Scepter und Hammer. Originalroman von Carl May. Erstes Kapitel. Die Zigeunerin. Auf der breiten Chaussee, welche durch das Dorf nach der Residenz fuehrte, schritt ein junger Mann dahin. Er mochte kaum mehr als zweiundzwanzig Jahre zaehlen, obgleich ueber seinem ganzen Wesen der Ausdruck des Charaktervollen, des innerlich und aeusserlich Vollendeten lag. Seine hohe, kraeftige Gestalt, die elegante Sicherheit seiner Bewegungen, die maennlich schoenen Zuege seines von der Roethe der Gesundheit ueberhauchten Angesichtes konnten gewiss nur einen angenehmen Eindruck hervorbringen, und selbst das kleine, wohlgepflegte Baertchen, welches seine vollen Lippen beschattete und in jedem anderen Antlitze stutzerhaft erschienen waere, schien hier zur Gesammtwirkung unbedingt nothwendig zu sein. Er trug einen feinen, gewiss von einem besseren Tailleur gefertigten Promenadenanzug, und der goldene Zwicker, welcher den Blick seines Auges verschaerfte, hatte seinen Sitz sicher nicht durch die schaedliche Mode erhalten, durch das Tragen von Augenglaesern ein vornehmes oder gelehrtes Aussehen zu gewinnen. Zu beiden Seiten reihte sich, hinter schattigen Vorgaerten halb verborgen oder anspruchsvoll bis an die Strasse tretend, Villa an Villa. Zwischen zweien derselben lag, frappant von ihrer Architektonik abstossend, ein kleines einstoeckiges, schwarz geraeuchertes Haeuschen, durch den hohen Schornstein, das ueber der Thuer angebrachte Wetterdach und mehrere umherliegende, der Reparatur harrende Geraethschaften deutlich als Schmiede bezeichnet. Vor derselben hielt in diesem Augenblicke ein leichter Wagen. Es fehlte ihm der Kutscherbock; er musste also wohl aus dem Fond gelenkt werden, und dies war heut jedenfalls nicht ganz fehlerlos geschehen, denn es zeigte sich die hintere Achse zerbrochen, und ein reich gallonirter Diener stand zu Haeupten des dampfenden Gespannes, aeusserst bemueht, dasselbe zu beruhigen. Die Insassen waren ausgestiegen. Es war nur ein Herr und eine Dame. Der Erstere trug Generalsuniform, obgleich er kaum das fuenfundzwanzigste Jahr zurueckgelegt haben konnte. Er hatte jenes Exterieur an sich, welches man sich nur in den hoeheren Kreisen anzueignen vermag, und schon der erste Blick auf ihn liess erkennen, dass Stolz und Hochmuth bei ihm zu einer bedeutenden Entwicklung gelangt seien. Die Dame trug sich ganz nach dem Schnitte der grande mode; sie zaehlte vielleicht siebzehn, zeigte aber die sichere Tournure hoeherer Jahre. Ihre noch kindlichen, weichen und sympathischen Zuege liessen errathen, dass die liebliche Knospe sich in wenig Zeit zu einer Rose von vollendeter Schoenheit entfalten werde, zu einer Rose, nach welcher wohl nicht Jeder wagen durfte die begehrende Hand auszustrecken. Ihre Wangen waren jetzt bleich, jedenfalls eine Folge des gehabten Schreckes; in ihrem grossen, blauen Auge schimmerte es noch aengstlich feucht, aber ihre goldene Stimme klang mild und ruhig: "Keine Sorge, Durchlaucht! Ich wusste mich mitten in der Gefahr unter dem starken Schutze eines Ritters, dessen ausgezeichneter Rang ja schon genuegt, das hoechste Vertrauen zu beanspruchen." Der General verbeugte sich dankend, aber sein Blick ruht unklar und forschend auf ihrem Angesichte. War es Wahrheit, was sie sagte, oder hatte sie sich trotz ihrer Jugend schon jene feine Schaerfe angeeignet, welcher es leicht wird, den Verweis nur fuer die Ahnung auszusprechen? Sie sah ihm so offen in das vornehm blasirte Gesicht, und doch spielte ein Laecheln um ihren kleinen Mund, welches er fast geneigt war ironisch oder gar sarkastisch zu nennen. Er entschloss sich zu einer weiteren Vertheidigung: "Ein aechter Ritter, auf sich selbst angewiesen, wird stets ohne Furcht und Tadel sein; hat er aber mit den Eigenschaften unvernuenftiger und schlecht erzogener Wesen, wie diese beiden Rappen sind, zu rechnen, so kann er allerdings in die hoechst fatale Lage kommen, auf Verzeihung rechnen zu muessen." "Excellenz haben jedenfalls ein kompetenteres Urtheil als mein Stallmeister, welcher allerdings behauptet, dass die Rappen eine ausgezeichnete Schule besitzen. Jedenfalls fuerchtete er dieses Urtheil, als er bat, einen anderen Wagen zu nehmen und ihm die Fuehrung desselben zu ueberlassen. Uebrigens war das Intermezzo mehr amuesant als gefaehrlich, und selbst die Fatalitaet, den Schmied nicht anwesend zu finden, hat die angenehme Folge, mich auf eine verlaengerte Frist auf die Dienste meines edlen Ritters angewiesen zu sehen." Wieder hatte sein Auge jenen forschenden, beinahe stechenden Blick wie vorhin. Hatten ihre Worte vielleicht den Zweck, ihm die Ueberlegenheit eines Stallmeisters begreiflich zu machen? Dann war das zarte Frauengebild vor ihm allerdings mehr erwachsen und gereift, als er angenommen hatte. Seine aeussern Augenwinkel zeigten einige leichte Faeltchen, als er fortfuhr: "Koennten diese Dienste doch von ewiger Dauer sein, meine gnaedige Prinzess! Aber man wird in Angst um Euer Hoheit sein. Ich muss den Wagen hier zuruecklassen und einen anderen requiriren." Er wandte sich an die Frau des abwesenden Schmiedes, welche, Auskunft ertheilend, bisher unter dem Eingange gestanden hatte. "Also der Meister kommt erst am Abende zurueck?" "Ja." "Und Sie haben Niemand, der die sofortige Reparatur ausfuehren koennte?" "Nein. Der Lehrjunge, welcher beim Naegelschlagen ist, bringt das nicht fertig." "So giebt es vielleicht in der Naehe einen anstaendigen Wagen, den man sich leihen kann?" "Allerdings. Aber - Gruess Gott, Herr Doktor!" unterbrach sie sich. "Praechtiges Wetter zum Spazieren. Nicht?" Diese Worte waren an den mittlerweile herangekommenen Fussgaenger gerichtet, welcher im Begriffe gestanden hatte, gruessend vorueberzuschreiten, jetzt aber, den Hut ziehend, naeher trat. Die Frau streckte ihm halb vertraulich, halb respektvoll die Hand entgegen. "Der Herr Pathe wollte wohl gar voruebergehen?" "Um nicht zu stoeren." "Stoeren? Es findet ja das gerade Gegentheil statt! Diese Herrschaften haben die Achse zerbrochen; mein Mann ist nicht da, und drueben der Sommergast, der Englaender, borgt seinen Wagen keinem Menschen als nur dem Herrn Doktor. Da koennte der Herr Pathe helfen, wenn er so gut sein wollte." "Mein Freund, Lord Halingbrook, ist leider nach der Stadt gefahren; er begegnete mir, und in der Naehe wird es einen Wagen weiter nicht zur Verfuegung geben. Doch wenn Herzogliche Hoheit" - er verbeugte sich hoeflich aber gemessen vor dem Generale - "gestatten, werde ich Dero Wagen in kurzer Zeit gebrauchsfaehig herstellen. Hat der Herd Feuer?" "Ja; der Junge braucht es zum Naegelmachen." "So mach die Frau Pathe es den Herrschaften bequem. Ich werde sofort an die Arbeit gehen." Er trat an die Schmiede, zog den Gehrock aus, streifte die Aermel empor und band sich das dort haengende Schurzfell des Meisters vor. Nachdem das Feuer gehoerig angefacht war, untersuchte er den schadhaften Theil des Wagens. "In einer halben Stunde werden Durchlaucht fahren koennen," lautete seine Entscheidung. Beide, sowohl der General als auch die Dame, hatten den Vorgang mit sichtlicher Verwunderung verfolgt. War dieser so distinguirt aussehende Mann, welcher den Doktortitel fuehrte, wirklich im Stande, eine zerbrochene Wagenachse zu repariren? Die Schmiedin hatte ihn Pathe genannt; er konnte also von keinem ungewoehnlichen Herkommen sein, und doch war er Freund des Lord Halingbrook, eines stolzen, exklusiven Englaenders, welcher als Gesandter seiner Koenigin Zutritt beim Hofe hatte. Das war ein Raethsel, fuer welches sich besonders die Dame zu interessiren schien. Sie beobachtete jede seiner Bewegungen mit Aufmerksamkeit und machte dabei die Bemerkung, dass er eine ungewoehnliche Koerperstaerke besitzen muesse. Die Pferde waren im Nu aus gespannt, und dann hantirte, hob und schob er an dem Wagen, als ob er ein leichtes Kinderspielzeug in den Haenden habe. Dann ertoenten aus der Schmiede maechtige Hammerschlaege, so dass die Funken durch den Eingang auf die Strasse stoben. Die Schmiedefrau hatte ein Tischchen mit zwei Stuehlen, auf welchen die Herrschaften Platz nahmen, vor das Haus gesetzt. "Wie nennt sich der Herr, welcher sonderbarer Weise Arzt und Schmied zu gleicher Zeit ist?" frug die Dame. "Arzt? Nein, das ist er nicht, sondern Doktor der Jurisprudenz," antwortete die Gefragte mit sichtlichem Stolze. "In seinem Alter? Welche Stellung bekleidet er?" "Keine; er hat das nicht nothwendig und sagt, es hindere ihn am Weiterlernen. Er ist der Sohn vom Hofschmied Brandauer; ich habe mit dem Koenig und dem Lord Halingbrook Pathe bei ihm gestanden." "Ah, die gewoehnliche Bettelei durch Gevatterbrief, der man leider so oft ausgesetzt ist!" dehnte der General geringschaetzig. Das Gesicht der Schmiedefrau roethete sich ein wenig. "Darf ich fragen, wer der Herr Offizier ist?" "Ich bin der Prinz von Raumburg und General. Diese Dame ist die Prinzess Asta von Suederland, koenigliche Hoheit." Er schien mit dieser Vorstellung einen dominirenden Eindruck beabsichtigt zu haben, hatte sich aber geirrt, denn die Frau erschrak nicht im mindesten, sondern wandte sich mit einer allerdings freudig ueberraschten Miene an die Prinzessin. "Das ist schoen, Hoheit, dass ich Sie einmal sehe! Der Herr Pathe hat uns immer sehr viel Gutes und Loebliches von Ihnen und Ihrem Herrn Vater, dem Koenig, erzaehlt. Er hat ein gar scharfes Auge fuer die Politik und waere wohl auch als Offizier an seinem Platze. Die Majestaet verkehrt sehr viel in der Hofschmiede und hat immer verlangt, dass er Dienst nehmen soll; aber er hat niemals gewollt." "So kennt er mich?" "Nein; er hat Sie noch nie gesehen; aber den Herrn General hier kennt er." "So hat er auch von mir gesprochen?" frug dieser mit beinahe wegwerfender Belustigung. "Sehr oft!" "Doch auch nur Gutes und Loebliches, wie ich wohl erwarten darf?" Sie zoegerte einen Augenblick; dann antwortete sie: "Ja, Gutes, denn er hat erzaehlt, dass der Herzog von Raumburg, Ihr Vater, einst unser Koenig wird, wenn der jetzige stirbt, der keine Kinder hat. Aber sagen muss ich Ihnen doch, dass die Gevatterschaft damals keine Bettelei war. Der Koenig und der Lord haben sich ja beide selbst angeboten, und der Hofschmied hat gehorchen muessen; aber darauf hat er bestanden, dass ich dabei sein muesse, und das ist den hohen Herren auch ganz recht gewesen. Unsere Majestaet ist eben ein sehr lieber Herr, der nur das Beste seiner Unterthanen will und Alle seine Kinder nennt. Gott gebe es, dass es spaeter nicht anders wird.!" Der General schien zu einem scharfen Worte bereit, hielt es aber zurueck, da eine fremdartige Erscheinung sich der Schmiede naeherte und die Anwesenden gruesste. Es war eine alte Frau. Sie ging vollstaendig barfuss, trug einen einzigen Rock von grellrother Farbe, um die Schultern einen gelben, arg beschmutzten Ueberwurf und hatte ein blaues Tuch turbanartig um den Kopf geschlungen. Ihr Teint war tiefbraun; zahlreiche Runzeln durchfurchten ihr Gesicht, in welchem eine scharfe Nase ueber einem spitzen Kinne thronte, und ihre Gestalt lag gebeugt auf dem Stocke, auf den sie die beiden Haende stuetzte. Als Nordlaenderin haette man sie ueber sechzig Jahre alt schaetzen muessen; aber sie war augenscheinlich eine Zigeunerin, und da Frauen dieses Stammes sehr schnell altern, so war es sehr wahrscheinlich, dass sie diese Hoehe noch nicht erreicht hatte. Sie zeigte bei dem Anblicke des Offiziers nicht die mindeste Verlegenheit. Ihn und die Anderen mit scharfem Auge musternd, gruesste sie mit einer beinahe stolzen Handbewegung und frug: "Hat der goldige Herr eine kleine Gabe uebrig fuer Zarba, die Zigeunerin?" Er warf hoechst indignirt den Kopf zurueck. "Geh! Ihr und das Betteln seid im Land verboten." Sie trat ihm um einen Schritt naeher und bohrte den scharfen Blick ihres grossen, dunklen Auges forschend in sein Gesicht. "Wie? Der Herr Offizier heisst mich gehen? Gab es nicht eine Zeit, in welcher Zarba, die Vajdzina ihres Stammes, selbst Fuersten willkommen war? Ich kenne Dein Gesicht und Deine kalten Augen, denen nur der Stolz und Hochmuth ein Leben gibt. Du bist der Sohn eines Herzogs und trachtest nach Scepter und Krone. Aber Du hast die Zingaritta von Dir gewiesen, und so wird Dein Aufgang sein wie der Tritt des Elephanten, der Alles zermalmt, Dein Ende aber wie der Tod des Wildes, das im finstern Dickicht stirbt, einsam, verlassen und vom Blute triefend!" Sie hatte sich gerade emporgerichtet, so hoch ihre Gestalt es erlaubte. Die Rechte auf den Stock gestuetzt, hielt sie die Linke wie beschwoerend in die Hoehe. Ihre Augen leuchteten, die Falten ihres Gesichtes hatten sich geglaettet, und ihre Worte drangen zischend durch die elfenbeinernen Zaehne, welche zwischen den duennen, zusammengeschrumpften Lippen hervorglaenzten. Bei all ihrer jetzigen Haesslichkeit liess sich vermuthen, dass sie frueher wohl ein schoenes Maedchen gewesen sei. Der Prinz war aufgesprungen. Auch sein Auge blitzte. Von Wuth uebermannt ergriff er sie beim Arme. "Weib, Hexe, soll ich Dich zermalmen?" Auch die Prinzessin hatte sich erhoben. Ihr milder, verwunderter Blick traf sein Auge. Er nahm die Hand von der Zigeunerin und wandte sich zur Schmiedin. "Schicken Sie sofort Ihren Lehrling nach der Polizei. Diese Landstreicherin wird arretirt!" In diesem Augenblicke trat Doktor Brandauer aus der Schmiede, den grossen Zuschlagehammer in der Hand. Die Zigeunerin sah ihn; ihr Auge schien dreifache Schaerfe zu gewinnen, und ueber ihr erregtes Gesicht glitt ein Zug der Ueberraschung. Mit zwei raschen Schritten stand sie vor ihm. "Du bist Max, der Sohn aus der Hofschmiede?" "Ja," antwortete er verwundert. "Ich bin Zarba, die Zingaritta." "Zarba? Ists moeglich!" rief er, waehrend die freudigste Ueberraschung sein offenes Gesicht erhellte. "Endlich, endlich wird unser groesster Wunsch erfuellt. Du musst mit zum Vater!" "Zarba darf Dir nicht folgen." "Warum nicht?" "Sie soll arretirt werden." "Warum?" "Weil sie den hohen Herrn in die Zukunft blicken liess." "Der Herr General wird Dich nicht arretiren lassen. Du gehst mit mir!" Diese Worte wurden mit einer Bestimmtheit gesprochen, von welcher sich der Prinz beleidigt fuehlte. "Oho!" meinte er. "Ich habe die Arretur befohlen und werde mir Gehorsam zu verschaffen wissen!" Den schweren, eisernen Hammer wie federleicht in der Hand schwingend, blickte ihm Brandauer laechelnd in das Angesicht. "Durchlaucht, ich bitte unterthaenigst, diese Frau freizugeben." "Ich habe keine Veranlassung, meinen Befehl zurueckzunehmen." "Und ich erbat aus Hoeflichkeit, was ich nicht zu erbitten brauchte. Es hat hier Niemand Veranlassung, Ihren Befehlen Gehorsam zu leisten. Wir gehoeren weder zur Polizei noch zu Ihrer Dienerschaft, und Zarba steht unter meinem ganz besonderen Schutze. Wollen Sie mich zwingen, sie Ihnen zu entziehen, ohne die Reparatur vollendet zu haben?" "Wir werden uns eines anderen Wagens bedienen!" Da trat die Prinzessin zu dem Doktor. "Herr Doktor, vollenden Sie das Begonnene. Asta von Suederland bittet Sie darum!" Ein Blitz seines Auges leuchtete an ihr empor. "Koenigliche Hoheit, dieser Wunsch ist mir allerdings Befehl. Ich lasse mich von keinem Herrscher kommandiren; aus solchem Munde aber genuegt ein Wort, mich zu willfaehrigsten Ihrer Diener zu machen. Zarba, geh in die Stube, und warte, bis ich fertig bin!" Sie schuettelte langsam das Haupt und sah ihn mit einem Blicke an, welcher eigenthuemlich zwischen Liebe und Demuth glaenzte. "Das Volk der Brinjaaren und Lampadaaren hat Indien verlassen, weil Bhowannie, die Goettin, es ihm gebot. Es irrt im fremden Lande und hat weder Ruhe noch Rast, bis der Wunderbaum gefunden ist, an welchem es sich versammelt, um die Erde zu beherrschen. Zarba ist eine Tochter ihres Stammes; sie darf nicht ruhen, wenn der Geist sie treibt. Sie muss gehen; aber Du wirst sie wiedersehen, noch ehe die Sonne dreimal untergegangen ist. Gieb mir Deine Hand!" Sie nahm seine Linke, warf aber kaum einen kurzen Blick in dieselbe. Ihr Auge suchte das Weite und haftete dort mit einem Ausdrucke, als thaeten sich ihm die Pforten der Zukunft auf, um ihn die Gestalten spaeterer Zeiten schauen zu lassen. Dann sah sie ihm fest in das erwartungsvoll laechelnde Angesicht. "Der Geist ist allwissend, aber das Auge des Menschen ist schwach; doch wenn der Geist es staerkt, dann werden vor ihm Dinge offenbar, die es sonst nicht zu erblicken vermag. Du wirst nicht glauben, was Dir Zarba sagt, und dennoch wird es sich erfuellen. Deine Hand ist stark, den Hammer zu schwingen; sie bedarf dieser Staerke, um spaeter das Scepter zu halten. Scepter und Hammer wird die Losung Deines Lebens sein. Du wirst Liebe saeen und Feindschaft ernten; aber Deine Faust wird wie ein Hammer auf die Haeupter Deiner Feinde fallen und ihnen die Kronen entreissen, die sie Dir zu rauben trachteten. Ich sehe Dich mit hochgeschwungener Keule mitten unter ihnen; ich sehe sie stuerzen und sterben oder um Gnade flehen; ich sehe Dich hoch ueber ihnen, und an Deiner Seite -" Sie hielt wie unter dem Eindrucke eines unerwarteten Gesichtes ploetzlich inne und ergriff dann mit einer schnellen Bewegung die Hand der Prinzessin, welche in der Naehe stehen geblieben war. Dann fuhr sie in dem vorigen Tone fort: "Ich sehe Dich hoch ueber ihnen, und an Deiner Seite den Engel Deines Lebens, den Du gefunden hast, als Du den Hammer hieltest, und der Dir treu bleibt, auch wenn Du das Scepter traegst. Glaube es Zarba nicht, aber sage ihr spaeter, dass sie Dir die Wahrheit verkuendete!" Sie gab die beiden Haende frei, wandte sich um, und war mit groesserer Schnelligkeit, als man ihr zugetraut haette, auf dem schmalen Pfade, welcher zwischen der Schmiede und der naechsten Villa in das Freie fuehrte, verschwunden. - Zweites Kapitel. Belauscht. Es war am Abende desselben Tages. Max Brandauer sass in dem Zimmer der Hofschmiede, welches ihm die Eltern als Studirstube ueberwiesen hatten, und versuchte, seine Gedanken auf die Lektuere einer militaerwissenschaftlichen Abhandlung zu konzentriren. Es gelang ihm nicht, denn immer kehrten dieselben zu der heutigen Begegnung zurueck. Zunaechst fesselte die Erscheinung der Zigeunerin seine Aufmerksamkeit. An ihren Namen knuepften sich Thatsachen und Erinnerungen, welche auf die ersten Tage seiner Kindheit, seines Lebens zurueckfuehrten. Er hatte sie als fuenfjaehriger Knabe ein einziges Mal gesehen; damals hatte sie in der Zeit des Nachsommers gestanden und eine immerhin noch anziehende Persoenlichkeit gebildet. Sie war ploetzlich verschwunden, ebenso schnell und unerwartet, wie sie gekommen war. Dann hatten die Eltern ihrer geharrt eine ganze Reihe von Jahren, und nun heut war sie wieder erschienen, ob nur fuer den einen Augenblick, ob fuer laengere Zeit, ob aus oberflaechlichen, gewoehnlichen Gruenden oder zur Loesung der Raethsel, die mit ihrem frueheren Auftreten verbunden waren - wer konnte das wissen? Er hatte den Eltern von der Begegnung erzaehlt und von der Mutter einen linden Verweis erhalten, dass er sie wieder aus den Augen gelassen hatte. Der Vater aber war ruhig geblieben in der festen Ueberzeugung: "Sie kommt sicher, wenn sie es wirklich gewesen ist!" Neben der verfallenen Gestalt der alten Wahrsagerin hob sich vor seinem geistigen Auge die Erscheinung der Prinzessin wie ein lichtes, glanzvolles Phaenomen ab, dessen Strahlen unter den Lidern hindurch bis hinab in die tiefste Seele dringen. Er hatte die suessen, beglueckenden Regungen der Liebe noch nie empfunden; es entging ihm also der Massstab fuer die wunderbare Stimmung, in welche er sich seit heute versetzt fuehlte, und er liess, halb sinnend, halb traeumend, mehr noch aber empfindend, die Erinnerung an das eigenthuemliche Erlebniss ungestoert auf sich einwirken. Drunten in der Werkstatt waren die Hammerschlaege laengst verhallt, und nach dem eingenommenen Abendbrode sassen die drei Gesellen vor der Thuer, um ueber Dieses und Jenes zu sprechen und ihre Pfeife dabei zu schmauchen. Unweit von ihnen hockten die zwei Lehrjungen auf umgestuerzten Wagenraedern, in der loeblichen Absicht, von dieser Unterhaltung so viel wie moeglich wegzuschnappen und dabei den Geruch des Kanasters zu geniessen, der eine feinere Nase allerdings nicht in Entzuecken versetzt haette. "Ja," meinte Thomas, der Obergeselle, "der junge Herr ist nun wieder da, und nun giept es zuweilen doch eine Plaisir, pei der man mitmachen darf. Alle Tage eine Fechtuebung mit Rappier, Floret, Hieper und Stossdegen, am Apend eine Wasserfahrt oder sonst ein Ausgang, pei dem der Thomas nicht fehlen darf. Das pringt ausser dem Vergnuegen ein Glas Pier, eine Putterpemme mit Schinken oder - -" "Oder ein Glas Doppelwachholder mit Ambalema," fiel ihm der Zweite in die Rede. "Ja, das ist am Den!" stimmte der Dritte bei. Die drei Gesellen waren naemlich durchweg Originale. Alle drei hatten gedient, Thomas bei der Reiterei, Baldrian bei den Grenadieren und Heinrich bei der Artillerie; Jeder von ihnen hatte es zum Unteroffizier gebracht und hielt seine Waffe fuer die vorzueglichste. Sie waren unverheiratet und fest entschlossen, ihre jetzige gute Stellung so lang wie moeglich beizubehalten, obgleich Jeder ohne Wissen des Anderen im tiefsten Winkel seines Herzens ein Ideal beherbergte, welches die groesste Aehnlichkeit mit einer behaebigen Frauengestalt hatte. Thomas naemlich hielt gar grosse Stuecke auf die Wittfrau Barbara Seidenmueller, Baldrian traeumte sehr oft von der allerliebsten, jungen Wittfrau und Kartoffelhaendlerin Barbara Seidenmueller, und Heinrich trank seinen Abendschoppen am liebsten bei der ehr- und tugendsamen Wittfrau, Kartoffelhaendlerin und Gasthofsbesitzerin Barbara Seidenmueller. Dabei hatte Jeder von ihnen, wie man zu sagen pflegt, seine kleine Neunundneunzig. Thomas Schubert, der Kavallerist, hatte es in seinem ganzen Leben niemals fertig gebracht, ein B auszusprechen, so dass sein eigener Name in seinem Munde nicht anders als Schupert klang. Baldrian, der Grenadier, war hoechst schweigsam und betheiligte sich an den gewoehnlichen Gespraechen meist nur mit den Worten: "Ja, das ist an Dem," oder "das ist nicht an Dem," verwechselte dabei aber regelmaessig den Casus und brachte daher stets ein "am Den" zum Vorscheine. Heinrich, der Artillerist, war der Quaelgeist der beiden anderen; er hatte stets einen Widerspruch oder eine Ironie bei der Hand und besass dabei die Eigenthuemlichkeit, Alles in hundertfacher Groesse darzustellen oder, wie man es gewoehnlich nennt, ganz gewaltig aufzuschneiden, ohne dass man dabei das Recht gehabt haette, an seiner Biederkeit zu zweifeln. Thomas schien die Unterbrechung seiner Rede nicht belobigen zu wollen; er stiess heftig einen Mund voll Rauch in die Luft und meinte: "Haltet den Schnapel, Ihr Kerls! Was geht Euch mein Doppelwachholder an oder gar meine Lieplingscigarre? Ampalema ist nun einmal das beste Deckplatt, was es giept, das ist nicht apzustreiten. Hapamos, Capalleros, Londres, Patavia, Puros, Alles, Alles ist nichts gegen die aechte Ampalema. Der Herr Meister raucht nur solche, und da ist es unsere Schuldigkeit, ganz dasselpe auch zu thun. Ueprigens hapt Ihr mich nicht irre zu machen, wenn ich vom jungen Herrn erzaehle. Heut Apend soll ich ein Stueck den Fluss hinaprudern, und Ihr koennt es gar nicht glaupen, wie gern ich das thue. Da liegt er still im Kahne, hat die Augen zu und sagt kein Wort; aper ich weiss, dass er gerade da am meisten sinnt und studirt. Und wenn wir dann zurueckkommen und er gipt mir die Hand und sagt: "Heut war's wieder schoen; Hap Dank, mein lieper Thomas!" so koennte ich ihn umarmen, wenn er dazu nicht gar zu gelehrt und vornehm waere. Er hat so etwas an sich, was ich nicht pei dem rechten Namen nennen kann, was einem das Herz raupt und doch gewaltig in Respekt versetzt. Ich hape einmal ein Theaterstueck gesehen, das hiess "der verwischte Prinz," und -" "Der verwunschene Prinz," wagte hier Fritz, der eine Lehrjunge, zu verbessern. "Still, Gruenschnapel! Wenn der Opergesell spricht, so hapen die Gesellen zu schweigen und die Lehrpupen also erst recht! Op ein Prinz verwischt ist oder verwunschen, das pleipt sich ganz egal! Also in dem Stuecke kommt ein Prinz vor, der ein Schuster ist, und wenn ich den jungen Herrn sehe, so -" "So kommt es Dir allemal vor, als ob er der Schuster sei und Du der Prinz," unterbrach ihn Heinrich. "Du sollst mich nicht in meiner schoensten Rede unterprechen; ich weiss sonst zuletzt gar nicht mehr, wo ich wieder anzufangen hape!" "Ja, das ist am Den!" meinte Baldrian. "Also, dieser Prinz, der ein Schuster war -" "Thomas!" rief in diesem Augenblicke Max durch das geoeffnete Fenster herab. Der alte Unteroffizier erhob sich in kerzengerade Stellung. "Zu Pefehl, Herr Doktor!" "Bist Du fertig?" "Allemal!" Er strich das Haar glatt, schob die Muetze zurecht und knuepfte den Rock zu. Dann reichte er dem Lehrjungen die Pfeife hin. "Da Fritz; trage sie hinauf in meine Kammer, weisst's schon, an welchen Nagel! Im Herrendienst ist das Tapakrauchen ordonnanzwidrig." Nach einigen Minuten kam der Doktor herab. "Wir gehen durch den Garten, Thomas; wir kommen da naeher." In sechs Schritten Entfernung folgte ihm der Geselle. Als sie geraeuschlos ueber den weichen Rasenplatz schritten, gewahrte der Letztere in einer Ecke des Gartens die beiden Lehrlinge, welche sich niedergelassen hatten und behaglich einer um den anderen an seiner Pfeife sogen. Ein durch den Rauch hervorgebrachtes Husten hatte sie verrathen. "Herr Doktor!" "Was?" "Erlaupen Sie mir eine Seitenschwenkung! Dort sitzen die peiden Hallunken und peissen mir die Pfeifenspitze entzwei." Er schlich sich naeher und hatte bald die beiden Missethaeter bei den Haaren. "Was macht Ihr da mit meiner Pfeife, Ihr Schlingels! Ist das hier etwa meine Kammer, he? Da und da, hapt Ihr eine Ohrfeige als Apschlagsgeld; die Hauptsumme kommt nach, wenn ich wieder zu Hause pin. Jetzt hape ich keine Zeit, denn zu so etwas gehoert die richtige Muse und Gemuethlichkeit!" Er steckte die Pfeife zu sich und eilte dem Doktor nach. Dieser hatte bereits den Fluss erreicht, welcher in der Naehe des Gartens vorueberfloss. Am Ufer hing eine Gondel, welche dem Schmied gehoerte. Sie stiegen ein und stiessen ab. Die Fahrt ging stromabwaerts. Thomas brauchte nicht zu rudern, und Max sass am Steuer, um den Kahn treiben zu lassen. Das Dunkel des Abends senkte sich nieder, und am Firmamente traten Tausende von Sternen hervor, welche die sich zur Ruhe ruestende Erde mit magischem Lichte bestrahlten. Sie fuhren am Palaste des Herzogs von Raumburg vorueber und erreichten dann das Palais, welches zur Aufnahme hoher Gaeste erbaut war. Gegenwaertig bewohnte es der Erbprinz von Suederland, dem benachbarten Koenigreiche, mit Gemahlin und Schwester, welche die Residenz mit einem Besuche beehrten, dem man eine geheime, diplomatische Mission unterschob. Das prachtvolle Gebaeude lag etwas vom Ufer zurueck in einem Garten, welcher an den Fluss stiess und sich laengs desselben zu einem wohlgepflegten Parke verbreiterte. Ein kleiner Landeplatz lag dem Gartenthor gegenueber; Max legte eine Strecke oberhalb desselben an. "Bleib hier halten, Thomas, bis ich wiederkomme!" "Der Zutritt ist hier verpoten, Herr Doktor!" "Ich weiss es." Trotz dieser Antwort aber stieg er aus und stand nach einem raschen Sprunge ueber das eiserne Staket hinweg im Garten. Es trieb ihn keine bestimmte Absicht an diesen Ort, und waere er gefragt worden, so haette er ueber sein Thun nicht die mindeste Rechenschaft zu geben vermocht. Das Menschenherz ist der unbegreiflichste Motor unserer Handlungen und vertraegt keine Kontrole, als nur die eigene. Er naeherte sich dem Hause, von welchem nur wenige Fenster erleuchtet waren. Er beobachtete eines nach dem andern, doch kein Schatten wollte ihm die Anwesenheit Derjenigen zeigen, deren Bild ihn magnetisch herbeigezogen hatte. Da liessen sich Schritte im Kiese des Ganges vernehmen; er trat hinter ein Bosket. Zwei Damen nahten, in eifriges Gespraech vertieft. Sie waren Beide hell gekleidet, und ihre Gestalten hoben sich von dem dunklen Grunde des Gartens ab. "So lass uns gegen diese Politik konspiriren, meine gute Asta," meinte die eine. "Du sollst ihr nicht zum Opfer fallen, denn dieser Prinz, er ist auch mir unsympathisch." Mehr konnte er nicht vernehmen; aber er wusste nun, ohne darnach getrachtet zu haben, welcher Grund die koeniglichen Gaeste herbeigefuehrt hatte. So lange er die Damen mit den Augen verfolgen konnte, blieb er stehen; dann kehrte er auf demselben Wege, den er gekommen war, zum Kahne zurueck. "Weiter hinunter?" frug Thomas. "Ja." Wieder begann die Wasserfahrt. Max sass still und traeumte. Er sah wohl kaum irgend eine Parthie der beiden Ufer, welche im lichten Sternenscheine hueben und drueben lagen; er sah nur die lichte Gestalt, die an der Seite der fremden Kronprinzessin an ihm voruebergegangen war. Was hatte er mit ihr? Sie war die Tochter eines Koenigs und er der Sohn eines einfachen Schmiedes. Aber eine solche Reflexion gab es nicht in ihm. Er war ihr gefolgt wie dem Sterne, von welchem das Auge nicht lassen kann, obgleich er Billionen von Meilen hoch ueber der Erde steht. So waren sie eine ziemliche Strecke abwaerts gelangt, ehe er wieder umkehren liess und mit zu dem Ruder griff; diese Arbeit that ihm wohl, es war, als wolle er das, was in ihm vorging, durch aeussere Anstrengung zur Klaerung bringen, und so flog der Kahn, von vier kraeftigen Haenden getrieben, mit genuegender Schnelligkeit wieder stromaufwaerts. Sie hatten eben den Palast des Herzogs von Raumburg passirt, als ihnen ein kleineres Fahrzeug begegnete. Max haette wohl nicht sehr auf dasselbe geachtet, wenn nicht Thomas ihn darauf aufmerksam gemacht haette. "Dort kommt ein Englaender, Herr Doktor. Das ist einer vom Ruderklupp in seiner Nussschale. Wo mag der noch hinwollen?" Es war einer jener kleinen Wellenstecher, welche mit Paddelruder fortbewegt werden und, wenn der Mann darin sitzt, kaum zwei Zoll Bordhoehe haben. Er kam vom andern Ufer herueber und konnte die beiden Maenner, welche im Schatten der dichtbelaubten Baeume ruderten, nicht leicht bemerken. "Ein eigenthuemlicher Kerl," meinte Thomas, als ein zufaelliger Lichtstrahl von drueben herueber auf das kleine Fahrzeug fiel. "Der sieht ja fast wie ein Tuerke aus: ein gelper Kaftan und ein plauer Turpan!" Jetzt blickte Max genau hin. Seine Vermuthung bestaetigte sich, es war die Zigeunerin, welche sich ein Boot vom Ruderklubb losgekettet hatte und jedenfalls auf einer geheimnissvollen Parthie begriffen war. "Lass sie vorueber!" "Zu Pefehl, Herr Doktor!" meinte Thomas, ein wenig befremdet ueber das "sie". "So. Wir muessen unbemerkt folgen. Umgelenkt!" Der verfolgte Kahn fuhr an dem Palaste vorueber und landete eine Strecke unterhalb desselben im Ufergestraeuch, welches an den Garten stiess. Max befand sich mit seiner Gondel noch oberhalb des Gebaeudes. Er legte das Steuer nach links herueber und landete auch. "Thomas, willst Du ein Abenteuer mitmachen?" "Ein Apenteuer? Ich pin allemal dapei!" "Die dort im Kahne sass, ist kein Mann, sondern eine Frau." "Eine Frau? Potz Tausend; was hat die hier zu suchen? Es muss doch pereits elf Uhr vorueper sein!" "Es ist eine Zigeunerin. Sie will jedenfalls in das herzogliche Palais, und zwar heimlich, daher landet sie weiter unten." "Dann muss sie durch den Garten." "Allerdings. Wir muessen ihr zuvorkommen." "Zu Pefehl, Herr Doktor! Ich pinde den Kahn hier an den Paum. So; da haengt er fest." "Dann vorwaerts; schnell!" Sie eilten nach der hintern Front des Palastes und an derselben hinab bis zum Garten, der mit einer durchbrochenen Mauer umgeben war, die dem Uebersteigen kein grosses Hinderniss bot. Sie gelangten ohne Anstrengung hinueber. An dieser Seite des Gebaeudes befand sich am erhoehten Parterre eine Veranda, welche sich zu einer in den Garten herabfuehrenden Treppe oeffnete. Hierher musste die Zigeunerin kommen, wenn sie wirklich die Absicht hatte, welche Max vermuthete. Er steckte sich mit Thomas hinter ein dichtes Ziergestraeuch und wartete. Nach einiger Zeit kam eine Gestalt vorsichtig laengs der im Dunkel liegenden Rasenrabatte herbeigeschlichen, blieb eine Minute lang lauschend stehen und huschte dann zur Treppe. Sie stieg aber dieselbe nicht hinauf, sondern bueckte sich an der Seite derselben nieder und verschwand. Die Treppe schien die vordere Decke eines Kellers oder Gewoelbes zu bilden, zu dessen Erleuchtung an den beiden Stuetzwaenden je ein rundes Fenster angebracht war. Nach einigen Augenblicken leuchtete im Innern ein Lichtschein auf. "Ich folge ihr. Bleibe zurueck und halte Wache!" "Sie hat den Rahmen aufgewirpelt und ist hinuntergestiegen. Ich hape Ihnen nichts zu befehlen, Herr Doktor, aper es ist vielleicht pesser, wenn Sie dapleipen. So eine Zigeunerin ist voll Teufelsspuk und Zauperei, was fuer keinen Menschen gut und heilsam ist. Vielleicht will sie gar einprechen und nachher - - ja da hapen wirs; da ist er schon hinein und hinunter, und wenn das die Hexe merkt, so kann es eine saupere Geschichte gepen!" Wirklich war das Fenster aus der Oeffnung entfernt, die so gross war, dass ein Mensch bequem einzusteigen vermochte. Max hatte den Boden, welcher in kaum halber Manneshoehe unter ihr lag, leicht erreicht. In einiger Entfernung vor ihm schimmerte das Licht. Er entledigte sich so schnell wie moeglich seiner Stiefel und folgte. Zarba bewegte sich so langsam vorwaerts, dass es keiner Anstrengung bedurfte, ihr so nahe zu kommen, dass er sich hart ausserhalb des Scheines befand, welchen das von ihr getragene Licht verbreitete. Er konnte beinahe ihren Athem hoeren, waehrend sie nicht die geringste Ahnung hatte, dass sie auf diesem geheimnissvollen Gange belauscht wurde. Die Woelbung, in welcher sie sich befanden, war doch kein Keller, sondern sie bildete einen schmalen, niedrigen Gang, welcher in gerader Richtung bis auf die Mitte des Gebaeudes fuehrte und dort auf eine aufwaertsgehende Treppe muendete. Zarba stieg empor; sie musste diesen Weg schon oefters zurueckgelegt haben. Ohne auf das Parterre oder den ersten Stock zu muenden, fuehrte die Stufenreihe bis zur zweiten Etage in die Hoehe, wo die Zigeunerin lauschend vor einer schmalen Thuer stehen blieb, an welcher sich ein einfacher Druecker befand. Nach einigen Minuten ergriff sie denselben, um ihn in Bewegung zu setzen. Die Thuer oeffnete sich vollstaendig geraeuschlos nach innen, und ein heller Lichtschein drang heraus, in dessen Beleuchtung die Zingaritta wie im Rahmen eines Bildes zwischen dem Thuergewaende stand. Ohne wieder zu schliessen, glitt sie langsam vorwaerts. Max trat naeher. Vor ihm lag ein ringsum mit hohen Buecherrepositorien besetztes Bibliothekzimmer, aus welchem eine schwere, gruenstoffene Portière in den naechsten Raum fuehrte. Der geheime Eingang war durch eines der Buechergestelle, welches auf irgend eine Weise seine Beweglichkeit erhalten hatte, maskirt. Vom Plafond herab hing ein sechsarmiger Leuchter, dessen Lichter das Zimmer erhellten. In der Mitte des Letzteren stand eine lange Tafel, von oben bis unten mit Buechern und allerlei Skripturen belegt. Zarba war an die Portière getreten, deren beide Theile sie vorsichtig auseinanderzog, um einen Blick hindurchzuwerfen. Dann verschwand sie hinter derselben. Max wartete eine Weile; dann glitt auch er hinzu. Ohne den Stoff bemerkbar zu bewegen, machte er sich eine kleine Oeffnung und blickte hindurch. Vor ihm lag ein im hoechsten Komfort ausgestattetes und von einer kostbaren Ampel erleuchtetes Arbeitszimmer. Die Zigeunerin hatte gemaechlich auf einem Sammetfauteuil Platz genommen und eine kurze Thonpfeife hervorgezogen, welche sie aus einer Duete mit Tabak stopfte und dann in Brand steckte. Sie rauchte mit einem Behagen, als befinde sie sich in ihrem Eigenthume, und es hatte allen Anschein, als ob sie sich nicht sogleich wieder erheben werde. Was hatte das Alles zu bedeuten? Wie kam die fremde, verachtete Bettlerin dazu, in dieser Weise die geheimen Raeume des Herzogs zu kennen und aufzusuchen? Max nahm sich jetzt nicht die Zeit, sich diese und aehnliche Fragen vorzulegen; er musste vor allen Dingen die Situation ausnuetzen. Er glitt zurueck, um den Eingang zu untersuchen, und bemerkte zu seiner Beruhigung, dass derselbe von innen durch einen hinter den Buechern angebrachten Riegel, welcher mit dem aeusseren Druecker in Verbindung stand, geoeffnet werden konnte. Jetzt fiel sein Blick auf die Buechertafel. Gerade vor ihm lag neben einigen eng mit Ziffern beschriebenen Papieren ein Blatt, welches die Aufschrift "Schluessel" fuehrte. Sollte es den Schluessel fuer die geheime diplomatische Korrespondenz des Herzogs enthalten? Dieser war als entschiedener Gegner des gegenwaertigen Systems bekannt und stand mit den verschiedenen Hoefen in direkter Beziehung. Es waren sogar schon oefters Geruechte aufgetaucht von einer ebenso verborgenen wie kraeftigen Agitation fuer die Abdankung des jetzigen Herrschers. Der Herzog war Generalissimus der Armee - hundert Gedanken durchzuckten den Doktor; er trat nochmals zur Portière; die Zigeunerin sass noch in derselben ungenirten Haltung da und schmauchte ihren Stummel - schnell sass er auf einem Stuhle, zog sein Notizbuch und notirte Ziffer um Ziffer, Buchstaben um Buchstaben und Zeichen um Zeichen von dem wichtigen Blatte. Eben war er damit fertig, als drueben ein halblauter Ausruf ertoente. Schnell trat er zur Portière und blickte hindurch. Der Herzog war eingetreten und hatte den naechtlichen, geheimnissvollen Besuch bemerkt. "Donner und Doria; wer ist das?!" Die Zigeunerin machte nicht die geringste Miene, sich zu erheben. Sie that noch einen kraeftigen Zug aus ihrer Pfeife und antwortete dann: "Donner und Doria; er kennt Zarba, sein Weib nicht mehr!" "Zarba!" rief er, sichtlich erschrocken und den Riegel vor die Thuer schiebend. "Du lebst noch! Was willst Du? Hast Du vergessen, dass der Tod darauf ruht, wenn Du mein Haus betrittst?" "Der Koerper der Zingaritta ist gealtert, aber ihr Geist ist stark. Sie hat nichts vergessen, doch fuerchtet sie Dich nicht. Sie lebt noch und wird nur dann sterben, wen Bhowannie es will. Wo hast Du meinen Sohn?" "Er ist laengst gestorben." Jetzt erhob sie sich. "Luegner!" Er laechelte ueberlegen. "Weib, nimm Dich in Acht, dass ich Dich nicht vernichte!" "Mann, huete Dich vor Zarba, der Zigeunerin! Als sie die Schoenste war unter den Toechtern der Brinjaaren, hast Du sie bethoert. Sie verliess ihr Volk, um bei Dir zu wohnen; aber Deine Schwuere waren Meineid, Deine Kuesse Gift und Deine Liebe und Treue Betrug. Du raubtest mir den Sohn, Deinen und meinen Sohn und stiessest mich hinaus in die Welt. Aber ich fand ihn, den Geraubten; ich sagte ihm, wer sein Vater und Henker sei. Du aber rissest mich wieder von ihm und liessest mich aus dem Lande staeupen. Ich kam dennoch zurueck und fand seine Spur. Wo ist unser Kind?" "Gestorben." "Gestorben? Ja, todt, mehr als todt! Sein Koerper lebt, aber seit sechs Jahren mordest Du seinen Geist, dessen Staerke Allem widersteht. Wo ist mein Kind, mein Sohn? Im Irrenhause, von Dir eingekerkert und unter die Wahnsinnigen gesteckt, weil er weiss, dass ein Herzog sein Vater ist. Gieb ihn heraus!" "Du selbst bist wahnsinnig!" Sie trat von ihm zurueck und sah ihm lange in das finstere Angesicht; dann liess sie sich langsam auf das Knie nieder. "Du hast das Herz eines Maedchens kennen gelernt, welches sein Volk, seinen Stamm, seinen Glauben, seine Eltern und Schwestern und Alles, Alles hingab, weil Du es wolltest; aber Du kennst nicht das Herz einer Mutter; es ist das Herz einer Loewin, welche den zerreisst, der ihr Junges rauben will. Denke zurueck an unser Glueck und sieh Zarba, wie sie jetzt vor Dir kniet! Sie fleht zu Dir um" - - - "Halt!" unterbrach er sie streng, "kein Buehnenspiel! Dein Sohn ist todt fuer Dich. Du wirst ihn niemals wiedersehen!" Sie erhob sich. "Noch einmal bittet Zarba: Gieb ihn mir zurueck!" "Niemals!" "So wird die Zingaritta Dich zu zwingen wissen! Sie wird vor allen Thueren erzaehlen und auf allen Gassen ausrufen, dass Du der Vater ihres Kindes bist!" "Pah! Das wird zu verhindern sein." "Meinst Du?" Ihre Zuege nahmen jetzt einen Ausdruck des Hasses und der Entschlossenheit an, der doch den Hohn, welcher um seine Lippen spielte, verschwinden machte. "Meinst Du, Zarba fuerchte sich vor Dir und Deiner Macht, Herzog von Raumburg? Du bist in ihre Hand gegeben wie der Fuchs in die Tatze der Loewin, und ein einziges Wort von ihr bringt Dich in Tod und Verderben!" "Ah? Sprich dieses Wort!" gebot er, unglaeubig und veraechtlich laechelnd. Sie trat ihm naeher und raunte ihm zu: "Es heisst: Prinzenraub!" Er fuhr zurueck. "Landstreicherin, Du bist wahrhaftig wahnsinnig!" "So hoere weiter!" Sie naeherte sich ihm von Neuem und zischte ihm Worte entgegen, welche Max nicht verstehen konnte, weil sie leise gesprochen waren. Der Herzog war mit einem Male leichenblass geworden; er vermochte nicht zu antworten. "Nun? Du trachtest nach Thron und Krone; die Hand der Landstreicherin kann Dir Beides geben und Beides nehmen. Soll sie ihren Sohn wiederhaben?" Er trat an das Fenster und starrte lange hinaus. Endlich drehte er sich zu ihr um. "Hast Du bisher geschwiegen?" "Ja." "Schwoere es mir!" "Ich schwoere es bei Bhowannie." "So sollst Du Deinen Sohn sehen!" "Nur sehen?" "Und mitnehmen duerfen." "Wann?" "Wann Du willst." "Morgen! Ich kenne das Haus, in welchem er wohnt." "Gut. Ich werde Dir einen Befehl fuer den Direktor schreiben." Er setzte sich und fuellte ein herbeigezogenes und bereits mit Unterschrift und Siegel versehenes Blanket aus. "Hier. Auf Vorzeigen dieser Schrift erhaeltst Du Einlass in die Anstalt." Ihr Auge ruht scharf auf ihm. "Du wirst mich nicht betruegen?" "Nein." "So lebe wohl! Ich komme niemals wieder!" Die Antwort des Herzogs konnte Max nicht vernehmen; er musste sich zurueckziehen. Doch wohin? In den Gang durfte er sich noch nicht wagen, da ihn die dort bewandertere Zigeunerin sicher eingeholt haette; es blieb ihm nichts Anderes uebrig, als sich unter der Tafel zu verbergen, deren weit herabhaengende Decke ihm sicheren Schutz gewaehrte. Kaum hatte er da Platz genommen, so traten die Beiden in das Bibliothekzimmer. "Lebe wohl fuer immer," sprach der Herzog, "und bedenke, dass meine Macht so weit reicht, als Euch Eure Fuesse tragen!" Sie entfernte sich durch die geheime Thuer, waehrend er in sein Arbeitszimmer zurueckkehrte. Lange hoerte Max ihn in demselben auf- und abgehen; dann erklang das leise Kritzeln einer Feder. Schon ueberlegte der Doktor, ob er sich auf alle Gefahr hin entfernen oder ruhig versteckt halten solle, bis der Herzog schlafen gegangen sei, als dieser sich erhob und heraus in die Bibliothek trat. Er schritt zur verborgenen Thuer, oeffnete dieselbe und stieg die Treppe hinab. Jedenfalls wollte er sich ueberzeugen, ob die Zigeunerin das Fenster unten wieder verschlossen habe. Max vermuthete, was der Herzog soeben geschrieben habe; er hatte jetzt Gelegenheit, sich zu ueberzeugen, ob seine Ahnung richtig sei. Er eilte in das Arbeitszimmer, trat an den Schreibtisch und warf einen Blick auf das dort liegende und bereits vollendete Schriftstueck. Es enthielt den Befehl an den Direktor der Landesirrenanstalt, die Zigeunerin Zarba als unheilbar wahnsinnig zu installiren, sobald sie erscheine, sich auf keinerlei Verhoer mit ihr einzulassen und bei etwaiger Widersetzlichkeit die schaerfsten Zwangsmassregeln in Anwendung zu bringen. Eine eingehendere Instruktion sollte umgehend folgen. "Schurke!" konnte sich der Doktor nicht enthalten auszurufen; dann kehrte er in sein Versteck zurueck. Er erreichte es gerade noch rechtzeitig, denn schon im naechsten Augenblicke trat der Herzog wieder ein und begab sich in das Nebenzimmer. Bald darauf wurde der Geruch von Siegellack bemerkbar, dann rueckte ein Sessel, und die Aussenthuer zum Arbeitskabinet erklang. Der hohe, fuerstliche "Schurke" hatte dasselbe jedenfalls verlassen, um den Befehl einem Kourier zu uebergeben, da es nothwendig war, der Zigeunerin zuvorzukommen. Jetzt durfte Max seinen unbequemen Platz verlassen. Er oeffnete das Buecherfach, verschloss es hinter sich und tastete sich die Treppe hinab. Er hatte ein eigenthuemliches und gefaehrliches Abenteuer bestanden und stand, unten im Gang angelangt, unwillkuerlich tief aufathmend still. "Zarba, Du sollst gerettet werden," gelobte er sich; "Du und Dein ungluecklicher Sohn. Gott hat mich hinter Dir hergefuehrt; er ist der Schutz der Gerechten!" Er fand das Fenster geschlossen; die Wirbel befanden sich an der Aussenseite desselben, doch war eine Scheibe zerbrochen, so dass er hindurchlangen und oeffnen konnte. Als er hinausgestiegen war und den Verschluss wieder bewerkstelligt hatte, trat Thomas auf ihn zu. "Gott sei Dank, Herr Doktor, dass Sie mit heiler Haut wieder pei mir sind! Die Hexe ist schon laengst wieder heraus. Was hat es denn da drin gegepen?" "Das sollst Du spaeter erfahren. Bis dahin aber erzaehlst Du keinem Menschen, was heut geschehen ist!" "Keinem Einzigen; ich gepe gleich einen Eid darauf! Nicht einmal der guten Parpara Seidenmueller, die doch sonst Alles wissen muss!" - - - Drittes Kapitel. Die Brueder Jesu. Es war an demselben Abende. Der nach der Hauptstadt gehende Schnellzug musste bald kommen, und die Reisenden im Wartezimmer erster und zweiter Klasse machten sich allmaehlich zum Aufbruche fertig. An einem der entfernt stehenden Tische sassen zwei Maenner, deren Aeusseres nicht kontrastirender gedacht werden konnte. Der Eine, welcher die Uniform eines Obersten der Infanterie trug, war mit beinahe herkulischen Gliedmassen begabt und ueberragte den andern, welcher ausserordentlich klein und schwaechlich gebaut war, beinahe um das Doppelte. Seine Gesichtszuege waren, wenn nicht roh, so doch ausserordentlich eckig und kantig geschnitten und zeigten jene intensive Roethe, welche die Folge einer wohlbesetzten Tafel und eines ebenso gut gefuellten Kellers zu sein pflegt. Wenn es zugegeben werden muss, dass es Physiognomien gibt, welche zu einem zoologischen Vergleiche auffordern, so musste man zugestehen, dass dieses Gesicht an denjenigen Wiederkaeuer erinnerte, welcher in den Savannen der westlichen Hemisphaere wild gejagt und in Spanien zu aufregenden Kaempfen benutzt wird. Gewalt und Eigenwille waren deutlich in demselben ausgepraegt, und stier, wie die Augen blickten, musste auch der Charakter sein, der wohl durch keine klaerende und laeuternde Schule gegangen war. Der Offizier machte ganz den Eindruck eines Mannes, der sich durch rohe Tapferkeit und Hintansetzung aller Gefahr vom niedrigsten Grade, wo eine bessere Bildung nicht verlangt wird, zu einer Charge emporgeschwungen hat, welcher er in intellektueller Beziehung sich nur mit Muehe gewachsen zeigen kann. Der Andere, dessen Bewegungen ausserordentlich leicht und lebhaft waren, trug eine feine, durchweg schwarze Kleidung. Das bleiche, bartlose Gesicht hatte etwas freundlich Lauerndes und das Auge einen sicheren, durchdringenden Blick, dem wohl schwer etwas entgehen konnte, was es sich zu erfassen bemuehte. "Also ein self-man sind Sie, Herr Oberst," meinte der Kleine, "der Alles, was er ist und hat, sich selbst verdankt. Dann ist Ihr Weg voller Dornen gewesen und wird es spaeter wohl noch mehr sein. Gerade in Ihrer Branche ist die Konnexion der Hauptfaktor des Vorwaertsschreitens." "Der Teufel soll mich holen, wenn dies nicht wahr ist! Konnexion, Protektion und noch so manche andere "ion" bringt manchen Laffen in die Hoehe, der nichts vorzustellen vermag, als einen betressten und bebrouillonten Taugenichts. Nur gut, dass es auch gewisse "ions" gibt, bei denen diese Schlingels spurlos verschwinden, weil da nur der gebraucht werden kann, der einen ganzen Mann abgibt!" "Und diese "ions," welche sind es?" Der Offizier blickte sich vorsichtig um und fluesterte: "Dieselben, welche auch Sie meinen: Rebellion, Revolution. Lassen Sie es nur so bald wie moeglich losgehen; ich bin mit Leib und Seele dabei und werde die mir angewiesene Stelle zur vollsten Zufriedenheit ausfuellen." "So schnell, wie Sie wuenschen, geht es allerdings nicht. Ein so grosses und gefaehrliches Werk bedarf der sorgsamsten und umfassendsten Vorbereitungen." "Pah! Ich bin vorbereitet und meine Jungens machen alle mit. Der Teufel soll mich holen, wenn ein einziger zurueckbleibt!" "Sind Sie dessen sicher?" "Sicher? Welche Frage! Ich bin Oberst, und mein Regiment hat mir zu gehorchen." "Gewiss, in den gegenwaertigen regulaeren Verhaeltnissen. Ob es Ihnen aber auch dann gehorcht, wenn diese Verhaeltnisse auf den Kopf gestellt werden, das ist eine Frage, welche nicht so leicht beantwortet werden kann." "Dann bin ich erst recht meiner Sache sicher." "Auch Ihres Offizierskorps?" "Vollstaendig. Es besteht aus lauter Maennern, die, dem Buergerstande entsprossen, in der Hefe stecken bleiben muessen, weil Ihnen die Vetter im Kriegsministerium fehlen. Gebt mir und Ihnen eine Gelegenheit zum Avancement, und der Teufel soll mich holen, wenn wir nicht unsere Schuldigkeit thun! Gibt es ja Einen oder den Andern, dessen man nicht vollstaendig sicher ist, so bekommt er Urlaub, die beste Methode, quere Koepfe einstweilen auf die Seite zu bringen. Ich bin hier Oberstkommandirender, habe ein Regiment Infanterie, eine Kompanie Schuetzen und zwei Feldbatterien zu befehligen und werde mit ihnen zur rechten Zeit am Platze sein so gewiss, als ich hier sitze und auf das Gelingen des Unternehmens mit Ihnen anstosse." Sie liessen die Glaeser zusammenklingen; dann meinte der Kleine: "Und die Bevoelkerung Ihres Kreises?" "Ist mit der jetzigen Regierung hoechst unzufrieden. Wir befinden uns hier im bevoelkertsten Fabrikdistrikte des Landes; Handel und Gewerbe stocken nicht blos, sondern liegen ganz und vollstaendig darnieder; der Arbeiter hungert mit seiner Familie; die Sozialdemokratie erhebt ihr Haupt und heult um Rache und Huelfe ueberall, am kleinsten Orte tagen Meetings und Versammlungen, in denen der Kreuzzug gegen die Aristokratie, gegen die besitzenden Klassen gepredigt wird. Was wollen Sie? Ich hoere schon den muthigen Schritt der Arbeiterbataillone, welcher alles Widerstrebende zertreten und zermalmen wird. Die Schaaren der Turner, die Vereine der Buergergarden, sie beduerfen nur der brauchbaren Waffe, um nach der Residenz gefuehrt zu werden. Das hiesige Zeughaus birgt viele tausend Gewehre: ich lasse sie vertheilen und stelle mich an die Spitze der Bewegung; der Teufel soll mich holen, wenn dieses Beispiel nicht sofort im ganzen Lande Nacheiferung findet!" "Dazu bedarf es einer tuechtigen Vorbereitung des Landes, mit welcher wir leider noch nicht genugsam vorgeschritten sind. Wir duerfen unser Exempel nicht mit Hoffnungen machen, die uns betruegen koennen, sondern muessen mit Thatsachen arbeiten, deren wir sicher sind. Ueber Ihren Kreis, Herr Oberst, bin ich vollstaendig beruhigt; ich glaube Ihren Versicherungen und werde dem geheimen Komité einen befriedigenden Bericht abstatten. Mit dem Augenblicke des Losschlagens duerfen Sie die Generalsepauletten anlegen, und Ihre weiteren Chancen haben Sie dann in der eigenen Hand. Sie sind einer von den wenigen Stabsoffizieren, denen wir unbedingtes Vertrauen schenken, und ich bin ueberzeugt, dass Sie dieses Vertrauen vollstaendig rechtfertigen werden. - Doch - da kommt der Zug. Ich bitte, mich nicht nach dem Perron zu begleiten; man muss vorsichtig sein. Weitere Ordres werden Ihnen auf dem bisherigen Wege zugehen." Er erhob sich, reichte ihm die Hand und verliess das Wartezimmer. Draussen war der Train bereits vorgefahren. Er verlangte nach erster Klasse und erhielt ein Coupé angewiesen, in welchem bereits ein Herr sass, welcher allem Anscheine nach dasselbe schon laengere Zeit innegehabt hatte. Es begann zu daemmern, doch konnte man sich gegenseitig noch ganz genau erkennen. Der Fremde trug durchweg einen graukarrirten Anzug; seinen Kopf bedeckte ein breitrandiger Panamahut, und auf der Spitze seiner Adlernase balancirte in verwogener Stellung ein blauglasiges Pincenez, welches mit dem feinen Teint des Angesichtes scharf kontrastirte. Die feinen Bockstiefeletten und die fleischfarbenen Gummihandschuhe zeigten ebenso wie der wohlgepflegte Backenbart und die schwergoldene Uhrkette, dass er gewohnt sei, auf seine aeussere Erscheinung die moeglichste Sorgsamkeit zu verwenden. Man musste auf den ersten Blick den Englaender in ihm erkennen. "Guten Abend!" gruesste der Schwarze. "Good evening!" antwortete der Graue und drehte den Kopf langsam dem Eingestiegenen zu. Kaum hatte er ihn erblickt, so ergriff er den blauen Zwicker und liess ihn von der Nasenspitze nach der gehoerigen Stelle zurueckretiriren. Der Blick, welchen er jetzt scharf durch die blauen Glaeser warf, war erstaunt, veraechtlich und feindselig zugleich. Hatte er in dem kleinen Manne eine ihm verhasste Persoenlichkeit erkannt? "Sie reisen auch nach der Residenz, Sir?" frug dieser, als er es sich bequem gemacht hatte. Der Gefragte zog statt der Antwort ein goldenes Etui hervor, entnahm demselben eine Cigarette und steckte sie in Brand. "Ich freue mich, bis dahin Gesellschaft zu finden. Eine Reise ohne Unterhaltung gehoert zu den groessten Unannehmlichkeiten, welche ich kenne." Der Graue liess das Fenster nieder, wandte sich gleichmuethig von seinem Gegenueber ab und blickte hinaus auf die in optischer Taeuschung vorueberfliegende Landschaft." Hier meine Karte, Sir! Darf ich wissen, mit wem mich der glueckliche Zufall zusammenfuehrt?" Auf der kleinen Karte war in feinen Zuegen "Aloys Penentrier, Rentier" zu lesen. Der Englaender hielt es nicht der Muehe werth, einen Blick darauf zu werfen, sondern behielt beharrlich seine Stellung bei. "Sie scheinen mehr nachdenklich als unterhaltend gestimmt zu sein, Sir. Oder soll ich vielleicht in der Nichtbeachtung meiner Karte eine absichtliche Beleidigung erkennen?" Der Graue steckte jetzt den Kopf ganz zum Fenster hinaus; das bleiche Gesicht des Kleinen roethete sich. Er legte die Hand auf den Arm des Englaenders und frug: "Wollen Sie die Guete haben, zu hoeren, was ich sage?" Der Englaender zog unter dieser Beruehrung den Kopf zurueck. Die Lorgnette war ihm unter dieser raschen Bewegung wieder vor auf die Nasenspitze gerutscht. "Very well, uoll' Sie flieg' aus das Uagen hinaus in das Luft? Uas uag' Sie, anzugreif meinen Person!" "Ich frage nur, ob Sie die Absicht haben, mich zu beleidigen?" "Stand off, bleib' Sie mir von das Leib! Uas frag ich nach Ihr' Kart', Ihr Personage und Ihr Beleidigung! Halt' Sie das Mund; ich uill hab' Ruhe!" Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, welcher dem Kleinen ganz wider Willen imponirte. Er zog sich in seine Ecke zurueck, murmelte etwas von "Unverschaemtheit" und "Spleen", warf noch einen giftigen Blick auf den Grauen und schloss dann die Augen. Die Reise wurde schweigend fortgesetzt. An jeder bedeutenderen Station blickte der Schwarze aus dem Wagen und nahm dann jedesmal von einer Person, welche den Zug erwartet haben musste, ein Couvert in Empfang, welches er oeffnete, um den Inhalt zu ueberfliegen. Dieser Umstand fiel dem Englaender auf, doch liess er sich nicht das Mindeste davon merken. Nach der jedesmaligen Lektuere, die durch das im Coupé brennende Licht ermoeglicht wurde, legte der Kleine das Schriftstueck neben sich auf den Sitz. So lagen acht bis neun dieser Skripturen neben ihm, als man die letzte Station an der Residenz erreichte. Auch hier bog er sich durch das Fenster, um ein Couvert in Empfang zu nehmen und mit dem Ueberbringer desselben einige Worte zu wechseln. Der Englaender benutzte diesen Augenblick; mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er eins der Papiere ergriffen und in seiner Tasche verborgen. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und hielt nach kaum einer Viertelstunde auf dem Bahnhofe der Hauptstadt. Der Schwarze nahm die Schriftstuecke zusammen und steckte sie, ohne das Fehlen des einen zu bemerken, zu sich. Ohne Wort und Gruss verliess er den Wagen. Der Graue stieg schnell hinter ihm aus. Ein Diener, welcher zweiter Klasse gefahren war, wartete bereits auf ihn, und neben demselben stand Doktor Brandauer, welcher, von seiner Kahnfahrt zurueckgekehrt, sich nach dem Bahnhofe begeben hatte, um den Sohn des Lord Halingbrook zu empfangen. "Emery!" "Max!" Sie begruessten einander durch eine herzliche Umarmung, welche sich aber Emery schnell zu loesen beeilte. "Have care! Siehst Du dort den kleinen schwarz gekleideten Menschen mit dem Gepaeckschein in der Hand?" Er konnte jetzt sehr gut deutsch sprechen. Hatte er sich vorhin nur verstellt? "Du meinst den, welcher mit dem Koffertraeger verhandelt?" "Yes, denselben." "Was ist mit ihm?" "Komm! Wir muessen ihm folgen; wir muessen sehen, wo er wohnt!" "Warum?" "Spaeter! Unterwegs sollst Du es erfahren." "Der Wagen wartet draussen auf Dich." "Koennen ihn nicht gebrauchen. Go on, vorwaerts!" Er warf dem Diener einen kurzen Befehl hin, nahm den Freund unter den Arm und folgte mit ihm dem Schwarzen, welcher nach dem Ausgange schritt und dort einen Fiaker nahm. In der Naehe hielt eine Equipage mit dem Peerswappen der Familie Halingbrook. Sie schritten an ihm vorueber und nahmen eine Droschke. "Dem Fiaker dort nach, aber ohne dass es bemerkt wird!" befahl Emery beim Einsteigen. Dann nahmen sie Platz. Der Weg ging durch mehrere Strassen und ueber einige Plaetze der Stadt. Waehrend der Fahrt konnte Emery seine Mittheilung machen. Max sagte sich, dass der kleine Mann eine sehr beachtenswerte Persoenlichkeit sein muesse, da der junge Lord nach einer langen und beschwerlichen Reise nicht zur Wohnung fuhr, sondern diesen Unbekannten sofort vom Bahnhofe weg verfolgte. "Du kennst ihn?" frug er. "Yes, und zwar sehr. Er ist ein Jesuit, eines der hervorragendsten Mitglieder dieser Bruederschaft." "Ah!" "Er hat in Freiburg, wo ich ihm begegnete und von ihm sprechen hoerte, ohne dass er mich bemerkte, seine Erziehung genossen und gilt als der feinste Schlaukopf der ganzen Kongregation. Spaeter sah ich ihn in Paris, Bruessel, London und Washington, und ueberall war mit seinem Erscheinen ein Streich verbunden, welchen die heiligen Vaeter der Regierung spielten. Heut nun fuhr er mit mir in demselben Coupé, und zwar unter Umstaenden, welche mich schliessen lassen, dass er nicht nur hier bereits heimisch ist, sondern an einer Aufgabe arbeitet, welche jedenfalls eine den Interessen des Thrones feindliche ist." "Den Jesuiten ist der Aufenthalt im Lande streng untersagt." "All right! Nehmen wir diesen Umstand, die Politik des Herzogs von Raumburg, die Geruechte, welche mit immer groesserer Deutlichkeit ihre Stimme erheben und die im Auslande besser gekannt werden als von Euch selbst, und dazu die Anwesenheit dieses Menschen, welcher an jeder Station schriftliche Berichte entgegennimmt, so ergibt sich jedenfalls die Nothwendigkeit, wenigstens seine Wohnung kennen zu lernen." "Und ihm auch noch etwas naeher auf die Finger zu sehen. Ich weiss sehr genau, dass der Herzog die Aufnahme der Jesuiten eifrig befuerwortet." "Behold! Ich schaetze sehr, dass er mit diesem Ungeziefer in Verbindung steht. Vater und ich sind in Folge unserer hiesigen Besitzungen Unterthanen Seiner Majestaet, und so habe ich die Verpflichtung, das Thun und Treiben solchen Gezuechtes nicht unbeachtet zu lassen. Woher kennst Du diese Befuerwortung?" "Der Koenig selbst hat gegen uns davon gesprochen." "Well. Der Hofschmied erfaehrt mehr als mancher Rath und Minister. Du hast bessere Chancen als Mancher, dessen Stammbaum bis in die antediluvianische Zeit hinaufreicht, und ich begreife nicht, dass Du - - - have care, er haelt! Wem gehoert dieses Boarding-house?" "Wahrhaftig, er haelt bei unserer guten Barbara Seidenmueller! Jetzt kannst Du mir ihn getrost ueberlassen. Ich bin hier bekannt; die Wirthin ist meine Spezialgoennerin und wird mir jedwede Auskunft gern ertheilen. Deine Anwesenheit aber wuerde auffallen." "Fair! So fahre ich nach Hause. Hier hast Du ein Schreiben, welches ich ihm weggekapert habe. Ich konnte es bisher nicht lesen, und da Du ihm folgst, ist es Dir vielleicht noethiger als mir." "Kennst Du seinen wahren Namen? Ich nehme natuerlich an, dass er hier einen falschen traegt." "Pater Valerius, deuce take it, der Teufel hole ihn! Er hatte zwar die Guete, mir seine Karte zu praesentiren, doch hatte ich nicht Lust, mich mit derselben zu beschmutzen. Good night!" "Gute Nacht!" Die Droschke lenkte um, und Max trat in die Gaststube der ehrsamen Wittfrau und Kartoffelhaendlerin Barbara Seidenmueller. Der erste Gast, welcher ihm in die Augen fiel, war Baldrian, der Exgrenadier. Als dieser ihn bemerkte, erhob er sich respektvoll von seinem Stuhle. Der Doktor trat zu ihm. "Bist Du schon lange hier?" Der Gefragte nickte bejahend. "Das ist am den. werde gleich gehen!" "Willst Du mir einen Gefallen thun?" Ein zweites Nicken erfolgte. "Auch das ist am den!" "Es muss hier ein Fremder logiren, der an seiner kleinen, schwaechlichen Gestalt und seiner schwarzen Kleidung leicht zu erkennen ist." "Sogar dieses ist am den. Ist bereits vier Wochen hier." "Du kennst ihn?" Ein energisches Nicken diente als Antwort. "So stelle Dich einmal gegenueber in das Dunkle, wo Du nicht gesehen wirst. Wenn er das Haus verlaesst, benachrichtigst Du mich schleunigst. Du hast doch gute Augen?" "Das ist am den!" Er trank sein Bier aus und verliess das Lokal. Jetzt bemerkte die Wirthin den neuen Gast und kam sofort auf ihn zugeschritten. Sie war eine korpulente, noch junge Frau, und ihr geroethetes Gesicht glaenzte vor Freude, als sie ihm die Hand entgegenstreckte. "Willkommen, tausendmal willkommen, Herr Doktor! Ich habe Sie wohl ein Jahr lang nicht zu sehen bekommen. Wo sind wir denn ueberall herumgelaufen?" "In Italien, Frankreich, England, Holland und so weiter." "Herrjesses, muss das fuerchterlich sein! Da lobe ich mir meinen "blauen Adler"; von ihm komme ich nicht weg, so lange ich lebe. Daheim ist daheim! Ich soll doch ein Flaeschchen vom Besten bringen?" "Ja. ich brauche zunaechst einen guten Schluck und sodann Sie selbst." "Mich?" "Allerdings. Ich muss eine Erkundigung einziehen, womoeglich unter vier Augen." "Unter vier Augen? So kommen Sie heraus in das leere Hinterstuebchen, wo wir vollstaendig ungestoert sind, Herr Doktor!" "Ich muss hier bleiben, da ich jeden Augenblick einen Boten erwarte, der mich dann nicht sehen wuerde. Bringen Sie mir den Wein hier an den Tisch zunaechst der Thuer!" Die Wirthin beeilte sich, diesem Gebote Folge zu leisten und befahl dem Kellner, auf die uebrigen Gaeste Achtung zu haben. "Sie haben seit vier Wochen einen fremden Herrn im Logis," begann Max, als sie bei ihm Platz genommen hatte, "dessen Namen und Charakter ich gerne wissen moechte, ohne dass er etwas ueber meine Erkundigung erfaehrt." "Welchen meinen Sie?" "Er ist klein und hager, bleich und bartlos und traegt sich schwarz gekleidet. Irre ich mich nicht, so ist er vor wenigen Augenblicken von einer Reise zurueckgekehrt." "Ach, Sie meinen den Herrn in Nummer eins bis vier!" "Er hat vier Piècen inne? Dann muss er wohl situirt sein." "Allerdings; er ist Rentier, zahlt ausserordentlich prompt und nobel und hat einen franzoesischen Namen, den ich vielleicht nicht richtig aussprechen kann. Geschrieben wird er Aloys Penentrier." "Verreist er oft?" "Er ist sehr wenig daheim und oft mehrere Tage nicht hier." "Korrespondirt er viel?" "Wenn er zu Hause ist, schliesst er sich gewoehnlich ein. Was er da thut und ob er schreibt, weiss ich nicht; wenn er es thut, so muss er sich seine Briefe selbst besorgen, aber er erhaelt deren taeglich mehrere." "Woher? Sie sehen dies wohl am Poststempel." "Aus Paris, Petersburg, London, meist aber aus dem Inlande." "Mit wem verkehrt er?" "Kann ich nicht sagen. Er empfaengt allerdings oefter Besuch von Herren, die ich aber leider nicht kenne." "Welcher Klasse gehoeren sie an?" "Allem Vermuthen nach nicht der unteren. Einige hatten, obgleich sie in Civil gingen, etwas entschieden Militaerisches. Andere sahen mir aus wie Geistliche, so fromm und salbungsvoll traten sie auf. Zwei oder drei Male war auch ein Diener des Herzogs von Raumburg hier. Er trug zwar auch Civil, aber ich kannte ihn doch." "Geht er viel aus?" "Nur des Abends." "Wann kehrt er da zurueck?" "Sehr spaet! ich bemerke dies, trotzdem ich ihm einen Hausschluessel zur Verfuegung stellen musste. Auch heut scheint er gehen zu wollen; er hat ein Abendbrod bestellt und um Beschleunigung gebeten." "Ist ihm bereits servirt worden?" "Ja; kalte Kueche. Er isst sehr schnell und wird wohl nun fertig sein." Sie hatte recht, denn eben oeffnete sich die Thuer und die lange Gestalt Baldrians schob sich in moeglichster Eile herein. "Ist er fort?" frug Max. "Ja, das ist am den." "Wohin? Rechts in die Strasse?" "Nein, das ist nicht am den, sondern links." "So trinke Du meinen Wein, Baldrian. Gute Nacht!" Er legte ein Geldstueck auf den Tisch und ging. "Ein guter Herr, nicht wahr, Baldrian?" frug die Wirthin. Der vormalige Grenadier konnte blos nicken. Er hatte das Weinglas bereits an den Mund gesetzt und that einen Zug, der es bis auf die Nagelprobe leerte. "Hast wohl draussen aufpassen muessen?" Er nickte und schenkte sich ein zweites Glas ein. "Auf den kleinen Rentier?" Das Glas wieder am Munde, liess er sich zu einem abermaligen Nicken herbei; dann goss er sich den bei ihm so seltenen Trank in den Mund. "Was muss er denn mit ihm haben?" Wieder einschenkend zuckte er die Achsel. Die kleine, propre Wittfrau hatte ihm sein Herz geraubt, aber dass sie ihn jetzt in seinem Genusse stoerte, wollte ihm nicht im Geringsten gefallen. "Du weisst es nicht, Baldrian?" Er schuettelte den Kopf und fuehrte das Glas zum dritten Male zum Munde. "Schmeckt der Wein?" Er trank, machte die Augen zu und nickte dabei mit einem so verklaerten Gesichte, als trinke er den Nektar der griechischen Goetter. "Das glaube ich; es ist meine beste Sorte. Aber da hat er mir zuviel hergelegt. Was thue ich? Gebe ich Dir heraus oder - ja, ich werde mir den Ueberschuss merken, bis er wiederkommt." Baldrian hatte sich den Rest eingeschenkt und stand schon im Begriffe, das Glas zu erheben; jetzt aber liess er es wieder sinken. "Donnerwetter, das ist ja gar nicht am den!" "Du meinst, das Geld sei Dein?" Er nickte trinkend, setzte das Glas auf den Tisch, strich das zurueckgegebene Geld ein und stuelpte sich die Muetze auf den Kopf. "Gute Nacht, Baerbel!" "Gute Nacht, Baldrian!" Mit stolzen Schritten ging er nach Hause. Nicht jeder, der heut dasselbe that, hatte eine Flasche vom Besten aus Frau Barbara Seidenmuellers Weinkeller getrunken. - Als der Doktor aus der Thuer des Gasthauses trat, konnte er die Gestalt des sich entfernenden Rentiers gerade noch im Scheine einer Laterne erkennen. In kurzer Zeit hatte er ihn soweit erreicht, dass er ihn fest im Auge behalten konnte. Der Kleine ging schnellen Schrittes mitten auf der Strasse; er aber hielt sich hart an der einen Haeuserreihe, in deren Schatten er nicht so leicht bemerkt werden konnte. Sie befanden sich in einem der aeusseren Viertel der Residenz und naeherten sich immer mehr den aeussersten Haeusern desselben. Als diese erreicht waren und nun auch der Lampenschimmer aufhoerte, zog sich die Landstrasse eine Strecke weit laengs des Flusses hin, um dann an den sich allmaehlich erhebenden Bergen langsam emporzusteigen. Dort oben, in etwa drei Viertelstunden Entfernung von der Stadt, hatte frueher ein Kloster gestanden, dessen Ruinen noch heut die Kuppe des Berges schmueckten. Sie bildeten des Sonntags den gesuchten Zielpunkt zahlreicher Spaziergaenger aus der Residenz. Max kannte sie sehr genau. Er war schon als Knabe beinahe taeglich in dem alten Gemaeuer herumgekrochen und hatte jeden Winkel desselben durchstoebert. "Er geht nach der Ruine," murmelte er, "und zwar auf dem breiten Wege. Ich bin heut zum Lauschen praedestinirt, wie es scheint, und werde hier an der Seite aufsteigen, um ihm zuvorzukommen!" Der gewoehnliche Weg fuehrte in zahlreichen Windungen empor; da aber, wo Max jetzt einlenkte, stieg ein schmaler, wenig betretener Pfad in gerader Richtung steil in die Hoehe. Die Steilung war so bedeutend, dass man an den ihn besaeumenden Bueschen Halt suchen musste. Der Doktor hatte ihn so oft benutzt, dass er trotz der Dunkelheit keinen Fehltritt that und nach wenigen Minuten die Kuppe des Berges erreicht hatte. Hier schlich er sich der Stelle zu, an welcher der Aufweg in die Ruine muendete. Die angewandte Vorsicht, mit welcher er seine Schritte moeglichst unhoerbar zu machen suchte, erwies sich als nothwendig. Hinter einem der letzten Buesche stand eine Gestalt, in welcher er mit Recht einen zur Sicherheit ausgestellten Posten vermuthete. Er trat unweit desselben hinter die Straeucher und wartete. Bald liessen sich nahende Schritte vernehmen. "Woher?" frug der Posten mit halblauter Stimme. "Aus dem Kampfe," ertoente die ebenso gegebene Antwort. "Wohin?" "Zum Siege." "Wodurch?" "Durch die Lehre Loyola's." "Der Bruder kann passiren!" Der kleine Rentier schritt an dem Posten vorueber. Max folgte ihm. Mitten in dem ehemaligen Klosterhofe gaehnte die Oeffnung des Brunnens. Eine nach der Stadt fuehrende Wasserleitung, welche die ganze Feuchtigkeit des Berges an sich zog, hatte den Erfolg gehabt, dass er vollstaendig ausgetrocknet war. Aloys Penentrier stieg auf den Rand desselben und verschwand dann im Innern. Der Doktor wusste genau, dass bis noch vor kurzer Zeit weder eine Leiter noch eine sonstige Vorrichtung hinabgefuehrt hatte. Er trat hinzu und bemerkte ein an einem Felsblock befestigtes Seil, welches ueber die Umfassung des Brunnens fuehrte und dann hinunterhing. Zu seinem Erstaunen war es nicht scharf angespannt. Er zog es empor und bemerkte, dass es nur die Laenge von einigen Ellen hatte. Es musste also doch eine Leiter, eine Fahrt oder etwas Aehnliches geben, auf welcher man hinabgelangen konnte. Er liess das Seil wieder hinuntergleiten und bog sich vor, um einen Blick in die Tiefe zu werfen. Er musste dies so vorsichtig wie moeglich thun, da man sonst seinen Kopf trotz der naechtlichen Dunkelheit von unten haette bemerken koennen. Der Brunnen war vor langer Zeit in Folge eines Ungluecksfalles bis zur Haelfte seiner Hoehe ausgeschuettet worden, besass aber dessenungeachtet eine Tiefe von immer noch beinahe sechzig Fuss. Ein schneller, blitzartiger Lichtschein flammte unten auf; dann blieb die Tiefe in stetes Dunkel gehuellt, bis er seine Beobachtung aufgeben musste, da ihm ein Geraeusch das Nahen eines Kommenden verrieth. Er zog sich hinter einen nahen Mauervorsprung zurueck und beobachtete nach und nach vierzehn Gestalten, welche in den Brunnen stiegen. Es draengte ihn, zu wissen, was diese geheimnissvollen Maenner mit ihrer Zusammenkunft bezweckten; aber es war unmoeglich, ihnen zu folgen. Er konnte sie nur von aussen beobachten und musste die Untersuchung des Brunnens bis auf eine Tagesstunde verschieben. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es dauerte fast zwei Stunden, ehe er den ersten wieder Emporsteigenden bemerkte. Es war der Rentier, welchem hart auf dem Fusse zwei Andere folgten. "Ihr wisst, weshalb ich mit Euch vorangestiegen bin?" frug der Erstere. "Ja," antwortete der Eine. "Er ist ein Verraether. Ich erfuhr es heut und erhielt seinen Brief zu Handen gestellt. Ich verzieh ihm unten, um ihn sicher zu machen; aber er darf seiner Strafe nicht entgehen. Die Brueder Jesu duerfen sich nicht an ihrem Herrn versuendigen, indem sie ein raeudiges Schaf in ihrer Mitte dulden. Er wird ausgeschieden." "Auf welchem Wege?" "Auf dem gewoehnlichen. Geht an Euren Platz! Man kommt." Die beiden Maenner verschwanden hinter dem Gemaeuer. Dem Brunnen entstiegen nach und nach die elf Uebrigen. Der Letzte von ihnen loeste das Seil vom Felsen und nahm es zu sich. "Der Herr behuete unseren Ausgang und Eingang!" gruesste der Rentier. "Jetzt und in Ewigkeit, Amen!" antworteten die Anderen, worauf sie sich entfernten. Ein Einziger war geblieben. Der Rentier hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt. "Bruder Ambrosius, ich habe noch mit Dir zu sprechen!" Der Angeredete hatte schon wie die Uebrigen im Begriffe gestanden, zu gehen. Er wandte sich wieder zurueck. "Trotz des Verdachtes, welcher heut gegen Dich ausgesprochen wurde," meinte der Rentier, "besitzest Du mein vollstaendiges Vertrauen. Ich habe Dich dem Pater Provinzial empfohlen und einen Auftrag fuer Dich bekommen, welcher Dir beweisen wird, wie sehr ich in schwierigen Faellen auf Deine Befaehigung rechne. Bist Du bereit, ihn zu hoeren?" "Ich werde hoeren und gehorchen." "So komm! Ich werde Dich einweihen in das tiefste Geheimniss, welches die Erde traegt, und ich bin ueberzeugt, dass kein Wort davon ueber Deine Lippen kommen wird." Er entfernte sich mit ihm in derselben Richtung, welche die beiden Anderen eingeschlagen hatten. Max hatte jedes Wort vernommen. Dem Manne drohte jedenfalls eine Gefahr. Welcher Art konnte dieselbe sein? War er der Huelfe wuerdig? Und wie sollte diese Hilfe geleistet werden, da Max die Art und Weise der Gefahr nicht kannte? Er musste sich sagen, dass er die dringendste Veranlassung habe, seine Anwesenheit nicht zu verrathen, und beschloss, sich ruhig abwartend zu verhalten. Nach einer Weile war es ihm, als vernehme er einen leisen, unterdrueckten Ruf. War es ein Huelferuf? Er lauschte eine Weile in die stille Nacht hinein, doch blieb jetzt alles ruhig. Erst nach einer laengeren Frist vernahm er das Geraeusch von Schritten. Der Rentier kehrte mit den Zweien zurueck. Der, welchen er einen Verraether genannt hatte, fehlte. "Ihm ist sein Recht geschehen," meinte er salbungsvoll. "Moege seine Seele durch das Fegefeuer gereinigt werden, obgleich ihm die heiligen Sterbesakramente entgangen sind!" "Es ist schwer zu beklagen, dass selbst der gebenedeiete Leib Jesu solche Glieder hat," liess sich einer seiner Begleiter vernehmen. "Darum befolgt die Gesellschaft Jesu die Lehre des Erloesers: Aergert Dich Deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von Dir! Er ist bereits der Zweite, den die gerechte Hand der Strafe ereilt. Moege er der Letzte sein! Geht jetzt und empfangt meinen Segen, Ihr frommen und gehorsamen Kinder des Herrn!" Er erhob seine Arme; sie verneigten sich ehrerbietig und entfernten sich dann. Er wartete, bis das Geraeusch ihrer Schritte vollstaendig verschollen war, und folgte ihnen dann langsam nach. Die frommen Brueder Jesu verfolgten die Taktik, den Ort ihrer naechtlichen Zusammenkunft einzeln zu verlassen, um die Erregung jeden Verdachtes zu vermeiden. Jetzt trat der Doktor hinter seinem Verstecke hervor. "Sie haben ihn gemordet. Ich muss sehen, auf welche Weise!" Er verliess die Ruine in derselben Richtung, welche sie vorhin eingehalten hatten, und untersuchte das ganze Plateau des Berges, ohne auf die geringste Spur irgend eines gewaltthaetigen Ereignisses zu treffen. "Die Finsterniss ist schuld. Ich werde am Tage zurueckkehren und dann sicher finden, was ich suche." Seine vergebliche Nachforschung hatte eine ziemliche Zeit in Anspruch genommen, so dass er annahm, dass sich keiner der geheimnissvollen Maenner mehr in der Naehe befinde. Daher durfte er es wagen, den Ort auf dem gewoehnlichen Wege zu verlassen, und schritt nach einem ebenso aufregenden wie ereignissvollen Abende der Residenz wieder zu. - - - Viertes Kapitel. Im Hause der Irren. Als Max nach Hause kam, war schon laengst Alles zur Ruhe gegangen. Auf seinem Zimmer angelangt, machte er Licht und nahm das Schreiben vor, welches ihm Emery uebergeben hatte. Es war ein mit Datum, Anrede und Unterschrift versehener Brief, wie er aus der ganzen Anordnung sah, aber leider nicht mit gewoehnlicher Schrift, sondern in Ziffern, getrennten Buchstaben und raethselhaften Charakteren geschrieben. Er machte es sich bequem und setzte sich an den Schreibtisch, um den Versuch zu machen, das Schreiben zu dechiffriren. Die Erlebnisse des heutigen Abends hatten seine Nerven so in Spannung versetzt, dass es ihm unmoeglich war, an Ruhe und Schlaf zu denken, und so kam ihm diese Beschaeftigung, der er sich mit dem groessten Eifer hingab, nicht ungelegen. Er musste dabei unwillkuerlich an den Schluessel denken, welchen er sich in der Bibliothek des Herzogs abgeschrieben hatte. Er zog daher sein Notizbuch hervor, fand aber, dass er es hier mit einer Schrift zu thun habe, deren Schluessel ein vollstaendig anderer war. Es war nicht das erste Mal, dass er sich eine aehnliche Aufgabe stellte, und es war ihm stets gelungen, sie zu loesen, heut aber wollte ihm das nicht gelingen. Er gab sich die moeglichste Muehe - vergebens. Da kam ihm der Gedanke, ob das Hinderniss nicht in einer Umstellung der Silben oder der Einschaltung eines Lautes bestehe. Er hatte als Knabe mit seinen Mitschuelern oft eine aehnliche Spielerei gepflogen und sich mit ihnen in der B-, F- oder U-Sprache unterhalten. Er zog sich die am meisten vorkommenden Ziffern, Buchstaben und Zeichen heraus und sah bald seine Bemuehung von Erfolg begleitet. Die Vokale und Diphthonge waren durch verschieden gestellte Punkte, die Konsonanten durch Ziffern bezeichnet und die Ziffern in der Weise umgestellt, dass sie mit einem regelmaessig wiederkehrenden U verbunden wurden. Er hatte es also mit der U-Sprache in Charakteren zu thun. Der Morgen graute bereits, als er den Schluessel gewonnen hatte und nun den kurzen Brief zu lesen vermochte. Dieser lautete: "Helmberg, den 2. Juli. Lieber Bruder in Jesu! Deiner Aufforderung zu Folge erhaeltst Du heut im Passiren diese Zeilen. Das mir von Dir uebertragene Werk schreitet ruestig fort und verspricht ein gutes Gelingen unserer Intentionen. Meine Agenten erweisen sich als tuechtig; alle Minen sind in Thaetigkeit, die Verbindungen werden von Tag zu Tag zahlreicher und umfassen alle Kreise der Gesellschaft; auch das Militaer wird mehr und mehr geneigt, und wenn wir mit Vorsicht in der jetzigen Weise fortfahren, so ist an ein Scheitern unseres grossen Planes gar nicht zu denken. Fuer heute habe ich eine Versammlung meiner Untergebenen anberaumt und bin leider also verhindert, mich zu dem von Dir befohlenen Rendez-vous einzufinden, doch werde ich sicher bei dem naechsten am Siebenbruedertag erscheinen und Dir ausfuehrlich Bericht erstatten. Bis dahin, verehrter Bruder, sei im Herrn gegruesst von Deinem eifrigen und getreuen H. de M. I. de la Robe." Er sprang ueberrascht vom Stuhle auf. "Ein Jesuit de la Robe! Er ist von Adel, und zwar von franzoesischem, wie es scheint! Ich habe es hier jedenfalls mit einer weitverzweigten Verbindung zu thun, welche den Zweck hat, durch eine Umstuerzung der gegenwaertigen Verhaeltnisse, mit anderen Worten durch eine Revolution, den Jesuiten den Eingang in das Land zu erzwingen und sie, was die Folge davon sein wuerde, an das Ruder zu bringen. Emery hat Recht; dieser Rentier Aloys Penentrier ist ein hervorragendes Mitglied des Ordens und ein ebenso schlauer als kuehner Mensch. Die Sache ist von unendlicher Wichtigkeit. Ich werde sofort wieder hinaus nach der Ruine gehen, um meine Untersuchung von Neuem aufzunehmen." Er kleidete sich sofort wieder an, versah sich mit einem Stricke von der Laenge dessen, den er am Brunnen in der Hand gehabt hatte, steckte eine Blendlaterne, Hammer, Zange und sonstiges Geraethe zu sich, dessen er beduerftig sein konnte, und machte sich dann auf den Weg. Als er die Treppe hinabstieg, vernahm er unten in der Werkstatt ein lautes, geraeuschvolles Gaehnen. "Uu-aah! Uu-aah! Thomas Schupert, was pist Du dumm und alpern! Erst drei Uhr, hoechstens halp Viere; konntest noch peinahe zwei Stunden im Pette pleipen! Aper die Zigeunerin, die Hexe, hat mir keine Ruhe gelassen. Sie ist mir im Traum erschienen, hat mich gehetzt und gejagt wie ein poeser Geist und mir das Gesicht zerkratzt und zerpissen. Es ist nur gut, dass es blos im Traum passirt ist, denn sonst koennte ich mich vor der Parpara Seidenmueller zehn Wochen lang nicht sehen lassen." Max musste laecheln bei diesem lauten Monologe, der an den Liebesgedanken des braven Kavalleristen zum Verraether wurde. Sollte er ihn mitnehmen? Thomas war treu und verschwiegen, und vier Augen und Haende konnten jedenfalls mehr sehen und verrichten als zwei. Er trat in die Werkstatt, wo der Geselle eben beschaeftigt war, in die Jacke zu fahren. "Guten Morgen, Thomas!" "Tausendsapperlot, guten Morgen, Herr Doktor! Sind Sie auch schon munter? Ich glaupe, die Hexe hat Ihnen auch keine Ruhe gelassen!" "Willst Du schon arbeiten?" "Ich moechte wohl, aper ich darf nicht, weil ich sonst die Anderen aufwecke." "Ich habe einen Gang vor. Willst Du mich begleiten?" "Zu Pefehl, Herr Doktor!" "So ziehe Dich an und vergiss Deine Morgenpfeife nicht!" "Hm, ja, Herr Doktor, mein Tapak ist alle!" "So nimm hier eine Cigarre!" "Danke schoen! Ampalema?" "Nein, Cuba." "Cupa? Hape noch keine geraucht. Pin neugierig, welche pesser ist, Cupa oder Ampalema." Der rauchlustige Geselle war mit seiner Toilette schnell fertig, dann schritten sie in den frischen Morgen hinein. Das Leben war in der Stadt noch nicht erwacht; erst spaeter begegneten ihnen einige Milchwagen, welche das Strassengeraeusch alltaeglich zu beginnen haben. Max fuehlte keine Lust zu einer Unterhaltung; er gab seinen Gedanken Audienz, die er erst dann beendete, als er mit seinem Begleiter die Ruine erreicht hatte. Er schritt ueber den Hof derselben nach der Stelle, an welcher er sich in der vergangenen Nacht versteckt gehalten hatte. Ausserhalb des Gemaeuers breitete sich ein schmales, ebenes Terrain aus, welches von Truemmern uebersaeet und mit Gras bewachsen war. Am Rande des Plateaus fiel es senkrecht in die Tiefe und bildete mit der naechsten Hoehe eine Spalte, welche schmal, tief und von allen Seiten geschlossen war. Am Rande derselben stand eine alte Tanne, welche eine Anzahl ihrer starken Aeste weit ueber den Abgrund hinausstreckte. Max blieb stehen und wandte sich an den Gesellen. "Thomas, da draussen ist heute Nacht Jemand ermordet worden." Der gute Schubert bekam einen Schreck, der ihm in alle Glieder fuhr. Mit weit aufgerissenen Augen und alle zehn Finger von sich streckend trat er einige Schritte zurueck. "Ermordet? Umgepracht? Tausendsapperlot! Wer denn? Von wem denn? Ich pin's nicht gewesen, Herr Doktor!" "Nein, Du warst es nicht," antwortete Max laechelnd. "Ich habe nicht weit davon gestanden und es weder verhindern, noch mir spaeter Gewissheit verschaffen koennen. Lass uns einmal suchen, ob wir etwas entdecken." "Zu Pefehl, Herr Doktor! Augenplicklich werde ich suchen. Vielleicht ist der arme Teufel noch nicht ganz todt, und es gelingt uns, ihn wieder aufzupringen!" Auch jetzt war ihre Nachforschung vergeblich, bis Max an die Tanne gelangte und da bemerkte, dass unter derselben das Gras niedergetreten war. "Was meinst Du zu dieser Stelle, Thomas?" "Was ich meine, Herr Doktor? Hier hapen sich ein Paar pei den Haaren gehapt und tuechtig herumgepalgt." Das Auge unwillkuerlich emporhebend, machte Max jetzt eine Bemerkung, welche mit der naechtlichen That in Verbindung stehen musste. In etwas ueber Manneshoehe waren an einem der Tannenaeste zwei Schlingen zu sehen, welche jedenfalls von starken, hanfenen Schnueren herruehrten, an denen eine bedeutende Last gehangen hatte, denn sie waren so fest zugezogen, dass sie in die rauhe Schale des Holzes eingeschnitten hatten. Beide Schnuren waren, das sah man deutlich, unterhalb der Schlingen mit einem Messer abgeschnitten worden, die eine vor laengerer Zeit und die andere gewiss erst in der verflossenen Nacht, wie die Schaerfe der Schnittflaeche und die Farbe der Fasern bewies. "Betrachte Dir doch einmal diese Schlingen, Thomas!" "Zu Pefehl, Herr Doktor! Ich will gleich auf der Stelle den grossen Ampos verschlingen, wenn sich da nicht Zwei aufgehaengt hapen, die nachher wieder apgeschnitten worden sind!" "Du meinst, sie haben sich selbst aufgehaengt?" "Natuerlich! Man haengt sich doch stets selber an den Paum. Ein Anderer wird einem nicht gern pehilflich sein." "Und diese Spuren im Grase?" "Sapperlot, das sieht allerdings aus, als op sie sich gewehrt haetten!" "Diese eine Schlinge stammt von letzter Nacht, die andere ist hoechstens drei Wochen alt. Hast Du waehrend dieser Zeit einmal gehoert, dass sich auf dem Klosterberge Jemand gehaengt haette?" "Nein." "Die Ermordeten sind also nicht gerichtlich aufgehoben, sondern von den Moerdern sofort wieder abgeschnitten worden und - " Er trat an den Rand der Spalte und blickte hinab. Das kahle, nur an wenigen Stellen mit Bueschelgras bewachsene Gestein zeigte die deutliche Spur eines Koerpers, welcher zur Tiefe gestuerzt war. "Und," fuhr er fort, "hier unten haben sie ihr Grab gefunden." "Hapen sie ihr Grap gefunden," nickte Thomas, seinerseits auch aufmerksam hinabblickend. "Wir muessen Anzeige machen, Herr Doktor!" "Ehe ich mich dazu entschliesse, muessen wir ein Anderes untersuchen. Komm!" Er schritt zum Brunnen und zog den Strick hervor, den er an dem Felsblock befestigte. "Wir muessen hinab in den Brunnen." "Da hinap? Warum denn, Herr Doktor? Ist da auch einer umgepracht worden?" "Nein. Bleib einstweilen noch oben und passe auf, dass uns Niemand ueberrascht!" "Zu einer Ueperraschung ists zu frueh, Herr Doktor. Zur jetzigen Stunde kommt Niemand auf den Perg gestiegen." Max untersuchte den inneren Brunnenrand. Es war weder eine Leiter noch sonst etwas Derartiges zu bemerken; aber als er den hinunterhaengenden Strick hin- und herschwankte, stiess dieser an ein Hinderniss, und bei schaerferem Niederblicken gewahrte er, dass dieses in einem eisernen Bolzen bestand, welcher in die Brunnenmauer eingetrieben worden war. Das Raethsel war geloest. Jedenfalls fuehrte eine Reihe solcher Bolzen, die zugleich als Stufen und Haltepunkte fuer die Haende dienten, zur Tiefe hinab, und das Seil hatte keinen anderen Zweck, als die Passage bis zum obersten Bolzen zu erleichtern, da dieser, um nicht von unberufenen Augen bemerkt zu werden, so tief wie moeglich hatte angebracht werden muessen. Max liess sich an dem Stricke bis zu ihm hinab und sah seine Voraussetzung bestaetigt. In kaum ellenweiter Entfernung von einander befand sich ein Bolzen unter dem andern, so dass er in groesster Bequemlichkeit zur Tiefe gelangen konnte. Als er in dem Munde des Brunnens verschwunden war, zog Thomas ein Streichholz hervor und steckte die Cigarre in Brand. Er hatte sie vorhin vor Schreck ausgehen lassen. "Da ist er nun hinap, und wer weiss, was ihm da unten arrivirt. Seit er von seiner Reise wieder da ist, kommt ein Apenteuer auf das andere. Gestern der Einpruch in den Garten und die Hexe, heut die zwei Gehenkten und das Loch hier. Was wirds weiter gepen! Aper ein tuechtiger Kerl ist er, und eine gute Cigarre raucht er, das ist wahr. Diese Cupa ist noch pesser als die Ampalema. Wenn ich nur wuesste, wie ich es anfange, um noch eine zu pekommen." Unterdessen hatte Max den Boden erreicht und zog die Laterne hervor, um sie anzubrennen. Als dies geschehen war, leuchtete er um sich. Er bemerkte nichts, als die ihn eng umgebende Mauerrundung, welche hier unten nicht aus Ziegeln, sondern aus viereckigen Platten aufgefuehrt war. Eine Versammlung von vierzehn Personen konnte in dem engen Raume unmoeglich abgehalten werden. Er nahm den Hammer und klopfte an die Mauer. Dem Aufstiege gegenueber vernahm er einen hohlen Klang. Er drueckte, und zwei ueber einander liegende Platten bewegten sich nach innen, so dass eine Oeffnung entstand, welche gerade gross genug war, dass ein Mann in gebueckter Stellung sie passiren konnte. Er trat ein. Der Eingang verschloss sich in Folge der Schwere der Platten ganz von selber. Sie waren an ihrer Rueckseite mit Brettern verkleidet, durch welche sie zusammengehalten wurden. Er befand sich jetzt in einem ungefaehr acht Fuss hohen, viereckigen Raume, welcher ringsum nothduerftig verschalt war; die Decke wurde von einigen Pfeilerstuetzen gehalten. Ein roh zusammengezimmerter Tisch stand in der Mitte, an dessen oberer Seite ein auf zwei Pfaehlen genageltes Brett wohl als Sessel des Vorsitzenden diente, waehrend an den Waenden einige Baenke von derselben primitiven Konstruktion angebracht waren. Die sorgfaeltigste Untersuchung des Raumes hatte kein weiteres Ergebniss, und keine Nadel, kein Papierschnitzel fand sich als Zeichen, dass sich hier vor noch ganz kurzer Zeit eine Anzahl Maenner zusammengefunden hatten. Er trat wieder hinaus in den Brunnen und blickte nach oben. Als Knabe hatte er sich mit einigen Schulkameraden mehrere Male hier herabgelassen. Der Brunnen schien ihm nicht mehr die fruehere Tiefe zu besitzen, was jedenfalls eine Folge davon war, dass er die aus dem geheimen Versammlungsraum herausgeworfene Erde hatte aufnehmen muessen. Er blies das Licht aus, steckte die Laterne zu sich und stieg wieder nach oben. Thomas sass auf dem Felsblocke und erwartete ihn. "Das hat lange gedauert, Herr Doktor. Peinahe waere ich nachgekommen." "War nicht nothwendig, lieber Schubert. Ich bin allein fertig geworden." "Ich darf wohl nicht fragen, was es da unten gegepen hat? Sie dachten gewiss, man koennte die peiden Leichen auch hier hinapgeworfen hapen." "Sie sind nicht aufzufinden," antwortete er, den Gesellen bei dieser Meinung lassend. Obgleich er von der Treue und Verschwiegenheit desselben vollstaendig ueberzeugt war, hielt er es doch fuer besser, den eigentlichen Zweck seiner Morgenpromenade geheim zu halten. Daher fuhr er fort: "Vielleicht war das mit dem Aufhaengen auch nur eine Taeuschung. Es ist am Gerathensten, wir schweigen gegen Jedermann ueber diese Angelegenheit, von der wir doch nur amtliche Wege und Verantwortung haetten." "Ich pin gleich dapei, Herr Doktor. Mich hapen sie nicht erschlagen oder an den Paum geknuepft, und vor dem Gerichte und der Polizei hape ich all mein Leptage ganz gewaltigen Respekt gehapt. Von mir erfaehrt Niemand, wo wir gewesen sind." "Auch die Barbara nicht?" frug Max laechelnd, an die gestrigen Worte des Kavalleristen denkend. "Auch die Parpara nicht, Herr Doktor," versicherte dieser. "Pei einem Weipsen ist so etwas erst recht unsicher aufgehopen!" Sie traten den Heimweg an. Aus der Schmiede toenten ihnen schon von Weitem maechtige Hammerschlaege entgegen. Vor der Thuer derselben hielten mehrere Pferde, von Reitknechten in koeniglicher Livrée gehalten. "Sapperlot, da ist am Ende gar die Majestaet schon auf den Peinen, und Thomas Schupert, der Opergeselle, hat dapei gefehlt!" "Ich werde Dich entschuldigen. Hier nimm noch diese Cigarren fuer Deine Begleitung!" "Alle?" "Alle!" "Zu Pefehl, Herr Doktor, und danke pestens," antwortete er, das dargereichte Etui leerend. "Diese Cupa ist ausgezeichnet und von einem guten Tapak faprizirt. Die muss ich heut der Parpara vorrauchen, die sich wundern wird, was der Thomas Schupert fuer ein feiner Kerl geworden ist!" Mit dem Ruecken nach dem Feuer stand der Hof-, Kur-, Huf- und Waffenschmied Brandauer und hielt ein mit der Zange gepacktes Stueck gluehendes Eisen auf den Ambos. An der andern Seite desselben schwang ein Mann, dessen Kleidung ihn nicht als Schmied kennzeichnete, den grossen Zuschlagehammer, dass ringsum die Funken spruehten. Zwar trug er ein ledernes Schurzfell und hatte die Aermel seines Hemdes nach loeblicher Schmiedesitte nach innen aufgestreift, aber dieses Hemd war vom feinsten und theuersten franzoesischen Linnen gefertigt, und die ganze uebrige Erscheinung, auch abgesehen von den funkelnden Brillantringen an seinen Haenden, bewies, dass er sich bereits unter den Haenden eines kundigen Kammerdieners und geschickten Friseurs befunden habe. Es war der Koenig. Hohe Herren haben ihre Passionen. Es gibt beruehmte Herrscher, welche als Goldschmiede, Drechsler, Koeche ganz Betraechtliches leisteten; Peter der Grosse wurde sogar Schiffszimmermann. Jedermann im Lande kannte die ausserordentliche Liebhaberei des Koenigs fuer die Schmiedekunst, und Jedermann in der Residenz wusste, dass der hohe Herr diese Kunst sehr fleissig und geschickt in der Hofschmiede ausuebte. Wenn die Sorgen der Regierung ihm einmal allzu drueckend wurden oder er aus irgend einem andern Grunde das Beduerfniss empfand, sich zu zerstreuen, ging er zur Schmiede und griff zu Hammer und Zange. Die hohen Wuerdentraeger sahen dies gern, weil er dann jedesmal heiter und guter Laune zurueckkehrte, was ihnen die Erfuellung ihrer dienstlichen Obliegenheiten bedeutend erleichterte. Und auch das Volk sprach mit Genugthuung von dieser Passion, die dem Lande kein Geld kostete wie so manche Liebhaberei anderer Herrscher, welche das Volk mit seinem Schweisse zu bezahlen hat. Es war oft vorgekommen, dass der Koenig auf einer Reise, die er von Zeit zu Zeit durch die Provinzen des Reiches unternahm, vor einer Schmiede halten liess, um den Hammer zu schwingen und dann laechelnd und mit Befriedigung wieder aufzusitzen. Die kleine, unscheinbare Hofschmiede in der Vorstadt war im ganzen Lande ebenso bekannt wie das Theater und andere beruehmte Baulichkeiten der Residenz, und Brandauer ahnte nicht, dass selten ein ehrbarer Provinzler die Hauptstadt besuchte, ohne wenigstens einmal vor seiner Schmiede vorbeipatrouillirt zu sein. Auch heute war der Koenig schon am fruehen Morgen erschienen, um sich einige Pferde seines ausgezeichneten Marstalles selbst zu beschlagen. Die Gesellen und Lehrjungen hatten sich entfernen muessen, und nun erklang neben dem Takte der Hammerschlaege das Gespraech der beiden Maenner, die sich aeusserlich so fern und innerlich so nahe standen. "Also keine Jesuiten, Brandauer?" frug der Koenig. "Nein, Majestaet. Sie sind fuer das Land das, was die Maeuse fuer das Feld und die Raupen fuer den Baum." "Hast Recht, Brandauer," klang es unter Hammerschlaegen. "Der Herzogpraesident will sie haben, aber ich, ich will sie nicht, ebenso wenig wie Du. Gieb das Eisen noch einmal ins Feuer!" Der Schmied gehorchte und zog den Blasebalg an. "Und was war das andere, was Du mir noch sagtest?" frug der Koenig, den Arm auf den Hammerstiel stuetzend. "Das von der Revolution." "Pah! Leeres Gerede, von franzoesischen Muessiggaengern angestiftet. Ich thue meine Pflicht, und mein Volk ist mit mir zufrieden. Schau diesen Hammer! Mit ihm zermalme ich das Eisen. Es gibt einen Hammer, unter dem die Rebellion zerstiebt. Was sagst Du zu den Zollstreitigkeiten mit Suederland?" "Wie viel bringt der Zoll im Jahr?" "Wenig; gegen fuenfmalhunderttausend Thaler." "Und was kostet die Bewachung der Grenze?" "Einige zehntausend Thaler mehr als diese Summe." "So lassen Sie den Zoll fallen, Majestaet!" "Von dem angezogenen Gesichtspunkte aus hast Du Recht, doch muss diese Frage auch von anderen Seiten beleuchtet werden, die Deinem Verstaendnisse fern liegen." "Ich denke wie mein Junge, und der verstehts!" antwortete der Schmied kurz und mit vaeterlichem Stolze. "Was sagt er zu der Todesstrafe?" "Weg damit!" "Gut. Muss ihn einmal hoeren. Heraus mit dem Eisen, Alter!" Wieder klang der Hammer und wieder stoben die Funken. Da trat Max ein und gruesste mit einer tiefen, respektvollen Verbeugung den hohen Gehilfen seines Vaters. "Guten Morgen, Herr Doktor! Wieder zurueck in die Heimath?" Er schlug zu, bis das Eisen wieder in das Feuer musste, dann reichte er ihm mit sichtlichem Wohlwollen die Hand. "Willkommen! Hast Du Zeit, mein Bursche?" "Stets fuer Ew. Majestaet!" "Dann herunter mit dem Rocke, das Schurzleder um und den Hammer in die Hand. Wollen einmal wieder zu Dreien schlagen!" Im Garten sassen die Gesellen und plauderten, in ihrer Naehe, wie gewoehnlich, die Lehrjungen. Wenn der Koenig in der Werkstatt war, hatten sie stets freie Zeit. "Wenn da jetzt Jemand zuhoeren koennte!" meinte Heinrich, der Artillerist. "Da wird Politik getrieben und manche Frage entschieden, von der selbst der Minister nichts zu hoeren bekommt. "Ja, das ist am den!" bekraeftigte Baldrian. "Der Alte ist ein praktischer Kopf, aber der Koenig richtet sich doch mehr nach dem, was der junge Herr sagt, wenn er es sich auch nicht merken laesst. Aus dem wird gewiss noch etwas Grosses." Baldrian nickte sehr eifrig mit dem Kopfe. "Vielleicht gar ein Kavalleriewachtmeister," fuhr Heinrich fort, hinueber zu Thomas schielend. "Das ist moeglich," antwortete dieser ruhig, "denn zur Artillerie zu gehen wird ihm nimmermehr einfallen; die ist zu grop und unverschaemt." "Ist das am den?" frug Baldrian, dem es stets Vergnuegen gab, die Beiden aneinander zu bringen. "Natuerlich! Und wers nicht glaupen will, der praucht nur einen Plick auf den Heinrich da zu werfen, dann wird ers wohl pegreifen, dass ich Recht hape. Wir von der Reiterei dagegen sind immer feine Leute; denn warum geht der junge Herr am liepsten mit mir, he? Und wer pekommt die meisten Ampalema? Wer hat heut sogar siepen Stueck Cupa pekommen? Der Thomas von der Kavallerie!" "Und wer hat gestern Abend sogar eine Flasche Wein von ihm erhalten?" neckte Heinrich. "Ich glaupe, Du jedenfalls nicht!" "Nein, aber der Baldrian von den Grenadieren." "Ist das wahr, Paldrian?" "Das ist am den!" nickte stolz der Gefragte. "Pei wem denn und wofuer denn? Oder ist das etwa ein Geheimniss?" Der Grenadier nickte bedaechtig. "Das ist am den!" Dann erhob er sich und schob sich langsam von dannen. Es lag nicht in seiner Absicht, sich ausfragen zu lassen. Thomas und Heinrich aber neckten sich fort, bis der Meister nach ihnen rief. Der Koenig hatte in Begleitung des Doktors die Schmiede verlassen; nun konnten die Gehilfen wieder an ihre gewohnte Arbeit gehen. Erst nach Verlauf von ueber einer Stunde kehrte Max zurueck. Er hatte sich aus dem koeniglichen Marstalle beritten gemacht und sass auf einem Rapphengste von ganz vorzueglicher Rasse. "Bekommen?" frug der Vater, vor die Thuer tretend. "Ja, sogar auch vom Minister." "Du bringst sie natuerlich zu uns!" "Versteht sich!" Er nahm den Rappen in die Zuegel und sprengte im kurzen Galoppe davon. Der Schmied sah ihm nach, so lange er es vermochte; es konnte Niemand stolzer sein als er auf seinen Sohn. Max verfolgte dieselbe Strasse, auf welcher er heute Morgen nach der Ruine gelangt war. Von da fuehrte sie immer laengs des Flusses stromaufwaerts in das Gebirge, wo in etwa drei Meilen Entfernung von der Residenz ein steiler Hoehenzug bis hart an das Ufer trat und dort eine natuerliche Felsenbastion bildete, auf welcher sich das alte Schloss erhob, dessen aus den verschiedensten Jahrhunderten stammende Baulichkeiten jetzt die Landesirrenanstalt bildeten. Der Direktor derselben war ein ehemaliger hoher Militaerarzt, welcher durch die Protektion des Herzogs von Raumburg diese hoechst eintraegliche Stellung erhalten hatte. Er hatte sich vor wenigen Minuten erhoben und sass mit seiner Familie bei dem sehr reichlich ausgewaehlten Fruehstuecke. Der Mann erfreute sich eines bedeutenden Leibesumfanges, und seine feisten, glaenzenden Wangen gehoerten ganz entschieden zu der Kategorie der Haengebacken. "Nichts Neues, meine Liebe? Bitte, schenke mir nochmals ein!" "Es kam diese Nacht ein Kurier vom Herzog. Er wollte unbedingt Dich selber sehen; ich sagte ihm jedoch, dass Du verreist seist. Hier hast Du Kaffee! Ist er suess genug?" "Recht so, mein Herz! Der Schlaf ist das bedeutendste Beduerfniss der menschlichen Konstitution; wer ihn kuerzt, kuerzt sich das Leben. Die Depesche kommt auf alle Faelle noch rechtzeitig zum Lesen. Bitte, thu mir noch ein Stueck Zucker in die Tasse!" "Sie liegt hier auf dem Teller. Willst Du sie oeffnen? Hier ist Zucker!" "Lass sie liegen! Jede Lektuere bei Tische strengt mittelbar diejenigen Theile unseres Koerpers an, welche der Verdauung, also der Erhaltung unseres Lebens dienen. Gieb mir noch ein Broedchen; aber etwas mehr Butter darauf!" "Hier hast Du, mein Lieber! Was wuenschest Du zum zweiten Fruehstuecke? Wirst Du zum Morgenrapporte heut nicht etwas zu spaet kommen?" "Nein, liebe Frau; der Vorgesetzte kommt niemals zu spaet; das musst Du Dir merken. Eine kleine, noble Verzoegerung, wie Du sie ja auch stets beim Besuche der Soiréen und Kraenzchen in Anwendung zu bringen pflegst, gehoert mit zu den Vorzuegen und Rechten der Distinktion. Dein Schinken war gestern gut; ich moechte von ihm haben, doch gieb mir statt des Bordeaux einmal einen Trébisond. Er ist zwar etwas schwer, aber meine angegriffenen Nerven beduerfen einer solchen Staerkung. Ich glaube, ich werde einige Wochen in das Seebad gehen muessen. Ein Stueck Torte hast Du wohl uebrig. Magst Du mir die Tasse nochmals fuellen?" "Hier, mein Guter! Es ist wahr, Du strengst Dich wirklich zu sehr an, was um so mehr zu bedeuten hat, als diese Anstrengung eine rein geistige ist, ganz abgesehen davon, dass die taegliche Revision der Zellen auch bedeutend echauffirt. Ich werde den Konditor abdanken. Er macht mir seit einigen Tagen zu viel Mandeln in das Gebaeck, welches dadurch einen bittern Geschmack erhaelt, der mir den ganzen Tag nicht von der Zunge kommt." "Ich empfehle Dir allerdings, zu einem andern zu gehen. Die bittre Mandel hat einen ganz bedeutenden Gehalt an Blausaeure, bekanntlich eines der staerksten Gifte, und ich habe natuerlich nicht im mindesten die Intention, mich von dem ersten besten Zuckerbaecker umbringen zu lassen. - Was Du da von der geistigen Anstrengung sagst, hat seine vollstaendige Richtigkeit, ganz besonders aber bei dem Irrenarzte. Durch das stete Beisammensein mit geistig gestoerten Subjekten schwebt man stets in hoechster Gefahr, selbst verrueckt zu werden, wie es ja Faelle gegeben haben soll, dass irrthuemlich Internirte, welche vollstaendig gesund waren, dadurch wirklich monoman geworden sind. Ich halte mich in Folge dessen von jeder naeheren Beziehung zu meinen Wahnsinnigen und jeder Beobachtung ihres Zustandes grundsaetzlich fern. So, das hat geschmeckt, und nun gib die Depesche her, meine Liebe!" Sie reichte ihm das sorgfaeltig versiegelte Schreiben; er erbrach dasselbe, um es zu lesen. "Hm, ein neuer Zuwachs!" meinte er sodann, das Papier zusammenfaltend. "Maennlich?" "Nein, weiblich; eine Zigeunerin." "Ah! Jedenfalls eine Landstreicherin. Woher wird sie eingeliefert?" "Sie kommt selbst." "Selbst? Freiwillig? Wie ist das moeglich?" "Sie kommt, um ihren Sohn zu besuchen, und wird dabei festgehalten." "Wer ist ihr Sohn?" "Nummer Elf der Tobsuechtigen." Die aeltere Tochter legte den Kaffeeloeffel klirrend in die Tasse zurueck. "Der huebsche Offizier, welcher immer behauptete, er sei gesund und werde nur aus schlimmen Gruenden fuer krank erklaert?" "Derselbe, mein Kind." "Papa, ich halte ihn fuer nicht wahnsinnig, und die beiden Unteraerzte sind ganz derselben Meinung." "Woher weisst Du das Letztere?" frug er frappirt. "Ich hoerte diese Bemerkung, welche sie aussprachen, ohne meine Gegenwart zu wissen." "Die beiden Assistenten sind noch jung im Berufe und haben also kein Urtheil. Der Oberarzt hat ebenso wie ich die Krankheit konstatirt, und ueberdies liegt ueber dieselbe ein Urtheil unserer allmaechtigen Durchlaucht vor, welches Du wohl als untrueglich gelten lassen musst. Nummer Elf wird die Anstalt nicht verlassen. Seine Stoerung tritt taeglich mehr und mehr hervor; er gehoert bereits zu den Tobsuechtigen, und da ich ihn nicht anders als durch Kostentziehung zu diszipliniren vermag, so ist er koerperlich bereits so abgeschwaecht, dass er sich binnen kurzer Zeit todtrasen wird. Er kommt ohnehin aus der Zwangsjacke niemals heraus." "Es muss hier ein hoechst interessantes Geheimniss vorliegen, Papa. Er war Hauptmann trotz seines jugendlichen Alters und ist der Sohn einer Zigeunerin. Der Herzog lieferte ihn ein und gibt Dir jetzt auch den Befehl, seine Mutter festzuhalten. - Hast Du den "Irren von St. James" von Philipp Galen gelesen, Papa?" "Mein Kind, ich habe nach der Ueberzeugung zu handeln, dass sich der Herzog und die Wissenschaft niemals irren koennen. Die Familienbeziehungen der Eingelieferten gehen mich nichts an, und dass mir fuer die Lektuere von Romanen nicht die mindeste Zeit uebrig bleibt, weisst Du ja. Ich glaube sehr, dass an Deinem "Irren von St. James" nicht ein Tuepfelchen Wahrheit ist!" Er erhob sich, um sich zum Rapporte zu begeben. Die Aerzte standen bereits, von dem Diener eingefuehrt, in seinem Arbeitskabinete. Sie hatten schon ueber eine halbe Stunde auf ihn gewartet. "Guten Morgen, meine Herren," gruesste er herablassend. "Setzen Sie sich! Ehe ich Ihnen den taeglichen Bericht abnehme, muss ich Sie auf einen Umstand aufmerksam machen. Es wird naemlich im Laufe des Vormittags eine Zigeunerin erscheinen, um ihren Sohn zu sehen. Diese Person ist wahnsinnig und wird sofort, das will ich gestatten, da die mir gewordene Instruktion es nicht verbietet, auf fuenf Minuten zu ihrem Sohn gebracht, dann aber ohne jede weitere Manipulation in einer der Zellen fuer tobsuechtige Weiber installirt." "Wer ist ihr Sohn?" frug der Oberarzt. "Der Hauptmann Nummer Elf." Die beiden Assistenten warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu, und auch ueber das Gesicht des Oberarztes zuckte ein nur halb unterdrueckter Zug der Ueberraschung. "Seine Mutter eine Zigeunerin? Darf ich fragen, von wem die erwaehnte Instruktion gegeben wurde?" "Von Seiner Durchlaucht dem Herrn Ministerpraesidenten und Generalissimus Herzog von Raumburg." "Dann ist sie allerdings wahnsinnig. Seiner Durchlaucht stehen so untruegliche aerztliche Kapazitaeten zur Seite, dass eine Untersuchung hierorts vollstaendig ueberfluessig ist." "Natuerlich! Ich wuensche nicht, - verstehen Sie wohl, meine Herren, in Folge der betreffenden Instruktion wuensche ich nicht, dass Sie Ihre ja sonst schon so ausserordentlich in Anspruch genommene Divinationsgabe an der uebergeschnappten Landstreicherin vergebens verschwenden. Und jetzt nun zum Rapporte!" Dieser nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Die Untergebenen kannten genugsam das Prinzip ihres Vorgesetzten, die Leitung der Anstalt in der Weise zu fuehren, dass durch dieselbe seine Verdauung nicht gestoert werde. Eben war man beim Schlusse angelangt, als der Pfoertner eintrat, um zu melden, dass eine Zigeunerin im Empfangszimmer sei, welche einen Internirten zu sprechen wuensche, den sie als ihren Sohn bezeichne. "Gehen Sie hinab, Herr Oberarzt," befahl der Direktor. "Das Weitere ist Ihnen ja bekannt." Der Angeredete entfernte sich, ertheilte auf dem Korridore einige Befehle und begab sich dann in den Empfangsraum. Es war Zarba, welche seiner dort wartete. "Wer ist Sie?" frug er barsch, sie mit seinem stechenden Auge scharf fixirend. "Ich heisse Zarba und bin die Vajdzina meines Stammes." "Was will Sie?" "Lese der gestrenge Herr dieses Papier, welches mir der Herzog von Raumburg geschrieben hat!" "Sie war bei ihm selbst?" "Ja." Er entfaltete und ueberflog den Befehl. "Komme Sie!" Er verliess mit ihr das Zimmer, schritt ueber den Hof hinueber und betrat ein finster dreinschauendes und mit eng und stark vergitterten Fenstern versehenes Gebaeude. Hier stieg er eine Treppe empor, liess sich von einem robusten Waerter die Eingangsthuere zu einem dunklen Korridore oeffnen und schob die schweren eisernen Riegel von einer der hier befindlichen, stark beschlagenen Thueren. "Hier herein!" Sie trat ein. Ein doppelter Aufschrei erscholl; er aber schlug die Thuer hinter ihr zu, blickte auf seine Uhr und begann dann, langsam den Korridor auf- und abzuschreiten. In den zahlreichen Zellen zu beiden Seiten des engen Ganges herrschte ein mehr als reges Leben. Hier vernahm man ein zorniges Gestampfe, dort den Tritt eines rasenden Tanzes, dazwischen erscholl weiterhin ein bruellender Gesang, lautes Aechzen und Stoehnen, markerschuetternde Hilferufe, graessliche Flueche und Verwuenschungen toenten dazwischen, oder es liess sich eine zum Erbarmen flehende Stimme vernehmen. Der Oberarzt schien kein Ohr fuer all diese fuerchterlichen Zeichen des schrecklichsten Zustandes geistiger Zerruettung zu haben. Er schritt ruhig hin und her, warf zuweilen einen Blick auf die Uhr und trat, genau als die fuenf Minuten abgelaufen waren, wieder an die Thuer, hinter welcher nach dem ersten Aufschrei tiefe Stille geherrscht hatte. Er oeffnete und befahl: "Komme Sie einmal heraus!" "Schon! Ich bitte den gestrengen Herrn, mich - -" "Ruhe! Sie wird nachher wieder herein duerfen. Jetzt aber komme Sie!" Sie trat zoegernd heraus. Ihre Augen standen voller Thraenen, und in ihrem verwitterten, runzelvollen Antlitze lag ein Ausdruck von Schmerz, Wuth und Rachsucht, der sich unmoeglich beschreiben laesst. "Warum hat man meinen Sohn eingeschnuert, Herr? Der Schaum und das Blut steht vor seinem Munde; er kann sich nicht bewegen, nicht reden; der Schmerz treibt ihm die Augen aus dem Kopfe und - -" "Ruhe! Sie hat mir schweigend zu folgen!" Er fuehrte sie ueber einen zweiten Hof nach einem aehnlichen Gebaeude, welches sie soeben verlassen hatten und in einen gerade so engen und finstern Korridor. Hier oeffnete er eine Thuer. "Trete Sie ein!" Die Zelle hatte ein schmales, niedriges, mit einem Gitterkorbe versehenes Fenster, durch welche der Schein des Tages nur muehsam einzudringen vermochte; die dicken Mauern waren mit starken Pfosten ausgekleidet, und mehrere an ihnen herabhaengende Ketten erhoehten den abschreckenden Eindruck, welchen dieser Raum machen musste. Die Zigeunerin trat einen Schritt zurueck. Eine fuerchterliche Ahnung schien sich ihrer zu bemaechtigen. "Was soll ich da drin?" "Das wird Sie sehen!" "Ich gehe nicht eher hinein, als bis ich es weiss. Ich will zurueck zu meinem Sohne!" "Vorwaerts!" Ohne weitere Umstaende erfasste er sie und schob sie in die Zelle, deren Thuer er wieder verriegelte. "Die Frau bleibt in dieser Nummer," befahl er einer bereitstehenden Waerterin. "Wenn sie sich nicht ruhig verhaelt, geben Sie ihr die Zwangsjacke. Zu essen bekommt sie heute nichts!" Als er ueber den Hof schritt, kam ihm der Pfoertner entgegen. "Herr Oberarzt, ich suche Sie. Es ist ein Herr gekommen, welcher die Anstalt zu sehen wuenscht, und ich weiss nicht, ob ich den Herrn Direktor jetzt stoeren darf." "Wer ist es?" "Ein sehr feiner Herr. Er hat seinen Namen nicht genannt." "Werden sehen." Er inspizirte vorher gemaechlich einige Spazierhoefe und begab sich dann in das Empfangszimmer. Der hier sitzende junge Mann erhob sich. "Der Herr Direktor?" frug er mit einer nicht sehr tiefen Verbeugung. "Der Oberarzt," antwortete dieser frostig. Er mochte glauben, einen Literaten und Berichterstatter von der Sorte, welche gern die oeffentlichen Anstalten interviewt, vor sich zu haben. "Ich bat, den Herrn Direktor sprechen zu duerfen. Ist er verreist?" "Ihr Name?" "Hier meine Karte!" Diese trug die einfache Aufschrift "Dr. Max Brandauer." Der Oberarzt verbeugte sich kalt. "Sie wuenschen, einen Gang durch unsere Anstalt machen zu duerfen?" "Allerdings." "Zu welchem Zwecke?" "Zum Zwecke der Berichterstattung." "Ah!" Ueber das Gesicht des Oberarztes flog die Genugthuung, dass er sich in seiner Voraussetzung nicht getaeuscht habe. "Ich gestatte Ihnen den Zutritt und werde Sie durch einen der Waerter fuehren lassen." "Ich wuensche die Begleitung des Herrn Direktors!" "Geht nicht! Er und vier Aerzte sind von unserem schwierigen Berufe so sehr in Anspruch genommen, dass wir uns unsere kostbare Zeit nur von Vorgesetzten oder Herren hoeherer Extraktion kuerzen lassen duerfen." Max laechelte. "So bin ich also nicht extrakt. Bitte, lesen Sie diesen Befehl, mein Herr!" Er zog einen zusammengefalteten Bogen aus der Tasche und reichte ihn dem Arzte hin. Dieser blickte ueberrascht und ein wenig verlegen auf. Das Papier enthielt einen sehr kurz gefassten Befehl des Ministers des Innern, dem Vorzeiger desselben als koeniglichen Kommissaer alle Zellen und Raeume der Anstalt zu oeffnen und ihm auf alle seine Fragen die ausfuehrlichste Antwort zu ertheilen. "Das ist etwas Anderes, mein Herr," meinte der Arzt beinahe stotternd. "Bitte, bemuehen sich der Herr Doktor mit mir zum Herrn Direktor!" Er fuehrte ihn ungesaeumt in das Arbeitskabinet des Letzteren. Es war leer. Die Direktion hatte sich nach der Anstrengung des Rapportes einem staerkenden Morgenschlaefchen in die Arme geworfen. "Darf ich ersuchen, Platz zu nehmen? Ich werde den Herrn Kommissaer sofort melden." "Wohl! Doch wuensche ich nicht, wieder eine halbe Stunde warten zu muessen. Meine Zeit ist mir noch kaerger zugemessen als den Herren Aerzten!" klang die kurze Antwort. Sie war von Erfolg, denn schon nach kaum zwei Minuten trat der Direktor ein, den schriftlichen Befehl noch in der Hand. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er im Schlafe gestoert worden war. "Herr Kommissaer, ich habe die Ehre - -" "Bitte, Herr Direktor, wo haben Sie den Herrn Oberarzt gelassen?" "Er musste schleunigst zu einem Kranken, welcher - -" "Bitte, rufen Sie ihn ebenso schleunigst zurueck! Sie koennten sonst in den Verdacht kommen, dass er beauftragt sei, die Anstalt auf meine Inspektion vorzubereiten." Der Direktor sah sich gezwungen, zu klingeln, und der Oberarzt trat unmittelbar darauf ein. "Brechen wir auf, meine Herren!" gebot Max. "Ich wuensche zunaechst die Kollektivraeume, wie den Andachtssaal, die Kueche, Spazierorte und so weiter zu sehen, und dann gehen wir die Einzelzellen durch." Es war das erste Mal, dass ein koeniglicher Kommissaer vollstaendig unangemeldet die Anstalt ueberraschte, und das scharfe Auge des Doktors erblickte Manches, ueber welches er zwar einen lauten Tadel zurueckhielt, doch bemerkten seine Begleiter an den zahlreichen Notizen, welche er eintrug, dass sie es nichtsdestoweniger mit einem strengen Besuche zu thun hatten. Der Rundgang durch dieses Haus der Irren liess Max einen tiefen Blick in die Leiden thun, denen der menschliche Geist ausgesetzt ist. Es gab da Gemuethskranke, welche irgendein eingebildetes Ereigniss betrauerten, Idioten, die leise und unablaessig vor sich hinwimmerten, Tiefgestoerte, welche nie einen Laut von sich gaben, und Redselige, die keinen Augenblick zu schweigen vermochten. Es gab da Kuenstler und Dichter, die, beruehmt durch ihre Werke, hier an kindischer Einbildung laborirten oder unter dem Eindrucke eines finstern Phantomes wie seelenlose Kreaturen dahinvegetirten. Einer hielt sich fuer einen Tiger. Man hatte seine Zelle in einen Menageriekaefig verwandeln muessen; er ass nur rohes, blutiges Fleisch, welches er mit den Zaehnen und seinen langen Naegeln zerriss, und bruellte wie ein wildes Thier. Ein Anderer drehte sich unablaessig um sich selbst; er bildete sich ein, die Erdachse zu sein. Ein Fernerer beobachtete den Himmel durch eine wie ein Fernrohr gebrauchte Papierrolle; er hielt sich fuer Galilei und entdeckte alle Tage neue Sterne. Ein Weiterer glaubte Bonaparte zu sein; er stand laut kommandirend in seiner Zelle und dirigirte die Schlacht bei Wagram. In der Zelle Nummer Elf sass ein junger Mensch, in der Weise in die Zwangsjacke eingepresst, dass die furchtbare Kongestion nach dem Kopfe ihm den Verstand rauben musste. Dicker Schaum triefte ihm aus dem Munde, und die blutunterlaufenen Augen quollen aus ihren Hoehlen. Er vermochte nicht zu sprechen, sondern liess bei dem Eintritte der drei Maenner nur ein wildes, unartikulirtes Aechzen vernehmen, in welchem sich die entsetzlichste Todesangst ausdrueckte. "Warum diese Strenge?" frug Max. "Er hat sich an seinem Waerter vergriffen und ihn beinahe getoedtet. Er ist der Schlimmste der Tobsuechtigen und nur auf diese Weise zu zaehmen." Im Weiberhause wiederholten sich mit den durch das Geschlecht bedingten Abaenderungen ganz dieselben Szenen und Verhaeltnisse. Aus einer der Zellen erscholl ein so entsetzliches Geschrei, dass Max es nicht anzuhoeren vermochte. "Um Gotteswillen, Herr Direktor, gibt es kein Mittel, diese Leute zum Schweigen zu bringen?" "Sie werden von selbst aufhoeren. Man hat diese Art Gebruell stets zu hoeren, wenn ein Zuwachs zum ersten Male in die Jacke kommt." "Diese Person befindet sich also erst seit Kurzem hier?" "Seit heute." "Wer ist sie?" "Eine Zigeunerin." "Ah! Welcher Art ist ihr Wahnsinn?" "Das hatten wir noch nicht Gelegenheit zu beobachten, Herr Doktor." "Aber durch die Einlieferungsakten muss Ihnen eine Bemerkung darueber doch unbedingt zugegangen sein?" "Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, sie zu lesen." "Bitte, lassen Sie oeffnen!" Die begleitende Waerterin schob die Riegel zurueck. Inmitten der Zelle lag Zarba auf der Diele; ihre Fuesse staken in eisernen Klammern und ihr Oberkoerper war ganz in derselben Weise wie bei dem Irren Nummer Elf eingeschraubt. Max hatte Muehe, seine Ruhe zu bewahren. "Ist diese Behandlung durchaus noethig, Herr Direktor?" "Durchaus." "Aus welchem Grunde?" "Nun?" frug der Direktor die Waerterin. "Sie schlug an die Thuer und begehrte, herausgelassen zu werden." "Dieser Begehr ist ein sehr natuerlicher und, wie mir scheint, hier auch gerechtfertigt. Ich ersuche Sie, Herr Direktor, die Gequaelte aus ihrer Lage zu befreien!" "Ich darf diesem Wunsche unmoeglich Gehoer schenken, Herr Doktor. Es ist eine Heilung vollstaendig unmoeglich, wenn man gleich im ersten Augenblicke der Behandlung sich einer Inkonsequenz schuldig macht. Ich bitte, dies zu verzeihen!" Der Beamte wusste gar wohl, warum er diese Antwort gab. Entfesselte er die Zigeunerin, so stand gewiss eine Enthuellung der Angelegenheit bevor, ueber welche der Kommissaer am wenigsten Etwas erfahren durfte. "Es ist Ihnen also unmoeglich, meine Bitte zu erfuellen?" "Leider!" "So befehle ich es!" Der Direktor blickte ihm halb verwundert und halb besorgt in das Gesicht. Es gab nur einen Ausweg: "Ich darf auch diesen Befehl nicht beruecksichtigen, Herr Doktor. Ueberhaupt habe ich Befehle zu erhalten nur von Vorgesetzten, welche Eigenschaft Sie allerdings nicht besitzen. Die Excellenz hat mir befohlen, Ihnen alle Auskunft zu ertheilen, nicht aber, Befehle von Ihnen entgegen zu nehmen!" "Schoen! Bitte, lesen Sie auch Dieses!" Er zog ein zweites Schreiben hervor und ueberreichte es. Der Direktor erbleichte, als er seinen Inhalt ueberflog. "Sie sehen, Herr Direktor, dass es mir allerdings hier zusteht, jede mir beliebige Verfuegung zu treffen; diese eigenhaendige Instruktion Seiner Majestaet muss Sie davon ueberzeugen. Lassen Sie diese Frau nicht sofort entfesseln, so entsetze ich Sie auf der Stelle Ihres Amtes!" Diese Drohung hatte einen augenblicklichen Erfolg. Der Direktor war der Waerterin sogar selbst behilflich, die Jacke aufzuschnallen und die Klammern zu loesen. Kaum vermochte die Gemarterte, wieder frei zu athmen, so verstummte ihr Geschrei; aber eine Aufklaerung ihrerseits hatte der Beamte nicht zu befuerchten; sie sank besinnungslos zu Boden. Er sollte aber die Ueberzeugung erhalten, dass der Kommissaer besser unterrichtet sei als er selbst. "Sie sprachen vorhin von den Einlieferungsakten dieser Kranken, die Sie noch nicht studirt haben?" "Allerdings." "Sie haben dieselben aber bereits in Ihrer Hand gehabt?" "Ja." "Sie luegen!" "Herr Doktor - -!" "Ich wiederhole es, Sie luegen. Bitte, schicken Sie sofort, sie herbeiholen zu lassen!" "Ich glaube - ich hoffe, Herr Doktor, dass - ich wollte sagen -" "Nun, was wollten Sie sagen?" "Dass diese Akten allerdings nicht ganz die gewoehnliche Form besitzen - " "Sondern nur in einem Befehle des Herzogs von Raumburg bestehen?" Der Direktor erschrak auf das Heftigste. Wer war dieser junge Mann, dieser einfache "Doktor Max Brandauer", der doch ein so ausserordentliches Vertrauen des Koenigs besass, dass er mit augenblicklicher Entlassung drohen konnte? Und wie kam er dazu, von dem Befehle des Herzogs zu wissen? "So - so - ist es!" stotterte er. "Sie werden mir diesen Befehl ausliefern!" "Herr Doktor, ich kann nicht sagen, ob er sich noch vorfinden wird." "Sie werden ihn finden, um eine amtliche Durchsuchung Ihrer Papiere zu vermeiden. Diese Frau betrat die Anstalt, um ihren Sohn zu besuchen?" "So ist es." "Wo befindet sich derselbe?" "In Nummer Elf der Tobsuechtigen." "Ah! Jener so furchtbar Gefesselte ist es? Vorwaerts, meine Herren; er wird sofort aus seinen Banden befreit!" Er eilte so schnell voran, dass ihm die beiden Andern kaum zu folgen vermochten. Der Direktor schwitzte vor Angst; er wagte waehrend des raschen Ganges kein Wort mit dem Oberarzte zu wechseln. "Nummer Elf oeffnen!" rief Max schon unter der Korridorthuer dem Waerter zu. Die beiden Unteraerzte befanden sich auf einem Rundgange in der Naehe. Sie traten herbei, ueberrascht darueber, dass ein Fremder hier in so stuermischer Weise das Kommando fuehrte. "Herr Doktor Brandauer, koeniglicher Kommissaer!" keuchte der Direktor. Der Genannte aber eilte achtlos an den beiden Maennern vorueber und trat in die Zelle. "Herunter mit der Jacke, augenblicklich herunter!" gebot er. Der Waerter blickte seine Vorgesetzten fragend an. "Thue es!" stoehnte der dicke Direktor, dessen Verdauung heute in einer so unerwarteten Weise gestoert wurde. Jetzt war es Max, welcher beim Oeffnen des Marterwerkzeuges mithalf. Der Befreite sog die Luft in einem tiefen Zuge in die von der entsetzlichen Pressung erloeste Lunge und versuchte, die Glieder zu recken, die von dem stagnirenden Blute angeschwollen waren. Aber die Faehigkeit, zu denken, schien ihm noch nicht zurueckgekehrt zu sein. "Der Name dieses Mannes, Herr Direktor!" "Von Wallroth, vormals Hauptmann der Artillerie." "Seine Einlieferungsakten - ?" Der Direktor schwieg. "Ich verstehe! Sie waren jedenfalls ganz von derselben Beschaffenheit wie diejenigen seiner Mutter. Herr Direktor, es scheinen unter Ihrer Leitung Dinge vorzugehen, welche mich veranlassen, eine strenge Untersuchung zu beantragen. Halten Sie den Hauptmann wirklich fuer wahnsinnig?" "Natuerlich!" "Wer sind diese beiden Herren?" "Meine Unteraerzte." "Meine Herren," wandte er sich an diese, "ich bitte um Ihre Meinung ueber diesen Punkt." "Herr Kommissaer - !" "Keine Ausflucht oder Bemaentelung! Ich frage Sie auf Ihre Ehre und Ihr Gewissen, ob Sie diesen Bedauernswerthen wirklich fuer wahnsinnig halten. Ihre Antwort wird ueber Ihre Stellung und Zukunft entscheiden." "Er wird es in kurzer Zeit sein," antwortete der Muthigere von Beiden. "Das genuegt und stimmt mit meiner eigenen Ueberzeugung vollstaendig ueberein. Herr Direktor, ich erklaere den Hauptmann sammt seiner Mutter fuer frei und aus der Anstalt entlassen. Sorgen Sie augenblicklich fuer die noethige Staerkung der Beiden und dann fuer einen Wagen, in welchem sie mich nach der Residenz begleiten. Vorher aber wollen wir noch sehen, ob der Befehl zu finden ist, welchen Sie heute von Seiner Durchlaucht durch einen Expressen erhielten. Das Weitere wird durch die Behoerde verfuegt werden, deren Instruktion Sie so gern respektiren!" - Fuenftes Kapitel. An der Grenze. Das Koenigreich Norland wird von dem Nachbarstaate Suederland durch ein Gebirge getrennt, welches in zwei parallelen Systemen von Westen nach Osten streicht. Sich nach und nach aus tiefen, sumpfigen Niederungen erhebend, steigt es in seiner mittleren Region viele tausend Fuss hoch ueber die Wolken empor und senkt sich dann allmaehlig zur Kueste des Meeres hinab, um sich seinen felsigen Fuss von den Wogen desselben bespuelen zu lassen. Nur einige schmale, schwer wegsame Paesse oeffnend, bilden die beiden Hauptzuege zwischen sich eine langgezogene Reihe von Thaelern und Schluchten, in welche der erwaermende Strahl der Sonne nur am hohen Mittag zu dringen vermag. Aus ihrem feuchten Grunde steigen duestere Tannen- und Foehrenwaelder empor, welche nur selten der menschliche Fuss betritt, und laesst sich je einmal das Geraeusch von Schritten vernehmen, so wird es verursacht von einem einsam revierenden Forstbeamten, einem verborgen dahinschleichenden Wildschuetzen oder einem Schmuggler, der es bei diesem Terrain wohl wagen darf, seinem verbotenen Gewerbe selbst am Tage nachzugehen. Zuweilen allerdings geschieht es, dass er sich nicht allein befindet; es kommt vor, dass sich aus Ruecksichten des Geschaeftes und der Sicherheit Mehrere an einander schliessen, die dann, wohl bewaffnet und mit schweren Paketen beladen, in einer langen und weiten, Intervalle bildenden Reihe ueber Berg und Thal, durch Busch und Dorn dringen und jederzeit bereit sind, die ihnen anvertrauten Waaren gegen jeden Angriff zu vertheidigen. Diese Schmuggelei ist eine leicht zu erklaerende Folge des heftigen Zollkrieges, welcher zwischen den beiden Nachbarstaaten gefuehrt wird. Im Besitze ganz gleicher Hilfsmittel und an einem und demselben Meere liegend, haben sie einander stets rivalisirend gegenuebergestanden. Zwar hat es nicht an wohlgemeinten Versuchen gefehlt, ein freundlicheres Verhaeltniss herbeizufuehren, doch haben derartige Bemuehungen immer nur einen momentanen Erfolg gehabt, da bei den beiden Nachbarvoelkern eine gegenseitige Abneigung in Fleisch und Blut uebergegangen zu sein scheint, ihre Interessen schwer zu vereinigen sind und die absolute Regierungsform hueben und drueben den Nationen keine Einrichtungen bietet, an der Politik des Herrscherhauses und der Verwaltung des Landes in der Weise theilzunehmen, welcher es moeglich sein wuerde, eine dauernde Inklination heranwachsen zu lassen. Max Joseph, Koenig von Suederland, ist ein Regent, welcher die Traditionen seiner Dynastie in ihrem ganzen Umfange aufrecht zu erhalten weiss, alle Zweige der Administration um seine Person gruppirt, keinem Menschen Einsicht in seine Intentionen gestattet und das "l'état c'est moi" jedem seiner Worte und jedem seiner Befehle aufzudruecken gewohnt ist. Seine Minister sind weniger seine Berather, als vielmehr seine Diener im engeren Sinne des Wortes; er hat nie einen derselben mit besonderem Vertrauen beglueckt, und wie er ein in sich abgeschlossener Charakter ist, so bleibt auch sein ganzes Bestreben darauf gerichtet, eine Schutzmauer um sein Volk zu ziehen, um dasselbe unabhaengig von aeusseren Einfluessen zu machen und es gegen jede von daher kommende Gefahr geruestet zu sehen. Dieses defensive Verhalten wird wohl auch mit bedingt durch die nachbarliche Politik, welche seit einigen Jahrzehnten offenbar als eine offensive bezeichnet werden muss und deren Vertreter kein Anderer als der Herzog von Raumburg ist. Wilhelm der Zweite, Koenig von Norland, ist ein Herrscher von so wohlmeinenden Gesinnungen, wie sie in solchem Umfange wohl keiner seiner Vorfahren aufzuweisen hatte. Leider laesst die Guete seines Herzens nicht Raum genug fuer die strenge Energie, welche ein Mann besitzen muss, in dessen Haende die groessten und schwierigsten Aufgaben staatlicher Entwicklung gelegt sind. Die Guete, welche den Einen beglueckt, scheint den Andern zu benachtheiligen, kraenkt ihn vielleicht wirklich in seinem Rechte, und so kommt es, dass ein Theil der Bevoelkerung den vaeterlichen Herrscher vergoettert, waehrend der andere Theil in stillem, verborgenem Missmuthe sich nach Veraenderungen sehnt, die nur die Selbstsucht, der kurzsichtige persoenliche Egoismus herbeiwuenschen kann. Das Koenigshaus repraesentirt die aeltere Linie seiner Dynastie; die juengere bildet das herzoglich Raumburgische Geschlecht. Nach alten, unumstoesslichen Bestimmungen tritt das Letztere in die Herrschaft ein, wenn die aeltere Linie aussterben sollte. Gegenwaertig ist dazu alle Hoffnung, oder nach einer andern Lesart, alle Befuerchtung vorhanden. Das Koenigspaar wurde mit keinem Thronfolger gesegnet; das einzige Kind, eine Tochter, starb bereits einige Tage nach der Geburt. Der Herzog von Raumburg, welcher mit dem Koenige zugleich erzogen wurde, besass zu aller Zeit das unbeschraenkte Vertrauen desselben, hat sich dasselbe nutzbar zu machen gewusst, nennt sich den eigentlichen Herrscher des Landes und erwartet nur das Ableben des Koenigs, um sich selbst oder seinen Sohn auf den Thron zu setzen. Er hat es ganz vortrefflich verstanden, die Faeden der Administration in seiner Hand zu vereinigen, die Militaermacht sich zu unterstellen und auch auf die diplomatischen Beziehungen zu dem Auslande den weitgehendsten Einfluss zu gewinnen. Dieser Einfluss traegt die alleinige Schuld an dem bisherigen unerquicklichen Verhaeltnisse zu dem Nachbarstaate, und daher erregte es nicht geringe Verwunderung, als man vernahm, nur seiner Vermittlung sei der gegenwaertige Besuch des Kronprinzen von Suederland mit der Prinzessin Asta zu verdanken. Dass dieser Besuch einen politischen Hintergrund habe, war nicht zu bezweifeln, und man erwartete mit allgemeiner Spannung die Zeit, in welcher derselbe auch gewoehnlichen Augen sichtbar werden musste. Es war am Nachmittage. Zwei Wanderer schritten auf der schmalen, holperigen Gebirgsstrasse dahin, welche von der See heraufkommt und sich zwischen den finstern Gebirgsbloecken dahinwindet wie das Bette eines ausgetrockneten Baches, aus welchem man nur die groesseren Felsbloecke entfernt hat, um ihn fuer den Fuss des Wanderers gangbar zu machen. Sie schienen alte Bekannte zu sein, obgleich zwischen ihrem Aeusseren der groesste Unterschied herrschte, den man sich nur denken kann. Der Eine war eine hohe, fast mehr als breitschulterige Figur. Sein von dichtem Haarwuchse bewaldeter Kopf zeigte ein vom Wetter hart mitgenommenes Gesicht, dessen scharfes, offenes Auge mit den derben, gutmuethigen Zuegen sehr gluecklich harmonirte. Dieser Kopf war bedeckt von einem Hute, der so alt war, dass man den Stoff, aus dem er gefertigt war, und die urspruengliche Farbe nur nach einer eingehenden chemischen Untersuchung haette bestimmen koennen. Er war in unzaehlige Knillen und Falten gedrueckt, und weil sein Besitzer jedenfalls eine freie Stirn liebte, so hatte er denjenigen Theil der breiten Krempe, welcher bestimmt ist, das Gesicht zu beschatten, einfach mit dem Messer abgeschnitten. Der Oberleib stak in einem kurzen, weiten, seegruenen Rocke, dessen Aermel so kurz waren, dass man den vorderen Theil der sauber gewaschenen Hemdaermel sah, aus denen ein paar braune, riesige Haende hervorblickten, deren je eine recht gut einen nicht zu kleinen Praesentirteller haette vollstaendig bedecken koennen. Unter dem breit ueber den Rock geschlagenen sauberen Hemdkragen blickte ein roth und weiss gestreiftes Halstuch hervor, welches in einen sechs Zoll breiten Knoten geschlungen war, dessen Zipfel weit ueber die Brust herab bis auf den unteren Saum der blau- und orangekarrirten Weste hingen. Die Beine staken in hochgelben Nankinghosen, welche in fett getheerten Seemannsstiefeln verliefen, in die zur Noth ein zweijaehriger Elephant haette steigen koennen. Sein Gang schlug herueber und hinueber, von Backbord nach Steuerbord und von Steuerbord nach Backbord, gerade wie bei einem lang befahrenen Matrosen, der waehrend der Dauer von vielen Jahren den festen, sichern Erdboden nicht unter den Fuessen gefuehlt hat. Der Andere war eine kleine, schmaechtige Figur. Er trug eine rothe phrygische Muetze, unter welcher ein rabenschwarzes Haar in langen Locken hervorquoll. Sein hageres Gesicht war ausserordentlich scharf geschnitten und zeigte jenen orientalischen Typus, welchen man besonders an den Zigeunern zu bemerken pflegt. Sein schwarzes, unruhiges Auge wanderte rastlos von einem Gegenstande zum andern, und jeder Zollbreit des ganzen Mannes zeigte jene Unruhe und Beweglichkeit, die dem wandernden Volke der Zigeuner zu eigen ist. Seine Kleidung war einfach, bequem und nicht so auffallend wie diejenige seines gigantischen Reisegefaehrten, doch trug sein schwankender Gang ganz dieselben Spuren einer zurueckgelegten laengeren Seereise. An Alter waren Beide einander ziemlich gleich, und auch nach ihrem Innern schienen sie verwandt zu sein, wie die kameradschaftliche Weise ihrer Unterhaltung zeigte. "Ein verdammter Weg, nicht wahr, Bruderherz?" meinte der Riese. "Haette ich gewusst, dass man in diesem Fahrwasser bei jedem Schritte an eine Klippe segelt, so haette ich einen andern Kurs vorgezogen, wenn wir auch einige Tage spaeter in der Residenz die Anker geworfen haetten." "Ich muss herauf in das Gebirge," antwortete der Kleine. "Haettest Du die Bahn benuetzt, so waerest Du in einem halben Tage an Ort und Stelle gewesen." "Die Eisenbahn? Hat Dich der Klabautermann gebissen, he? Soll ich etwa meinen Leichnam in eine Koje stecken, in der man weder stehen, noch sitzen, noch liegen kann und wo noch zehn Andere hocken, so dass ich meine armen Beine geradezu zum Fenster hinausrecken muesste? Und meinst Du wirklich, dass ich so einen braven Maate, wie Du bist, allein in diese Wildniss dampfen lasse, in der er jeden Augenblick Schiffbruch leiden und zum elenden Wrack werden kann? Hast Du mir nicht selbst erzaehlt, dass es hier eine Menge Ungeziefer gibt, dem nicht zu trauen ist, Schmuggler, Wilddiebe und wie die Piraten und Flibustier alle heissen moegen, denen es moeglichen Falles auch nicht darauf ankommt, mit einer Kugel ein ehrliches Menschenkind in den Hafen zu bugsiren, von welchem aus Keiner wieder in See gegangen ist? Nein, wo Du bist, da bin ich auch, ich, der Steuermann Balduin Schubert auf seiner Majestaet Kriegsschiff Neptun." "Gut, Steuermann; wir sind Freunde und werden auf gleicher Laenge und Breite bleiben, bis Du wieder an Bord irgend eines Fahrzeuges gehst." "Ich?" frug Schubert erstaunt. "Nur ich? Ich denke, das thun wir Beide mit einander! Oder hast Du etwa gar Lust, unter das armselige Volk der Landratten zu gehen, die kein Floss von einem Dreimaster unterscheiden koennen und vor Angst in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Tropfen Seewasser sehen?" "Du weisst es, Steuermann, dass ich die See liebe, obgleich ich auf dem Wasser die schlimmsten Tage meines Lebens verbracht habe. Es ist mein Wunsch, einst auf dem Meere sterben zu koennen, aber ich weiss heute nicht, ob nicht die Verhaeltnisse mich am Lande festhalten werden." "Verhaeltnisse? Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Was kann es denn fuer Verhaeltnisse geben, die Dich, den Bootsmann Karavey, verhindern koennten, wieder in See zu gehen?" "Dieselben Verhaeltnisse, welche mich jetzt an das Land und herauf in das Gebirge treiben." "Ich weiss kein Wort von ihnen. Du nennst mich Deinen besten Freund und hast mir noch kein Wort davon gesagt. Ist das recht, he? Wenn Du nicht augenblicklich den richtigen Faden abwickelst, so verdienst Du, gekielholt oder an den Brahmstaengenstag gebunden zu werden!" "Raesonnire nicht, Alter! Es war bisher niemals die richtige Zeit, von diesen Dingen zu sprechen; jetzt aber sollst Du Alles hoeren." "So stosse ab vom Lande!" "Soll geschehen! Du kennst meine Abstammung und weisst, dass ich ein Gitano bin, der - " "Papperlapapp! Gitano, Zingaritto, oder Zigeuner, mir Alles gleich. Du bist ein braver Junge, und da frage ich nicht, ob Deine Mutter eine Graefin oder eine Vagab- wollte sagen, eine Zigeunerin war." "Das bist Du. Aber ausser Dir hat es genug Leute gegeben, welche doch darnach fragen. Mein Vater war Vajda und meine Mutter Vajdzina unseres Stammes. Ich und - " "Stopp, Alter! Was bedeuten diese fremden Worte, he?" "Sie heissen zu Deutsch Fuehrer und Fuehrerin. Ich und meine Schwester Zarba waren die einzigen Kinder, welche ihnen Bhowannie gegeben hatte." "Wieder ein solches Wort, bei dem man in die Zunge einen Knoten machen muss, wenn man es richtig aussprechen will!" "Bhowannie ist die Goettin unseres Volkes. Zarba war der Liebling des Stammes, die Schoenste aller Maedchen, die herrlichste unter den Blumen und Rosen der Erde. Wir waren stolz auf sie und hueteten sie vor den verlangenden Blicken der jungen Maenner aller Laender, durch welche wir zogen. Sie war der Born unserer Freuden und der Quell unseres Glueckes, denn sie verstand es besser als alle Andern, in die Zukunft zu blicken und die Schicksale der Sterblichen voherzuverkuenden." "Papperlapapp, Alter, das glaube ich nicht! Um das zu koennen, muesste man allwissend sein, und das ist kein Mensch." "Um das zu koennen, Steuermann, braucht man nicht allwissend zu sein. Die Eigenschaften eines Menschen sind ihm an die Stirn geschrieben; man liest sie aus jedem Blicke seines Auges, und man vernimmt sie aus jedem Worte seiner Rede. Verstehst Du das, und weisst Du, wen Du vor Dir hast, so wird es Dir nicht schwer, ihm ein Schicksal zu verkuenden, welches sicher eintreffen muss. Zarba war unsere beste Wahrsagerin; sie verdiente fuer uns Gold und Silber von den Reichen und Speise, Trank und Kleidung von den Andern. Gar viele Juenglinge des Stammes hatten ihre Augen auf sie geworfen, doch sie erhoerte keinen, weil ihr Herz nicht sprechen wollte. Da kamen wir in die Residenz, und sie erblickte einen jungen, blanken Offizier, der ihr Herz zur Rede zwang." "Wer war es?" "Ein hoher Herr, aber ein Schurke: der Herzog von Raumburg." "Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Eine Zigeunerin und ein Herzog! Sie muss ganz verteufelt huebsch gewesen sein." "Das war sie, Steuermann, und das war ihr Unglueck." "Da hat sie wohl gar geglaubt, Herzogin zu werden?" "Was er ihr vorgeschwatzt und versprochen hat, weiss ich nicht. Sie aber liess sich bethoeren, entfloh von uns und ging zu ihm." "Habt Ihr sie nicht zurueckgefordert?" "Wir thaten es wiederholt, jedoch vergeblich." "Da schlage der Blitz in die Kombuese! Waere ich ihr Vater oder ihr Bruder gewesen, so haette ich mich Bord an Bord mit dem Herzoge gelegt, ihn geentert, das Maedchen fest ins Schlepptau genommen und waere dann mit ihr davongesegelt, dass es ihm nicht gelungen waere, mich wieder einzuholen." "Stopp, alter Heisssporn! Wollte ein Zigeuner einen Herzog ansegeln, so waere dies ganz derselbe Wahnsinn, als wenn ein einruderiges Fischerboot eine eisernen Panzermonitor ueber den Haufen rennen wollte. Wir mussten sie verloren geben und wurden aus dem Lande gewiesen mit der Deutung, dass man kurzen Prozess mit uns machen werde, falls wir es uns wieder beikommen liessen, die Grenze zu ueberschreiten. Vater und Mutter starben vor Gram; ich sollte Vajda des Stammes werden, verzichtete jedoch darauf und liess die Meinigen allein ziehen. Ich blieb zurueck, da ich von den sterbenden Eltern die Verpflichtung ueberkommen hatte, ueber Zarba zu wachen und sie zu raechen, falls ihr Boeses geschehe. Daher kehrte ich trotz aller Gefahr in das Land zurueck, ward aber ergriffen und fuer lange Zeit in das Gefaengniss gesteckt. Als ich es verliess, erhielt ich doch meine Freiheit nicht wieder, denn ich wurde auf ein Schulschiff transportirt, welches ich lange Jahre nicht verlassen durfte. Ich wurde zu den niedrigsten Diensten kommandirt, und als man mich endlich auf ein Kriegsschiff versetzte, auf welchem ich als Leichtmatrose angestellt wurde, geschah es unter der strengen Weisung, dass ich niemals die Erlaubniss bekommen solle, an das Land zu gehen. So habe ich ein langes Leben als Gefangener zur See verbracht, bis wir einst geentert wurden und die Flagge streichen mussten. Hierdurch erhielt ich meine Freiheit wieder, nahm bei verschiedenen Nationalitaeten Dienste und suchte dabei immer nach einer Gelegenheit, wieder in die Heimath zu kommen, um mit dem Herzoge abzurechnen. Das ist mir jetzt gelungen. Ich habe meinen Namen nicht veraendern koennen, aber das Alter und die Anstrengungen haben das Ihrige gethan; Es wird mich Niemand wiederkennen, und ich kann ohne Sorge ein Land betreten, welches mir bei Todesstrafe verboten wurde." "Das sind ja ganz verteufelte Geschichten, Bootsmann, die Du mir da erzaehlst! Es ist Dir verdammt schlimm ergangen, Alter, doch das wird nun wohl anders werden. Ich bin Dein Freund, das weisst Du, und was ich habe, das ist Alles auch Dein Eigenthum. Ich muss Dir naemlich sagen, dass ich Zeit meines Lebens sehr sparsam gewesen bin und ein Suemmchen besitze, um welches mich mancher Mann beneiden wuerde. Darum meine ich, dass - " "Stopp, Alter, so ist es nicht gemeint! Ich kann und werde von Dir niemals auch nur einen Pfennig annehmen, denn - " "Heiliges Mars- und Brahmenwetter, was faellt Dir ein, Bootsmann! Glaubst Du etwa, der Steuermann Balduin Schubert von Seiner Majestaet Kriegsschiff Neptun nenne sich den Freund eines braven Mannes, ohne es auch zu sein, he? Als wir im indischen Meere an der Felseninsel strandeten, auf welcher Du als Einsiedler lebtest, hast Du mich alten Narren beinahe aus dem Rachen des Haifisches gezogen, der so ganz absonderlichen Appetit auf mein Fleisch hatte; das konntest Du getrost bleiben lassen, wenn Du jetzt nicht mit mir theilen, sondern lieber verhungern willst!" "Weisst Du so genau, dass ich hungern werde?" "Ja! Du hast ja niemals eine Loehnung bekommen, und von den zwei oder drei Schiffen, deren Bord Du nach Deiner Befreiung betreten hast, wird Dir wohl nicht viel klingendes Andenken uebrig geblieben sein." "Von ihnen nicht, aber von der Insel." "Von der Insel? Wieso?" "Schau her!" Der Zigeuner griff unter die Weste und zog ein ledernes Beutelchen hervor, welches er oeffnete. Sein Inhalt bestand in Steinen, welche auf den ersten Anblick voll staendig werthlos erscheinen mochten. "Steine?" meinte der biedere Steuermann kopfschuettelnd. "Was willst Du mit ihnen, he?" Der Andere laechelte selbstbewusst. "Fuer was haeltst Du diese Steine?" "Fuer - nun, alle Wetter, fuer Steine natuerlich!" "Das sind sie allerdings, aber was fuer welche! Hier diese acht sind Diamanten, deren kleinster jedenfalls mehr werth ist, als alle Deine sauer erworbenen Ersparnisse. Die andern sind Rubine, Saphire und Topase, fuer welche mir jeder Juwelenhaendler so viel zahlt, dass ich nicht Noth zu leiden brauche, selbst wenn ich tausend Jahre alt werden sollte." "Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Ist das wahr?" "Wesshalb sollte ich Dich beluegen?" "Allerdings! Aber sage, Du Glueckskind, wie bist Du denn eigentlich zu diesen Kostbarkeiten gekommen?" "Das sollst Du ganz gewiss erfahren, doch jetzt ist keine Zeit dazu, denn mir klebt vor Durst und Hunger die Zunge am Gaumen, und dort das einsame Haeuschen scheint ein Krug zu sein, in welchem wir bekommen koennen, was wir brauchen." "Hast Recht, alter Seebaer. Auch mir ist es inwendig wie einem Dreimaster, der ohne Ladung und Ballast auf den Wogen schlingert und jeden Augenblick kentern kann. Ich muss mir irgend Etwas in die Luke giessen und hoffe, dass es nichts ganz Schlechtes sein werde!" Sie traten in die niedrige und arg verraeucherte Gaststube des Kruges und fanden zwei Tische vor, deren einer bereits von zwei Maennern besetzt war, welche die Neuangekommenen mit neugierigen Blicken musterten. Die seltsame Kleidung des Steuermanns mochte ihr Erstaunen erregen. Der Wirth brachte auf Wunsch des Letzteren reichlich Speise und Trank herbei, denen die beiden hungrigen und durstigen Seeleute mit bestem Appetite zusprachen. Als sie nach beendigter Mahlzeit die Messer von sich legten, meinte Schubert, sich behaglich die Magengegend streichend: "So das waere geschehen! Und nun sage mir doch einmal, welchen Ort oder welchen Menschen Du hier oben in den Bergen zu suchen hast!" "Spaeter!" antwortete Karavey einsilbig, indem er einen misstrauischen Blick auf die Gaeste warf, die sich jetzt erhoben hatten, um den Krug zu verlassen. Sie griffen in die Taschen, um ihre Zeche zu entrichten, und dabei zog der Eine von ihnen einen kleinen, zusammengefalteten Zettel mit hervor, welcher unbeachtet vor ihnen und dem Wirthe zu Boden fiel. Der Wirth begleitete Beide hinaus bis vor die Thuer, wo sie noch einige Zeit ein angelegentliches und leise gefuehrtes Gespraech unterhielten. Diese Gelegenheit benutzte Karavey, um das Papier aufzuheben und zu entfalten. "Was willst Du mit dem Wische, Bootsmann?" frug Schubert. "Nur sehen, was er enthaelt. Kannst Du lesen?" "Nein, nur etwas buchstabiren. Warum?" "Ich kenne nur die Zeichen der Zigeunersprache. Hier stehen drei Worte. Wie heissen sie?" "Zeig her. Vielleicht bringe ich sie heraus!" Er forschte lange auf dem Papiere herum, ehe er begann: "Ta - ta - tannenschlucht - - Pa - pa - parole - Ka - ka - Karavey - also: Tannenschlucht. Parole: Karavey." "Karavey? Das ist ja mein Name! Ist es wahr, dass er hier zu lesen steht, Steuermann?" "Er steht hier!" bekraeftigte der gefragte, stolz auf seine Lesefertigkeit. Der Zigeuner blickte sinnend vor sich nieder. Dann frug er: "Wofuer hast Du die beiden Bursche wohl gehalten?" "Hm, viel Kluges und Ehrbares war es wohl nicht. Sie hatten keine braven Augen." "Ich halte sie fuer Pascher." "Kannst Recht haben, Alter!" "Dann ist auch der Zettel zu verstehen." "Wieso?" "Sie haben in der Tannenschlucht heut ein Geschaeft." "Aber wie kommt Dein Name dazu, als Parole zu gelten?" "Das ist mir auch ein Raethsel. Es muss Einen unter ihnen geben, der ihn kennt." "Und dieser Eine muss der Anfuehrer sein, denn nur von diesem wohl wird die Parole ausgegeben." "Was Du da sagst, ist sehr wahrscheinlich. Weisst Du, dass ich grosse Lust verspuere, die Tannenschlucht auszusuchen?" "Heiliges Mars- und Brahmenwetter, bist Du bei Sinnen? Ein guter Bootsmann haelt stets die Augen offen; Du aber waerest ja vollstaendig mit Blindheit geschlagen, wenn Du Dich ohne Ursache mitten unter dieses Volk vor Anker legen wolltest!" "Und wenn ich nun eine gute Ursache dazu haette?" "Wie lautet sie?" "Das Ziel meiner Wanderung liegt ganz in der Naehe der Tannenschlucht." "So kennst Du diesen Ort, he?" "Sehr gut, von meinen frueheren Wanderungen her. Eine halbe Stunde oberhalb der Schlucht stand damals ein Haeuschen, in welchem unser staendiger Lowenji wohnte." "Was bedeutet dieses Wort?" "Es heisst soviel wie Beschuetzer, Verberger, Verheimlicher - " "Oder Hehler, Gelegenheitsmacher, nicht?" lachte der Steuermann. "Auch richtig! Der Gitano ist ein gehetzter Hund, der sich nur wehren kann, wenn er nicht nach dem Gesetze fragt. Sein Lowenji wohnt stets an der Grenze zweier Laender, und die Lowenja, wie wir seine Huette nennen, darf nie verlassen stehen; sie wird nach seinem Tode sofort mit einem neuen Lowenji besetzt, damit uns nie die Zuflucht und die Hilfe fehlt. Alle seine Geheimnisse erben auf den Nachfolger ueber, der Alles weiss, was man bei ihm erfragen will." "Ah, jetzt verstehe ich! Du gehst nicht geraden Weges zur Residenz, sondern hierher, um Dich bei dem Manne nach Deiner Schwester zu erkundigen?" "So ist es. Die Lowenja ist ganz sicher bewohnt, und ihr Besitzer wird mir wohl Auskunft geben koennen, wo Zarba jetzt zu finden ist, wenn sie noch am Leben ist. Vielleicht erfahre ich bei ihm auch, was es fuer eine Bewandtniss mit dieser Losung hat." "Ist es weit zu ihm?" "Beinahe noch zwei Stunden." "So lass uns aufbrechen, damit wir noch vor Nacht dort ankommen!" Sie bezahlten dem wieder eintretenden Wirthe das Genossene und verliessen den Krug. Die Strasse stieg immer hoeher zwischen den Bergen hinauf; die Gegend wurde wilder und wilder, und als nach anderthalb Stunden der Zigeuner in einen Seitenpfad einbog, schlugen die dunklen Zweige der Tannen und Foehren dicht ueber ihren Koepfen zusammen. Nach einer beschwerlichen Wanderung gelangten sie an eine mit ueppigem Farrenkraut und Dorngestruepp ueberwucherte Waldbloesse, an deren Rande ein Haeuschen stand, dem auf den ersten Blick ein mehr als hundertjaehriges Alter anzusehen war. "Hier ists!" meinte Karavey, indem er ueber die Bloesse hinweg gerade auf die Huette zuhielt. "Eine ganz niedertraechtige Kabine, Alter," antwortete der Steuermann. "Man sollte meinen, diese Bude brauche kein einziges Segel aufzuhissen, um beim ersten Windstosse wrack zu gehen. Wer da drin wohnt, ist wahrlich nicht zu beneiden!" Bei der niedrigen Thuere angekommen, klopfte der Zigeuner. Nur auf ein mehrmaliges Klopfen liessen sich schluerfende Schritte vernehmen; es wurde von innen geoeffnet, und die Spitze einer fuerchterlichen Habichtsnase erschien in dem schmalen Spalt, der vorsichtiger Weise freigegeben wurde. "Wer ist draussen?" frug eine schnarrende Stimme. "Wer wohnt hier?" lautete die Gegenfrage des Zigeuners. "Tirban, der Waldhueter." "Seid Ihr es selbst?" "Ja." "So tretet hervor! Ich habe Euch nach Etwas zu fragen." "Zu fragen? Das koennt Ihr auch so thun; Ihr werdet meine Antwort auch durch die Spalte hoeren." "Dieses Haus ist die Lowenja der wandernden Gitani?" "Wie meint Ihr das?" "Ich frage, ob Ihr der Lowenji seid!" "Hm! Wer seid denn Ihr, und wie lautet Euer Name?" "Ich heisse Karavey." "Karavey? Zarba's Bruder, der einst unser Vajda werden sollte und dann auf das grosse Wasser geschickt wurde, weil sich der Herzog vor ihm fuerchtete?" "Ich bin es!" Jetzt wurde die Thuer vollstaendig geoeffnet, und es zeigte sich eine Gestalt, die man fuer noch aelter als die Huette haette halten moegen. Sie war ausserordentlich duerr und tief gebeugt; aber die kleinen, listigen Augen blitzten ueber die fuerchterliche Nase hinweg in noch jugendlichem Feuer, und die Bewegung, mit welcher der Alte jetzt hervortrat und dem Angekommenen die skeletartige Hand entgegenstreckte, war schnell und energisch, wie man es bei diesem Alter sicher nicht erwartet haette. "Sei mir willkommen, Herr, und Bhowannie segne Deinen Eingang in meine arme Huette! Wer ist der Mann, der bei Dir ist?" "Ein Freund, der mir so viel gilt wie ich selber." "So mag auch er willkommen sein. Tretet ein, und nehmt fuerlieb mit dem, was ich Euch bieten kann!" Sie traten in den engen, niederen Raum, der ausser einem armseligen Lager nichts enthielt als einen rohen Tisch und zwei eben solche Baenke. "Du nanntest den Namen meiner Schwester," begann Karavey, als sie sich niedergelassen hatten. "Lebt sie noch?" "Sie lebt und ist maechtig unter ihrem Volke." "Wo werde ich sie finden?" "In drei Tagen hier bei mir, wenn Du sie hier erwarten willst." "Das dauert mir zu lang. Wo ist sie jetzt?" "In der Hauptstadt, wo Du sie erfragen kannst im Hause des Hofschmiedes Brandauer." "Hat sie einen Mann aus unserem Volke?" "Nein." "Oder - oder - Kinder?" "Nein - ich weiss es nicht." "Sieh diesen Zettel! Mein Name steht darauf. Weisst Du, auf wessen Befehl?" Der Alte ergriff das Papier, warf einen Blick darauf und fuhr zurueck. "Von wem hast Du diese Worte?" "Von zwei Fremden, die sie im Kruge verloren." "Sie werden ihre Strafe erhalten. Wem am Abende die Ordre fehlt, der hat die ganze Strenge der Vajdzina zu erwarten." "Wer ist jetzt die Vajdzina und ueber wen gebietet sie?" "Das - das wirst Du spaeter erfahren," antwortete Tirban mit einem sprechenden Blicke nach dem Steuermanne. "Du kannst meinem Freunde ganz dasselbe Vertrauen schenken wie mir. Also, auf wessen Befehl wurde mein Name als Parole gegeben?" "Auf den Befehl Deiner Schwester." "Ah!" Er stiess nur diesen Ruf aus und sass dann eine ganze Weile schweigend und in Nachdenken versunken da. Dann erhob er sich. "Es ist gut, alter Tirban; ich weiss genug. Das Andere werde ich von Zarba selber hoeren, die ich in der Schmiede suchen gehe." "So willst Du mich schon wieder verlassen, ohne mir zu erzaehlen von dem, was Du bisher erfahren hast?" "Ja ich gehe. Nun ich erfahren habe, dass sie noch lebt, habe ich keine Ruhe, bis ich sie sehen und sprechen kann. Was meine Erlebnisse betrifft, so - aber, wer ist der Mann, der da auf das Haus zuschreitet?" Sein Auge war durch das kleine, halb erblindete Fenster auf eine lange, kraeftige Gestalt gefallen, welche sich in eiligen Schritten der Huette naeherte. Tirban musterte sie und meinte dann: "Ich kenne diese Menschen nicht und werde auch nicht oeffnen. Er ist kein Mann unseres Volkes und soll Euch nicht hier bei mir sehen." Der Fremde klopfte an die verschlossene Thuer, ohne dass ihm von innen Antwort gegeben wurde. Als auch nach wiederholtem Klopfen Alles ruhig blieb, trat er zum Fenster und rief: "Tirpan, oeffne! Zarpa pefiehlt es." "Zarba? Es ist ein Bote von ihr. Ich muss ihn einlassen!" meinte der Waldhueter. Er verliess die Stube und brachte nach wenigen Augenblicken den Mann herein. "Du kommst von Zarba?" frug er ihn. "Ja, von Zarpa, die pei uns wohnt." "Wo ist das?" "Ich pin Opergeselle pei dem Hofschmiedemeister Prandauer. Hier ist ein Zettel, den sie mit Pleistift geschriepen hat. Kein Mensch kann das verrueckte Zeug lesen, sie aper hat gemeint, dass Du schon wissen wirst, was sie meint." Der Alte nahm den unversiegelten Zettel, schlug ihn auseinander und warf einen Blick auf die seltsamen Charaktere, mit denen er beschrieben war. Waehrend dieser Zeit hatte der Steuermann den Boten scharf fixirt; es war ihm sofort dessen harte Aussprache des B aufgefallen. "Du bist ein Schmied?" frug er ihn. "Ja," antwortete der Gefragte, indem er einen verwunderten Blick auf die aeussere Erscheinung des Steuermanns warf. "Opergeselle pei dem Hof-, Zeug-, Huf- und Waffenschmiedemeister Prandauer in der Hauptstadt." "Hast Du noch Eltern?" "Nein." "Oder sonstige Anverwandte?" "Nein. Nur einen Pruder, der auf das Wasser gegangen ist." "Wie heissest Du?" "Thomas Schupert ist mein Name. Warum?" "Und Dein Bruder heisst Balduin?" "Ja, Palduin. Ich hape ihn wohl an die dreissig Jahre nicht gesehen. Aper wie kannst Du seinen Namen wissen?" "Weil - weil - Thomas, ich habe Dich sofort an Deiner Sprache erkannt; willst Du mich nicht auch erkennen?" "Palduin - Palduin Schupert? Ists moeglich, Du waerst mein Pruder? Donnerwetter, ist das eine Freude. Komm an mein Herz; komm an meinen Pusen und lass Dich umarmen, wenn Du es wirklich pist, lieper Durchprenner Du!" - Sechstes Kapitel. Der Beginn des Kampfes. Es war am Abende. Der Herzog von Raumburg Excellenz sass an seinem Schreibtische. Zur Seite desselben hatte auf einem Sammtfauteuil sein Sohn, der Erbprinz von Raumburg, Platz genommen. Ihre Unterhaltung war eine lebhafte, aber nicht sehr freundliche. "Und wie weit bist Du mit dieser famosen Prinzessin Asta?" frug der Vater. Der Sohn zuckte die Achseln. "Sie wissen ja, Papa, dass ich diese zarte Angelegenheit nicht als eine gewoehnliche Liaison zu behandeln habe. Ein Projekt von solch eminenter Wichtigkeit muss Zeit finden, sich langsam aus sich selbst heraus zu entwickeln." "So! Das heisst doch mit anderen Worten, dass Du gerade noch auf dem Punkte stehst, von welchem auszugehen ich Dir befahl?" "So ziemlich, chèr Papa. Unsere Dame scheint nicht den Willen zu besitzen, ihre Gefuehle der Politik oder den Traditionen irgend eines Herrscherhauses zu opfern. Lassen wir also ihrem Herzchen Zeit, unseren Intentionen entgegen zu kommen, ohne eine Ahnung von ihnen zu haben!" "Zeit? Heisst das sprechen wie ein Offizier, welcher gewohnt sein soll, jede und also auch diese Art von Eroberung im Fluge zu vollbringen?" "Sie vergessen, Papa, dass es Festungen gibt, welche nicht durch einen kuehnen Handstreich, sondern nur nach langwieriger Belagerung genommen werden koennen!" "Ich glaube nicht, dass Prinzess Asta zu dieser Art befestigter Plaetze gehoert, ganz abgesehen davon, dass wir nicht die Zeit zu einer langsamen Cernirung und Aushungerung besitzen. Ihre Vorzuege und die gluecklichen Chancen einer solchen Allianz fallen nicht blos uns in das Auge, das weisst Du genau wie ich. Daher habe ich allen politischen Scharfsinn angestrengt und kein Opfer gescheut, diesen Besuch, welcher Dir alle moeglichen Vortheile bietet, zu Stande zu bringen, und ich habe natuerlich das Recht, zu erwarten, dass Du den Moment so viel wie moeglich benutzest." "Das thue ich ja, Papa, aber unsere Dame ist - ist - nun ja, sie ist, was ich bei einem Pferde obstinat oder maulhart nennen moechte. Es hilft weder Trense noch Schenkeldruck. Scheint sie nichts zu ahnen, oder will sie nichts ahnen, kurz und gut, sie zeigt nicht die mindeste Spur eines auch nur leisen Verstaendnisses fuer die liebenswuerdigen Absichten, welche wir ihr entgegenbringen." "So bist Du in dieser Angelegenheit zu zart, was doch sonst in aehnlichen Dingen ganz und gar nicht Deine Art und Weise ist. Ich erwarte von Dir, binnen wenigen Tagen einen positiven Erfolg verzeichnen zu koennen. Die Interessen beider Staaten sind bisher aus einander gegangen; ich habe mir Muehe gegeben, sie wenn auch nur scheinbar zu vereinigen, und darf erwarten, dass Du das Ziel aller meiner Bestrebungen kennst und mich auch nach Kraeften unterstuetzest, es zu erreichen. Seine Majestaet beginnt zu altern; das Uebrige brauche ich wohl nicht naeher zu dokumentiren." Ein Diener trat ein und ueberreichte auf einem silbernen Teller eine Karte. Der Herzog ergriff sie mit den Spitzen zweier Finger und warf einen Blick darauf. "Doktor Max Brandauer? Kenne den Namen nicht. Was will der Mensch zu so ungewoehnlicher Zeit? Es muss wohl etwas Wichtiges sein, was einen Unbekannten zu dem Wagnisse bestimmt, mich jetzt zu stoeren." Durch die dargereichte Hand wurde der Prinz entlassen, waehrend ein leises Neigen des Hauptes dem Diener sagte, dass die Audienz gewaehrt werde. Die eine Thuer schloss sich hinter dem Prinzen, und die andere oeffnete sich, um den Schmiedesohn einzulassen, welcher sich nach einer hoeflichen Verbeugung in aufrechte Stellung emporrichtete, um die Anrede des Herzogs zu erwarten. "Was wuenschen Sie?" frug dieser stolz. "Ich erwarte natuerlich, dass die Seltsamkeit Ihres Erscheinens durch die Natur Ihrer Angelegenheit entschuldigt werde. Es ist jetzt nicht die Zeit, in welcher ich unwichtige Besuche zu empfangen pflege." "Ich komme im Auftrage Seiner Majestaet, Excellenz." "Ah! Ich kannte Sie bisher nicht als einen Beamten meines koeniglichen Vetters!" "Das bin ich auch gegenwaertig nicht. Ich bin der Sohn des Ihnen wohl wenigstens dem Namen nach bekannten Hofschmiedes Brandauer." Die strengen Zuege des Herzogs nahmen einen deutlichen Ausdruck ungewoehnlicher Spannung an. "Ich kenne diesen Namen. Was kann der Koenig mir durch den Sohn eines Schmiedes zu sagen haben. Jedenfalls sind Sie im Besitze irgend einer Legitimation, da Sie begreifen werden, dass ich nicht so ohne Weiteres jede obskure Persoenlichkeit als Vermittler zwischen der Majestaet und mir anerkennen kann." "Hier, Durchlaucht!" Er ueberreichte ein Billet, welches der Herzog ueberflog, um seinen Blick dann fragend wieder auf Max zu richten. "Ich ersehe aus diesem Handschreiben nicht den Zweck Ihres Kommens." "Dann haben Majestaet jedenfalls gemeint, dass es zuweilen Schmiedesoehne und andere obskure Menschen gibt, welchen es nicht schwer faellt, sich einer Botschaft muendlich zu entledigen," antwortete der Doktor mit einer sehr leisen Verbeugung seines Hauptes. Die Zuege des Herzogs verfinsterten sich. "Vergessen Sie nicht, vor wem Sie stehen, Herr Brandauer, und kommen Sie zur Sache!" "Durchlaucht befehlen und ich gehorche. Es verlautete naemlich das Geruecht, dass ein gewisser Herr von Wallroth, Hauptmann der Artillerie, von gewisser Seite und aus gewissen Gruenden fuer wahnsinnig erklaert worden sei und auf eine unverantwortliche, ja sogar geradezu verbrecherische und unmenschliche Weise im Irrenhause festgehalten und zu Tode gepeinigt werde." - Der Herzog erhob sich. Sein Gesicht war um einen Schatten bleicher geworden. "Wirklich ein hoechst interessantes Geruecht, Herr Brandauer. Wer hat es erfunden und weiter kolportirt?" "Dem Ursprunge und der Verbreitung eines Geruechtes laesst sich gewoehnlich nur schwer nachforschen. Allerdings liegt hier eine Ausnahme vor, doch bin ich leider nicht ermaechtigt, die Fragen Ew. Durchlaucht zu beantworten." "So werde ich Sie zu zwingen wissen. Dieses Geruecht tangirt mich natuerlich im hoechsten Grade -" "Ah -!" klang die halb ironische Unterbrechung. "Was unterstehen Sie sich, Herr! Ich sage, dieses Geruecht tangire mich im hoechsten Grade, da die Verwaltung der betreffenden Anstalt meiner obersten Leitung unterstellt ist, und ich wiederhole, dass ich Sie noethigenfalls zwingen werde, mir das Vorhandensein und die Entstehung des Geruechtes, von welchem Sie sprechen, ausfuehrlich nachzuweisen." "Eine solche Zwangsmassregel duerfte wohl ausserhalb des Machtbereiches Ew. Durchlaucht liegen, da Seine Majestaet -" "Wohl die Macht besitzen, zu begnadigen, nicht aber in den Lauf einer Klage oder Untersuchung einzugreifen. Was hindert mich, Sie festnehmen zu lassen?" "Ich, der obskure Schmiedesohn, Excellenz!" "Ah! Der Umstand, dass mein koeniglicher Vetter die seltsame Passion besitzt, sich zuweilen an dem Ambose Ihres Vaters zu erlustiren, ist fuer mich kein Grund zu irgend einer Nachsicht gegen Sie. Ich befehle Ihnen also, mir den Erfinder dieses Geruechtes mitzutheilen!" "Ich kenne keinen zwingenden Grund, diesem Befehle gehorsam zu sein, und wenn ich demselben trotzdem nachkomme, so geschieht es nur, um meinerseits einer unangenehmen Erledigung meines Auftrages ueberhoben zu werden. Ich koennte mich recht gut hinter andere Persoenlichkeiten verbergen, doch gibt es auch obskure Leute, welche stolz genug sind, eine solche Feigheit zu verschmaehen. Der Erfinder und Verbreiter des Geruechtes steht vor Ihnen, Durchlaucht." Der Herzog trat ueberrascht einen Schritt zurueck. "Und das - das wagen Sie zu sagen?" "Ich sage es einfach; ein Wagniss ist dabei nicht zu erkennen, da jeder gegen mich gerichteten Gewaltmassregel durch meinen koeniglichen Pathen vorgebeugt worden ist. Allerdings habe ich mich eines falschen Ausdruckes bedient, als ich sagte, dass ich der Erfinder des Geruechtes sei; es wurde nicht erfunden, sondern es erzaehlte die lautere Wahrheit." "Ich waere begierig, den Beweis zu hoeren!" "Die Einlieferungsakten des Hauptmanns befinden sich bereits in den Haenden Seiner Majestaet -" "Unmoeglich!" "Nicht nur moeglich, sondern sogar Thatsache. Diese Akten bestehen ausserordentlicher Weise nur in einem kurzen Befehle, dessen Unterschrift ich wohl nicht naeher zu bezeichnen brauche." "Wer hat das Schriftstueck ausgehaendigt?" "Der Anstaltsvorstand natuerlich. Er wurde sogar gezwungen, eine andere Akte auszuliefern, welche ihm durch einen Expressen uebermittelt wurde, um der Mutter des Hauptmanns ganz dasselbe Schicksal zu bereiten, welches ihren Sohn in die Nacht des Wahnsinns oder des Todes stuerzen sollte." Der Herzog musste sich sammeln. Er stuetzte sich mit der Hand auf den Schreibtisch und frug dann mit belegter Stimme: "Die Mutter des Hauptmanns? Er ist mir bei meinen Besuchen in der Anstalt vollstaendig entgangen. Hat er eine Mutter?" "Allerdings, und natuerlich wohl auch einen Vater." "Wie heisst sie?" "Es ist eine Zigeunerin Namens Zarba, und der Vater, welcher auch noch lebt, ist ein -" "Pah, wir haben es hier wohl nur mit der Mutter zu thun!" "Ganz, wie Excellenz wuenschen! Also das Geruecht fand bei mir seinen Ausgang und wurde -" "Ich begreife nicht, wie Sie auf eine solche Absurditaet fallen konnten!" "Ich pflege weder absurd zu denken, noch abgeschmackt zu handeln, Excellenz. Also das Geruecht wurde von mir dem Koenige mitgetheilt, welcher mich mit dem Auftrage beehrte, als Regierungskommissaer die Anstalt zu besuchen. Ich fand die Bestaetigung meiner Vermuthungen, befreite sofort den Hauptmann sammt seiner Mutter und erstattete meinem hohen Auftraggeber Bericht ueber den Sachverhalt. Die Folge davon ist eine gegen den Leiter des Irrenhauses und den Oberarzt einzuleitende Untersuchung. Sie koennen dem Schicksale, in Haft genommen zu werden, wohl nicht entgehen." Die Zuege des Herzogs wurden noch bleicher als vorher, doch seine Augen blitzten zornig, als er frug: "Und dies Alles geschah ohne meine Genehmigung?" "Ich habe noch nie gehoert, dass ein unumschraenkter Herrscher zu irgend einer Handlung der Genehmigung eines seiner Diener, und wenn es der erste und oberste derselben ist, bedarf. Auch blieb wohl keine Zeit uebrig, Excellenz zu benachrichtigen. Leider scheint sich herauszustellen, dass eine sehr hochgestellte Person bei der bevorstehenden Untersuchung leicht kompromittirt werden koennte; Majestaet haben die gnaedige Absicht, dies zu vermeiden, und wuenschen daher, eine Andeutung an die betreffende Adresse gelangen zu lassen. Ausser dem Koenige, den beiden aus der Anstalt Befreiten und mir ist bisher Niemand in die Angelegenheit eingeweiht, und ich erkenne es als eine Huld des Herrschers, dass er keine andere Persoenlichkeit als mich beauftragte, diese Andeutung zu ueberbringen." "Und welchen Zweck hat diese Andeutung?" Der Doktor zuckte mit den Achseln. "Keinen andern, als den bereits erwaehnten. Es scheint mir nicht unmoeglich, dass sich der Hauptmann nebst seiner Mutter dahin bringen lassen, von einer Untersuchung abzustehen. Ein Aequivalent fuer die ausgestandenen Leiden muesste allerdings geleistet werden." "In wessen Haenden befinden sich die aus der Anstalt mitgenommenen Schriftstuecke?" "In denen des Koenigs." "Sie bedurften einer Legitimation von Seiten des Ministers?" "Allerdings, doch wurde diesem Herrn nicht die mindeste Mittheilung ueber den Zweck meiner Visitation gemacht." Der Herzog wandte sich dem Fenster zu und blickte einige Minuten lang hinaus in die Nacht. Dann fuhr er ploetzlich scharf auf dem Absatze herum. "Sie sind nicht im Besitze einer amtlichen Stellung, Herr Doktor?" "Nein." "Aber ein Mann von Ihrem Wissen sollte sich doch unbedingt nuetzlich zu machen suchen. Ich wuerde bereit sein, Ihnen eine Bahn zu eroeffnen, falls Sie gesonnen waeren, irgend eine Art des staatlichen Dienstes zu betreten." Max verbeugte sich so tief wie moeglich. "Ich danke, Excellenz! Noch habe ich diese Absicht nicht; sollte sie sich aber einst einstellen, was ich keineswegs bezweifele, so bin ich bereits an die Adresse meines Pathen gewiesen, der es uebel vermerken wuerde, einen Mangel an unterthaenigem Vertrauen bei mir zu entdecken. Darf ich erwarten, dass unsere gegenwaertige Konferenz beendet ist?" "Gehen Sie!" Die Thuer schloss sich hinter dem Doktor; der Herzog blieb allein zurueck. "Welch ein unvorhergesehenes Ereigniss!" murmelte er. "Dieser Brandauer ist ein hoechst gefaehrlicher Mensch. Wie konnte er wissen, dass - hier stosse ich auf ein Raethsel, welches so bald wie moeglich geloest werden muss. Persoenlich ergreifen darf ich ihn nicht; er ist ein Protégé des Koenigs, der ihn nachhaltig schuetzen wuerde. Aber die Andern? - Guetlich ausgleichen mit ihnen? Nun und nimmermehr!" Er schritt erregt in dem Zimmer auf und ab, dann fasste er nach dem Glockenzuge. "So wird es gehen. Sie muessen verschwinden; sie muessen stumm gemacht werden!" Auf sein Zeichen kam ein Diener herbei. "Eile in Civil nach dem Seidenmuellerschen Gasthofe. Dort wohnt ein Herr Aloys Penentrier, den Du schleunigst zu mir entbietest. Dann schickst Du mir den - den - ja, den Polizeikommissaer Hartmann, und endlich gehst Du nach dem koeniglichen Schlosse und suchst ohne Aufsehen den Kammerlakaien Grunert zu finden. Ihn bringst Du nach meinem Garten, wo er auf der Terrasse auf mich zu warten hat!" "Zu Befehl, Excellenz!" Der Diener entfernte sich, warf in seiner Wohnung einen Mantel ueber, setzte eine Civilmuetze auf und verliess den Palast seines Gebieters. Am Flusse loeste er einen Kahn von der Kette, stieg ein und ruderte sich aus allen Kraeften stromauf, dem andern Ufer entgegen. Als er dort ankam, stieg eben Max aus seiner Gondel. Er hatte keine Veranlassung zur Eile gehabt und war also von dem Diener, der ihm jetzt keine weitere Beachtung schenkte, eingeholt worden. "Der Lakai des Herzogs, der mich eingelassen hat," murmelte er ueberrascht; "und in solcher Eile! Jedenfalls hat er Auftraege erhalten, welche die Folge meines Besuches sind. Ich muss ihn beobachten!" In vorsichtiger Distanz folgte er dem Diener bis an den Gasthof der ehrsamen Wittfrau und Kartoffelhaendlerin Barbara Seidenmueller. Unter einer Thuer an der gegenueberliegenden Strassenseite stehend bemerkte er zwei Fenster des ersten Stockes erleuchtet und konnte zwischen den Gardinen hindurch deutlich den kleinen Rentier erkennen, welcher den Auftrag des Dieners entgegennahm. Dieser Letztere verliess das Haus und schritt der naechsten Polizeiwache zu, aus welcher er bald mit dem Kommissaer Hartmann trat, welcher dem Doktor nicht unbekannt war. "Der Jesuit und der Polizist?" frug sich Max. "Da ist irgend eine Teufelei im Werke. Sie trennen sich. Der Kommissaer geht nach dem Flusse und der Diener in der Richtung des Schlosses. Folge ich dem Einen oder dem Anderen? Ich kehre zum Herzoge zurueck und wage es, durch den verborgenen Weg seine Bibliothek zu erreichen. Dort kann ich Alles hoeren und brauche, selbst wenn ich ertappt werden sollte, keine ernstliche Gefahr zu befuerchten." Max fuehrte diesen Entschluss sofort aus. Sich des Faehrmannes von Neuem bedienend gelangte er kurze Zeit nach dem Polizisten an das jenseitige Ufer, passirte das Palais an der hinteren Fronte desselben, versicherte sich, dass er unbeobachtet sei, und stieg dann in den Garten. Sich zu der Terrassentreppe schleichend stieg er durch das Fenster, welches er sofort wieder in die Oeffnung befestigte, hinab und verfolgte langsam den Gang, mit dessen Einzelnheiten er noch vollstaendig vertraut war. Die nothwendige Vorsicht war Schuld, dass er nur langsam vorwaerts kam; doch gelang es ihm, geraeuschlos die Bibliothek zu erreichen, in welcher heute kein Licht brannte. Im Arbeitszimmer vernahm er Stimmen. Er naeherte sich der Portière und kam gerade noch zur rechten Zeit, um den sich verabschiedenden Penentrier zu bemerken. Dieser hatte sich schleunigst zum Herzoge begeben, welcher ihn mit Ungeduld erwartete. "Ich bin erstaunt, Excellenz," begann er - "Schon gut!" fiel ihm der Herzog in die Rede. "Wir geriethen letzthin in einige kleine Differenzen, welche aber wohl nicht der Rede werth sind. Nehmen Sie Platz, mein lieber Pater. Ich habe in Betreff der Irrenanstalt mit Ihnen zu sprechen." Die Brauen des Jesuiten zogen sich erwartungsvoll empor. "Gibt es vielleicht einen neuen Aspiranten, der so geistig angegriffen ist, dass er es verschmaeht, auf unsere Intentionen einzugehen?" "Das nicht; vielmehr findet das gerade Gegentheil statt: die geistig Irren stehen im Begriffe, ihre Ketten zu zerbrechen, um uns damit zu fesseln." "Ah!" "Es soll auf hoechsteigene Veranlassung der Majestaet eine Untersuchung gegen den Direktor und Oberarzt der Anstalt eingeleitet werden, weil -" "Jesus, Maria und Joseph, das muessen Excellenz unbedingt verhueten! Es wuerden da Thatsachen blosgelegt werden, welche unsere ebenso geistreiche wie geheimnissvolle Mechanik enthuellen muessten." "Leider habe ich nicht die Macht dazu, diese Angelegenheit rueckgaengig zu machen. So schleunigst wie moeglich die Spuren verwischen, das ist Alles, was wir thun koennen. Es hat bereits ein koeniglicher Kommissaer die Anstalt revidirt und zwei Detinirte befreit, welche gluecklicher Weise unsern Plaenen nicht nahe gestanden haben. Morgen wird der Direktor sammt dem Oberarzte in Haft genommen." "Wer ist der Verraether?" "Ich weiss es noch nicht, habe aber alle Hoffnung, ihn baldigst ermitteln zu koennen. Die beiden Beamten muessen fliehen!" "Oder sterben!" "Sie nicht; es ist nicht unbedingt noethig. Sie sind mir ergeben und koennen mir noch nuetzen. Ich verlange andere Opfer." "Welche?" Der Herzog nahm ein Papier vom Schreibtische und ueberreichte es dem Pater. "Hier ein kleines Verzeichniss derjenigen Irren, welche unter einer anderen Behandlung vielleicht versucht sein wuerden, verstaendig zu sprechen und unsere Absichten in Gefahr zu bringen. Sie bekommen Gift." "So viele Leichen an einem Tage! Das wuerde auffallen." "So gebe man ihnen verschiedene Gifte oder verschiedene Dosen, doch so, dass binnen drei Tagen der Letzte stumm ist." "Das ist etwas mehr acceptabel." "Wollen Sie mein Bote sein?" "Wie immer. Angelegenheiten von so zarter Natur duerfen keinem untergeordneten Wesen anvertraut werden. Wohin beabsichtigen Sie die beiden Beamten zu dirigiren?" "Zunaechst ueber die Grenze nach Suederland. Ich habe, waehrend ich Sie erwartete, eine Marschroute und andere Weisungen schriftlich niedergelegt und auch die noethigen Summen beigefuegt. Die Fluechtlinge werden nicht die Bahn benutzen, sondern die Reise in das Gebirge per Privatwagen zuruecklegen. Drueben sind sie an eine einflussreiche Person adressirt, welche sie vor jeder Verfolgung sicherstellen wird. Jetzt darf ich Ihre Zeit nicht laenger kuerzen. Es thut Eile noth, und Sie sind entlassen." "Ich fliege, Excellenz; doch hoffe ich, dass meine stete Bereitwilligkeit, auf Ihre Intentionen einzugehen, spaeter den Erfolg hat, der mir versprochen worden ist!" "Sie haben mein Wort. Die Gesellschaft Jesu foerdert mich bei der Erreichung meiner Ziele; sobald ich dazu die Macht in den Haenden habe, werde ich ihr eine oeffentliche Heimath in Norland gewaehren." "Ich danke, Excellenz, und stelle mich zu jeder Zeit zur vollstaendigen Verfuegung." Diese letzten Worte waren es blos, welche Max gehoert hatte, als er die Portière um ein Lueckchen oeffnete. Dann entfernte sich der Pater. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, so trat der Polizeikommissarius ein und blieb in respektvoller Haltung an der Thuer stehen. "Herr Kommissaer -" "Excellenz!" "Ich kenne Sie als einen unserer tuechtigsten Beamten -" Der Polizist verneigte sich so tief wie moeglich. "Und habe mir vorgenommen, Sie bei der naechsten Vakanz mit der Stelle eines Polizeirathes zu bedenken." "Excellenz -!" "Schon gut! Ich weiss, wie Ergebenheit zu behandeln ist, und will Ihnen eine Gelegenheit bieten, mir Ihre Anhaenglichkeit auf das Glaenzendste zu beweisen. Ausser Ihrer baldigen Befoerderung stehen Ihnen diese fuenfhundert Thaler als Extragratifikation zur Verfuegung." "Ich hoere, Excellenz!" "Sie haben vorgestern einen Menschen arretirt, welcher des Mordes verdaechtig ist?" "Allerdings." "Er heisst Helbig?" "So ist es. Er hat bereits dreimal wegen Koerperverletzung das Zuchthaus frequentirt." "Halten Sie ihn fuer schuldig?" "Ich halte ihn des Mordes faehig; ob er in dem vorliegenden Falle schuldig ist, muss die Untersuchung beweisen." "Er ist noch nicht in das Gerichtsamtsgefaengniss abgeliefert, sondern befindet sich noch in den Haenden der Polizei." "Ich musste ihn zurueckbehalten, um ihn bei den noethigen Recherchen stets bei der Hand zu haben." "Ich interessire mich fuer diesen Fall und moechte ihn einmal sprechen. Ist es Ihnen moeglich, mir diesen Helbig nach Verlauf einer halben Stunde einmal in dieses Zimmer zu bringen, ohne dass es ein Dritter bemerkt, wenn ich dafuer sorge, dass hier in meinem Palais der Weg frei ist?" Der Kommissaer war klug genug, sein Erstaunen vollstaendig zu verbergen. Er besann sich einen Augenblick und entschied dann: "Ich uebernehme damit kein geringes Risiko, doch denke ich, dass es moeglich sein werde." "Gut! Sie sind fuer jetzt entlassen. In genau einer halben Stunde nehmen Sie mit dem Subjekte hier unangemeldet Zutritt. Es wird kein Diener zugegen sein, der Sie melden koennte." Der Kommissaer trat ab. Max hatte jedes Wort vernommen und wusste nicht, was er aus dem seltsamen Vorgange machen solle. "So; nun hinab zur Terrasse!" hoerte er jetzt den Herzog halblaut sagen. Was war das wieder? Sollte der Diener, welcher den Weg nach dem Schlosse eingeschlagen hatte, einen Dritten nach der Terrasse bestellt haben? Auch das musste untersucht werden, besonders da es jetzt moeglich war, dass der Herzog in das Bibliothekzimmer treten konnte. Er schlich sich durch die Buecherthuer nach dem Gang zurueck und gelangte nach wenigen Augenblicken an das Treppenfenster, welches er geraeuschlos aushob. Da die Stufenseiten der Terrasse mit dichten Orangerie- und Blumengewaechsen eingefasst waren, so konnte er es wagen, hervorzusteigen. Er nahm zwischen Palmen und Oleandern Platz und gewahrte einen Mann, welcher unweit von ihm im Dunkeln auf einer der Stufen sass. Da knarrte leise die Thuer und der Herzog trat hervor. "Grunert!" rief er mit gedaempfter Stimme. "Hier, Excellenz!" "Bleib sitzen, damit, wenn uns ja Jemand ueberraschen sollte, er denke, dass ich mich allein hier befinde. Hast Du Jemand im Garten bemerkt?" "Nein." "Dann sind wir wohl sicher. Hier hast Du diese Rolle; es sind Dukaten." "Danke, Excellenz." "Ich muss heute Nacht unbedingt das Arbeitskabinet des Koenigs betreten." "O, das ist nicht moeglich, Durchlaucht!" "Ich denke, diesen Dukaten ist Alles moeglich, besonders wenn ich sie im guenstigen Falle verdoppele. Oder willst Du meine Protektion verlieren?" "Excellenz sind die Guete selbst - aber die Wachen - ?" "Das ueberlass mir! Punkt zwei Uhr ist das Kabinet offen!" "Zu Befehl!" "Du befindest Dich darin!" "Zu Befehl!" "Mit einer Blendlaterne!" "Ich werde da sein!" "Und sorgst dafuer, dass die Fenster dicht verhangen sind. Kennst Du den Sohn des Schmiedes Brandauer?" "Ja. Er war heute bei der Majestaet." "Weisst Du nicht, ob er Papiere ueberreicht hat?" "Ich glaube, dass dies der Fall gewesen ist; wenigstens schlossen Majestaet einige Dokumente in ein Fach des Schreibtisches, als der Doktor sich entfernt hatte." "Kannst Du Dich des Faches erinnern?" "Ja." "Dann genug fuer jetzt. Suche das Freie ungesehen wieder zu gewinnen!" Er trat zurueck und verschloss die Thuer. Der Lakai erhob sich und schlich sich leise davon. Max war fast erstarrt ueber das, was er vernommen hatte. Der Koenig war in seiner naechsten Naehe von Verraethern umgeben, und diese Menschen standen im Solde des Herzogs. Wie oft schon mochten sich Vorkommnisse von der Art des soeben Besprochenen begeben haben, ohne dass der Koenig eine Ahnung hatte, auf welche schaendliche Weise man sich seiner Plaene und Geheimnisse bemaechtigte! Das durfte nun und nimmer wieder geschehen. Zwar stand der Herzog ueber jeder Strafe erhaben, aber eine Blamage musste er erleben, wie sie ihm wohl noch nicht vorgekommen war. Jetzt aber galt es noch zu wissen, was er mit dem Moerder vorhabe. Max kehrte also in die Bibliothek zurueck, doch trat er nicht vollstaendig ein, sondern blieb unter der halb geoeffneten Thuer stehen, um beim etwaigen Eintritte des Herzogs zum sofortigen Rueckzuge bereit zu sein. Endlich hoerte er die Thuer oeffnen und vernahm eine Stimme. Schnell stand er an der Portière und blickte hindurch. Der Kommissaer war mit dem Verbrecher eingetreten. Der Letztere war ein Mann in den mittleren Dreissigern, von untersetzter, kraeftiger Figur und einem Gesichtsausdrucke, der nichts Angenehmes an sich hatte. "Treten Sie einstweilen ab, Herr Kommissaer!" befahl der Herzog. Diesem Gebote wurde augenblicklich Folge geleistet. "Helbig!" "Excellenz!" "Du spannst wohl keine Seide, seit Du aus meinen Diensten bist?" "Nein." "Und haettest es bei mir so gut haben koennen, wenn Du damals dem Weibe nicht nachgelaufen waerst!" "Hole sie der Teufel, Durchlaucht! Ich wollte, sie staende jetzt da und ich haette eine gute Klinge in der Hand. Ich will gehaengt sein, wenn die Weiber nicht an allem Unheile schuld sind, welches die Maenner zu leiden haben! Sie gab sich mit einem Andern ab, und das passte mir natuerlich nicht. Ich ertappte sie, wurde teufelsmaessig wild, und - na, da hat man mich als Moerder eingezogen!" "Ich bin ueberzeugt, dass Du unschuldig bist!" "Natuerlich!" "Und dennoch wird man kurzen Prozess mit Dir machen." "Das beginne ich auch zu ahnen. Dieser Kommissaer da draussen gibt sich alle Muehe, mich um den Kopf zu bringen." "Er haelt das fuer seine Pflicht. Man wird Dich aufhaengen." "Das ist allerdings wahrscheinlich. Aber ich habe Ew. Durchlaucht so viele treue Dienste geleistet, von denen Niemand Etwas erfahren darf, und als ich hoerte, dass ich hierher gefuehrt werden sollte, da kam mir die Vermuthung, dass Excellenz etwas fuer mich thun wollten." "Das bin ich auch in Anbetracht Deiner Dienste entschlossen. Aber weisst Du, das Leben hat einen hoeheren Werth als Deine bisherigen Leistungen. Wenn ich Dich errette, so meine ich, dass ich von Dir auch etwas verlangen kann." "Verlangt nur! Ich werde Alles thun, es mag heissen wie es will." "Schoen! Aber bedenke vorher, dass ich Dich ebenso gut verderben wie erretten kann. Es darf von dem, was wir hier besprechen, kein Mensch ein Wort erfahren!" "Habe ich jemals geschwatzt, Excellenz?" "Das allerdings nie, und darum eben schenke ich Dir mein vollstes Vertrauen. Weisst Du, wie viele Menschen es auf der Erde gibt?" "Ich habe sie noch nicht gezaehlt." "Es sind ein gut Theil ueber tausend Millionen, aber unter ihnen leben Drei zu viel. Verstehst Du mich?" "Ich verstehe. Mein Leben gegen drei Leben!" "Nun?" "Mein Leben ist mir natuerlich lieber als das Leben dieser ganzen tausend Millionen. Wer sind die Drei?" "Ein Schmiedesohn, eine Zigeunerin und ein verrueckter Hauptmann." "Ich werde mit ihnen fertig werden." "In einer Nacht?" "In einer Stunde, wenn sie hier wohnen und nicht weit auseinander zu treffen sind." "Das muss ich erst noch erfahren, doch vermuthe ich, dass sie beisammen in der Schmiede zu treffen sind." "Desto besser. Aber wie ihnen beikommen? Ich bin gefangen!" "Nichts leichter als das. Komm her und siehe Dir das Polizeigebaeude an! Es ist vom Monde beleuchtet. Unter meinem Schutze wird sich jede Schwierigkeit heben lassen." Max konnte nun nur noch die Gesten der beiden Maenner bemerken. Der Herzog gab seine Bemerkungen im leisesten Fluestertone, und der Andere antwortete ebenso unhoerbar. Endlich wandten sie sich wieder dem Innern des Zimmers zu, und der Herzog trat zur Thuer, um dieselbe zu oeffnen. "Herr Kommissaer!" "Excellenz!" "Ich habe die Ueberzeugung gewonnen, dass dieser Mann vielleicht unschuldig oder wenigstens nicht so sehr schuldig ist, wie es den Anschein haben mag. Er ist ein langjaehriger treuer Diener von mir, dessen ich mich unter allen Umstaenden annehmen werde. In den Lauf der Untersuchung kann und will ich allerdings nicht eingreifen, doch erinnere ich Sie an den Gegenstand unseres vorigen Gespraeches. Bringen Sie den Gefangenen zurueck. Sie werden weiter von mir hoeren!" Die beiden Maenner traten ab, und nun musste sich auch Max entfernen. Er gelangte unbemerkt in das Freie. Er hatte die wichtigsten Entdeckungen gemacht und sass so gedankenvoll in dem Kahne, dass er fast erschrak, als dieser am jenseitigen Ufer anstiess. Seine Aufgabe war jetzt eine dreifache: den Einbruch im koeniglichen Schlosse zu verhueten, die Flucht der beiden Beamten der Irrenanstalt unmoeglich zu machen und endlich die Gefahr zu vermeiden, welche ihm, dem Hauptmanne und Zarba durch den gedungenen Moerder drohte. Das Erstere war jedenfalls das Noethigste. Daher begab er sich zunaechst nach Hause. Der Vater besass eine Karte des Koenigs, welche ihm die Erlaubniss bescheinigte, zu jeder Zeit des Tages und des Nachts das koenigliche Schloss zu betreten. Nur durch sie war es moeglich, die Dokumente den Haenden des Herzogs zu entreissen und zugleich den verraetherischen Lakaien zu entlarven. VII. Schachzuege Wieder sassen im traulichen Abenddaemmerschein die Gesellen vor der Schmiede und in ihrer Naehe die lauschenden Lehrbuben. Drin im Hause war Alles ruhig, obgleich einige durch die Laedenritzen fallende Lichtstrahle verriethen, dass die Zimmer nicht vereinsamt seien. "Ich moechte nur wissen, pei welcher Waffe er gedient hat," meinte Schubert. "Er hat so etwas Liepes und zugleich Vornehmes an sich, und ich verwette ein Dutzend Ampalema gegen eine einzige Pfaelzer mit Maerker Einlage, dass er pei der Kavallerie gestanden hat." "Das ist nicht am Den!" antwortete einfach Baldrian, der Grenadier. "Nicht? Warum nicht, Paldrian? Meinst Du vielleicht, dass er Offizier bei der Linie gewesen ist?" Baldrian nickte mit dem Kopfe. "Das pilde Dir nicht ein, denn zur Linie hat er ein viel zu noples Exterieur, wie wir Kavalleristen zu sagen pflegen." "Ja, die Kavallerie hat viel Exterieur," meinte Heinrich, "nur muessen die Pferde gewaschen und die Leute gestriegelt worden sein! Wie koennt Ihr nur denken, dass der Hauptmann von Wallroth bei der Reiterei oder gar bei der Linie gestanden hat! Dass er ein gelehrter und ausserordentlich tuechtiger Herr ist, das sieht man ihm ja schon von Weitem an, und da ist es ja gar nicht anders moeglich, als dass er bei der Artillerie befehligt hat. Sie bedarf der besten Offiziere. Eine Flinte ist bald abgedrueckt, und mit einem Kaesemesser hauen und stechen, dazu gehoert nicht viel; aber eine Kanone richtig zu bedienen, das erfordert schon etwas, und von einem einzigen guten Schusse haengt oft das Schicksal einer ganzen Schlacht ab." "Du pist nicht recht pei Troste!" widersprach Thomas. "Wie kann das Schicksal einer Schlacht von einem einzigen Schusse aphaengen!" "Das verstehst Du nicht. Ich kann davon ein Beispiel erzaehlen. Naemlich vor elf Jahren in der Schlacht bei Bartlingen machten wir die letzte Anstrengung, den Feind zu stuerzen. Saemmtliche Reserven hatten bereits in die Aktion eingegriffen; es stand Alles auf dem Spiele; wir waren auf der ganzen Linie im Avanciren, aber der Gegner hatte noch frische Kraefte zur Verfuegung, und wenn er diese herbeizog, so mussten wir zurueck und hatten die Schlacht verloren. Der Herzog von Raumburg, - man mag von ihm sagen, was man will, ein tuechtiger Feldherr ist er ohne Zweifel - hielt neben unserer Batterie auf einer Anhoehe und beobachtete durch das Fernrohr den feindlichen Oberstkommandirenden. Da ploetzlich drehte er das Pferd zu mir herueber. "Heinrich Feldmann," sagte er, "Du bist der beste Artilleriste meiner Armee; siehst Du ganz da drueben den feindlichen Adjutanten reiten?" "Zu Befehl, Generalissimus!" antwortete ich. "Er hat die schriftliche Ordre zu ueberbringen, dass die Reserve vorgehen soll; sie steckt in seiner Satteltasche." "Soll ich sie ihm herausschiessen, Excellenz?" frug ich. "Ja, doch schone den Mann und das Pferd. Er hat Sympathien fuer uns und haelt sehr viel auf das Thier!" "Wird gemacht, Durchlaucht!" Ich lade also sorgfaeltig und richte den Lauf meines Geschuetzes. Donnerwetter, der Kerl ist nur noch hundert Schritte vom Walde entfernt, und zwischen ihm und dem dichten Gebuesch liegt ein Wirthshaus, hinter welchem er vorueberreiten muss! Was thun? Es gibt nur eine Moeglichkeit: Das Parterre des Hauses besteht aus einer einzigen Stube; man kann von vorn hinein und hinten durch die Fenster wieder heraussehen. Ich visire genau, der Reiter verschwindet hinter dem Hause, ich protze ab - die Kugel geht durch die beiden Fenster und reisst hinter dem Hause dem Adjutanten die Satteltasche in Stuecke. Die Schlacht wurde gewonnen, und als ich am andern Morgen in das Wirthshaus kam, sah ich erst genau, welch einen Meisterschuss ich gethan hatte. Nun, meint Ihr noch immer nicht, dass das Schicksal einer Schlacht von einem einzigen Schusse abhaengen kann?" "Luege Du und der Teufel!" antwortete Thomas erbost ueber die Kuehnheit des Artilleristen, ihm eine solchen Baeren aufzubinden. "Du pist der unverschaemteste Aufschneiter, den ich in meinem Lepen gesehen hape." "Ja, das ist am Den!" stimmte Baldrian bei. - "Glaubt, was Ihr wollt; es faellt mir gar nicht ein, zwei dumme Koepfe klug machen zu wollen! Aber das ist sicher, dass der Hauptmann von Wallroth bei der Artillerie gestanden hat, denn ich kenne ihn von meiner Dienstzeit her und sehr genau. Zwar fuehrte er nicht meine Batterie, aber er war ein Liebling seiner Oberen und auch seiner Untergebenen. Dann verschwand er ploetzlich, und ich habe ihn seit jener Zeit jetzt zum ersten Male wiedergesehen." "Wo mag er wohl herstammen?" frug Thomas. "Das weiss Niemand," antwortete Heinrich; "geht mich auch gar nichts an. Nur das faellt mir auf, dass er so vertraut mit der Zigeunerin ist." "Mit der Zarpa? Das ist wahr. Wie mag er wohl mit diesem Weipsen zusammengekommen sein? Das ist naemlich eine Hexe, die ich sehr genau kenne. Ich hape sie erst kuerzlich peopachtet, als - - Donnerwetter, was pin ich doch fuer ein Esel!" "Was, Du kennst die Zigeunerin? Wo hast Du sie gesehen?" "Darum hast Du Dich nichts zu pekuemmern, denn ein Gelpschnapel wie Du praucht nicht Alles zu erfahren." "Das ist am Den," bestaetigte Baldrian hoechst trocken. "Richtig, alter Grenadier!" antwortete Heinrich. "Seit die ganz besondere Gunst des jungen Herrn auf den Kavalleristen gefallen ist, kann es mit Euch Beiden kein Mensch aushalten; der Grenadier beisst, der Kavallerist schlaegt aus, und der Artillerist - pah, der laesst sie machen, was sie wollen. Er geht zu seiner Barbara Seidenmueller." Er erhob sich lachend und ging. Thomas schien sich aus seiner Entfernung nicht viel zu machen. "Lass ihn laufen, Paldrian," meinte er; "nun koennen wir ungestoert mit einander sprechen. Hast Du die Zarpa wirklich noch nicht gesehen?" "Nein." "Ich hape sie zum ersten Male gesehen, als ich mein Gesellenstueck hier peim Meister machte. Das war ein sehr pewegter Tag und ein noch viel pewegterer Apend. Ich hatte vom fruehen Morgen an tuechtig gearpeitet und freute mich auf die Ruhe; aper ich musste dreimal hinueper nach dem Palaste des Herzogs, um die Zigeunerin zu holen und - - -" "War sie denn beim Herzog?" fragte ganz erstaunt der sonst so wortkarge Baldrian. "Natuerlich. Sie war seine Geliepte; sie hatte es ihm angethan; sie hatte ihn verhext und verzaupert, so dass er ohne sie nicht lepen konnte." "Was sollte sie denn hier?" "Das weiss ich heute noch nicht. Die Meisterin pekam den jungen Herrn, der damals natuerlich noch nicht der junge Herr war, und kaum war ihre Stunde vorueper, so musste ich die Zarpa holen, die mit dem Neugeporenen wohl eine halpe Stunde lang fort war, ehe sie ihn wieder prachte. Sie war damals ein Maedchen, wie es keine zweite giept, und ich selpst haette mich in sie verschameriren moegen, wenn ich mich nicht so sehr vor ihrer Zauperei gefuerchtet haette. Spaeter war sie auf einige Jahre verschwunden; nachher kehrte sie einmal auf einen Tag hier ein; das war gerad, als ich den Meister auf Urlaup pesuchte, und seit dieser Zeit hat sie sich pis auf den heutigen Tag nicht wieder sehen lassen." "Hm, das ist am Den!" "Ja, das ist gewiss und wahrhaftig am den, und ich pin wirklich pegierig, was sie hier vorhat. Sie ist von Allen empfangen worden, als op sie der liepe Gott selper sei. Jetzt sitzen sie drin und sprechen so leise, als op die groessten Staatsgeheimnisse verhandelt wuerden. Horche nur einmal an den Laden; Du hoerst gewiss kein Wort von dem, was in der Stupe gesprochen wird!" Allerdings war von aussen kein Wort zu vernehmen; doch hatte das seinen Grund einfach in dem Umstande, dass in der Stube nicht gesprochen wurde. Mutter Brandauer sass am Tische und strickte, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Sie zeigte bei dieser Beschaeftigung einen Eifer, als gelte es, die Welt mit ihren Maschen gluecklich zu machen. Der Schmied hatte die Hauspostille vor sich liegen und that, als ob er lese, und im dunkelsten Winkel des Zimmers sass Zarba und rauchte aus demselben kurzen Stummel, den sie auch in dem Arbeitskabinet des Herzogs in Brand gesteckt hatte. Waere es heller gewesen, so haette man ein eigenthuemliches, aber wohlwollendes Laecheln bemerken koennen, mit welchem sie die beiden stillen Menschen beobachtete. Endlich schlug Brandauer das Buch zu und warf einen fragenden Blick auf die Hausfrau, welche denselben bejahend erwiderte. Er stand auf, holte sich die lange Pfeife, stopfte sie sich mit jener Umstaendlichkeit, welche darauf ausgeht, sich einen wirklichen Genuss zu verschaffen, und griff dann zum Fidibus; dann schob er, einige tuechtige Rauchwolken ausstossend, den Tabakskasten nach derjenigen Seite des Tisches, welche der Zigeunerin zugekehrt war, und meinte: "Nimm Tabak, Zarba, wenn Du fertig bist." "Danke, Meister! Eure Sorte passt mir nicht." "Hast wohl etwas Feineres?" "Moeglich! Die Zingaritta raucht ein Kraut, welches nur Fuersten bezahlen koennen." "Oh! Woher beziehst Du es?" "Es kommt aus dem Morgenlande und waechst zwischen den heimathlichen Bergen der Boinjaaren. Dort an den Abhaengen des Pandjkoera gehen die Jungfrauen, wenn der Mond das Herz des Krautes bestrahlt, beim Sternenscheine hinaus auf das Feld, um mit zarten Haenden die Herzblaetter einzusammeln, die man dann am grossen Tage der Goettin zum Tempel bringt, damit der Geist der Zukunft auf sie niedersteige. Wer dann die Duefte dieses Krautes trinkt, ueber den kommt die Gabe der Weissagung, dass er die Sprache der Sterne versteht und weiss, was die Linien der Hand bedeuten." "Rauchtest Du das Kraut auch als Maedchen?" "Nein." "Aber Du hattest doch die Gabe der Weissagung reichlicher als alle die Deinen!" "Ich hatte der Gaben noch mehrere," antwortete sie ausweichend und mit duesterer Miene; "sie sind verschwunden, und mit ihnen ist hin die Jugend und das Glueck. Zarba saeete Liebe und erntete Hass, sie gab Glueck und Seligkeit und nahm Spott und Verachtung dafuer hin. Ihr Lachen hat sich in Weinen verkehrt, ihre Liebe ist zur Rache geworden; ihr Himmel heisst Hoelle, ihr Segen wurde Fluch, und ihre Schritte verklingen im tiefsten Schatten der Nacht. Im Dunkel ihres Lebens leuchtet nur ein Licht, der Stern der Rache und der Vergeltung." "Das klingt schlimm, Zarba, so schlimm und traurig, als haettest Du keine Freunde, welche Deiner in Liebe gedenken!" "Freunde? Wo sind sie, und wie heissen ihre Namen?" "Denkst Du nicht an uns?" "An Euch? Seid Ihr meine Freunde?" Ihr Auge funkelte unter den tiefen Hoehlen hervor, und ihr Angesicht nahm den finstersten Ausdruck an, der ihr moeglich war. "Meinst Du vielleicht das Gegentheil?" Sie schwieg eine Weile; dann entgegnete sie: "Der Sohn dieser Erde spricht von Liebe; er glaubt an sie und opfert ihr sein Leben, und doch ist sie ein Gespenst, welches schrecklich anzuschauen ist, wenn sie die gleissende Huelle von sich wirft, denn ihr Name heisst - Selbstsucht. Euer Gott schuf und liebt die Menschen, um von ihnen angebetet zu werden; die Erde liebt die Sonne, weil sie sich an ihren Strahlen waermt; das Kind liebt die Eltern, weil es von ihnen Alles empfaengt, was es bedarf; die Eltern lieben das Kind, weil es Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blute ist; der Gatte liebt die Gattin, weil er durch sie gluecklich werden will, und der Freund liebt den Freund, weil er seiner bedarf. O, ich kenne Eure Liebe, ich kenne Eure Hingebung, Eure Opferfreudigkeit! Eure Liebe hat mir das Herz aus dem Leibe gerissen, ich aber habe ihr den Schleier zerfetzt, hinter welchem sie ihr haessliches Angesicht verbirgt!" "Zarba, Du hast nicht - -" "Seid still! Ihr seid ein Mann und - ein Christ, und - ich hasse Beide!" "Willst Du unsere heilige Religion schmaehen, Zarba?" "Schmaehen? Nein - aber den Vorhang will ich heben, hinter welchem sie sich verbirgt. Was ist die Liebe, von welcher Euch gepredigt wird? Feindseliger Hass und toedtliche Selbstsucht. Wer nicht an Eure Satzung glaubt, wird verdammt. Was ist Eure Inquisition? Was ist Eure Mission? Auf blutigem Bahrtuche tragt Ihr Euren Glauben von Land zu Land, von Volk zu Volk; Ihr nehmt den Nationen das Hirn aus dem Kopfe und das Mark aus den Knochen, und doch - geht zu Denen, welche Ihr Heiden nennt, und seht, wo die Suende aerger und raffinirter wuethet, bei ihnen oder bei Euch! Liebe? Ich kenne sie nicht, aber den Hass, die Vergeltung, die Rache kenne ich. Ihr handelt nach gleissnerischen Saetzen, welche feig und luegnerisch sind, uns aber lehrt Bhowannie, dasselbe zu thun, was an uns gethan wird; sie ist die unerbittliche Goettin der Rache, und ihr diene ich, so lange noch eine Faser an meinem Leibe ist!" Der Schmied schwieg. Er hatte das Gefuehl, als sei dies das Beste, was er jetzt thun koenne. Nach einer Pause fuhr die Zigeunerin fort: "Doch unsere Gottheit ist gerecht; sie vergilt auch das Gute, obgleich es niemals aus Liebe, sondern aus Eigennutz geschieht. Brandauer, erinnert Ihr Euch des Tages, an welchem die Zigeunerin Zarba aufgegriffen wurde und als Hexe in das Wasser geworfen werden sollte?" Er nickte zustimmend mit dem Kopfe. "Sie waere sicher ersaeuft worden, obgleich sie jung und schoen war wie keine Eures Volkes. Da aber draengte sich ein starker Mann durch die Menge, fasste sie und sprang mit ihr in einen Kahn und brachte sie an das andere Ufer, wo er sie in seinem Hause versteckte viele Tage lang. Brandauer, kennt Ihr den Mann?" Er laechelte. "Es war nicht viel, was er that, Zarba." "O doch! Es war ja das Hoechste, was er fuer mich thun konnte, denn er rettete mir mein Leben. Und das hat Zarba nie vergessen. Sie spricht taeglich von ihm zu Bhowannie, und die Goettin breitet ihre Haende aus ueber sein Haupt und sein Haus, dass Glueck in seinen Mauern wohne und Segen walte auf Allem, was er beginnt und vollbringt. Das Alter hat mir den Nacken gebeugt, den Ruecken gekruemmt, das Antlitz durchfurcht und die Haare gebleicht; Zarba ist die verachtete, die haessliche Zigeunerin, vor welcher die Kinder fliehen und die Grossen sich scheuen; aber ihre Hand ist maechtig und ihr Arm staerker als derjenige eines Fuersten. Wen sie hasst, den kann sie verderben, und wen sie liebt, dem bringt sie Glueck und Wonne. Sie kann Herzoege entthronen und Koenige einsetzen, wenn sie will, und - - -" "Zarba - - -!" "Du zweifelst?" Sie erhob sich und trat nahe an den Tisch heran. Das Licht fiel jetzt voll und hell ueber ihre Gestalt, und in seinem Schimmer funkelten ihre Augen wie schwarze Diamanten, welche in der Fuelle des eingesogenen Strahles im Dunkel erglaenzen. "Soll ich es Dir beweisen, Brandauer? Erinnerst Du Dich jener Nacht, in welcher Dein Weib in ihren Schmerzen lag und Ihr zu mir schicktet, weil Ihr an die Kunst der Zigeunerin glaubtet? Sie gebar ein Knaeblein, und ich ging mit ihm hinaus unter die Sterne, um Bhowannie zu befragen, welches das Schicksal des Kindes sein werde. Ihr wolltet eine Antwort auf diese Frage, doch ich musste schweigen, denn es war Grosses und Unglaubliches, was ich erfuhr. Ich vertroestete Euch auf spaetere Zeiten, und Ihr wartetet bis heut vergebens auf den Spruch, den ich Euch zu bringen habe. Das Knaeblein ist zum Manne geworden, und - - -" Sie wurde unterbrochen. Die Thuer oeffnete sich, und Max trat ein. Schnell auf ihn zutretend erfasste sie seine Hand und zog ihn zum Tische. "Das Knaeblein ist zum Manne geworden," wiederholte sie und fuhr dann fort: "zum starken Manne, der mich beschuetzte und mir den Sohn wiedergab, der mir bereits verloren war, und nun kommt ueber mich der Geist der Vergeltung, welcher mir den Mund oeffnet, zu reden von dem, was ich bisher verschweigen musste." Sie erhob die Hand und legte sie ihm, der gar nicht wusste, wie ihm geschah, auf das Haupt. "Hoert, was ich Euch sage! Es ist so gut, als ob Euer Gott vom Himmel stiege und meine Worte spraeche: Dieses Haupt ist bestimmt, eine Krone zu tragen; diese Faust wird halten das Scepter, und von diesen Schultern wird wallen der Mantel des Herrschers. Der Sohn des Schmiedes wird ein Koenig sein unter den Maechtigen der Erde. Ich sehe sie kommen, die Grossen und die Kleinen, um ihre Kniee zu beugen und ihm zu huldigen, wie es jetzt thut Zarba, die Zigeunerin!" Sie kniete vor ihm nieder, drueckte ihre Stirne auf seine Hand, erhob sich dann und hatte mit zwei schnellen Schritten das Zimmer verlassen. Sohn und Eltern blickten sich ueberrascht an. Sie wussten, dass Zarba keine Gauklerin sei, und so war ihr Erstaunen ueber diese Prophezeiung kein geringes. "Was war das?" meinte Max. "War sie betrunken?" "Nein, und doch kommt sie mir so vor," antwortete der Vater. "Ich weiss, dass sie grossen Scharfsinn besitzt und aus der aeusseren Erscheinung eines Menschen Manches schliesst, woran ein anderes Menschenkind nicht denken wuerde. Dazu kommen die eigenthuemlichen Ereignisse am Tage Deiner Geburt, Max, ueber welche sie uns bis heut die Aufklaerung schuldig geblieben ist; ich erwartete, nichts Gewoehnliches von ihr zu hoeren; aber das, was sie jetzt sagte, ist unglaublich, so unglaublich, dass man wahnsinnig sein muesste, um es fuer Wahrheit zu halten. Und doch weiss sie stets ganz genau, was sie thut oder redet - - -!" "Sie wird mit ihren Worten einen Zweck verfolgen, welcher nicht verborgen bleiben kann," meinte Max. "Ich war einigermassen ueberrascht ueber den eigenthuemlichen Empfang, welcher mir bei meinem Eintritte wurde, die Scene selbst aber nehme ich kuehl. Wir werden ja erfahren, was Zarba bezweckte. Fuer jetzt ist meine Aufmerksamkeit durch ganz andere Dinge in Anspruch genommen. Nicht wahr, Vater, Du besitzest ein Passe-Partout in das koenigliche Schloss?" "Allerdings. Warum?" "Wuerdest Du mir es einmal anvertrauen?" "Dir? Was wolltest Du auf dem Schlosse oder beim Koenig?" "Erlaube, es fuer jetzt noch zu verschweigen; allein, dass es sich um etwas Wichtiges handelt, kannst Du Dir denken, da ich sonst eine solche Bitte nicht aussprechen wuerde." "Hm, der Koenig hat die Karte allerdings nur fuer mich bestimmt; doch denke ich, wenn die Sache wirklich richtig ist, so -" "Keine Sorge, Vater! Ich stehe im Begriffe, dem Koenig einen Dienst von ausserordentlicher Wichtigkeit zu leisten." "So warte!" Der Schmied nahm die Lampe vom Tische und ging mit ihr in das Nebenzimmer. Als er zurueckkehrte, hatte er eine Karte in der Hand, deren eine Seite mit einigen engen Zeilen beschrieben war, waehrend die andere das Privatsiegel des Koenigs zeigte. "Hier!" "Danke! Ist der Hauptmann zu Hause?" "Ja; er ist oben." "Gute Nacht!" Er stieg die Treppe empor und klopfte an der Thuer des Zimmers, welches von Zarba und deren Sohn bewohnt wurde. Der Letztere oeffnete. "Verzeihung, Hauptmann, wenn ich belaestige. Entschuldigen Sie mich mit der allerdings hoechst wichtigen Angelegenheit, welche mich zu Ihnen fuehrt!" "Bitte, treten Sie ein, Herr Doktor!" Max that es. Zarba hatte sich wieder in eine dunkle Ecke zurueckgezogen und rauchte. Nachdem er sich gesetzt hatte, blickte er dem Hauptmann laechelnd in die Augen. "Ich habe Ihnen eine Warnung auszusprechen." "Ah! Sie lautet?" "Man will Sie ermorden." "Teufel! Ists wahr?" Er war bei der Botschaft ueberrascht emporgefahren; als er aber den ruhigen Blick und die laechelnde Miene des Doktors bemerkte, liess er sich wieder nieder und meinte: "Pah; Sie scherzen! Aber meine Erfahrungen sind solche, dass ich an jedem Augenblicke bereit sein muss, an eine solche Bosheit zu glauben." "Ich scherze nicht, Herr von Wallroth; es gilt wirklich Ihr Leben; aber nicht blos dieses, sondern auch das meinige und dasjenige Ihrer Mutter." "Wirklich? Wer ist der Schuft, welcher - - -?" "Sie fragen noch?" "Ja - oh - mein - mein Vater!" Er erhob sich erregt und durchmass in langen, hastigen Schritten das Zimmer. Die Zigeunerin war ruhig geblieben. Sie stiess eine dichte Dampfwolke aus und meinte: "Mein Sohn, der Geist sagt mir, dass es wahr ist, was Dir gesagt wurde. Das Messer ist geschliffen, welches uns treffen soll; doch wird es seine Spitze verlieren und denjenigen treffen, in dessen Hand es ruht!" Der Hauptmann wandte sich ihr zu. "Mutter, ich liebe Dich mit aller Kraft meiner Seele; aber ich koennte Dich dennoch hassen, weil Du mir einen solchen Vater gegeben hast! O, wenn ich daran denke, was ich durch ihn gelitten habe, so - so - so - - -!" Er kaempfte mit Gewalt seine Aufregung nieder und trat zu Max. "Also Ihre Worte enthalten wirklich die Wahrheit?" "Wirklich. Ich war zugegen, als der Auftrag gegeben wurde, einen Schmiedesohn, einen verrueckten Hauptmann und eine Zigeunerin zu ermorden." "Gut, ich danke Ihnen!" Er trat zum Schranke und oeffnete ihn. "Ich werde sofort und auf der Stelle zum Herzog gehen und ihn zwingen, mich - - -" "Halt, Herr Hauptmann, keine Uebereilung! Sie wuerden mit derselben nur das Gegentheil von dem erreichen, was Sie bezwecken. Sie sind hier in diesem Hause vollstaendig sicher, und wenn ich Ihnen Mittheilung machte, von dem, was ich hoerte, so geschah es nur, um Sie einer ploetzlichen Ueberrumpelung gegenueber geruestet zu wissen. Auf alle Faelle wird vor morgen Abend nichts gegen uns geschehen, und bis dahin koennen wir die Angelegenheit ja noch anderweit behandeln." "Auf welche Weise soll der Angriff geschehen?" "Ist noch unbestimmt." "Wer ist gedungen?" "Ein gewisser Helbig, welcher frueher im Dienste des Herzogs gestanden hat." "Ah, nun glaube ich vollstaendig, was Sie mir sagen!" "So werden Sie mir auch die Bitte erfuellen, welche ich fuer gerathen halte. Gehen Sie vor morgen Abend nicht aus! Unternehmen Sie ueberhaupt nichts, ohne mich vorher davon benachrichtigt zu haben!" Der Hauptmann schlug in die dargebotene Hand ein. "Ich werde Ihnen von Stunde zu Stunde immer groesseren Dank schuldig, Herr Doktor, so dass es einfache Pflicht ist, eine solche Bitte zu erfuellen. So ist also Ihre heutige Mission beim Herzog vollstaendig gescheitert?" "Vollstaendig. Er mag von einer friedlichen Loesung der Angelegenheit nichts wissen, wie ich mich - allerdings ohne sein Wissen - ueberzeugte, und es gilt nun also einen Kampf Mann gegen Mann." "Sohn gegen Vater! Nun wohlan; er hat mir das Leben gegeben, weiter nichts; den Dank, welchen ich ihm schulde, hat er quitt gemacht, wir sind uns fremd, und ich brauche ihn nicht zu schonen. Ihren Wunsch werde ich erfuellen, aber trifft mich ein Angriff, dann wehe dem, gegen den ich mich vertheidigen muss!" Max ging. Er suchte das Schloss auf Umwegen zu erreichen und gelangte auch unbemerkt in den Garten desselben. Hier und im Gebaeude selbst war ihm jeder Schrittbreit wohlbekannt, so dass er also genau wusste, wohin er sich zu wenden hatte. Er klopfte an eine Pforte. Der hinter derselben haltende Posten oeffnete. "Wer da?" "Ruhig!" antwortete er und zeigte die Karte vor. "Passiren!" lautete die Entscheidung. Er passirte mehrere Gaenge und Treppen, welche alle hell erleuchtet waren; saemmtliche Posten liessen ihn nach Vorzeigen des Passe-partout passiren, und so gelangte er schliesslich in den Korridor, in welchem die Zimmer und auch das Schlafkabinet des Koenigs lagen. Hier bemerkte er, dass die Schildwache fehlte, jedenfalls in Folge einer Vorsorge von Seiten des Herzogs oder des Kammerlakaien. Von dem Letzteren war keine Spur zu bemerken, was sich auch leicht erklaeren liess, da es noch nicht zwei Uhr war. Er suchte die Thueren und fand deren eine geoeffnet. In das Zimmer tretend fand er dasselbe dunkel, doch fiel ein schwacher Lichtschein durch die Spalte einer Portière, welche zum naechsten Raume fuehrte. Er trat hinzu und blickte hindurch. Es war ein kleines Kabinet, welches vor ihm lag. An einem Tische, auf welchem eine Lampe brannte, deren Licht durch einen farbigen Schirm gedaempft wurde, sass Grunert, der Kammerdiener. Vor ihm lagen mehrere Blaetter einer illustrirten Zeitung; er hatte also gelesen, um sich wach zu halten, doch war ihm dies nicht gelungen. Er schlief mit auf die Arme niedergesenktem Kopfe. Hinter diesem Kabinete lag das des Koenigs. - Sollte Max es wagen, in dasselbe zu treten? Er entschloss sich dazu. Leise glitt er zwischen den beiden Portièren hindurch und stand dann vor der Ruhestaette des Koenigs. Er wusste sehr genau, was er wagte, aber seine Gruende waren so zwingend, dass er sein Eindringen wohl verantworten konnte. Er trat naeher. Der koenigliche Schlaefer hatte die seidene Decke bis zur Brust empor gezogen, so dass die beiden Arme mit wie zum Gebete gefalteten Haenden frei lagen. Max beruehrte die letzteren leise, und augenblicklich regte sich der Koenig. Ein leiser Druck reichte hin; der Schlaefer erwachte und oeffnete halb im Traume die Augen. Max winkte Schweigen; der Koenig verstand die Pantomime und erkannte den Doktor. Mit dem Ausdrucke der hoechsten Ueberraschung wollte er sich emporrichten, unterliess dies aber auf eine warnende Bewegung des Doktors, welcher einen Sessel ergriff und ihn an diejenige Seite des Bettes plazirte, welche von der Portière aus nicht beobachtet werden konnte. Er nahm, hinter den kostbaren transparenten Vorhaengen versteckt, Platz und neigte sich zu dem Koenige nieder. "Entschuldigung, Majestaet!" fluesterte er - - "Was ist Ausserordentliches geschehen, Herr Doktor, dass Sie zu dieser Stunde hier heimlich Zutritt nehmen?" frug der Koenig ebenso leise, aber mit dennoch zu vernehmender Strenge im Tone. "Wie haben Sie Einlass gefunden?" "Durch die Karte meines Vaters." "Ah! Er gibt sie aus der Hand?" "Nur mir, Majestaet. Es soll ein Einbruch in Dero Arbeitskabinet vorgenommen werden." "Ah! Sie erschrecken mich! Ist es moeglich?" "Ich weiss es bestimmt!" "Wer will diesen Einbruch unternehmen?" "Kein gewoehnlicher Dieb, Majestaet!" "Nun?" "Seine Durchlaucht der Herzog von Raumburg." "Der Her - der Her - zog?" Der Koenig konnte vor Ueberraschung das Wort kaum hervorbringen. "Unmoeglich! Sie irren sich, Doktor!" "Ich irre mich nicht; ich weiss es ganz genau." "Was will er ?" "Die Akten aus der Irrenanstalt, welche ich die Ehre hatte, Majestaet zu ueberreichen." "Ah, ich begreife! Und dennoch ist ein solcher Schritt - - parbleu, er muss einen Gehuelfen haben!" "Grunert!" "Grunert? Wissen Sie dies genau?" "Genau! Es scheint, der Herzog hat das Arbeitskabinet Eurer Majestaet schon oefters besucht." Der Koenig schwieg; seine Mienen verfinsterten sich unter dem nachdenklichen Zuge, welcher ueber sie hinglitt. "Woher wissen Sie Alles?" frug er endlich. "Ich belauschte Beide zufaellig." "Wann kommt der Herzog?" "Punkt Zwei." "Grunert schlaeft im Vorzimmer?" "Ja." "Ich kann mir dies denken, da Sie sonst nicht hier saessen. Jetzt ist es ein Uhr. Sehen Sie nach, ob er noch schlaeft!" Max schlich langsam und leise zur Portière, zog dieselbe ein wenig aus einander und blickte hindurch. Der Verraether lag noch ganz in derselben Stellung wie vorhin. Als der Doktor zum Bette zurueckkehrte, hatte der Koenig dasselbe bereits verlassen und war beschaeftigt, sich anzukleiden. Max bemuehte sich, ihm dabei behuelflich zu sein, und rapportirte: "Er schlaeft noch!" "Er hatte heute nicht Dienst, tauschte aber mit einem Kollegen, welcher angeblich unwohl ist. Wenn er erwacht, wird er das Schlafzimmer nicht betreten, sondern sich nur durch den Eingang ueberzeugen, dass ich nicht wach bin. Lassen wir die Gardinen herab!" Das Bett wurde verhuellt, so dass Grunert denken musste, der Koenig schlafe. "So, und jetzt folgen Sie mir zur Bibliothek!" Der Koenig naeherte sich der Portière und glitt, nachdem er sich ueberzeugt hatte, dass Grunert wirklich schlief, gefolgt vom Doktor durch das Vorzimmer und dann durch die weiteren Raeume bis an das Arbeitskabinet. "Warten!" befahl er. Ein Schluessel klirrte, ein Schloss knackte. "So, jetzt kommen Sie weiter. Die Dokumente sind in meiner Hand und dazu eine Waffe fuer den Nothfall. Sind Sie im Besitze einer solchen?" "Ich trage einen Revolver." "Dann treten wir in die Bibliothek!" Diese lag neben dem Arbeitszimmer. Sie traten ein und nahmen auf einem Sopha Platz, welches hinter breiten Buecherschraenken verborgen stand. Hier begann der Koenig ein ausfuehrliches Verhoer; Max erzaehlte, was mitzutheilen ihm nothwendig schien, doch verschwieg er sowohl die Art und Weise, wie er hinter die Geheimnisse des Herzogs gekommen war, als auch die beiden anderen Anschlaege, welche dieser mit Penentrier und Helbig geschmiedet hatte. Er durfte die Sorgen des hohen Mannes nicht vermehren und wusste sich stark genug, die Intentionen Raumburgs zu kreuzen. Nach den nothwendigen Mittheilungen trat eine Stille ein, welche so tief wurde, dass man im Arbeitszimmer nebenan selbst eine Fliege haette summen hoeren koennen. Es schlug halb und drei Viertel. Kurz vor zwei Uhr liess sich ein Geraeusch vernehmen. Max erhob sich, um zu lauschen. "Grunert," berichtete er leise. "Er sitzt mit einer verschlossenen Blendlaterne in der Naehe des Schreibtisches." "Haben Sie Feuerzeug bei sich?" "Ja." "Dort auf dem Tische steht eine Kerze. Sobald der Herzog eingetreten ist, brennen Sie dieselbe an, um zu leuchten. Nach unserem Eintritte decken Sie den Ausgang und ueberlassen das Uebrige mir!" Es vergingen noch einige Minuten der Spannung. Dann knisterte es drueben, und Max erhob sich, um zum zweiten Male zu lauschen. "Der Herzog!" fluesterte er. Um jedes Geraeusch zu vermeiden, entzuendete er das Streichholz mit dem Nagel seines Fingers, setzte die Wachskerze, welche er in die Linke nahm, in Brand und griff dann zum Revolver. "Vorwaerts!" Der Koenig trat voran zur Portière und blickte hindurch. Der Herzog von Raumburg, welcher jetzt trotz seiner Vermummung deutlich zu erkennen war, stand am Schreibtische des Koenigs und bemuehte sich, ein Fach desselben zu oeffnen; der Lakai stand neben ihm, um ihm zu leuchten. Die Fenster des Raumes waren so dicht verhangen, dass keine Spur des Lichtes hinunter in den Schlosshof zu fallen vermochte. Die beiden Maenner standen mit dem Ruecken nach der Bibliothek gekehrt, so dass sie den Eintritt des Koenigs und des Doktors, welche geraeuschlos auftraten, nicht bemerkten. Der Letztere glitt, das Licht mit der Hand beschattend, sofort nach dem Eingange hin, der Erstere aber trat einige Schritte vor und gruesste dann: "Ah, guten Abend, Durchlaucht!" Der Angeredete fuhr augenblicklich herum. Der Diener liess beim Klange dieser Stimme die Laterne fallen, dass sie verloeschte. Jetzt nahm Max die Hand vom Lichte und stellte dasselbe auf das Marmorkamin, so dass der Raum genug erhellt war, um die schreckensbleichen Zuege des Ministerpraesidenten und das Zittern des Lakaien zu bemerken. "Majestaet - -!" rief der Erstere. "Ja, Serenissimus, die Majestaet ist es, welche vor Ihnen steht, um Ihnen den Verlust aller bisher von hier verschwundenen Aktenstuecke zu quittiren. Leider duerfte allerdings heut die Recherche nach gewissen Papieren erfolglos sein, da ich sie hier in meinen Haenden halte. Haben Durchlaucht etwas zu bemerken?" Die Gestalt des Herzogs, welche bisher wie vom ploetzlichen Schrecke zusammengedrueckt gestanden hatte, richtete sich jetzt wieder auf. "Nein, Majestaet!" "Grunert, waehle zwischen Gnade und lebenslaenglichem Zuchthause! Wirst Du Alles bekennen?" Der Mann sank in die Kniee. "Gnade, Majestaet! Ich werde Alles erzaehlen!" "Steh auf! Den Armleuchter!" Der Diener verschwand in das Zimmer, in welchem er vorhin geschlafen hatte, und kehrte nach wenigen Augenblicken mit einem sechsarmigen Handleuchter zurueck. "Leuchte Durchlaucht hinab, Grunert!" Und sich zu Max wendend, fuegte er hinzu: "Du hast einen trefflichen Gebrauch Deines Passe-partout gemacht und Dir meinen besten Dank verdient, lieber Max. Fuer jetzt magst Du entlassen sein. Habe die Guete und begleite Serenissimus so weit, als es Dir in Anbetracht der Sicherheit Deines Koenigs gerathen erscheint. Gruesse Deine Eltern. Gute Nacht!" Wie ein Automat drehte sich der Herzog nach dem Ausgange und entfernte sich. Max folgte ihm auf dem Fusse. Der Diener leuchtete. Waehrend der Posten das grosse Hauptportal oeffnete, befahl der Doktor dem Lakaien: "Du kehrst zum Koenige zurueck. Ein Fluchtversuch wuerde Dich ungluecklich machen. Uebrigens bist Du ja begnadigt, sobald Dein Bekenntniss offen und vollstaendig ist!" Der Herzog schritt wortlos auf die Strasse hinaus. Max hielt sich an seiner Seite. Da ploetzlich blieb der Erstere stehen. "Mensch, sehen Sie dieses Terzerol?" "Sehr deutlich, Durchlaucht." "Nun wohl! Wenn Sie nicht sofort von meiner Seite weichen, schiesse ich Sie nieder." "Hier? Mitten in der Residenz? Am koeniglichen Schlosse? Auf der Strasse?" "Hier!" "Dann bitte ich, loszudruecken!" In seiner Rechten blitzte der blanke Lauf eines Revolvers. "Schurke!" "Wen meinen Durchlaucht? Es sind nur zwei Personen gegenwaertig, von denen ich dieses Wort nicht auf mich beziehen darf. Bitte, gehen wir weiter!" "Halt, nicht eher von der Stelle, als bis ich erfahren habe, auf welche Weise der Koenig von meinem Besuche unterrichtet wurde!" "Das sollen Sie erfahren, doch nicht hier. - Ich werde mir die Ehre geben, Sie bis an den Fluss zu begleiten, und stehe Ihnen dabei mit der betreffenden Aufklaerung zu Gebote." Er schritt vorwaerts; der Herzog folgte ihm unwillkuerlich. "Nun!" "Was?" "Auf welche Weise wurde der Koenig benachrichtigt?" Auf eine sehr abenteuerliche, Durchlaucht. Er lag im Schlafe, fuehlte eine Hand, welche ihn beruehrte, und erwachte. Ein Mann stand vor ihm, winkte ihm Schweigen, damit der im Nebenzimmer anwesende Lakai nichts hoere, und erzaehlte ihm, dass der Herzog von Raumburg einen Einbruch beabsichtige, welcher auf gewisse aus der Irrenanstalt stammende Papiere gerichtet sei." "Wer war dieser Mann?" "Der Koenig erhob sich und erwartete mit dem Warner in der Bibliothek den hohen Spitzbuben mit - - -" "Herrrrr - - -!" donnerte der Herzog, indem er das Terzerol erhob. "Schoen, Excellenz; mein Bericht mag fuer beendet gelten!" "Wer war der Mann?" "Ich." "Sie also? Sie - Sie - - Sie - - -! Wie erhielten Sie Kunde von dem, was geschehen sollte?" "Mein Bericht ist, wie ich bereits bemerkte, zu Ende, Durchlaucht. Hier stehen wir am Flusse. Auf Wiedersehen spaeter." Der Herzog wollte ihn fassen und halten, doch seine Hand griff in die naechtliche Finsterniss, in die Luft hinaus; er hoerte nicht einmal die Schritte des sich Entfernenden. "Verdammt sei dieser obskure Mensch, dieser Eisenhaemmerer, der sich trotz alledem der Gunst des Koenigs erfreut und mir - - - Wie mag er nur bei allen Teufeln errathen haben, dass ich - - errathen? Pah, verrathen worden ist es, und zwar von keinem Andern, als von diesem Grunert selbst. Warum war der Koenig sofort mit seiner Gnade da? Weil er sie ihm bereits vorher versprochen hatte, und nun wird der Verraether Alles erzaehlen, was er weiss. Doch ich kann ruhig sein. Wer wollte es wagen, den Herzog vom Raumburg oeffentlich zur Verantwortung zu ziehen? Mit Grunert wird abgerechnet, und dieser Schmiedesohn wird ja schon morgen Abend nicht mehr im Stande sein, irgend Etwas auszuplaudern!" Unterdessen schritt Max der Hofschmiede zu. Er wusste, weshalb ihn der Koenig so schnell entlassen hatte. Der Wille des Letzteren fuehrte ihn wieder nach der Irrenanstalt, um sich der beiden schuldigen Beamten zu versichern. Die Eltern waren bereits zur Ruhe gegangen, und auch die Fenster des von Zarba und dem Hauptmann bewohnten Zimmers zeigten sich dunkel. Er machte die nothwendige Toilette, begab sich dann in eine der Hauptstrassen der Residenz und trat in ein Haus, vor dessen Thor eine zweispaennige Chaise hielt. Er stieg die Treppe empor und wurde von einem aeltlichen Herrn empfangen, welcher bereits auf ihn gewartet zu haben schien. "Sind sie bereit, Herr Staatsanwalt?" "Laengst." "Die noethigen Instruktionen gingen Ihnen zu?" "Im Laufe des Abends, von Seiner Majestaet hoechsteigenhaendig unterzeichnet." "So lassen Sie uns aufbrechen, damit wir nicht zu spaet kommen!" Sie verliessen das Haus und stiegen in den Wagen, welcher sie auf dieselbe Heerstrasse fuehrte, auf welcher Max bereits einmal die Landesirrenanstalt erreicht hatte. Wortlos neben einander sitzend, gaben sie ihren eigenen Gedanken Audienz. Die Pferde griffen wacker aus, und als der Morgen hereinbrach, sahen sie das burgaehnliche Gebaeude bereits in der Ferne im goldenen Strahle erglaenzen. Eine Stunde spaeter hielten sie vor dem Portale der Anstalt. Der Pfoertner erkannte den Doktor sofort wieder und liess ihn unter tiefen Buecklingen ein. "Der Herr Direktor?" "Verreist." "Ah! Seit wann?" "Seit einer Stunde." "Der Herr Oberarzt?" "Auch verreist." "Seit einer Stunde?" "Ja." "Allein?" "Mit dem Herrn Direktor." "Und die Familien der beiden Herren?" "Auch verreist." "Seit einer Stunde?" "Ja." "Wohin?" "Ich weiss es nicht." "Es war kurz vorher ein Herr da, welcher den Herrn Direktor zu sprechen verlangte?" "So ist es." "Wie nannte er sich?" "Doktor Ungerius." "Merken wir uns diesen Namen, Herr Anwalt." Und sich wieder zu dem Pfoertner wendend, fuhr er fort: "Dieser Mann war klein, hager und von grosser Lebhaftigkeit?" "Allerdings." "Reiste er mit dem Herrn Direktor zugleich ab?" "Nein. Dieser fuhr mit dem Herrn Oberarzt allein; die Familien der beiden Herren aber brachen unter dem Schutze des Herrn Doktor Ungerius auf." "Man reiste zu Wagen?" "Ja; doch hatten die Damen, wie ich hoerte, Anweisung, spaeter die Bahn zu benutzen." "Von welchem Punkte aus?" "Weiss ich nicht." "Mit wem fuhr der Direktor?" "Mit einem hiesigen Lohnkutscher." "Wie heisst der Mann?" "Beyer." "Hat er Familie und Gesinde?" "Er hat Frau, Sohn, Tochter und Knecht." "Wurde heut bereits ausgespeist?" "Die Morgensuppe." "Die beiden Assistenzaerzte?" "Befinden sich beim Kaffee." "Bringen Sie uns zu ihnen." Der Mann fuehrte sie ueber den vorderen Hof hinueber in die Wohnung der beiden Unteraerzte, welche gar nicht erstaunt zu sein schienen, als sie den koeniglichen Kommissaer wieder erkannten. "Guten Morgen, meine Herren," gruesste Max. "Mich kennen Sie bereits. Gestatten Sie mir, Ihnen den Herrn Generalstaatsanwalt von Hellmann vorzustellen, welcher sich einige Auskunft ueber den Herrn Direktor erbitten moechte! Doch vorher eine Frage: Wurde heut Morgen von Seiten des Herrn Direktors oder des Herrn Oberarztes bereits medizinirt?" "Ich glaube ja. Beide Herren begaben sich in die Hausapotheke und suchten kurz vor ihrer Abreise einige Pfleglinge auf." "Sie waren dabei?" "Wir wurden ausgeschlossen." "Gibt es einen Mechanismus, saemmtliches Aufsichtspersonal schnell zu versammeln?" "Die Anstaltsglocke." "Lassen Sie sofort laeuten. Wo versammelt man sich?" "In Nummer Vier des hiesigen Gebaeudes." "Schoen! Sie bleiben hier, um die Fragen des Herrn Generalstaatsanwaltes zu beantworten, waehrend ich in Nummer Vier einige Befehle zu ertheilen habe!" Er ging. Kaum hatte er das betreffende Konferenzzimmer betreten, so laeutete es, und von allen Seiten kam das maennliche und weibliche Aufsichtspersonal herbeigeeilt. Auch der Pfoertner, welcher die Glocke gezogen hatte, stellte sich wieder ein. "Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen mitzutheilen, dass der Direktor und der bisherige Oberarzt dieser Anstalt unter Anklage zu stellen sind und sich ihrer Vernehmung durch die Flucht entzogen haben," redete Max die Versammelten an. "Die Leitung der Anstalt wird bis auf Weiteres in die Haende der beiden Assistenzaerzte uebergehen, und Ihre Obliegenheiten bleiben ganz dieselben wie bisher. Der Herr Generalstaatsanwalt, welcher mit mir hier angekommen ist, wird seine Erkundigungen natuerlich auch an Sie zu adressiren haben, und es liegt in Ihrem eigenen Interesse, sich genau nur an die Wahrheit und Ihr Gewissen zu halten. Der Direktor und der Oberarzt haben kurz vor ihrer Abreise einige Zellen besucht?" "Ja," ertoente die mehrstimmige Antwort. "Welche Nummern?" Es wurden ihm acht Nummern genannt, welche er sich notirte. "Die Insassen dieser Nummern wurden jedenfalls vergiftet. Eilen Sie schleunigst, Ihre Vorkehrungen zu treffen; ich werde Ihnen die beiden Aerzte sofort zusenden." Das Zimmer war im Nu leer. Max kehrte zum Staatsanwalt zurueck, welcher mit den hauptsaechlichsten Fragen zu Ende war. "Meine Herren, die beiden fluechtigen Beamten hatten Ursache, gewisse Zungen schweigsam zu machen, und haben sich dabei eines sicher wirkenden Giftes bedient. Hier sind acht Zellen verzeichnet, welche von ihnen besucht wurden. Eilen Sie, den Bewohnern derselben zu Huelfe zu kommen!" Diese Nachricht brachte die beiden ehrlichen Maenner in eine nicht geringe Aufregung. "Herr Kommissaer," meinte der Eine; "eines solchen Verbrechens ist kein Mensch faehig!" "Bitte, halten Sie jede Bemerkung zurueck! Sie wissen, dass die Wirkung eines starken Giftes nach Sekunden berechnet werden muss." "Dann vorwaerts," erwiderte er, nach dem Zettel greifend, welcher das Verzeichniss der acht Zellen enthielt; "lasst uns sehen, ob man wirklich so teuflisch zu sein vermag!" "Halt!" meinte der andere Huelfsarzt. "Begeben wir uns vor allen Dingen in die Apotheke. Wir kennen den Inhalt des Giftschrankes so genau, dass wir bei einer fuer acht Personen berechneten Dosis sofort sehen werden, von welchem Gifte genommen wurde!" Saemmtliche Herren begaben sich in die Apotheke. Der Giftschrank musste aufgesprengt werden, da der Schluessel zu demselben nicht zu finden war, und kaum hatten die beiden Aerzte einen Blick auf den Inhalt desselben geworfen, so ertoente der zweistimmige Ruf: "Blausaeure fehlt! Die Leute haben ein Blausaeurepraeparat erhalten." "Haben Sie ein Gegengift bei der Hand?" "Jawohl." "So versehen Sie sich mit demselben und eilen Sie damit nach den betreffenden Zellen! Herr Staatsanwalt, ich gehe in die Stadt, um einige Erkundigungen einzuziehen. Sie beurlauben mich?" Gern. Ich werde bis zu Ihrer Rueckkehr nicht unthaetig sein duerfen." Max verliess die Anstalt und schritt der Stadt zu, welche eine kleine halbe Stunde entfernt lag. Vor derselben waren Strassenarbeiter beschaeftigt, die Chaussee auszubessern. Er frug sie nach der Wohnung des Lohnkutschers Beyer und erhielt dieselbe so deutlich beschrieben, dass es ihm sehr leicht wurde, sie zu finden. Er traf die Frau, die Kinder und auch den Knecht zu Hause an. Sie waren verlegen ob des vornehmen Besuches. "Hier wohnt der Lohnfuhrwerksbesitzer Beyer?" "Ja." "Ist er nicht zu Hause?" "Nein." "Er hat den Herrn Direktor zu fahren?" "Ja." "Wohin?" Er erhielt keine Antwort. Die Frau blickte ihn verlegen an, und auch dem Sohne und der Tochter war es anzumerken, dass sie antworten koennten, wenn sie gewusst haetten, dass es nicht verboten sei. Der Dokor musste sie anders fassen. Sie werden binnen einer halben Stunde arretirt werden." "Arretirt?" frug die Frau erschrocken. "Wir? Weshalb?" "Wegen Mithuelfe zur Flucht zweier schwerer Verbrecher!" "Davon wissen wir nichts!" "Pah! Sie haben dem Direktor und dem Oberarzte der hiesigen Irrenanstalt zur Flucht verholfen." "Dem Herrn Direktor? Zur Flucht? Hat er denn fliehen wollen?" "Allerdings. Es liegt eine schwere Anklage gegen diese beiden Maenner vor, und ich bin als koeniglicher Kommissaer gekommen, sie zu arretiren. Ihr Mann hat ihnen seinen Wagen zur Flucht zur Verfuegung gestellt, und Sie verweigern mir jede Auskunft, wohin die Fahrt gerichtet ist - ich werde Sie arretiren lassen muessen." Das Erstaunen und die Angst der Leute war grenzenlos. "Der Herr Direktor ein Verbrecher? Das ist gar nicht moeglich!" rief die Frau und schlug dabei vor Verwunderung die Haende zusammen. "Und auf der Flucht? Das ist ja schrecklich! Aber wir haben ihm dabei nicht geholfen. Wir haben gemeint, es handle sich um eine Ferienreise." "Warum verschweigen Sie das Ziel der Fahrt?" "Weil der Herr Direktor meinte, dass es Niemand wissen solle." "Nun?" "Mein Mann muss sie ueber die Gebirge nach der Grenze und von da weiter fahren, bis sie ihn ablohnen." "Ein gewisser, bestimmter Ort ist nicht genannt worden?" "Nein." "Wissen Sie, welchen Weg er eingeschlagen hat?" "Nein. Es fuehren sehr viele Wege in das Gebirge, und mein Mann kennt sie alle sehr genau." "Wann ist die Reise begonnen worden?" "Vor zwei Stunden." "Ich will einmal annehmen, dass Sie nicht so schuldig sind, als ich vorher dachte, und also von der Arretur absehen, doch verlange ich, dass Sie mir zu jeder Zeit zur Verfuegung stehen, wenn ich eine Erkundigung an Sie zu richten habe!" Sie gaben ihm das Versprechen, und schon stand er im Begriffe, sich zu verabschieden, als er einen Blick nach dem Spiegel warf und unter demselben eine Bleistiftskizze bemerkte, welche sofort seine vollste Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er trat naeher und sah, dass er sich nicht getaeuscht hatte. "Zarba, die Zigeunerin! Wie kommt dieses Bild hierher?" "Sie kennen Zarba?" frug die Frau um Vieles zutraulicher. "O, sie ist unsere Wohlthaeterin schon seit langer Zeit, Herr Kommissaer. Mein Sohn hat einiges Talent zum Zeichnen und ihr Bild gemalt, so wie es dort beim Spiegel haengt. Nicht wahr, sie ist gut getroffen?" setzte sie mit einem stolzen Blicke auf ihren Sohn hinzu. "Sehr gut. Wie alt ist der Junge?" "Siebzehn." "Und was wird er?" "Er ist Schreiber und jetzt leider ohne Anstellung." "Er scheint ein sehr schoenes Talent zu besitzen, und ich werde, wenn es Ihnen recht ist, einen Maler herschicken, der ihn pruefen mag. Vielleicht laesst sich etwas aus ihm machen." "O, wenn Sie das thun wollten, Herr Kommissaer!" rief die Frau, beglueckt und dankbar seine Hand ergreifend. "Wollen sehen, liebe Frau; doch sagt mir, wie seid Ihr mit der Zigeunerin bekannt geworden ?" "Das ist schon sehr lange Zeit her, wohl mehrere ueber zwanzig Jahre! Sie war damals eine gar angesehene Dame und wohnte in der Hauptstadt bei dem Herzoge von Raumburg. Das sollte allerdings verschwiegen bleiben; aber es wurde doch in allen Haeusern der Stadt erzaehlt und man bedauerte das schoene Maedchen, weil - - doch, Herr Gott, Sie sind ja ein koeniglicher Kommissaer und kommen wohl auch mit dem Herrn Herzog zusammen! Also meine Mutter war Hebamme und hatte dienstlich mit den allerhoechsten Herrschaften zu thun. Ich hatte damals erst vor Kurzem geheirathet und wohnte bei ihr in der Residenz. Da ereignete es sich, dass in einer Nacht zwei sehr hohe und vornehme Damen ihrer Huelfe bedurften naemlich die Koenigin Majestaet und die reiche Fuerstin von Sternburg, welche sich auf Besuch im koeniglichen Schlosse befand. Sie und die Koenigin waren naemlich weitlaeufige Cousinen, und der Fuerst, welcher ein grosser General und Feldherr ist, befand sich im Auslande, wo er im Krieg kommandirte. Die Fuerstin starb an der Geburt, und weil mir kurz vorher mein Erstes auch gestorben war, so bekam ich das kleine Prinzesschen - - ja, wollte sagen den kleinen Prinzen angelegt und wurde seine Amme. Damals besuchte mich die schoene Zigeunerin alle Tage, und von daher schreibt sich unsere Bekanntschaft, Herr Kommissaer." Max ahnte nicht, welche Bedeutung diese kurze Erzaehlung jemals fuer ihn und sein Schicksal haben koenne. Er frug: "Und sie hat Euch dann oefters besucht?" "Ja. Wir mussten ihr, wenn sie kam, ueber Alles Auskunft geben, und wenn sie wieder fort war, zu diesem Zweck allerlei Erkundigungen einziehen." "Ueber wen?" "Ueber - ueber - ja, darf ich das denn sagen? Zunaechst ueber den Sohn des Hofschmiedes Brandauer und den Sohn des Fuersten von Sternburg, dann ueber den Englaender, welcher Lord Halingbrook heisst, ueber den Herzog von Raumburg und viele andere hochgeborene Herren und Damen." "Die ihr alle persoenlich kennt?" "Nein. Ich kenne sie nicht. Mein Mann hat das Alles besorgt." "Hat er etwas fuer seine Bemuehungen erhalten?" Sie laechelte. "Wir koennen sehr zufrieden sein. Zarba muss noch von ihrer Jugend her viel Geld besitzen." Er verabschiedete sich von den Leuten und versprach, des Sohnes nicht zu vergessen. Dann kehrte er zur Anstalt zurueck. Es hatte sich waehrend seiner Abwesenheit wirklich herausgestellt, dass die acht Personen vergiftet worden seien; zwei waren bereits gestorben, andere zwei zeigten sich als schwer krank, und die Uebrigen gaben Hoffnung, dass sichere Rettung vorhanden sei. Hoechst seltsam war dabei die Ansicht der beiden braven Assistenten, dass saemmtliche acht Personen wohl kaum jemals wirklich geistig krank gewesen seien. Max musste die Bestimmung hierueber dem Generalstaatsanwalt ueberlassen, welcher beinahe noch bis zum Abend in der Anstalt zu thun hatte. Das dauerte ihm allerdings zu lange; er musste bis zu dieser Zeit zu Hause sein, und daher verabschiedete er sich, um allein zur Stadt zurueckzukehren. Er kam dort an, als es bereits zu dunkeln begann, und fuhr zunaechst beim koeniglichen Palais vor, um Bericht zu erstatten. Dann ging er nach seiner Wohnung. Hier erzaehlte er zunaechst bei den Eltern die heutigen Erlebnisse und stieg dann hinauf nach der oberen Stube, um Zarba und den Hauptmann aufzusuchen. Der Letztere nahm den regsten Antheil an den Ereignissen in der Anstalt und zeigte sich wuethend darueber, dass die beiden Beamten entkommen seien. "Gewiss ist es noch nicht, dass sie entkommen," meinte Max. "Der Staatsanwalt hat sofort den Telegraphen spielen lassen, und von der Familie des Lohnkutschers, welcher die beiden Maenner fuehrt, habe ich genau erfahren, welche Richtung sie einhalten." "Wie heisst der Lohnkutscher?" frug Zarba. "Beyer. Ich habe Dein Bild in seiner Wohnung gesehen." "Beyer. Und wohin geht die Fahrt?" "Ueber das Gebirge nach der Grenze." "Welchen Weg?" "Ja, wenn wir das gewusst haetten, so waere die Verfolgung schleunigst angetreten worden." "Wollt Ihr sie wieder haben?" "Natuerlich." "Gut, Ihr sollt sie haben; Zarba verspricht es Euch!" Sie kam aus ihrer Ecke hervor und setzte sich zur Lampe. "Mein Sohn, gieb mir Papier und ein Stueck Blei!" Sie erhielt Beides und malte auf das Erstere eine Reihe von Charakteren, fuer welche weder der Hauptmann noch Max ein Verstaendniss hatten. "Nicht wahr, von uns kann jetzt keiner aus der Residenz fort?" frug sie. "Nein," lautete die Antwort des Doktors. "Dann muss ich einen Boten haben, einen Mann, auf den sich Zarba ganz und gar verlassen kann." "Wohin?" "Hinauf in die Berge." "Wie lange braucht er Zeit, um zurueckzukommen?" "Drei Tage." Max trat zum Fenster und oeffnete es. Drunten sassen wie gewoehnlich die Gesellen vor der Thuer. "Thomas!" "Zu Pefehl, Herr Doktor!" "Magst Du einmal heraufkommen?" "Sofort werde ich mich hinaufbegepen!" Einige Augenblicke darauf krachte die Stiege unter den wuchtigen Schritten des ehemaligen Kavalleristen. "Guten Apend, meine Herrschaften. Hier pin ich, wie ich leipe und lepe!" gruesste er, sich in die strammste Positur stellend. "Habt Ihr dieser Tage viel zu arbeiten, Thomas?" frug Max "Zu arpeiten gipt es immer pei uns, Herr Doktor." "Aber ausserordentlich viel Arbeit - -?" "Ist nicht so sehr schlimm!" "Willst Du mir einen Gefallen thun?" "Zu Pefehl, recht gern, Herr Doktor!" "Du sollst einen Brief hinauf in das Gebirge schaffen." "In das Gepirge? Da pin ich in meinem ganzen Lepen noch nicht gewesen. An wen ist der Prief gerichtet?" Max sah die Zigeunerin fragend an. "An den Waldhueter Tirban," antwortete diese. "Tirpan? Ist mir niemals pekannt gewesen. Wo wohnt er?" "Du faehrst mit dem Fruehzuge nach Suederhafen und gehst von da bis zum Abend auf der Strasse fort, welche quer durch das Gebirge fuehrt. Am Abend kommst Du an einen Krug, vor dessen Thuer zwei Tannen stehen; dort kehrst Du ein und fragst den Wirth nach dem Waldhueter Tirban. Dieser wohnt auf einer Waldbloesse, ihm gibst Du diesen Brief. Das Uebrige wirst Du von ihm selbst erfahren." "Gut! Also Suederhafen - Gepirgsstrasse - Apend - Krug - zwei Tannen - Waldploesse - Tirpan - gut, ich werde ihn zu finden wissen." "Aber wird Thomas nicht zu spaet kommen?" frug Max. "Die Fluechtlinge sind heut frueh fort, und er kommt erst morgen Abend zu Tirban." "Dafuer lasst mich sorgen, junger Herr! Willst Du mir ein Telegramm aufschreiben, mein Sohn?" Der Hauptmann nahm Platz und griff zur Feder, Zarba ueberlegte einen Augenblick und diktirte dann: "Oberschenke Waldenberg - Fuhrmann Beyer und zwei Maenner - einen Tag lang aufhalten - mit Gewalt zur Tannenschlucht - Zarba." Max hoerte mit Erstaunen dem Diktate zu. Die Worte klangen nach Geheimnissen, welche zu ergruenden er wohl begierig gewesen waere. Die Gitana wurde ihm von Stunde zu Stunde eine immer mysterioesere Persoenlichkeit. Er sah wahrhaftig jetzt eine ganze Zahl von Goldstuecken in ihrer braunen Hand erglaenzen, als sie in die Tasche griff, um den Betrag fuer die Depesche auf das Papier zu legen. Und dieser Betrag war so genau abgezaehlt, dass sich vermuthen liess, dies sei nicht die erste Depesche, welche die Zingaritta expediren liess. "Willst Du diese Depesche noch heute Abend besorgen?" frug Max den Kavalleristen. "Zu Pefehl, Herr Doktor!" "Hier hast Du Reisegeld fuer morgen. Den Vater brauchst Du nicht um Erlaubniss zu fragen, ich werde dies fuer Dich thun." "Zu Pefehl, Herr Doktor und guten Apend die Herrschaften!" Damit drehte er sich um und schritt zur Thuer hinaus. Unten angekommen, stellte er sich breitspurig vor die beiden andern Gesellen hin. "Wisst Ihr etwas Neues?" "Nun?" frug Heinrich. "Ich pegepe mich morgen auf eine lange Reise." "Wohin?" "Geht Euch nichts an, Ihr Gelpschnaepel Ihr. Aper wenn Ihr in einer Stunde zu unserer Parpara Seidenmueller kommt, so will ich Euch einige Seidel zum Abschied gepen, weil das Reisegeld so reichlich ausgefallen ist." "Ich komme, Thomas!" meinte der immer durstige Artillerist. "Das mit den Seideln ist der trefflichste Gedanke, den Du heute haben konntest!" "Ja, das ist am Den!" bekraeftigte nickend Baldrian, der Grenadier. - - - VIII. Almah. Da, wo der Fluss sich busenartig erweitert, um seine Wasser mit den Wogen des Meeres zu vermaehlen, liegt Tremona, der Haupthafen von Suederland. Am Fusse der Hoehe, an welcher sich die Stadt amphitheatralisch emporzieht, dehnen sich die Aussenwerke der Festung aus, waehrend die beiden rechts und links vom Flusse liegenden Forts wie drohende Waechter von dem Berge herunterblicken und weit hinaus in die offene See schauen. Unter ihnen und an ihren Flanken dehnen sich zahlreiche Weinberge und Fruchtgaerten hin, zwischen deren Gruen verschieden stilisirte Villas, Lustschloesser und andere herrschaftliche Bauwerke hervorblicken, welche bestimmt sind, der haute-volée der Residenz und des Landes zum Sommeraufenthalt zu dienen. Unter diesen Gebaeuden zeichnet sich besonders eines durch seine praechtige Lage wie unuebertreffliche Architektonik aus. Es ist ein im maurischen Stile gehaltenes Schloss, welches sonderbarer Weise keinem Suederlaendischen Unterthanen, sondern einem Fremden gehoert, naemlich dem Fuersten Viktor von Sternburg, General z.D. Sr. Majestaet des Koenigs von Norland. Allerdings ist der General nur selten auf dieser seiner Besitzung anwesend, und auch sein Sohn, der Prinz Arthur, welcher als wirklicher Kapitaen zur See in Norlaendischen Diensten steht, kann den Reiz dieser herrlichen Besitzung nur hoechst selten und auf kurze Zeit geniessen, da sein Beruf ihn oft Jahre lang vom Lande fern haelt und er in der Frist eines etwaigen Urlaubs zu sehr in der Heimath in Anspruch genommen wird, als dass er auf den Gedanken kommen sollte, eine Besitzung zu besuchen, welche im Nachbarstaate liegt, dessen Intentionen zum Vaterlande nie sehr freundliche genannt werden konnten. - Auf der Veranda von Sternburg, wie das erwaehnte Schloss nach seinem Besitzer genannt wird, sassen mehrere in Civil gekleidete Herren, deren Exterieur die Vermuthung nahe legte, dass sie trotz dieser Kleidung den militaerischen Kreisen angehoerten. Sie hatten die substanzielleren Theile des Fruehstuecks ueberwunden und schauten nun vergnuegt auf eine Batterie feurigen Sizilianers, welcher ihnen rothgolden durch das Glas entgegenglaenzte. "Sagen Sie, Kapitaen, auf wie lange werden Sie Ihren gegenwaertigen Aufenthalt ausdehnen?" frug der eine von ihnen. "Sie duerfen erwarten, dass wir wuenschen, Sie so lange als moeglich hier festhalten zu koennen." Der Gefragte war ein junger Mann von wohl nicht ueber zweiundzwanzig Jahren. Sein ernstes, maennlich schoenes Angesicht war sehr stark von der Sonne gebraeunt und trug den Charakter einer milden aber unerschuetterlichen Energie, welche durch nichts dahin zu bringen ist, einen einmal fuer rechtlich erkannten Entschluss wieder aufzugeben. Seine Kameraden waren ausnahmslos aelter als er, und dennoch schien er ihnen an Reife und Wuerde ueberlegen zu sein, wenigstens bildete ihrer Lebhaftigkeit gegenueber die Ruhe und Gleichmaessigkeit seiner Worte und Bewegungen einen Kontrast, welcher nur zu seinem Vortheile ausfallen konnte. "Leider ist die Dauer meines Aufenthaltes hier eine sehr von den Umstaenden abhaengige," antwortete er. "Sie kann einige Wochen waehren, aber auch schon binnen einer Stunde ihr Ende erreicht haben. Allerdings