!" "Ich vollends gar nicht!" "Streitet Euch nicht! Auch wenn Eine von uns daheim bliebe, wuerde es immer noch am Platze fehlen. Die beiden Kadetten haben jedenfalls noch Koffer bei sich." "So kann blos Eine von uns mitfahren, und Zwei muessen zurueckbleiben." "Aber welche faehrt mit?" "Ich!" "Ich!" "Ich!" Diese drei "Ichs" waren in dem entschiedensten Tone ausgesprochen, und dabei blitzten sich die drei Schwestern mit Augen an, welche nicht sehr freundlich genannt werden konnten. "Ich werde fahren," meinte die Blaue; "ich habe das Vorrecht, denn ich bin die Aeltere." "Nein," entgegnete die Purpurne, "dieses Vorrecht gebuehrt mir; ich bin die Juengere." "Entscheide Du, liebe Wanka,. Du bist hier nicht Partei!" "Dies Recht gebuehrt weder der Aelteren noch der juengeren, sondern ich werde fahren, denn ich bin die Mittlere!" "Du? Was faellt Dir ein!" "Ja, was faellt Dir ein!" "Wenn der Herr Lieutenant von Wolf da waere, wuerde er Euch beweisen, dass ich Recht habe," erklaerte die Gruene, indem sie ihr Meerschweinchen liebkoste. "Er wuerde vielmehr meine Partei ergreifen!" behauptete Freya. "O nein, sondern die meinige!" rief Zilla. Da liess sich ploetzlich eine laute jubelnde Stimme vernehmen, und durch das seitwaerts stehende Gebuesch brach Magda. Sie eilte auf die kaempfenden Schwestern zu. "Er kommt!" rief sie. "Wer?" "Kurt!" "Kurt? Nicht moeglich!" "Und doch!" "Er kommt erst morgen!" "Er kommt heute, er kommt jetzt; ich habe ihn gesehen." "Wo?" "Er kommt die Strasse heraufgefahren, und es sitzt noch einer bei ihm." "Wie sind sie gekleidet?" "In Uniform." "In Uniform? Mein Gott, wenn der Andere nun gar kein Kadett waere!" "Sondern ein Lieutenant!" "Ein Kapitaen!" "Ein Kommodore!" "Ein Admiral!" "Schnell nach Hause. Wir muessen Toilette machen und fertig sein, ehe sie kommen!" Sie ssogen davon. Magda blieb stehen. Sie stand jetzt in dem Uebergangsalter zwischen Maedchen und Jungfrau; sie war ein reizendes Wesen, und es liess sich mit grosser Bestimmtheit sagen, dass sie einst eine vollendete Schoenheit sein werde. "Gehe ich ihm entgegen?" frug sie sich. "Ja! - Aber der Andere? Pah, der geht mich nichts an. Ich habe Kurt drei Jahre lang nicht gesehen und muss die Erste sein, die ihm Willkommen sagt." Sie eilte zwischen den Baeumen dahin, bis sie an die Strasse gelangte. Der Wagen war ihr bereits ganz nahe, als sie ihn erblickte. Sie schritt ihm schnell entgegen und rief, vor Freude die kleinen Haendchen zusammenschlagend: "Kurt! Willkommen, lieber Kurt!" Dann aber blieb sie ploetzlich stehen, waehrend tiefe Roethe ihr Angesicht ueberssog. Der da waehrend des Fahrens aus dem Wagen sprang und auf sie zueilte, war nicht der Knabe, wie sie ihn vor drei Jahren gekannt hatte; er war ein Juengling geworden, den die Uniform tausendmal schoener liess, als den alten duerren Lieutenant von Wolff, der immer kam, um den drei Tanten Artigkeiten zu sagen. "Magda!" Er sprang auf sie zu, umarmte sie und kuesste sie herzlich auf die Lippen. Sie ergluehte womoeglich noch mehr als vorher. "Ist Alles wohl daheim?" "Ja." "Papa zu Hause?" "Ja." "Die Fraeuleins?" "Ja." "Meine Mutter?" "Ja." "Kunz und alle Andern?" "Ja." Sie gab so kurze einsilbige Antworten, weil sie ihre Verlegenheit noch immer nicht ueberwinden konnte. Er musste es endlich bemerken. "Was ist mit Dir, Magda?" "Nichts. Ich bin so sehr gelaufen." "Um mir entgegen zu kommen? Da muss ich Dich nochmals kuessen!" Er that es und vermehrte dadurch nur ihre Befangenheit. "Hier bringe ich Dir einen Freund mit!" Und dann fuegte er vorstellend die Namen hinzu: "Graf Karl von Mylungen -Magda von Helbig, lieber Karl!" Der Andere war auch ausgestiegen und verbeugte sich gruessend. "Gib mir Deinen Arm, Magda! Wir werden bis zum Schlosse gehen." Er nahm ihren linken Arm in den seinigen und Mylungen bat sich den rechten aus. So schritt sie zwischen den Beiden auf der Strasse dahin wie eine richtige grosse erwachsene Dame zwischen zwei Rittern, die fuer sie kaempfen und sterben wollen. So hatte sie zuweilen in einem Buche gelesen, und als noch einige freundliche oder erkundigende Worte gefallen waren, erhielt sie ihre Fassung zurueck und wagte es nun, die beiden jungen Herren ganz verstohlen ein wenig mit einander zu vergleichen. Der Graf war schoen, das schien ihr unumstoesslich; Kurt aber war noch schoener. Er sah zwar nicht so vornehm aber doch viel kraeftiger, frischer und zutraulicher aus. Es war wirklich schade, dass sie nicht ganz und gar allein mit ihm war! Als sie das Schloss erreichten, war die ganze Bewohnerschaft desselben bereits versammelt, um die Ankoemmlinge zu empfangen. Kurt wurde wie ein Kind des Hauses willkommen geheissen, und Mylungen erhielt ganz dieselbe Herzlichkeit entgegengebracht. Beide kuessten den drei Damen die Haende und erhielten von Allen freundliche Vorwuerfe darueber, dass sie den Tag ihrer Ankunft falsch angegeben und dadurch einen andern Empfang unmoeglich gemacht hatten. Dann bemaechtigte sich Kunz ihrer, um ihnen ihre Zimmer anzuweisen. Die drei Schwestern sassen dann im Salon beisammen. "Also kein Admiral!" "Und kein Kapitaen!" "Auch kein Lieutenant!" "Aber ein Graf!" "Und was fuer Einer!" "Dieser Wuchs!" "Diese Augen!" "Diese Stimme! Schade, dass er nicht einige Jahre aelter ist!" "Wie muesste er sich ausnehmen, wenn er in den Jahren des Herrn Lieutenant von Wolff staende." "Besser noch als der Lieutenant." "Natuerlich! Er scheint jetzt noch etwas schuechtern zu sein; wenigstens war der Handkuss kaum zu fuehlen." "Vielleicht haben wir einen imponirenden Eindruck auf ihn gemacht!" "Oder ihn gar zurueckgestossen und beleidigt. Dein Auge war so streng, liebe Wanka." "Blos pruefend, liebe Freya; aber Deine Haltung war etwas sehr reservirt." "Das scheint blos so, weil ich laenger bin als Ihr. Den groessten Fehler hat Zilla gemacht." "Ich? Welchen?" frug die Purpurne. "Du blicktest auf Kurt, als der Graf Dich begruesste." "Davon ist mir nichts bewusst. Aber sollten wir je einen ueblen Eindruck auf ihn hervorgebracht haben, so ist es unsere Pssicht, denselben sofort wieder zu verwischen." "Wodurch?" "Wir bemaechtigen uns seiner und geben ihn nicht eher wieder frei, als bis er zeigt, dass er vollstaendig ausgesoehnt ist." "Aber auf welche Weise soll diese Bemaechtigung vorgenommen werden?" "Nur keine Gewaltmassregeln, liebe Schwestern!" "Nein; die Liebe allein soll siegen. Wir laden ihn zu einem Spaziergange ein." "Nicht interessant genug," erklaerte Freya. "Wir lassen satteln, liebe Wanka." "Satteln?" rief die dicke Zilla. "Ausreiten wollt Ihr? Bewahre! Ihr wisst ja, dass ich nicht reite. Uebrigens koennt Ihr dem Grafen ja gar nicht zumuthen, nach einer Reise, wo er der Ruhe bedarf, sogleich wieder zu reiten." "Das ist wahr! Aber wie bemaechtigen wir uns denn sonst noch seiner?" "Ich weiss es!" erklaerte Zilla. "Nun?" "Wir laden ihn zur Chokolade." "Richtig! Auf diesen Gedanken konnten wir ja sofort gleich kommen!" "Aber wer bringt ihm die Einladung?" "Ich!" "Nein, ich!" "Ich!" meinte Zilla. "Der Gedanke ist von mir, folglich habe ich den Vorzug vor Euch." Freya handelte diplomatisch: "Schickt es sich ueberhaupt, dass wir die Einladung selbst ueberbringen?´ " "Eigentlich nicht!" "Unverheirathete Damen! Denkt Euch! Man muesste doch auf sein Zimmer gehen!" "Allerdings. Das geht nicht. Das Maedchen mag es besorgen." "Von einem Dienstmaedchen eingeladen werden? Koennte ihn dies nicht beleidigen?" "Wahrhaftig! Aber wie denn anders? Wir nicht und das Maedchen auch nicht." "Ich hab's!" meinte Zilla. "Was?" "Wir sagen es Kurt, der mag ihn mitbringen." "Richtig. Lasst uns sofort zu Kurt schicken!" Nach einigen Minuten stand dieser im Salon vor den Schwestern. Freya bemaechtigte sich des Wortes: "Lieber Kurt, willst Du uns wohl einen Gefallen thun?" "Jeden, liebe Tante." "Ich glaube, dass wir Drei Deinen Freund recht sehr beleidigt haben." "Ah? Wodurch?" "Wanka hat ihn jedenfalls ein wenig zu finster angesehen." "Habe nichts davon bemerkt." "Ich selbst habe meine Stellung vielleicht etwas zu stolz gehalten." "Habe nichts bemerkt." "Und Zilla hat gar auf Dich gesehen, waehrend er sie so hoessich begruesste." "Nichts bemerkt." "Aus dem Allen geht hervor, dass wir ihm eine Satisfaktion zu geben haben." "Ah, schoen! Aber welche?" "Wir muessen uns seiner bemaechtigen - -" "Vortrefssich!" "Um allen Groll und alle Feindseligkeit aus seinem Herzen zu verscheuchen." "Welch gute liebe Tanten ich habe!" "Ja, das soll auch der Graf erfahren. Du sollst ihn in unserem Namen einladen." "Wozu?" "Zu einer Tasse Chokolade." "Wo und wenn?" "In unserem Damensalon, und zwar jetzt gleich. Die Chokolade muss fertig sein." "Ich werde ihn Euch sofort schicken." "Schicken? Und Du?" "Es war bisher ja nur von ihm die Rede!" "Du kommst natuerlich mit; es wuerde ja auffaellig sein ihn allein zu laden." "So komme ich also mit. Ich eile, hebe Tanten, und werde ihn sogleich bringen." Er hielt sein Wort mit solcher Geschwindigkeit, dass die beiden Kadetten den Damensalon betraten, noch ehe das Service aufgetragen war. Freya hatte ihr Kaetzchen auf die Chaise-longue gelegt, um die Chokolade mit eigener Hand zu besorgen. Mylungen war so aufmerksam es zu streicheln. "Sie lieben die Katzen?" frug Zilla in ihrem freundlichsten Tone. "Ja, wenn sie eine gute Erziehung genossen haben, gnaediges Fraeulein." "Und wohl auch die Hunde?" "Ein Seemann hat weder Zeit noch Raum fuer diese Thiere." "So begegnen wir uns in unserer Aversion gegen diese rueden Thiere. Sehen Sie dagegen meine Mimi! Wie nett, wie sauber, wie niedlich und zaertlich." "Einer solchen Herrin gegenueber moechte man zaertlich werden, auch ohne ein Eichkaetzchen zu sein." Dies war gewiss die erste Galanterie des jungen Mannes einer solchen Dame gegenueber. Kaum waren ihm die Worte entfahren, so fuehlte er auch, wie dumm er gesprochen habe. Gluecklicher Weise aber wurde sein Kompliment im hoechsten Grade gnaedig aufgenommen; denn Zilla nickte ihm freundlich zu und Wanka beeilte sich, womoeglich auch,eine solche Hoessichkeit gesagt zu erhalten. Sie reckte ihm ihr Meerschweinchen ueber die Tafel hinueber entgegen. "Nehmen Sie einmal dieses Thierchen in die Hand, lieber Graf!" Er griff zu. "Wie weich!" "Sehr!" stimmte er bei. "Und bescheiden!" "Sehr!" "Anspruchslos!" "Sehr!" "Demuethig." "Sehr!" "Bitte, streicheln Sie es einmal! Wie elektrisch es einen dabei durchzuckt." "Hoechst elektro-magnetisch!" "Diesem Thierchen gehoert eigentlich Ihre hoechste Sympathie!" "Ganz natuerlich." "Sie sind Seemann - -" "Erst Kadett, meine Gnaedige." "Wenn auch. Aber Sie geben zu, dass zwischen einem Seemanne und einem Meerschweinchen stets ein zaertliches Verhaeltniss obwalten sollte. See und Meer ist doch ganz ein und dasselbe." "Versteht sich! Daher liebe ich diese Thiere auch ganz ausserordentlich." "Wirklich, mein lieber Graf?" "Ja, und noch mehr: Ich habe diese Thierchen sogar eingehend studirt. Der Zoolog nennt sie Cavia oder auch Anoema nach dem grossen Cuvier. Es gibt mehrere Untergattungen, naemlich Cavia cobaya oder Cavia porcellus, Cavia aperea und Cavia rupestris." "Hoerst Du, Zilla, der Graf liebt die Meerschweinchen und nennt sie sogar griechisch und hebraeisch. Zu welcher Gattung gehoert denn dieses hier, mein lieber Herr?" "Ihr Name ist Wanka, mein gnaediges Fraeulein?" "Ja." "So wuerde ich, wenn ich Naturforscher waere, diese Gattung Cavia Wankalis nennen oder Cavia Cupida, das heisst naemlich Liebesschweinchen." "Liebesschweinchen, Cavia Cupida! Ja, Cupido war ja der Gott der Liebe. Hoerst Du, Zilla, welche Sorte von Schweinchen ich habe. Graf, behalten Sie es immerhin auf Ihrem Schoosse. Ich gebe es sonst niemals aus der Hand, Ihnen aber will ich es gern anvertrauen." Jetzt kehrte Freya aus der Kueche zurueck. Ihr folgte die Zofe, welche die Chokolade trug. Es wurden die Tassen gefuellt und Biskuits herumgereicht. "Graf, trinken Sie ueberhaupt Chokolade?" frug Freya. "Die Herren lieben gewoehnlich die Suessigkeiten nicht." "Ich trinke sogar den Wein nicht so gern wie die Chokolade, mein Fraeulein." "Sagen Sie das nicht aus Hoessichkeit?" "Nein; das werde ich Ihnen beweisen, indem ich die Tasse zuerst ergreife." Er nahm die Tasse, brachte sie an die Lippen und that einen Schluck, zog sie aber sogleich mit einem sehr erstaunten Gesichte vom Munde wieder fort. "Was ist Ihnen, Graf? Schmeckt die Chokolade nicht?" Am Gegentheile, ganz vorzueglich; aber sie ist denn doch etwas zu heiss." Da tauchte Freya ihr Biskuit ein und fuehrte es zum Munde. Beim ersten Biss zog sie die Zaehne auseinander, als haette sie in eine Kreuzspinne gebissen. "Was ist das mit den Biskuits? Wanka, Zilla, versucht sie doch einmal!" Die Beiden tauchten ein und kosteten. "Abscheulich! Was hat da der Baecker hineingebacken?" Kurt, der auch hatte trinken wollen, laechelte hoechst vergnuegt und stiess den Grafen an. "Tantchen, das ist nicht das Biskuit, sondern die Chokolade. Kostet sie doch einmal!" In hoechster Eile fuhren die Tassen an die verschiedenen Lippen. "Brrr!" machte Freya. "Fi!" kreischte Wanka. "Abscheulich!" rief Zilla. "Was ist das fuer ein Geschmack?" frug Freya. "Gerade wie Theer!" "Nein, gerade wie scharfe Seife!" entgegnete Wanka. "Nein," entschied Zilla, "gerade wie - wie - wie - -" "Tabak!" fiel Kurt ein. "Ja, wie Tabak!" stimmte das Damenterzett bei. Es wurde gekostet und wieder gekostet, und das Resultat blieb, dass sich Tabak in der Chokolade befinde. Aber wie war derselbe hineingekommen? Die drei Schwestern befanden sich dem Grafen gegenueber in einer schauderhaften Verlegenheit und riefen die Koechin herbei, mit welcher allsogleich ein sehr strenges Verhoer angestellt wurde. Dieses letztere blieb leider ohne Erfolg, bis Freya den Inhalt der Kanne untersuchte und eine Chokoladenhaut hervorzog, welche man als Papier erkannte. Es war von Holzstoff gefertigt und hatte also der ssuessigkeit leidlich widerstanden. Die beiden Kadetten belustigten sich ueber das Vorkommniss und beruhigten die Damen. "Lass mich das Papier naeher untersuchen," meinte Kurt. "Vielleicht entdecke ich etwas, was mich auf die Faehrte bringt, liebe Tante." Er legte das Corpus delicti auf einen Teller und wandte es herum und hinum. "Diese Sorte Papier und diese Form kenne ich sehr genau. Wenn die ssuessigkeit die Schrift nicht ausgesogen haette, koennten wir hier ganz sicher lesen: "Aechter reiner Portorikoschnitt." Und wer solchen hat, das wissen wir Alle." "Wer?" frug Freya. "Kunz." "Der, ja der ist es gewesen. Kein Anderer haette so etwas gethan. Anna - - ah, jetzt faellt mir ein - wie steht es mit den Pfeifen?" "Sie sind umgewechselt," antwortete das Maedchen. "Ob er etwas bemerkt hat?" "Nicht das mindeste." "So ist es nicht Rache, sondern die reinste Gottlosigkeit, uns Tabak in die Chokolade zu thun, waehrend wir so liebe Gaeste bei uns haben. Hole den Menschen gleich herbei, Anna!" Das Maedchen entfernte sich und brachte nach wenigen Augenblicken Kunz getrieben. Dieser trat mit der unbefangensten Miene ein, nachdem er den Lieblingshund Hektor, welcher mit herein wollte, zurueckgewiesen hatte. Freya stand wie eine Rachegoettin vor ihm. Mit gebieterischer Miene reichte sie ihm die gefuellte Tasse hin. "Trinke Er das hier einmal!" "Was ist es denn?" "Chokolade." "Schoen! Prosit!" Er fuehrte die Tasse zum Munde und that einen tuechtigen Schluck aus derselben. "Schmeckt es?" "Sehr gut, gnaediges Fraeulein. Verstanden?´ ªUnd Er merkt nichts?" "Was soll ich merken? Hat die Chokolade einen Fehler?" "Und was fuer einen! Koste Er noch einmal!" Er that einen zweiten Zug und schuettelte dann mit dem Kopfe. "Bin kein grosser Feinschmecker. Es wird wohl zu viel Zucker daran sein." "Zu viel Zucker? Mein Gott, hat dieser Mann eine Zunge! Er schmeckt wirklich nichts?" "O Ja." "Was denn?" "Die Chokolade. Verstanden?" "Aber es ist noch etwas Anderes daran!" "Was denn?" "Tabak!" "Tabak? Hm! Sonderbare Leute! Tabak an die Chokolade! Das ist doch gerade so ein Unsinn, als wenn ich Chokolade an meinen Tabak thun wollte!" "Was raucht Er denn fuer eine Sorte?" "Rollenknaster mit ein wenig Portoriko. Verstanden?" "Und wie bekommt Er den Portoriko?" "In Paeckchen." "Von Papier?" "Von Papier." "Wohl in solchem Papiere, he?" Sie hob das Corpus delicti empor und hielt es ihm vor die Nase. "Hm, ja, in solchem Papier, nur dass es da nicht von Chokolade trieft. Verstanden?" "Und warum trieft es jetzt, he? Kann Er mir das.wohl sagen?" "Ich denke." "Nun?" "Weil es voll Chokolade ist." "Und warum ist es voll? Wer hat es in die Chokolade geworfen, he?" "Nun, wer denn?" "Er! Kein anderer als Er!" "Ich! Wie kaeme ich dazu?" "Aus Schlechtigkeit!" "Ich? Wunderbar! Ich denke, Sie haben den Tabak an die Chokolade gemacht, damit sie nach ihm schmecken soll, und nun wirft man mir mit Schlechtigkeiten in das Gesicht!" "Ja, schlecht ist Er und boshaft dazu! Er raucht Portoriko, Portoriko ist in der Chokolade, folglich hat Er sie hineingeworfen. Ich werde mit dem General darueber reden." "Thun Sie das, mein gnaediges Fraeulein. Verstanden? Der Herr General weiss ganz genau, dass ich eine alte gute Seele bin, die kein Waesserchen truebt." "Kein Waesserchen? Nein, aber die Chokolade truebt Er, und noch dazu heut!" "Hoeren Sie, Fraeulein, wenn Sie vernuenftig mit mir spraechen, koennte ich Ihnen vielleicht den Thaeter bezeichnen. Ich habe ihn gleich nach vollbrachter That entdeckt." "Nun, wer ist es?" "Die That ist jedenfalls nur geschehen, um mich in ein schlimmes Licht zu stellen." "Wer ist der Thaeter?" Ich weiss es noch nicht, aber ich habe ein Zeichen, an welchem man ihn leicht erkennen kann." "Erklaere Er sich deutlicher!" "Als ich heute fuer Exzellenz die Pfeifen stopfte, schuettete ich mir den Portoriko fuer mich in die Buechse. Als ich nach einiger Zeit in die Stube zurueckkehrte, war der Portoriko mit sammt dem Papiere fort, und jetzt finde ich es hier wieder." "Ausrede!" "Ausrede? Das ist keine Ausrede, sondern die reine Wahrheit. Verstanden?" "Luege ist es!" "Ich kann es beweisen!" "Nun, so thue Er es!" "Ich untersuchte die Buechse, aus welcher der Tabak gestohlen war, ganz genau und fand diesen Ring, den sich der Dieb abgestreift hatte, ohne es zu bemerken." "Zeige Er her!" "Den behalte ich als Beweismittel, wenn ich den Diebstahl beim Herrn General melde. Verstanden? Aber ansehen koennen Sie ihn. Hier ist er, meine Damen! Wem gehoert er?" Er hielt ihn so, dass ihn Alle sehen konnten. "Er gehoert Anna!" meinte Freya sogleich. Das Maedchen gerieth in die aergste Verlegenheit. Kunz trat auf sie zu. "Der Ring gehoert wirklich Ihr?" frug er. "Ja." "Wie koemmt er in meinen Tabak?" "Das weiss ich nicht." "Sie war in meiner Stube?" "Nein." "Luege Sie nicht! Dass ich eine alte gute Seele bin, will ich Ihr beweisen, indem ich Ihr den Ring wieder gebe. Hier ist er. Ich werde dem Herrn General keine weitere Mittheilung machen und hoffe, dass Sie sich nicht zu aehnlichen Thorheiten verfuehren laesst; denn von wem das Ding ausgeht, das weiss ich recht gut. Wer mir eine Tabakssuppe einbrocken will, der kann leicht eine Tabakschokolade zu trinken bekommen. Verstanden? Abgemacht nun, und damit Sie sich nicht weiter vermaulirt, will ich Ihr ein Pssaster vor das Schlabberwerk legen. Komm Sie her, mein liebes Tabaksaennchen!" Er fuhr mit dem Papiere in die Chokolade und klebte es ihr vor den Mund. Das sah so possirlich aus, dass die beiden Kadetten in ein schallendes Gelaechter ausbrachen. Das Maedchen ssoh vor Scham zur Thuere hinaus, und diesen Augenblick benutzte Hektor, um herein zu gelangen. Mit einem langen Satze fuhr er auf die Chaise-longue, wo Bibi der suessen Ruhe pssegte. Das Kaetzchen sah den Feind erscheinen und sprang Zilla in die Frisur. Der Hund wollte auch empor, wodurch Mimi im hoechsten Grade gefaehrdet wurde. Die Dicke retirirte also mit solchem Nachdrucke, dass sie rueckwaerts wie ein Sturmbock an den Tisch rannte und diesen mit Allem, was darauf stand, zum Falle brachte. Sie selbst kam in das Wanken und wollte sich an Wanka halten. Beide stuerzten und zogen auch die jammernde Freya mit nieder. Es war ein fuerchterlicher Augenblick, ein Anblick, welchen Niemand beschreiben konnte, weil, als sich die Schwestern endlich aus den Geschirrtruemmern aufgerichtet hatten, kein weiterer Mensch mehr im Salon zu sehen war. Kunz und die beiden Kadetten hatten die Ungluecksstaette sofort verlassen. - Ungefaehr vierzehn Tage spaeter wanderte ein junger Mann ruestig auf der Strasse dahin, welche nach Himmelstein in Suederland fuehrte. Er trug die enge kleidsame Tracht der Bewohner jener Gegend, schien aber doch nicht ganz in dieselbe eingewohnt zu sein. Er mochte sich nicht mehr weit vom Staedtchen Himmelstein befinden, als er an ein an der Strasse liegendes Wirthshaus gelangte. Er beschloss, hier einzukehren und ein Bier zu trinken. Er gruesste freundlich, als er eingetreten war, und wunderte sich daher ueber den muerrischen argwoehnischen Blick, den ihm der Wirth zuwarf. Auch einige anwesende Gaeste betrachteten ihn mit finsteren Mienen, so dass es ihm beinahe unheimlich zu werden begann. "Wie weit ist es noch bis Himmelstein?" frug er den Wirth, als dieser ihm das Bier auf den Tisch stellte. "So weit wie von Himmelstein bis hier," lautete die Antwort. "Richtig; aber Sie koennten mir doch wohl eine gewisse Zeit angeben!" "Narren Sie wen Sie wollen, nur mich nicht!" "Narren? Faellt mir gar nicht ein. Ich bin hier fremd und will nach Himmelstein. Und weil ich nicht weiss, wie lange ich noch zu gehen habe, frage ich Sie. Ist das genarrt?" "Sie fremd?" Er lachte. "Fragen Sie diese Leute, die kennen Sie wohl auch?" Der Juengling wandte sich verwundert zu den Andern: "Sie wollten mich wirklich kennen?" Die Leute wuerdigten ihn gar keiner Antwort; Einer jedoch erhob sich von seinem Sitze und trat naeher. Er hatte einen Stelzfuss und im Gesichte fehlte ihm die Nase. "Hm," brummte er, den Fremden betrachtend. "Wirth, Du hast da wohl einen Bock geschossen!" "Ich? Warum?" "Dieser junge Herr ist gar nicht Der, fuer den Ihr ihn haltet." "Nicht?" frug der Wirth erstaunt. Er trat naeher und betrachtete den Fremden genauer. "Richtig! Aber so eine Aehnlichkeit ist mir doch noch niemals vorgekommen." "Mir auch nicht, denn in wie fern denn und in wie so denn, es hat noch gar keine solche Aehnlichkeit gegeben. Aber die Sprache machte mich aufmerksam. Dieser junge Herr spricht wie ein Norlaender, und diesen Dialekt kenne ich genau. Und nun, Pass auf, Wirth! Dieser junge Herr hat kein Mal auf der Stirn, ist staerker gebaut und hat auch bessere Zaehne als der Geissler, den Du meinst." "Hast recht, Alter; nun sehe ich es selbst. Aber, wie gesagt, ich habe nicht gedacht, dass zwei Menschen sich in dieser Weise aehnlich sein koennen." "Wer ist es, dem ich so aehnlich sehe?" frug der Fremde. "Dem Neffen des Schlossvogtes auf Burg Himmelstein." "So! Dieser Mann scheint nicht sehr beliebt zu sein." "Woher wissen Sie das?" "Aus der Art und Weise, wie Sie mich behandelt haben." "Verzeihen Sie mir. Geissler wird von jedermann gemieden, und ich hielt Sie wirklich fuer ihn." "Nun werden Sie mir wohl auch sagen, wie weit ich noch bis Himmelstein habe." "Eine gute halbe Stunde." "Die Burg gehoert dem Prinzen Hugo?" "Ja." "Ist er anwesend?" "Nein, doch ist es moeglich, dass er bald kommt. Naechster Tage ist eine grosse Wallfahrt mit Messe, und da pssegt er hier zu sein, um - -" "Um - - - ?" "Um sich einen Spass zu machen." "Diese Messe ist beruehmt. Ich komme ihretwegen nach Himmelstein." "Sie wollen sie mitmachen?" "Ja." "Dann sorgen Sie nur ja fuer ein Logis, denn es werden so viele Leute kommen, dass es schliesslich kein Unterkommen mehr geben wird. Haben Sie es bereits auf einen Gasthof abgesehen?" "Nein." "So bleiben Sie doch bei mir! Sie finden hier Alles, was Sie brauchen werden!" "Danke! Ich habe mich deshalb nach keinem Gasthofe umgesehen, weil ich vielleicht einen Privatmann finde, der mich fuer die Zeit der Wallfahrt bei sich behaelt." "So haben Sie Verwandte hier?" "Nein." "Hm. Sie sind Norlaender?" "Ja." "Also gar nicht katholisch?" "Nein." "So duerfen Sie sich in Acht nehmen. Der Katholik hier bei uns zu Lande sieht es nicht gern, wenn Protestanten bei seinen Wallfahrten erscheinen. Es gibt dann oft Spektakel." "Fuerchte mich nicht!" "Oho! Was sind Sie denn?" "Noch gar nichts." "Das ist verteufelt wenig. Aber irgend etwas muessen Sie doch in Aussicht haben?" "Seemann." "Aha, Matrose! Sind zu fein dazu! Was sind denn eigentlich Ihre Eltern?" "General." "General? Donnerwetter, das ist etwas Anderes. Wie heisst denn Ihr Herr Vater?" "Helbig." "Der damals unsere Hauptstadt erobert hat?" "Ja." "O, da muessen Sie erst recht hier bleiben, denn ich lasse Sie nun gar nicht fort." "Warum?" "Weil wir unsere Konstitution und also unsere neuen Gesetze dem Kriege damals zu verdanken haben. Norland hat unsern Koenig gezwungen uns bessere Gesetze zu geben als wir vorher hatten. Und daran hatte General Helbig auch sein gutes Theil." Da trat der mit dem Stelzfusse wieder naeher. "Wirst ihn aber doch nicht behalten duerfen, Wirth." "Warum nicht?" An wie fern denn und in wie so denn? Nun, weil ich ihn mit fortnehme." "Du?" "Ja, ich. Wollen wir wetten?" "Aha, Dein Herr ist ja auch ein Norlaender." "Und ich auch." Er wandte sich zu Kurt: "Wenn der General von Helbig Ihr Vater ist, so heissen Sie eigentlich Schubert?" "Ja," antwortete der Juengling erstaunt. "Woher wissen Sie das?" "Von dem Herrn Pastor Walther." "Meinem frueheren Hauslehrer?" "Ja." "Wie kamen Sie mit dem zusammen?" "Bei meinem Herrn, dem Hoellenmueller." "Ah, da sind Sie wohl der Brendel?" "Der bin ich. Sie kennen mich?" "Vom Herrn Pastor Walther. Ich stehe im Begriffe, nach der Muehle zu gehen." "So gehen Sie mit mir. Sie werden willkommen sein. Die beiden Pferde draussen gehoeren uns. Sie koennen also bis zur Muehle reiten. Von woher kommen Sie heute?" "Von Tornegg. Ich mache eine Ferienreise zu Fusse, war einige Zeit bei einem Freunde und will nun nach Himmelstein, um den Mueller zu besuchen und die Prozession mit anzusehen. Sie soll wohl die beruehmteste in ganz Suederland sein." "Das ist sie. Sagen Sie, wenn Sie aufbrechen wollen. Dann trinke ich aus." "Also ich darf mich sogar aufsetzen?" "Ja. Der Mueller hat die beiden Gaeule eingehandelt, und ich musste sie holen." "Welchen ueberlassen Sie mir?" "Welchen Sie wollen." "Auf welchem sind Sie geritten?" "Ich laufe." "Warum? Zwei ledige Pferde und laufen, das faellt Niemanden ein zu thun.´ "Aber mir. Ich reite nie." "Ihres Beines wegen?" "Nein. Meines Geluebdes wegen." "Sie haben ein Geluebde gethan, dass Sie niemals reiten wollen?" "Ja." "Warum. denn?" "In wie fern denn und in wie so denn? ja, das ist eine verssuchte Geschichte!" "Darf man sie nicht hoeren?" "Warum nicht! Soll ich sie Ihnen vielleicht erzaehlen?" "Ich ersuche Sie darum." "Gut," meinte Brendel, der ganz gluecklich war, seine Erzaehlung wieder einmal an den Mann zu bringen. "Das war naemlich damals, als ich als Knappe in der Sonntagsmuehle in Arbeit stand. Da kommt eines schoenen Tages ein Rosskamm und bietet uns ein Pferd an." "Was fuer eines?" "Einen Apfelschimmel, der aber keine Apfeln mehr hatte, denn in wie fern denn und in wie so denn, er hatte sie vor Alter schon laengst wieder verloren. Das Viehzeug war nicht sehr hoch, aber kraeftig gebaut und sehr gut erhalten, weil es in vortrefssicher Pssege gestanden hatte. Es trug das Militaerzeichen und hatte bei den Husaren gedient. Dann hatte es ein Pferdeverleiher gekauft, und weil es gar so ein frommes und geduldiges Pferd gewesen war und einen Trompeter getragen hatte, kam es sogar zuweilen in das Theater, denn in wie so denn und in wie fern denn, es gibt doch Stuecke, in denen ein Schauspieler zuweilen auf einem wirklichen lebendigen Pferde auf der Buehne erscheinen muss." "Ich kenne solche Stuecke." "Na sehen Sie, junger Herr. Da wird dann allemal die hintere Treppe so vorgerichtet, dass das Pferd leicht in das Theater kann und gleich auf die Buehne kommt. Nachher war der Apfelschimmel aelter geworden, und der Pferdeverleiher hatte ihn an den Rosskamm verhandelt, von dem wir ihn auch wirklich kauften." "War er denn noch zu gebrauchen?" "Ja. Ein Bischen maulhart war er, denn in wie fern denn und in wie so denn, es geht den Pferden wie den Menschen; je aelter man wird, desto mehr hoert das zarte Gefuehl im Maule auf, und wenn der Schimmel dann einmal den Rappel bekam, dann musste man ihn gehen lassen, weil er dann partout nicht zu lenken war." "Sie haben ihn wohl nicht geritten?" "O sehr oft." "Aber ich denke, dass Sie nie reiten!" "Damals hatte ich doch mein Geluebde noch gar nicht gethan." "Ach so. Fahren Sie fort." "Eines schoenen Nachmittages musste ich in die Stadt. Ich setzte mich auf den Apfelschimmel, ritt fort und kam auch wohlbehalten dort an. Ich hatte aber ungewoehnlich viel zu besorgen und konnte daher erst spaet an die Rueckkehr denken." "Ist auch huebsch ausgefallen!" lachte der Wirth, der die Geschichte bereits kannte. "Halte das Maul! Oder willst Du das Dings an meiner Stelle erzaehlen?" "Faellt mir nicht ein. Erzaehle nur weiter!" "Ich musste ueber den Theaterplatz, den mein Schimmel sehr gut kannte. Ungluecklicher Weise nun wurde ein Stueck gegeben, von dem ich noch niemals etwas gehoert hatte, das ich mir aber nachher angesehen und genau gemerkt habe, denn in wie fern denn und in wie so denn, es hat mich in das Malheur gebracht und ist Schuld an dem Geluebde, welches ich gethan habe und auch halten werde, so lange ich lebe." "Was ist es fuer ein Stueck?" "Es kommt eine Stumme darin vor." "Ah, die Stumme von Portici!" "Ja, so heisst das Stueck, und es spielt von einem Kerl, der ein Fischer ist und Masaniello heisst, eine grosse Rebellion macht und mit einem lebendigen Pferde auf die Buehne geritten kommt. Dazu war frueher mein Schimmel gebraucht worden, und er kannte nicht nur das Stueck und die Musik ganz genau, sondern ebenso auch den Weg von dem Theaterplatze die Treppe hinauf bis hinter die Koulissen." "Aha, ich errathe!" "Ja, nun kommt es, das Malheur! Also, ich reite ueber den Theaterplatz; da fangen auf einmal drinnen die Pauken, Trommeln, Trompeten und Klarinetten an, und es beginnt eine Musik, die meinem Schimmel bekannt vorkommen muss, denn in wie fern denn und in wie so denn, er spitzt die Ohren, faengt an zu schnauben, steigt in die Hoehe und schuettelt ganz bedenklich mit dem Kopfe. Wieder wirbelt, paukt und donnert es drinnen los, und das Volk von Neapel singt die Worte, die ich nachher auswendig gelernt habe, weil sie schuld an meinem ganzen Peche sind. Sie heissen: "Geehrt gepriesen Sei der Held, den Ruhm bekraenzt! Frieden gab uns der Sieger, Von Edelmuth umglaenzt!" Es war gerade, als ob der Schimmel diese Worte auch auswendig gelernt haette. Er hatte oft da oben gestanden als "Held und Sieger", von "Edelmuth und Ruhm umglaenzt", und nun ging es los, nun gab es kein Halten mehr. Ich konnte schreien und ssuchen, schimpfen und rufen, ziehen und zerren, mit den Haenden und den Fuessen strampeln und stampfen wie ich wollte, es half nichts, denn in wie fern denn und in wie so denn, wenn so eine Kreatur einmal infam werden will, so wird sie infam." "Wurde es Dir da nicht angst? frug der Wrth. "Himmelangst, sage ich Dir!" "Ich waere abgesprungen." "Das kannst Du gut sagen!" "Oder haette mich abwerfen lassen." "Damit ich den Hals gebrochen haette, nicht wahr! So dumm war ich schon nicht! In drei Ellen langen Saetzen ssog der Schimmel auf das Theater zu. Ich stand noch im letzten Lehrjungenjahre, obgleich ich mich vorhin Knappe genannt habe, und hatte mir, um in der Stadt gross und dicke zu thun, dem alten Mueller seine Meerschaumpfeife wegstibitzt und seine grossen Kanonenstiefel dazu, die mir um die Beine schlotterten, dass