habe ich meine Fregatte dem Werfte uebergeben muessen, aber es kann leicht sein, dass man mir waehrend der dadurch entstehenden Vakanz einstweilen das Kommando eines anderen Fahrzeuges anvertraut. In diesem Falle werde ich telegraphisch abberufen und haette dann nicht einmal Zeit, mich von Ihnen zu verabschieden, meine Herren." "Ein Grund mehr, uns an die Gegenwart zu halten," meinte ein anderer der Gaeste. "Lasst uns den eventuellen Abschiedstrunk gleich jetzt mit schluerfen!" Die Glaeser erklangen. "Wo waren Sie zuletzt stationirt, Kapitaen?" toente dann die Frage. "Im indischen Archipel." "Donnerwetter, ein wenig entfernt von hier! Nun ist mir auch der famose Teint erklaerlich, durch welchen Sie sich so vortrefflich auszeichnen. Aber ich glaube, von Ihnen als in Egypten anwesend gehoert zu haben." "Ich war auf dem Rueckwege nach der Heimath mit der Abgabe von Depeschen an den Vizekoenig beauftragt." "Ah! So ward Ihnen das Glueck zu Theil, die Khedive'sche Majestaet Auge in Auge zu sehen?" "Natuerlich." "Ja, ein zweiundzwanzigjaehriger Kapitaen zur See besitzt ganz verteufelte Meriten. Aber, im Vertrauen, haben Sie auch Einblick in die liebenswuerdigen Verhaeltnisse des vizekoeniglichen Harems erhalten?" Der Gefragte blickte mit einem sinnenden Laecheln vor sich nieder. "Einblick? Nein!" "Aber Anblick - ein Anblick ist Ihnen geworden, Sie Gluecklicher? Gestehen Sie!" "Ich gestehe!" "Genuegt nicht. Beichten!" "Ich habe nichts zu beichten, meine Herren!" "Nun wohl, dann haben Sie desto mehr zu erzaehlen oder zu berichten. Nicht?" "Hoechstens eine Kleinigkeit." "Aber solche Kleinigkeiten sind so interessant, dass wir unmoeglich auf sie verzichten koennen. Beginnen Sie, Kapitaen!" Er griff zum Glase, that einen kleinen, langsamen Zug aus demselben und begann mit einer Miene, in welcher sich deutlich das Widerstreben kund gab, eine persoenliche Erfahrung dem weiteren Wissen preis zu geben. "Ich hatte meine Pflicht gethan und war vom Vizekoenig auch bereits verabschiedet worden, beschloss aber doch, noch einige Tage in Kairo zu verweilen. Man muss diese Stadt gesehen haben, um diesen Entschluss als etwas ganz und gar Selbstverstaendliches anzuerkennen. Kairo heisst nicht ohne Grund Kahira, die Siegreiche; sie besiegt mit ihren tausend Wundern und Reizen jeden Abendlaender, welcher zum ersten Male sich in den Zauberkreis des orientalischen Lebens wagt." "Auch Sie wurden natuerlich von diesem Zauber gefangen genommen?" "Vor Jahren, ja, als ich den Boden des Morgenlandes zum ersten Male betrat." "Vor Jahren! Alle Teufel, Kapitaen, Sie haben freilich an einer ganz bedeutenden Summe von Jahren zu tragen! Doch, apropos, Sie sind wirklich ein ganz ungewoehnlich bevorzugtes Schosskind des Glueckes. Waehrend andere sehr tuechtige Maenner es kaum mit vierzig Jahren bis zu Ihrem Range bringen, waren Sie mit vierzehn Jahren bereits Midshipman, mit zwanzig Decklieutenant und jetzt Kapitaen, notabene nicht Korvetten- sondern Fregattenkapitaen. Warten wir noch ein Jaehrchen, meine Herren, so werden wir erfahren, dass diesem Herrn Arthur von Sternburg als Kommodore eine Eskadre anvertraut worden ist, und dann ist es nicht mehr weit bis zu einem fuenfundzwanzigjaehrigen Admiral. Doch bitte, Herr Kamerad, fahren Sie fort!" "Mit oder ohne weitere Unterbrechungen?" "Ohne -" lachte der Gefragte. "Also, wir waren in Kahira, der Siegreichen, und sahen uns gezwungen, den Einfluessen des Klimas gerecht zu werden. Des Tages vertraeumte ich, wenn nicht gerade eine Audienz oder ein nothwendiger Besuch vorlag, die Zeit bei einer Pfeife feinem Assuan, und ging nur des Abends aus, um manches Abenteuer zu erleben oder zu beobachten, von welchem die Erinnerung zu zehren vermag. Aufgefallen war mir die Schoenheit der Fellahmaedchen. Diese schlanken und dabei doch so vollen, reizenden Glieder, der warme Ton der dunklen, sammetnen Haut, die liebliche Regelmaessigkeit der Zuege, die jungfraeuliche Fuelle und Festigkeit derjenigen Formen, welche man bei uns kuenstlich zu stuetzen pflegt, die Anmuth der Bewegungen - das Alles, bei diesen Bauernmaedchen gesehen, liess die Frage aufkommen, welchen Grad von Schoenheit erst die Damen hoeherer Staende besitzen muessten." "Donnerwetter, Kapitaen, denken Sie daran, dass Sie gegenwaertig zu ausserordentlich gefuehlvollen Wesen sprechen!" "Ohne Unterbrechung, meine Herren -!" "Bon! Sprechen Sie weiter. Wir sind natuerlich gespannt auf Ihren ethnographischen Essay. Natuerlich erhielten Sie Gelegenheit, den Grad dieser letztgenannten Schoenheit zu bewundern." "Allerdings. Es war an einem Abende - -" "Ah, der Anfang ist reizend: an einem Abende - fahren Sie weiter fort!" "Ich hatte mir ein Boot genommen und fuhr den Fluthen des Niles entgegen, das heisst, ich sass und traeumte, wie man es in jenen Breiten zu thun pflegt, und liess mich rudern. Wir hatten nach kurzer Zeit die Stadt hinter uns, fuhren einsam stromauf und sahen nur eine einzige Gondel vor uns, welche von vier schwarzen Sklaven fortbewegt wurde -" "Ich ahne! In dieser Gondel sass ein - - -" "Nein - sassen zwei tief verschleierte Frauengestalten, welche jedenfalls gerade so wie ich die Kuehle des Abends in der Einsamkeit geniessen wollten. Unwillkuerlich wurden meine Augen von den zarten feinen Huellen magnetisch angezogen; es gab ja so Vieles hinter ihnen zu ahnen und zu vermuthen. Wer waren diese Frauen? Waren sie alt, so dass die Schleier nichts als Runzeln zu verbergen hatten, oder pulsirte das Blut heiss durch Herz und Adern zweier Gestalten, wie sie die Phantasie sich malt, wenn man an das Harem eines orientalischen Herrschers denkt? Wem gehoeren sie, und - durfte man es hier in dieser Entfernung von der Stadt wagen, sie anzusprechen? Nein, das ging nicht, denn die Schwarzen haetten dies jedenfalls verrathen. Ich fuhr ihnen also langsam nach, dem weissen Schleier ihrer Gewaender wie einem Polarsterne folgend, nach welchem der Seefahrer den Lauf seines Fahrzeugs bestimmt." "Schwaermer! Ich an Ihrer Stelle haette sie angesegelt, geentert und als gute Prise an Bord genommen." "Ich wuensche Ihnen von Herzen eine solche Gelegenheit, Ihre Tapferkeit zu bewaehren. - Der Fluss beschreibt oberhalb der Stadt einen scharfen Bogen, und natuerlich liegt das ruhige Fahrwasser auf der inneren Seite desselben. Eben hatte die Gondel dasselbe erreicht, als hinter der Kruemmung der Bug eines Fahrzeugs sichtbar wurde, welches sich verspaetet haben musste und den Hafen von Bulakh zu erreichen suchte. Die Gondel lag beinahe gerade vor seinem Kiele, doch gelang es ihr noch, auszuweichen. Das Fahrzeug war eine Dahabie, welche, dem Baue nach, Sennesblaetter aus Abessinien brachte. Ihr folgte, wie die Gondel zu spaet bemerkte, ein Sandal, eines jener fluechtigen Nilfahrzeuge, welche beinahe mit einem Dampfer um die Wette zu segeln vermoegen. Zum Ausweichen war es fast zu spaet; dennoch aber brachten die Ruderer die Gondel so weit zur Seite, dass sie nicht ueberfahren wurde, doch gerieth sie in das rauschende Kielwasser der beiden Schiffe, von welchem es hin- und hergeschleudert wurde wie eine Nussschale -" "Alle Teufel, jetzt kommt die Pointe: ein Retter - eine wundervoll schoene Goettin - Liebe - Gestaendniss - Hochzeit - - habe ich recht, Kapitaen?" "Pah! Die beiden Frauen hatten natuerlich ihre Fassung vollstaendig verloren. Sie zeterten und schrien um Huelfe. Die Eine von ihnen hatte die Haende vom Bord genommen, eine Woge riss die Gondel zu sich empor - die Dame verlor das Gleichgewicht und stuerzte in das auf- und abwogende Wasser. Ich hatte so Etwas vermuthet und das Steuer ergriffen. Im Nu war ich zur Stelle und sprang ueber Bord. Es gelang mir, die Verunglueckte zu fassen. Bei dem unruhigen Wasser war es eine Unmoeglichkeit, mit ihr in das Boot zu kommen, ich legte mich auf den Ruecken, nahm ihren Oberkoerper quer ueber mich herueber und schwamm nach dem Ufer, welches ich noch vor den Kaehnen erreichte. Dort legte ich sie nieder und entfernte den Schleier, welcher den Kopf und die Schultern bedeckte." Der Kapitaen machte jetzt eine Pause und blickte ueber die vor ihm liegende Landschaft hinaus weit in die Ferne, als suche er den Ort zu erschauen, auf welchen er damals die Errettete gebettet hatte. "Fast erschrocken fuhr ich zurueck - -" "Was - erschrocken? War sie so haesslich, Kapitaen?" "Haesslich? Pah! Koennen Sie sich nicht denken, dass es einen Grad von Schoenheit gibt, welcher dieselbe Wirkung hat? Den Beschauer ueberkommt das Gefuehl, als habe er eine Entweihung begangen, als sei er unberufen in ein Heiligthum eingetreten, welches er bei Todesstrafe nicht betreten duerfe. So war es auch hier. Ich sah in ein Gesicht, in ein Gesicht - doch, warum davon sprechen, da es geradezu unmoeglich ist, solche Wunder zu beschreiben. Aber wenn eine jener Feen, von denen wir uns in der Jugend erzaehlen liessen, vom Himmel herabgestiegen waere, um den Sterblichen die Schoenheit in ihrer herrlichsten Inkarnation zur Offenbarung zu bringen, sie haette sich mit dem Maedchen, welches vor mir lag, nicht messen koennen. Die duennen, durchsichtigen Gewaender waren von den oberen Theilen dieser unvergleichlichen Gestalt zurueckgewichen, und da, wo sie dieselbe noch verhuellten, schienen sie bestimmt zu sein, mehr zu verrathen als zu verbergen. Und ueber dem Allem lag ausgebreitet der zauberische Mondesglanz Egyptens - pah, ich glaube gar, ich werde poetisch!" "Kein Wunder, Kapitaen! Ich gaebe sofort fuenf Jahre meines Lebens hin, wenn ich an Ihrer Stelle gewesen waere!" "Ich wurde aus meinem Entzuecken gerissen. Mein Ruderer hatte gelandet, und auch die Gondel war herbeigekommen. Die zweite Verschleierte setzte den Fuss auf das Land und kam herbeigeeilt." "Almah! O Fatime, heiligste Frau des Himmels, hilf, dass sie nicht todt ist!" Erst durch diesen Ruf wurde ich aus das Noethigste aufmerksam gemacht. Ich legte die Hand auf das Herz der Verunglueckten und fuehlte einen leise schlagenden Puls. "Sie lebt. Die Hand des Todes war nicht schnell genug, die herrlichste Blume Kahiras zu brechen." "Sie lebt?" Mit diesen jubelnden Worten warf sie sich auf die Liegende nieder, zog sich den Schleier vom Gesicht und kuesste die Bewusstlose auf Stirn, Wange und Lippe. "Ja, sie lebt. Dank Dir, Fremdling! Du hast ein Werk gethan, welches Allah Dir niemals vergessen wird!" Auch sie war schoen, doch einige Jahre aelter als die Andere. Noch kniete ich an der Seite der Letzteren und hatte ihren Kopf auf meinem Arme liegen, von welchem das aufgeloeste, reiche schwarze Haar in lockiger Fuelle herniederfloss." "Wer ist sie? Wer seid Ihr?" frug ich, mehr unwillkuerlich als mit bestimmter Absicht. "Ich bin Aimée, die Lieblingsfrau des Vizekoenigs, und diese hier heisst Almah. Wer bist Du? Ein Franke?" Sie sprach italienisch, um von den Dienern nicht verstanden zu werden; ich durfte also annehmen, dass sie lesen koenne. Noch immer kniend griff ich mit der freien Hand in meine Tasche und nahm eine Karte hervor. "Nimm und lies, wer ich bin! Ich wollte weiter sprechen, wurde aber verhindert. Derjenige, welcher am Steuer der Barke gesessen hatte, trat herbei. "Warum laessest Du die Sonne Deines Angesichtes leuchten vor dem Manne, dem Du nicht gehoerst?" Diese Worte klangen streng. Sie wandte sich ab und liess den Schleier fallen. "Lebe wohl, Fremdling. Aimée sagt Dir Dank; sie wird ihre Freundin auch ohne Huelfe pflegen." "Ist Almah auch ein Weib?" "Nein." Jetzt durfte ich es wagen, ohne der Herrlichen zu schaden. Ich hob ihr schwer auf meinem Arme liegendes Haupt empor und drueckte Kuss um Kuss auf die halb geoeffneten Lippen, zwischen denen das reine Elfenbein der Zaehne hindurchschimmerte. Dann erhob ich mich. "Wessen Tochter ist sie?" "Ich darf es Dir nicht sagen. Hab Dank und lebe wohl!" "Sie reichte mir ihre Hand, allerdings ein grosses Wagniss. Ich drueckte meine Lippen auf die zarten Spitzen ihrer Finger und schritt wie im Traume nach meinem Kahne - -" "Verdammt! Das war ein Fehler! Das haette ich nicht gemacht! Ich waere sicher nicht eher fortgegangen, als bis ich erfahren haette, wer sie war. Doch, Sie haben sie wiedergesehen?" "Nein." "Was? Nein? Das ist ja vollstaendig unmoeglich!" "Es ist einfach wirklich. Ich nahm mir allerdings vor, nach ihr zu forschen, erhielt aber bereits am naechsten Tage den Befehl, nach Algier zu gehen - tout voila; ich bin zu Ende!" "Zu Ende? Wirklich? Sie wollen nicht laengeren Urlaub nehmen und hinuebergehen, um nach ihr zu forschen?" "Ich bin nicht Phantast genug, um solch einen Entschluss fassen zu koennen, und der Dienst -" "Ja, der leidige Dienst! Und doch! Treten Sie mir Ihre Egypterin ab, Kapitaen! Ich werde hinuebergehen und den Vizekoenig interpelliren. Er muss mich mit seiner Aimée sprechen lassen, und von dieser ist es ja zu erfahren, wer die Unvergleichliche ist." Der Kapitaen laechelte. "Ich kann nicht ein Gut abtreten, welches ich nicht besitze." "So nehme ich es mir selbst. Kapitaen, ich schwoere es Ihnen bei allen Liaisons der Erde, dass ich bei naechster Gelegenheit nach Egypten gehe, um Ihre Bekanntschaft fortzusetzen. Aber, meine Herren, vergessen wir nicht, dass wir fuer jetzt weiter engagirt sind; es bleibt uns nur noch eine Viertelstunde fuer unseren Wirth uebrig. Vivat alle Aimées und Almahs; Pereat alle Dahabies und Sandals, und vor allen Dingen lebe der Entdecker des schoensten Weibes im Lande der Pharaonen. Hoch!" Die Glaeser klangen; die Flaschen entleerten sich, und als die Letzte unter der Tafel verschwunden war, erhoben sich die Herren. Der Kapitaen blieb allein zurueck. Er war ernst geblieben trotz der launigen Gesellschaft. Jetzt lehnte er sich in den Sessel zurueck und oeffnete das Medaillon, welches an seiner Uhrkette befestigt war. Es enthielt einen Frauenkopf von jener Schoenheit, welche nur unter den Gluthen des Orientes zu finden ist. "Almah! Sie ist das erste Weib, welches ich liebe, und wird auch das letzte sein. Sie ist vor mir aufgetaucht und verschwunden, wie ein Phaenomen, welches mir nie wieder erscheinen wird; aber ich habe ihre Zuege festgehalten und werde von dieser suessesten meiner Erinnerungen zehren, so lange mein Herz schlaegt und meine Brust athmet!" Er trat aus der Veranda in das anliegende Zimmer und klingelte. Ein alter Mann erschien, welcher mit einer tiefen Verneigung vor der Thuer stehen blieb. "Haben Sie die Zimmer fuer den Pascha in Bereitschaft gesetzt?" "Ja, Durchlaucht. Wann wird der Gast eintreffen?" "Ich weiss es nicht. Sie werden fuer die nothwendige Dienerschaft sorgen muessen. Hoffentlich bleibt Ihnen bis zu seinem Eintreffen noch so viel Zeit, Alles zu arrangiren. Gestern kam der Brief des Vaters; es ist also anzunehmen, dass der Pascha vor Anfang naechster Woche nicht eintreffen wird. Fuer jetzt bitte ich um meinen Matrosenanzug!" Der alte Kastellan trat einen Schritt naeher. "Durchlaucht wissen, wie lieb ich Sie habe und wie gluecklich es mich macht, meinen hohen jungen Herrn nicht so stolz zu sehen wie Andere, welche weder die Geburt noch die Verdienste des Kapitaen von Sternburg aufzuweisen haben. Aber - - dieses Inkognito, dieses Herniedersteigen zu den untersten Klassen der Bevoelkerung, koennte es nicht einmal mit Gefahren verbunden sein, denen man nicht gewachsen ist, weil sie unerwartet hereinbrechen?" Der Prinz reichte dem treuen Manne die Hand entgegen. "Ich kenne Sie, Horn, und bin weit entfernt, mich durch Ihre so gut gemeinte Warnung verletzt zu fuehlen. Darum will ich Sie durch die Versicherung beruhigen, dass mir keinerlei Gefahr droht, wenn ich zuweilen eine Kleidung anlege, fuer welche ich mich aus zwingenden Gruenden entschlossen habe. Also bitte, den Anzug!" Der Kastellan entfernte sich und brachte nach einigen Augenblicken die verlangten Kleidungsstuecke. Arthur legte sie an, verwirrte sich das wohlfrisirte Haar, gab dem sorgfaeltig gepflegten Schnurrbaertchen eine weniger kuehne Haltung, und glich nun einem Matrosen in sonntaeglicher Bekleidung. Horn war ihm bei dieser Metamorphose behuelflich gewesen und betrachtete mit wohlgefaelligem Laecheln die praechtig gebaute Gestalt seines jungen Gebieters. "Und dennoch, Durchlaucht, sieht man es Ihnen an, dass Sie keine gewoehnliche Theerjacke sind." "So? Hm! Wollen sehen! Ein wenig Staub und Schmutz wird diesen Uebelstand beseitigen. Adieu, Horn!" Er ging. Von der Veranda zum Schlossgarten niedersteigend, verliess er den Letzteren durch eine kleine Seitenpforte, schritt zwischen einigen Weinbergen hindurch und befand sich bald auf einem Wege, welcher in regelmaessigen Windungen zur Stadt hinabfuehrte. Dort angekommen suchte er den Hafen auf. Hier schlenderte er scheinbar zwecklos auf und ab, doch liessen die scharfen Blicke, mit welchen er selbst die geringste Kleinigkeit beobachtete, errathen, dass diesem harmlosen Spaziergange dennoch eine bestimmte Absicht zu Grund liege. Spaeter trat er in eine jener Restaurationen, welche meist von Seefahrern besucht werden. Der vordere Raum derselben war fuer gewoehnlichere Gaeste bestimmt, und von hier aus fuehrte eine Thuer nach einem Nebenzimmer, in welches sich die Kapitaene und Steuerleute zurueckzuziehen pflegten. Hier war es jetzt vollstaendig leer, und Arthur nahm in der Gaststube auf einem Stuhle Platz, welcher am offenen Fenster stand. Von hier aus hatte er einen offenen Blick auf das Treiben des Hafens und auf die See, welche von dem letzteren aus den ganzen Raum bis zum Horizont erfuellte. Nicht weit von ihm sassen einige Matrosen beim Kruge, deren ganzes Aeussere dafuer sprach, dass sie manches Jahr ihres Lebens auf dem Meere zugebracht hatten. Sie befanden sich in einem lebhaften Gespraeche, welchem auch die saemmtlichen andern Gaeste mit Interesse zuhoerten. "Und ich sagen Euch dennoch, dass der "Tiger" ein Dreimaster ist, der es mit der groessten Fregatte aufzunehmen vermag. Ich habe mit Einem gesprochen, der diente auf einer Brigg, welche von dem Korsaren genommen wurde. Er hat also das Schiff genau betrachten koennen," meinte einer der Leute. "Hast nicht nothwendig, es ihm zu glauben, Wilm," antwortete ein Anderer. "Der Tiger ist eine Korvette mit neun Kanonen. Ich habe sie selbst gesehen, und das ist genug!" "Wirklich?" frug ein Dritter. "Ich kann es Euch ganz genau sagen, was der Tiger fuer ein Fahrzeug ist. Er ist eine zweimastige Brigg mit lateinischem Segelwerke. Als ich vor sechs Monaten mit der "Schwalbe" fuhr, sind wir ihm begegnet und wollten ihn ansprechen; er aber ging an uns vorueber, wie der Mond an dem Mopse, der ihn anbellt." "Sonderbar," brummte der Vierte. "Ein Dreimaster, eine Korvette, eine Brigg mit lateinischem Segelwerke - daraus werde der Teufel klug! Was mich betrifft, so habe ich das Piratenschiff noch nicht gesehen und bin auch gar nicht begierig darauf, ihm zu begegnen. Nur wissen moechte ich, ob sein Kapitaen wirklich ein Neger ist, wie man sich erzaehlt." "Natuerlich ist er ein echter und richtiger Neger, weshalb man ihn auch nicht anders nennt, als den "schwarzen Kapitaen." Uebrigens ist er der einzige Pirat, welcher kein Menschenblut vergiesst. Ich kenne mehrere Faelle, in denen er ein Schiff haette entern koennen, und dennoch hat er, um die Menschenleben zu schonen, davon abgesehen und die Prise davongehen lassen." "Aber nur um sie spaeter durch List zu bekommen!" "Das ist keine Schande fuer ihn, sondern das gerade Gegentheil. Aber habt Ihr auch beobachtet, dass er es meist auf Norlaendische Schiffe abgesehen hat?" "Besonders auf die Fahrzeuge der Kolonialkompagnie." "Daher macht Norland so grosse Anstrengungen, seiner habhaft zu werden, aber stets ohne Erfolg. Die Sache liegt naemlich so, dass der Tiger einmal als Drei-, dann als Zweimaster und vielleicht dann gar als Dampfer erscheint. Wer will ihn festhalten? Und dazu ist sein Kapitaen ein befahrener Kerl, der Haar auf den Zaehnen hat. Ich habe davon sprechen hoeren, dass der Pirat vor dem Winde gegangen ist mit vollem Segelwerke; wer macht ihm das nach? Ein andermal haben sie ihn getroffen, dass er mit halbem Segelwerke dem Winde in die Zaehne lenkte; das ist ein Kunststueck, welches man fuer unmoeglich halten moechte. Bei vollem Sturme beidrehen oder bei halbem Sturme beidrehen, das ist ihm eine Kleinigkeit. Es gibt keinen zweiten Segelmeister, keinen zweiten Kapitaen auf der Welt, der das Manoevriren so versteht, wie der "schwarze Schiffer," und der muss seine Kunst vom Teufel gelernt haben." "Pah, es gibt anderwaerts auch noch Leute, welche ein Schiff zu lenken verstehen. Ich kenne Einen, den sollte man gegen den "Tiger" schicken; der wuerde ihn bald erwischen." "Meinst Du? Wer koennte das wohl sein? Der muesste schon einige Haare auf den Zaehnen haben!" "Hast Du noch nichts von dem Sternburg gehoert?" "Der Sternburg? Alle Wetter, das ist wahr; das ist ein Kerl, der es wohl mit dem "Schwarzen" aufnehmen koennte. Wo steckt er denn wohl jetzt?" "Ich glaube in Ostindien oder auf der Suedsee. Der Junge ist wohl kaum ueber zwanzig Jahre alt und hat so viele Teufel im Leibe, dass man ihn nur immer dahin schickt, wo sich ein Anderer nicht hingetrauen wuerde. Denkt an den letzten Krieg, was er da als Volontaer geleistet hat." "Er ist vom hoechsten Adel, denn in den Adern der Sternburgs soll sogar koenigliches Blut fliessen, und das mag mit zu der ausserordentlichen Schnelligkeit beitragen, mit welcher er im Avancement vorgeschritten ist; aber man muss doch sagen, dass er seinen Platz verdient hat. Ich moechte ihn doch einmal sehen. Wer kennt ihn?" "Keiner von uns!" "O doch," meinte Einer, welcher am naechsten Tische sass. "Ich habe ihn gesehen, doch allerdings nur von Weitem." "Wenn ist das gewesen und wo?" "Eben im letzten Kriege, als er uns den Dreimaster entgegenbrachte." "Alle Teufel, das war ein Meisterstueck! Ich habe davon erzaehlen hoeren, aber nicht recht klug aus der Sache werden koennen. Wie ging es denn eigentlich zu?" "Sehr einfach. Nach dem Siege ueber die feindliche Flotte verfolgten wir dieselbe bis an die Kueste, wo sie in der Flussmuendung Schutz suchte, welche von einem festen Fort vertheidigt wurde. Ihr zu folgen, war unmoeglich; wir mussten sie einfach blockiren. Das war eine langweilige Geschichte, und waere wohl noch langweiliger geworden, wenn nicht hier oder da ein kleiner Coup unternommen worden waere, der etwas Leben in das Nichtsthun und Hinwarten brachte. Bei Allem aber, was geschah, war dieser Lieutenant ersten Ranges Arthur von Sternburg, welcher dann Kapitaen wurde, dabei. Einst verlautete, dass der Kommandant des Forts den Seeoffizieren einen Ball oder so etwas Aehnliches gebe. Sternburg war es selbst, der diese Nachricht brachte. Wenn sie sich bewahrheitete, so war die Gelegenheit geboten, dem Feinde einen Streich zu spielen, und daher entschloss man sich, einen kuehnen und listigen Mann an die Kueste zu setzen, welcher nachforschen sollte, ob das Geruecht die Wahrheit sage." "Natuerlich waehlte man Sternburg?" "Er meldete sich selbst. Es war bereits Nachmittag, als das Boot, welches ihn an die Kueste setzen sollte, mit ihm abging. Man fuhr natuerlich zunaechst in die See hinaus, schlug dann einen Bogen und landete einige Stunden abwaerts an einer einsamen, unbewohnten Stelle des Landes. Sternburg hatte nur einen Revolver und ein Messer mit und trug die Kleidung eines gewoehnlichen Handelsschiffmatrosen. Es gelang ihm, sich gluecklich bis an den Fluss zu schleichen, wo er erfuhr, dass das beabsichtigte Fest wirklich stattfinde. Es war waehrend dem Abend geworden, und saemmtliche Flottenoffiziere hatten sich nach dem Fort begeben." "Alle Teufel, nun kam er doch mit seinem Berichte zu spaet! Ehe er zurueckgelangen konnte, musste ja bereits der Morgen anbrechen." "Dasselbe sagte auch er sich, und daher beschloss der kuehne Mann, auf eigene Faust zu handeln." "Bravo! Wie fing er das an?" "Sehr einfach. Er begab sich an Bord des Flaggenschiffes und - -" "Des Flaggenschiffes? Der Kerl war verrueckt!" "Nicht ganz. Man wusste sehr genau, dass wir uns nicht stromaufwaerts wagen konnten; daher hatte man sich vollstaendig sicher gefuehlt und allen Offizieren ausser dem juengsten Schiffsfaehndrich Erlaubniss gegeben, den Ball zu besuchen. Der Faehndrich hatte natuerlich nichts zu thun, als sich zu aergern, dass er hatte zurueckbleiben muessen. Zur Entschaedigung war ihm eine Ration Rum und Zucker zur Verfuegung gestellt worden, um fuer die Mannschaft einen tuechtigen Extragrog zu brauen. Man war eben mit dieser Arbeit beschaeftigt, als Sternburg von seinem Kahn aus um die Erlaubniss bat, an Bord kommen zu duerfen. Man fragte natuerlich, was er wolle, und er gab zur Antwort, dass er Matrosendienste zu nehmen beabsichtige und sich dem Kapitaen vorstellen wolle." "Der ist nicht an Bord," war die Antwort. "So bringt mich zum ersten Lieutenant!" "Ist auch von Bord." "Zum Zweiten!" "Auch mit fort. Nur der Faehndrich ist da. Komme herauf zu mir, Bursche!" Sternburg schwang sich am Eimertaue empor und stand vor dem Faehndrich. Dieser frug ihn nach den gewoehnlichen Punkten und war mit den Antworten so zufrieden, dass er gar nicht begehrte, die Papiere des neuen Mannes zu sehen; das war uebrigens auch nur Sache des Kapitaens. "Kannst gleich an Bord bleiben, bis der Kapitaen zurueckkehrt," lautete sein Bescheid; "ich meine sehr, dass er Dich behalten wird. Geh vor zu den Mannen und stelle Dich dem Bootsmann vor!" Sternburg that dies und wurde, da er sich zu geben wusste, nicht uebel aufgenommen. Besonders erregte seine Idee, einige Flaschen Rum als Einstand zu geben, ungeheure Theilnahme. Der Faehndrich, welcher stolz darauf war, einmal angegangen werden zu muessen, gab mit stolzem Tone seine Erlaubniss, und der Koch stieg in den Raum hinab, um das Getraenk heraufzubugsiren. "Die Idee war zwar gefaehrlich aber nicht schlecht!" "Meine es auch, denn nach Verlauf von einigen Stunden hatten Grog, Rum und Tabak das Ihrige gethan. Zwar gab es keinen eigentlichen Rausch, denn dazu war die Mannschaft zu fest und die Portionen zu klein, aber schlafen wollten sie Alle, schlafen mussten sie, und sogar der junge Faehndrich stieg hinab und legte sich ein wenig in die Haengematte. Man befand sich ja in vollstaendiger Sicherheit." "Was wird Sternburg jetzt thun!" "Die Sternwache hatte sich auf eine Taurolle gesetzt und schlummerte, die Sprietwache lehnte an einer Lafette und schnarchte, und der Oberbootsmann, welcher eigentlich zum Rechten sehen musste, sass mit dem Koche in der Kambuese und zerarbeitete sich mit dem Grogreste, welcher vor ihnen stand. Da liess sich Sternburg wieder am Eimertau hinab, zog sein Messer, pagayete sich auf dem zur Disposition gesetzten Boote nach hinten und zerschnitt das grosse Ankertau. Jetzt hing das Schiff nur noch an den beiden Nothankern; auch diese wurden gekappt, und es begann sich langsam zu bewegen." "Alle Teufel! Ob die Mannen das bemerken werden?" "Sogleich jedenfalls nicht. Sternburg hing das Boot wieder an und schwang sich an Bord zurueck. Er fand noch Alles, wie er es verlassen hatte, und eilte zum Steuer. Dieses war natuerlich angebunden. Er loeste das Tau, gab dem Hebel die nothwendige Richtung und befestigte ihn dann wieder. Nun legte er sich in die Naehe der Vorderluke auf ein zusammengelegtes Segel, um das Kommando zu erwarten." "Bin selbst auch begierig, was folgen wird!" "Nicht viel. Das Wetter war nicht freundlich. Ein dichter Nebel lag auf dem Flusse, und ein leiser Spruehregen naesste auf das Deck nieder. Das Schiff wurde natuerlich mit der Schnelligkeit des Wassers mitgenommen, doch waren seine Bewegungen so ruhig und gleichmaessig, und die Duenste so dick, dass man haette beschwoeren koennen, dass es sich noch fest vor Anker befinde. So ging es an die zwei Stunden fort. Jetzt wurde das Glas ausgerufen und die Wache gewechselt. Die Mannen waren alle schlaftrunken. Die abgeloesten Posten schliefen sofort, und die neu aufgezogenen wickelten sich ein und legten sich hinter ein Segel oder sonst etwas, wo sie Schutz vor dem Regen fanden." "Und Niemand merkte etwas?" "Kein Mensch!" "Beinahe unmoeglich, aber bei einem solchen Nebel - und dem Grog und dem Rum! Hm, soll mich verlangen, wie es jetzt noch kommt!" "Weiter nichts, als dass das Fahrzeug ruhig der See entgegen geht. Mittlerweile wurden die Nebel etwas leichter, und der Mann am Spriete schaute ueber den Mantelkragen hervor, um zu sehen, wie dick der Regen fiel. Da erblickte er vor sich am Steuerbord ein Licht und am Backbord ein zweites. Er machte Laerm und der Faehndrich erschien." "Was gibts?" "Zwei Lichter hier und dort!" "Fahrzeuge, die auf uns zukommen. Es wird doch nicht etwa gar der Feind sein, der uns ueberrumpeln will. Holla, alle Mann - - -" Er konnte den Befehl nicht vollstaendig aussprechen, denn Sternburg stand bei ihm und schlug ihm die Faust auf den Kopf, dass er zu Boden stuerzte. Zuvor aber hatte der muthige Mann die Luke mit dem Sturzseeriegel verschlossen, so dass die Leute im Raume gefangen waren, denn die hintere Luke hatte er schon frueher zugemacht, und jetzt hatte er es also nur mit den vier Mann Wache zu thun." Der Erzaehler nahm einen Schluck aus seinem Glase und fuhr dann fort: "Der Sprietwache ging es natuerlich ebenso wie dem Faehndrich, und Beide waren im Augenblicke gebunden, so dass sie sich nach dem Erwachen nicht zu ruehren vermochten. Der Mann am Steuerbord hatte von dem Vorgange gar nichts gemerkt; er schlief, ebenso auch der Mann auf der Backbordseite. Sie zu ueberwaeltigen war ein Leichtes, und ebenso erging es auch der Steuerwache. Jetzt war er Herr auf dem Decke geworden, und zwar ganz zur richtigen Zeit, denn soeben erscholl der Ruf von vorn: "Schiff ahoi, leg klar!" "Feindliches Flaggenschiff, genommen und kommandirt von Lieutenant von Sternburg!" antwortete er. "Teufelei! Stopp oder wir geben die volle Ladung!" Die Sache war naemlich so, dass das Flaggenschiff jetzt die Blockadelinie erreicht hatte und im Begriffe stand, zwischen zwei Fahrzeugen unserer Flotte hindurchzutreiben. Sternburg wusste, dass der entscheidende Moment nahe sei, rief die Parole hinueber und gebot dann: "Werft die Enterhaken hinueber; werde Bord an Bord herangehen, aber schnell!" "Die Parole hatte ihn legitimirt. Er sprang an das Steuer, riss das Tau los und trieb das Schiff hart an den Bord des andern. Im Nu fielen die Enterhaken ein, und es sprangen einige dreissig Mann herueber, die er mit Freuden begruesste, denn Ihr koennt es Euch doch recht gut denken, dass es ihm nicht gar wohl gewesen ist bei dem Gedanken, es ganz allein mit der Bemannung eines dreimastigen Orlogschiffes zu thun zu haben. Das Uebrige koennt Ihr Euch denken. Der Laerm weckte die Mannen unten im Raume, sie wollten empor und konnten nicht. Nach langer Anstrengung sprengten sie die Luke, wurden aber sofort richtig in Empfang genommen, denn auch das naechste Schiff der Linie war herbeigekommen und hatte sich an die andere Seite der Prise gelegt, so dass Maenner genug vorhanden waren, den Feind zu ueberwaeltigen. Am Sonnenaufgang stand Sternburg schon vor dem Admiral, der ihm die Fuehrung des eroberten Schiffes uebergab; er hatte dasselbe heimwaerts zu bringen und erhielt ausser einem Orden den Rang eines Korvettenkapitaens fuer den Streich, den mancher andere wackere Offizier wohl unterlassen haette. Als er mit der Prise an uns voruebersegelte, habe ich ihn von Weitem gesehen, ob ich ihn aber wiederkennen wuerde, wenn er mir jetzt begegnete, das weiss ich nicht. So, das ist meine Geschichte!" Arthur hatte waehrend der ganzen Erzaehlung zum Fenster hinausgeblickt, und keine seiner Mienen verrieth den Antheil, welchen er an dem Berichte nehmen musste. "Ein Meisterstueck, fuerwahr!" klang es rundum. "Schade, dass er in norlaendischen Diensten steht und damals nur als Volontaer bei uns eintrat. Solche Offiziere sollte man zu gewinnen suchen!" "Geht nicht, zumal bei dem Wege, den die jetzige Politik einzuschlagen scheint." "Welcher Weg?" "Der Krieg mit Norland." "Paperlapapp! Unser Kronprinz ist ja Gast in Norland, sogar mit der Prinzess Asta; sie wuerden sicherlich nicht dort sein, wenn ein Krieg in Aussicht staende." "Begreife ich auch nicht; aber wozu die fuerchterlichen Ruestungen, welche mit so grosser Heimlichkeit betrieben werden?" "Habe nichts davon gehoert." "So halte die Augen offen! Wisst Ihr, dass unsere Offiziere heimlich Norland bereisen, um das Material zu einem Feldzugsplan zu sammeln?" "Das ist Rederei, weiter nichts. Ich weiss nur, dass wir uns wegen des Zolles mit dem Nachbar streiten; von dem Uebrigen mag ich nichts wissen. Dinge, fuer welche man nicht gelehrt genug ist, soll man Kluegeren ueberlassen; das ist so meine Meinung. Ich bekuemmere mich den Teufel darum, ob Krieg werden soll oder nicht; geht es aber los, nun, da schlage ich mit zu, wie es ja auch meine Schuldigkeit ist. Und wer ein wackerer Seemann ist, der denkt gerade ebenso wie ich. Kommt, lasst uns trinken und die Politik ueber Bord werfen!" Auch Arthur griff zum Glase, um es auszutrinken, und verliess dann das Lokal. Sein scharfes Auge hatte draussen auf der Rhede ein Segel bemerkt, welches sich mit solcher Schnelligkeit naeherte, dass seine seemaennische Theilnahme im hoechsten Grade erregt wurde. Er wandte sich dem Quai zu und schritt bis an die aeusserste Spitze desselben, wo ihm ein freier Blick hinaus ermoeglicht war. Das Segel, welchem seine Aufmerksamkeit galt, wurde immer groesser; nach einiger Zeit unterschied man die einzelnen Leinen, dann den Rumpf, und endlich war er sich im Klaren, dass er in dem Fahrzeuge eine Yacht erkannte, welche ein so eigenthuemliches Takelwerk besass, dass er die Art desselben unmoeglich zu bestimmen vermochte. Das kleine, schlanke Schiff war hoechsten vierzig Fuss lang und besass eine entsprechende Breite; dabei war es so scharf auf dem Kiel gebaut, dass bei diesem Segelwerke die Gefahr des Kenterns eine ausserordentliche war. Es musste von einem ungewoehnlich kuehnen und ebenso geschickten Manne gefuehrt werden. Endlich hatte es den Hafen erreicht, steuerte einen anmuthigen Bogen und hielt dann gerade auf die Stelle des Quai zu, an welcher Arthur stand. Als er sich genugsam genaehert hatte, erblickte er auf dem Hinterdecke einen hochgewachsenen Mann in tuerkischer Kleidung, nach dessen Befehlen vier Matrosen von derselben Nationalitaet die Segel und das Ruder bedienten. Neben ihm lag in einer gruenseidenen Haengematte eine vollstaendig in Schleier gehuellte Frauengestalt, deren aufmerksame Haltung das Interesse erkennen liess, mit welchem sie die neue Umgebung begruesste. Da, gerade vor Arthur, fielen die Segel, und der Anker rasselte in die Fluth. Straff an der Ankerkette ziehend, folgte das Fahrzeug dem Wasser und legte seinen Bord hart an die steinerne Mauer, auf welcher Arthur stand. "Mann, ahoi!" rief der Tuerke. Arthur sah, dass es ihm galt, und stand mit einem gewandten Sprunge auf dem Decke der Yacht. Jedenfalls wollte der Tuerke ihm eine Frage vorlegen, schien aber daran verhindert zu sein, denn kaum hatte er jetzt sein Auge schaerfer auf den jungen Mann geworfen, so trat er ueberrascht einen Schritt zurueck und rief: "Brandauer! Freund, ists - - -" Er hielt mitten in der Rede inne und fuhr sich mit der Hand an die Stirne. "Halt, das ist ja nicht moeglich! Und doch - sein Sohn kann er sein - - - Wie ist Dein Name?" "Bill Willmers," antwortete Arthur unter einer instinktiven Eingebung. Er wollte sein Inkognito nicht aufgeben und womoeglich nach der Art und Weise forschen, wie dieser Tuerke zur Kenntniss des Namens Brandauer komme. "So bist Du Amerikaner?" "Nein." "Was dann?" "Norlaender." "Ah, doch! Kennst Du die Hauptstadt des Landes?" "Ich bin da geboren." "Und den Namen, welchen ich aussprach?" "Brandauer?" "Ja." "Es giebt nur einen Brandauer dort, welcher Hofschmied Seiner Majestaet des Koenigs ist." "Richtig! Ich hielt Dich fuer seinen Sohn, weil Du genau so siehst, wie er in seiner Jugend aussah. Du bist Matrose?" "Seemann, ja." "Auf welchem Schiff?" "Auf keinem. Bin jetzt ohne Dienst." "Willst Du in meinen Dienst treten? Du gefaellst mir." "Wo und wie?" "Fuer die Zeit meines hiesigen Aufenthaltes. Ich werde auf Sternburg wohnen." "Keine Miene Arthurs verriet, dass er jetzt den Mann erkannte. "Wenn Sie gut bezahlen, ja." "Wirst mit mir zufrieden sein. Abgemacht, topp?" "Topp!" Die Haende klangen in einander. Dann frug der Tuerke: "Bist Du hier bekannt?" "Leidlich." "Wo ist Schloss Sternburg?" Arthur deutete nach der Hoehe. "Dort oben." "So steige hinauf und melde mich! Hier ist meine Karte. Wir werden Dir auf dem Fusse folgen." Er nahm das feine Couvert in Empfang, sprang ueber das Bord wieder hinueber und eilte auf dem naechsten Wege der Hoehe zu. Er befand sich mit einem Male in einer eigenthuemlichen Stimmung, welche man beinahe Aufregung haette nennen koennen. Er hatte hart neben der duftigen Frauengestalt gestanden, deren Gewand ein leiser Wohlgeruch entstroemte, der ihm vertraut vorgekommen war, trotzdem er keine Zeit gehabt hatte, sich zu fragen, wo er denselben schon einmal bemerkt habe. Durch den duennen Gesichtsschleier hatte er ein dunkles, grosses Augenpaar bemerkt, welches mit eigenthuemlichem Ausdrucke auf ihm zu ruhen schien; sonst aber war von der Gestalt nichts weiter zu sehen gewesen, als das kleine, mit feinen levantirten Stiefeletten bekleidete Kinderfuesschen. Wie kam dieser Muselmann, den er jetzt noch gar nicht erwartete, dazu, eine seiner Frauen, denn das war sie jedenfalls, auf eine Reise in das Ausland mitzunehmen? Er musste weder eifersuechtig noch von denjenigen Vorurtheilen befangen sein, welche den Moslem bestimmen, seine Frauen und Toechter von dem oeffentlichen Leben auszuschliessen. Und dabei schien er waehrend seiner Reise alle gewohnten Ansprueche fallen lassen zu wollen, da er vollstaendig ohne Dienerschaft war, denn die Matrosen konnten als solche nicht betrachtet werden, da sie an das Schiff gebunden waren. Er oeffnete unterwegs das Couvert und zog die Karte hervor; sie enthielt auf feinstem Pergamente in goldener Schrift den einfachen Namen "Nurwan Pascha". "Wirklich anspruchslos!" meinte Arthur. "Ein Anderer an seiner Stelle haette hinzugefuegt: "Admiral a.D., Liebling des Sultans, Vertrauter des Schah-in-Schah von Persien" und tausend Anderes noch." Auf Sternburg angekommen sucht er den Kastellan auf. Er fand ihn in seiner Wohnung. "Horn, eilen Sie, laufen Sie, springen Sie - - alle Wetter, ich bin ja ganz und gar aufgeregt; ich muss wahrhaftig erst Athem schoepfen!" "Aufgeregt? Mein lieber, junger Herr!" rief die alte Kastellanin, indem sie die Haende zusammenschlug. "Durchlaucht sind ja stets so ruhig, dass etwas ganz Ausserordentliches passirt sein muss, um Sie aufzuregen." "Das ist es auch, meine gute Mama Horn. Denken Sie sich, der Pascha kommt!" "Der Pascha? Herr Jesses, da muss ich fort, fort, fort - -!" Sie huschte eilfertig in der Stube umher, als suche sie etwas hoechst Nothwendiges, was doch nicht zu finden sei. "Nur sachte, sachte, Alte!" ermahnte der Kastellan. "Der Pascha kommt; das ist gar nicht gefaehrlich, zumal wenn er nicht gleich kommt." "Das ist es ja eben," fiel Arthur ein, "er kommt; er ist ja bereits da!" "Bereits da? Das ist allerdings schlimm. Wo ist er denn bereits?" "Unterwegs nach hier." "Himmel, das ist ja boeser, als ich dachte! Wir sind ja noch gar nicht mit unseren Vorbereitungen fertig, und da ist es nothwendig, dass wir schleunigst - - na, vorwaerts, Alte, was stehst Du denn noch hier herum! Durchlaucht, bitte, empfangen Sie ihn! Wir werden unterdessen - - -" "Halt, Horn, dableiben!" Die beiden eilfertigen Leute befanden sich bereits unter der Thuer; auf den Zuruf des Kapitaens wandten sie sich zurueck. "Ich kann ihn nicht empfangen!" "Nicht? Warum nicht, gnaediger Herr?" "Weil ich verreist bin." "Verreist? Hm, wieso?" "Er frug mich, wer ich sei; ich wollte mein Inkognito bewahren, denn ich hatte noch keine Ahnung, dass ich den erwarteten Gast vor mir habe, und antwortete, dass ich ein Matrose sei und Bill Willmers heisse." "Ein Matrose und Bill Willmers! Mein Gott, jetzt sehen Sie, Durchlaucht, dass bei einem solchen Inkognito nichts Gutes herauskommt. Nun koennen Sie nichts anderes thun, als sich blamiren, indem Sie dem Tuerken die Wahrheit gestehen!" "Nein, das kann ich nicht, denn er hat mich gemiethet." "Gemiethet? Ich begreife nicht - -!" "Das heisst, ich stehe fuer die Zeit seines hiesigen Aufenthaltes als Domestike in seinen Diensten." "Domestike - in seinen Diensten - - ? Hoere ich recht, Durchlaucht? Ein hochfuerstlich Sternburgischer Prinz, Ritter vieler Orden und Fregattenkapitaen, im Dienste eines Tuerken?" "So ist es, lieber Horn, und dabei muss es auch einstweilen bleiben. Sehen Sie also ja darauf, dass mein Inkognito streng bewahrt bleibe. Mein Bild entfernen Sie aus dem Salon; es wuerde mich verrathen. Und wenn wir beobachtet sind, behandeln Sie mich als Fremden und Untergebenen." "Das ist ja ganz und gar unmoeglich, mein lieber, junger Herr," protestirte die Kastellanin. "Herr Jesses, wie koennte ich mich unterstehen, Euer Durchlaucht - -! "Sie sollen sich aber unterstehen!" fiel er ihr in die Rede. "Sie weisen mir hier unten in Ihrer Naehe ein Zimmer an, damit Sie es leicht haben, sich in zweifelhaften Faellen meine Anweisungen zu holen. Der Pascha bekommt die Gemaecher meines Vaters, und seiner Dame werden die Thurmzimmer zur Verfuegung gestellt." "Seiner Dame?" frug die Kastellanin erschrocken. "Hat er denn eine Dame mit?" "Ja; jedenfalls seine Lieblingsfrau." "Herr Jesses, das fehlt nun gerade noch, dass wir hier Haremswirthschaft bekommen; denn so eine Frau verlangt alles Moegliche und Unmoegliche: Baeder, Seifen, Pommaden, Odeurs, Zahnpulver, Schoenheitswasser, Henna fuer die Fingernaegel und Russ fuer die Augenbrauen. Und was fuer ein Schwarm von Dienstvolk wird dabei sein! Ein Mustapha mit einer Fatime, ein Jussuf mit einer Suleika, ein Achmet mit einer - - -" "Gar keine Dienerschaft bringen sie mit. Ich glaube gar, sie werden nicht einmal per Wagen oder Saenfte, sondern einfach zu Fuss kommen. Sorgen Sie fuer die noethige Lohndienerschaft, Horn, und empfangen Sie jetzt die Herrschaften, waehrend ich hinauf gehe, um nachzusehen, was in den Zimmern noch zu vervollstaendigen ist." "Wir - die Tuerken empfangen? Das geht nicht, Durchlaucht! Dazu fehlt uns das Geschick. Ich weiss ja nicht einmal, wie man so einen Pascha titulirt! Wie viele Rossschweife hat er denn eigentlich?" "Die Rossschweife sind gleichgueltig. Tituliren Sie ihn gerade so wie einen hiesigen Minister. Hier ist die Karte des Pascha, welche ich Ihnen natuerlich uebergeben musste, weil Prinz Arthur nicht anwesend war. Also vorwaerts, Horn, sonst kommen sie, noch ehe - " "Alle Wetter," rief der Kastellan; "dort kommen sie bereits durch die Gartenpforte! Rasch, Alte! Na, ich bin neugierig, wie das werden wird." "Durch die Gartenpforte?" frug die angsterfuellte Frau, indem sie an das Fenster eilte. "Wahrhaftig, und seine Frau ist gleich mit dabei. Herr Jesses, wie soll ich sie tituliren, Durchlaucht? Na, da ist der junge, gnaedige Herr bereits verschwunden. Horn, sage mir in aller Welt, wie man eine Haremsfrau zu tituliren hat?" "Weiss auch nicht, Alte. Habe mein Lebtage kein Harem gehabt! Rasch jetzt; wir muessen in den sauren Apfel beissen!" "Ja, wir sind leider gezwungen, hinein zu beissen. Aber Alter, bitte, geh Du voran!" Der Pascha kam mit seiner Begleiterin langsamen Schrittes durch den Garten. Er hatte jedenfalls die Absicht, durch die Veranda Entree zu nehmen, was die beiden alten Leute bewog, sich schleunigst nach der Letzteren zu begeben. Der Tuerke war eine wirklich imposante Erscheinung. Seine hohe, breitschulterige Figur ragte um einen halben Kopf ueber Leute gewoehnlichen Schlages hinaus; auf dem Kopfe trug er den bekannten rothen Fez, welcher mit einer schwer goldenen Quaste verziert war; die eng anliegende Kleidung, ueber welche er den weiten Mantel nur leicht geworfen hatte, zeigte eine hoechst ebenmaessige, kraftvolle Gestalt, um deren schlanke Taille sich der glaenzende Gurt schlang, an welchem der historische krumme Saebel befestigt war. Das edel geschnittene Gesicht, aus welchem zwei dunkle, kuehne Augen blitzten, wurde von einem dichten Vollbarte geschmueckt, welcher bis auf die Brust herniederreichte, und wie dieser Mann so durch den Garten herbeigeschritten kam, machte er den Eindruck eines Charakters, dessen unerschuetterliche Festigkeit durch die physischen Vorzuege eines kraftvollen Koerper auf das Vollkommenste unterstuetzt wird. Jetzt erstieg er die Stufen der Veranda, und der Kastellan trat ihm zoegernd entgegen. "Excellenz - - -" "Das Auge des Pascha fixirte ihn mit einem raschen Blicke. "Wer sind Sie?" "Ich bin der Kastellan von Schloss Sternburg, und das hier ist meine Frau." "Melden Sie mich Seiner Durchlaucht, dem Prinzen von Sternburg. Ich werde bereits erwartet!" "Excellenz entschuldigen. Seine Durchlaucht sind nicht anwesend und - -" "Auf wie lange?" "Auf unbestimmte Zeit. Daher moegen Excellenz mir und meiner Frau guetigst gestatten, uns Ihnen zur Verfuegung zu stellen. Schloss Sternburg steht Ihnen offen." "Schoen! Doch - hat der Prinz den Brief von Durchlaucht, seinem Vater erhalten?" "Allerdings, doch der junge Herr glaubten, dass noch einige Zeit bis zu Ihrem Erscheinen verstreichen werde. Ich glaube sogar, er entfernte sich nur, um Vorbereitungen fuer den Empfang so hoher Gaeste zu treffen." "War nicht nothwendig. Ich bin ein Seemann und zufrieden, wenn ich eine kleine Koje habe, von welcher aus ich in die See hinausblicken kann." "O eine solche Koje wird hier wohl zu finden sein, Excellenz," meinte die Kastellanin, welche es jetzt an der Zeit hielt, auch ein Wort zu sprechen. "Und fuer Madame auch, wenn sie es liebt, auf das Meer hinauszuschauen. Bitte, treten die Herrschaften nur ein!" Man betrat das Zimmer des Prinzen. "Wer wohnt hier?" "Der junge Herr. Hier und nebenan." "Blos?" frug der Tuerke verwundert. "Ja, blos!" antwortete die Kastellanin, welche Muth zu fassen begann. "Er ist ja auch Seemann und liebt es, nur eine Koje zu haben." Jetzt trat Arthur ein. Nurwan Pascha wandte sich sofort an ihn. "Du kennst die hiesigen Formalitaeten beim Ankerwerfen eines Fahrzeuges?" "Ja." "Besorge mir das. Die Schiffspapiere befinden sich in meiner Kajuete. Und sage den Leuten, dass ich mein Gepaeck sofort erwarte; den Weg herauf kannst Du ihnen beschreiben." "Alles richtig, Excellenz!" antwortete Arthur in strammer Haltung und verliess das Zimmer. Als er die Yacht erreichte, fand er die Effekten auf dem Verdecke bereits bereit gelegt. Die vier Matrosen hockten dabei und rauchten ihren duftenden Jelimah. Er sprach sie tuerkisch an; sie verstanden ihn nicht. Jetzt versuchte er es mit dem Arabischen, und sofort sprangen sie empor und griffen nach dem Gepaecke. Der Eine aber meinte: "Sprich die Sprache Deines Landes, Bruder; der Arab-el-Bahr wird Dich verstehen!" Drei von ihnen stiegen nach dem Schlosse empor, und der Vierte blieb zurueck. Arthur stieg die schmale Treppe hinab und befand sich zwei Thueren gegenueber, deren eine er oeffnete. Er befand sich in einer kleinen Kajuete, welche, wie er auf den ersten Blick erkannte, der Tuerkin zum Aufenthalte gedient hatte. Auch hier bemerkte er den feinen Duft, welcher ihm bereits aufgefallen war; es konnte nichts Anderes sein als Reseda, vermischt mit einem andern leisen orientalischen Parfuem. Wo war er demselben nur begegnet? Er hatte keine Zeit, darueber nachzudenken, denn ueber ihm verfinsterte sich die Luke und der herabblickende Araber meinte: "Die Kajuete des Kapitaens befindet sich am Steuerbord!" Er betrat den bezeichneten Raum und fand die Papiere; dann wollte er nach oben zurueckkehren, fuehlte sich aber durch einen hoechst auffaelligen Umstand aufgehalten. Den beiden Kajueten gegenueber befand sich eine Eisenwand, welche bei einer zufaelligen Beruehrung mehr Waerme zeigte, als die Temperatur der aeusseren Luft mit sich brachte. Er eilte nach oben und trat hastig auf den Araber zu. "Rasch durch die Vorderluke hinab. Es brennt unten im Raume!" "Feuer? Komm mit!" rief erschrocken der Mann, eilte nach dem Vorderdeck und stieg hinab. Arthur folgte ihm. Unten war es vollstaendig finster. "Feuer sagst Du? Hamdulillah, Preis sei Gott, dass Du Dich irrst! Wo soll es brennen?" "Ich sehe es auch nicht. Aber diese Hitze hier?" "Diese Hitze? Hat Dir die Waerme Dein Gehirn versengt, dass Du nicht bemerkst den Kessel und die Maschine, welche dem Schiffe die Schnelligkeit der Gazelle gibt?" Jetzt hatte sich das Auge Arthurs an die hier herrschende Dunkelheit gewoehnt, und er bemerkte nun allerdings einen kleinen Kessel, welcher jedenfalls mit Petroleum gefeuert wurde. "Eine Maschine?" rief er, im hoechsten Grade erstaunt. "Wie heisst die Yacht? Ich habe vergessen, nach dem Namen zu schauen." "Almah." "Almah? Wem gehoert sie?" "Dem Kapitaen." "Dann hat er den Riss zu ihrem Baue selbst entworfen. Sie ist ein Meisterstueck. Auch das schaerfste Auge erkennt von aussen nicht, dass diese Segelyacht eigentlich ein Dampfer und zwar ein Schraubendampfer ist. Aber -" Er hielt inne. Es fiel ihm der Umstand auf, dass die "Almah" in den Schiffspapieren einfach als Privatyacht aufgefuehrt war, ohne eine Beifuegung, ob sie Segel- oder Dampfschiff sei. Doch konnte ihm dies gegenwaertig sehr gleichgueltig sein. Er verliess das Fahrzeug, dessen Name ihn hoechst sympathisch beruehrte, und begab sich zum Hafenmeister, um die gebotene Meldung zu machen. Unterdessen hatte der Kastellan mit seiner Frau die Gaeste nach oben gefuehrt. Die Zimmer, welche Nurwan Pascha zur Verfuegung gestellt wurden, waren geradezu prachtvoll zu nennen, und jedes einzelne Fenster bot eine Aussicht, welche einen Seemann entzuecken musste. "Diese Zimmer bewohnen Durchlaucht, der Herr General, wenn er sich hier befindet," erklaerte Franke. "Und welche von ihnen sind fuer mich bestimmt?" frug die noch immer Verschleierte mit einer Stimme, deren suesser, reiner Wohllaut wohlthuend zu Ohren drang. "Die Ihrigen liegen eine Treppe hoeher. Darf ich sie Ihnen zeigen?" "Ja, kommen Sie." Die Wohnung, welche sie jetzt betraten, bestand aus vier im Kreise neben einander liegenden Raeumlichkeiten, welche fuer eine Dame, und zwar mit einer Eleganz eingerichtet waren, die auf den unermesslichen Reichthum des Sternburg'schen Hauses schliessen liess. Die beiden Maenner waren unten geblieben, und die Kastellanin befand sich also jetzt mit der Fremden allein. "Herrlich, praechtig," jubelte die Letztere, erfreut die kleinen weiss behandschuhten Haendchen zusammenschlagend. "Das ist ja eine Thurmwohnung, von welcher aus man nach allen Seiten die praechtigste Aussicht hat, hier auf die See, und hier auf die Kueste und dort hinein in das weite gruene Land. Und wie praechtig eingerichtet; blauer Sammt und weisser Atlas! Wer pflegt hier zu wohnen?" "Ihre Koenigliche Hoheit, Prinzess Asta von Suederland, wenn sie die Stadt besucht, um Seeluft zu athmen." "O schoen, wundervoll! Ich habe die Zimmer einer Koeniglichen Prinzess!" rief die Tuerkin in kindlichem Jubel und huepfte aus einem Gemache in das andere, um jede Kleinigkeit in Augenschein zu nehmen. Die Kastellanin folgte den zierlichen Bewegungen mit Bewunderung. Das war ein koerperlich vollkommen ausgebildetes Weib mit einem reinen, noch unverfaelschten kindlichen Gemuethe. "Es freut mich, dass diese Wohnung Ihnen genuegt! Fuer die noethige Bedienung wird schleunigst gesorgt werden, und dann wird uns jeder Ihrer Wuensche ein Befehl sein, Madame!" "Madame?" frug sie verwundert. "Sie halten mich fuer eine Frau?" "Ja doch! Sind Sie nicht eine Frau aus dem Harem des Herrn Pascha?" "Jetzt schlug sie die Haendchen nochmals und zwar im hellen Entzuecken zusammen, wobei ihren Lippen ein herzliches Lachen entquoll, dessen Konsonanz goldenen Saiten zu entstammen schien. "Ich - eine Frau - aus dem Harem des Herrn Pascha?" Und mitten im hellsten Lachen schlug sie den Schleier zurueck, nahm ihn vom Kopfe, warf die leichten Huellen von sich, welche das eigentliche Gewand dem Blicke entzogen, und frug dann: "Sehe ich wirklich aus wie das Weib eines Pascha?" Die Kastellanin trat bei dem Glanze der ihr entgegenstrahlenden Schoenheit unwillkuerlich einen Schritt zurueck; eine solche Vereinigung der vollkommensten koerperlichen Reize hatte ihr erfahrenes Auge noch niemals erblickt, und mit vollster Ueberzeugung antwortete sie: "Nein, Sie sind keine Frau, sondern - - aber - aber - bitte, befehlen Sie, wie ich Sie nennen soll!" "Sagen Sie erst Ihren Namen?" "Horn." "Nun wohl, Mutter Horn, nennen Sie mich einfach Almah!" Die Kastellanin blickte ihr mit glaenzenden Augen in das herrliche Angesicht. "Das geht nicht! Ich bin eine alte geringe Frau, und Sie sind - aber bitte, was sind Sie denn, wenn Sie nicht die Frau des Pascha sind?" "Ich bin seine Tochter." "Ah! Und wie titulirt man in der Tuerkei die Tochter eines Pascha?" "Man nennt sie bei ihrem Namen. Darum sollen Sie Almah zu mir sagen." "Ich muss wohl gehorchen, wenn Sie es befehlen; aber Ihr Herr Papa, wird er es leiden? Ich - ich - ich habe mich bisher so sehr vor den Tuerken gefuerchtet, weil sie so grosse Baerte und so krumme Saebel haben und an einen andern Gott glauben." "Ah? Kommen Sie einmal her zu mir, meine gute Frau Horn; ich will Ihnen etwas sagen!" Sie ergriff die Hand der Kastellanin und zog die Letztere nahe zu sich heran. "Hoeren Sie: Vater ist kein Tuerke in der Weise, wie Sie es nehmen!" "Nicht? Kein Tuerke?" "Nein." "Dann sind Sie auch keine Tuerkin?" "Nein. Vater ist ein Christ und ich bin also auch Christin." "Ists wahr?" frug die Kastellanin erfreut. "Natuerlich!" "O, das ist schoen! Ich moechte Sie so gern recht herzlich lieb haben, und haette mich dies doch nicht getraut, wenn Sie eine Tuerkin waeren." "So ists recht, Muetterchen! Wollen uns lieb haben, so lieb, als seien sie auch wirklich meine Mutter!" "Ja, haben Sie denn keine Mutter mehr?" "Nein, ich habe Mama gar nicht gekannt; sie starb, als ich noch ein sehr kleines Kind war." "Sie armes, liebes Fraeulein! Haben Sie auch keine Schwester, keine Tante oder sonst eine Freundin?" "Verwandte habe ich nicht. Ich wohne mit Papa auf einer Insel im Meere, und wenn er zur See geht, so bin ich mit meiner alten Dienerin und zwei Arabern ganz allein." "Und so war es immer?" "Immer!" "Das ist ja fuerchterlich! Auf einer einsamen Insel im Meere mit zwei Arabern und einer alten Dienerin allein zu sein. Nimmt Sie Ihr Papa nicht zuweilen mit?" "Nein, ausgenommen ein einziges Mal und jetzt." "Da sollen Sie hier Entschaedigung finden. Sie muessen hier recht oft in Gesellschaft gehen und - - -" "O nein; das mag ich nicht; ich bin gern allein, sehr gern, und mag gar nicht hinaus unter die vielen Leute, unter denen ich mich so fuerchte. Doch kommen Sie; ich muss hinunter zu Papa; man wird jetzt wohl unsere Effekten bringen!" Sie liess die Schleier liegen und stieg nach unten, wo ihr Vater wirklich bereits auf sie wartete. Man sah aus den Fenstern seiner Wohnung die drei Araber die Hoehe ersteigen, und nicht lange dauerte es, so befanden sich Almah und die Kastellanin im Vorzimmer beim Auspacken." "Warum haben Sie die Araber fortgeschickt, Fraeulein Almah? Nun muessen Sie diese Arbeit selbst vornehmen!" "Sie meinen, ich soll fremde Maenner fuer Papa sorgen lassen? O nein, das ist er nicht gewohnt, und das mag ich auch gar nicht leiden." "So, gerade so geht es mir auch mit meinem lieben, jungen Herrn!" "Wer ist das?" "Prinz Arthur - -" "Der uns hier erwarten sollte?" "Ja." "Aber, hoeren Sie, meine liebe Mutter Horn, ist das nicht ein wenig unartig von diesem Prinzen, dass er uns entflohen ist? Meine alte Dienerin hat mir sehr viel davon erzaehlt, dass die Maenner des Abendlandes so aufmerksam gegen ihre Frauen seien. Bei einem Prinzen ist dies wohl nicht der Fall?" "O doch! Aber er hat ja gar nicht gewusst, dass Sie mitkommen, und sodann war in dem Briefe seines Vaters ja von einer spaeteren Zeit die Rede." "Ja, wir sind eine Woche frueher abgereist, als Papa eigentlich beabsichtigte. Doch, Sie wollten sagen, dass sie den Prinzen auch gern bedienen?" "Ja, das wollte ich sagen. Ich lassen ihm von einem Andern keine Handreichung thun." "Warum? Er ist ja doch nicht Ihr Gatte oder Ihr Vater!" "Aber mein Herr, und dennoch dabei so lieb und gut, so mild und nachsichtig, als ob er mein Sohn sei." "Er ist schon sehr alt?" "Warum?" "Weil er Fregattenkapitaen ist, und Papa sagte, dass man dies sehr schwer und sehr spaet werde." "O nein, er ist erst zweiundzwanzig Jahre alt." "Zweiundzwanzig? So jung! Sagen Sie einmal, Mutter Horn, wie sieht denn eigentlich so ein abendlaendischer Prinz aus? Wohl recht stolz, streng und vornehm?" "Meist." "Also Prinz Arthur auch?" "Dieser nicht - im Gegentheile! Wenn der Sie anschaut, so ist es, als ob Ihnen die liebe Sonne recht hell und warm in die Augen schiene." "So hat er wohl Augen wie - wie - wie der Matrose, den Papa mit der Karte zu Ihnen sandte?" "Wie der - der Bill Willmers? Ja, gerade so sind seine Augen. Sie duerfen nur - - doch, da ist er, Ihr Diener!" Die Thuer zum Vorzimmer war geoeffnet worden, und Arthur stand unter derselben. Almah hatte sich ueber einen Koffer gebeugt, jetzt erhob sie sich und wandte sich zu ihm um. Sie stand vor ihm, gerade so wie er zu seinen Kameraden auf der Veranda gesagt hatte, wie die Schoenheit in ihrer herrlichsten Inkarnation. Den schlanken und doch vollen Oberkoerper bedeckte eine rothe, mit Gold gestickte tuerkische Jacke, unter welcher ein blausammetnes, von massiven Silberspangen verschlossenes Mieder die herrlichste Bueste mit einer Taille verband, die man mit den Fingern zu umspannen vermochte. Sie wurde umschlossen von einem mit edlen Steinen besetzten Schuppenguertel, von welchem aus weissseidene Hosen ueber die schoen gerundeten Hueften bis herab zu den Knoecheln gingen, deren Feinheit mit der Kleine des Fuesschens bezaubernd harmonirte. Auf dem schlanken, schneeigen Halse sass ein Koepfchen, dessen Anmuth ebenso wenig zu beschreiben war, wie die unvergleichliche Schoenheit der Gesichtszuege, welche in ihrer Harmonie ein Ganzes bildeten, dem kein Malerpinsel und auch nicht das nachbildende Licht der Sonne gewachsen sein konnte. Arthur war, als sie sich emporrichtete und mit dem kleinen, reizenden Haendchen die vollen, schwarzblauen Locken aus der Stirn zurueckwarf, wie erstarrt halten geblieben. Kein Glied seines Koerpers bewegte sich; sein Mund war leise geoeffnet und seine Augen richteten sich fast unnatuerlich gross auf das entzueckende Wesen, welchem am Tage seine Gedanken und des Nachts seine Traeume gegolten hatten seit jenem Abende auf dem Nile. Sie sah den erstarrenden Ausdruck seiner Zuege und frug halb aengstlich: "Was ist Ihnen? Was wollen Sie? Sie sind schon zurueck!" "Al - - Almah!" rang es sich halb seufzend und halb jubelnd von seinen Lippen; dann kam ihm die Bewegung wieder, und er machte Miene, sich auf sie zu stuerzen, wurde aber von dem Blicke, welchen sie auf ihn warf, foermlich zurueckgeschleudert. "Sie wissen wie ich heisse?" "Ja." "Woher erfuhren Sie meinen Namen?" Er besann sich und bemuehte sich, die furchtbare Aufregung, unter welcher jedes Glied seines Koerpers erbeben wollte, in die Tiefen seines Innern zurueckzuringen. "Hoerte ich ihn nicht von Excellenz, dem Pascha selbst?" "Ach so. Sie bleiben jetzt zur Disposition und lassen sich vom Kastellane Ihre Wohnung anweisen. Gehen Sie!" Er wandte sich wie im Traume zurueck und verliess das Zimmer. "Was war mit ihm?" frug Almah. "Haben Sie sein Erschrecken gesehen, Mutter Horn?" "Allerdings." "Bin ich so haesslich, dass er sich vor mir fuerchtet? Oder erschrak er aus einem Grunde, den ich nicht kenne?" "Die Kastellanin war keine Diplomatin, und dennoch gab ihr