es krachte. Eine weisse Mehlhose, eine weisse Jacke und eine weisse Zipfelmuetze, so sass ich auf dem weissen Gaule. Dieser kannte seinen Weg, wie gesagt, sehr genau. Wie ein Affe kletterte er an der Treppe empor, die jetzt beinahe wie eine Bruecke aussah. Dann ging es einen engen Gang hinter, auf dem nur eine einzige Lampe brannte und wo ich mich auf allen Seiten stiess und quetschte. Nachher wurde es lichter; ich sah die Koulissen und die strahlende Buehne. Dort war ein grosser Haufe Volks versammelt; Masaniello wurde auf seinem Schimmel vorgefuehrt, der jetzt kein Apfelschimmel mehr, sondern ein ssiegenschimmel war, und der Triumphzug sollte beginnen. O weh!" "Jetzt, hopp Dich!" fiel der Wirth ein. "Freilich! Ich hatte mein Viehzeug nicht anhalten koennen, weil es ja hartmaeulig war. Mit der Linken musste ich die Meerschaumpfeife festhalten, und mit der Rechten hatte ich mich an das Pferd angeklammert, dass es nicht parterre mit mir gehen sollte. Da faengt drinnen der Chor der Rache nach derselben Melodie wie vorhin zu singen an. Auch diese Worte habe ich mir gemerkt. Sie heissen: "Noch heute soll der Stolze buessen, Ich schwoers, obgleich ihn Ruhm bekraenzt! Der feindliche Stahl trifft den Sieger, Wenn auch Hoheit ihn umglaenzt!" In diesem Augenblicke macht mein Schimmel einen Riesensprung, den man eine Lan(ade nennt, und im naechsten Momente ssiege ich mit ihm mitten in das Volk von Neapel hinein; meine Meerschaumpfeife klatscht dem Rebellen Masaniello in das Gesicht, mein rechter Stiefel wirbelt links und mein linker Stiefel wirbelt rechts von dem Beine herunter, der eine unter die Musikanten und der andere gar unter die Zuschauer hinein, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie waren mir ja viel zu gross und weit. Nun geht ein Strampeln und Krampolen los; der ssiegenschimmel beisst nach dem Apfelschimmel, und der Apfelschimmel schlaegt nach dem ssiegenschimmel, es wird ein Heidenspektakel, ein Mordskandal; das ganze Volk von Neapel mit sammt dem Chor der Rache stuerzt ueber mich her und reisst mich vom Pferde herunter; der Vorhang faellt dem geehrten Publikum vor der Nase zu, und ich werde von sechzig Faeusten durchgepruegelt, dass mir die Schwarte knackt, und als ich wieder zur Besinnung komme, liege ich zerschunden und zerschlagen draussen vor dem Theater; die Kanonenstiefeln kruemmen sich vor mir, als ob sie Kolik und Leibschmerzen haetten; die Meerschaumpfeife hatten sie mir in die Zipfelmuetze gewickelt, aber die Spitze, der Kopf und die Stiefel waren nicht aufzufinden gewesen; rechts vor mir steht der Schimmel und macht ein Gesicht, als ob er das ganze Chor der Rache verschlungen habe, und links steht ein Schutzmann, der nur darauf gewartet hat, dass ich wieder zu Athem komme, um mich dann zu arretiren." "Und er hat Sie auch wirklich mitgenommen?" frug Kurt lachend. "Natuerlich; auch mit sammt dem ganzen Schimmel! Ich musste mit auf die Polizeiwache und bekam einen fuerchterlichen Verweis, aus dem sich der Schimmel gar nichts, ich mir aber sehr viel machte. Dann trollten wir Beide von dannen." "Nach Hause?" "Ja. Draussen vor der Stadt hielten wir an; ich reckte alle zehn Finger, die Kanonenstiefel und die Zipfelmuetze mit dem uebrig gebliebenen Pfeifenrohre zu den Sternen empor und that den grimmigen Schwur, in meinem ganzen Leben niemals wieder eine solche Bestie zu besteigen, denn in wie fern denn und in wie so denn, ich hatte mit diesem einen Male mehr als genug." "Und Sie haben Ihren Schwur stets gehalten?" "Stets." "Wenn Sie nun gesund gewesen und zum Militaer gekommen waeren?" "Ich war ja gesund und kam dazu. Das Bein und die Nase verlor ich erst spaeter." "Ach so! Wenn man Sie unter die Kavallerie gesteckt haette, waeren Sie jedenfalls gezwungen gewesen, Ihren Schwur zu brechen." "Faellt mir nicht ein!" "Und doch!" "Ich kam ja zur Kavallerie und zwar zu den Husaren." "Und Sie ritten nicht?" "Nein. Ich erzaehlte dem Rittmeister meine Geschichte; aber mein Geluebde sollte nichts gelten. Das war eine schlimme Zeit, die ich niemals vergessen werde. Ich war nicht auf das Pferd zu bringen, und schafften sie mich je einmal gewaltsam links hinauf, so rutschte ich sicher sofort auf der rechten Seite wieder hinunter. Dem Pferde ging es dabei ganz gut, mir aber desto schlimmer, denn in wie fern denn und in wie so denn, mein Ruecken sah stets himmelblau und im Arrestlokale hatte ich mein immerwaehrendes Standquartier nebst Wasser mit trockenem Kommisbrode." "Das konnte doch nicht immer so fortgehen!" "Es ging auch nicht so fort. Als man sah, dass mit meinem Geluebde nicht zu spassen sei, wurde ich endlich doch noch zur Infanterie versetzt." "Und wie ging es dort?" "Im Frieden sehr gut, denn ich begriff nicht schwer und that meine Schuldigkeit." "Aber im Kriege?" "That ich meine Schuldigkeit auch. In der Bibel steht: Du sollst nicht toedten, und wer Menschenblut vergiesst, dess Blut soll wieder durch Menschen vergossen werden. Der Bibel habe ich gehorcht und habe also meine Schuldigkeit gethan. Warum soll ich einen Menschen erschiessen, den ich gar nicht kenne, oder einem Andern das Bajonnet durch den Leib rennen, obgleich er mir noch nie etwas zu Leide gethan hat? Als daher die Kanonen zu brummen anfingen und ich auch mit schiessen, hauen und stechen sollte, da that ich, als sei ich von einer Kugel getroffen worden, und liess mich in einen trockenen Graben fallen. Ich dachte, hier waere ich sicher; aber prosit die Mahlzeit! Die Kavallerie kam herangesaust; es waren Kuerassiere, und das Pferd eines Wachtmeisters trat mir auf das Knie, habs der Teufel, naemlich das Pferd und nicht das Knie, obgleich er es auch geholt hat. Die Unsrigen wurden zurueckgeworfen, und als ich mich auch davonmachen wollte, fielen ein paar feindliche Hallunken ueber mich her, um mich gefangen zu nehmen. Ich sollte mit und wollte nicht und wehrte mich also meiner Haut. Der Eine holte mit dem Saebel aus, und weil ich mich in diesem Augenblicke umdrehte, fuhr mir der Hieb nicht in die Schulter, sondern er blitzte mir an dem Gesichte vorbei und nahm mir die Nase weg. Ich habe sie gar nicht wiedergefunden; obgleich ich die beiden Strolche los wurde. Nachher aber kam mir der Brand in das Knie, und das Bein wurde mir abgeschnitten. Waere ich ein Krebs, so waere es mir sammt der Nase wieder gewachsen. Manch Viehzeug hat es besser als der Mensch!" Kurt bezahlte. "Wollen wir fort?" "Ja." Sie verliessen die Schenke und schritten neben einander her. Brendel frug: "Sie steigen nicht auf?" "Nein, da Sie nicht reiten. Wir koennen uns so besser unterhalten, und ich bin ja nicht muede. Wissen Sie nicht, ob der Herr Pastor Walther Ihrem Herrn zuweilen schreibt?" "Wir erhalten von ihm in jeder Woche einen Brief." "Er war frueher Erzieher in Helbigsdorf, wo er jetzt Pastor ist." "Das weiss ich. Und die Anna, die koennte jetzt Frau Pastorin sein." "Ich habe davon gehoert." "Hat er selbst zu Ihnen davon gesprochen?" "Nein. Zu einem Knaben spricht man nicht von solchen Dingen, und seit ich kein Knabe mehr bin, war ich erst einmal daheim in Helbigsdorf. Er soll stets sehr trueb und traurig sein und sich vollstaendig einsam halten, waehrend er frueher das gerade Gegentheil war. Was ist da schuld? Ist die Anna ihm untreu geworden?" "Wer weiss das?" "Ich dachte, das muessten Sie doch wissen!" "Woher denn! Man hat darueber gar nichts erfahren koennen, denn in wie fern denn und in wie so denn, sie hat auch nicht das kleinste Woertchen darueber gesprochen." "Gegen Sie wohl nicht, jedenfalls aber doch gegen ihre Eltern?" "Auch nicht." "Aber sie muss doch reden?" "Hm! Kann ich zum Beispiel mit Ihnen reden, mein junger Herr?" "Ja." "Aber kann der Sultan oder der Kaiser von Marokko jetzt mit Ihnen reden?" "Natuerlich nicht." "In wie fern denn und in wie so denn?" "Weil keiner von den Beiden da ist." "Richtig! Und aus ganz demselben Grunde hat auch die Anna kein Wort gesprochen." "Sie ist nicht auf der Muehle?" "Nein." "Wo denn sonst?" "Das weiss man nicht." "Nicht? Ihre Eltern muessen doch wissen, wo sich ihre Tochter befindet!" "Nein, sie wissen es nicht. Die Anna ist naemlich ganz spurlos verschwunden." "Unmoeglich! Ist sie verunglueckt, oder hat sie die Muehle heimlich verlassen?" "Verunglueckt kann sie unmoeglich sein, denn in wie fern denn und in wie so denn, wenn ihr etwas Menschliches widerfahren waere, so haette man eine Spur davon gefunden." "Also heimlich davongegangen!" "Vielleicht, vielleicht auch nicht." "Es bleibt doch gar nichts Anderes zu denken uebrig!" "So scheint es. Warum aber sollte die Anna die Muehle heimlich verlassen haben?" "Vielleicht war sie mit den Eltern in Konssikt gerathen." "Konssikt? Dieses Zeug ist in der Hoellenmuehle niemals zu finden. Im Gegentheile, die Anna hat an ihren Eltern gehangen, wie selten ein anderes Kind." "Hatte sie eine heimliche Liebe, die von den Eltern nicht gebilligt worden ist?" "O nein! Ihre Liebe war sehr oeffentlich und wurde von dem Mueller und seiner Frau im hohen Grade gebilligt. Der Herr Pastor Walther ist ein Mann, dem ein jeder seine Tochter zur Frau geben kann, das werden Sie wohl zugeben, denn Sie kennen ihn ja ganz genau." "So begreife ich nicht - -!" "Wir auch nicht. Das Verschwinden der Anna hat ungemeines Aufsehen erregt, und es ist in jeder Weise nach ihr geforscht worden, aber vergeblich. Der Mueller hat sich alle Muehe gegeben, der Herr Pastor, der oefters zum Besuch kam, ebenso, und auch die Polizei hat Alles aufgeboten, um nur einen kleinen Anhalt zu entdecken. Alles umsonst!" "Sonderbar. Es ist doch kein ssuss in der Naehe, der ihre Leiche haette fortschwemmen koennen, wenn sie je darin verunglueckt waere. Nicht wahr, ein Bach treibt die Muehle?" "Ja. Der schwemmt keine Leiche so weit fort, dass sie nicht wieder gefunden oder rekognoszirt werden koennte. Und Menschenfresser gibt es auch nicht in der Gegend." "Was sagt der Mueller dazu?" "Gar nichts mehr. Aber lachen, so wie frueher, habe ich ihn nie wieder sehen." "Und die Muellerin?" "Die weint und jammert. Was soll eine Frau in solcher Lage anders thun? Aber da haben wir Himmelstein, sehen Sie? Wie praechtig sich das von hier ausnimmt!" Sie hatten eine Kruemmung des Weges, durch welche Stadt und Burg Himmelstein verdeckt worden war, hinter sich und sahen nun beide vor sich liegen. "Herrlich!" rief Kurt, den Schritt anhaltend. "Die Burg schaut so weit in das Land hinein, dass ich sie bereits einige Stunden lang vor mir hatte. So aber wie jetzt wurde sie mir noch nicht praesentirt. Ich moechte sie von dieser Stelle aus zeichnen." "Dazu haben Sie spaeter noch Zeit, junger Herr. jetzt wollen wir aber zur Muehle." "Wo liegt sie?" "Da hinter der Stadt." "Gehen wir durch die Stadt?" "Nein. Wir gehen um dieselbe herum, und zwar nach der Schlucht da drueben." Die Schlucht war bald erreicht. Ihre wilde Romantik wurde von Kurt bewundert. "Jetzt begreife ich, warum dieser Ort die Hoelle genannt wird. Es ist wirklich schauerlich hier. Ich wuerde mich gar nicht wundern, wenn ich Teufel oder Daemonen in diesem finstern Gewirre von Felsen und Truemmern herumhuschen saehe." "Kommen Sie in der Daemmerung hierher, junger Herr. Dann wird es finster und furchtsam hier, waehrend da droben die Fenster goldig leuchten und die Burg eine Krone von Strahlen traegt. Dann ist es einem wirklich, als ob man aus der Hoelle tief unten empor blicke, mitten in die Herrlichkeiten des Himmels hinein. Das ist die richtige Zeit, Burg Himmelstein zu sehen und abzuzeichnen. Wenn es doch auch Himmel waere da droben!" "Was ist es sonst?" "Hm, man darf nicht wohl davon sprechen, denn in wie fern denn und in wie so denn, man ist kein Katholik und muss sich darum in allen Stuecken sehr in Acht nehmen. Das werden Sie sehr deutlich bei der Wallfahrt zu sehen bekommen, mein lieber junger Herr." "Wo liegt der Wallfahrtsort?" "Die kleine Kapelle ist es, dort ueber dem Moenchskloster." "Das andere ist ein Nonnenkloster?" "Ja. Die Vaeter da drueben und die Muetter hier hueben sollen sehr fromm sein." "Das ist ja ihr Beruf!" "Und sich gegenseitig auf dem schweren Wege zum Himmel hinauf unterstuetzen." "Ah! Sie verkehren mit einander?" "Es wird sehr viel und sehr sonderbar davon gemunkelt. Es ist wirklich eigenthuemlich, dass es Geheimnisse gibt, die man kennt, ohne sie wirklich entdeckt zu haben." "Durch die Vermuthung?" "Vielleicht ist es mehr als Vermuthung." "Wer haust jetzt auf der Burg Himmelstein?" "Der alte Schlossvogt Geissler." "Habe von ihm gehoert!" "So? jedenfalls nicht viel Gutes, nicht wahr, mein liebes, junges Herrchen?" "Sie errathen es. Es waren naemlich aus dem Zuchthause von Hochberg einige sehr wichtige Gefangene entsprungen, welche gluecklicher Weise in Helbigsdorf wieder eingefangen wurden. Bei dieser ssucht soll dieser Geissler betheiligt gewesen sein. Es wurde davon gesprochen, ohne dass man etwas Gewisses herausbekommen haette." "Ich kenne diese Geschichte, denn der Herr Pastor Walther hat sie uns erzaehlt, als er kurze Zeit darauf hier auf Besuch war. Er war damals noch Ihr Lehrer und sagte, dass Sie die Kerls ganz allein gefangen haetten, obgleich Sie nur ein Knabe waren." "Es ist mir leicht genug geworden," laechelte Kurt. "Sie moegen daraus ersehen, dass Sie in gutem Ansehen in der Muehle stehen. Uebrigens ist es sonderbar, dass zur Zeit, als jene ssucht stattfand, der Schlossvogt wirklich auf mehrere Tage hier abwesend war. Wir haben das genau gemerkt." "Was ist er fuer ein Mann?" "Er ist ein strenger finsterer Geselle, dem man Alles zutrauen kann. Wenn der Prinz auf Himmelstein verweilt, was jaehrlich einige Male geschieht, so gibt es ein Treiben, als ob Geister und Gespenster zwischen der Burg und den Kloestern hin und her ssoegen. Man darf sich dann da oben gar nicht gern sehen lassen." "Zur Wallfahrt kommt er also auch, wie Sie mir vorhin mittheilten?" "Ganz sicher. Da wimmelt der Berg von fremden Leuten, und die Stadt mit der ganzen Umgegend dazu. Ein jeder bringt der wunderthaetigen Mutter Gottes da oben ein Geschenk und erhaelt dafuer Vergebung seiner Suenden oder Heilung irgend eines Verbrechens, denn in wie fern denn und in wie so denn, die frommen Vaeter da oben haben auch ihr Ehrgefuehl und moegen nichts umsonst haben. Dabei wird ein Jahrmarkt gehalten, und es geht hier zu wie bei dem Thurmbau zu Babel. Erst betet man, und wann das vorueber ist, macht man sich ganz gehoerig lustig. Und bei dem letzteren, naemlich bei dem Vergnuegen, soll sich der Prinz allemal am meisten betheiligen." "Trotz seines hohen Standes?" "Hoher Stand? Den laesst er auf dem Schlosse. Er soll sich naemlich verkleiden, und dann gibt es immer eine Menge toller Streiche, bei denen ihm sein Leibdiener, der Franz, hilft, mit dem man Sie vorhin in der Schenke so verwechselt hat." "Dieser kommt auch mit?" "Stets." "Kommt er auch in die Muehle?" "Nein, denn dort haben wir ihn ausgemerzt." "Hm! Da kommt mir ein eigenthuemlicher, ein sehr interessanter Gedanke!" "Welcher?" "Sehe ich diesem Franz wirklich so sehr aehnlich?" "Im hoechsten Grade! Wie ein Zwillingsbruder oder gar ein Ei dem andern." "Man koennte mich also sehr leicht mit ihm verwechseln?" "Ausserordentlich leicht, besonders wenn Sie den hiesigen Dialekt sprechen wollten." "Gut. Dann thun Sie mir doch den Gefallen und sagen Sie Niemandem, dass jemand auf der Muehle anwesend ist, der dem Diener auf solche Weise aehnlich sieht." "Soll richtig besorgt werden, mein lieber junger Herr." "Der Wirth und die dortigen Gaeste werden wohl nicht darueber sprechen." "Vielleicht doch. Wuerde Ihnen das vielleicht irgend welchen Schaden machen?" "Moeglich. Aber verbieten laesst es sich nicht, das wuerde erst recht auffallen." "Haengt viel davon ab?" "O nein. Ich habe nur die Absicht, den Prinzen ein wenig zum Narren zu halten, wenn er mich je sehen und mit seinem Diener verwechseln sollte." "Dann nehmen Sie sich aber ja in Acht, dass Sie keinen Schaden davon haben, denn in wie fern denn und in wie so denn, der Prinz ist kein Guter!" "Kenne ihn schon." "Hier ist die Muehle, junger Herr. Und da koennen Sie gleich eine Probe halten, ob Sie dem Geissler aehnlich sehen oder nicht. Ganz sicher wird man Sie mit ihm verwechseln." "Wollen sehen!" "Ich muss gleich in den Stall. Gehen Sie in die Wohnstube, mein lieber junger Herr." Kurt folgte diese Aufmunterung. Er schritt durch den ssur, klopfte an und trat ein. "Guten Tag!" Bei diesem einfachen Grusse drehte sich der Mueller, welcher am Tische sass, um. "Guh - - - ah, wer ist denn das? Der saubere Herr Franz! Hinaus mit ihm!" "Herr Uhlig, ich komme, um Sie - - - " "Hinaus!" "Ich komme, um - - - " "Hinaus!!" "Ich komme - - - " "Hinaus!!!" "Ich - - -" "Ich - - ich ssiege hinaus! Nicht wahr, das wollen Sie sagen. Und das geschieht ja auch." Er erhob sich, trat auf Kurt zu und fasste denselben mit seinen Faeusten beim Arme. "Vorwaerts, Buerschchen! Du hast in der Hoellenmuehle den Teufel zu suchen." "Ich suche aber - - - " "Nun ab! Hinaus!" Er packte Kurt jetzt am Leibe und wollte ihn zur Thuere hinausstossen, machte aber ein hoechst erstauntes Gesicht, als es ihm nicht gelang, den jungen Menschen, welcher keines seiner Glieder ruehrte, auch nur einen Zoll weit von der Stelle zu bringen. "Geben Sie sich keine Muehe, Herr Uhlig," meinte Kurt treuherzig. ªWenn ich nicht freiwillig gehe, so bringen Sie mich um kein Haar breit von dem Orte fort, wo ich stehe." "Mensch, solche Staerke besitzt Er jetzt? Aber das hilft Ihm nichts; hinaus muss Er doch!" "Warten Sie zunaechst, bis ich Ihnen meine Gruesse ausgerichtet habe!" "Gruesse? Ich moechte auch wissen, von wem Er mir diese Gruesse zu bringen haette!" "Von dem Herrn Pastor Walther von Helbigsdorf." "Von dem? ssunkere Er nicht, sonst setzt es Ohrfeigen. Der Herr Pastor Walther wird sich hueten, einen solchen Urian, wie Er ist, zu mir zu schicken!" "Auch der Herr General von Helbig laesst Sie gruessen." "Der Herr General - - - ?" "Und die drei Fraeuleins Freya, Wanka und Zilla von Helbig." "Kerl!" "Und die Wirthschafterin von Helbigsdorf, Frau Hartig." "Mensch!" "Und der alte Leibdiener Kunz, dem der Pastor von Ihnen erzaehlt hat." "Schwindel! Nichts als Schwindel! Hat Er mich nicht auch von dem jungen Herrn zu gruessen?" "Von welchem jungen Herrn?" "Sieht Er, den kennt Er gar nicht, den Herrn Seekadett Kurt Schubert." "Den kenne ich sehr wohl, aber ich kann Sie gerade von dem nicht gruessen." "Nicht? Wirum?" "Weil ich dieser Kurt ja selber bin." "Er? Verrueckter Kerl! Hinaus, sage ich Ihm nun zum letzten Male!ß "Und hier ist ein Brief von dem Herrn Pastor Walther, den er mir mitgab." Er zog einen Brief aus der Tasche und gab ihn dem Mueller, welcher die Adresse betrachtete. "Wahrhaftig, das ist die Hand des Herrn Pastors!" "Lesen Sie den Brief, Herr Uhlig. Der Inhalt wird Sie aufklaeren." Der Mueller oeffnete das Kouvert, und jetzt trat auch die Muellerin neugierig herbei. In der Ecke sass Klaus, der Knappe. Seine lange Nase schnueffelte hoechst verdaechtig in der Luft herum, dann legte sie sich bald rechts bald links hinueber, als ob sie sich in einer hoechst fatalen unsichern Sache Gewissheit holen muesse, und dann wippte sie sehr energisch von oben nach unten, bei welcher Bewegung sich der Knappe erhob. "Meister!" meinte er, den Leser unterbrechend. "Was?" "Dieser junge Mann hier ist nicht der Franz Geissler." "Ah!" "Aber ganz verteufelt aehnlich ist er ihm, das versteht sich ja von selber, Meister." "Du willst wohl auch - - -" Der Knappe unterbrach ihn, indem er ihn beim Arme fasste und zu Kurt hinzog. "Sehen Sie sich Den einmal an! Der hat schwarze Augen und blondes Haar, der Franz aber hat braune Augen und braunes Haar und sieht auch nicht so stark und vornehm aus wie Dieser hier. Das versteht sich ja ganz von selber, Meister!" Kurt laechelte vergnuegt; der Meister und die Meisterin wurden ungewiss und verlegen. Der erstere las den Brief schnell zu Ende und meinte dann erstaunt: "Wahrhaftig, es ist nicht der Franz, sondern der Herr Kurt von Helbigsdorf." "Na!" brummte Klaus, indem seine Nase sich vergnuegt emporrichtete. "Ists moeglich!" rief die Muellerin. "Der Herr Kurt, und diesem Franz so aehnlich!" "Ja; der Pastor, der den Franz doch kennt, schreibt mir, dass wir uns ueber eine so frappante Aehnlichkeit sehr wundern wuerden. Verzeihen Sie mir, junger Herr, und seien Sie mir und uns Allen von ganzem Herzen willkommen!" Die Muellerin schlug die Haende zusammen und streckte ihm dann beide entgegen. "Ja wohl, willkommen, Herr Kurt! Nein, ist das eine Ueberraschung und eine Freude!" "Ja wohl, willkommen. Das versteht sich ja ganz von selber!" meinte auch Klaus. Waehrend er dem Gaste die Hand entgegenstreckte, machte seine Nase eine so deutliche Bewegung, dass man einsehen musste, sie wolle auch mit einschlagen. "Ja wohl, willkommen!" rief es da von der Thuer her. "Denn in wie fern denn und in wie so denn, es ist ja der junge Herr Seekadett, den ich Euch bringe." "Du bringst ihn?" "Ja," antwortete Brendel, indem er stolz herbeigehumpelt kam. "Ich traf ihn in der Wiesenschenke vor der Stadt und haette ihn beinahe auch fuer den Luftibus Franz gehalten, wenn mir nicht seine Sprache aufgefallen waere." "Wie es scheint," meinte Kurt, ªdarf ich mir auf meine Aehnlichkeit mit diesem Menschen nicht viel einbilden." "Er ist gehasst und gessohen von allen Bewohnern dieser Gegend," antwortete der Mueller; "und wenn Sie ausgehen, werden Sie so lange finstere Gesichter zu sehen und boese Worte zu hoeren bekommen, bis man Sie vollstaendig kennen gelernt hat." "Ich glaube nicht, dass ich mich viel sehen lassen werde, denn ich beabsichtige nicht, jetzt sofort bekannt zu werden." "Warum?" "Ich will aufrichtig bekennen, dass ich diesem Franz und noch viel mehr seinem Herrn gern einen kleinen Streich spielen moechte." "Aha? Sie wollen sich mit ihm verwechseln lassen?" "Ja. Darum werde ich mich nicht eher sehen lassen, als bis Beide angekommen sind." "Ich moechte Sie davon abzuhalten suchen. Mit dem Prinzen ist nicht leicht zu spassen." "Ich fuerchte ihn nicht." "Das weiss ich. Walther hat mir von Ihrem Zusammentreffen mit ihm erzaehlt." "Welchen Tag wird die Wallfahrt sein?" "Naechsten Sonntag; doch werden sich bereits morgen schon Fremde dazu einfinden, und es steht zu erwarten, dass auch der Prinz schon morgen kommen wird." Die Muellerin begann jetzt, fuer ihren Gast Alles, was das Haus nur bieten konnte, aufzutragen, und bat ihn nach dem Mahle, sich in das ihm bereitete Zimmer zu verfuegen, um sich von seiner anstrengenden Fusswanderung zunaechst erst gehoerig auszuruhen. "Ich bin nicht muede," laechelte er, "und moechte gern die Burg im Sonnenuntergange glaenzen sehen. Brendel hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Anblick ein sehr schoener sei." "Das ist wahr," meinte der Mueller. "Die Zeit dazu ist uebrigens nahe. Kommen Sie heraus in die Laube, von da aus koennen Sie den Genuss am besten haben." Bald sassen sie mit einander allein draussen unter dem gruenen Dache. Der Abend senkte sich langsam in das Thal hernieder, und je tiefer sich die Sonne neigte, desto heller erglaenzte die Burg da droben im goldenen Scheine ihres scheidenden Strahles. "Schoen, wunderbar schoen! Das sind Farben und Tinten, die kein Maler wiederzugeben vermag." "Ich habe sehr oft hier gesessen," antwortete der Mueller, "und diesen Anblick genossen. jetzt aber moechte ich entweder weinen oder ssuchen, wenn ich hinauf zur Burg blicke." "Ist Ihnen Uebles von da oben widerfahren?" "Ich muss es behaupten, ohne sichere Beweise dafuer bringen zu koennen." "Geschaeftlich?" "O nein; in dieser Beziehung kann ich nicht klagen, man bezahlt Alles puenktlich, was man von mir kauft. Aber - Sie wissen jedenfalls, dass ich eine Tochter hatte?" "Die Verlobte des Pfarrers von Helbigsdorf." "Ja." "Sie ist verschwunden, wie mir Brendel am Nachmittage erzaehlte." "Spurlos, auf eine unbegreissiche Weise, wenn ich nicht Vermuthungen hegen will, die entsetzlich sind. Hier in dieser Laube hat das Unglueck begonnen." "Ah!" "Der tolle Prinz trank hier ein Glas Milch, ohne dass wir ihn kannten. Er betrug sich dabei so zudringlich gegen meine Tochter, dass ich gezwungen war, ihn energisch fort zu weisen. Er warf mir dafuer eine Drohung entgegen, deren Erfuellung vielleicht mit dem Verschwinden des Maedchens zusammenhaengt." "Sie wollen doch nicht sagen, dass er sie ueberredet hat, ihm heimlich zu folgen!" "Das zu thun waere Wahnsinn. Anna verabscheute ihn von ganzem Herzen." "So vermuthen Sie wohl gar eine Gewaltthat?" "Aufrichtig gestanden, ja." "Das waere ja eine fuerchterliche Niedertraechtigkeit von ihm. Haben Sie Gruende?" "Gruende, leider aber keine Beweise. Einige Tage nach jenem Zusammentreffen mit dem Prinzen ging Anna hierher. Sie sass des Abends gern in der Laube. Kaum war sie eingetreten, so wurde sie von hinten gepackt und erhielt, ehe sie um Hilfe rufen konnte, ein Pssaster vor das Gesicht, welches ihr unmoeglich machte, einen Laut auszustossen. Das Pssaster deckte auch ihre Augen, so dass sie die beiden Maenner nicht sehen konnte, welche sie gewaltsam fortschleppten." "Alle Teufel, das ist ja Menschenraub!" "Zufaelliger und gluecklicher Weise war ich noch spaet nach der Stadt gegangen. Als ich auf dem Rueckwege durch die Schlucht kam, hoerte ich schwere Schritte, welche mir entgegenkamen. Ich trat auf die Seite um auszuweichen, und erkannte zwei Maenner, welche einen lichten Gegenstand trugen. Erst glaubte ich, es mit Mehldieben zu thun zu haben, aber als sie naeher kamen, sah ich, dass es nicht ein Sack, sondern eine weibliche Person war, was sie trugen. Ihre Gesichter waren schwarz gefaerbt, und ihre Kleidung war nicht eine solche, dass ich sie an derselben haette erkennen koennen. Ich trat vor, erhob den Stock und rief ihnen zu, zu halten. "Der Mueller!" rief der Eine, liess die Last fahren und sprang davon. Er mochte wissen, dass ich so stark bin, es mit Zweien aufzunehmen, obgleich ich -" fuegte er laechelnd hinzu - "Ihnen, Herr Kurt, nicht gewachsen zu sein scheine." "Die See macht stark, mein Lieber, daran ist nichts zu bewundern. Aber bitte, fahren Sie fort. Ich bin mit dem groessten Interesse bei Ihrer Erzaehlung." "Der Andere getraute sich nun auch nicht, einen Kampf mit mir allein zu bestehen; er warf seine Buerde ab und rannte dem Ersteren eiligst nach. Ich erkannte zu meinem groessten Schrecken meine Tochter, welcher sie die Fuesse zusammengebunden und die Arme an den Leib gefesselt hatten." "Sie verfolgten die ssuechtlinge nicht?" "Nein, ich hatte keine Zeit dazu, denn es war ja zunaechst nothwendig, Anna von dem Pssaster und den Fesseln zu befreien, und als dies geschehen war, haette ich die Schurken sicherlich nicht mehr erreichen koennen." "Kam Ihnen die Stimme nicht bekannt vor?" "Gehoert hatte ich sie bereits, aber den Besitzer zu bestimmen war mir nicht moeglich." "Sie machten doch Anzeige ueber diesen Fall?" "Das versteht sich. Er erregte allgemeines Aufsehen, doch blieb die Anzeige ohne weitere Folgen. Von da an unterliess es meine Tochter, des Abends aus der Muehle zu gehen, und entfernte sich selbst des Tages nicht weit von derselben. Kurze Zeit spaeter wollte sie einen Korb Klee vom Felde holen. Es war um die Mittagszeit, und das Feld liegt in nur geringer Entfernung von der Muehle. Es schien also gar kein Grund zu irgend einer Befuerchtung vorhanden zu sein, zumal das Maedchen kraeftig genug war, es mit einem nicht gar zu starken Manne aufzunehmen. Da aber wurde ploetzlich von hinten ihr Korb gefasst, und ehe sie die Arme aus den Tragebaendern bringen konnte, lag sie am Boden. Zwei verlarvte Maenner warfen sich auf sie, von denen der eine sie festhielt, waehrend der andere den Korb zu entfernen suchte. Dabei fiel die Sichel, welche in demselben gelegen hatte, heraus und zwar gerade so, dass es Anna gelang, sie zu erfassen. Das resolute Maedchen nahm jetzt alle ihre Kraefte zusammen und hieb mit dem schneidigen Instrumente so wacker um sich, dass sie beide Kerls verwundete und von ihnen freigegeben werden musste." "Sie rief nicht um Hilfe?" "O doch. Wir hoerten es, und ich kam gerade noch zeitig genug, um die ssiehenden hinter den Felsen verschwinden zu sehen." "Und sie wurden nicht erkannt?" "Leider nicht!" "Solche Dinge sind beinahe unglaublich, wenn man bedenkt, dass die Zeiten der Raubritter und der Rinaldo's vorueber sind. Zeigten sie auch dieses Mal an?" "Versteht sich. Man hielt Recherchen - das war Alles, was ich erreichte." "Und dann?" "Es vergingen viele Monate, und wir dachten gar nicht mehr an diese beiden Begebenheiten. Walther war Pastor geworden und schrieb uns, dass er nun heirathen werde. Anna und die Mutter arbeiteten sseissig an der Ausstattung. Eines Abends sassen Beide naehend in der Oberstube. Wir hatten nichts zu mahlen und daher war ich mit den Knappen und dem uebrigen Gesinde bereits zu Bette gegangen. Da ruft es unten vor der Muehle mit gedaempfter Stimme. Die beiden Frauen horchen auf. "Anna!" klingt es deutlich zu ihnen empor. Das Maedchen oeffnet das Fenster. "Wer ist unten?" "Ich!" "Wer?" "Walther!" "Du? Ists moeglich!" "Ich wollte Euch ueberraschen. Bitte, mach auf, Anna!" In ihrer Herzensfreude eilt sie ohne Licht hinab. Die Mutter hoert, dass die Hausthuer geoeffnet wird und vernimmt ein-en leichten Schrei, den sie der Freude ueber das Wiedersehen zuschreibt. Sie ergreift die Lampe, um den Beiden die Treppe zu erleuchten. Sie wartet draussen, niemand kommt. Sie ruft; niemand antwortet. Sie geht endlich hinunter; die Thuer steht offen, aber kein Mensch ist zu sehen. Sie ruft Annas Namen laut in die dunkle Nacht hinein - vergeblich. Da wird es ihr angst. Sie weckt uns Alle und erzaehlt uns, was geschehen ist. Wir bewaffnen uns, ergreifen die Laternen, lassen die Hunde los und suchen nach beiden Seiten von der Muehle aus die Schlucht ab - - ich habe Anna nie wieder gesehen!" "Mein Gott, ist so etwas moeglich?" "Nicht nur moeglich, sondern sogar wirklich. Die ganze Gegend wurde allarmirt; die Polizei gab sich alle erdenkliche Muehe; es wurde jeder Zoll breit der Umgebung meiner Muehle nach Spuren abgesucht, es wurde in jeder nur erdenklichen Weise nach der Verschwundenen geforscht und gefahndet - sie ist nicht gefunden worden, sie ist verloren geblieben." "Aber Ihre Vermuthungen - -?" "Konnten zu nichts fuehren, da ich nicht einmal Namen nennen durfte." "Warum nicht?" "Was haetten mir die Herren geantwortet, wenn ich behauptet haette, dass der tolle Prinz meine Tochter geraubt habe?" "Der tolle Prinz? Ah, er ist wirklich der Einzige, dem ein solcher Streich zuzutrauen ist. Aber gegen solche Herren laesst sich nur dann vorgehen, wenn die klarsten Beweise oder die unumstoesslichsten Verdachtsgruende vorliegen. War er zur Zeit, als Ihre Tochter verschwand, auf Himmelstein anwesend?" "Nein. Das war auch nicht nothwendig. Sie ist ihm nachgeschafft worden. " "Wir er waehrend der ersten beiden Versuche auf Himmelstein?" "Ja." "Haben Sie Forschungen angestellt nach der Richtung Ihres Verdachtes hin?" "Die erdenklichsten. Auch Walther hat Alles aufgeboten, leider aber scheint er im Stillen seine Meinung ueber diese traurige Begegenheit vollstaendig geaendert zu haben." "Was sollte er meinen?" "Dass Anna mit einem heimlichen Anbeter ganz freiwillig davongegangen ist. Es gibt ja fuer die Wahrheit meiner Angaben keine anderen Beweise als allein mein Wort." "Und dem ist natuerlich unbedingter Glauben zu schenken. Waere ich ein Kriminalist, so wuerde ich der Aufklaerung dieses Geheimnisses sicherlich meine ganze Zeit widmen." "Wuerde wohl ebenso vergeblich sein wie Alles, was bisher geschehen ist. Lassen Sie uns also davon abbrechen. Es ist nicht gut, in solchen Wunden herum zu wuehlen!" Er erhob sich und verliess die Laube, um in den Gaengen