die Vorsicht eine Antwort ein, die sie nicht besser haette geben koennen: "Es geht ihm wie mir; er hat Sie fuer eine Tuerkin gehalten, die sich nicht sehen lassen darf. Er hat Sie unverschleiert erblickt und haelt sich nun fuer einen Verbrecher, dem Sie zuernen muessen; daher sein Schreck!" - - - Neuntes Kapitel. Der tolle Prinz. Ueber die Residenz von Suederland breitete sich ein wunderbar schoener, sternenvoller Abend, und die Luft war so mild und erquickend, dass die Promenaden von Spaziergaengern wimmelten, welche unter den duftenden Baeumen wandelten, um nach des Tages Sorge und Arbeit den angestrengten und ermuedeten Geist zu erfrischen. Unter den Promenirenden bewegten sich zwei junge Maenner, welche ihrer Haltung und Kleidung nach zu den besseren Kreisen des Mittelstandes gehoerten, Arm in Arm, und den Blicken, mit welchen sie die ihnen Begegnenden musterten, war es anzusehen, dass sie irgend Jemand erwarteten. "Sie kommen nicht," meinte der Eine von ihnen, den Hut, als ob er schwitze, abnehmend, um die hohe, breite Stirn mit dem weissen Mouchoir zu trocknen. "Sie werden kommen, Karl, darauf verlass Dich. Anna hat mir noch in der Daemmerstunde bejahend zugenickt, als ich vorueberging." "Sie wird kommen, ja; sie ist ein ruhiges, festes und treues Gemueth, und Du thatest damals wohl, gerade sie zu waehlen." "War es nicht ein eigenthuemlicher Scherz, der dann so schoen in Erfuellung ging?" "So schoen? Ja, ich habe auch und lange Zeit geglaubt, dass es uns zum Gluecke geschehen sei," meinte Karl mit halblauter Stimme, aus welcher eine tiefe, schwere Trauer klang. "Zweifelst Du jetzt wirklich?" "Wir sassen im Parke," fuhr der Gefragte, ohne auf diese Worte zu hoeren, wie rezitirend fort, "und uns gegenueber nahmen zwei unbekannte Damen Platz, die Eine blond und schmaechtig, die Andere braun, dunkelaeugig, voll Feuer und Leben und von einer Gestalt, an welcher ein Corregio nichts auszusetzen gehabt haette. Wir waehlten uns im Scherze eine von ihnen; Du wolltest die Blonde, Sanfte, ich die Braune, Schoene, Feurige. Aus dem Scherze wurde Ernst - Du bist gluecklich und ich - elend." "Karl!" rief der Andere. "Zweifelst Du?" "Ich begreife es nicht. Emma ist schoen, besitzt ein gutes Gemueth, einen haeuslichen, wirthschaftlichen Sinn und "- - "Und weiss, dass sie schoen ist," fiel Karl ein. "Sie hat ihre Mutter bei der Geburt verloren und wurde von ihrem Vater durch uebergrosse Zaertlichkeit und unverstaendige Nachsicht so verzogen, dass sie kein anderes Gesetz kennt, als das Gefuehl des Augenblicks. Sie kennt ihre koerperlichen Vorzuege sehr genau; sie bemerkt es, wenn sie bewundert wird, und thut man dies nicht, so fordert sie durch Blick, Bewegung und Geberde dazu auf. Sie hatte mich lieb, aber sie will ihre Vorzuege nicht mir allein widmen, sie bedarf auch der Anerkennung Anderer, welche sie mit suchendem Auge einkassirt. Bei einem solchen Charakter oder vielmehr Naturell ist sie allen Versuchungen ausgesetzt, denen gegenueber sie nicht diejenige Festigkeit besitzt, welche erforderlich ist zur inneren und aeusseren Treue gegen den Geliebten." "Du richtest zu streng. Auch ich habe sie spaeter etwas weniger ernst gefunden, als ich sie vorher taxirte; aber sie ist noch jung, und die mangelhafte Erziehung wird sich nachholen lassen." "Du bist ein grosser Psycholog, Paul, um zu wissen, dass eine junge zweiundzwanzigjaehrige Dame noch zu ziehen ist." "Pah! Du als Literat, der sehr beruehmte Romane und Novellen schreibt, bist natuerlich seelenkundiger als der bescheidene Uhrmacher Paul Held; aber ich meine, wenn ein Maedchen den Mann ihrer Wahl wirklich lieb hat, so wird sie ihren Fehlern gern entsagen." "Richtig, doch von diesem gern entsagen bis zum wirklichen Aufgeben der Fehler ist ein weiter und schwieriger Weg, zu welchem eine Charakterfestigkeit gehoert, welche dem Leichtsinne entgeht. Emma hat mich heut noch innig lieb, aber ihre Gefallsucht wird sie auf Abwege treiben, auf denen sie vielleicht jetzt schon wandelt." "Karl!" rief der Andere zum zweiten Male. "Ich bleibe bei dieser Behauptung. War es frueher nicht ihr groesstes Glueck, des Abends an meinem Arme sich zu erholen? Und was thut sie jetzt? Sie verspricht mir, zu kommen, haelt aber selten Wort, und wenn ich nachforsche, so hoere ich, dass sie nicht daheim geblieben, sondern bei dieser Frau Schneider gewesen ist, deren Existenz mir eine hoechst problematische zu sein scheint. Dieses Weib hat eine Tochter, welche den Anziehungspunkt gewisser Herrenkreise bildet. Ich habe Emma gebeten, die Familie zu meiden, sie hat meinen Wunsch nicht beruecksichtigt; ich habe es ihr mit Strenge befohlen, sie ist mir ungehorsam gewesen; ich saee Aufrichtigkeit und ernte Luegen; diesem Zustande moechte ich ein Ende machen und kann es doch nicht, weil ich - - sie zu innig, zu innig liebe!" "Armer Freund!" "Ja, arm, sehr arm!" Wie reich und gluecklich war ich vorher. Ich gehoere zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, dass ich mehr einnehme als ich bedarf; ich koennte es schnell vorwaerts bringen, doch glaube mir, Paul, seid meiner Bekanntschaft mit Emma habe ich nicht eine einzige Arbeit vollendet, welche ich mit gutem Gewissen dem Drucke haette uebergeben duerfen. Wenn es so fortgeht, so bin ich geistig und wirthschaftlich ruinirt." "Sei einmal ernst mit ihr!" "Ich bin es gewesen, doch hilft der Ernst so wenig wie die Liebe. Ich moechte am Liebsten - - doch schau dort hinueber! Ist das nicht Anna?" "Ja, sie ist es," meinte Held, erfreut ueber den Anblick der Geliebten. "Und allein - ganz so wie ich vermuthete!" Die junge Dame, jene sanfte Blondine, von welcher Karl Goldschmidt gesprochen hatte, begruesste die Beiden und wandte sich dann an den Literaten. "Ich bringe Emma leider heut nicht mit -" "Heut? Sagen Sie lieber - immer!" "Sie versprach mir noch am Nachmittage, mitzugehen, doch als ich kam um sie abzuholen, war sie bereits ausgegangen." "Dann kehre ich nach Hause zurueck." "Bleibe bei uns, Karl! Du stoerst uns nicht," bat Held. "Das weiss ich. Aber Du weisst nicht, was es heisst, Andere gluecklich zu sehen, selbst aber ungluecklich zu sein. Gute Nacht!" Er ging, doch nicht nach Hause, sondern unwillkuerlich lenkte er seine Schritte nach der Strasse, in welcher Emma's Vater wohnte. Dieser schien ausgegangen zu sein, da keines der Fenster erleuchtet war. Karl wusste, dass nur ein Vorsaalschluessel vorhanden sei und kannte auch den Ort, wohin dieser gelegt wurde, wenn Vater und Tochter nach verschiedener Richtung die Wohnung verliessen. Er stieg die Treppe empor, zog den Schluessel unter dem Schranke hervor und oeffnete. Dann trat er in Emma's Zimmer, welches nach der Seite des Hofes lag. Es war ihm niemals eingefallen zu lauschen oder zu spaehen, jetzt aber hielt er es als eine Pflicht gegen sich selbst, nach Momenten zu suchen, welche geeignet waren, ihm ueber das Verhalten der Geliebten Aufklaerung zu geben. Er brannte die Lampe an und warf einen Blick im Zimmer umher. Er fand Alles in der gewohnten Ordnung. Wollte er irgend einen Anhalt gewinnen, so musste er eingehender forschen. Er untersuchte den Schrank, den Sekretaer, die Naehtoilette und die Kaesten der Kommode. Schon war er mit den Letzteren beinahe zu Ende, so erblickte er ein Kaestchen, welches ihm vollstaendig fremd war; es musste erst kuerzlich in den Besitz der Geliebten gekommen sein. Er oeffnete es und fand einige duftende Couverts, auf denen ein sammetnes Etui lag. Das Letztere enthielt eine kostbare Schmuckgarnitur, und in jedem Couverte stak ein zierlich geschriebenes Billetchen. Er las die Letzteren; sie dufteten so sehr nach dem Weihrauche der Bewunderung und enthielten der Schmeicheleien so kraeftige, dass nur einer unkundigen Seele die grobe Absicht dieser Schreibereien entgehen konnten. Unterschrieben waren die Billets mit "von Polenz, Oberlieutenant." "Hund!" knirschte Karl. "Oder ist es nicht Hundenatur, auf fremdem Gebiete zu revieren? Diese Herren duerfen mit ihren sogenannten noblen Passionen ungestraft das Glueck und Wohl ihrer Nebenmenschen toedten, und wenn ein armer Teufel vor Hunger die Hand nach einem elenden Stuecke Geldes ausstreckt, so reisst man ihn aus all seinen Verhaeltnissen, aus der menschlichen Gesellschaft, und steckt ihn, der nur noch als eine Nummer gilt, zwischen kalte nackte Mauern, die er nur verlaesst, um die Seinen noch aerger bestraft zu finden, als er selbst es war. Ich werde diesen Lieutenant von Polenz finden und ein Woertchen mit ihm sprechen!" Er brachte Alles wieder an den frueheren Platz zurueck und verliess dann die Wohnung. Nicht weit von derselben stand das Haus, dessen Parterre die Familie Schneider bewohnte. Er trat an einen der Fensterlaeden und horchte. Das helle froehliche Lachen Emma's, welches ihn frueher so oft beglueckt hatte, ertoente im Innern. Hatte sie ihm ihr Wort gebrochen, blos um den Abend bei diesen Leuten zuzubringen? Er zweifelte. Zwar hatte er auf den Billets keine Bestellung fuer den heutigen Abend gefunden, doch konnte Emma diese schriftliche Bestellung, wenn eine solche erfolgt war, auch anderswo versteckt oder zu sich genommen haben. Er beschloss daher, jedenfalls zu warten, was der Abend bringen werde. Gegenueber lag ein hohes, alterthuemliches Haus mit einem breiten, tiefen Thorwege. Der eine Fluegel des letzteren stand offen, und er trat in den dunklen Flur und schloss das Thor in der Weise, dass nur eine Spalte blieb, um die Strasse zu beobachten. Er hatte noch nicht lange in diesem Verstecke gestanden, als er von fern her Sporen klirren hoerte. Zwei Maenner nahten und hielten unweit des Thorweges an, es waren Offiziere. "Wohin fuehren wir sie heut?" "Promeniren?" "Pah, poussiren!" "Also nach den Promenaden?" "Zu volkreich. Will allein sein mit ihr!" "Also Stadtpark - entfernteste Parthie, da wo der Reitweg endet?" "Ja." "Es gibt dort zwei sehr bequeme Baenke, von dichtem Gebuesch ueberschattet. Kein Mensch verirrt sich in diesen Winkel." "Trefflich! Habe mir mit diesem Maedchen beinahe Muehe geben muessen - soll nicht umsonst gewesen sein - will suessen Lohn, haha - - Sie gehen mit der Ihren voran; ich werde folgen!" Dieser Letztere sprach kurz und in einem Tone, welchem man die Gewohnheit des Befehlens anhoerte. Sollte er wirklich blosser Lieutenant sein? Der andere stiess einen halblauten Pfiff aus, und kurze Zeit darauf oeffnete sich drueben die Thuer. Emma trat hervor; der Befehlshaberische nahm sie sofort in die Arme und kuesste sie. Hinter ihr verliess ein anderes Maedchen das Haus, welches der andere Offizier am Arme nahm, um sich sofort nach der vorgezeichneten Richtung zu bewegen. "Emma, mein schoenes, suesses, entzueckendes Kind," hoerte Karl seinen Nebenbuhler sprechen, "sind Sie gern gekommen?" "Gern!" "Und hat dieser - dieser Scriblifax, dessen Sie sich nicht erwehren koennen, nicht Beschlag auf den heutigen Abend gelegt?" "O ja!" "Und Sie sind nicht mit ihm gegangen! Meinetwegen, nicht wahr, mein himmlisches Maedchen?" "Ja, nur Ihretwegen, Herr Lieutenant!" "Recht so, meine Venus, mein unvergleichlicher Engel! Habe mich lieb, nur mich allein, dann wirst Du Glueck finden ohne Ende, ein Glueck, von welchem wir heut die suessesten Tropfen schluerfen koennen. Komm, lass uns gehen!" Sie folgten dem vorausgegangenen Paare. Karl lehnte hinter dem Thore und hatte die fieberheisse Stirn an die kalte Mauer gelegt. "Verloren - Alles, alles verloren! Sie wird ihm gehoeren und dann zu Grunde gehen. Emma, wie lieb, wie unendlich lieb habe ich Dich gehabt! Und nun - - aber, ist sie wirklich verloren? Noch nicht, wenn ich sie nicht aufgebe! Sie wird, sie muss erkennen, welcher Unterschied ist zwischen einer schmutzigen Sinnlichkeit und den reinen, treuen Gefuehlen, welche ich ihr entgegenbringe. Ich werde ihnen folgen, oder vielmehr, ich werde einen anderen Weg einschlagen, um ihnen zuvorzukommen. Er kannte den Ort, welcher das Ziel ihres Spazierganges war, und es konnte ihm nicht leicht fallen, denselben noch vor ihnen zu erreichen. Als das erste Paar dort anlangte, hatte er sich bereits ein bequemes Versteck hinter derjenigen Bank, welche am verborgensten lag, hergerichtet, und als dann auch Emma mit ihrem Begleiter erschien und sich hart vor ihm plazirte, haette er sie mit der Hand erreichen koennen, und er vermochte jedes ihrer Worte zu verstehen. Der Offizier hatte den Ueberrock ausgezogen und als Teppich fuer das Maedchen auf den Sitz gelegt. Spaeter nahm er auch die Muetze vom Kopfe, jedenfalls um durch den Anblick seines schoenen, reich gelockten Haares die Zahl seiner sichtbaren Vorzuege zu vermehren. So wurde sein Gesicht vollstaendig frei; Karl konnte ihn ganz genau erkennen. "Der tolle Prinz - in Lieutenantsuniform!" murmelte er ueberrascht. "Das gibt eine Schlaegerei, wenn ich mich unterstehe, ihm den Besitz meiner Braut streitig zu machen! Pah," setzte er zaehneknirschend hinzu - "mir ganz gleich!" Es waren fuerchterliche Augenblicke fuer den jungen Mann, welcher zusehen musste, dass der Gegner sich in Zaertlichkeiten erging, die ihm selbst verweigert gewesen waren, doch wollte er so lang wie moeglich unbemerkt bleiben, um zu erfahren, wie weit die Untreue seines Maedchens bis jetzt gegangen war. "Hast Du den Schmuck bereits getragen, den ich Dir brachte?" hoerte er fragen. "Noch nicht." "Warum?" "Vater darf ihn nicht sehen, und die Garnitur ist so kostbar, dass ich beschlossen habe, sie zu ersten Male an - an - an unserem Hochzeitstage zu tragen." "Recht so, mein Herz, denn daraus erkenne ich, dass Du ein sparsames, haushaelterisches Weibchen sein wirst. Doch bis zur Hochzeit kann noch mancher Monat, vielleicht sogar ein ganzes Jahr vergehen. Ehe ich mir eine Frau nehmen kann, muss ich erst Hauptmann sein. Wird Dir das nicht zu lang?" "Nein, denn ich werde Dich ja oefters sehen." "Natuerlich, auf der Promenade oder - - oder wohl auch bei Dir?" "Bei mir? Ich danke, Papa soll noch nichts von unserer Liebe wissen!" "Allerdings, doch ist dies noch immer kein Hinderniss, uns in Deiner Wohnung zu sehen. Papa braucht ja nichts davon zu wissen." "Das ist unmoeglich! Er wuerde trotzdem bemerken, dass ich Dich bei mir sehe." "Er wuerde es nicht bemerken. Soll ich Dir das beweisen?" "Wie so?" "Heut ist er ausgegangen?" "Ja. Es ist heut der Tag, an welchem er ein Spielchen zu machen pflegt." "Wenn komm er da nach Hause?" "Vor Mitternacht sicher nicht." "Weckt er Dich dann, wenn Du bereits schlaefst?" "Nie." "Also! Es ist jetzt ein Viertel vor elf Uhr. Lass uns aufbrechen!" "Warum?" "Ich werde Dich recht schoen ersuchen, einmal sehen zu duerfen, wie mein zukuenftiges Weibchen wohnt." "Das geht nicht; nein, das ist unmoeglich!" "Warum? Verlange ich mit dieser Bitte zu viel?" "Nein, aber zu so spaeter Stunde - - nein, es ist unmoeglich, Du musst frueher kommen!" Ja, mein Herz, kann ich frueher kommen, ohne bemerkt zu werden?" "Ich darf nicht!" "So liebst Du mich nicht!" "O doch!" "Nein. Ich glaube nicht an eine Liebe, welche mir einen so einfachen Wunsch verweigert. Darf ich nicht einmal das Zimmer sehen, welches mein Maedchen bewohnt, so ist von Liebe und Vertrauen keine Rede." "Du bist grausam!" "Nein. Entscheide Dich! Soll ich allein gehen oder wollen wir jetzt mit einander aufbrechen?" Sie zoegerte eine Weile mit der Antwort, dann klang es gepresst: "Komm!" Sie erhoben sich und traten den Rueckweg an. Das andere Paar schien zu sehr in seine eigenen Angelegenheiten vertieft zu sein, um diese Entfernung zu bemerken. Karl erhob sich, um noch vor den Vorangegangenen die Stadt zu gewinnen. Er glaubte jetzt zu der Annahme berechtigt zu sein, dass er Emma noch nicht verloren geben duerfe; es galt nur, den Einfluss des prinzlichen Abenteurers zu zerstoeren, und das konnte ja nicht schwer fallen. Er suchte gegenueber dem Wohnhause eine dunkle Thueroeffnung, in welche er trat, bis sie mit ihrem Begleiter erschien. Sie zog den Hausschluessel hervor, um zu oeffnen, und eben wollte sie zur Seite treten, um dem Prinzen den Vortritt zu geben, als es hinter ihnen erklang: "Halt! Magst Du nicht allein hinaufgehen, Emma?" Sie fuhr erschrocken herum. "Karl!" "Ja, ich bin es. Bitte, geh hinauf! Ich werde Dir morgen am Tage meinen Besuch machen, um weiter mit Dir zu sprechen; zu so spaeter Zeit aber verlangt kein ehrlicher Mann Zutritt bei einer Dame." "Herr, wer sind Sie?" brauste der Prinz auf. "Ich habe keine Veranlassung, meinen wahren Namen zu verbergen; doch brauche ich ihn nicht zu nennen; ich bin der Scriblifax, von welchem diese Dame Ihnen erzaehlt hat." "Schoen! Dann treten Sie gefaelligst zur Seite! Ich gestehe Ihnen nicht das mindeste Recht zu, uns den Eingang zu verwehren." "Und ich gestehe Ihnen nicht die Erlaubniss zu, ein Maedchen ungluecklich zu machen, welche brav war, ehe es Ihnen gelang, Sie durch Luege und Verstellung zu bethoeren. Dieses Haus werden Sie heut nicht betreten!" "Wirklich?" klang es hoehnisch. "Marsch, zur Seite!" Emma war bereits nach den ersten Worten der Gegner im Flur verschwunden, doch stand die Thuer noch offen. Wer Sieger blieb, konnte eintreten. Der Prinz hatte den Literaten beim Arme gefasst und versuchte, ihn von der Thuer zu draengen; es gelang ihm nicht. "Herr, nehmen Sie die Hand von mir," drohte Karl. "Ich moechte sonst vergessen, wer Sie sind!" "Ah! Wer bin ich denn?" "Entweder ein Prinz oder ein Schurke, was Beides zuweilen recht gut vereinigt zu sein scheint. Waehlen Sie zwischen Beiden!" "Spion!" knirschte der Prinz und fasste seinen Gegner mit beiden Faeusten vor der Brust. "Fort, sage ich, und zwar zum letzten Male!" Karl draengte die Faeuste des Prinzen von sich ab, fasste ihn bei der Huefte und schleuderte ihn gegen die Mauer. "Wollen sehen, wer fortgeht, Sie oder - - - oh - Huelfe - - oh - - !" Er brach zusammen, ohne den Satz vollstaendig aussprechen zu koennen. Der Prinz, von Wuth hingerissen, hatte den Degen gezogen und ihm denselben in die Brust gestossen. "So, Bursche; Du bist beseitigt. Jetzt hinauf!" Ohne sich um die Folgen seiner That zu bekuemmern, tastete er sich den Flur entlang nach der Treppe hin und stieg dieselbe empor. Droben stand Emma, zitternd vor Angst und Besorgniss. "Wer da? Bist Du es, Emma?" "Ja." "Oeffne! Du wohnst doch hier, nicht wahr?" "Ja. Aber bitte, lass mich heut allein! Wo ist Goldschmidt?" "Vor der Thuer." "Was ist mit ihm? Um Gottes willen, sage es! Ich hoerte ihn um Huelfe rufen." "Ich musste ihm ein wenig die Haut ritzen; das ist Alles!" "Himmel, Du hast nach ihm gestochen?" "Allerdings. Solchen Menschen muss gezeigt werden, wie weit sie die Erlaubniss haben, mit Anderen zu verkehren." "Mein Gott, was hast Du gethan! Das wird ein Unglueck geben, wie es mich - - -" "Papperlapapp! Wer weiss denn, wer es gewesen ist?" "Goldschmidt selbst wird es sagen!" "Der? Pah, der sagt nichts mehr!" "So ist er todt? O Gott, das ist ja gar nicht moeglich! Daran bin ich schuld!" Sie bebte vor Schreck am ganzen Koerper; er aber blieb vollstaendig ruhig. "Denke dies nicht, Emma. Er selbst traegt die Schuld allein, denn er besitzt nicht die mindeste Berechtigung, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Und was wird es sein? Man findet ihn, traegt ihn fort, scharrt ihn ein, sucht nach dem Thaeter, erfaehrt aber nichts - tout voilà! Bitte fasse Dich und oeffne!" "Ich kann nicht, heut nicht! Der Todte liegt unten, und Papa muss bald kommen. Geh fort, geh fort; nur heut geh fort, wenn Du nicht willst, dass ich vor Angst vergehen soll!" "Nur heut? So darf ich ein anderes Mal mit herauf?" "Ja; aber jetzt musst Du gehen!" "Wenn soll ich wiederkommen?" "Ich weiss es nicht!" "Morgen?" "Nein, da ist Papa zu Hause!" "Wenn hat er wieder Spieltag?" "Sonnabend." "Bon! So komme ich naechsten Sonnabend!" "Ja doch, aber bitte, gehe jetzt!" "Punkt neun Uhr?" "Ja." "Du wirst Alles offen halten und dafuer sorgen, dass mich Niemand kommen sieht!" "Ich werde es, doch entferne Dich jetzt! Mir schwindelt vor Angst." "Dann den Abschiedskuss! Gute Nacht, mein Leben. Traeume suess von mir und von - unserer Hochzeit!" Er stieg die Treppe wieder hinab und verliess das Haus. Sein Opfer lag regungslos in einer Blutlache vor der Thuer; er warf einen kurzen Blick auf den Leblosen und schritt davon. "Er hat seinen Lohn. Ein Prinz oder ein Schurke! Donnerwetter, das hat mir noch Niemand geboten, doch er hat seinen Lohn! Er erkannte mich,; es war ein Glueck, dass das Maedchen bereits fort war, sonst waere es mit dieser hoechst interessanten Liaison zu Ende gewesen, ohne dass ich die Fruechte meiner Bemuehungen haette pfluecken duerfen." Er bog nach einiger Zeit in die Promenaden ein, welche sich mittlerweile von ihrem Publikum entleert hatten, und gelangte auf diesem Wege in die Naehe des koeniglichen Schlosses. Da vernahm er von der Hauptstrasse her den Galopp eines Pferdes. Er blieb stehen. "Wer ist das? Es darf ja um diese Zeit hier weder gefahren noch geritten werden! Gewiss ein fremder Sonntagsreiter, den ich ein wenig in die Trense nehmen werde!" Er eilte vorwaerts und stand bald auf dem breiten Wege, welcher nach dem Hauptportale des Schlosses fuehrte. Der Galopp des Pferdes hatte sich in einen kurzen Trab und dieser in langsamen Schritt verwandelt. Der Reiter wurde sichtbar. Der Prinz trat ihm einige Schritte entgegen. Das Pferd schien keiner gewoehnlichen Rasse anzugehoeren, der Mann aber, welcher auf demselben sass, trug einen Suedwester im Nacken, eine kurze Jacke und ein paar riesige Seemannsstiefel. "Halt! Werda?" Der Reiter hielt sein Pferd an und betrachtete sich den Offizier, welchem der Mond voll in das Gesicht schien. "Ich!" antwortete er dann ruhig. "Ich? Wer ist dieser Ich?" "Na, ich natuerlich!" "Donnerwetter, wer Du bist, meine ich!" "Hm, was Du meinst, das weiss ich schon, mein Junge. Aber sage mir einmal, was nuetzt es Dir denn eigentlich, wenn ich Dir sage, wer ich bin?" Der Mann schlug die Arme ueber der Brust zusammen und hatte ganz das Ansehen und die Haltung, als ob er eine recht urgemuethliche Konversation in Gang bringen wolle. "Was ist das?" ertoente die ganz erstaunte Gegenfrage. "Du wagst es zu duzen? Kerl, Dir soll ja der Teufel in den Korpus fahren, dass - - -" "Pah!" unterbrach ihn der Andere. "Wer mit mir Bruederschaft macht, den pflege ich Du zu nennen; das ist bei uns zur See und vielleicht auch zu Lande nicht anders Mode. Und vor dem Teufel segelt mein Korpus jedenfalls nicht sofort davon. Doch, apropos, wer bist denn eigentlich Du, alter Maate?" "Kerl, Du bist verrueckt! Siehst Du nicht, dass ich Offizier bin? Und weisst Du nicht, dass hier in der Naehe des Schlosses zur Nachtzeit das Reiten verboten ist?" "Offizier? Hm, ja; aber was ist das weiter? Es muss jeder Mensch Etwas sein - was, das bleibt sich gleich, wenn er es nur versteht, seine Stelle brav und ehrlich auszufuellen. So so, also hier darf man nicht reiten! Warum denn nicht, he?" "Das wird sich finden! Jetzt bist Du arretirt. Vorwaerts zur Schlosswache!" "Arretirt? Meinetwegen! Zwar glaube ich nicht, dass Du der richtige Kerl bist, einen rechten, echten Seemann zu arretiren, aber ich bin nicht der Mann, einen guten Spass zu verderben. Nur wuensche ich, dass Dir der Gang zur Schlosswache kein Bauchgrimmen mache. Vorwaerts also. Segel auf, und fort!" Einen hoechst belustigten Blick auf den Lieutenant werfend, nahm er die Zuegel wieder auf und ritt hinter dem Offizier her, welcher vor Zorn bebend nach der Seitenfronte herumbog, wo aus einigen Parterrefenstern helle Lichtstrahlen heraus auf den Platz fielen. "Hier bleibst Du halten!" gebot der Offizier und wandte sich dann nach dem Schlosse. "Posten herbei!" Eine am Thore stehende Schildwache kam herzu und honneurirte beim Anblicke der Uniform. "Wer hat heut das Wachtkommando?" "Oberlieutenant von Randau." "Schoen. Die Wache heraus!" "Zu Befehl, Herr Lieutenant!" Er schritt zurueck und rief mit lauter Stimme: "Wache heraus!" Im Nu entstroemten der Thuer die Gestalten der Soldaten, welche sich in Reih und Glied aufstellten. "Ah," machte der Arretirte; "man bringt mich nicht selbst zum Wachtlokal; man will sich nicht sehen lassen: das Bauchgrimmen ist da!" "Maul halten!" schnauzte ihn der Offizier an und wandte sich dann zum Lieutenant von der Wache: "Herr Oberlieutenant, Sie kennen mich?" Randau blickte schaerfer auf. "Zu Befehl, koenigl- - -" "Halt! Diesen Menschen habe ich zu Pferde hier am Schlosse aufgegriffen, wobei er sich in unterschiedlichen Injurien und Gemeinheiten erging. Ich uebergebe den Inkulpaten Ihnen und dringe auf strengste Bestrafung!" "Zu Befehl!" Dann fuegte er, zum Arrestanten tretend hinzu: "Herab, Bursche; wollen Dich huebsch vor Anker legen!" "So? Waert mir auch die Kerls danach!" Dann nahm er sein Pferd straffer in die Zuegel, draengte es hart an den Wachtkommandanten heran, zog ein grosses, mehrmals versiegeltes Schreiben aus der Satteltasche und reichte es ihm entgegen. "Herr Oberlieutenant, Sie sind Kommandant der Wache hier am Schlosse?" Dieser Ton schien einer ganz anderen Stimme und einem ganz andern Manne anzugehoeren, und unwillkuerlich antwortete der Gefragte: "Ja. Warum?" "Ich bin Kurier seiner fuerstlichen Durchlaucht des Prinzen Arthur von Sternburg und habe Ihnen diese Depesche zu uebergeben. Ich thue dies mit der Weisung, dieselbe morgen frueh nach dem Lever Seiner Majestaet dem Koenige eigenhaendig zu praesentiren, verstehen Sie, eigenhaendig, denn der Inhalt des Schriftstueckes ist von solcher Wichtigkeit, dass ich Sie verantwortlich mache fuer jeden Zufall, welchem es gelingen sollte, dieser Zuschrift das Wesen einer Depesche zu rauben. Im Uebrigen gebe ich mir die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!" Er zog das Pferd empor und gab ihm die Sporen, dass es auf den Hinterbeinen eine Umdrehung machte und dann mit allen Vieren in die Hoehe ging. Dabei wandte er das laechelnde Gesicht zum Prinzen: "Adieu, mein Junge; lass Dir die Arretur besser bekommen, als sie gelungen ist!" Dann fegte er im Galoppe davon und liess sein Thier erst dann wieder in ruhigen Schritt fallen, als er das Schloss weit hinter sich hatte. "Prinz Hugo als Lieutenant!" murmelte er vor sich hin. "Gewiss kam er von irgend einem seiner Streiche zurueck, welche er inkognito auszufuehren pflegt. Er hat mich noch nie gesehen und also auch nicht erkannt. Die kleine Lehre und der etwas groessere Aerger, welcher dieselbe begleiten wird, kann ihm nichts schaden. - Jetzt nun zu diesem Dichter, den ich so lange nicht gesehen habe! Fuer ihn muss ich ein Stuendchen eruebrigen, und dann geht es wieder retour!" Er bog in eine Strasse ein und hielt vor einem Hause, dessen schmaler erster Stock erleuchtet war. "Er hat Licht, vielleicht gar Gesellschaft bei sich, da die Schatten so unruhig sich an den Gardinen bewegen." Nachdem er abgestiegen war, band er das Pferd an eine Ladenangel und begab sich nach der ersten Etage. Auf sein Klingeln wurde die Entreethuer geoeffnet, und eine aeltliche Frau erschien unter derselben. "Wer ist noch da?" frug sie. "Ich, meine liebe Frau Goldschmidt. Ist Karl zu Hause?" Sie leuchtete empor und erkannte ihn. "Mein Gott, Durchlaucht! Sie hier? Haben Sie es auch schon erfahren?" "Was?" "Von - - oh, Sie wissen nichts? Bitte, bitte, treten Sie ein, treten Sie ein!" Er bemerkte ihre Augen voller Thraenen und sah, dass Sie sich in einer ausserordentlichen Aufregung befand. Im Zimmer befanden sich mehrere Personen, auf deren Gesichtern ein tiefer Ernst ausgebreitet lag, und aus dem geoeffneten Nebenraume erklangen halblaute Stimmen. "Hier ist etwas geschehen! Was ist es?" frug er die Mutter des Freundes. "Durchlaucht, Karl ist ermordet worden," antwortete sie, die Haende ringend und in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend. "Unmoeglich! Von wem?" "Das weiss noch Niemand." "Wo ist er?" "Draussen. Kommen Sie!" Sie fuehrte ihn in das Nebenzimmer. Zwei Aerzte standen vor dem entkleideten Koerper des Literaten. "Was wollen Sie?" frug der Eine den Eintretenden. "Meine Herren, mein Name ist von Sternburg, Seekapitaen von Sternburg. Dieser Todte ist ein Studiengenosse von mir, und ich kam, ihn zu besuchen." "Ah, dann haben Sie Zutritt, Durchlaucht," klang die hoefliche Antwort. "Uebrigens ist der Verwundete nicht todt. Der Stich hat weder Herz noch Lunge verletzt, und nur der schwere Blutverlust hat eine todesaehnliche Ermattung herbeigefuehrt." "Er ist nicht todt? Er lebt!" rief die Mutter. "Gott sei Dank; ich waere ihm nachgefolgt." Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung. "Leise, leise, Frau Goldschmidt! Wir koennen Ihnen unmoeglich ganz die Hoffnung nehmen, doch vermoegen wir auch nicht zu verschweigen, dass sein Leben nur an einem Faden haengt; es kann im Augenblicke seines Erwachens auf eine Minute aufflackern und dann sofort fuer immer verloeschen. Wir werden hier bleiben bis er zu sich kommt, um nach den eintretenden Umstaenden handeln zu koennen. Schicken Sie alle ueberfluessigen Personen fort und vermeiden Sie jedes Geraeusch." Man nahm Platz und auch der Kapitaen liess sich in der Naehe des Bettes nieder. Es verging beinahe eine Stunde, bis der Verwundete die Augen aufschlug und einen schmerzlichen Seufzer ausstiess. "Wasser!" klang es durch die lautlose Stille des Raumes. Es wurde ihm gereicht. "Emma," hauchte es leise zwischen seinen bleichen Lippen hervor; dann fielen die schweren Lider wieder zu. Arthur begab sich leise nach der vorderen Stube, wo die Mutter des Kranken leise weinend in einer Ecke Platz genommen hatte. "Warum gehen Sie nicht in die Krankenstube?" frug er sie. "Weil ich den Schmerz da nicht zurueckhalten koennte. Mein Gott, wer muss der Boesewicht gewesen sein! Karl ist so gut, das wissen Sie auch, Durchlaucht; er beleidigt mit Wissen keinen Menschen, und dennoch bringt man ihn mir als Leiche nach Hause!" "Haben Sie bereits Anzeige gemacht?" "Nein." "Warum nicht?" "Weil - weil ich gar nicht daran gedacht habe." "Wo hat man ihn gefunden?" "Vor der Thuer des Hauses, in welchem seine Braut wohnt." "So ist er bei ihr gewesen?" "Jedenfalls." "Und man hat ihn beim Austritte ueberfallen - hm; das klingt mir nicht wahrscheinlich. Geben Sie die Sache ja der Polizei ueber, welche allerdings auch ganz von selber sehr ernstliche Notiz von dem Vorfalle nehmen wird. Ich habe leider nicht Zeit, laenger zu verweilen, werde aber dafuer sorgen, dass ich au fait bleibe ueber das Befinden Ihres Sohnes." Nach einigen Worten des Trostes und der Beruhigung verliess er die Wohnung. Als er aus der Thuer des Hauses trat, bemerkte er eine weibliche Gestalt, welcher die gegenueberliegende Seite der Strasse zu gewinnen suchte. Sie war vor dem Schalle seiner Schritte geflohen und hatte also Ursache, sich in der Naehe des Hauses nicht sehen zu lassen. Er eilte ihr nach und hatte sie nach einigen raschen Schritten erreicht. "Halt, meine Dame! Warum sind Sie so eilig?" Er erfasste sie am Arme und blickte in ein erschrockenes, bruenettes Maedchenangesicht, dessen Augen aengstlich die seinigen zu vermeiden suchten. Sie antwortete nicht. "Nun? Darf ich um Antwort bitten, Fraeulein? Warum flohen Sie vor mir?" "Ich floh nicht vor Ihnen," klang es leise. "Vor wem denn?" "Vor - vor Niemand." "Vor Niemand? Damit wollen Sie sagen, vor keiner bestimmten Person. Aber dennoch hatten Sie das Bestreben, nicht bemerkt zu werden. Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?" Sie schwieg. Er fuehlte ihre Hand, die er gefasst hatte, zwischen der seinigen zittern. "Ich hoffe, Sie werden mir Auskunft geben, sonst fuehlte ich mich in die unangenehme Lage versetzt, Sie nach einem Orte zu bringen, wo Sie zur Antwort gezwungen sind." "Warum?" "Es ist an einem Freunde von mir ein Mordanfall veruebt worden, und ich vermuthe nach Ihrem Verhalten, dass Sie zu dieser Thatsache auf irgend eine Weise in Beziehung stehen." "Lebt Karl noch?" "Karl? Ah, Sie kennen ihn? Sie kamen, um sich Gewissheit ueber seinen Zustand zu holen! Ihr Name, Fraeulein?" "Emma Vollmer." "Mir unbekannt. Sie sind vielleicht - - -?" "Ich - ich war die - die Geliebte Karls." "War? Sie sind es nicht mehr? Ah! - - - Er wurde vor Ihrer Thuer gefunden?" "Ja." "So war er vorher bei Ihnen?" "Nein." "Aber Sie waren daheim?" Sie schwieg. Dieser Mann frug trotz eines Inquisitionsrichters. Wer war er? Musste sie denn ueberhaupt Rede stehen? Und doch hielt er sie so fest, und doch sprach er in einem solchen Tone, dass sie antworten musste: "Nein." "Ah - - -!" Er fasste sie auch am andern Arme und zog sie naeher, um ihr lange und fest in das Angesicht zu blicken. "Sie haben jetzt einen andern Geliebten?" "Ja." "Was ist er?" "Offizier." "Welchen Ranges?" "Lieutenant." "Wie heisst er?" "Hugo von Zarheim." "Zarheim? Pah, gibts nicht - findet man sogar im Gothaer nicht! Hugo - - oh - - hm - - Sie waren heut mit ihm promeniren?" "Ja." "Er begleitete Sie bis zur Thuer?" "Ja." "Und da trat Ihnen Karl entgegen?" Sie schwieg. Er wiederholte seine Frage dringlicher. "Nein. Ich habe ihn heut gar nicht gesehen." "Ah, Fraeulein, Sie moegen Andere taeuschen, vielleicht sogar meinen Freund, der es jedenfalls ehrlich mit Ihnen gemeint hat, mir aber sagt der Ton Ihrer Stimme etwas ganz Anderes als Ihre Worte. Wie alt ist dieser Lieutenant Hugo?" "Einundzwanzig." "Blond?" "Ja." "Ein feines Schnurrbaertchen?" "Ja." "Eine Narbe ueber die rechte Wange?" "Ja," antwortete sie verwundert. "Schoen; ich vermuthete den Zusammenhang, weil ich ihn zufaelliger Weise traf, als er von Ihnen kam. Fraeulein, Karl Goldschmidt ist ein Ehrenmann, ein beruehmter Dichter, welcher unter den besten und reichsten Maedchen des Landes waehlen koennte, wenn er etwas mehr praetensioes sein wollte; haben Sie sich von ihm getrennt, so haben Sie auf ein Glueck verzichtet, wie es Ihnen an der Seite eines Andern niemals werden kann. Dieser Lieutenant Hugo von Zarheim aber ist ein Wuestling, ein Schwindler, welcher schon hundert Maedchen ungluecklich gemacht hat und auch Sie verlassen wird, wenn Sie ihm gewaehrt haben, was er sucht. Er ist nicht Lieutenant und heisst nicht Zarheim, sondern er ist Reitergeneral und heisst Hugo, Prinz von Suederland. Er ist der juengste Sohn Ihres Koenigs und unter dem Namen der "tolle Prinz" bekannt." "Hugo - Prinz Hugo - ein koeniglicher Prinz?!" klang es von ihren Lippen, aber mehr erstaunt als erschrocken. "Ists wahr?" "Es ist wahr. Kennen Sie den Prinzen nicht persoenlich?" "Nein." "So verschaffen Sie sich sein Bild und vergleichen Sie! Sie wissen jetzt genug, und ich hoffe, Sie handeln so, dass ich zu Karl, wenn er je wieder aufleben sollte, mit Achtung von Ihnen sprechen darf. In Beziehung aber des Anfalles ist es sehr moeglich oder vielmehr sogar wahrscheinlich, dass Sie gerichtlich vernommen werden. Jetzt gehen Sie. - Gute Nacht!" Sie enteilte mit hastigen Schritten, und er trat zu seinem Pferde. Als er sich aufgeschwungen hatte, warf er noch einen Blick hinauf nach den Fenstern, hinter denen ploetzlich so vieles und grosses Leid eingekehrt war, und ritt dann davon. Als er die Residenz im Ruecken hatte, dehnte sich die breite Heerstrasse in langen Windungen zwischen bluehenden Gefilden hin, bis sie in den Wald trat, dessen magisches Dunkel das Gemueth des einsamen Reiters zum Traeumen stimmte. Diese Emma Vollmer war ein schoenes, sogar ein sehr schoenes Maedchen, welche alle Gaben der Natur besass, um einen Mann innig gluecklich zu machen, und doch - - that sie es? Kann ein Mann ueberhaupt an seine Liebe, an sein Weib glauben? Droben am Himmel stehen Millionen von Sternen so fest, und dennoch, je naeher man ihnen kommt, je besser man sie kennen lernt, desto mehr bemerkt man, dass sie alle, alle diese scheinbare Festigkeit nie besessen haben und nie besitzen werden. Sind nicht alle unsere Ideale geistige oder verkoerperte Lichtgebilde, welche aufgehen, kulminiren und - verschwinden?" "Und wie ist es mit meinem Stern?" frug er halblaut. "O Almah, herrliches unvergleichliches entzueckendes Wesen, sei mir eine Sonne, welche niemals truegt, und ich will der Parse sein, der vor Deinem Glanze knieend liegt und Anbetung athmet bis zum letzten Hauche seines Lebens!" Er verfiel in ein tiefes, glueckliches Sinnen. Er gedachte des Abends am Nil, an welchem er die Herrliche zum ersten Male erblickte, an die Sehnsucht, die ihn dann erfuellt hatte, ohne dass es ihm moeglich gewesen waere, sie zu stillen, und an das namenlose Glueck, welches ihn gleich einem grossen Schrecken durchzuckt hatte, als sie ihm zum zweiten Male in seiner eigenen Behausung entgegengetreten war. So sann und sann er; Viertelstunden einten sich zu Stunden; eine Meile Weges wurde nach der anderen zurueckgelegt, und als der Morgen erglaenzte, hielt er auf seinem dampfenden Rosse am Rande der Ebene, deren gegenseitige Grenze der Hoehenzug bildete, hinter welchem das Terrain zur Kueste des Meeres niederstieg. Eine Stunde spaeter sass Nurwan Pascha mit Almah auf dem Balkon seiner Wohnung und schluerfte den Mocca, welchen ihm das schoene Maedchen drunten in der Kueche der Kastellanin eigenhaendig bereitet hatte. Auf der herrlichen Scene vor und unter ihnen lag der goldene Glanz des Sonnenlichtes; die Wogen der See blitzten in gruenlich-goldenen und blaeulich-silbernen Reflexen, welche sich draussen am fernen Horizonte in von unvergleichlichen Farben gesaettigten Tinten verloren, und hier in der Naehe, auf der Kueste, am Quai, im Hafen regte sich ein Leben von so vielseitiger, munterer Geschaeftigkeit, dass man nicht muede wurde, seinem nie ruhenden Pulse zu folgen. Vom aeussersten Ende der Stadt ertoente ein scharfer, schriller Doppelpfiff; gleich einer Riesenschlange wand sich ein Dampfzug an der Kueste hin, trat dann zwischen die Berge hinein und verschwand hinter den Hoehen, welche das Binnenland vor den gefraessigen Fluthen des Meeres schuetzten. "Mit diesem Zuge faehrt er," meinte der Pascha. "Wer." "Ah, es ist wahr, Du weisst nichts davon. Ich meine unsern neuen Diener." "Bill Willmers? Wohin faehrt er?" "Nach der Residenz. Er hat mir eine hoechst wichtige Depesche zu besorgen." "Eine hoechst wichtige? So hast Du wohl ein recht gutes Vertrauen zu ihm, Papa?" "Allerdings. Du hast jedenfalls meine gestrige Ueberraschung bei seinem Anblicke bemerkt. Es war mir, als sei mein liebster, bester Jugendfreund herbeigekommen, um mich zu begruessen, ganz er, jeder Zug des Gesichtes, die Haltung, die Stimme, der treue, verstaendige Blick des Auges, und trotzdem er es unmoeglich sein kann, da dieser Freund in meinem Alter steht, und trotzdem er einen mir vollstaendig fremden Namen fuehrt, kann ich mich nicht von dem Gedanken, von der Ahnung trennen, dass mein Irrthum nicht ganz und gar ein vollstaendiger sei. So oft ich mit ihm spreche, moechte ich ihn nicht Willmers sondern Brandauer nennen." "Weisst Du, Papa, dass es mir auch recht eigenthuemlich mit diesem Matrosen geht?" "Wie so?" "Papa das kann ich Dir nicht sagen! Du bist mein Vater, und was Du thust und sprichst, das ist, als haette es Gott gethan und gesprochen. Wie andere Maenner sind, das weiss ich nicht, aber - aber, wenn jetzt ein Sturm hereinbraeche, dass die Wogen ueber unserer kleinen Yacht zusammenschaeumten, und dieser Willmers spraeche zu mir: "Komm, ich gehe mit Dir in das Wasser und bringe Dich an das Land, ich wuerde ihm folgen und darauf schwoeren, dass er es vollbringt." Das scharfe Auge des Pascha blickte hinaus in das Weite; es war seinem adlerartigen Blicke nicht anzusehen, was er ueber die Worte der Tochter dachte. Diese hatte den prachtvollen Arm, welcher berueckend unter dem leichten, seidenen Gewebe hervorschimmerte, auf die Balustrade gelegt und beobachtete das Treiben in der Naehe. "Papa, schau den Reiter da unten!" rief sie ploetzlich. "Ist ein solcher Galopp nicht fuerchterlich?" "Allerdings gefaehrlich, hoechst gefaehrlich bei solchem Terrain. Der Mensch muss beim leisesten Fehltritte des Pferdes den Hals brechen. Ich wette, es ist einer jener jungen, unvorsichtigen Kavallerieoffiziere, denen der Ruhm, ein kuehner Reiter zu sein, hoeher gilt, als die Herzensrufe des Vaters und der Mutter!" "Er lenkt nach der Hoehe ein -" "Und zwar auf dem Wege, welcher nach Schloss Sternburg fuehrt. Wer mag es sein?" Er erhob sich und blickte staerker hinab. "Willmers!" rief er dann, ebenso ueberrascht wie zornig. "Willmers, Papa? Das ist doch nicht moeglich! Ein Matrose kann doch auf keinen Fall ein solcher Reiter sein!" "Er ist es aber doch. Es scheint, als sei an diesem einfachen Manne Alles ungewoehnlich, sogar - sein Gehorsam, seine Dienstfertigkeit. Ich glaube ihn mit meiner hoechst dringlichen Depesche unterwegs nach der Hauptstadt und muss bemerken, dass es ihm beliebt, spazieren zu reiten, bevor er an die Ausfuehrung meines Befehles denkt. Nur bin ich neugierig, von wem er sich das Pferd geborgt hat!" "Papa, ich bitte -!" "Was?" "Sei nicht barsch mit ihm; er wird es nicht wieder thun! Du glaubst es gar nicht, wie Dein Blick schmerzt, wenn Du zuernst!" "Und ihn soll er nicht schmerzen?" "Vergieb ihm! Er kennt Dich noch nicht und wird es nicht boes gemeint haben." "Eine Depesche ist kein gewoehnlicher Brief, Kind. Ich muss ihn empfangen, wie er es verdient hat!" Er erhob sich und begab sich hinab, um den Kommenden zu erwarten. Almah war nicht von seiner Seite gewichen. Hatte sie die Ahnung, dass ein einziger Strahl ihres Auges hinreichend sei, alle schmerzenden Blitze unschaedlich zu machen, welche das Auge des Vaters schleudern koennte? Der Huftritt des Pferdes ertoente, und Arthur ritt in den Hof. Die Beiden bemerkend, nahm er den Hengst kurz auf und sprengte in zierlichem kurzem Galopp, einen Bogen schlagend, bis vor die breiten Granitstufen, auf denen sie standen, und stand dann nach einem gewandten Schwunge aus dem Sattel vor ihnen. Der Pascha blickte ihm zornig in das vom scharfen Ritte geroethete Gesicht. "Wem gehoert das Pferd?" "Dem Prinzen von Sternburg." "Wer hat Dir erlaubt, es zu reiten?" "Der Kastellan." "Und wer noch?" "Niemand." "So! Also meiner Erlaubniss bedarf es zu einem Spazierritte, waehrenddessen ich Dich auf der Reise nach der Residenz vermuthe, nicht! Du bist kein gehorsamer Diener; ich kann Dich nicht gebrauchen; Du kannst gehen!" "Der Gescholtene schlug kein Auge nieder; er blickte dem Pascha ruhig in das Angesicht und antwortete: "Zu Befehl, Excellenz!" Sich scharf auf dem Absatze herumdrehend, schritt er davon. "Papa!" bat Almah, indem sie die Hand auf den Arm des Vaters legte. Dieser hatte eine solche Eile von Seiten des Dieners gar nicht erwartet. "Willmers!" gebot er. Der Gerufene drehte sich um. "Excellenz!" "Komm noch einmal naeher!" Arthur folgte dem Rufe. "Warum gehorchst Du jetzt so schleunig?" "Um Excellenz zu beweisen, dass ich kein ungehorsamer Diener bin." "Und dennoch bist Du es, sonst haettest Du den vorhin abgelassenen Kurierzug nach der Residenz benutzt, um meine Depesche zu expediren." "Excellenz haben mir nicht befohlen, diesen Zug zu benuetzen." "Gebot ich Dir nicht, die Depesche schleunigst zu uebermitteln? Es ging am Abende kein Zug mehr, wie Du sagtest, folglich -" "Folglich bin ich zu Pferde nach der Residenz, Excellenz." "Zu Pferde? Diesen weiten Weg? Unmoeglich!" "Bei einem solchen Pferde ist es sehr moeglich. Ich kehre eben zurueck; die Depesche wurde um Mitternacht uebergeben." "Wem?" "Dem Kommandanten der Schlosswache." "So wird sie der Koenig heut Vormittag lesen. Du wurdest gefragt, von wem sie sei?" "Nein. Ich schnitt alle Erkundigungen durch die Angabe ab, dass ich ein Kurier von Schloss Sternburg sei." "Gut! Ich habe mich vorhin geirrt. Du bleibst!" "Zu Befehl, Excellenz!" Er wandte sich ab und trat zum Pferde, welches er nach dem Stall fuehrte. Dann suchte er das Stuebchen auf, welches er als Domestik erhalten hatte. "Papa, bat sie ihn, als ich von ihm fortgewiesen wurde! Sie ist gut und mild; ihr Angesicht luegt nicht, wie die Zuege so vieler Frauen, welche man innerlich ganz anders findet, als das Aeussere es verspricht. Ihr Auge ist rein und wahr wie das Kristall der Quelle, welche das kleinste Sandkorn des Bodens erblicken laesst. Almah, sei Du das koestliche Ziel, nach welchem ich strebe, und wenn es mir beschieden ist, es zu erreichen, so will ich vom Geschicke nichts mehr verlangen, als nur die Kraft, mir Deine Liebe fuer immer erhalten zu koennen!" Er oeffnete das Medaillon und drueckte das Bild der heimlich Geliebten an seine Lippen. Dann stellte er sich sinnend an das Fenster. "Was mag es sein, was den beruehmten Admiral nach Tremona fuehrt? Und wie kam der Vater mit ihm zusammen? Es ist ein eigenthuemlicher Brief, welchen er mir schreibt!" Er oeffnete ein Kaestchen und entnahm demselben einen Bogen, welchen er entfaltete und las: "Mein lieber Junge! Ich erfuhr in Deinem letzten Briefe, dass Du Urlaub bekommst und nach Tremona gehen wirst. Das goenne ich Dir von ganzem Herzen und wuensche, ich koennte bei Dir sein. Da dies aber nicht der Fall sein kann, so sende ich Dir einen Stellvertreter, naemlich keinen Anderen, als den beruehmten Seehelden Nurwan Pascha, welcher eine Kleinigkeit mit der Suederlaendischen Regierung zu reguliren hat und mich frug, ob es in Tremona ein anstaendiges Logement gebe, wo er einige Zeit lang ungestoert seinen Neigungen leben koenne. Ich erzaehlte ihm von Dir und Schloss Sternburg und erhielt von ihm die Erlaubniss, ihn Deiner Gastfreundschaft empfehlen zu duerfen. Er wird einige Tage nach dem gegenwaertigen Briefe bei Dir anlangen, und ich bin ueberzeugt, dass Ihr beiden Seethiere bald Wohlgefallen an einander finden werdet. Sorge besonders dafuer, dass er sich frei und ohne von zudringlicher Neugierde belaestigt zu sein, bewegen kann! Allem Anscheine nach bereitet sich zwischen Norland und Suederland ein Bruch vor, dessen Laenge und Breite jetzt unmoeglich abzumessen ist, und ich habe eine kleine Ahnung, dass der Besuch des Pascha in Tremona mit diesem Umstande in enge Verbindung zu bringen sei. Mir scheint, es fehle Suederland im Falle eines Krieges an einem tuechtigen Seemanne, vielleicht - doch soll diese Bemerkung keineswegs eine Mahnung enthalten, den Pascha unter Deine Aufsicht zu nehmen. Er ist eine vollstaendig undurchdringliche Persoenlichkeit, und neben seiner hohen seemaennischen Charge ein gewandter Diplomat, dem man nicht gern eine unangenehme Deklination einfloessen moechte. So soll ihm noch vor ganz Kurzem beim Vizekoenige von Egypten eine Mission gelungen sein, an deren Schwierigkeit die Bemuehungen seiner Vorgaenger gruendlich scheiterten. Nimm ihn auf wie mich selbst - à propos, er hat eine Tochter, welche er, - ich sage Dir einstweilen nur so viel, dass ich sie heirathen werde, wenn Du kein Mittel findest, dies zu verhindern. Leider wird er sie wohl nicht mitbringen; sie ist in echt orientalischer Abgeschlossenheit erzogen worden, und so scheint es wahrscheinlich, dass er sie nicht dem bewegten Leben einer grossen Hafenstadt aussetzen werde. Vielleicht ist es mir moeglich, noch vor Ablauf Deines Urlaubes Dich in Tremona zu ueberraschen. Bis dahin sei gegruesst von Deinem treuen Vater. Ist es Dir noch nicht gelungen, eine Spur von der Zigeunerin Zarba aufzufinden? Ich wuerde Vieles darum geben, ihr einige Fragen vorlegen zu koennen. Der Obige." Noch war er mit dem Zusammenfalten dieses Briefes beschaeftigt, so klopfte es und die Kastellanin trat ein. "Darf ich das Fruehstueck serviren, Durchlaucht? Mein lieber junger Herr sind die ganze lange Nacht hindurch zu Pferde gewesen und haben waehrend dieser Zeit wohl kaum etwas Ordentliches genossen!" "Ja, ich habe Hunger, meine liebe Mutter Horn. Zeigen Sie einmal, was Sie mir bringen!" "Ich bringe immer nur, was Sie gern haben, Durchlaucht. Und wissen Sie, wer es geschnitten und auf den Teller arrangirt hat?" "Natuerlich Sie." "O nein, Fraeulein Almah ist es gewesen." "Die Tuerkin? Die wird doch das Fruehstueck fuer ihren Bedienten nicht selbst bereiten! Ich nehme natuerlich an, dass sie gewusst hat, fuer wen es bestimmt ist." "Sie hat es gewusst und dennoch die kleinen Haendchen nicht geschont. "Er ist waehrend der ganzen Nacht zu Pferde gewesen und von Papa dafuer gar noch ausgescholten worden," hat sie gesagt; "ich muss dafuer sorgen, dass er nicht hungert." Uebrigens ist sie gar keine Tuerkin, sondern eine Christin." "Ah! Ist dies wahr?" "Sie hat es mir selbst gesagt; und auch ihr Vater ist ein Christ. Er hat sie auf einer einsamen Insel erzogen, und wenn er fort gewesen ist, so hat sie sich mit zwei Heiden und einer alten Dienerin allein befunden." "Welche Insel ist das gewesen?" "Das weiss ich nicht, aber wenn Sie es wissen wollen, so werde ich sie einmal fragen. O, sie sagt mir Alles; sie ist die echte reine Liebe. Durchlaucht, wenn ich ein Mann waere, die muesste meine Frau werden! Sie ist so schoen wie die Sonne, und so gut wie keine Andre mehr. Wenn ich daran denke, dass sie einmal beinahe ertrunken waere, so zittre ich vor Angst!" "Ertrunken?" "Ja, ertrunken. Das ist da drueben gewesen in - na da, wo der Koenig Pharao auch ertrunken ist -!" "In Egypten?" "Ja, so heisst die Gegend. Da ist sie mit der Frau vom Koenige einmal des Abends auf dem Wasser spazieren gefahren und dabei aus dem Kahn gefallen. Herr Jesses, wie leicht konnte sie da verloren sein. Aber da ist ein Fremder gewesen, der hat sie noch erfasst und ist mit ihr an das Land geschwommen." "Wer war es?" "Das weiss ich nicht." "Aber sie weiss es?" "Auch nicht. Er hat der Koenigin seine Karte gegeben, und die hat sie wieder verloren." "Ah, wessen Karte man verliert, an Dem ist Einem nicht viel gelegen." "Das mag wahr sein, hier aber ist es sicherlich anders; denn Almah kann ihr Herzeleid darueber, dass sie ihrem Retter nicht einmal danken kann, gar nicht beschreiben." "Vielleicht findet sie ihn noch!" "Das ist moeglich, denn sie weiss wenigstens so viel, dass er Korvettenkapitaen gewesen ist. Vielleicht koennten Durchlaucht ihn ausfindig machen, da es ein Kamerad ist; aber Sie duerfen leider wegen dem Inkognito nicht mit ihr darueber sprechen. Herr Jesses, waere das schoen, wenn das Inkognito nicht waere!" "Warum?" "Weil dann zwei gute, liebe Menschen mit einander verkehren koennten, wie es sich fuer sie schickt und gehoert. Adieu, Durchlaucht; nun muss ich fort, denn es gilt, an das Diner zu denken!" Der Kapitaen laechelte still vor sich hin. Auch ihm kam es so vor, dass es weit schoener waere, wenn er sich ihr in seiner wahren Eigenschaft zeigen koenne, doch leider schien es ihm nicht gerathen, den Pascha durch das Gestaendniss der Wahrheit in Verlegenheit zu bringen. Aus diesem Grunde besorgte er einige Auftraege desselben im Laufe des Vormittags mit dienstlicher Treue, und war eben in das Schloss zurueckgekehrt, als er, die Hoehe herniederblickend, eine Lohnequipage bemerkte, welche sich dem Schlosse zu emporbewegte. Sie war offen, und er konnte deutlich die Gestalt erkennen, welche, in einen Militaerueberrock gehuellt, in stolz-nachlaessiger Haltung im Fonde sass. "Prinz Hugo! Ah, als Abgesandter seines Vaters, jedenfalls in Folge der von mir ueberbrachten Depesche!" Sein Gesicht nahm einen finstern Ausdruck an. "Heute wird er nicht die Lieutenantsuniform tragen, und - ah, wenn er Almah erblickt, so wird er Feuer und Flamme sein. Einem Charakter von seiner Ruecksichtslosigkeit ist es zuzutrauen, dass er die Heiligkeit des Gastrechtes und die Eigenschaften ihres Vaters vergisst. Doch dann wehe ihm; ich werde ueber sie wachen!" Er sorgte dafuer, dass ihn der Prinz nicht sofort zu sehen bekam, und dies fiel ihm nicht schwer, da zur persoenlichen Bedienung des Pascha einer der arabischen Matrosen von der Yacht gerufen worden war, und er nur die Aufgabe zu haben schien, die Verbindung mit der Aussenwelt zu unterhalten. Als er nach einiger Zeit in sein Zimmer zurueckkehrte und dabei an der Kueche voruebergehen musste, stand die Thuere derselben um eine Luecke offen und er vernahm die Stimme Almahs. Unwillkuerlich blieb er stehen. "Er ist kein Prinz!" "Kein Prinz?" frug die erstaunte Stimme der Kastellanin. "Wie so?" "Von Geburt mag er es wohl sein, aber nicht von Gesinnung. Einen Prinzen habe ich mir anders vorgestellt." "Wie denn ungefaehr?" "Wie - wie - nicht wie diesen Mann, dessen Augen beleidigen und dessen Hoeflichkeiten kraenken, sondern wie - wie - nun -" lachte sie - "fast so stolz, ehrlich und gut wie den Matrosen, den Papa gestern gemiethet hat. Papa sagt auch, dass er gar nicht wie ein Vordeckmann aussehe und der Sohn sehr anstaendiger Eltern sein muesse. Ich moechte gar nicht wieder hinauf zu Papa, wenn ich nicht ihm und dem Gaste die Honneurs der Tafel zu machen haette, wie sich der Prinz ausdrueckt." "Ja, ein guter Herr ist er nicht, dieser Prinz Hugo, meinte die Kastellanin; "man darf es natuerlich nur nicht oeffentlich sagen. Er wird im ganzen Lande nicht anders genannt, als der "tolle Prinz," und besonders muessen sich die jungen Damen hueten, ihm zu begegnen." "Sie ist gewarnt," dachte Arthur und trat in sein Zimmer. Als er nach eingenommenem Mittagsmahle hinaustrat und einen Blick hinunter nach der Stadt warf, sah er einen Mann emporsteigen, welcher zuweilen halten blieb und das Schloss wie einer beobachtete, welcher sich noch nicht vollstaendig klar ist ueber die besten Schritte zur Erreichung eines vorgesteckten Zieles. Er bleib zuweilen einige Augenblicke sinnend stehen und schritt dann wieder eine Strecke empor, um von Neuem sinnend innezuhalten. Endlich erreichte er doch das Thor und sah sich hier Arthur gegenueber. "Friede sei mit Dir, mein Sohn!" gruesste er salbungsvoll, das weisse Leinentuch aus der Tasche des langen Schossrockes nehmend, um sich den Schweiss von der Stirn zu trocknen. "Wer wohnt in diesem schoenen Hause?" "Es gehoert dem Fuersten von Sternburg." "Ist der Fuerst zu sprechen?" "Er ist nicht hier." "Wer vertritt ihn hier?" "Sein Sohn, Prinz Arthur." "Prinz Arthur, der Norlaendische Seekapitaen? Ist er daheim?" "Warum?" "Warum? Mein Sohn, ich bin ein Diener am grossen Weinberge Christi; was ich thue und was ich frage, das thue und frage ich auf Geheiss des goettlichen Geistes, dessen Eingebung nicht Jedermann erfahren darf. Ist der Prinz daheim?" "Warum? frage ich nochmals, denn auch ich bin ein Diener und gehorche meinem Herrn. Auf meine Auskunft kommt es an, ob er daheim ist oder nicht." "Mein Sohn, ich habe mit einem Gaste des Prinzen zu sprechen." "Wer ist dieser Gast?" "Ein Tuerke, ein Unglaeubiger, dessen Seele ich retten will vor dem ewigen Verderben. Ist der Prinz daheim?" "Jetzt ist er nicht im Schlosse anwesend; er wird Euch also in Euren frommen Bemuehungen nicht stoeren, ehrwuerdiger Vater. Geht durch das Portal und eine Treppe empor, so werdet Ihr einen Diener finden, welcher Euch anmelden kann!" "Ich danke Dir, mein Sohn. Nimm meinen vaeterlichen Segen!" Er schritt nach dem Portale zu, in welchem er verschwand. "Ein Jesuit. Die frommen Vaeter werden hier im Lande geduldet; mir sind sie ein Graeuel! Bekehrungsversuch? Pah! Jedenfalls ist es eine ganz andere Absicht, die ihn zum Pascha treibt." Er blieb am Thore halten, um die Rueckkehr des Mannes zu erwarten. Es dauerte gar nicht lange, so sah er ihn kommen. "Mein Sohn, ich muss Dir zuernen!" klang ein Vorwurf zwischen den schmalen, bleichen Lippen der hagern Gestalt hervor. "Weshalb?" "Der Unglaeubige war nicht allein; er hatte einen hohen Offizier bei sich, dessen Anwesenheit ihn verhinderte, meinen Worten Gehoer zu schenken. Warum hast Du mir nicht gesagt, dass er keine Zeit habe?" "Weil Ihr mich nicht darnach gefragt habt. Adieu!" Er wandte sich indignirt ab und ging nach dem Garten. Er wandte sich, um seinen Gedanken ungestoert nachhaengen zu koennen nach dem hintersten Theile desselben, und war kaum dort angelangt, so vernahm er seitwaerts ein Geraeusch, welches ihn emporblicken liess. Auf der hohen Mauer ritt ein Mann, welcher ihm gruessend zunickte und dann mit einem Sprunge vor ihm stand. "Was willst Du? Wer hat Dir erlaubt, auf eine so ungewoehnliche Weise hier Zutritt zu nehmen?" "Zarba!" Der Mann sprach nur dies eine Wort aus; aber es hatte eine sehr in die Augen fallende Wirkung. "Zarba?" rief Arthur. "Kennst Du sie? Wo ist sie? Schickt sie vielleicht Dich hierher?" Der Mann laechelte. Er war beinahe in Lumpen gekleidet, und sein Gesicht, der lang herabhaengende Schnurrbart und die nackten, schmutzigen Fuesse liessen in ihm einen Zigeuner erkennen. "Zu Euch, dem Prinzen nicht!" antwortete er. "Du kennst mich?" "Ich kenne Euch und liebe Euch, denn Ihr seid ein Freund von meiner Herrin, welche maechtig und gross ist unter dem Volke der Weissagung." "Wer ist Deine Herrin?" "Zarba." "Und sie sendet Dich nicht zu mir?" "Nein." "Aber Du kommst doch nach Schloss Sternburg. Was sollst Du hier?" "Es ist ein grosser Mann hier anwesend, welcher aus dem Morgenlande stammt und vom Fuersten geschickt wurde?" "Ja," antwortete Arthur erstaunt. "Wer hat Dir davon erzaehlt?" "Zarba weiss Alles. Ich muss mit diesem Manne sprechen." "Was?" "Nichts. Ich habe ihm nur ein Schreiben zu geben." "Er ist jetzt nicht allein; er hat Besuch. Du musst also warten!" "Ich kann nicht warten. Wollt Ihr dieses Papier ihm uebergeben?" "Ja." "Ich komme wieder, um mir die Antwort zu holen." Er wandte sich wieder nach der Mauer. "Halt!" gebot Arthur. "Du wirst mir einige Fragen beantworten, ehe Du von hier gehst!" "Welche?" "Wo ist Zarba?" "Das darf ich nicht sagen." "Und wenn ich Dich zwinge?" "Der Zigeuner ist frei. Ihn zwingt Niemand. Und wenn ihn die Gewalt besiegt, so stirbt er, aber sein Mund schweigt." "Aber wenn ich Dich bitte?" "Dann werde ich Euch Auskunft geben." "Nun?" "Zarba wusste, dass Ihr nach ihr fragen wuerdet, und gebot mir, Euch zu sagen, dass ihr Geist stets neben Euch wandelt, ihr Auge alles sieht, was Ihr thut und ihrem Ohre kein Laut Eures Mundes entgeht. Sie muss verborgen bleiben noch eine kleine Weile; ist aber die Zeit gekommen, so wird sie erscheinen, auch ohne dass Ihr sie ruft." "Ist sie weit von hier?" "Ich sagte, dass mein Mund schweigen und mein Fuss eilen muss. Ich habe den Mann zu verfolgen, welcher mit Euch draussen am Thore sprach." "Wer ist er?" "Eine Viper, welche Euch sticht, sobald Ihr sie beruehrt. Seid gegruesst von Zarba, der Koenigin ihres Volkes, und lebt wohl!" Einen nahe an der Mauer stehenden Baum benutzend, kletterte er auf dieselbe empor und war in der naechsten Minute auf der andern Seite verschwunden. Arthur hielt das kleine, zusammengefaltete und mit einem hoechst eigenthuemlichen Siegel versehene Billet in der Hand. Jetzt hatte er Gelegenheit gehabt, den Wunsch des Vaters zu befolgen und sich ueber Zarba vollstaendige Gewissheit zu verschaffen, doch war ihm der Bote mit der Glattheit eines Aals entschluepft. Aber er musste ja wiederkommen, um sich die Antwort zu holen, und dann gab es vielleicht Gelegenheit, die jetzt erfolglose Erkundigung mit besserer Wirkung zu erneuern. Er schritt langsam wieder dem Schlosse zu, da hoerte er leichte Schritte, welche ihm entgegenkamen, und blieb halten. Es war Almah. Der Weg hier war schmal und wurde zu beiden Seiten von Buschwerk begrenzt. Er machte Miene, sich in das Letztere einzudruecken, um den Weg freizugeben, sie aber hielt ihn mit einer Bewegung ihrer Hand davon ab. "Bill - nicht wahr, so heissest Du -?" "Ja." "Papa hat Dir wehe gethan. Sei ihm nicht gram dafuer!" Er blickte ihr in die Augen, und dann musste er die seinigen schliessen, denn er fuehlte, welche Gluth seinem Herzen entstieg, um sich in den Blick zu draengen. "Almah - nicht wahr, so heissen Sie?" "Ja." "Und wissen Sie, was dieses Wort bedeutet?" "Nein." "Almah heisst Seele, und - ohne Seele gibt es kein Leben, gibt es nur Tod. Erhalten Sie dem das Leben, welcher ohne Sie sterben muesste!" Er theilte das Gebuesch mit den Armen und zwaengte sich hindurch. Er fuehlte, dass er zuviel gesagt habe, aber bei dem Anblick dieses herrlichen Geschoepfes hatte sich die Liebe in ihm aufgebaeumt, so dass ihm die Worte wider Willen und gegen alle Absicht entfahren waren. Er suchte den verlassenen Pfad wieder zu gewinnen und war dann auf demselben noch nicht weit fortgeschritten, so vernahm er abermals ein nahendes Geraeusch. Er bog um eine Ecke und waere fast mit Prinz Hugo zusammengestossen. Dieser erkannte ihn sofort und blieb ueberrascht stehen. Er trug Generalsuniform und schien im Begriffe zu stehen, Jemand zu suchen. "Halt! Treffe ich Dich hier, Bursche?" meinte er mit einem stechenden, veraechtlichen Blicke. "Hast Du den "Jungen" an der Schlosswache vergessen? Hier, nimm ein Souvenir daran!" Er holte aus, um Arthur einen Schlag in das Gesicht zu versetzen, dieser aber erhob einfach den Fuss und versetzte ihm einen solchen Tritt in die Gegend des Magens, dass er nach hinten zwischen die Straeucher stuerzte. "Behalte mit dem "Jungen" auch das Souvenir. Nur ein Schurke nimmt etwas von Dir an!" Mit diesen Worten wandte er sich ruhig vorwaerts. Er erwartete, dass der Gegner ihm sofort folgen werde, da er aber nicht das geringste Zeichen davon bemerkte, so blieb er nach kurzer Zeit stehen. "Er ist mit dem Pascha fertig und hat bemerkt, dass Almah in den Garten ging. Jetzt folgt er ihr und wird es vorziehen, sie statt meiner aufzusuchen. Soll ich ihm folgen? Ja, denn in seiner Naehe vermag sie nur ein starker, schlagfertiger Arm vor Beleidigungen zu schuetzen!" Er schritt noch eine kurze Strecke vorwaerts und bog in einen zweiten Weg ein, welcher ebenfalls nach der Gegend des Gartens fuehrte, in welcher die beiden zu vermuthen waren. Lange blieb er ohne das geringste Zeichen, dass sie sich getroffen hatten und noch anwesend seien, endlich aber vernahm er zwei Stimmen und schritt leise der Gegend zu, in welcher dieselben ertoenten. Gerade an dem Orte, an welchem er mit dem Zigeuner gesprochen hatte, stand Almah und vor ihr der tolle Prinz, welcher vor der Begegnung mit ihr, jedenfalls die Spuren entfernt hatte, welche seine Uniform von der Begegnung mit Arthur davongetragen hatte. Man sah es dem Maedchen an, dass sie sich ihm gegenueber in Verlegenheit befand. Ihre Wangen waren geroethet, und ihr Blick irrte suchend ueber die Umgebung, als ob sie nach einer Gelegenheit spaehe, dem ihr laestigen Gespraeche zu entgehen. "Ich wiederhole, dass Ihr Vater der schoenste Mann ist, welcher meinem Blicke begegnete. Und Ihre Mutter, Fraeulein, muss alle Reize in sich vereinigt haben, welche dem Weibe gegeben sind, um sich den Mann unterthaenig zu machen." "Ich kenne nur Papa. Mutter starb, als ich noch ein Kind war," antwortete sie verlegen. "Kein Wunder," fuhr der Prinz fort, ohne auf ihre Worte zu achten, "dass ich in Ihnen die herrlichste aller Frauen vor mir sehe. Fraeulein, sie haben keine Ahnung von der Gewalt, mit welcher Ihr Anblick Jeden packt, welcher in Ihre Naehe kommt - - -" Er erfasste ihre Hand, die sie ihm aber zu entziehen suchte. "O, lassen Sie mir dieses kleine suesse Haendchen! Ich muss es kuessen; ich muss meinen Arm um diese unvergleichliche Taille legen, muss dieses bezaubernde Koepfchen an mein Herz ziehen, um diese Lippen - - -" "Prinz," rief sie, "lassen Sie mich!" "Dich lassen?" antwortete er, die sich mit aller Macht Straeubende fest an sich ziehend. "Das waere das unverzeihlichste Verbrechen gegen die Goettlichkeit des Schoenen. Nein, festhalten werde ich Dich, Du Entzueckende, um von Deinen Lippen Wonne und Seligkeit zu trinken!" Sie wandte alle ihr zu Gebot stehende Kraft an, sich aus seiner Umarmung zu befreien, vergebens. "Lassen Sie mich, Prinz, sonst rufe ich um Huelfe!" "Rufe, mein Herz,; es wird Dich hier Niemand hoeren!" antwortete er, sich mit seinem Munde ihren Lippen nahend. "Sie braucht nicht zu rufen, denn sie ist bereits gehoert worden," ertoente eine feste, ruhige Stimme, und der Matrose stand vor ihm. "Lassen Sie meine Herrin los, Prinz!" "Ah, Du bist es?" erklang es knirschend. "Schoen, ich werde sogleich mit Dir abrechnen, vorher aber muss ich diese Lippen - - -" Er kam nicht zum Kusse, denn Arthur packte ihn, so dass er die Arme von Almah lassen musste, und schleuderte ihn mit solcher Wucht an die Mauer, dass er zusammenknickte. Dennoch aber raffte sich der Prinz schnell wieder empor und zog den Degen. "Hund, das wagst Du! So stirb!" Arthur fasste ihn bei der Faust und entriss ihm den Degen. "Sterben, nicht wahr, wie gestern Karl Goldschmidt, Dein Opfer? Du bist ein ehrloser Schurke, und ich werde Dich als solchen kennzeichnen, damit fortan die Unschuld vor Dir sicher sei!" Er entriss ihm den Degen, zertrat denselben mit dem Fusse und schleuderte ihm das Gefaess mit solcher Kraft in das Gesicht, dass ein rother Blutstrahl aufspritzte. Vor Wuth und Schmerz laut heulend, stuerzte sich der Getroffene auf ihn, fuehlte sich aber sofort mit unwiderstehlicher Kraft gepackt und zu Boden geworfen. Dann riss der starke Seemann eine Ruthe vom naechsten Busche und zog ihm dieselbe wiederholt ueber das Angesicht. "So, an diesem Zeichen soll man Dich erkennen, und der gestrige Tag soll der letzte sein, an dem es Dir gelingt, ein Maedchen zu bethoeren!" Ein maechtiger Faustschlag vollendete den Sieg; der Prinz lag entehrt und besinnungslos am Boden. Als sich Arthur erhob war Almah entflohen. - - - Zehntes Kapitel. Vor Jahren. Frueher stieg der dichte Wald viel weiter von den Bergen herab als jetzt, und erstreckte einen seiner Auslaeufer sogar bis auf einige Meilen von der Hauptstadt hernieder. Eine weit in diese Forstzunge eindringende Umfriedung schloss ein Wildgehege ab, in welches einzudringen Jedermann ausser dem Forstpersonale verboten war. Dennoch befanden sich eines Tages innerhalb der Umzaeunung Personen, deren Habitus man sehr leicht ansehen konnte, dass sie weder zu diesem Personale noch zu sonst irgend welchen Berechtigten zaehlten. Zwischen zwei hohen Eichen, die wohl an die tausend Jahre zaehlen mochten und ihre stammesdicken Aeste weit in die Luft hinausstreckten, stand ein altersschwacher vierraedriger Karren. Der Gaul, welcher ihn gezogen haben mochte, weidete im hohen Grase, dessen saftige Stengel zwischen Moos und allerlei Gruen hervorragten. Am Stamme des einen Baumes loderte ein helles Feuer, an welchem, ueber zwei Astgabeln gelegt, ein Rehruecken briet, den ein kaum zehnjaehriger Junge mit einer Miene drehte, die ebensoviel Kennerschaft wie inneres Behagen ausdrueckte. Der Knabe war nur halb bekleidet, und ebenso mangelhaft oder defekt zeigte sich die Umhuellung der andern Personen, welche in mancherlei Stellungen um das Feuer sassen oder lagen, um der Zubereitung des leckern Bratens zuzuschauen. Sie alle zeigten jene unverkennbaren Zuege, welche der Physiognomie des Zigeuners eigenthuemlich sind, schienen jedoch trotz ihres mehr als anspruchslosen Aeusseren nicht jenen nomadisirenden Horden anzugehoeren, welche Raub und Diebstahl als ihr eigentliches und eintraeglichstes Gewerbe betreiben. Auf dem Wagen sass auf einigen alten Betten - gewiss ein sehr ungewoehnlicher Luxus bei einer fahrenden Zigeunerbande - eine uralt scheinende Frau, jedenfalls die Vajdzina, und war beschaeftigt, aus einigen verschlossenen und farblosen Fetzen irgend ein Kleidungsstueck herzustellen, dessen Art und Zweck jedoch nicht zu erkennen war. Auf der Deichselgabel ruhte der Vajdzina, bald einen Blick auf die Alte werfend, bald die immer dunkler werdende Farbe des Rehrueckens musternd und dabei aus einem kurzen Pfeifenstummel den Rauch eines Krautes ziehend, dessen Geruch eine Verwandtschaft mit der Kartoffel als sehr wahrscheinlich erscheinen liess. Auch die Zigeunermutter rauchte, aber der Geruch ihres Tabaks war ein anderer. Es waere vielleicht moeglich gewesen, dass der feinste Kenner das Aroma dieser Sorte bewundert haette. Bei der Stille, welche ringsum herrschte, waren ferne Laute zu vernehmen, welche als gedaempfter Schall eines Gespraeches durch die Buesche drangen und von zwei Personen herruehrten, die sich von der Gesellschaft zurueckgezogen hatten und einige hundert Schritte vom Wagen entfernt einander sich gegenueber befanden. Die eine von ihnen war ein Maedchen. Sie mochte kaum siebzehn Jahre zaehlen, aber ihre Formen waren beinahe diejenigen eines vollendeten Weibes, schwellend und ueppig und doch dabei so fein und zart, als haette eine einzige Stunde einem kindlichen Koerper die Vollkommenheiten der entwickelten Jungfrau verliehen. Ihr kleines Koepfchen vermochte kaum die Fuelle des reichen Haares zu tragen, welches ihr in einem langen, dichten, blauschwarz schimmernden Strome ueber den Nacken herniederfloss; die ideale Stirn, etwas egyptisch vorstehend, das feine, kleine Naeschen mit den leicht beweglichen, trotz der dunklen Gesichtsfarbe rosa angehauchten Nasenfluegeln, der schwellende, kleine Mund, zwischen dessen Lippen zuweilen zwei Reihen blendender schmaler Zaehnchen zu bemerken waren, das mit einem liebenswuerdigen Gruebchen versehene Kinn, alle diese Einzelheiten gaben ihrem Antlitze einen Ausdruck, welcher den Kenner weiblicher Schoenheit entzuecken musste. Vor Allem aber war das Auge bewundernswerth. Aus der orientalisch-mandelfoermig geschlitzten Oeffnung desselben strahlte unter den langen Lidern und seidenen Wimpern der tiefschwarze Stern eine Gluth hervor, welche aus geheimnissvollen, unbewussten Tiefen zu kommen schien, eingehuellt vom Schleier jungfraeulicher Ahnungslosigkeit, und doch zuweilen auf einen Augenblick so maechtig und unwiderstehlich hervorbrechend, dass sie sicher Jeden traf, der sein Herz diesem Blicke unbewacht entgegenstellte. Sie sass in halb nachlaessiger, halb stolzer Haltung im Moose. Ihre Kleidung war bei weitem besser und vollstaendiger, als die der Anderen, und es liess sich leicht bemerken, dass auf dieselbe diejenige Sorgfalt verwendet wurde, welche auch unter den misslichsten Umstaenden jedes weibliche Wesen fuer ihr Aeusseres besitzt. Die andere Person war ein Juengling. Er hatte sich mit dem Ruecken an einen nahen Baum gelehnt und die Arme ueber der Brust in einander geschlungen. Leute, welche gern oder auch unbewusst eine solche Stellung einzunehmen pflegen, besitzen gewoehnlich eine bedeutende Entwicklung derjenigen Eigenthuemlichkeiten, deren Gesammtheit man mit dem Worte Charakter bezeichnet. Ein aufmerksamer Beobachter haette sich vielleicht ueber die Farbe seiner Haut verwundert. Sie war weder weiss, wie dies bei dem Kaukasier zu sein pflegt, noch hatte sie diejenige Braeune, welche den Zigeuner kennzeichnet; eher haette man sie grau nennen koennen, grau, vermischt mit demjenigen Braun, welches von Wind und Wetter und den Einwirkungen der Sonne herruehrt. Er trug ein Paar kurze, weite Hosen, welche sicher fuer andere Koerperverhaeltnisse gefertigt worden waren; zwischen ihnen und der Jacke, welche vielfach zerrissen war und fuer einen weit juengeren Menschen gefertigt zu sein schien, blickte ein schmutziges Hemd hervor; den Kopf bedeckte eine Muetze, welche ihr Schild verloren hatte; die Fuesse waren nackt und durch die Aermel der Jacke blickte stellenweise ebenso nackt der muskuloese Arm. Durch eines dieser Loecher blickte in tiefem Schwarzroth eine wunderbare Zeichnung, welche gleich einer Taetowierung der eigenthuemlich gefaerbten Haut eingepraegt war. Sie stellte ein Wappen vor, dessen einzelne Zuege allerdings so ausgezogen und ausgedehnt erschienen, dass das Ganze einen gewissen Grad von Undeutlichkeit besass und es sehr anzunehmen war, dass die Taetowierung bereits vor laengeren Jahren angebracht worden sei. Sein Haar besass eine tiefschwarze Farbe; ein aufmerksamer Beobachter haette aber doch vielleicht bemerkt, dass es an den Wurzeln einen bedeutend lichteren Ton zeigte und die Haut unter ihm so rein und weiss war, wie man sie vorzugsweise bei blonden Leuten beobachtet. Das Gesicht hatte unbedingt ein nordisches Gepraege. Die ungewoehnlich hohe und breite Stirn, das offene, blaugraue Auge, die geradegeschnittene Nase, das laengliche, regelmaessige Oval des Gesichtes deuteten nicht auf eine indische oder egyptische Abstammung hin, und so kam es, dass der Juengling in seinem gegenwaertigen Habitus einen beinahe befremdenden Eindruck hervorbrachte, welcher unterstuetzt wurde durch die Ruhe und Sicherheit seiner Haltung und Bewegungen, welche bedeutend abstach gegen das Rastlose und Unstaete, welches den Zigeuner zu aller Zeit gekennzeichnet hat. Trotz dieser aeusseren Ruhe schien er sich in einer innern geistigen Erregung zu befinden. Seine Zuege glaenzten, sein Auge leuchtete ekstatisch, und der Blick desselben schien in weite, weite Fernen gerichtet und Gestalten zu schauen, deren Anblick dem gewoehnlichen Sterblichen versagt ist. Das Gesicht des Maedchens nahm den Ausdruck der Bewunderung an, als sie in anerkennendem Tone ausrief: "Katombo, Dir ist ein Geist gegeben, der groesser und maechtiger ist, als die Gabe der Weissagung. Soll ich Dir noch eine Aufgabe ertheilen?" "Thue es , Zarba!" antwortete er. "Weisst Du, wo Bhowannie, die Goettin der Gitani, wohnt?" "Auf Nossindambo, welches vom Volke der Christen Madagaskar genannt wird." "Richtig! Hoch droben im Ambohitsmenegebirge steht ihr Thron, und tief unter den Bergen von Befour schlaeft sie des Tages, um erst beim Beginn des Abends zu erscheinen. Kannst Du Dir denken, wie sie aussieht? An stillen Abenden glaenzt ihr Haupt in den Sternen, und mit lieblichem Laecheln badet sie die schimmernden Fuesse in den wogenden Fluthen des Meeres, bis der Tag erscheint, vor dessen Kusse sie nach Westen flieht. Kannst Du das beschreiben in der Sprache, welche die Dichter reden?" Er nickte selbstbewusst. "Ich kann es." "So thue es!" "Nun denn, wenn Du meinem Kusse nicht entfliehst, wie sie der Umarmung des Tages!" "Du darfst mich kuessen, Katombo, denn Du bist mein Bruder." "Dein Bruder? Ich will den Kuss der Liebe, aber nicht den Kuss einer Schwester!" Sie zoegerte einen Augenblick mit der Antwort, dann meinte sie: "Du sollst ihn haben. Jetzt aber beginne!" Er blickte traeumerisch vor sich hin; dann erhoben sich seine Arme zur Gestikulation, und ohne Pause oder Unterbrechung stroemten ihm die Verse von den Lippen: "Wenn um die Berge von Befour Des Abends erste Schatten wallen, Dann tritt die Mutter der Natur Hervor aus unterird'schen Hallen, Und ihres Diadems Azur Erglaenzt von funkelnden Kristallen. In ihren dunklen Locken bluehn Der Erde dueftereiche Lieder; Aus ungemess'nen Fernen gluehn Des Kreuzes Funken auf sie nieder, Und traumbewegte Wogen spruehn Der Sterne goldne Opfer wieder. Doch bricht der junge Tag heran, Die Tausendaeugige zu finden, Laesst sie ihr leuchtendes Gespann Sich durch purpurne Thore winden, Sein Angesicht zu schaun, und dann Im fernen Westen zu verschwinden." Das Maedchen war seinen Worten mit der Miene einer Kunstkennerin gefolgt. Sie neigte jetzt langsam den Kopf und meinte: "Die Christen haben viele Dichter, aber Keiner von ihnen allen besitzt den schnellen, glaenzenden Geist, der in Dir wohnt, Katombo." Er laechelte matt. "Mein Volk ruehmt und preist mich als seinen besten Dichter, Zarba, aber ich gebe allen Ruhm und allen Preis hin fuer einen freundlichen Blick und fuer ein gutes Wort von Dir. Ich nehme mir jetzt meinen Kuss!" Er that einen Schritt auf sie zu, sie aber wehrte ihn mit einer schnellen Bewegung ihres Armes ab. "Warte noch, denn Du bist nicht zu Ende!" "Ich bin fertig!" "Nein, denn Du hast Bhowannie geschildert blos wie sie erscheint an stillen, milden Abenden. Aber wenn sie ihrem Volke grollt, dann erblickst Du sie ganz anders. Der Himmel bedeckt sich mit Wolken; die Wogen stuerzen sich mit -" "Halt!" gebot er ihr. "Ich will nur Deinen Kuss, nicht aber Deine Unterweisung. Hoere mich weiter, dann aber bin ich zu Ende und nehme mir meinen Lohn. Es ist dieselbe Goettin, darum sollen meine Worte auch dasselbe Gewand und denselben Vers besitzen." Er besann sich kaum einige Sekunden lang, ehe er begann: "Wenn um die Berge von Befour Des Abends dunkle Schatten wallen, Dann tritt die Mutter der Natur Hervor aus unterird'schen Hallen Und laesst auf die versengte Flur Des Thaues stille Perlen fallen. Des Himmels Seraph flieht, verhuellt Von Wolken, die sich rastlos jagen; Die Erde laesst, von Schmerz erfuellt, Den Blumen bitt're Thraenen tragen, Und um verborg'ne Klippen bruellt Die Brandung ihre wilden Klagen. Da bricht des Morgens gluehend Herz, Er laesst den jungen Tag erscheinen; Der kuesst den diamant'nen Schmerz Von tropfenden Karfunkelsteinen Und traegt ihn liebend himmelwaerts, Im Aether dort sich auszuweinen." Er hatte geendet und liess nun sein Auge forschend auf dem Antlitze des Maedchens ruhen. Sie blickte vor sich nieder, und die langen Wimpern verhuellten den Ausdruck dessen, was sie jetzt empfinden und denken mochte. "Zarba!" "Katombo!" "Meinen Kuss!" "Schenke ihn mir!" "Sie erhob die Lider, und ihr Blick suchte halb kalt halb mitleidig den seinigen. "Warum?" "Was nuetzt er Dir?" "Was er mir nuetzt? Was nuetzt dem Auge das Licht, dem Munde die Speise, dem Herzen das Blut? Soll das Auge erblinden, der Mund verstummen und das Herz brechen und sterben, weil sie nicht haben duerfen, was ihnen Leben gibt?" "Stirbst Du ohne meinen Kuss?" Seine Gestalt richtete sich hoeher auf und sein Auge flammte. "Zarba, Du hast mich geliebt, mich allein. Wir sind Verlobte, und bald bist Du mein Weib. Du selbst hast es so gewollt, und die Vajdzina hat unsre Haende in einander gelegt. Wie oft hast Du gesagt, dass Du sterben muesstest ohne mich! Dein Herz hat an dem meinen geschlagen, Deine Lippe auf der meinigen geruht; wir haben zusammen gehungert und zusammen geschwelgt; ich habe Leben und Glueck aus Deinem Auge getrunken - ja, ich wuerde sterben, wenn der Tod Dich mir entriss!" "Ich sterbe nicht." "Ich war noch nicht zu Ende. Ich wuerde freudig mit Dir sterben; aber wenn ich Dich anders verlieren sollte, als durch den Tod, so - so - so -" "Nun, so - ?" "So - so wuerde ich leben bleiben, denn ich haette die Aufgabe zu erfuellen, welcher jeder Boinjaare kennt, dem ein Anderer sein Weib oder seine Braut entreisst!" "Und die ist?" "Rache!" Sie blickte beinahe erstaunt zu ihm empor. Dann flog ein unglaeubiges Laecheln ueber ihre Zuege. "Rache? Katombo und Rache? Hat der weiche Katombo jemals einen Wurm zertreten? Hat er ein einziges Mal fuer die Seinigen das gethan, was die Christen Betrug und Diebstahl nennen? Du hast den Geist des Dichtens, aber Du bist kein Mann. Du sprichst von Boinjaarenrache und musst jeden Mond Haar und Haut Dir dunkler faerben. Bist Du ein Gitano?" "Was gibt mehr Recht, ein Gitano zu sein: die kurze Stunde der Geburt oder die langen Jahre des Lebens? Der Vajda hat mich im Walde gefunden, und Niemand kennt meine Eltern; aber ich bin bei Euch gewesen allezeit, die Vajdzina nennt mich ihren Sohn, und daher darf ich sagen, dass ich ein Gitano bin. Gieb mir meinen Kuss!" "So nimm ihn Dir!" Sie sprach diese Worte kalt und gleichgiltig, ohne jede einladende Miene oder Bewegung. Seine Stirn verfinsterte sich; er rang mit dem aufwallenden Zorne, und seine Stimme zitterte leise, als er antwortete: "Behalte ihn; aber vergiss niemals, dass Deine Lippen mir gehoeren, sonst muesste ich Dir beweisen, dass ich trotz meiner weissen Haut ein aechter Boinjaare bin!" Seine Worte klangen wie eine Drohung, doch sein Auge glaenzte feucht. Sie sah es, sprang empor und schlug die Arme um seinen Hals. "Vergib mir!" bat sie, ihn kuessend. "Ich habe Dich lieb, Katombo, aber -" Sie stockte. Er legte den Arm um sie, drueckte sie innig an sich und frug: "Aber -? Sprich weiter, Zarba!" "Ich kann nicht!" antwortete sie. "Warum nicht?" Sie sah mit einem Blicke zu ihm empor, in welchem es halb wie Scheu und halb wie Bitte um Vergebung glaenzte. "Du wirst es noch erfahren, Katombo; aber selbst dann noch musst Du glauben, dass ich Dich immer lieb gehabt habe." "Ich weiss es; aber seit einigen Tagen ist Dein Herz stumm, Dein Angesicht kalt, und dennoch leuchtet zuweilen Dein Auge wie ein Stern, dem eine Sonne neuen Glanz verliehen hat. Zarba, bleibe mein, damit ich nicht mich selbst mit Dir verliere! Es lag wie eine grosse Angst in seinen schoenen, ehrlichen Zuegen, als er sie jetzt so fest an sich nahm, dass er ihr beinahe wehe that. In diesem Augenblick raschelte es in einem nahen Busche, und eine laute Stimme gebot: "Fass, Tiger!" Ein riesiger Fanghund schoss hinter dem Strauche hervor und warf sich von hinten auf Katombo. "Nieder!" erscholl ein zweites Kommando. Der Hund erfasste den Zigeuner im Genick und riss diesen zu Boden, ehe er nur an Gegenwehr zu denken vermochte. "Festhalten!" Mit diesem Worte trat der Herr des Thieres jetzt herbei. Es war ein junger Mann von nicht viel ueber dem Alter des Zigeuners; er trug eine Jagdkleidung mit Uniformschnitt und liess auch ohne dies in seiner ganzen Haltung und Erscheinung den Offizier erkennen. Zarba war von dem Vorgange tief erschrocken, und dennoch ging eine tiefgluehende Roethe ueber ihr braunes Angesicht. Der Fremde trat zu ihr und fasste ihre Hand. "Wer ist der Mensch, der es wagt, Dich zu umarmen?" frug er. "Katombo." "Katombo -? Das ist sein Name, und mir nicht genug!" "Er ist - mein - - Bruder," antwortete sie stockend. "Dein Bruder? Nichts weiter?" frug er, den am Boden Liegenden mit finsterem Auge musternd. "Nichts weiter!" "Ah! Umarmt und kuesst man einen Bruder in dieser Weise?" Sie schwieg, sichtlich in tiefer Verlegenheit. Er legte den Arm um sie und zog sie trotz ihres Widerstrebens an sich. "Wenn er wirklich nur Dein Bruder ist, so mag er auch sehen, was ich thue." Er naeherte seine Lippen ihrem Munde, kam aber nicht zum Kusse, denn ein lauter Schrei des Hundes liess ihn hin nach diesem blicken. Trotz der Gefaehrlichkeit eines solchen Vorhabens hatte Katombo dem ueber ihm stehenden Thiere mit einer blitzschnellen Bewegung beide Haende um den Hals geschlagen und ihm die Kehle so zusammengedrueckt, dass es machtlos zu Boden sank. "Mensch, was wagst Du!" rief der Jaeger, nach seiner Buechse fassend. "Lass ab vom Hunde, oder ich schiesse Dich nieder!" Katombo lag noch immer am Boden. Er laechelte ruhig. "Vom Hunde lassen, dass er mich dann zerreisst?" frug er. "Mensch, Du bist ausserordentlich klug!" Mit der Linken den Hund festhaltend, zog er mit der Rechten sein Messer hervor und stiess die Klinge desselben dem Thiere bis an das Heft zwischen die Rippen. "So stirb!" schnaubte der Jaeger, das Gewehr zum Schusse erhebend. Er drueckte auch wirklich ab. Der Zigeuner warf sich gedankenschnell zur Seite; die Kugel bohrte sich hart neben seinem Kopf in den Boden. Im Nu sprang er jetzt auf, stuerzte sich auf den Gegner, riss diesen nieder und schwang sein Messer ueber ihm. "Stirb Du jetzt!" "Der Stoss waere unbedingt toedtlich gewesen, wenn nicht Zarba den hoch erhobenen Arm gefasst und mit Aufbietung aller Kraft gehalten haette. "Thue ihm nichts, Katombo, es ist der Herzog!" "Und wenn er der Koenig waere! Warum hast Du vorher nicht auch ihm gesagt, dass er mir Nichts thun soll?" Er versuchte, seinen Arm aus ihren Haenden zu befreien, waehrend er mit dem andern den sich baeumenden Gegner fest am Boden hielt. Es gelang ihm, und sicher haette er seine Drohung wahr gemacht, wenn nicht ein zweites und viel nachhaltigeres Hinderniss eingetreten waere. "Halt!" erscholl es laut und gebieterisch von der Seite her, nach welcher hin sich das Lager der Zigeuner befand. Es war die Vajdzina, welche den Schuss gehoert hatte und mit den Ihrigen herbeigeeilt war. Sie schlug bei dem Anblicke des zu Boden Gerissenen vor Schreck die Haende zusammen. "Der Herzog! Der hohe, gute, schoene, blanke Herr, der uns erlaubt hat, hier im Gehege zu lagern und so viel Wild zu verspeisen, wie wir wollen! Bist Du wahnsinnig, Katombo? Lass ihn los!" Der Zigeuner gehorchte und erhob sich, doch ohne das Messer wegzuthun. Auch der Jaeger stand auf; sein Angesicht gluehte vor Grimm und Beschaemung. Die Zigeunermutter liess sich vor ihm auf das Knie nieder und zog den Saum seines Rockes an die Lippen. "Verzeiht ihm, grossmaechtigster Herr! Er ist sanft und gut, und Ihr muesst ihn sehr gereizt haben, dass er es gewagt hat, sich an Euch zu vergreifen." "Gereizt? Kann ein solcher Bube sich erfrechen, sich fuer gereizt zu erklaeren von dem Herzog von Raumburg?" "Er wollte Zarba kuessen und schoss auf mich!" entschuldigte sich Katombo. "Er erstach meinen besten Hund!" knirschte der Herzog. "Hund um Hund, Blut um Blut!" Er griff nach der Buechse, die ihm entfallen war. Ihr zweiter Lauf war noch geladen. Er erhob sie, um gegen Katombo loszudruecken. Da aber trat Einer aus der Zahl der Zigeuner hervor und stellte sich vor die Muendung des Gewehres. "Legt die Waffe weg, Herr! Mein Name ist Karavey; Katombo ist mein Bruder, und wenn Ihr nicht von ihm lasst, so ist es sehr leicht moeglich, dass es Euch wie Eurem Hunde geht!" "Oho! Wollt Ihr Beide des Todes sein? Ich pflege nicht zu spassen, am allerwenigsten aber mit Gesindel von Eurer Sorte!" Die Vajdzina trat nochmals zwischen die Streitenden. "Seid gnaedig, Herr General! Der Zorn spricht oft Worte, von denen das Herz Nichts wissen mag. Der Gitano kennt keinen andern Richter als seinen Vajda und seine Vajdzina; jedem andern weiss er sich zu entziehen; das gebietet ihm sein Gesetz. Wenn Katombo Euch beleidigt hat, so klagt ihn an, und ich werde ihn zu strafen wissen." Der Grimm des Herzogs schien einer entgegengesetzten Gesinnung Platz zu machen; er laechelte satyrisch und meinte: "Ihr wollt die Richterin sein? Nun wohl; ich werde mich Eurem Gebrauche fuegen. Dieser Mensch hat meinen Hund getoedtet und mir nach dem Leben getrachtet; womit werdet Ihr ihn bestrafen?" "Welche Strafe verlangt Ihr?" "Ich verlange sein Leben, fuenfzig Hiebe fuer Denjenigen, der sich seinen Bruder nannte, und dann die Raeumung des Geheges. Ich habe Euch aus Gnade und Barmherzigkeit die Erlaubniss ertheilt, hier sein zu duerfen, und es kann nicht meine Absicht sein, dafuer in Lebensgefahr zu schweben." "Hoher Herr, Eure Guete war gross, aber die Dankbarkeit der Vajdzina war auch so, wie Ihr sie verlangtet," antwortete die Alte mit einem unwillkuerlichen Seitenblick auf Zarba. "Ihr hetztet den Hund auf Katombo, daher wurde er von diesem getoedtet; Ihr wolltet Katombo erschiessen, daher suchte er sich zu vertheidigen. Waehlt eine mildere Strafe!" "Nun wohl, Alte, ich will mich auch jetzt noch gnaedig finden lassen. Ich hetzte den Hund auf diesen Burschen, der sich von Zarba kuessen liess, und er toedtete ihn, weil dann ich sie kuessen wollte. Wenn jetzt Zarba vor allen Euren Augen mich dreimal kuesst, soll Alles vergeben sein." Das Maedchen ergluehte und Niemand antwortete, "Nun?" frug der Offizier. "Es steht in Eurer Wahl, meine Gnade zu haben oder vor einem andern und strengen Gerichte zu stehen!" Die Vajdzina erhob die Hand gegen Zarba: "Gehe hin und kuesse ihn!" "Halt!" rief Katombo. "Zarba ist meine Braut; ihr Kuss darf keinem Andern gehoeren, als nur mir allein!" Der Offizier laechelte veraechtlich. "Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; dann ist es zu spaet, und ich lasse die beiden Burschen arretiren." "Kuesse ihn!" gebot die Mutter zum zweiten Male. Obgleich tief verlegen und mit verschaemtem, gluehendem Angesichte, that Zarba doch einen Schritt nach dem Herzog hin. "Bleib, Zarba," rief ihr Bruder Karavey. "Eine Gitana kuesst nur den Zingaritto!" "Und mich wirst Du verlieren, wenn Du ihn kuessest," fuegte Katombo hinzu. "So seid Ihr Alle verloren," entschied der Herzog. "Raeumt sofort das Gehege! Wer in einer Viertelstunde in demselben noch betroffen wird, wird als Wilddieb behandelt. Und fuer die beiden stolzen Gitani werde ich noch extra Sorge tragen." "Kuesse ihn!" befahl die Mutter zum dritten Male. "Ich muss, denn die Vajdzina gebietet es!" klang die Entschuldigung Zarba's. Sie trat schnell auf den Herzog zu, legte die Arme um seinen Nacken und drueckte drei fluechtige Kuesse auf seine Lippen. Katombo stiess einen Schrei des Schreckens und der Wuth aus und wollte sie zurueckreissen; der Vajda aber ergriff ihn am Arme. "Halt, Katombo! Die Vajdzina hat es geboten, und was sie befiehlt, das wird ohne Widerrede befolgt. Koennen wir nun bleiben, hoher Herr?" "Bleibt!" antwortete der Befragte. "Doch huetet Euch in Zukunft sehr, etwas gegen meinen Willen zu unternehmen. Habt Ihr einen Wunsch, so soll ihn mir Niemand sagen, als nur Zarba allein. Merkt Euch das!" Er wandte sich und ging, ohne Jemand noch eines Blickes zu wuerdigen. Am Ausgange des Geheges traf er auf einen Wildhueter, welcher mit der Miene tiefster Unterthaenigkeit militaerisch gruesste. "Wer hat heut Dienst, Stephan?" "Alle, Excellenz, da keiner Urlaub nahm." "Kennst Du saemmtliche Zigeuner?" "Ja." Seine Miene liess errathen, dass die Anwesenheit der Genannten nichts weniger als seine Billigung hatte. "Auch den, welchen sie Katombo nennen?" "Auch den. Er ist noch das beste Mitglied der ganzen Sippschaft." "Warte, bis ich ein solches Urtheil von Dir verlange! Uebrigens sollt Ihr die Leute baldigst loswerden; sie haben sich groeblich gegen mich vergangen und werden ihre Strafe erhalten, doch wuensche ich nicht, dass hiervon gesprochen wird. Kannst Du schweigen?" "Excellenz kennen mich wohl!" "Allerdings. Getraust Du Dich, diesen Katombo gefangen zu nehmen?" "Ich werde jedem Befehle Eurer Excellenz gehorchen." "Es soll jedes Aufsehen dabei vermieden werden!" "Sehr wohl!" "Besonders soll Niemand wissen, wer den Befehl gegeben hat und wohin der Gefangene kommt." "Werde es so einzurichten wissen." "Ich komme heut Abend in den Forst. Katombo wird sich dann gefesselt im Bloessenhause befinden." "Wie viel Uhr?" "Elf." "Werde puenktlich sein, Excellenz. Doch wenn er sich wehrt oder zu laut wird, welche Mittel darf ich in Anwendung bringen?" "Jedes beliebige, welches dazu dient, ihn zum Schweigen zu bringen." "Und wenn dann dieses Schweigen etwas laenger dauern sollte, als man vorher annehmen konnte?" "So wird Dir nicht der geringste Schaden daraus erwachsen. Ich will heut Abend Punkt elf Uhr den Zigeuner im Bloessenhause haben, das Uebrige zu arrangiren ist lediglich meine eigene Sache. Du hast Dich zu der vierten Unterfoersterstelle gemeldet?" "Nein." "Warum nicht?" "Weil ich mich der Protektion des Oberfoersters nicht zu erfreuen scheine und weil ich auch noch nicht eine solche Dauer mich im Dienste befinde, dass ich auf Beruecksichtigung rechnen koennte." "Melde Dich!" "Wenn Durchlaucht befehlen, werde ich es thun!" "Du wirst die Stelle haben und Deine weitere Zukunft steht ebenso in meiner Hand, wie Du wohl wissen wirst. Nur merke Dir, dass ich strikte Erfuellung meiner Befehle und die strengste Verschwiegenheit liebe." Er ging. Stephan trat zum Thore des Geheges zurueck, welches er zuvor offen gelassen hatte, und verschloss es. Es war frueher stets streng verwahrt gewesen, damit das Wild nicht aus dem Gehege zu entfliehen vermochte. Vor einigen Wochen jedoch hatte der Herzog den Befehl ertheilt, eine Zigeunerbande in das Letztere aufzunehmen, ihr den noethigen Aus- und Eingang zu gestatten und es nicht zu bemerken, wenn diese Leute zuweilen ein Wildpret fuer ihren eigenen Bedarf verwenden sollten. Diese sonderbare Ordre hatte boeses Blut unter dem saemmtlichen Aufsichtspersonale hervorgerufen. Zigeuner im Wildgehege, welches sonst auch dem hoechsten Staatsbeamten, dessen Ressort sich nicht auf die Forstwirthschaft erstreckte, verschlossen blieb! Hierzu musste es eine sehr dringende und vielleicht auch eigenthuemliche Veranlassung geben. Man forschte nach ihr und fand sie auch sehr bald. Unter der Bande befand sich ein Maedchen von so seltener, wunderbarer Schoenheit, dass sie Jeden entzueckte, der sie zu Gesichte bekam. Auch der Herzog hatte sie gesehen und kam nun taeglich in das Gehege, um mit ihr zusammenzutreffen; dies geschah theils in Gegenwart der Zigeuner, theils aber auch heimlich, wie die Forstleute beobachteten, und nun war das Raethsel geloest. Die Bande durfte ihren Aufenthalt im Wildgarten nehmen und sich sogar an den gehegten Thieren vergreifen, damit der Herzog Gelegenheit finde, mit der schoenen Zarba zu verkehren. Das Maedchen schien in ihrer Unerfahrenheit von einem Rausche ergriffen zu sein. Man hatte sie oft an der Seite, ja in den Armen des Herzogs gesehen, und daher kam es dem Forstwart Stephan ganz unerwartet, dass so gewaltthaetige Massregeln gegen ein Mitglied ihrer Familie ergriffen werden sollten, und ebenso war er ueber die unverhoffte Mittheilung erstaunt, welche sich auf die Entfernung der Zigeuner bezog. Allerdings frug er sich nicht nach den naeheren Gruenden des ihm gewordenen Auftrages; der Herzog war sein hoechster Vorgesetzter, von dessen Wohlwollen seine ganze Zukunft abhing, und da er ein keineswegs empfindsames Gemuethe besass, so konnte es bei ihm nichts anderes als den blindesten Gehorsam geben. Den Eingang hatte er verschlossen, um der Gegenwart Katombo's sicher zu sein; jetzt schritt er der Richtung zu, in welcher sich das Zigeunerlager befand. In der Naehe desselben vernahm er eine zornige Stimme und erkannte, vorsichtig naeher tretend und hinter dem Stamme eines Baumes Posto fassend, Katombo, welcher mit zorniger Miene vor Zarba stand. "Sagte ich Dir nicht, dass ich Dir verloren sei, wenn Du ihn kuesstest? Und dennoch hast Du es gethan!" warf er ihr vor. "Ich habe es gethan, doch nur um Deinet- und um Karaveys willen," antwortete sie. "Das glaube ich nicht! Warum verweigertest Du mir den Kuss, als wir noch alleine waren? Warum schickt die Vajdzina mich stets zur Stadt, wenn dieser Herzog in das Gehege kommt? Sollst vielleicht Du das Fleisch, welches wir geniessen, bezahlen und die Erlaubniss, hier im Walde bleiben zu duerfen?" "Bist Du eifersuechtig?" frug sie mit einem Laecheln, in welchem sich doch ein gewisser Grad von Verlegenheit zeigte, welchen er bemerken mochte. "Eifersuechtig? Ein verstaendiger Mann kann nie eifersuechtig sein, und ich glaube sehr, dass ich meinen Verstand habe. Der Mann eines treuen Weibes und der Verlobte eines braven Maedchens, Beide haben keine Veranlassung zur Eifersucht; welches Weib aber diese Veranlassung gibt, die ist nicht mehr werth, dass sich das Herz des Mannes mit ihr beschaeftigt." "Ich musste thun, was mir die Vajdzina gebot!" "Du musstest thun, was ich Dir gebot, denn Deine Lippen waren mein Eigenthum seit dem Tage, an welchem Du mir sagtest, dass Du mich liebtest und meine Braut wurdest. Du hast mir dies Eigenthum zurueckgeraubt und an einen Andern verschenkt, der nur ein schnoedes Spiel mit Dir treibt; ich lasse es ihm, denn ich verzichte auf jeden Mund, den ein Zweiter nach mir kuesste; aber dieser Herzog wird einst besser glauben als vorhin Du, dass ich ein aechter Boinjaare bin, der einen solchen Raub zu vergelten weiss. Meine Schwester wirst Du bleiben, meine Braut aber bist Du gewesen, und mein Weib wirst Du niemals sein!" Ihr Auge flammte auf. "So verachtest Du mich?" "Nein, sondern ich bemitleide Dich und werde den Raub, den Du an mir begingst, zu raechen wissen, zwar nicht an Dir, sondern an ihm, denn Deine Strafe erhaeltst Du ganz von selbst, gerechter, groesser und schwerer, als ich sie Dir bestimmen koennte." "So wagst Du, mit Deiner einstigen Vajdzina zu sprechen! Du sagst, dass Du mich nicht zum Weibe magst - weisst Du denn, o ich Dich noch zum Manne begehre? Welche Strafe koenntest Du mir geben, welche Strafe koennte mich ausserdem noch treffen? Katombo, der Geist des Irrsinns ist ueber Dich gekommen; bete zu Bhowannie, dass sie Dich vom Wahnsinne errette! Und wenn Deine Seele wieder licht und klar geworden ist, dann wirst Du erkennen, dass Zarba nicht noethig hat, bei Dir um Vergebung und Liebe zu betteln. Vergebung braucht sie nicht, denn sie hat nicht gegen Dich gesuendigt, und Liebe findet sie ueberall, mehr als manche feine blanke Dame, die ihr Auge vergebens zu Fuersten und Herzogen erhebt." Er blickte ihr mit unendlichem Mitleide in das gluehende Angesicht. "Zarba, nicht mich umfaengt der Wahn, sondern Dich; nicht ich werde erwachen, sondern Du wirst es, und dann wirst Du Dich nach Vergebung sehnen, wie der Blinde nach dem Lichte der Sonne!" "Was habe ich gethan, dass Du es mir vergeben muesstest? Ist ein Kuss, in Deiner Gegenwart gegeben, ein Verbrechen?" "In meiner Abwesenheit ein Diebstahl, in meiner Gegenwart aber noch mehr, ein gewaltsamer Raub, in beiden Faellen aber eine Untreue." "Ich war nicht untreu!" behauptete sie fest. "Was ist die Untreue? Eine Gesinnung, die im Charakter wohnt, im Herzen arbeitet und ihre Fruechte durch das Auge, die Hand und den Mund nach Aussen treibt. Seien diese Fruechte gereift oder nicht, seien ihre Thaten vollendet oder begonnen, spreche sie durch den Blick, das Wort oder die That, die Gesinnung, die Untreue wohnt tief unten und ist ganz dieselbe. Ich kann einem Weibe verzeihen, von der ein Mann Alles nahm, was mir gehoerte, wenn ihr Herz nur mein verblieb, und ich kann ein Weib fuer immer von mir stossen, obgleich nur ein einziger ihrer Blicke mit Wuenschen an einem Andern hing, denn ihr Herz war mir entflohen. Die Vajdzina schickte mich fort, wenn der Herzog kam; ich habe Dich also nicht beobachten und belauschen koennen; aber ich habe die Roethe Deiner Wangen gesehen, als er uns vorhin ueberraschte; ich habe die Sprache Deines Auges verstanden, als er den Kuss von Dir nehmen wollte, da ich unter dem Hunde lag; ich habe den entsetzten Schlag Deines Pulses gefuehlt, als ich das Messer ueber ihm zuckte. Dein Herz ist nicht mehr mein; es gehoert ihm. Und wenn es wieder zurueckkehren wollte, ich moechte es nicht haben, denn nur der unvernuenftige hilflose Saeugling geniesst den Bissen, den ein anderer Mund ihm vorkaut." Er musste sie mit jedem Gedanken seiner Seele lieb gehabt haben, das war aus dem knirrschenden Grimme zu hoeren, mit welchem er seine letzten Worte sprach. Der Schweiss stand in Tropfen auf seiner Stirn; seine Zaehne waren zusammengepresst, und sogar die aufgetragene Farbe vermochte nicht, das toedtliche Bleich seiner Wangen vollstaendig zu verdecken. Das Maedchen bemerkte von dem Allem nichts; der Zorn hatte sie jetzt so vollstaendig uebermannt, dass ihre Stimme beinahe heiser klang, als sie hoehnisch antwortete: "Nun wohl, haeltst Du mich fuer die Geliebte eines Herzogs, so musst Du wissen, dass Du ein armseliger Wicht bist gegen einen solchen Mann. Es wird niemals einer Amme in den Sinn kommen, Dir meine Liebe vorzukauen. Ich verlache Dich und alle Deine Drohungen!" Mit einigen raschen Schritten war sie hinter den Baeumen verschwunden. Er hatte vorhin durch seinen Angriff auf den Herzog bewiesen, dass es ihm an Muth und Kraft nicht fehle; jetzt aber, da die Wirklichkeit seines Verlustes unerschuetterlich und unwiderruflich vor ihm lag, schlang er die Arme um den Stamm des naechsten Baumes und drueckte seine gluehende Stirn fest an die harte, rauhe Rinde desselben. So stand er lange Zeit. Da ploetzlich fuehlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er blickte auf; der Wildheger Stephan stand vor ihm. "Bist Du Katombo?" "Ja," antwortete er in einem Tone, als erwache er soeben aus einem schweren, tiefen Traume. "Ist nicht Zarba, die junge Zigeunerin, Deine Braut?" "Warum fragst Du?" "Weil ich Dir dann Etwas zu vertrauen habe." "Was?" "Sind wir hier unbelauscht?" "Ist es ein Geheimniss, was Du mir zu sagen hast?" "Ja. Ich bin ein Freund von Dir und moechte Dir gern heut einen grossen Dienst erweisen." Katombo blickte dem Hueter misstrauisch in das Angesicht. "Mein Freund? Seit wann willst Du es sein? Hast Du uns nicht von Allen am meisten gekraenkt und verfolgt?" "Dich nicht, sondern die Andern, die alle falsch und heimtueckisch sind. Du hast uns nie Holz oder ein Wild gestohlen; darum habe ich Dich gern und moechte es Dir beweisen." "So komme ein Stueck fort von hier!" Sie schritten mit einander ein Stueck in den Wald hinein, bis sie eine Stelle erreichten, an der sie sicher sein konnten nicht gesehen und gehoert zu werden. Hier blieb der Zigeuner stehen. "Jetzt sprich!" "Kennst Du das Bloessenhaus?" "Das kleine, steinerne Haeuschen auf dem freien Platze, welches immer verschlossen ist?" "Ja." "Ich kenne es. Was ist mit ihm?" "An seiner hinteren Seite steht eine Bank." "Ich kenne sie." "Auf dieser Bank habe ich Zwei sitzen sehen, Abends im Mondesscheine." "Zwei Maenner?" "Nein; ein Mann und ein Maedchen." "Ah! Wer waren sie?" "Willst Du es wirklich wissen?" "Wolltest Du nicht mit mir sprechen, um es mir zu sagen?" "Allerdings. Das Maedchen war Zarba, Deine Braut." "Sagst Du die Wahrheit?" "Es steht bei Dir, ob Du es glauben willst oder nicht." "Ich glaube es. Wer war der Mann?" "Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen; er sass so, dass es mir abgewendet war." "Das ist unmoeglich! Sie sassen doch jedenfalls neben einander, und wenn Du ihr Gesicht gesehen hast, musstest Du auch das seinige erkennen." "Sein Kopf lag an ihrer Brust." "Das geschieht nicht fuer immer; er muss ihn auch zuweilen erhoben haben. Du willst mir seinen Namen nicht verrathen." "Und wenn es so waere?" "Ich wuerde ihn dennoch kennen. Wenn Du so vorsichtig bist, so muss es ein Vorgesetzter von Dir sein." "Ja." "Der Foerster ist es nicht, denn dieser liebt sein junges, gutes Weib; der Oberfoerster auch nicht, denn dieser ist uns feindlich gesinnt und so alt, dass er sich des Abends zu keinem jungen Maedchen an das Bloessenhaus setzt. Ausser diesen Beiden kommt nur ein Dritter noch in das Gehege; dieser muss es ein, und weil er ein so hoher und gewaltiger Herr ist, willst Du mir nicht sagen, wie er heisst." "Ich darf keinen Namen nennen, weil ich sonst meine Stellung verlieren koennte; aber das will ich Dir sagen, dass Du ein sehr scharfsinniger Bursche bist." "Dass er zu Zarba kommt, weiss ich nun auch; aber des Nachts soll er von ihr lassen; dafuer werde ich Sorge tragen!" "Wie willst Du das anfangen?" "Sie darf das Lager nicht verlassen." "Thor! Kannst Du Dir nicht denken, dass die Alte diese Liebschaft nach allen Kraeften beschuetzt, weil Ihr grosse Vortheile aus derselben zieht? Sie sendet Dich in die Stadt, wenn er kommt; sie wird auch ihre Vorkehrungen treffen, dass Du die naechtlichen Zusammenkuenfte nicht zu stoeren vermagst. Die Sache muesste ganz anders angefasst werden." "Wie?" "Ich will Dir gestehen, dass auch mir diese Schleichereien des hohen Herrn nicht angenehm sind; es gibt so Manches, was man am Liebsten thut, ohne von einem solchen Beobachter gesehen zu werden. Daher moechte ich ihm einen Streich spielen, der ihm das Wiederkommen verleidet. Willst Du mir dabei helfen, Katombo?" "Gern, wenn ich mich auf Dich verlassen kann!" "Gewiss kannst Du das! Hier hast Du meine Hand darauf!" Er reichte ihm die Rechte hin, in welche der Zigeuner einschlug. Dann fuhr er fort: "Als der Mann, den ich nicht nennen will, vorhin das Gehege verliess, begegnete ich ihm, und er befahl mir, dass ich die alte Steinbank heut noch mit weichem Wassermoos belegen solle; bis zur Daemmerung muss die Arbeit fertig sein." "So will er gewiss heut Abend kommen!" "Das vermuthe ich auch und zwar mit Sicherheit. Wenn wir dann im Haeuschen waeren, koennten wir das Paar belauschen und jedes Wort vernehmen, denn gerade ueber der Bank befindet sich die einzige Fensteroeffnung, die das alte Gebaeude hat. Das Uebrige koennten wir dann nach den Umstaenden einrichten, welche sich ergeben." "Ich bin dabei, sicher und gewiss! Aber der Schluessel zu dem Haeuschen, wer hat den?" "Er haengt beim Foerster, und Niemand bemerkt es, wenn ich ihn an mich nehme." "Willst Du dies thun?" "Ja, vorausgesetzt, dass Du auch wirklich mitmachst." "Darueber gibt es keinen Zweifel mehr! Aber die Zeit?" "Es war elf Uhr vorueber, als ich die Beiden bei einander sitzen sah, also wird es um Zehn wohl Zeit fuer uns sein." "Ich komme. Wo treffen wir uns?" "Am Besten unter der grossen Buche, welche der Thuer des Haeuschens am Waldrande gegenuebersteht." "Gut!" Sie gingen auseinander; der Wildhueter mit dem Bewusstsein, sein Opfer bereits in der Schlinge zu haben, und Katombo mit einem Herzen, in welchem gebrochene Liebe, Hass und der feste Vorsatz, Rache zu nehmen, eng bei einander wohnten. Er ruehrte das fertig gewordene Wildpret, um welches die schmausende Zigeunerbande sass, als er den Lagerplatz erreichte, nicht an, sondern warf sich in das Moos und gab sich Muehe, schlafend zu erscheinen. Nach dem Mahle legte sich Karavey zu ihm. "Katombo!" Er antwortete nicht. "Glaube nicht, dass ich denken soll, Du schlaefst! Der Schmerz kennt keinen Schlummer und keine Ruhe." "Was willst Du?" "Dir sagen, dass ich stets Dein Bruder und Dein bester Freund gewesen bin." "Ich weiss es, Karavey!" "Was wirst Du thun?" "Ich? Was soll ich thun? Der arme, verachtete Zingaritto gegen einen grossmaechtigen Herzog? Nichts!" "So willst Du Dich nicht an ihm, sondern an Zarba raechen?" "An ihr? Niemals! Ich habe sie geliebt." "Taeusche mich nicht! Als Du kamst, las ich in Deinen Augen, dass ein fester Entschluss in Deiner Seele wohnt. Des Freundes Blick ist scharf. Sage mir, was Du vorhast, und ich werde Dir beistehen mit allen meinen Kraeften!" "Lass mich, Karavey! Du bist Zarba's rechter Bruder; ich darf Dir mein Geheimniss noch nicht mittheilen." "So versprich mir wenigstens, dass ihr kein Leid geschieht!" "Ich verspreche es!" "Und dass Du nicht Etwas vornimmst, was Dich ungluecklich machen kann!" "Auch das verspreche ich, obgleich ich bereits so ungluecklich bin, dass ich gar nicht ungluecklicher werden kann." "Willst Du uns verlassen?" "Ich weiss es nicht. Ich will ein freier Mann sein, dem die Vajdzina nicht zerstoerend in das Leben greifen darf; aber ich bin ein Sohn Eures Volkes geworden und moechte es bleiben, weil Dankbarkeit in meinem Herzen wohnt." "Schwoere mir bei Bhowannie, der Schrecklichen, dass Du nicht von uns gehst, ohne es mir vorher zu sagen!" "Ich schwoere es!" "Vielleicht gehe ich dann mit Dir. Der Gitano darf keinen Willen haben als den seines Vajda und seiner Vajdzina; aber wenn diese Beiden die eigene Tochter, das beste Kind des Stammes, das schoenste Maedchen des Volkes, die einst selbst Vajdzina werden soll, einem luesternen Christen opfern, so werde ich mich gegen ihren Befehl auflehnen und, wenn dies Nichts hilft, den Stamm verlassen. Die Welt ist gross und weit; der Gitano hat keine Heimath und weiss, dass nur die Fremde ihm gehoert." Das fluesternd gefuehrte Gespraech war zu Ende, und die beiden Juenglinge lagen, in truebe Gedanken versunken, neben einander, waehrend die andern dachten, dass sie schliefen. So verging ein Theil des Nachmittages, bis der Vajda mit Karavey und den andern Maennern in den Wald gingen, um sich ein Wild zu holen. Die Frauen und Maedchen blieben zurueck, doch lag auch auf ihnen in Folge des heutigen Erlebnisses ein Druck, der eine lebhafte Unterhaltung nicht aufkommen liess. Katombo erhob sich jetzt, um mit seinen Gedanken durch den stillen, lautlosen Forst zu streichen. Darueber verging Stunde um Stunde, bis es beinahe zehn Uhr war. Jetzt schlug er den Weg nach dem Bloessenhause ein. Die kleine Lichtung, in deren Mitte es stand, war rings von hohen Tannen umgeben, zwischen denen zuweilen der hohe Wipfel einer Eiche oder Buche emporragte. Das Haeuschen selbst war einstoeckig, von starken Mauern aufgefuehrt, und besass eine dicke Bohlenthuer, welche mit starkem Eisen beschlagen war. Das kleine Fenster an seiner hinteren Seite hatte kaum genug Umfang fuer den Kopf eines Mannes und war mit starken, tief eingefugten Eisenstaeben versehen. Das Bauwerk hatte einst zu verschiedenen Jagdzwecken gedient, stand aber jetzt vollstaendig leer und unbenutzt, und selbst der alte Oberfoerster waere in Verlegenheit gerathen, wenn man ihn gefragt haette, vor wie viel Jahren es zum letzten Male von einem menschlichen Fusse betreten worden sei. Katombo schlich sich laengs des Bloessenrandes hin und bemerkte bei dem halben Scheine des Mondes, dass die Bank hinter dem Hause nicht besetzt sei. Bei der Buche angekommen, traf er auf den Waldhueter, der ihn bereits erwartet hatte. "Das ist puenktlich," meinte dieser. "Es wird gleich zehn Uhr schlagen." "Und es ist noch Niemand hier." "Ich habe sie jetzt auch noch gar nicht erwartet. Wir muessen ja eher kommen als sie, sonst koennten sie uns bemerken." "Hast Du den Schluessel?" "Ja. Komm!" Sie schritten auf das Haeuschen zu. Bei demselben angekommen, zog der Hueter den langen, rostigen Hohlschluessel hervor und oeffnete. Das Schloss kreischte und die alten Angeln krachten laut auf; eine dumpfe, feuchte Luft schlug ihnen entgegen; sie traten ein. "Der Laden ist zu. Soll ich ihn oeffnen?" frug Katombo. "Ja." Der Zigeuner trat zur hinteren Wand des finstern Raumes und fasste mit den beiden Haenden empor, um die Konstruktion des Verschlusses zu untersuchen. In diesem Augenblicke erhielt er einen Schlag von hinten ueber den Kopf, dass er mit einem unartikulirten Schmerzenslaute zusammenbrach; ein zweiter Hieb des sofort auf ihn niederknieenden Stephan traf ihn so, dass er die Besinnung vollends verlor. Als er erwachte, fuehlte er sich an Haenden und Fuessen gefesselt, und ein Knebel stak in seinem Mund. Neben ihm sass ein Mann, den er nicht erkennen konnte, theils wegen der Dunkelheit und theils wegen der Schmerzen, welche ihm die beiden Hiebe verursachten. Seine Gedanken waren wirr, und trotz der tiefen Finsterniss sah er gluehend feurige Raeder vor seinen Augen rollen. Tiefe Stille herrschte in dem engen Raume, bis sich nach ihm unendlich scheinender Zeit die Thuer oeffnete, um eine zweite Gestalt einzulassen. "Stephan!" hoerte er. "Hier." "Gelungen?" "Ja." "Wo ist er?" "Hier neben mir." "Gefesselt?" "Fest. Ich habe ihm Zwei ueber den Kopf gegeben, dass er unter einer Stunde sicher nicht erwacht." "Aber er lebt noch?" "Sein Puls geht noch." "So ist ein Knebel noethig, damit er Ruhe haelt!" "Er hat ihn schon. Aber wer seid Ihr? Ich habe doch niemand erwartet als den Herz - - -" "Halt, keinen Namen! Ihr duerft Euch nie wieder an das erinnern, was heut Abend geschehen ist. Ich bin abgesandt worden, den Gefangenen zu holen, und dass ich der Richtige bin, werdet Ihr mir wohl ohne weitere Beweise glauben." "Ich glaube es. Aber wie wollt Ihr ihn transportiren, und wohin soll er gebracht werden?" "Das ist nicht Eure, sondern meine Sache. Ich habe Euch nur zu melden, dass Ihr das Gesuch um die Stelle nicht vergessen sollt." Er trat zur Thuer. Auf seinen leisen Ruf erschien ein Dritter in derselben. "Anfassen!" Sie hoben den widerstandslosen Gefangenen empor. "Verschliesst das Haeuschen, Stephan, und geht zur Ruhe. Alles Andere werden wir selbst besorgen. Gute Nacht!" "Gute Nacht. Die beiden Maenner verschwanden mit ihrer Buerde im Dunkel. Sie mussten den Weg kennen, oder er war ihnen sehr genau beschrieben worden, denn sie erreichten ohne Anstoss und sonstiges Hinderniss das Eingangsthor, welches nur anlehnte. Sie verschlossen es, nachdem sie Katombo draussen niedergelegt hatten, mit einem Schluessel, welchen der Eine von ihnen in der Tasche bei sich fuehrte. Dann brachten sie den Gefesselten nach einem Wagen, der ganz in der Naehe hielt. Er wurde in denselben gehoben; einer seiner Begleiter nahm neben ihm Platz; der andere bestieg den Bock, und dann ging es fort, erst langsam und vorsichtig, dann aber, als man den Wald verlassen hatte, im raschen Trabe auf ebener Strasse. Der Knebel war so fest angebracht, dass Katombo kaum die noethige Luft zum Athmen bekam; dennoch aber zog sein Waechter jetzt ein Tuch hervor und band es ihm um den Kopf, so dass seine Augen nicht das Mindeste zu erkennen vermochten. Nach laengerer Zeit rollten die Raeder ueber hartes Strassenpflaster, bis der Wagen hielt. Katombo wurde herausgehoben und in einen Kahn geschafft, welcher noch so lange am Ufer des Flusses halten blieb, bis der Kutscher, welcher mit dem Geschirr weiterfuhr, zurueckkehrte und zum Ruder griff. Lautlos ging es ueber das Wasser bis an den Garten des herzoglichen Palais, wo der Zigeuner aus dem Boote genommen und nach einer kleinen Pforte getragen wurde, an welcher eine hohe, tief verhuellte Gestalt wartete. "Habt Ihr ihn?" "Ja." "Hinunter mit ihm! Den Knebel und die Beinfesseln koennt Ihr ihm dann nehmen; die Arme aber bleiben gefesselt!" Katombo erkannte diese harte Stimme sofort; es war diejenige des Herzogs von Raumburg, und nun durchschaute er den ganzen Plan, dessen Opfer er auf so leichtsinnige und vertrauensvolle Weise geworden war. Er fuehlte, dass man ihn eine steile, schmale Treppe hinabtrug. Unten ging es eine Strecke eben fort; dann wurde eine Thuer geoeffnet, deren schwere Riegel er laut klirren hoerte. Man legte ihn nieder, zog ihm den Knebel aus dem Munde, entfernte die Stricke, welche sich um seine Beine schlangen, und schloss dann hinter ihm sorgfaeltig wieder zu. Wo war er? In der Gewalt des Herzogs, seines Nebenbuhlers, so viel war ihm sicher. Den Ort freilich, an welchem er sich befand, konnte er nicht bestimmen. Er kannte weder die Wohnung des Herzogs, noch hatte er waehrend des Transportes einen Blick durch das Tuch zu werfen vermocht; er wusste nur, dass er auf widerrechtliche und gewaltthaetige Weise gefangen genommen worden war durch die Kreaturen oder Schergen eines Gegners, von dem er weder Schonung noch Gnade zu erwarten hatte. Er wollte sich erheben, um sein Gefaengniss zu untersuchen; an dem Letzteren haetten ihn seine Fesseln gehindert, und das Erstere wollte ihm nicht gelingen, da der Blutumlauf seines Koerpers in Folge der festen Banden stockte und sein Kopf ihn noch mehr schmerzte als vorher. Er blieb nach einigen vergeblichen Anstrengungen in vollstaendiger Apathie liegen und sank nach und nach in einen tiefen, lethargischen Schlaf, der sich wohlthaetig zu ihm niederneigte. Als er aus demselben erwachte, war es ihm unmoeglich, zu bestimmen, wie lange er geschlafen habe; lange, sehr lange aber musste es sein, denn er fuehlte sich vollstaendig gekraeftigt; der Schmerz an seinem Kopfe war verschwunden, und nur die Fesseln seiner Haende verursachten ihm eine unertraegliche Pein. Er erhob sich. Es war vollstaendig dunkel in dem Raume. War es die Finsterniss der Nacht oder hatte der Kerker gar keine Fenster- oder sonstige Oeffnung? Er konnte dies nicht entscheiden und tappte sich rings an den Waenden hin. Soweit seine Gestalt reichte, fuehlte er nur kalte, geschlossene Mauern, deren einzige Unterbrechung in der Thuer bestand, durch welche man ihn hereingeschafft hatte. Noch war er mit der Untersuchung der engen Zelle beschaeftigt, als er draussen Schritte vernahm. Die Riegel klirrten; die Thuer oeffnete sich, und ein heller Lichtschein drang zu ihm herein. In demselben bemerkte er jetzt sehr deutlich, dass sein Gefaengniss kein Fenster hatte; es war im Kellerraume angebracht und zeigte keine einzige Oeffnung, durch welche die Luft und das Licht des Tages hatten Zutritt finden koennen. Auch den Mann erkannte er, welcher mit der Blendlaterne eintrat und dann die Thuer hinter sich sorgfaeltig in den Rahmen zog. Es war der Herzog von Raumburg. "Guten Abend!" klang es gedehnt und hoehnisch, und als der Gefangene ob dieser Anrede verwundert aufschaute, fuhr der Herzog fort: "Ja, es ist bereits wieder Abend. Ich bin dreimal hier gewesen; Du aber warst nicht zu sprechen, denn Du schliefst, als haettest Du mit den zwei kleinen Schlaegen eine ganze Apotheke voll Opium erhalten. Nun aber, was sagt der stolze Gitano zu der vortrefflichen Wohnung, die ich ihm gegeben habe?" "Schurke!" Es war nun das eine Wort, aber es lag eine ganze Welt voll Hass und Verachtung darin. "Schoen! Ich werde Dir den Knebel wieder geben muessen, damit Deine Zunge nicht allzusehr spazieren geht. Du bist in der Gewalt des Herzogs von Raumburg, der ganz andere Toene gewohnt ist, als den Deinigen." "Schurke!" erklang es furchtlos wieder. "Thu mit mir, was Du willst, und je Groesseres Du ersinnst, desto mehr bist Du ein Schurke. Aber nimm mir nur einen Augenblick die Fesseln ab, so werde ich Dir zeigen, wie ein ehrlicher Zigeuner mit einem Hallunken verfaehrt!" "Bemuehe Dich nicht, mich in Zorn zu bringen, denn alle Deine Anstrengung wird fruchtlos sein. Ich komme nur, um Dir Dein Urtheil zu verkuenden. Zarba, das schoenste Maedchen, welches ich jemals gesehen habe, muss mein eigen werden, verstehe wohl, mein eigen wie die Blume, deren Duft man athmet und die man dann von sich wirft; Du bist mir dabei im Wege, und daher habe ich Dir ein Quartier gegeben, wo Du mich nicht belaestigen kannst. Ich haette Dich vielleicht einst wieder frei gelassen; aber Du hast mich zu beschimpfen versucht, und darum wirst Du diesen Ort niemals wieder verlassen." "Meinst Du, dass ich Dich um Gnade anflehen werde? Ich verlange nur Gerechtigkeit, und die muss, die wird mir werden!" "Gerechtigkeit? Ja, denn ich bin die oberste Behoerde des ganzen Reiches, und die ist gewohnt, schneller und gerechter zu entscheiden, als jede andere Instanz. Du bist schuldig eines Mordversuches gegen mich und musst eigentlich sterben; ich aber begnadige Dich zu lebenslaenglicher Haft in diesem Kerker und gebe Dir dazu den Trost, dass diese Gefangenschaft nicht lange dauern wird." "Du darfst weder verurtheilen noch begnadigen. Ich verlange einen gesetzmaessigen Richter, vor dem auch Du zu stehen hast, denn auch Du bist des Mordversuches gegen mich und dazu des Menschenraubes schuldig." Der Herzog lachte. "Dein erster und letzter, Dein einziger Richter steht vor Dir, und er verspricht Dir, dass es den Deinen wohlgehen wird. Zarba wird sich entschliessen, zu mir zu ziehen und mein Weibchen zu werden; und ich werde zaertlicher und inniger gegen sie sein als Du; die Andern muessen fort und werden mir fuer diesen Befehl dankbar sein, denn sie lieben ja die Freiheit, und damit sie diese ganz und voll geniessen koennen, werde ich ihnen verbieten, jemals wieder in das Land zurueckzukehren." "Schurke!" rief Katombo zum dritten Male. Er machte eine fuerchterliche aber vergebliche Anstrengung, seine Fesseln zu zersprengen, und rannte dann voll Wuth gegen den Herzog an, so dass dieser zuruecktaumelte, gegen die Mauer schlug und ihm beinahe die Laterne entfallen waere. Er setzte sie zu Boden und fasste den wehrlosen Zigeuner. "Hund, ich werde Dir das Beissen unmoeglich machen! Du sollst mit dreifachen Banden geschnuert und - - -" Er hielt mitten in der Rede inne. Katombo hatte versucht, ihm den ergriffenen Arm zu entziehen, und dabei das Loch seines Jackenaermels groesser gerissen. Durch dasselbe blickte sehr deutlich jene seltsame Taetowierung, und das Auge des Herzogs war auf sie gefallen. Dieser liess mit seinen Haenden von Katombo ab und trat beinahe erschrocken einen Schritt zurueck. "Mensch, wer bist Du?" Dieser Ausruf war ihm ganz unwillkuerlich entfahren. Katombo konnte sich die sonderbare Frage nicht erklaeren; er blickte ihn daher erstaunt an und antwortete nicht. "Wer Du bist, habe ich gefragt!" wiederholte Raumburg gebieterisch. Katombo's Erstaunen wuchs; er fand keine Antwort, vielmehr kam es ihm vor, als ob sich die Sinne seines Gegners ploetzlich verwirrt haetten. "Hoerst Du, ich will wissen, wer Du bist! Du heisst nicht Katombo und bist kein Zigeuner!" "Ah! Wer sagt Dir das?" Der Herzog erholte sich von seiner Ueberraschung, die vielleicht auch Schreck sein konnte, und fragte mit gleichgueltigerer Stimme: "Ist die Vajdzina Deine Mutter?" "Ja." "Deine wirkliche?" "Inwiefern sollte sie es nicht sein? Uebrigens bin ich ueber solche Sachen keinem Menschen Rechenschaft schuldig. Ich habe hier von weiter nichts zu sprechen, als dass ich meine Freiheit oder einen ordentlichen Richter will." "Gut, so sind wir also fertig. Er ergriff die Laterne und wollte gehen. Katombo benuetzte sein Niederbeugen, um