des Gartens zu verschwinden. Kurt blieb noch lange sitzen. Er musste bei dem Allen unwillkuerlich an die Schwester seines Freundes Karl von Mylungen denken, welche auch verschwunden war, allerdings hoechst wahrscheinlich in Uebereinstimmung mit dem Prinzen. Dieser Gedanke blieb ihm waehrend des ganzen Abends treu und begleitete ihn auch bis in das Zimmer, welches er spaeter aufsuchte, als Alle ausser den beiden Knappen den Schlaf gesucht hatten. Es war ein wunderbar schoener Sommerabend. Der Mond, welcher bereits waehrend des Tages seinen Lauf begonnen hatte, neigte sich zum Horizonte nieder und ueberschuettete die einstige Raubveste mit seinem magischen Lichte; das Heer der Sterne flimmerte an dem tiefblauen Himmelszelte, und aus dem Garten drang der suesse Duft der Reseda herauf zum geoeffneten Fenster, an welchem Kurt lehnte, um die Wunder der Nacht zu geniessen. Unten rauschte das Wasser und klapperten die Raeder so ruhelos, wie die Gedanken im Kopfe des Juenglings, welchen es nicht gelingen wollte, von den beiden verschwundenen Maedchen loszukommen. Er war so munter, als sei er erst aus dem staerkenden Schlafe erwacht, die Schoenheit des Abends zog ihn hinaus, und so beschloss er, die Muehle zu verlassen und einen Spaziergang nach dem Berge zu unternehmen. Er stieg wieder zur Treppe hinab und trat zunaechst in die Muehle, in welcher Klaus und Brendel soeben neues Getreide aufgeschuettet hatten. "Noch nicht schlafen, junger Herr?" frug Klaus, indem seine Nase eine Bewegung machte, die ihre sehr grosse Verwunderung andeutete darueber, dass man so lange wach bleiben koenne, ohne eine nothwendige Beschaeftigung zu haben. "Noch nicht; die Nacht ist ja zu schoen, als dass man schlafen koennte." "Hm, ich meine aber, dass die Nacht gerade sehr schoen zum Schlafen sei, denn dazu ist sie ja da, das versteht sich ja ganz von selber!" "Eine so poetische Nacht muss man geniessen, lieber Klaus." "Und zwar im poetischen Bette, mein lieber junger Herr. Nicht wahr, Brendel?" "Natuerlich! ich wollte, ich koennte schlafen, denn in wie fern denn und in wie so denn, weil es in der ganzen Welt nichts Besseres gibt als das Bischen Ruhe, welches man braucht, wenn sie einem ein Bein heruntergeschnitten haben." "Gluecklicher Weise habe ich meine beiden Beine noch und werde diesen Umstand benutzen, um jetzt noch einen Spaziergang zu machen." "Spaziergang? jetzt? Bei Nacht?" frug Klaus, wobei sich seine Nase ganz entruestet emporrichtete. "Ja." "Wohin denn, wenn man fragen darf?" "Auf den Berg." "Hm! Den ganzen Tag gelaufen und waehrend nachtschlafender Zeit noch Berge steigen, das ist niemals meine Leidenschaft gewesen. Das versteht sich ja ganz von selber." "Steigen Sie morgen hinauf, Herr Schubert," meinte Brendel. "Folgen Sie meinem Rathe, denn in wie fern denn und in wie so denn, am hellen Tage laeuft es sich besser." "Es ist hell genug, um den Weg zu sehen." "Aber der Mond wird bald untergehen." "Dann leuchten mir die Sterne zum Heimwege. Schliessen Sie die Thuer hinter mir ab. Sie arbeiten doch die ganze Nacht hindurch?" "Ja. Wir loesen einander ab." "So werde ich klopfen, wenn ich zurueckkehre." Er ging. Die Schlucht war finster, aber ueber derselben flimmerten die Sterne, so dass er ungefaehrdet die Strasse erreichte, welche empor zur Burg fuehrte. Er schlug sie ein und schritt nun langsam den Berg empor. Hier und da zirpte eine wachende Grille im Grase oder ein traeumender Vogel gab einen kurzen abgerissenen Laut von sich; sonst aber war Alles still und ruhig, und obgleich die Mitternacht noch nicht heran gekommen war, begegnete ihm kein Mensch auf seinem einsamen Wege. Er langte bei dem Nonnenkloster an und schritt an den dunklen Massen desselben vorueber, ohne das mindeste Lebenszeichen entdecken zu koennen. Die frommen Schwestern waren wohl laengst schlafen gegangen oder knieten in ihren Zellen, um im Stillen mit Dem zu verkehren, dessen Braeute sie geworden waren. Dann kam er an den Mauern des Moenchsklosters vorueber, die ebenso duester und todt da lagen, wie diejenigen des anderen. Er verfolgte seinen Weg ohne alle naehere Absicht und gelangte an dem Kapellchen vorueber nach dem Schlosse, vor dessen Thore die breite Strasse ihr Ende erreichte. Von ihr ab aber zweigte sich ein schmaler Pfad, der laengs der aeusseren Burgmauer, die von einem breiten Graben geschuetzt wurde, nach einer Felsenmasse fuehrte, welche den hoechsten Punkt des Berges bildete und mit den Zinnen des Schlosses in gleicher Hoehe lag. War dieser glatte, vielfach zerschlitzte und zerspaltene Steinkegel bereits einmal erstiegen worden? Moeglich, aber nicht wahrscheinlich, denn es gehoerte jedenfalls ein kuehner Muth und ein sicherer Fuss zu diesem Unternehmen. Und doch kam Kurt die eigenthuemliche Lust an, dieses Wagniss zu versuchen, obgleich es Nacht war. Es war gewiss ein willkommener Lohn, von dieser hohen einsamen Spitze tief unten die weithin sich dehnende Mondscheinlandschaft zu ueberblicken, und Kurt war als der beste Kletterer auf dem Schulschiffe bekannt gewesen. Es ist jedenfalls die Besteigung eines Berges bei naechtlicher Beleuchtung bei weitem nicht so gefaehrlich, wie das Klettern in die Wanten und auf die Raaen eines Fahrzeuges, welches in schwarzer stuermischer Nacht von dem Sturme auf den Wogen herumgeworfen wird. Er umging den Felsen bis zu der Seite hin, wo er von dem Monde beschienen wurde, und begann dann den Aufstieg. Dieser war bedeutend schwieriger, als er anfangs gedacht hatte; er kam nur bis ungefaehr auf drei Viertel der Hoehe und musste dann von seinem Vorhaben abstehen. Er blickte sich um. Neben ihm lag die Burgmauer, ueber welche er hinwegblicken konnte. Er sah den hintern Hof und dann ein kleines Gaertchen, welches vom Monde so deutlich beleuchtet wurde, dass er eine weibliche Gestalt bemerken konnte, welche auf einer Bank sass, die von einem leichten Pflanzengewinde, jedenfalls Epheu, laubenartig ueberwoelbt wurde. Sie war ganz in Weiss gekleidet und schien durch eine in der hintern Mauer angebrachte schiessschartenaehnliche Oeffnung hinaus in das weite Land zu blicken. Wer war diese Frau oder dieses Maedchen? Die Anwesenheit derselben war keineswegs unerklaerlich oder gar darnach angethan, irgend einen Argwohn, einen Verdacht zu begruenden, aber Kurt hatte waehrend mehrerer Stunden an nichts Anderes gedacht als an den Maedchenraub, und daher war es gar nicht zu verwundern, dass seine Phantasie sogleich thaetig war, diesen Raub mit dem unbekannten Wesen in Verbindung zu bringen, welches dort so sehnsuechtig durch die Schiessscharte blickte. Die Mauer war gar nicht sehr weit entfernt von dem Felsenvorsprunge, auf welchem er lag. Waere ein guter Anlauf moeglich gewesen, so haette er den Graben ueberspringen und sie sicher erreichen koennen, und dann waere es ein Leichtes gewesen, auf ihrem oberen, mit breiten Platten belegten Rande rings um den Hof herum nach dem Gaertchen zu gelangen, welches so nahe lag, dass er ganz deutlich ein leises Raeuspern hoerte, nach welchem die Unbekannte eine Melodie halblaut vor sich hinsummte. Die Weise kam ihm bekannt vor. Er lauschte. Bereits beim zweiten Verse verstand er die Worte, welche der Melodie untergelegt waren: "Da ich zuerst empfunden, Dass Liebe brechen mag, War mirs als sei verschwunden Die Sonn' am hellen Tag. Es klang das Wort so traurig gar, Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar, Da ich zuerst empfunden Dass Liebe brechen mag." Dieser Text und die furchtsame vorsichtige Art und Weise, in welcher er mehr gesummt als gesungen wurde, machten in Kurt die Vorstellung lebendig, dass er es hier wirklich mit einer Person zu thun habe, die sich in irgend einer hilfsbeduerftigen Lage befinde. Er hoerte weiter: "Mein Fruehling ging zur Rueste, Ich weiss gar wohl warum. Die Lippe, die mich kuesste, Ist worden fuer mich stumm. Das eine Wort nur sprach sie klar: "Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!" Mein Fruehling ging zur Rueste, Ich weiss gar wohl, warum." Im Gaertchen war sie allein; das sah Kurt; aber befand sich nicht vielleicht Jemand in der Naehe? Er wagte es. Ohne seine Gestalt zu zeigen, sang er halblaut, so dass sie es nur eben verstehen konnte, die erste Strophe dieses Liedes, welches ihm schon laengst bekannt war: "Wenn sich zwei Herzen Scheiden, Die sich dereinst geliebt, Das ist ein grosses Leiden, Wies groesser keines gibt. Es klingt das Wort so traurig gar: Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar! Wenn sich zwei Herzen Scheiden, Die sich dereinst geliebt." Gleich als er begonnen hatte, war sie von der Bank empor gesprungen und hatte sich nach dem Orte umgesehen, von welchem die Toene kamen. jetzt erhob er sich aus seiner liegenden Stellung. Der Mond beleuchtete ihn, sie konnte ihn sehen. Da legte sie beide Haende zusammen und hob sie bittend ueber den Kopf empor. "Hilfe!" Es war kein Ruf, denn sie durfte nicht laut sprechen; daher war dieses Wort mehr ein Fluestern in die Ferne, als ein Schrei, aber Kurt verstand es ganz deutlich. Aus Sorge, er moechte laut antworten, winkte sie warnend nach dem Burggebaeude zu. Er wusste, was sie meinte, aber er musste ihr wenigstens ein Wort sagen: "Morgen!" Er raunte es zu ihr hinueber. Sie nickte; sie hatte ihn verstanden. Nur noch einige Augenblicke blieb sie stehen; dann verschwand sie aus dem Garten, und er sah sie ueber den hintern Hof nach dem Gebaeude gehen. "Sollte dies Anna sein?" frug er sich. "Unmoeglich. Das waere ja laengst verrathen. Es ist eine Andere, die hier aus irgend einem Grunde festgehalten wird. Ich werde ihr helfen, ohne dass der Mueller etwas davon erfaehrt." Er machte sich zum Rueckzuge bereit. Da fiel sein Blick hinab auf das Moenchskloster. Im Garten des Klosters hart an der oberen Mauer desselben, da wo die Graeber lagen, standen zwei Moenche. Der eine hackte und der andere trug etwas im Arme. Das sah so verdaechtig, so sonderbar aus, oder kam dem Kadetten so interessant und romantisch vor, dass er so schnell wie moeglich an dem gefaehrlichen Felsen herabstieg, und zwar an der dunklen Seite desselben, und dann ueber das wild liegende Land und durch allerlei Gestruepp gerade auf die Stelle der Klostermauer zueilte, hinter welcher sich die Moenche befanden. Diese wussten sich ganz unbeobachtet und allein. Sie hatten also auch keine Veranlassung, ihre Stimmen uebermaessig zu daempfen, und sprachen daher so laut mit einander, dass Kurt jedes ihrer Worte zu verstehen vermochte. "Das wievielte?" "Das fuenfte in diesem Jahre." "Fruchtbares Land." "Hahaha! Wenn es gut bebaut wird. Ist das tief genug?" "Nein. Zwei Ellen muessen es sein. Man muss auch mit solchen Kleinigkeiten so sicher wie moeglich gehen. Es koennen leicht Umstaende eintreten, die es - -" "Pah, welche Umstaende sollen dies sein? Es handelt sich hier nur um die ueberfluessige Arbeit, welche man uns verursacht. Die frommen Muetter koennten doch darauf bedacht sein, solche Ueberfluessigkeiten moeglichst selbst zu beseitigen." "Sie haben ja keinen Kirchhof!" "Muss es ein Kirchhof sein? Eine Grube, ein Feuer thut es ebenso. Moechte aber doch wissen, welcher von den Schwestern wir diese Beschaeftigung zu verdanken haben." "Das werden wir beim naechsten Besuche leicht erfahren. jedenfalls von der, welche unten im geheimen Gange steckt, sicherlich nicht." "Allerdings. Bei dieser kann so eine Liebenswuerdigkeit sicherlich nicht vorkommen. Pater Bernardus hat sich alle Muehe gegeben, sie zu bekehren, und es ist ihm nicht gelungen, trotzdem er der schoenste und gewandteste Mann des ganzen Klosters ist." "Moechte wissen, ob sie eine Schwester oder ein Gast ist." "Ein Gast." "Wirklich?" "Ja." "Woher weisst Du es?" "Der Kuechemeister sagte es mir im Vertrauen. Sein Bruder, der Schlossvogt hat sie eingeliefert." "Heimlich?" "Versteht sich! Waehrend der Nacht durch seine Frau." "Aha, da ist es der Herr, der sie in Pflege gibt!" "Jedenfalls." "Wie lange ist sie da?" "Bereits einige Jahre." "Teufel! So lange hat die Verstocktheit bei Keiner angehalten. Hoechstens einige Wochen! Warum hat man die Zwangszelle noch nicht gebraucht?" "Aus zwei Gruenden. Erstens fuerchtet man sich vor ihr, denn sie hat ein Messer bei sich und wuerde jede Schwester, die sich ihr im Boesen naehern wollte, niederstechen, und zweitens scheint sie von vornehmer Abkunft zu sein und also einige Beruecksichtigung zu verdienen." "Pah! Wir haben Schwestern, die Komtessen waren, und doch gehorsam sind." "Sie soll auch eine Komtesse gewesen sein." "Warum fuerchtet man sich vor ihrem Messer? Sie wuerde hoechstens nur eine einzige Person verwunden und dann gefesselt werden." "Der Herr will dies nicht. Er will sie durch die Langeweile dahin bringen, dass sie ihm freiwillig gehorcht. Eine freiwillige Gabe ist mehr werth, als ein erzwungenes Gut." "Hat man sie nicht in die ªAussicht´ gebracht?" "Auch. Man hat ihr Buecher gegeben, deren Inhalt und Abbildungen sie fuegsam machen sollten, man hat sie in die "Aussicht" gesteckt, wo sie unsern Zusammenkuenften zusehen muss, selbst wenn sie nicht will - es hat nichts geholfen. Schwester Klara sollte noch hier sein." "Habe keine Schwester Klara gekannt." "Du warst noch nicht von Kloster Neustadt nach hier versetzt, als sie in Himmelstein war. Sie war eine Venus und eine Furie zugleich, bis sie ploetzlich verschwand." "Wohin?" Niemand hat etwas darueber erfahren. Ihr konnte keine Novize und kein Gast widerstehen, sie hatte ein paar Augen, aus denen der Himmel strahlte und auch die Hoelle leuchtete, je nachdem sie es wollte. - Fertig! Lass uns ein Paternoster beten!" Kurt vernahm das einfoermige Herplappern des Vaterunsers, dann hoerte er, dass sie sich entfernten. Was hatten diese beiden Maenner hier gethan? Einen Gegenstand vergraben? Jedenfalls. Aber welcher Gegenstand war das gewesen? Er war zu jung und unerfahren, um das Gehoerte in seinem ganzen Umfaenge und seiner ganzen Bedeutung verstehen zu koennen, aber er beschloss, sich den Ort zu merken, zog das Messer hervor und machte ein Zeichen an die Mauer. Was war das fuer ein Gast, von dem die Moenche gesprochen hatten? Es sollte eine Komtesse sein. Doch nicht etwa gar die Komtesse Toska von Mylungen? Und wer war der "Herr," der diesen Gast des Nachts durch die Frau des Schlossvogtes geschickt hatte? Weshalb und wozu sollte dieser Gast bekehrt werden, der sich mit einem Messer vertheidigte? Warum steckte man eine Komtesse in die "Aussicht," und was war unter diesem Worte zu verstehen? Er haette sich noch mehr Fragen vorlegen koennen, aber der Mond war verschwunden, und der Weg bis hinunter zur Muehle nahm keine kurze Zeit in Anspruch. Als er dort ankam, oeffnete ihm Brendel. "Sie sind sehr lange gewesen, Herr Schubert. Waren Sie auf dem Berge?" "Ja." "Und haben sich nicht gefuerchtet?" "Vor wem oder was?" "Vor Gespenstern. Es soll da oben waehrend der Naechte schrecklich umgehen." "Aberglaube!" Nein, kein Aberglaube, sondern Wahrheit. Es geht wirklich um, naemlich die Moenche zu den Nonnen. Denn in wiefern denn und in wie so denn, warum sollen denn Brueder und Schwestern sich nicht ein klein wenig lieb haben?" "Das versteht sich ganz von selber!" meinte Klaus, welcher herzugetreten war, und dabei machte seine Nase eine Bewegung, welche die staerkste Bekraeftigung ausdruecken sollte. "Aber nun werden Sie ganz und gar ermuedet sein, junger Herr." "Es ist nicht sehr schlimm. Gute Nacht!" "Gute Nacht!" Er suchte die Ruhe und fand sie lange nicht. Das Erlebte nahm seine Sinne und Gefuehle gefangen, und selbst als er endlich eingeschlafen war, lebten die Gestalten des heutigen Tages in seinem Traeume fort. Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Der Mueller begruesste ihn: "Guten Morgen, lieber Herr! Ausgeschlafen?" "Mehr als gut ist. Ein zu langer Schlaf macht muede." "Das ist richtig. Aber wie ich von meinen Knappen hoerte, sind Sie waehrend der Nacht spazieren gewesen?" "Ein wenig. Der Abend war zu schoen, als dass ich ihn haette verschlafen moegen." "Wird auch noch anders werden, wenn Sie einmal in meine Jahre kommen." "Fruehstueck, Fruehstueck!" rief ihnen die Muellerin freundlich zu. "Die Jugend muss immer Hunger haben, sonst kann nichts Gescheidtes aus ihr werden." "Ich habe auch Appetit, das will ich Ihnen gestehen," lachte Kurt. "Also folglich wird auch einmal etwas Gescheidtes aus mir. Aber was, das ist die Frage!" "Ein Admiral!" "Nicht uebel!" "Und Schwiegersohn." "Schwiegersohn? Wessen?" "Hm, Schwiegersohn eines Generales." Kurt erroethete wie ein junges Maedchen, zu dem man von einem Braeutigam gesprochen hatte. Dies war das allererste Mal, dass ein Gedanke ausgesprochen wurde, der ihm jetzt unmoeglich zu denken gewesen waere. Er konnte kaum eine Antwort finden. "Welches Generales?" frug er endlich ziemlich verlegen. "Das muss ich Ihnen ueberlassen. Es gibt der Generale sehr viele, welche Toechter besitzen. Suchen Sie sich denjenigen selbst aus, der Ihnen am geeignetsten erscheint!" Nach dem Fruehstuecke ging Kurt in dem Muehlegarten spazieren. Er hatte bemerkt, dass Brendel sich dort in den Beeten zu schaffen machte, und that, als wolle er ihm zusehen. Klaus war auch dabei, da der Mueller die Muehle jetzt selbst bediente. Der junge Mann wusste gar nicht recht, in welcher Weise er sein Anliegen an den Mann bringen solle. "War der Salat heuer gerathen?" frug er. "Das versteht sich ganz von selber," meinte Klaus, und seine Nase nickte zustimmend. "Und die Gurken?" "Auch." "Bohnen und Erbsen?" "Werden noch." "Zuckerkuerbis?" "Ausgezeichnet." "Zwiebeln, Petersilie, Blumenkohl, Radieschen, Kerbel und Rettige?" "Mit Allem sehr zufrieden." Der alte Knappe machte ein Gesicht, als habe er nicht die mindeste Ahnung, dass diese Fragen jedenfalls nur etwas Anderes einleiten sollten, was noch kommen musste. "Und die Beete haben Sie bearbeitet?" "Ja." "Trotzdem Sie des Nachts in der Muehle sein muessen und also des Tages schlafen sollten?" "Hm, wir wechseln ab, und wer Zeit hat, kann im Garten nachsehen. Das versteht sich ja ganz von selber! Nicht wahr, Brendel?" "Ja, mein lieber Herr Schubert. Wir arbeiten auch im Garten, denn in wie fern denn und in wie so denn, die Anna ist fort, da muss die Luecke von den Andern mit ausgefuellt werden." "Wer hat heute Nacht die Muehle zu besorgen?" "Der Meister und ich." "So sind Sie also frei, Klaus?" "Ja. Ich schlafe." Das war es, was Kurt wissen wollte. Brendel fuegte erklaerend hinzu: "Und weil ich die Muehle habe, werde ich am Nachmittage schlafen, waehrend Klaus aufschuettet." Da richtete sich Klaus vom Beete empor. "Mein lieber junger Herr, ich moechte Sie einmal nach etwas fragen!" "Fragen Sie nur zu. Ich werde gern antworten." "Sie heissen Schubert und Ihr Vater war Seemann? wie der Herr Pastor erzaehlte." "Ja." "Ich habe einen gewissen Schubert gekannt, der einen Bruder hatte, welcher Seemann geworden war. Dieser Schubert war ein Schmied." "Ein Schmied? Ich habe einen Onkel, welcher allerdings Schmied ist." "Der, den ich meine, war Obergeselle bei dem Hofschmied Brandauer. Er sprach das weiche B wie ein hartes P." "Das ist mein Onkel, der Onkel Thomas!" "Wirklich? Alle Wetter, trifft sich das! Der Thomas und ich sind die besten Kameraden, die es nur geben kann. Wir haben mehrere Feldzuege mit einander gemacht und uns auch spaeter nicht mehr aus den Augen verloren. Nur seit einigen Jahren haben die Gruesse aufgehoert, die wir uns gegenseitig immer zu senden pflegten. Was macht denn der alte Kumpan jetzt?" "O, der steht sich gut. Er hat geheirathet." "Geheirathet? Donnerwetter!" Die Nase des Knappen fuhr empor, als ob sich eine Wespe angesetzt haette. "Wen denn?" "Die Gastwirthin Barbara Seidenmueller, eine reiche Wittfrau." "Aha, das ist die "Parpara", von der er mir erzaehlt hat! Sie waren alle Drei in sie verliebt, naemlich der Thomas, der Baldrian und auch der Heinrich, und Ihr Onkel hat also den Sieg davon getragen!" "Ja. Aber das ist noch nicht Alles." "Was noch?" "Er ist Hofschmied geworden, und der Baldrian und der Heinrich arbeiten bei ihm." "Ein wahrer Glueckspilz! Na. da Sie der Neffe von einem alten Spezial sind, so habe ich Sie gleich noch einmal so lieb, als ich Sie vorher schon hatte. Wenn ich Ihnen einen Gefallen thun kann, so sagen Sie es nur, ich laufe fuer Sie durch das Feuer; das versteht sich ja ganz von selber!" Dabei nickte seine Nase in einer Weise, welche man als die groesseste Betheuerung gelten lassen konnte. Am Nachmittage war Klaus allein in der Muehle. Kurt suchte ihn auf. "War das heute Morgen Ihr Ernst, Klaus?" "Was?" "Dass Sie fuer mich durch das Feuer gehen wollen?" "Das versteht sich ja ganz von selber!" "So viel wuerde ich niemals von Ihnen verlangen; aber eine Bitte habe ich doch." "Heraus damit!" "Sie haben heute Nacht frei?" "Ja." "Wollen Sie mir einige Stunden Schlaf opfern?" "Das versteht sich ja ganz von selber! Sagen Sie nur was ich machen soll!" "Sie sollen mit mir spazieren gehen." "Spazieren? Gut! Schoen! Ist sonst meine Leidenschaft nicht, werde es aber thun." "Aber es darf kein Mensch etwas davon wissen." "Werde keiner Seele etwas merken lassen. Wohin soll es denn gehen?" "Das werden Sie spaeter erfahren. Koennen wir unbemerkt fortkommen?" "Ja. Wir gehen durch die hintere Thuere. Welche Zeit geht es fort?" "Ganz zu derselben Zeit, in welcher ich gestern ging." "Werde mich bereit halten." "Und noch Eins: Haben Sie vielleicht einige lange feste Stricke?" "Viele." "Besorgen Sie welche!" "Wie lang und wie fest muessen sie sein?" "Zwoelf Ellen, und so fest, dass sie einen Menschen halten koennen." "Donnerwetter, wollen Sie sich zwoelf Ellen hoch aufhaengen?" "Nein!" lachte Kurt. "So gibt es wohl ein Abenteuer?" "Ja, wenn Sie es mitmachen wollen." "Das versteht sich ja ganz von selber! Ist sonst noch etwas noethig?" "Eigentlich eine Leiter; eine Stange aber thut es auch und ist leichter zu transportiren." "Wie lang?" "Wenigstens so lang wie die Stricke." "Und wie stark?" "Ich muss an derselben emporklettern koennen." "Schoen. Wird auch mit besorgt. Sonst noch etwas?" "Nein. Aber sorgen Sie dafuer, dass wir die Sachen bereits draussen vor der Muehle finden. Sonst moechten wir bemerkt werden." "Das versteht sich ja ganz von selber!" Dabei machte seine Nase eine Schwenkung, der man es anmerkte, dass sie mit Allem, was besprochen worden war, vollstaendig einverstanden sei. Im Laufe des spaeteren Nachmittags erfuhr man in der Muehle, dass Prinz Hugo wirklich mit seinem Diener eingetroffen sei und dass in den Gasthoefen des Staedtchens bereits ein reger Fremdenverkehr herrsche. Die Ankunft des Prinzen machte Kurt einigermassen um sein Vorhaben besorgt, doch fiel es ihm nicht ein, dasselbe aufzugeben. Es war um die vereinbarte Zeit, als sich die Thuer zu seinem Zimmer oeffnete und Klaus eintrat. "Da bin ich, Herr Schubert. Kann es losgehen?" "Ja." "Die Luft ist rein und die Hinterthuer nur angelehnt. Kommen Sie also!" Sie schlichen sich hinab und gelangten ungesehen zur Muehle hinaus. "Wo haben Sie die Sachen?" "Dort im Busche. Aber nun kann ich wohl erfahren, wohin es gehen soll?" "Ja. Hinauf zur Burg." "Sapperlot! Wollen Sie die Burg erobern?" "Es ist so etwas Aehnliches." "So erobere ich mit; das versteht sich ja ganz von selber! Aber sagen Sie mir doch einmal, ob die Sache da oben heimlich gehen soll!" "Natuerlich!" "So darf uns also unterwegs auch Niemand sehen?" "Nein." "Gut! Dann vermeiden wir also die Strasse. Ich werde Sie fuehren." Er nahm die Stange, waehrend Kurt die Stricke trug, dann verliessen sie die Hoellenschlucht und stiegen seitwaerts an dem Berge empor. Ohne dass ein Wort zwischen ihnen gewechselt wurde, kamen sie nach allerdings muehseligem Steigen in der Hoehe des Moenchklosters an, ohne von irgend einem Auge bemerkt zu werden, und dann benutzten sie das von zerstreuten Felsen und Bueschen besetzte Terrain, um sich bis an die Kegelspitze zu schleichen, welche Kurt gestern erklettert hatte. Dort blieben sie halten. "Was nun?" frug Klaus. Kurt befand sich in einer kleinen Aufregung, deren er nicht ganz Meister zu werden vermochte. Er trat nahe zu Klaus heran und fluesterte: "Wissen Sie, was ich machen will?" "Woher soll ich das wissen?" "Ich will ein Maedchen oder eine Frau aus dem Schlosse entfuehren." "Alle guten Geister! Menschenraub! Da ist Zuchthaus darauf." "Sie will aber mit!" "Das waere freilich etwas Anderes! Wer ist es denn?" "Ich weiss es nicht." "Sie wollen sie entfuehren und wissen nicht, wer sie ist? Das begreife ich nicht!" Kurt erzaehlte ihm kurz sein gestriges Abenteuer. "Also Hilfe hat sie gerufen?" frug Klaus. "Ja." "Donnerwetter, so holen wir sie; das versteht sich ja ganz von selber! Und wenn wir sie haben, so werden wir wohl auch erfahren, wer sie ist." "Natuerlich. Gefahr ist nicht dabei, sonst wuerde ich die Sache allein machen." "Nun also heraus damit. Was habe ich zu thun?" "Wir klettern jetzt in den Graben hinab und drueben legen wir die Stange an, welche Sie festhalten muessen. An ihr steige ich in die Hoehe und nehme die Stricke mit. Das Uebrige wird sich finden." "Und ich habe weiter dann nichts zu thun, als zu warten bis Sie zurueckkommen?" "Weiter nichts." "Gut, vorwaerts; das versteht sich ja ganz von selber!" Unter dem Schutze des Schattens, welchen der Felsen warf, huschten sie in den Graben hinab und stiegen drueben wieder bis zur Mauer empor. Dort legten sie die Stange an, mit deren Hilfe Kurt auf die Mauer gelangte. Sie war so breit, dass er in liegender Stellung von unten gar nicht bemerkt werden konnte. Links hatte er den Graben und rechts den hintern Burghof unter sich, aus welchem man in das kleine Gaertchen gelangte, in welchem er die Gestalt von gestern sitzen sah. Er konnte auf zwei verschiedenen Wegen zu ihr gelangen. Entweder er rutschte auf der Mauer hin, dann durfte er aber nicht den mindesten Schwindel besitzen, denn dort ging es in den gaehnenden Abgrund hinab - oder er stieg gleich hier in den Schlosshof nieder und versuchte, ob die Gartenthuere geoeffnet sei. Das letztere war jedenfalls das Beste. Er band also den Strick an denjenigen Theil der Stange, welcher drueben ein wenig ueber die Mauer emporragte, und liess das andere Ende hueben in den Hof hinabfallen. "Halten Sie fest, Klaus!" fluesterte er. "Das versteht sich ja ganz von selber!" klang die Antwort von unten empor. "Jetzt liess er sich an dem Stricke nieder und stand in dem engen Hofe, gehuellt in den Schatten, den die Mauer verbreitete. Er sah die Gartenthuer von hier aus offen stehen, und schon wollte er sich hinschleichen, als ploetzlich die zu der Burg fuehrende zweite Thuere geoeffnet wurde. Ein Mann trat heraus und verschloss sie wieder. Das Licht des Mondes fiel auf seine Gestalt. Kurt erkannte ihn sofort. "Der Prinz!" murmelte er. "Jetzt gilt es vorsichtig zu sein!" Er hoerte eine maennliche und eine weibliche Stimme draussen im Garten und schlich sich bis an die Pforte. Dort konnte er sehen und auch hoeren. Er sah auf den ersten Blick, dass er es mit keiner Frau, sondern mit einem Maedchen zu thun hatte. Sie hatte sich von der Bank erhoben, der Prinz stand vor ihr, doch immerhin in einer Entfernung, dass es ihm unmoeglich war, sie mit der Hand zu erlangen. "Keinen Schritt naeher!" gebot sie. "Es geht Ihnen sonst wie das letzte Mal!" "Dirne! Ich werde Dich doch noch muerbe machen, ich habe die Macht dazu!" "Meinen Sie? Hat diese Macht Ihnen bisher etwas geholfen?" Ihre Stimme nahm einen veraechtlichen Ton an. "Ich habe die Knechte geohrfeigt, den Vogt geohrfeigt und auch Sie geohrfeigt, ich werde ohrfeigen, bis ich entweder todt oder frei bin; darauf koennen Sie sich sicher verlassen!" "Frei wirst Du nun nie!" "Wollen sehen!" "Es gibt nur einen Weg zur Freiheit, und dieser heisst Gehorsam. Nimm doch einmal Verstand an, Maedchen! Seit ich Dich damals in der Laube bei Euch sah, stand es fest, dass ich Dich besitzen muesse. Du wurdest grob und Dein Vater renitent, aber was kann ein Mueller gegen einen Prinzen schaffen - -" Kurt hoerte die Fortsetzung dieser Worte gar nicht, so ueberrascht war er. Also dieses Maedchen war die Muellerstochter, war die Anna! Sie musste fort um jeden Preis. Ohne sich nur einen Augenblick zu besinnen, that er einige Schritte vorwaerts, stand hinter dem Prinzen und schlug ihm die geballte Faust mit solcher Gewalt auf die Schlaefe, dass er zusammensank. "Geissler!" rief das Maedchen. "Still, um Gotteswillen still! Ich bin nicht Geissler; ich bin ihm nur aehnlich." "Wer sind Sie denn?" "Ich bin derselbe, welcher gestern da drueben auf dem Felsen stand. Sie wollen frei sein?" "O mein Gott, ja! Aber Sie beluegen mich: ich sehe ja, dass Sie Geissler sind!" "Waere ich dieser Mensch, wuerde ich da den Prinzen niederschlagen?" "Das macht mich irre. O, er ist todt!" "Das wuerde gar nichts schaden! Ist eine Moeglichkeit vorhanden, durch die Hoefe zu entkommen?" "Nein. Ich kann nicht weiter als in dieses Gaertchen und auf mein Zimmer, alles Andere ist verschlossen und verriegelt." "Wollen Sie sich mir anvertrauen?" "Ist es Ihr Ernst?" "Natuerlich! Draussen wartet Klaus. Kommen Sie schnell!" Er zog sie aus dem Gaertchen nach dem Hofe und verriegelte die Pforte. jetzt war der Prinz eingesperrt. Dennoch zoegerte Anna, immer noch irgend einen Verrath befuerchtend. "Sie koennen unmoeglich klettern?" frug er. "Nein." "So binden Sie sich diesen Strick unter den Armen hindurch um den Leib. Ich werde Sie emporziehen, und Sie helfen mit Haenden und Fuessen nach." Er schwang sich an dem Stricke empor. Anna war ein starkes dralles Maedchen, es kostete ihn keine kleine Anstrengung, sie auf die Mauer empor zu bringen. Endlich langte sie oben an. "Sehen Sie hier hinab!" bat er sie. "Kennen Sie den Mann?" "Klaus!" rief sie. "Donnerwetter, Anna!" erscholl es von unten herauf. "Leise, leise!" bat Kurt. "Wenn wir Laerm machen, ist Alles verloren. Getrauen Sie sich, an dieser Stange hinabzurutschen, wenn ich Sie mit am Seile halte?" "Ich will es versuchen." "Es wird gehen. Kommen Sie!" Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es, und bald standen die Drei da unten im Graben zusammen. "Oh, ach, Fraeulein Anna," jubelte Klaus, indem er das Maedchen vor lauter Freude an sich drueckte. "Wer haette das gedacht! Wie sind Sie nur herauf gekommen in diese Burg, in dieses Nest, in diese Raeuberhoehle?" "Fragen Sie spaeter," draengte Kurt. "Jetzt muessen wir fort, sonst wissen wir nicht was passiren kann." "Die Strasse hinab?" "Nein; denselben Weg, den wir vorhin gegangen sind. Man koennte uns verfolgen." Sie stiegen aus dem Graben empor und eilten dann ungesaeumt weiter. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, als sie laute Rufe hoerten. Es war die Stimme des Prinzen, welcher aus seiner Ohnmacht erwacht war und nun nach Beistand rief. "Kann rufen, der Kerl!" meinte Klaus. "Und wenn er uns noch zeitig genug erreichte, so waere er hinueber. Ich schluege den Kerl todt; das versteht sich ja ganz von selber, nicht wahr, mein lieber Herr Schubert?" "Er haette nichts Anderes verdient. Aber wollen Sie die Stange nicht fortwerfen? Sie ist zu beschwerlich beim Niedersteigen." "Ich behalte sie, und wer uns etwa nachkommt und uns anhalten will, dem renne ich sie in den Leib. Das versteht sich ganz von selber!" - - Der Bowie-Pater. "Damn! Wenn das so fortgeht, so soll mich der Teufel holen, wenn wir nur die Schwanzhaare eines einzigen Komanchengaules zu sehen bekommen!" Der Mann, welcher diese Worte sprach, war eine breite herkulische Gestalt, aus welcher, wenn sie von Holz gewesen waere, man fueglich zwei lebensgrosse menschliche Figuren haette schnitzen koennen. Seine gewaltigen Beine staken in einem Paar langer Wasserstiefel, die er bis an den Leib herangezogen hatte, der von einer hirschledernen Weste bedeckt wurde, ueber welcher eine aus starker Bueffelhaut gefertigte Jacke hing. Auf dem Kopfe trug er eine hohe Muetze, welche von einer ganzen Menge von Klapperschlangenhaeuten umwunden war. Sein Gesicht sah ganz so aus wie die Gegend, in der er sich befand: es war so dicht bewaldet, dass man nur die Nase und die beiden Augen zu unterscheiden vermochte. In der Hand trug er eine doppellaeufige Kentuckybuechse, und in dem alten Shawle, den er sich um die Huefte geschlungen hatte, stak neben einer alten Drehpistole ein Jagdmesser, welches mehr einem Hirschfaenger als einem Messer glich. Er wuehlte in einem Haufen von Holzasche herum, welcher den Boden bedeckte und den unumstoesslichen Beweis fuehrte, dass hier ein ungewoehnlich grosses Feuer gebrannt habe. "Sage einmal, Fred," fuhr er verdriesslich fort, "wie lange es wohl her ist, dass diese Asche heiss gewesen ist?" "Das Feuer ist gestern frueh verloescht," lautete die schnelle entschiedene Antwort. Der Mann, welcher sie gab, war bedeutend juenger als der vorige. Er mochte hoechstens fuenfundzwanzig Jahre zaehlen und war ganz in einen jener indianischen Anzuege gekleidet, welche die Savannenstutzer zu tragen pflegen, und an denen die Verfertigerinnen Jahre lang zu arbeiten haben. Trotz dieses sauberen Anzuges aber hatte er nicht das Aussehen eines Sonntagsjaegers. Man erkannte an seinem starken Nacken die Narbe eines tiefen Messerschnittes, und ueber die eine Wange zog sich die Spur eines Hiebes, welcher jedenfalls von einem Tomahawk herruehrte. Seine Waffen bestanden aus einem Henrystutzen, aus dem man, ohne wieder laden zu muessen, fuenfundzwanzig Schuesse thun kann, einem Bowiemesser und zwei Revolvern. "Richtig!" stimmte der Riese bei. "Man sieht, dass Du kein Neuling mehr bist, wie vor zwei Jahren, als ich Dich in die Schule nahm. Aber was hilft uns das jetzt? Die Kameraden sind todt, die Pferde gestohlen und die Nuggets geraubt, die wir uns da drueben in Kaliformen zusammengesucht haben, um auch einmal im Osten den Gentleman spielen zu koennen. Nun rennen wir hinter diesen verdammten Komanchen her und koennen sie zu Fusse doch nicht einholen. Aber wehe den Hallunken, wenn ich, Bill Holmers, ueber sie komme!" Er erhob die Faust und schuettelte sie drohend nach Sueden hin. "Ich denke, wir werden schon noch zu dem unsrigen kommen," meinte der, welchen er Fred genannt hatte. "Denkst Du? Ah?" "Ja." "Nun?" "Die Spur, welche wir verfolgen, fuehrt nach dem Rio Pecos, der durch die Sierra Rianca fuehrt, und diese ist ja gegenwaertig die Grenze zwischen dem Gebiete der Komanchen und Apachen." "Was hat das mit unsern Pferden und Nuggets zu thun?" "Sehr viel! Die Komanchen, welche uns bestohlen haben, koennen von jetzt an zu jeder Zeit einer Truppe Apachen begegnen und duerfen also nicht mehr ohne Kundschafter vorwaerts gehen. Was folgt daraus, Bill?" "Hm, dass sie gezwungen sein werden, langsamer zu reiten. Deine Ansicht ist nicht uebel! Man sieht es, dass Du bei mir in die Schule gegangen bist, und darum will ich es Dir nicht uebel nehmen, dass Du diesen troestlichen Gedanken eher gehabt hast als ich. Die Apachen fuerchtest Du also nicht?" "Nein. Sie sind jetzt den Bleichgesichtern freundlich gesinnt. Sie sind ueberhaupt edler und tapferer als die Komanchen, und besonders seit die meisten ihrer Staemme dem grossen Rimatta gehorchen, kann sich ein Jaeger mit Vertrauen zu ihnen wagen." Da raschelte es hinter ihnen. Beide fuhren blitzschnell herum und erhoben ihre Buechsen. Vor ihnen stand ein Indianer, beinahe so gekleidet wie Fred, nur dass sein eigenes Haar die einzige Kopfbedeckung bildete, welche er trug, und in seinem Guertel ein Tomahawk von sehr kostbarer Arbeit blitzte. Seine grossen dunklen Augen blickten sehr zuversichtlich auf die beiden Jaeger, und die Rechte leicht zum Grusse erhebend, sprach er mit freundlicher Stimme: "Die Bleichgesichter moegen ruhig sein; der rothe Mann wird sie nicht toedten." "Oho!" antwortete Bill Holmers, "das wollten wir uns auch verbitten!" Der Indianer laechelte. "Haben meine weissen Brueder den Schritt des rothen Mannes gehoert? Seine Buechse konnte sie toedten, ehe sie ihn bemerkten." "Das ist wahr!" gestand Holmers. "Aber der rothe Mann hat die Worte seiner weissen Brueder vernommen; sie sind Feinde der Komanchen und Freunde der Kinder der Apachen; er wird sich zu ihnen setzen und die Pfeife des Friedens mit ihnen rauchen." Er setzte sich ohne Umstaende da, wo er stand, auf den Boden nieder, nahm das mit Federn geschmueckte Kalumet von der Halsschnur, stopfte es aus dem Beutel, welcher an seinem Guertel hing, und steckte den Tabak mit Hilfe seines Punks* in Brand. Die beiden Jaeger nahmen ihm gegenueber Platz. Er sog den Rauch seiner Pfeife sechsmal ein, stiess ihn nach den vier Himmelsrichtungen, dann empor zur Sonne und endlich nieder zur Erde von sich und gab nachher das Kalumet an Holmers. "Der grosse Geist ist mit den Apachen und mit den weissen Maennern. Ihre Feinde seien wie die Fliegen, welche vor dem Rauche unserer Feuer fliehen!" Die Jaeger wiederholten die Ceremonie, und Holmers antwortete: "Mein rother Bruder ist ein Haeuptling der Apachen; ich sehe es an seinem Haare. Wird er uns seinen Namen nennen?" "Meine Brueder haben vorher gesprochen von Rimatta, dem Sohn der Apachen." "Rimatta? Fuehrt mein Bruder wirklich diesen Namen?" "Der Apache luegt niemals!" lautete seine einfache Antwort. Das war ein Zusammentreffen, wie sie es sich gar nicht gluecklicher wuenschen konnten. Darum frug Bill: "Ist mein Bruder allein in dieser Gegend?" "Rimatta ist allein; er hat nicht zu fuerchten tausend seiner Feinde." "Wo hat er sein Pferd?" "Es steht dort unter den Baeumen. Wo haben meine Brueder ihre Thiere?" "Wir haben keine." Er blickte sie unglaeubig an. "Sie haben keine? Der Jaeger ohne Pferd ist wie der Arm ohne Hand!" "Wir hatten sehr gute Thiere; sie sind uns von den Komanchen geraubt worden." "Hatten die weissen Maenner keine Augen um zu sehen, und keine Ohren um zu hoeren? Warum haben sie die Hunde der Komanchen nicht getoedtet?" "Wir waren nicht da als die Komanchen kamen." "Mein Bruder erzaehle!" "Wir waren zwoelf Maenner und kamen aus Kalifornien ueber die Savannen und Berge herueber, um nach Osten zu gehen. Wir lagerten an den Ufern des Rio Mala und hatten noch nichts geschossen. Da erhielten wir Beide den Auftrag Fleisch zu machen. Wir gingen fort, und als wir nach einer Stunde zurueckkehrten, lagen unsere Gefaehrten todt und skalpirt an der Erde, die Pferde waren alle fort und die Nuggets mit ihnen." "Hoerten meine Brueder das Schiessen nicht?" "Nein; es ging ein grosser Wind, der den Schall von uns trieb." "Was thaten meine Brueder als sie zurueckgekehrt waren?" "Wir zaehlten die Spuren der Komanchen; es waren ihrer hundert und noch ein halbes hundert. Wir folgten ihnen, um unsere Todten zu raechen und unser Eigenthum wieder zu nehmen." "Und meine Brueder waren zwei und die Komanchen so Viele." "Ja." "Meine Brueder sind wackere Krieger; die Komanchen aber sind wie die Kojoten**, die keinen Verstand haben. Sie mussten sehen, dass zwei Bleichgesichter fehlten, und meine Brueder erwarten und toedten. Woher werden die Bleichgesichter neue Pferde nehmen?" "Wir werden sie den Komanchen nehmen." "Sie sollen eher welche haben, denn sonst koennen sie die Komanchen gar nicht erreichen. Die Bleichgesichter moegen warten, bis Rimatta zurueckkehrt." Er erhob sich, hing sich das Kalumet wieder um den Hals, ergriff seine Buechse und verschwand zwischen den Baeumen. Die beiden Jaeger blickten einander mit eigenthuemlichen Augen an. "Was meinst Du, Fred?" frug Bill. "Was meinst Du, Bill?" antwortete Fred. "Hm, ein netter Kerl!" "Sehr!" "Konnte uns wegputzen ohne alle Gefahr!" "Sehr!" "Bin dem Kerl gut!" "Sehr!" "Gehe zum Teufel mit Deinem "Sehr!" Ich will von Dir wissen, was wir jetzt zu thun haben!" "Bestimme Du es. Du bist der Aeltere." "Well! Ich haette Lust zu bleiben." "Ich auch. Er sieht mir ganz so aus, als ob er Wort halten werde." "Er ist beritten und wird uns Pferde fangen." "Wird schwer gehen!" * Prairiefeuerzeug. ** Savannebwoelfe. "Ist Alles moeglich. Ein verteufelt guenstiges Zusammentreffen, das mit diesem Apachen! Das kann zu unserem Gluecke sein." "Denke es auch. Aber, hin, es moechte mir nachtraeglich beinahe noch angst werden." "Warum?" "Wir hatten von ihm gesprochen." "Ja, ja. Das Sprechen in der Prairie oder im Walde ist eigentlich eine sehr grosse Dummheit. Man kann sich dadurch ganz gruendlich verrathen." "Haetten wir nicht so gut von ihm gesprochen, so wette ich Hundert gegen Eins, dass wir von ihm weggeblasen worden waeren." "Ganz sicher. Wollen wenigstens jetzt das Maul halten und uns einen Platz suchen, an dem wir auf ihn warten koennen, ohne von Andern bemerkt zu werden." Sie verliessen den offenen Platz und verschwanden unter den Bueschen. Es mochten etwas ueber zwei Stunden vergangen sein, da stand, ohne dass das allergeringste Geraeusch zu vernehmen gewesen waere, der Apache wieder an derselben Stelle, wo die Friedenspfeife geraucht worden war. "Uff!" Auf diesen halblauten Ruf kamen die Jaeger aus ihren Verstecken hervor. "Meine Brueder moegen Rimatta folgen!" Er drehte sich um und schritt davon, ohne sich scheinbar darum zu bekuemmern, ob die Beiden auch wirklich hinter ihm drein kaemen. Er fuehrte sie durch den weiten hochstaemmigen Urwald, bis sie eine helle Einbuchtung der Prairie erreichten. Auf derselben lag ein Mustang, an allen Vieren mit jenen unzerreissbaren Riemen gefesselt, welche man zur Anfertigung der Lassos und Reserveleinen verwendet. Der Schweiss perlte von dem Thiere herab, und grosse dicke Schaumflocken lagen weit umher, so hatte es sich abgearbeitet um loszukommen. "Koennen meine Brueder einen wilden Mustang reiten?" Statt aller Antwort warf Fred die Buechse ueber den Ruecken, stellte sich mit weit gespreizten Beinen ueber das Pferd und loeste mit zwei raschen Messerschnitten die Fesseln, welche es hielten. Im Nu sprang es auf. Der Reiter sass oben, ohne Sattel und Zaum, frank und frei auf dem blossen Thiere. Es stutzte und wieherte erschrocken, ging bald vorn und bald hinten in die Hoehe, bockte zur Seite und flog dann, als es den Reiter nicht los werden konnte, in gewaltigen Saetzen in die Prairie hinaus. "Mein junger Bruder ist ein guter Reiter!" meinte der Indianer beifaellig; dann schritt er weiter. Ein grosses Stueck draussen in der Savanne lag ein zweites Pferd, ganz in derselben Weise gefesselt wie das vorige. "Mein Bruder nehme es und kehre dann zurueck!" Er schritt einem Gebuesche zu, in welchem er jedenfalls sein eigenes Pferd angehobbelt hatte. Bill Holmers dagegen trat zu dem Mustang, that mit demselben ganz wie vorhin Fred, und flog bereits nach einer Minute auf seinem wilden unbaendigen Thiere in die Prairie hinaus. Erst nach Verlauf von einer vollen Stunde liess sich ganz draussen am Horizonte ein dunkler Punkt und dann ein zweiter erkennen. Sie naeherten sich schnell. Es waren die beiden Jaeger, welche auf ihren Pferden zurueckkehrten. Als sie die kleine Savannenbucht erreichten, trat Rimatta zwischen den Straeuchern hervor und fuehrte sein Pferd am Zuegel nach. "Meine weissen Brueder haben nun Thiere, um ihre Feinde zu erreichen, und koennen sich die Saettel holen, und Alles, was sie brauchen." Der Ort, an welchem sie hielten, war von vielfaeltigen Hufspuren gezeichnet. Hier hatte der Indianer die wilden Pferde angeschlichen und ueberfallen. Wie es ihm moeglich gewesen war zwei derselben zu fangen, darueber verlor er kein Wort. "Wohin wird unser rother Bruder gehen?" frug Bill Holmers. "Er wird folgen den Spuren der Komanchen, um zu sehen, wohin sie gehen." "Will Rimatta nicht mit uns gehen?" "Der Apache ist der Bruder der weissen Maenner, er wird an ihrer Seite bleiben, wenn sie ihm ihr Vertrauen schenken wollen." "Wir vertrauen Dir!" "Ugh!" Auf diese kurze einfache Weise war das Buendniss geschlossen, welches nach dem Gebrauche der Savanne jeden verpflichtete, gegebenen Falles selbst das Leben fuer die Sicherheit und das Wohlergehen der Andern zu lassen. Die beiden Weissen loesten die Lasso's, welche sie um ihre Hueften geschlungen trugen, ab und banden sie den Pferden so um Kopf und Maul, dass eine Art Zuegel entstand, mit dessen Hilfe man die Thiere besser regieren konnte, als mit dem blossen Schenkeldrucke. "Jetzt wieder zurueck an den Lagerplatz?" frug Bill Holmers. "Warum?" frug der Apache kurz. "Zu den Spuren der Komanchen." "Meine weissen Brueder werden nicht wieder zurueckkehren, sondern mir folgen." "Weiss Rimatta einen bessern Weg die Raeuber zu ereilen?" "Die Hunde der Komanchen werden folgen dem Thale des Flusses Rio Pecos, weil sie sonst nicht Wasser genug haben fuer so viele Pferde. Dieser Fluss aber laeuft in einem grossen Bogen, der beinahe ein Kreis ist, und wenn meine Brueder mir folgen wollen, so sollen sie bei den Komanchen sein viel eher als sie es denken." "Wir folgen!" erklaerte Holmers. Hierauf setzten sich die drei Reiter in Bewegung. Die beiden neuen Pferde machten den Ritt anfangs etwas schwierig; nach und nach aber richteten sie sich ein, und als der Abend herein dunkelte und man an ein Nachtlager denken musste, konnten sie angehobbelt* werden ohne alle Besorgniss, dass man sie verlieren wuerde. Hat das Pferd die Macht des Menschen einmal anerkannt, so bleibt es ihm auch fort ein treuer und gehorsamer Begleiter. Am andern Morgen wurde der Ritt sehr frueh schon fortgesetzt. Im Laufe des Vormittags kamen sie an den Lauf eines kleinen Fluesschens, welches sein Wasser in die Fluthen des Rio Pecos schickte. Sein Ufer bildete einen schmalen Savannenstreifen. Da, wo die Gebiete von Texas, Arizona und Neumexiko zusammenstossen, also an den Zufluessen des Rio grande del Norte, erheben sich die Berge der Sierren de los Organos, Rianca und Guadelupo und bilden ein Gebiet von wilden, wirr durcheinander laufenden Hoehenzuegen. Diese Zuege zeigen sich bald als riesige und nackte Bastionen, bald sind sie von dichtem dunklen Urwalde bestanden und werden hier durch tiefe, fast senkrecht abfallende Kanoes und dort durch sanft absteigende Thalrinnen getrennt, welche seit ihrer Entstehung von der Aussenwelt abgesondert zu sein scheinen. Und dennoch traegt der Wind Bluethenstaub und Samen ueber die hohen Zinnen und Grate, dass sich eine Vegetation entwickeln kann; dennoch klimmt der schwarze und der graue Baer an dem Felsen empor, um in die jenseits herrschende Einsamkeit hinabzusteigen; dennoch findet der wilde Bison hier einzelne Paesse, durch welche oder ueber welche er auf seinen Herbst- und Fruehjahrswanderungen in Heerden zu Tausenden von Exemplaren sich zu draengen vermag; dennoch tauchen hier bald weisse, bald kupferfarbige Gestalten auf, so wild wie die Gegend selbst, und wenn sie wieder abgezogen und verschwunden sind, weiss Niemand, was geschehen ist, denn die schroffen Steinriesen sind stumm, der Urwald schweigt, und noch kein Mensch hat die Sprache der Thiere zu verstehen gelernt. Hier herauf kommt der kuehne Jaeger, nur allein auf sich und seine Buechse angewiesen; hier herauf steigt der Fluechtling, welcher mit der Civilisation zerfallen ist, hier herauf schleicht sich der Indsman, der aller Welt den Krieg erklaert, weil alle Welt ihn * An den Fuessen gefesselt. vernichten will. Da taucht bald die Pelzmuetze eines kraeftigen Trappers, bald der breitrandige Sombrero* eines Mexikaners, bald der Haarschopf eines Wilden zwischen den Zweigen auf. Was wollen sie hier? Was treibt sie herauf in diese abgeschlossenen Hoehen? Es gibt nur eine Antwort: die Feindschaft gegen Mensch und Thier, der Kampf um ein Dasein, welches dieses Kampfes nicht immer werth zu nennen ist. Drunten auf der Ebene stossen die Jagdgruende der Apachen mit denen der Komanchen zusammen, an diesen Grenzen geschehen Heldenthaten, von denen keine Geschichte etwas meldet. Durch die Zusammenstoesse dieser reckenhaften Voelkerschaften wird mancher Einzelne oder mancher versprengte Trupp hinauf gedraengt in die Berge und hat dort von Fuss- zu Fussbreit mit dem Tode oder mit Gewalten zu kaempfen, deren Besiegung durch Menschenkraft eine Unmoeglichkeit zu sein scheint. Der Rio Pecos entspringt auf der Sierra Jumanes, haelt erst eine suedoestliche Richtung ein und wendet sich dann, in die Sierra Rianca tretend, gerade nach Sueden. Nahe am Austritte aus derselben schlaegt er nach West einen gewaltigen Bogen, den rechts und links Berge einfassen. Diese weichen zu beiden Seiten seiner Ufer doch so weit zurueck, dass hueben und drueben ein bald schmaler, bald breiterer Prairiestreifen Platz findet, der eine ueppig gruene Grasvegetation Zeigt, welche sich in dem von den Hoehen bis zu dem Fusse des Gebirges niedersteigenden Urwald verliert. So sind auch die meisten seiner Nebenfluesse beschaffen. Das ist ein hoechst gefaehrliches Terrain. Die Berge sind langgestreckt, so dass es nur selten eine Spalte oder eine Schlucht gibt, welche zur Seite fuehrt, und wer hier einem Feinde begegnet, der vermag nicht auszuweichen, wenn er nicht sein Pferd im Stiche lassen will, ohne welches er vielleicht doch auch verloren sein wuerde. Das Flussthal, in welches die Drei einritten, war ganz von der angegebenen Beschaffenheit; zu beiden Seiten des Wassers ein Prairiestreifen, an welchen der dichte dunkle Urwald grenzte. Rimatta eilte voran. Kaum war er in das Thal eingebogen, so stutzte er. "Uff!" Er sprang zur Erde und untersuchte das Gras. Auch sein kluges Thier senkte den Kopf zu Boden, als wolle es die Spuren betrachten, welche sein Herr bemerkt hatte. Natuerlich stiegen auch die beiden Weissen sofort ab und betrachteten die breite Faehrte, welche laengs des Flusses herab kam und in der Richtung nach dem Rio Pecos weiter fuehrte. "Zwoelf Reiter!" meinte Bill Holmers. "Bleichgesichter!" setzte der Indianer hinzu. "Kommt uns gelegen! Wohl eine Gesellschaft von Trappern oder Bueffeljaegern?" "Mein Bruder irrt!" "Ali! Wer sollte es sonst sein? Spazieren reitet Niemand in der Rianca." "Mein Bruder sehe diese Spur an!" Holmers bueckte sich zur Erde und betrachtete den Fusseindruck eines Pferdes. "Was ist damit?" frug er. "Dieses Pferd hatte einst einen kranken Fuss." "Das sieht man." "Der Huf hat geschworen und sich nach dieser Seite krumm gezogen." "Das kann vorkommen." "Der Haeuptling der Apachen kennt dieses Thier." "Ah! Wem gehoert es?" "Dem groessten Feinde der rothen Maenner. Seine weissen Brueder nennen ihn nicht anders als den Bowie-Pater." "Alle Teufel, der Pater hier! Ist es wirklich sein Pferd?" "Rimatta irrt sich nie," antwortete der Indianer in stolzem Tone. "So weiss man allerdings nicht, ob man Freude oder Sorge haben soll. Der Pater ist ein Satan, der sich niemals beurtheilen und berechnen laesst." "Was denkt unser rother Bruder?" frug Fred. "Rimatta fuerchtet nicht den Indianermoerder." "Wir fuerchten ihn auch nicht. Ist er ein Feind auch der Krieger der Apachen?" "Er ist ein Feind aller rothen Maenner. Er hat eine Perlenschnur bei sich, die gibt er seinen Gefangenen in die Hand, und wer dann nicht zu Eurer Jungfrau betet, den toedtet er mit seinem Bowiemesser. Die weissen Maenner nennen die Schnur ein Paternoster." "Muss ein fuerchterlicher Kerl sein, dieser Mensch," brummte Bill, "auf diese Weise Christen machen zu wollen! Und also Elf hat er bei sich? Wenn wir ihnen nicht willkommen sind, wird es einen Kampf geben. Vorwaerts, ihnen nach!" Eine Strecke weiter unten war der Bowie-Pater mit seinen Leuten ueber das Fluesschen gesetzt. Der Indianer that mit den beiden Weissen ganz dasselbe. Da wo das Thal in dasjenige des Rio Pecos muendete, harrte ihrer eine neue Ueberraschung. Laengs des Pecos fuehrte eine Faehrte, welche von dem linken nach dem rechten Ufer des Zuflusses uebersprang und sichtlich von einer sehr zahlreichen Reiterschaar herruehrte. Die drei Maenner stiegen abermals von den Pferden, um die Spuren genau betrachten zu koennen. Der Indianer war am schnellsten damit fertig. "Komanchen!" meinte er. "Das sind die, welche wir suchen. Wann sind sie hier voruebergekommen?" frug Bill Holmers. "Vor kaum einer halben Stunde," antwortete Fred. "Mein junger Bruder hat Recht," stimmte der Apache bei. "Die Halme, welche sie niedertraten, haben sich noch nicht wieder emporgerichtet." "Diese Leute reiten auf der Faehrte des Bowie-Paters. Sie werden ihn einholen und ueberfallen." "Sie werden so reiten, dass sie des Nachts bei ihm sind," sprach der Apache. "Das ist richtig; denn die rothen Krieger pflegen einen Ueberfall lieber des Nachts als am Tage vorzunehmen, selbst wenn sie eine bedeutende Ueberzahl haben." "Der Bowie-Pater," meinte Fred, "ist ihnen um einige Stunden voraus." "Sie werden ihn dennoch ereilen, denn die weissen Maenner sind langsam geritten, waehrend die Komanchen ihre Thiere schnell gehen lassen werden. Meine Brueder moegen hierher sehen. Hier haben die Komanchen Berathung gehalten, und von da an sind sie im Galopp geritten." Man sah an den Spuren, dass die Wilden einen Kreis gebildet hatten, und dann war die Erde von den Hufen der Pferde in einer Weise aufgerissen worden, dass sehr leicht zu schliessen war, dass sie den Weissen im vollen Laufe gefolgt seien. "Was thun wir?" frug Bill Holmers. "Es scheint unmoeglich ihnen zuvorzukommen, um die Weissen zu warnen. Was sagt mein rother Bruder dazu?" Der Indianer blickte finster vor sich nieder. "Das Bleichgesicht, welches sich Bowie-Pater nennt, ist ein Feind aller rothen Maenner, auch der Apachen, denn viele von ihnen sind von seiner Hand gefallen." "Aber heut ist der Pater ein Freund, ein Verbuendeter der Apachen, denn er wird mit ihren groessten Feinden, den Komanchen zu kaempfen haben." "Mein Bruder sagt die Wahrheit, und darum moechte Rimatta ihn warnen." "Aber wie? Gibt es keinen Weg, zwischen ihn und die Komanchen zu kommen?" "Hier nicht. Aber weiter unten geht ein Pass rechts in die Berge hinein, und wenn wir ihm folgen und im Galoppe reiten, so ist es moeglich, dann wieder links nach dem Flusse einzulenken und den Hunden der Komanchen zuvor zu kommen." "Wie weit haben wir von hier bis hinunter zu dem Passe?" "Eine Zeit, welche die Bleichgesichter, wenn sie schnell reiten, zwei Stunden nennen." "Dann vorwaerts. Unsere Pferde moegen ausgreifen!" Die drei Pferde fegten jetzt ueber den weichen Boden dahin, dass die aufgerissene Erde hinter ihnen emporflog. In der angegebenen Zeit erreichte man wirklich eine Stelle, wo sich die Berge oeffneten und eine Schlucht nach rechts hinein fuehrte. Rimatta hielt an und betrachtete die Spuren. "Wir sind den Komanchen sehr nahe gekommen." "Sie sind vor kaum zehn Minuten an dieser Stelle gewesen," meinte Fred. "Meine Brueder moegen mir jetzt in die Schlucht folgen!" Er wollte ihnen voran in dieselbe einbiegen, hielt aber ganz erstaunt inne. "Uff!" Bei diesem Worte der Ueberraschung riss er die Buechse empor und draengte zu gleicher Zeit sein Pferd hinter den Felsen, welcher die Ecke der Schlucht bildete, zurueck. "Was gibt es?" frug Bill, ebenfalls sofort nach seiner Buechse greifend. "Bleichgesichter!" * Deutsch: "Schattenmacher." "Ah! Wie viele?" "Zwoelf; an ihrer Spitze der Bowie-Pater." "Alle Teufel! Wie kommen die hieher in die Schlucht? Aber das werden sie uns ja sagen muessen, wenn wir sie jetzt darnach fragen." Er ritt mit Fred vor, und der Apache folgte ihnen, doch mit der Buechse in der Hand. Die zwoelf Weissen hielten in der Schlucht; es war ihnen anzusehen, dass sie durch das Erscheinen des Indianers in Ueberraschung und Besorgniss versetzt worden waren. "Good day, Ihr Maenner!" gruesste Bill. "Hollah, was thut Ihr hier?" "Good day, Master! Wollt Ihr uns nicht vorher sagen, was Ihr hier thut?" Der, welcher diese Worte sprach, war ein ungewoehnlich kleiner und schmaechtiger Mann, dessen von Sturm und Wetter gebraeuntes Gesicht nicht die mindeste Spur von Bart zeigte, gewiss eine ganz ausserordentliche Erscheinung hier in der Wildniss, wo es zum Rasiren weder das Werkzeug noch die Gelegenheit gab. "Was wir hier thun? Hm, wir suchen Euch!" "Uns?" frug der Andere erstaunt. "Ja, wenn Ihr naemlich Der seid, fuer den ich Euch halte." "Nun, fuer wen haltet Ihr mich?" "Fuer Den, welchen man den Bowie-Pater zu nennen pflegt." Der Kleine lachte selbstgefaellig, und zwar mit einer so hohen Stimme, dass sie mehr einem Weibe als einem Manne anzugehoeren schien. "Da seid Ihr ganz auf der richtigen Faehrte, Mann. Aber, warum sucht Ihr mich?" "Um Euch zu warnen." "Ah! Vor wem oder was?" "Vor den Komanchen, die hinter Euch her sind." "Hinter uns her? Mann, seht Ihr denn nicht, dass es gerade umgekehrt ist: wir sind hinter ihnen her." "Well, ich begreife das schon: Ihr seid einen Kreis geritten, um hinter sie zu kommen. Aber so habt Ihr also gewusst, dass sie Euch folgten?" "Haltet Ihr den Bowie-Pater fuer so dumm, dass er nicht sieht, wen er vor sich oder hinter sich hat?" "Aber einen Fehler habt Ihr dennoch gemacht." "Oho! Welchen?" "Dass Ihr Euch zu zeitig nach hinten gewendet habt. Es ist jetzt Mittag. Sie werden in kurzer Zeit hinter Euern Streich kommen und Euch zwischen zwei Feuer nehmen." "Was Ihr doch klug seid! In wie fern denn zwischen zwei Feuer?" "Sie werden sich theilen. Die eine Haelfte wird Euch durch die Berge folgen, und die andere Haelfte wird am Flusse umkehren um Euch zu erwarten." "Habt nicht so ganz Unrecht, Mann! Habe das, was Ihr mir sagt, aber ebenso gewusst und gerade mit Vorbedacht so gehandelt. Seht Ihr denn nicht ein, dass man mit siebzig Rothhaeuten eher fertig wird als mit hundertundfuenfzig?" "Ah! Ihr wollt wirklich mit ihnen kaempfen?" "Was anders?" "Zwoelf gegen siebzig!" "Ihr scheint zu den schmackhaften Kreaturen zu gehoeren, die man Hasen nennt." "Moeglich! Koennte Euch aber das Gegentheil beweisen! Ich habe mich schon sehr oft meiner Haut zu wehren gehabt, aber einen Angriff unternehme ich nur dann, wenn ich Gruende dafuer und auch die Ueberzeugung habe, dass ich nicht unterliege." "Ist bei mir ebenso, und gerade heut habe ich die Ueberzeugung, dass ich siege." "Zwoelf gegen zweimal Siebzig?" "Zwoelf Doppelbuechsen geben vierundzwanzig Todte, wenn man die Kerls ueberrascht; dann die Messer, Pistolen und Revolver, so werden von den rothen Hallunken nicht viele uebrig bleiben." "Was haben sie Euch gethan, dass Ihr solche Liebe zu ihnen habt?" "Was hat Euch der Floh gethan, dass Ihr ihn nicht leiden moegt? Ungeziefer! Aber Ihr wolltet uns ja warnen! Ihr habt also von uns gewusst?" "Eure Faehrte war ja deutlich genug!" "Aber wie erfuhrt Ihr, dass ich es war?" "Hier dieser rothe Master kennt die Spuren Eures Pferdes." Glaube es! Kennen uns ueberhaupt ein wenig, er und ich. Ist der einzige Indianer, den man achten moechte! Seid Ihr zufaellig hinter den Komanchen?" "Nein. Wir folgen ihnen, um ein Woertchen mit ihnen zu reden." "Heimlich oder laut?" "Wie es kommt." "Alle Teufel, drei gegen hundertfuenfzig! Und vorhin hattet Ihr Angst um mich! Dann seid Ihr ein sehr muthiger Hase. Wie ist Euer Name?" "Meine Freunde nennen mich Bill Holmers." "Bill Holmers, der Kentuckymann?" "Ja, wenn es Euch recht ist." "Das ist eine Ueberraschung! Habe viel von Euch gehoert und lange gewuenscht, einmal mit Euch zusammen zu treffen. Ihr sollt einen Begleiter haben, den die Indianer "Feuertod" nennen?" "Dieser ist es." Er deutete auf Fred, welcher schon waehrend der ganzen Unterhaltung bemerkt hatte, dass ihn der Kleine mit ausserordentlich forschenden Blicken betrachtete. "Dann willkommen Beide, und auch Du, Rimatta! Heute soll Waffenstillstand sein zwischen mir und Dir." Er reichte allen Dreien die Hand entgegen, welche auch von ihnen angenommen wurde. Was habt Ihr mit den Komanchen zu reden?" frug er dann weiter. "Wir gehoerten zu einer Truppe von Jaegern und Goldsuchern, die von ihnen ueberfallen und vollstaendig vernichtet wurde. Wir Beide allein entkamen, weil wir fortgegangen waren, um Fleisch zu machen. Nun wollen wir uns die Nuggets wieder holen, die sie uns abgenommen haben." "Dann passen wir zusammen. Wollt Ihr Euch uns anschliessen?" "Gern." "Und wer soll der Fuehrer sein?" "Du, denn Deine Truppe ist groesser als die unsrige." "Gut. Was aber sagt Rimatta dazu?" Der Indianer laechelte stolz, als er antwortete. "Rimatta ist der Haeuptling der Apachen; er gehorcht nur sich selbst. Aber er wird thun, was seine weissen Brueder wuenschen, wenn es gut und loeblich ist." "So sind wir also nun fuenfzehn Mann, das heisst, Einer gegen Zehn. Ihr werdet Alles wieder bekommen, was Euch die rothen Hallunken abgenommen haben." Rimatta schuettelte mit dem Kopfe. "Mein Bruder rechnet nicht richtig, und meine weissen Freunde werden nicht wieder bekommen, was sie verloren haben." "Wie so?" frug der Pater, sichtlich ueberrascht, dass ihm widersprochen wurde. "Es sind nicht hundert und noch fuenfzig Komanchen; es sind nur so viele Pferde. Es sind die Thiere dabei, welche meinen Bruedern gestohlen wurden und die also keinen Reiter tragen." "Das ist richtig; also besser fuer uns. Weshalb also sollten wir ihnen den Raub nicht abnehmen koennen?" "Du hast recht gesagt, dass die Komanchen sich theilen werden, sobald sie Deine List bemerken. Rimatta allerdings wuerde sich nicht so taeuschen lassen. Der eine Theil von ihnen wird Dir durch die Berge folgen, und der andere Theil wird Dich am Flusse erwarten. Das Gold aber und der ganze Raub ist ihnen im Kampfe hinderlich und kann dabei in Gefahr kommen; sie werden also diese Sachen einigen Leuten geben, welche Alles, ohne sich aufzuhalten, nach den Doerfern der Komanchen schaffen werden." "Fast scheint es, als ob diese Vermuthung ihre Richtigkeit habe, aber es ist nun nichts mehr zu aendern. Dennoch halte ich noch nichts fuer verloren. Wenn Eure Sachen auch wirklich in Sicherheit geschafft werden sollten, so wird es uns doch spaeter moeglich sein, die Faehrte aufzufinden und den Transportirenden zu folgen." "Und was beschliessest Du fuer jetzt?" "Ich bin bis hierher vorgedrungen, um zu sehen, ob die Komanchen bereits vorueber sind. jetzt kehren wir zurueck." "Auf Deiner eignen Spur?" "Faellt mir nicht ein! Wir schlagen uns hier seitwaerts in die Felsen. Der Ritt wird anstrengend sein, aber das muessen wir uns gefallen lassen. Ich habe mir bereits eine Stelle ausgewaehlt, welche gar nicht besser zu einem Angriffe passen kann." Er drehte sein Pferd um, die Andern folgten ihm. Der Weg fuehrte auf scharfem Gestein oder losem Geroell bald auf bald ab; die Pferde konnten ihn kaum ueberwinden. Sie mochten so beinahe eine Stunde geritten sein, als der Pater halten blieb und mit der Hand vorwaerts deutete. "Hier ist es. Wenn sie in diese Falle gehen, kann Keiner entkommen." Sie hielten auf einer hohen steilen Felsenwand, welcher eine zweite gleich hohe gegenueberIag. Zwischen beiden Waenden zog sich eine tiefe Thalschlucht dahin, an deren Ein- und Ausgange die Felsen so nahe zusammentraten, dass kaum zwei Reiter neben einander zu passiren vermochten. Zu Pferde waren die Waende nicht zu ersteigen, und das Thal bildete wirklich eine Falle, welche es wenig Maennern moeglich machte, eine ganze Truppe zu vernichten. Der Pater las mit Genugthuung die Anerkennung seines Scharfsinns aus den Blicken Freds und Bills; nur der Apache musterte das Terrain mit sehr gleichgiltiger Miene. "Ausgezeichnet!" rief Holmers. "Hier kann wirklich Keiner entkommen." "So wollen wir unsere Vorbereitungen schleunigst treffen, denn wir koennen die Ankunft der Rothen nun bald erwarten," bemerkte der Bowie-Pater. "Wie vertheilen wir uns?" "Zunaechst werden die Pferde angehobbelt, aber fest und so eng wie moeglich. Dann gehen Drei nach links zum Eingange und Drei nach rechts zum Ausgange der Schlucht. Die andern Neun postiren sich in gewissen Zwischenraeumen hier in der Mitte, und es muesste mit dem Teufel zugehen, wenn wir sie nicht Alle bekaemen."