den Ausgang zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang, denn der Herzog schnellte ihm rasch in den Weg und brachte es leicht fertig, den Gefesselten zurueckzuschleudern. "Nicht so schnell, Bursche! Deine Leiche soll man zu seiner Zeit von hier wegschaffen, lebendig aber kommst Du nicht fort!" Er warf die Thuer in das Schloss, schob die beiden Riegel vor und schritt einige Stufen empor, wo sich die Treppe theilte. Nach der einen Seite gelangte man an die Pforte, durch welche Katombo hereingeschafft worden war, auf der andern erreichte man das Innenparterre des Schlosses. Hier angekommen, blies Raumburg seine Laterne aus und stieg die breiten Marmorstufen empor, auf denen er in sein Arbeitszimmer gelangte. Dort legte er die Laterne ab und zog auch den Dolch hervor, den er aus Ruecksicht fuer seine persoenliche Sicherheit bei sich getragen hatte. Dann ging er zur Bibliothek, welche hell erleuchtet war, und suchte lange, lange Zeit in alten vergilbten Papieren herum. Sie mussten, nach der Aufmerksamkeit zu urtheilen, welche er ihnen schenkte, sehr Wichtiges enthalten; er las einige von ihnen mehrere Male durch und verschloss sie dann so sorgfaeltig, als ob hoechst Wichtiges von ihnen abhinge. Dann verbarg und verschloss er sie an einem Orte, der ihm die noethige Sicherheit zu gewaehren schien. Nun suchte er die Ruhe, fand sie jedoch nicht, sondern warf sich auf dem Lager hin und her, bis es Tag wurde, wo er sich erhob und, sobald er angekleidet war, seine Wohnung und die Stadt verliess. Sein Weg fuehrte ihn hinaus in den Wald nach dem Gehege, wo er die Zigeuner in Sorge um den verschwundenen Katombo antraf. Die Vajdzina war die Erste, welche ihn erblickte, und auch sofort Gelegenheit nahm, ihre Klage anzubringen. "O hoher Herr, es ist Betruebniss eingezogen bei den Gitani und Sorge bei den Kindern meines Volkes. Habt Ihr nicht gesehen Katombo, meinen Sohn?" "Nein. Was ist mit ihm?" "Er ist verschwunden, seit er gestern unser Lager verliess, und Niemand hat eine Spur von ihm gefunden. Der Forst hat keine wilden Thiere, die ihn zerreissen konnten, und keinem hat er vertraut, dass er uns freiwillig verlassen wolle. Es ist ihm ganz sicher ein Unglueck widerfahren!" "Was soll ihm widerfahren sein." Karavey trat naeher. "Was ihm widerfahren ist, das wissen wir nicht," meinte er mit finsterem Auge; "aber ich kenne einen Feind von ihm, den einzigen, den er hat, und welchem sein Verschwinden am Herzen liegen muss. Wehe ihm, wenn er die Hand dabei im Spiele hat!" "Wen meinst Du, Bursche? Verklage ihn bei mir. Ich bin Euer Freund und werde Euch alle Huelfe und Unterstuetzung gewaehren, welche Ihr nothwendig haben solltet." "Gerad Euch brauche ich ihn nicht zu nennen. Aber die Kinder der Boinjaaren haben scharfe Augen, gewandte Haende und ein Gedaechtniss, welches keine gute und keine boese That vergisst. Entweder ist Katombo heut Abend wieder bei uns oder wir werden uns zur Rache vorbereiten!" "Thue das, mein Sohn; nur siehe Dir den Mann genau an, gegen den Du Deine Rache richten willst. Uebrigens geht mich diese Angelegenheit nicht das Mindeste an; ich komme in einer anderen Sache und habe mit dem Vajda und der Vajdzina zu sprechen." Er winkte den beiden Alten und schritt von dem Lager weg in den Forst hinein. Sie folgten ihm und bemerkten nicht, dass Karavey hinter ihnen gleichfalls den Ort verliess. In einer genuegenden Entfernung blieb der Herzog stehen und wandte sich zu den Beiden zurueck. "Ich habe Euch einige Fragen vorzulegen. Von der Wahrheit Eurer Antworten haengt Euer Glueck oder Unglueck ab!" "Sprecht, Herr!" bat die Alte. "Wir werden Euch Alles sagen, was Ihr begehrt." "Wer ist der Vater und die Mutter dieses Katombo?" "Ich bin der Vater," antwortete der Vajda. "Und ich die Mutter," die Vajdzina. "Behauptet Ihr wirklich, die richtigen natuerlichen Eltern zu sein? Man sieht es ja dem Manne an, dass er kein Zigeuner ist." Die beiden Alten warfen sich einen Blick des Verstaendnisses zu; dann antwortete die Vajdzina: "Er ist ein Zigeuner, Herr, und mein leibhaftiger Sohn." "Wo habt Ihr ihn geboren?" "Weit im Sueden auf einer Insel, welche man Sizilien nennt." "Und wer war sein Vater?" "Dieser hier, mein Mann." "Ihr luegt!" "Koennt Ihr mir beweisen, dass ich die Unwahrheit sage?" "Ich kann es und werde Euch zu diesem Zwecke kurz eine Geschichte erzaehlen. Habt Ihr den Namen Raumburg nicht bereits frueher schon einmal gehoert?" "Wie sollte ich?" "So waret Ihr auch noch niemals in diesem Lande?" "Nie." "So! Es gab einen Herzog von Raumburg, welcher von den Reizen einer jungen Zigeunerin so hingerissen wurde, wie ich von Zarba's Schoenheit. Sie verliess ihren Stamm und ging zu ihm, bis sie uneinig wurden und sie zu den Ihrigen zurueckkehrte. Der Herzog verheirathete sich; seine Gemahlin schenkte ihm einen Sohn, welcher einst, als er kaum zwoelf Monate zaehlte, spurlos verschwand. Niemals wurde etwas von dem Knaben gehoert, doch erfuhr der Herzog, dass gerade zur betreffenden Zeit Gitani in der Naehe gewesen waren, eine der Zigeunerinnen hatte man mit einem Pakete aus dem herzoglichen Garten kommen sehen. Der Mann, welcher dies erzaehlte, hatte, als sie vorueber war, sogar die unterdrueckte Stimme eines Kindes gehoert, so dass er annehmen musste, dass das Weib ein solches bei sich getragen habe. Wisst Ihr, wer diese Frau war?" "Nein." "Es war die fruehere Geliebte des Herzogs, die sich durch den Kinderraub an ihm raechen wollte." "Zu einer solchen Behauptung muessten Beweise sein, hoher Herr." "Diese sind da, und zwar so deutlich und bestimmt, dass ich Euch sogar den Namen und jetzigen Aufenthaltsort der Thaeterin nennen koennte." "Man redet den Gitani so viel Boeses nach, was nicht wahr, sondern Luege ist!" "Ich aber sage die Wahrheit: Ihr waret das Weib, und das geraubte Kind befand sich bis heute bei Euch!" Er blickte ihr drohend in das Angesicht; sie schien nicht im Mindesten zu erschrecken und antwortete ruhig: "Wollt Ihr mit zwei armen, alten Leuten einen solchen Spass treiben, Herr?" "Spass? Es ist mein Ernst, der Euch an den Hals gehen kann. Der Herzog, von dem ich Euch erzaehlte, liess seinem Kinde sein Familienwappen in den Arm taetowiren, wie es seit uralten Zeiten Familiengebrauch gewesen war. An diesem Zeichen wird man den Geraubten erkennen. Vielleicht befindet er sich schon in diesem Augenblicke vor dem Richter, welcher die Angelegenheit zu untersuchen hat. Ihr werdet das Gehege auf keinen Augenblick verlassen und seid Gefangene des Forstpersonals, bis ich ein Weiteres verfuege." Er machte Miene, sich zu entfernen; da ergriff ihn die Alte beim Arme und hielt ihn zurueck. "Bleibt, Herr! Ich will Euch sagen, dass Katombo nicht unser natuerlicher Sohn ist. Wir fanden ihn halb verschmachtet im Walde und nahmen ihn zu uns, damit er nicht verhungern sollte." "Wo war das?" "Hier." "Ihr kanntet also den Herzog von Raumburg, meinen hochseligen Vater?" "Ja," antwortete sie, indem trotz ihres unterwuerfigen Tones etwas in ihrem Auge leuchtete, was nicht die mindeste Aehnlichkeit mit Demuth hatte. "Katombo ist sein Sohn?" "Wie kann ich das wissen, Herr?" "Hoere Alte, ich will Dir sagen, dass ich hier kein amtliches Verhoer anstelle, sondern mir nur die allervertraulichsten Mittheilungen unter dem Siegel der groessten Verschwiegenheit ausbitte. Es kann mir nicht gleichgueltig sein, ob ich einen Bruder am Leben habe oder nicht, der mich in meinem Erbe und meinen Rechten schmaelern koennte. Ihr seht, ich bin aufrichtig. Nur Gewissheit will ich haben. Wenn Ihr ein offenes Gestaendniss ablegt, soll Euch nichts geschehen, vielmehr habt Ihr dann eher eine Belohnung als eine Strafe zu erwarten." Die Beiden blickten sich gegenseitig an, und ihre Augen sagten, dass sie sich verstanden. "Herr, lasst Ihr uns frei ziehen, wenn wir Euch die Wahrheit sagen?" "Ja." "Wollt Ihr das beschwoeren?" "Ich beschwoere es." "Dass Katombo Euer Bruder ist, koenne wir nicht sagen und nicht gestehen, aber - - halt, Herr, wisst Ihr, wo er sich befindet?" "Ja." "Wo?" "Bei mir, also in Sicherheit." "Ihr werdet ihm kein Leid thun?" "Nein." "Wollt Ihr es beschwoeren?" "Ja." "Kommt er wieder zu uns?" "Ja, wenn er will. Will er aber nicht so kann ich ihn nicht halten." "Dann will ich Euch sagen: Katombo ist Euer erstgeborener Bruder. Es soll auf Euch ankommen, ob es die Leute erfahren oder nicht." Er griff in die Tasche und zog die Boerse hervor, welche er ihr entgegenstreckte. "Hier, nehmt! Es wird Euch Niemand aus dem Gehege treiben; bleibt hier, so lange es Euch beliebt. Vergesst aber nicht, dass es Euer Verderben ist, wenn ein Mensch erfaehrt, dass Ihr einen raumburg'schen Prinzen raubtet!" Zufrieden mit dem Ergebnisse dieses Gespraeches, wandte er sich ab. Die beiden Alten kehrten zum Lager zurueck, wo die Vajdzina sofort ihrer Tochter Zarba winkte. "Weisst Du, wo Katombo ist?" "Nein." "Bei dem Herzoge." "Beim Herzoge? Wie ist er zu ihm gekommen?" "Ich weiss es nicht; aber ihm droht Gefahr. Ich glaube, der Herzog will ihn verschwinden lassen." "Weshalb?" "Weil er Dein Braeutigam ist und weil - doch das ist ein Geheimniss, welches nur der Vajda wissen darf. Du kannst ihn retten." "Wie?" "Durch den Herzog. Als dieser Mann zum ersten Male bei uns erschien, habe ich Dir gesagt, dass ich einst seinen Vater liebte, er verstiess mich, und die Liebe des Sohnes zu Dir soll meine Rache sein. Diese Liebe ist auch das Werkzeug, mit welchem Du Katombo retten oder raechen kannst. Du wirst Manches noch nicht verstehen, aber es kommt die Zeit, in welcher Alles klar vor Deinen Augen liegt. Gib Dir den Anschein, als ob Du ihn liebtest!" "Und Katombo, der mein Braeutigam ist?" "Wird einige Zeit lang eifersuechtig sein, dann aber verzeihen, denn des Gitano hoechstes Gut ist die Rache, und Deine Zaertlichkeit soll mir den Weg zur Vergeltung oeffnen. Er liebt Dich, aber wie der Schmetterling die Blume liebt, von welcher er zu einer andern flattert, wenn er die vorige gekostet hat. Wahre daher Dein Herz, aber seine Liebe lass wachsen, indem Du freundlich mit ihm bist, ihm aber Alles versagst, was eine Braut einem Andern nicht gewaehren darf. Ich weiss, dass er noch nicht fort ist, vielmehr wird er im Gehege bleiben, um Dich zu treffen. Gehe und versuche ihm zu begegnen, und dann forsche bei ihm nach Katombo, damit wir erfahren, was er mit ihm vorhat!" Zarba gehorchte. Sie sollte das Werkzeug der Rache sein, aber sie fuehlte, dass das Spiel zum Ernst geworden sei. Sie brauchte dem Herzoge gegenueber keine Liebe zu heucheln, nein, sie liebte ihn wirklich, mit aller Gluth ihres kleinen, wilden Herzens. Der hohe, stolze Mann mit seinem sichern, imponirenden Auftreten hatte es ihr angethan, und die Liebe, welche er ihr empfinden und bemerken liess, machte sie so selig, wie die Zuneigung Katombos es niemals vermocht hatte. Sie ging um ihn aufzusuchen, aber nicht der Befehl der Vajdzina trieb sie mehr allein dazu, sondern ihr eigenes Herz flog hin zu dem Manne, dem die Liebe der schoenen Zingaritta gehoerte. Sie traf ihn wirklich sehr bald; er kannte ja den Ort, an welchem sie so oft gesessen hatten, um zu plaudern und zu kosen, ohne dass irgend Jemand eine Ahnung davon gehabt hatte. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. "Zarba, schon glaubte ich, dass Du nicht kommen wuerdest." "Hast Du schon einmal vergebens auf mich gewartet?" "Nein. Ich weiss, Du hast mich lieb, und die Liebe ist eine puenktliche Gebieterin. Doch warum erfuellst Du mir den groessten Wunsch nicht, den ich habe?" "Dass ich hin zu Dir komme, wo Du wohnest? Die Vajdzina erlaubt mir nicht, in die grosse Stadt zu gehen, wo die Menschen so fremd, so stolz und so boes sind." "Bin auch ich boes und Dir fremd?" "Nein." "Also warum kommst Du nicht zu mir?" "Ich darf nicht; ich muesste mich des Nachts fortschleichen, und dennoch wuerde Katombo es bemerken." "Katombo? Ich denke, er ist verschwunden!" "Er ist bei Dir." "Wer sagte es?" "Die Vajdzina. Warum haeltst Du ihn fest?" "Nicht ich halte ihn, sondern der Richter." Sie erschrak. "Der Richter? Was hat Katombo verbrochen?" "Viel, sehr viel! Seinen gestrigen Angriff haette ich ihm verziehen um Deinetwillen, aber er ist dann in die Stadt gekommen, hat sich in meine Wohnung geschlichen und mich meuchlings zu toedten versucht. Er ist dabei ergriffen worden und wird seine Bosheit mit dem Tode buessen." "Herr, das ist nicht moeglich! Katombo hat noch keinem Menschen ein Leid gethan; er ist es nicht gewesen, der Euch toedten wollte!" "Er war es, kein Anderer. Wollte er mich nicht bereits gestern toedten?" "Ihr habt ihn gereizt; vergebt ihm und lasst ihn frei." "Das steht nun nicht mehr in meiner Macht." "Und dennoch vermoegt ihr es! Ihr seid nach dem Koenige der maechtigste und gewaltigste Mann im ganzen Lande, und was Euer Wille ist, das muss geschehen." "Soll ich einen Menschen retten, den Du freiwillig kuessest?" "Er ist mein Bruder, und ich thue es nicht mehr. Gebt ihn frei!" "Haette ich ihn gefangen, so koennte ich dies leicht thun; aber er befindet sich in den Haenden der Justiz und es sind so viele Zeugen seines Mordversuches da, dass es beinahe unmoeglich ist, die That auf sich beruhen zu lassen." Sie schmiegte sich inniger an ihn. "Du sagst, Du habest mich lieb?" schmeichelte sie. "Ja." "Und willst mir diese Bitte nicht erfuellen? Willst meinen Bruder toedten! Geh, Deine Liebe ist nicht wahr!" "Dann ists die Deinige auch nicht. Du verlangst von mir, was kein Anderer zu verlangen wagte, und versagst mir doch die Erfuellung des kleinen Wunsches, einmal zu mir zu kommen." "Gebiete, Herr, und ich werde gehorchen; nur lass Katombo frei!" "Wirklich wirst Du kommen? Wann?" "Wann Du es befiehlst." "Dann heut Abend." "Aber ich finde den Weg und Deine Wohnung nicht." "Ich werde Befehl ertheilen, dass das Gehege nicht verschlossen wird. Gerade eine Stunde vor Mitternacht wirst Du auf der Strasse, welche nach der Stadt fuehrt, einen Wagen finden; Du brauchst ihm nur das Wort "Vajda" zu sagen, so nimmt er Dich auf und bringt Dich zu mir. Willst Du?" "Ja." "Er wird nicht mit Dir sprechen, und auch Du sagst nur dies eine Wort, denn es soll Niemand wissen, wer Du bist." Sie nickte zustimmend. Sein Auge leuchtete auf, endlich befand er sich jetzt nahe an dem Ziele, welches er sich schon laengst in Beziehung auf das schoene Maedchen gesteckt hatte. Noch lange sassen sie in suesser, inniger Umarmung, dann verliess er heimlich das Gehege, und Zarba kehrte zu den Ihrigen zurueck. Die Vajdzina winkte sie sofort zu sich. "Trafst Du ihn?" frug sie gespannt. "Ich war bis jetzt bei ihm." "Frugst Du ihn nach Katombo?" "Ja. Katombo ist gefangen." "Wo?" "Bei der Justiz." "Weshalb?" "Er ist in die Wohnung des Herzogs gekommen um ihn zu toedten, und dabei ergriffen worden. Nun soll er sterben." Die runzeligen Zuege der Alten zogen sich zusammen. "Wie wurde der Herzog gestern von Katombo genannt?" "Ein Schuft." "Er ist auch einer. Glaube ihm kein Wort von allen seinen Reden. Er will Katombo verderben aus einem Grunde, den Du nicht kennst; Du wirst ihn aber noch erfahren." "Er wird ihn nicht verderben; er wird ihn freigeben." "Sagte er es?" "Er sagte es." "Glaube es ihm nicht; er ist ein Luegner und Betrueger wie sein Vater. Suche zu erfahren, in welchem Gefaengniss sich Katombo befindet; wir muessen ihn selbst retten." "Er gibt ihn frei; er hat es mir versprochen." Die Zuege der Alten wurden womoeglich noch finsterer als zuvor. "Hat er es Dir versprochen, so hast Du ihm ein Gegenversprechen machen muessen." Zarba senkte verlegen den Blick. "Ja," antwortete sie endlich. Sie wusste, dass der Vajdzina nur schwer zu entrinnen sei. "Was hat er von Dir verlangt?" "Dass ich heut Abend mit ihm spreche." "Wo?" "Hier im Walde." "Du luegst! Das ist zu gering als Entschaedigung fuer Katombos Freiheit; er kann Dich im Walde ohne ein solches Opfer treffen. Ich verlange, dass Du die Wahrheit redest!" "Ich sage sie. Er hat mich bestellt." "Aber nicht hier im Walde! Willst Du Deine Mutter taeuschen, die zugleich Deine Vajdzina ist? Glaubst Du, mein Auge sei so truebe und mein Geist so dunkel geworden, dass ich nicht sehe und errathe, was Du mir verbergen willst? Du sollst heut zu ihm in seine Wohnung kommen! Antworte!" "Ja." "Und Du hast es ihm versprochen?" "Ja." Die Alte blickte eine Weile still sinnend vor sich hin; dann meinte sie: "Vernimm, was ich Dir sage! Du solltest mit kaltem Herzen die Liebe in seiner Brust erwecken; es ist Dir gelungen, aber Dein Herz ist nicht kalt geblieben, sondern es brennt und lodert in derselben Gluth wie das seinige. Dies willst Du verschweigen und Deine Vajdzina betruegen. Deine Strafe dafuer soll sein, dass Du den verdirbst, der Dir hoeher steht als meine Befehle. Du wirst heut zu ihm gehen, und wenn er Dich nicht wieder von sich lassen will, so komme ich und werde Dich zurueckverlangen. Mache Dich schoen und schmuecke Dich fein, doch darf Niemand etwas davon merken!" Sie wandte sich ab und Zarba befand sich nun mit ihrer eigenthuemlichen Instruktion auf sich selbst angewiesen. In tiefes Sinnen und Gruebeln versunken, streifte sie den ganzen Tag ueber im Forste umher, bis es Nacht wurde und die Stunde nahte, fuer welche sie bestellt worden war. Jetzt legte sie ihre beste Kleidung an und schlich sich, nur von der Vajdzina beobachtet, hinaus auf die Strasse, auf welcher sie nach kurzer Wanderung auch wirklich einen Wagen halten sah, dessen Kutscher, als sie die Losung aussprach, ihr beim Einsteigen half und dann in Eile der Stadt entgegenfuhr. Am Flusse harrte ihrer ein Anderer, welcher sie in ein Boot geleitete und mit demselben nach dem Garten des Herzogs uebersetzte. Hier fuehrte er sie bis in die Naehe der Treppe, wo Raumburg ihrer bereits wartete. "Du kannst gehen!" befahl er dem Diener, welcher sich auf diesen Befehl schleunigst entfernte. "Weiss der Vajda oder sonst Jemand, dass Du den Wald verlassen hast?" frug er dann Zarba. "Die Vajdzina." Er schien unangenehm ueberrascht zu sein. "Wer hat es ihr gesagt?" "Ich. Sie hat Alles errathen." "So ist es nothwendig, dass auch ich Alles errathe. Komm!" Er trat mit ihr an das Treppenfenster, oeffnete dasselbe und stieg ein. Sie zoegerte, ihm zu folgen. "Komm ohne Sorgen, Zarba," meinte er. "Es ist hier ein geheimer Weg nach meiner Wohnung; ich darf Dich nicht durch den oeffentlichen Eingang bringen, weil ich nicht will, dass Du gesehen wirst." Sie stieg zu ihm herab. Jetzt zog er eine Blendlaterne hervor, so dass der Gang erleuchtet wurde, und fuehrte sie durch die Bibliothek in sein Arbeitskabinet. "Warte hier! Es wird Niemand Einlass begehren, und ich werde in wenigen Minuten wohl schon wieder bei Dir sein." Er kehrte durch den Gang in den Garten zurueck und trat an die kuenstliche Umzaeunung desselben. Ueber dieselbe hinwegblickend, gewahrte er einen Kahn, welcher geraeuschlos laengs des Ufers herabgetrieben kam und ihm gegenueber landete. Eine Frauengestalt stieg aus. "Dachte es mir!" murmelte er. "Doch sie soll sich verrechnet haben und mir statt hinderlich nur foerderlich sein. Wenn sie den geheimen Eingang kennt, so muss sie sterben." Das Weib war keine Andere, als die Vajdzina. Sie kam vorsichtig an die Umfassung des Gartens heran und schlich sich an derselben entlang bis zu einer Stelle, welche ihr zum Uebersteigen am bequemsten schien. In der Naehe stand eine von dichtem Blaetterwerke gebildete Laube, in welcher es sich beim Erscheinen der Zigeunerin leise regte. Waere es heller gewesen, so haette man einen Diener erkennen koennen, welcher mit einem Kuechenmaedchen die Einsamkeit des Gartens zu einem Stelldichein benutzt hatte. "Wer ist das?" fluesterte das Maedchen erschreckt. "Jemand, der jedenfalls nicht herein gehoert," antwortete der junge Mann. "Ein Weib -! Sicher eine Obst- oder Gemuesediebin. Lass uns sie belauschen und dann auf der That ertappen!" Sie traten aus der Laube und schlichen der Vajdzina nach, welche die Richtung nach der Verandatreppe einhielt. Dort angekommen, trat sie an das Fenster; noch aber hatte sie sich nicht zu demselben niedergebueckt, so wurde sie beim Arme ergriffen. "Halt! Was hast Du hier zu suchen?" "Der Herzog!" fluesterte der Diener seinem Maedchen zu. Sie standen mit einander hinter einem nahen Bosquet und konnten die beiden Andern ganz deutlich sehen und hoeren. "Und was suchst Du hier?" antwortete die Zigeunerin. "Sind die Wege eines Herzogs so dunkel, dass Niemand sie sehen darf?" "Ich suche Dich. Ich wusste, dass Du kommen wuerdest." "So hat es Dir der Geist gesagt, den Ihr Gewissen nennt. Wo ist Zarba, die Tochter der Boinjaaren?" "Sie ist bei mir." "Schicke sie herab, dass ich mit ihr zurueckkehre!" "Sie wird bei mir bleiben, so lange es mir gefaellt." "Ich wusste, dass dies Dein Wille war, und bin deshalb gekommen, sie gegen Dich zu schuetzen. Wo ist Katombo, mein Sohn?" "Er befindet sich in meinen Haenden." "Auch ihn gibst Du mir wieder. Dein Vater hat mich an dieser Stelle zu sich geholt, wie Du heut Zarba zu Dir gefuehrt hast. Er knickte die Blume und warf sie dann fort; aber der Geist der Rache verwandelte die Rose in eine Loewin, welche nach Vergeltung lechzte. Du bist in meine Hand gegeben und wirst thun, was ich von Dir fordere." Er lachte kurz und hoehnisch auf. "In Deine Hand? Weib, Du bist verrueckt! Aber ich bin trotzdem begierig, zu erfahren, was Du von mir verlangen koenntest." "Dass Zarba Dein Weib werde, Dein rechtmaessiges, Dir oeffentlich angetrautes Weib." "Es ist wahrhaftig kein Zweifel, Du bist wahnsinnig. Eine Zigeunerin das Weib eines Herzogs!" "Sie ist eine Fuerstin unter den Kindern der Zingaaren und schoener als alle Maedchen der Christen. Sie soll Herzogin werden, oder ich nehme Dir Deine Krone und Alles, was Du hast. Dein Vater schwur mir, dass ich sein Weib, seine Gemahlin sein solle; er hat sein Wort gebrochen, und daher soll die Tochter der verrathenen und verstossenen Zigeunerin das sein, was ihre Mutter nicht werden durfte." "Ah - -!" dehnte er. "Das wird immer interessanter. Womit willst Du mich zwingen, Deinen Willen zu thun?" "Mit Katombo. Er ist Dein aeltester Bruder, welchen ich Deinem Vater stahl, um mich zu raechen." "Beweise es!" "Siehe das Wappen der Raumburge an seinem Arme; es ist ganz dasselbe, wie auch Du eins haben wirst. Auch seine Kleider habe ich aufbewahrt an einem Orte, wo sie sicher liegen, bis ich sie brauche." "Weib, Du machst Dich ungeheuer laecherlich! Du bekennst Dich fuer des Kindesraubes schuldig und wirst fuer lebenslang in das Zuchthaus wandern, wenn Du Deinem Wahnsinn Folge gibst." Seine Worte klangen ausserordentlich ruhig und gelassen, obgleich die ihm gewordene Enthuellung von der groessten Wichtigkeit fuer ihn sein musste. Die Zigeunerin amtwortete: "Du hast Recht; ich werde eine Zeit lang gefangen sein, aber Katombo, der neue Herzog, wird mich zu begnadigen wissen. Waehle zwischen Zarba und meiner Rache!" "Ich habe gewaehlt." "Wie?" "So!" Mit einem raschen Griffe schlug er ihr die beiden Haende um den Hals, den er in der Weise zusammenpresste, dass es ihr unmoeglich war, einen Laut von sich zu geben. Der Athem verging ihr; Die Besinnung schwand; sie schlug krampfhaft mit den Armen um sich; dann sanken dieselben schlaff herab; ein letztes konvulsivisches Zucken flog ueber ihren Koerper, dann stuerzte sie, von ihm losgelassen, zur Erde. Er hatte sie erwuergt. Die beiden Lauscher standen vor Entsetzen an allen Gliedern gelaehmt. Sie haetten sich nicht bewegen koennen, selbst wenn es in ihrer Absicht gelegen haette, gegen die finstere That ihres Gebieters einzuschreiten. Und ueberdies war dieselbe so rasch geschehen, dass fuer einen Entschluss die noethige Zeit gar nicht vorhanden war. Der Herzog nahm die Leiche auf und trug sie davon. "Er wird sie in das Wasser werfen," meinte der Domestike in einem Tone, aus welchem die ganze Groesse seines Entsetzens klang. "Komm, um Gottes Willen, komm; wir duerfen von dieser Stunde nicht das Mindeste wissen!" Er zog das zitternde Maedchen in groesster Eile mit sich fort. Seine Vermuthung war richtig. Der Herzog warf die Zigeunerin ueber die Umfassung, stieg nach und schleppte sie dann in den Fluss. Das Wasser desselben war hier so tief und reissend, dass es die Leiche sicher eine so weite Strecke mit sich fortnahm, dass eine Entdeckung nicht zu erwarten stand. Dann kehrte er durch den verborgenen Gang in sein Arbeitszimmer zurueck. Als er hier bei Zarba eintrat, zeigte sein Aeusseres eine Ruhe, welche nicht das Geringste von dem verrieth, was soeben geschehen war. "Ich musste Dich warten lassen," meinte er. "Nun aber bleibe ich bei Dir." "Ich dachte, Du holtest Katombo!" "Katombo? Wie kommst Du auf diesen Gedanken?" "Hast Du mir nicht versprochen, ihn frei zu geben, wenn ich Dir Deinen Willen thue, Dich hier zu besuchen." "Versprochen habe ich es eigentlich nicht. Es ist sehr schwer, ihn der Hand des Richters zu entziehen." "Dir ist Alles moeglich" "Vielleicht." "So gib ihn frei!" "Unter einer Bedingung." "Welche ist es?" "Lasst erst sehen! Katombo ist kein geborener Zigeuner, wie ich nun sicher weiss. Wer sind seine Eltern?" "Ich weiss es nicht. Die Vajdzina fand ihn im Walde." "War der Vajda dabei, als sie ihn fand?" "Nein, er war damals in Suederland." "Der Vajda und die Vajdzina sind so offen mit einander, dass sie kein Geheimniss gegen einander haben?" "Die Vajdzina ist die Koenigin des Stammes; sie braucht ihrem Manne nichts zu sagen, was er nicht wissen soll." Sie ahnte nicht, dass sie mit diesem Ausspruche ihrem Vater das Leben rettete. "Weisst Du, dass ich soeben mit der Vajdzina gesprochen habe?" "Jetzt?" "Ja. Sie hat Dir gesagt, dass sie kommen werde." "Sie sagte es." Er zog eine Schnur hervor, an welcher ein kleiner, lederner Wickel hing. Er hatte sie vorhin der Leiche vom Halse genommen, ehe er diese in das Wasser warf. "Hier sendet sie Dir dies Zeichen. Du sollst bei mir bleiben, bis sie kommt, um Dich abzuholen." "Bei Dir? Ich kam doch nur fuer eine Stunde!" Er zog sie an sich und strich ihr mit der Hand liebkosend ueber das Haar. "Hast Du mich wirklich lieb, Zarba?" "Ja." "Und musst Du der Vajdzina in Allem gehorchen?" "Ja." "So wirst Du bei mir bleiben; sie befiehlt es Dir. Denn nur unter dieser Bedingung kann ich Katombo retten und den Andern, der ihm gegen mich beistand." Sie blickte verwirrt vor sich nieder. Der Gehorsam gegen die Vajdzina und die Liebe stritten gegen das Gefuehl maedchenhafter Scham und Zurueckhaltung in ihrem Innern. "Und was soll ich hier?" Er drueckte sie noch inniger an sich und kuesste sie wiederholt auf die schwellenden Lippen. "Meine Gebieterin sollst Du sein, meine Braut, mein Weibchen." Er sprach weiter zu ihr und immer weiter. Seine Stimme hatte jenen einschmeichelnden Klang, welcher selbst ein erfahreneres Maedchen, als Zarba war, zu bethoeren vermag. Er erzaehlte ihr von der Pracht und Herrlichkeit, die ihrer wartete und umstrickte sie mit so glanzvollen Schilderungen und Versprechungen, dass ihr Widerstand immer schwaecher wurde, bis sie endlich frug: "Hat die Vajdzina wirklich befohlen, dass ich bleibe?" "Wirklich! Ich habe Dir ja zur Beglaubigung ihr Zeichen gebracht." "Es ist ihr Talisman, den sie noch niemals aus den Haenden gegeben hat; ich glaube Dir und werde bleiben, bis sie kommt. Aber nun gibst Du auch Katombo frei?" "Ja." "Jetzt gleich?" "Sofort. Ich werde den Befehl geben, ihn zu entlassen." Er erhob sich. Sie hielt ihn zurueck. Hatte trotz alledem der Zweifel seine warnenden Stimme in ihr erhoben? "Ich muss dabei sein; ich muss mich ueberzeugen, dass er wirklich gehen darf!" Er laechelte. "Du lieber, kleiner Unglaube! Ich muss Dir Deinen Willen thun, um Dich ganz und gar zu beruhigen und zu ueberzeugen. Aber ist es Dir denn lieb, dass Katombo Dich sieht?" "Nein, aber er soll erfahren, dass ich bei Dir bleibe, um ihn zu retten." Der Herzog trat hinaus auf den Korridor und von da in ein Zimmer, in welchem zwei Maenner auf sein Erscheinen gewartet zu haben schienen. Sie trugen seine Livrée und waren wohl seine Vertrauten. "Holt den Zigeuner! Ich werde Euch befehlen, ihn sofort frei zu geben, dennoch aber nehmt ihr ihn unten wieder fest und bringt ihn in den Keller zurueck. Sorgt dafuer, dass der ganze Vorgang keine Zeugen findet!" Er kehrte zu Zarba zurueck, der man es ansah, dass sie dem Erscheinen ihres bisherigen Geliebten doch nicht ohne Bangen entgegen sah. Nach einiger Zeit wurde die Thuer geoeffnet und einer der Maenner trat ein. "Befehlen Excellenz den Gefangenen?" "Herein mit ihm!" Katombo trat ein. Sein erster Blick fiel auf das Maedchen. "Zarba!" Er fuhr zurueck, als habe er ein Gespenst erblickt. "Was thust Du hier?" "Ich habe um Gnade fuer Dich gebeten." "Zu dieser Stunde! Ich brauche keine Gnade; ich will nur Gerechtigkeit." "Nenne es wie Du willst, Gnade oder Gerechtigkeit," fiel der Herzog ein. "Ich will Dir Deinen Wunsch erfuellen, Du bist frei. Nehmt ihm die Fesseln und geht!" Die Diener gehorchten dem Befehle und verliessen das Zimmer. Katombo dehnte und reckte seine Arme, um das Blut in Umlauf zu bringen; dann wandte er sich an Zarba: "Komm!" Der Herzog legte den Arm um das Maedchen und zog sie an sich. "Du gehst allein; Zarba bleibt bei mir." "Was soll sie hier?" "Mein Liebchen sein. Geh!" "Ah!" Er sprach nur diese eine Silbe aus, aber ihr Ton gab deutlich Zeugniss von den Gefuehlen, welche jetzt auf ihn einstuermen mussten. "Die Vajdzina hat es geboten," entschuldigte sich das Maedchen in sichtlicher Verlegenheit. "Ich konnte Dich nicht anders retten." "Um diesen Preis will ich nicht frei sein," klang es veraechtlich. "Du warst auch ohnedies fuer mich verloren, aber Du sollst Deine Untreue nicht mit einer angeblichen Grossmuth bemaenteln, die eine Luege ist. Du erniedrigst Dich zur Buhlerin; ich habe keine Pflicht mehr, Dich zu retten; es wuerde auch vergebens sein; aber ich bitte Dich, kehre zur Vajdzina zurueck, denn ich gehe wieder in meine Gefangenschaft." "Das wird Dich nichts nuetzen, denn sie bleibt bei mir, auch wenn Du verschmaehst frei zu sein." Trotz des Schmerzes, der in seinem Innern wuehlte, vermochte es Katombo, ein Laecheln fertig zu bringen; es war ein unendlich stolzes. Er reckte sich in die Hoehe und trat einen Schritt naeher. "Glaubst Du wirklich, dass es meine Absicht war, gefangen zu bleiben? Ich wollte nur sehen und beweisen, dass meine Rettung nichts als eine eitle Vorspiegelung war. Ich gehe. Zarba bedaure ich; Dich aber verachte ich. Du hast mir das Liebste geraubt, was ich hatte; Du wirst mich wiedersehen, wenn ich komme, Abrechnung mit Dir zu halten!" Er trat zur Thuere hinaus und schritt der Treppe zu. Unten standen die beiden Diener; er musste an ihnen vorueber, wenn er zum Hauptportale gelangen wollte. Der Eine trat ihm entgegen. "Hier ist bereits verschlossen. Komm hier nach hinten!" Er schritt voran, einen langen Flurgang hinab. Katombo folgte, hinter ihm der zweite Domestike. Der Andere oeffnete am Ende des Ganges eine Thuer, hinter welcher eine Treppenoeffnung sichtbar wurde. "Hier hinab!" Dem Zigeuner kam blitzschnell die Erkenntniss, was man mit ihm vorhabe. Rasch wandte er sich um, warf den hinter ihm Stehenden zu Boden und sprang den Gang zurueck. Neben dem Portale befand sich eine Thuer, in deren Schlosse der Schluessel steckte. Mit der Geschwindigkeit des Gedankens riss er sie auf, trat ein und schob den Riegel vor. Die Diener waren ihm gefolgt. "Er wird durch das Fenster fliehen wollen. Schnell das Thor auf und hinaus!" gebot der Eine. Die Innenriegel flogen zurueck; das Thor sprang auf, und die beiden Maenner traten hinaus. Der kleine Raum, in welchen Katombo gerathen war, war das Zimmer des Portiers. Dieser befand sich nicht in demselben, da man ihn entfernt hatte, um nach dem Befehle des Herzogs jede unnoethige Zeugenschaft zu vermeiden. Auf dem Tische lag ein Messer. Katombo ergriff es, oeffnete das Fenster, schwang sich hinauf und sprang nach aussen. Seine Fuesse beruehrten in dem Augenblicke den Boden, in welchem seine Verfolger aus der Thuer traten. Sie warfen sich sofort auf ihn, aber mit einem lauten Weheschrei stuerzte der Vorderste zur Erde; Katombo hatte ihm das Messer in die Kehle gestossen und flog in weiten Saetzen nach dem Wasser zu. "Hilfe! Moerder! Haltet ihn!" rief der Unverletzte und eilte hinter ihm her. Neben dem Portale stand ein Schilderhaus, in welchem ein Militaerposten lehnte. Der Mann war Zeuge des ganzen Vorganges gewesen; doch war Alles so schnell geschehen, dass er sich erst, als Katombo bereits den Fluss erreicht hatte, auf das besann, was ihm zu thun oblag. "Steh oder ich schiesse!" gebot er und erhob das Gewehr. Der Zigeuner warf sich in das Wasser. Der Schuss krachte, und die Kugel pfiff hart ueber seinem Kopfe hinweg. Die Hilferufe des Dieners und der weithin droehnende Schuss blieben nicht ohne fuer Katombo hoechst bedenkliche Folgen. Die zahlreiche Dienerschaft des Herzogs eilte auf den Alarm aus dem Palaste und besetzte das diesseitige Ufer. Am jenseitigen sammelten sich Leute; es war dem Fliehenden unmoeglich, hueben oder drueben zu landen. Ein Glueck fuer ihn war es, dass gerade gegenwaertig nur ein einziges Boot auf dem Flusse sichtbar war. Es hielt sich in der Mitte und wurde stromauf gerudert. Ein einziger Mann sass in demselben. Konnte Katombo ihn ueberwaeltigen, so war er gerettet. Als ein ausgezeichneter Schwimmer strebte er schnell dem Kahne entgegen. Der Mann zog das Ruder ein und richtete sich empor. "Wer da?" Katombo antwortete nicht. Das Messer in der Rechten, stiess er mit den Fuessen kraeftig aus, so dass er fast ueber den Bord des Kahnes gehoben wurde. Sich mit der Linken festhaltend, holte er mit dem Messer aus. Der Mann im Kahne sah die Klinge blitzen; mit einem blitzschnellen Griffe fasste er die Rechte des Zigeuners, der unter dem furchtbaren Drucke, den er fuehlte, das Messer fallen liess, ergriff ihn dann an der Jacke und warf ihn mit einem riesenkraeftigen Schwunge zu sich herein. Bei dieser Bewegung drohte das schwanke Fahrzeug umzukentern; es hob und senkte sich, und das Wasser spritzte von beiden Seiten herein. Den Mann schien das nicht im Mindesten zu beruehren; er hielt mit eisernen Faeusten Katombo gepackt und meinte in beinahe gemuethlichem Tone: "Heda, mein Buerschchen, da bist Du wohl an den Unrechten gekommen! Wer sind wir denn eigentlich?" "Rette mich; ich bin unschuldig!" stiess der Zigeuner hervor. "Unschuldig? Und dabei schiesst man hinter Dir her und schreit nach Moerdern? Wer bist Du?" "Ich bin ein Zigeuner und dem Herzoge von Raumburg entsprungen, der mich in seinen Keller sperrte, um mir meine Braut nehmen zu koennen." "Der Raumburger? Hm! Ich bin dem Kerl keineswegs gewogen; aber Du greifst mich mit dem Messer an." "Aus Verzweiflung!" "Moeglich!" Der Sprecher blickte aufmerksam nach den beiden Ufern und meinte dann gelassen: "Hoere, Bursche, ich will Dir einmal Etwas sagen: Ich kenne den Herzog, und was Du mir da sagst, klingt allerdings wahrscheinlich. Bist Du unschuldig, so werde ich mich Deiner annehmen; im andern Falle aber uebergebe ich Dich der Polizei. Erzaehle mir Alles aufrichtig und versuche nicht, mir zu entkommen. Bis Du fertig bist werden wir trotz den Schreihaelsen da drueben ein wenig spazieren fahren." Er nahm die Haende von Katombo weg, so dass sich dieser aufrichten konnte, und griff nach den Rudern. Jetzt erst erkannte der Zigeuner, dass er einen Mann von ganz ungewoehnlich kraeftigen Koerperformen vor sich hatte, der sich allerdings vor Niemand zu fuerchten brauchte. Von zwei starken Armen getrieben, flog der Kahn jetzt wieder stromabwaerts, so dass die Verfolger ein lautes Geschrei erhoben, welches aber der Besitzer des Kahnes nicht im Geringsten beachtete. "Also erzaehle!" gebot er zum zweiten Male. Sein Gesicht war so ehrlich und Vertrauen erweckend, dass Katombo Muth fasste. Er stattete einen ausfuehrlichen Bericht ueber das Erlebte ab, und war mit demselben erst zu Ende, als die Residenz laengst hinter ihnen lag. Der Andere zog die Ruder ein und liess den Kahn nur noch mit dem Wasser treiben. "Hm! Ich glaube Dir Alles, was Du mir da gesagt hast; aber eine verteufelte Geschichte ist es dennoch, da Du das Messer gebraucht hast. Haette der Laerm nicht stattgefunden, so glaube ich, liesse der Herzog die Sache am liebsten auf sich beruhen. Am Besten ist es, Du machst Dich so schnell wie moeglich aus dem Staube." "So willst Du mich freigeben?" "Allerdings; man hat mich nicht erkannt, und Du scheinst mir ein ganz braver Kerl zu sein." "So bitte ich Dich, mich an das Land zu setzen. Ich muss sofort nach dem Gehege." "Was faellt Dir ein! Du kannst Dir leicht denken, dass bereits Boten unterwegs sind, um Dich dort abzufangen." "Aber ich muss zur Vajdzina!" "Jetzt nicht, mein Junge! Es ist keineswegs meine Absicht, Dir zu helfen, damit sie Dich wieder erwischen. Willst Du den Deinen Nachricht geben, so werde ich selbst nach dem Gehege gehen." "Wirklich?" "Ja, und zwar noch heut in der Nacht, wenn Du es verlangst." "Und wo bleibe ich?" "In meiner Wohnung; da bist Du sicher." "Wer bist Du?" "Ich heisse Brandauer und bin der Kurschmied seiner Majestaet des Koenigs." "Ich verstehe mich auch auf die Schmiederei." "Ich habe davon gehoert, dass die Zigeuner oft die besten Pferdeschmiede sind. Das freut mich! Jetzt gehen wir an das Land." "Und dann in die Stadt zurueck?" "Ja. Doch habe keine Sorge; Du bist bei mir vollstaendig sicher." "Und der Kahn? Er kann Dich verrathen." "Er gehoert einem Fischer; er mag ihn morgen holen." Sie stiessen an und zogen das Boot an das Land. Dann schritten sie in einem weiten Bogen nach der Stadt zu. Jede Begegnung sorgfaeltig vermeidend und sich stets im Dunkel haltend, gelangten sie gluecklich an die Hofschmiede, deren Fenster alle dunkel waren. "Wir gehen durch die Hinterthuer," meinte der Schmied und sprang ueber den Zaun. Katombo folgte ihm. Als sie in die Werkstatt traten, machte Brandauer Licht. Das Erste, was den beiden Maennern in die Augen fiel, war eine weisse Gestalt, die sich hinter den Blasebalg niedergekauert hatte, um sich dort zu verstecken. Jedenfalls war es ein Lehrjunge, der hier auf verbotenen Wegen von dem Meister ueberrascht wurde, den er wohl bereits zu Hause gewaehnt hatte. Der Schmied zog ihn hervor, und nun zeigte es sich, dass der Bursche nur mit Hemd und Unterhose bekleidet war. "Was thust Du hier, Thomas?" "Ich - ich - ich weiss es selper nicht, Meister Prandauer." "So!" Er leuchtete in den Winkel, wo der Bursche gesteckt hatte, und brachte eine noch glimmende Cigarre zum Vorschein. "Was ist das?" ""Das? Hm, das ist vielleicht gar eine Ampalema!" "Du hast geraucht?" "Nur ein ganz kleines Pischen, Herr Meister." "Und warum hier?" "Dropen kann ich nicht in der Kammer; da koennte ich pei dem Opergesellen schoene Ohrfeigen pesehen!" "Verdient haettest Du sie!" lachte Brandauer, der dem Lehrjungen nicht ungewogen zu sein schien. "Aber da sie einmal brennt, so magst Du sie fortrauchen. Dabei aber sorgst Du fuer diesen Mann, den ich Dir uebergebe, bis ich nachher wiederkomme." "Ganz zu Pefehl, mein pester Meister Prandauer!" schmunzelte der Junge und folgte den beiden Leuten in die Stube, wo der Schmied einen Kleiderschrank oeffnete. "Hier, ziehe Dich um, und lass Dir dann von Thomas zu essen und zu trinken geben. Er mag so vorsichtig wie moeglich sein, dass Niemand aufgeweckt wird. Jetzt gehe ich nach dem Gehege." Nach einigen weiteren Bemerkungen verliess er das Haus. Katombo sah sich von dem Lehrburschen aus das Beste bedient, der, als sich der Zigeuner umgekleidet hatte und mit Essen fertig war, hinaus in die Werkstatt ging und mit einer Cigarre zurueckkehrte. "Willst Du Dir auch eine anprennen?" frug er. "Ja." "Da hast Du sie; aper rauche sie mit Verstand; es ist nicht etwa plos Cupa oder Hapanna, sondern die peste Ampalema. Ich hape sie von meinem Pruder Palduin, der ist Kenner, zwei Stueck fuer drei Pfennige!" Damit hatte die Unterhaltung ein Ende, denn der Lehrling hatte keine Lust, sich den Hochgenuss seiner Ambalema durch unnuetzes Reden zu beeintraechtigen, und Katombo war zu sehr mit seinen Gedanken und Gefuehlen beschaeftigt, als dass er ein Beduerfniss nach einem Gespraeche empfunden haette. So vergingen beinahe zwei Stunden, ehe Brandauer zurueckkehrte. Er schickte den Jungen zur Ruhe und gab dann kurzen Bericht. "Ich habe sie nicht getroffen." "Warum? Der Ort ist auch bei Nacht leicht zu finden." "Weil sie ueberhaupt nicht mehr da sind. Ich traf ganz unerwartet auf einen Militaerposten, der mich anrief. Ich gab an, dass ich mich verirrt haette, und frug nach dem Grunde, dass Posten ausgestellt seien. Er erzaehlte mir, dass einer der Zigeuner einen Mann erstochen habe und entflohen sei; nun ist das ganze Gehege besetzt, um ihn zu fangen, sobald er zurueckkehrt. Die andern Zigeuner aber sind sofort unter militaerischer Bedeckung transportirt worden, wohin, das wusste er nicht." "So werde ich morgen nachforschen!" "Das ueberlass nur mir. Fuer jetzt bist Du bei mir in Sicherheit. Ich uebergebe Dir ein Zimmer, welches kein Mensch betreten darf als der Lehrling, der Dich bedienen wird. Er ist treu und verschwiegen. Das Uebrige wird sich spaeter finden." XI. Paroli. Es war am Abende. Ein feiner, dichter Regen fiel vom Himmel nieder, so dass auf den Strassen der Residenz nur Diejenigen verkehrten, welche die Nothwendigkeit aus ihren Wohnungen trieb. Der Posten, welcher vor dem Polizeigebaeude auf und ab patrouillirte, hatte sich fest in seinen Mantel gehuellt und murmelte zuweilen ein zorniges Kraftwort ueber das unfreundliche Wetter, dem er sich in Folge seiner dienstlichen Obliegenheiten preisgeben musste. Ein hochgewachsener Mann, der einen weiten Gummirock mit Kapuze trug, kam die Strasse heraufgeschritten und trat durch das Portal in das Gebaeude. Der diensthabende Polizist im Flure desselben trat ihm einen Schritt entgegen. "Was wuenschen Sie?" "Ist der Inspektor zu Hause?" "Der Herr Inspektor, wollen Sie wohl sagen! Er ist zwar da, aber nicht mehr zu sprechen." Statt aller Antwort drehte sich der Mann um und schritt auf die Treppe zu. Der Polizist eilte ihm nach und fasste ihn am Arme. "Ich sagte, dass der Herr Inspektor nicht zu sprechen sei." Der Andere schlug jetzt die Kapuze zurueck und frug: "Kennen Sie mich?" Der Beamte trat erschrocken einen Schritt zurueck. "Durchlaucht Excellenz! Verzeihung, ich konnte Ew. Hoheit ganz unmoeglich erkennen!" Der Herzog von Raumburg, denn dieser war es, nickte kurz und stieg dann zur ersten Etage empor, in welcher sich die Wohnung des Inspektors befand. Dort angekommen, oeffnete er ohne Weiteres eine Thuer und befand sich seinem Untergebenen gegenueber, den ueber den unvermutheten Besuch eine sichtliche Ueberraschung befiel. "Durchlaucht!" "Schon gut; lassen wir alle Komplimente! Sie kennen meine Gewohnheit, Alles selbst zu sehen, mich von Allem so viel wie moeglich selbst zu ueberzeugen. Ich komme, die Polizeigefaengnisse zu revidiren. Ist Alles in Ordnung?" "Alles," antwortete der Inspektor, nach einem Schluesselbunde greifend. "Lassen Sie die Schluessel! Sie wissen, dass ich einen Hauptschluessel fuer die Schloesser saemmtlicher Landesanstalten besitze. Ist bereits abgespeist?" "Ja." "Die Gefangenen haben die Strohsaecke in ihre Zellen bekommen und werden nun eigentlich nicht mehr gestoert?" "So ist es, Excellenz!" "Sind alle Schliesser da?" "Nur der wachthabende; die andern haben frei." "Gut. Er wird mich fuehren, und Ihre Begleitung ist also nicht noethig." Der Herzog verliess das Zimmer und schritt dem ihm wohlbekannten Theile des Gebaeudes zu, in welchem sich die mit Nummern versehenen Gefaengnisszellen befanden. Sie lagen an den Seiten von zwei Korridoren, welche den ersten und zweiten Stock des Hinterhauses bildeten. Der Jour habende Schliesser erkannte ihn sofort und stellte sich in devotester Haltung zur Disposition. "Revidiren!" klang es kurz und befehlshaberisch. "Wo, Excellenz?" "Zunaechst oben!" Sie stiegen eine zweite Treppe empor. Der Schliesser oeffnete eine Zellenthuer nach der andern und leuchtete in die engen Raeume, in welche der Herzog einen kurzen Blick warf. Fast waren sie damit fertig, als Raumburg frug: "Haben Sie Trinkwasser oben?" "Nein; es befindet sich im unteren Korridore." Der Herzog hatte dies bereits bemerkt und gerade deshalb dieses Mittel gewaehlt, den Beamten auf eine kurze Zeit zu entfernen. "Es gibt hier eine Luft, welche in Folge des Zellendunstes beinahe unertraeglich ist. Holen Sie mir ein Glas frisches Wasser!" Der Schliesser beeilte sich, diesem Befehle schleunigst nachzukommen. Kaum hatte er den Gang verlassen, so trat der Herzog zu einer Thuer, welche eine nach dem Boden fuehrende Treppe verschloss. Mit Hilfe seines Hauptschluessels war sie in drei Sekunden geoeffnet; dann schloss er ebenso die Zelle auf, in welcher Helbig detinirt war, und zog ein Buendel unter seinem Rock hervor. "Schnell, schnell! Hier ist der Strick. Dort hinauf!" Helbig ergriff das Buendel und huschte die dunklen Stufen empor. Der Herzog verschloss die beiden Thueren hinter ihm und war damit vollstaendig fertig, als der Schliesser das Wasser brachte. Die Revision wurde fortgesetzt. Als der Herzog vorhin auf das Polizeigebaeude zuschritt, war ihm von weitem ein Mann gefolgt, welcher sich ungesehen von ihm und dem Militaerposten so plazirte, dass er den Eingang des Gebaeudes im Auge zu behalten vermochte. Es war Max, der Sohn des Hofschmiedes Brandauer. Aus dem belauschten Gespraeche zwischen Raumburg und Helbig hatte er mit Sicherheit geschlossen, dass heut etwas gegen ihn, Zarba und den Hauptmann unternommen werde, und daher den Palast des Herzogs aufgesucht, um das Noethige zu beobachten. Seine Vermuthung bestaetigte sich; er sah den Herzog seine Wohnung verlassen und folgte ihm auf dem Fusse bis hierher. Er nahm als gewiss an, dass Helbig sein Gefaengniss heimlich verlassen werde; da er aber die Art und Weise nicht kannte, in welcher dies bewerkstelligt werden sollte, so konnte er nicht den Moerder beobachten, sondern musste sich begnuegen, seine Aufmerksamkeit auf den herzog zu richten. Er hatte beinahe eine volle Stunde gewartet, als er den Letzteren endlich aus dem Portale treten und die Strasse hinabschreiten sah. Er folgte ihm. Raumburg bog in die naechste Seitenstrasse ein und folgte dann einigen engen Gassen, die ihn an die hintere Seite des Polizeigebaeudes fuehrten. Dieses lag ausserhalb der inneren Stadt, und seine Rueckfront stiess an das offene Feld, welches hier die Spuren einiger alter Festungsgraeben zeigte, die nicht zugeschuettet worden waren. In den Vertiefungen wucherte ein ueppiges Weidengebuesch, zu welchem der Herzog seine Schritte lenkte. Dort angekommen, stiess er einen leisen Pfiff aus, und sofort tauchte die Gestalt Helbigs vor ihm empor. "Helbig!" "Hier!" "Alles gut?" "Ja." "Wo ist das Seil?" "Es haengt noch." "Wirst Du wieder hinaufkommen?" "Ja, wenn ich wirklich wieder in die Zelle muss. Aber ich denke, Sie wollen mir die Freiheit schenken!" "Du sollst sie auch haben, aber auf anderem Wege. Du kehrst in Deine Zelle zurueck, und ich werde dafuer sorgen, dass durch ein Alibi Deine Unschuld bewiesen wird." "Es ist finster, und Niemand wird das Seil bemerken, mit dessen Hilfe ich wieder hinauf zum Bodenfenster klettere; aber wie komme ich von dort oben wieder in meine Zelle?" "Sobald Du oben bist, wirfst Du das Seil herab; ich werde es dann selbst entfernen. Natuerlich kann ich Gruende haben, gegen Morgen das Gefaengniss nochmals zu revidiren; Du wartest hinter der Bodenthuer, bis ich diese oeffne. Es wird morgen Niemand ahnen, dass Du waehrend der Nacht das Gefaengniss verlassen hast." "Und nun meine Aufgabe, gnaediger Herr?" "Du gehst zunaechst in meinen Garten. In derjenigen hinteren Ecke, welche nach dem Flusse zu liegt, findest Du ein Paket. Es enthaelt einen vollstaendigen Handwerksburschenanzug, den Du anlegst. Hast Du Geschick genug, fuer einen Schmiedegesellen zu gelten?" "Wird mir nicht schwer fallen, Durchlaucht." "Schoen! Hier hast Du ein Wanderbuch, in welchem Du natuerlich vorher die Visa nachsehen musst. Kennst Du Brandauers Hofschmiede?" "Ja." "Dorthin gehst Du und sprichst um ein Nachtlager an." "Sie werden mich in die Herberge weisen." "Ich habe Erkundigung eingezogen und erfahren, dass der Meister sehr oft wandernde Gesellen bei sich behaelt, wenn ihm ihr Aeusseres und ihre Legitimation gefaellt. Dein Wanderbuch wird Dich ihm empfehlen; das Uebrige ist Deine eigene Sache. Du musst auf alle Faelle versuchen, bleiben zu duerfen; halte Dich an die Gesellen; Hier hast Du Geld, ihnen ein Gratial zu geben. Und solltest Du partout gehen muessen, so benuetze Deine Zeit wenigstens dazu, Dich mit der Oertlichkeit vertraut zu machen, damit es Dir gelingt, Dich heimlich einzuschleichen." "Und was kommt dann?" "Der Schmied hat einen Sohn, Namens Max, welcher in der Stube ueber der Schmiede schlaeft. Auf der andern Seite wohnt eine Zigeunerin und ein verabschiedeter Artilleriehauptmann; das sind drei Personen, fuer welche ich Dir hier dieses Messer und diesen Revolver gebe; er ist geladen. Weiter kann ich nichts sagen." "Ist auch nicht noethig! Sie koennen sich darauf verlassen, dass ich stets vollbringe, was ich mir einmal vorgenommen habe. Geht es im Stillen mit dem Messer, so ist es mir um so lieber; gelingt es aber nicht, so schiesse ich die Drei ganz einfach vor Aller Augen nieder. Fuer meine Person ist keinerlei Gefahr dabei." "Du kleidest Dich dann in meinem Garten wieder um, wo ich in der hintersten Laube auf Dich warten werde. Gelingt Dir Alles gut, so bist Du in wenigen Tagen frei und ich statte Dich so aus, dass Du ohne Sorgen leben kannst. Jetzt geh!" Helbig verschwand. Der Herzog wartete noch einige Minuten und entfernte sich dann auch. Jetzt erhob sich kaum einige Fuss von dem Platze, an welchem die Beiden gestanden hatten, Max vom Boden. Er hatte jedes Wort der fuer ihn so gefahrdrohenden Unterredung vernommen. "Ein sauberes Paar! Der Plan ist wahrhaftig so verwegen, dass wir sehr bedeutende Personen sein muessen, von deren Entfernung hoechst Wichtiges abzuhaengen scheint. Diesen Helbig werde ich bekommen, und den Herzog spaeter auch, trotzdem ihm sein Rang den besten Schutz gewaehrt!" Er kehrte nach der Schmiede zurueck. Dort sassen heut die Gesellen nicht wie an schoenen Abenden im Freien, sondern sie hatten sich in der Werkstatt plazirt. Thomas fehlte; es waren also nur Baldrian, Heinrich und die Lehrlinge anwesend. "Wenn ich nur wuesste, warum der Thomas verreist ist!" meinte Heinrich, der Artillerist. "Es muss das einen ganz besonderen Grund haben." "Das ist am Den!" nickte Baldrian, der Grenadier. "Kannst Du Dir nichts denken?" Baldrian schuettelte mit dem Kopfe, und Heinrich fuhr fort: "Erst eine Depesche und dann der Obergeselle auf Reisen - es geht Etwas vor. Meinst Du nicht auch, Baldrian?" "Das ist am Den!" "Droben die Zigeunerin und der Hauptmann; dann der junge Herr immer auf dem Sprunge - es geht Etwas vor! Hast Du das Gesicht gesehen, welches er machte, als er jetzt kam?" Baldrian nickte. "Das sah aus, als haette er etwas ganz Ausserordentliches erlebt. Er war fadennass, und der Schmutz lag so dick auf seinen Hosenbeinen, als haette er draussen auf dem Felde gelegen. Nun ist er mit dem Meister hinauf zu der Zigeunerin, wo sie Allerlei verhandeln, als ob grosser Kriegsrath abgehalten wuerde, gerade wie damals, als wir vor Hochberg lagen und kein Mensch Rath wusste, bis ich endlich der ganzen Generalitaet aus der Patsche half." "Du?" frug Baldrian verwundert. "Ja, ich. Das war naemlich so: Wir belagerten Hochberg schon sechs Wochen lang und konnten doch das Nest nicht bekommen. Der Oberstkommandirende war ganz grimmig darueber, hielt einen Kriegsrath nach dem andern und konnte doch zu keinem Ziele kommen. Eines schoenen Tages sassen sie wieder beisammen, und ich hatte den Zimmerpostendienst. Jeder hatte eine andere Meinung; der Generalissimus fluchte und wetterte, dass es krachte, und sagte endlich: "Die Schuld liegt daran, dass wir weder von der Befestigung noch von der Vertheidigung etwas Genaues wissen. Ich wollte der Sache bald ein Ende machen, wenn ich drin Jemand haette, der mir Alles sagte." Die Rede leuchtete mir ein; ich konnte mich nicht halten und trat vor. "Zu Befehl, Herr Generalissimus; schicken Sie mich hinein. Ich werde auf den Thurm steigen und mir Alles genau ansehen." "Du?" frug er. "Ja so, Du bist ja der Heinrich Feldmann, der beruehmteste und gescheidteste Artillerist in meinem ganzen Heere! Getraust Du Dir das wirklich zu Stande zu bringen?" "Zu Befehl, ja!" "Gut; ich gebe Dir jetzt sofort Urlaub. Lass Dich abloesen und handle ganz nach Deinem Ermessen; ich weiss, dass Du ein guter strategischer Kopf bist und mir meinen Feldzugsplan nicht verderben wirst. Wenn es Dir wirklich gelingt, so bekommst Du eine lebenslaengliche Pension von jaehrlich fuenfhundert Thalern." "Ich liess mich also abloesen, setzte mich auf meinen Fuchs, denn ich war doch reitender Kanonier und durfte mich zu Fusse nicht blamiren, und ritt im Galopp gegen die Festung. Sie hielten mich fuer einen Parlamentaer und dachten schon, wir wollten uns ihnen ergeben; darum machten sie schnell das Thor auf und kamen in hellen Haufen herbei, um mich zu empfangen. Indem ich mir nun die Leute ansehe, erblicke ich unter ihnen den ganz obersten Festungskommandanten. Da faehrt mir ein kuehner, gewaltiger Plan durch den Kopf, denn ich hatte bemerkt, dass die Kirchthuer offen stand. Ich reite also auf den Kerl zu, packe ihn bei der Gurgel, reisse ihn zu mir herauf auf den Fuchs und sprenge mit ihm nach der Kirche. Hinter uns ertoent ein ungeheures Wuthgeheul; ich aber kehre mich nicht im Geringsten daran, sondern galoppire die vier Thurmtreppen hinauf bis auf den Glockenboden. Dort steige ich ab und werfe den Kommandanten vom Pferde; er war in eine Ohnmacht gefallen, und da ich keine aesthetischen Tropfen mit hatte, konnte ich ihm nicht helfen. Im Nu habe ich die Fallthuere zugeworfen und schiebe den Riegel vor. Aber das ganze Heer der Belagerten war mir nachgestiegen und wollte die Fallthuer sprengen. Was ist da zu thun? Ich schraube also die drei Glocken los und waelze sie auf die Thuer. Das war meine Rettung. Nun binde ich dem Kommandanten die Haende und Fuesse und gucke durch das Schallloch hinaus. Ich kann da die ganze Befestigung ueberblicken und gebe unsern Leuten durch Zeichen zu verstehen, was sie machen sollen. Auf diese Weise dauerte es nur fuenf Tage, und die Festung war unser. Der Feind wusste natuerlich, dass ich die Hauptrolle dabei spielte, und ich wurde darum von der obersten Treppe aus ganz fuerchterlich belagert; aber die Glocken waren so schwer, dass ich keine Sorge zu haben brauchte. Gehungert habe ich waehrend dieser fuenf Tage auch nicht, denn der Kommandant war gerade als ich kam, beim Konditor gewesen, um seiner Frau fuenf Pfund Chokolade und drei Pfund Marzipan mitzunehmen; davon haben wir gelebt, und es schmeckte gar nicht uebel. Der Fuchs aber steckte von Zeit zu Zeit den Kopf zum Schallloche hinaus und frass das Stroh und Heu aus den Dohlen- und Schwalbennestern, die es da draussen in Menge gab. Als die Unsrigen die Festung erstuermt hatten, bauten sie mir auf jeder Treppe einen Triumphbogen mit allerlei Fahnen und Guirlanden, und ich bin wieder hinuntergeritten, dass es puffte." "Das ist am Den!" nickte Baldrian mit einem Gesichte, als ob er an der fuerchterlichsten Kolik litte. "Willst Du es etwa nicht glauben? Fuer die Gefangennahme des Festungskommandanten bekam ich extra eine goldene Medaille geschlagen, die mir aber auch irgendwo abhanden gekommen ist, und die Pension beziehe ich noch heut; Ihr seht nur nichts davon, weil ich das Geld stehen lasse, bis es mir einmal gefallen wird, mich zur Ruhe zu setzen." Baldrian stand im Begriffe, trotz seiner sonstigen Einsilbigkeit eine scharfe Bemerkung zu machen, wurde aber daran verhindert, denn die Hausthuer oeffnete sich, und Helbig trat ein, den Knotenstock in der Hand und ein volles Felleisen auf dem Ruecken. "Viel Glueck ins Haus, Ihr Leute!" gruesste er nach Handwerksburschenmanier. "Ich bin ein wandernder Schmiedegeselle und komme, den Herrn Meister um ein Nachtquartier zu bitten." "Ein Nachtquartier?" Frug Heinrich. "Hast Du gute Papiere?" "Ja." "Steht der Bettel vielleicht drin?" "Ich bettle nicht, sondern ich verdiene mir von Ort zu Ort so viel Reisegeld, als ich brauche." "Eigentlich ist hier bei uns keine Herberge; aber der Meister ist ein guter Mann, der schon Manchen uebernachtet hat, wenn es ein anstaendiger Bursche war. Nicht wahr, Baldrian?" "Das ist am Den!" stimmte der Gefragte bei. "Du siehst allerdings nicht aus wie ein Bummler; ich werde hinaufgehen und den Meister holen," fuegte Heinrich hinzu. "Ist es nicht moeglich, dass ich vielleicht Arbeit hier bei Euch bekommen koennte?" frug Helbig treuherzig. "Ich habe etwas gelernt und immer nur bei tuechtigen Meistern in Arbeit gestanden." "Ich glaube nicht, doch kannst Du ja den Meister selber fragen." Heinrich ging, und Helbig wandte sich nun ausschliesslich zu Baldrian: "Nicht wahr, Euer Meister heisst Brandauer?" "Das ist am Den!" "Hat er Kinder?" Baldrian nickte. "Einen Sohn?" Ein zweites folgte. "Ist dieser daheim?" Ein Drittes Nicken. "Wohnt Ihr allein im Hause?" "Das ist nicht am Den!" "So wohnen auch noch Fremde hier, die eigentlich nicht zur Familie des Meisters gehoeren?" Jetzt warf ihm Baldrian einen hoechst verweisenden Blick zu. "Hoere, Fremder, halte das Maul; ich halte es auch am Liebsten!" Diese Rede des schweigsamen Gesellen war kurz und sehr deutlich. Helbig oeffnete den Mund zu einer Entgegnung, als sich droben eine Thuer oeffnete. Max kam mit dem Vater die Treppe herab. Helbig wiederholte seinen Gruss und seine Bitte. "Zeige mir Dein Buch!" antwortete Brandauer. Helbig reichte es ihm entgegen. Der Meister blickte es durch und nickte dann zufrieden. "Du kannst und sollst hier bleiben. Lege ab!" Helbig stellte seinen Stock in eine Ecke und schnallte das Felleisen vom Ruecken. In dem Augenblicke, als er es an einen Nagel haengen wollte, trat Brandauer hinter ihn und legte ihm die Arme um den Leib; zugleich zog Max zwei bereit gehaltene Riemen hervor, und ehe die Andern ihrer Ueberraschung ueber dieses unvorhergesehene Ereigniss Ausdruck geben konnten, war der falsche Schmiedegeselle so gefesselt, dass er sich nicht im Geringsten zu ruehren vermochte. Auch ihn hatte das Ploetzliche des Angriffs so ausser aller Fassung gebracht, dass kein einziger Laut von seinen Lippen zu hoeren war. Die Gesellen und Lehrlinge standen wortlos und staunten; der Meister legte den Gefesselten zur Erde. "Also ein Nachtlager bekommst Du, mein Junge, das habe ich Dir versprochen; nur weiss ich nicht, ob es nach Deinem Gusto sein wird. Lass einmal sehen, was Du bei Dir hast!" Er zog ihm zunaechst das Geld aus der Tasche. "Das also war zum Gratial fuer meine Gesellen. Seine Durchlaucht werden es ehrlich wieder bekommen!" Jetzt fand er das Messer und den Revolver. "Und das war fuer die drei Menschen, welche Euch im Wege sind! Ich werde Dir diese Sachen bis Morgen aufheben und sogar auch Deine Kleider aus der hintersten Gartenecke holen lassen, damit Du nicht in Verlust geraethst. Baldrian!" "Herr Meister!" "Dieser Mensch ist ein gefaehrlicher Verbrecher; ich muss ihn heut hier behalten und uebergebe ihn Dir und Heinrich. Schliesst ihn in die Eisenkammer und seht darauf, dass er Euch nicht etwa abhanden kommt. Ich weiss, ich kann mich auf Dich verlassen!" "Das ist am Den!" Der starke Geselle nahm den Gefangenen von der Erde auf, warf ihn mit Leichtigkeit ueber die Schulter und trug ihn nach dem bezeichneten Orte. Heinrich und die Lehrjungen folgten; es gab ja hier ein Abenteuer, welches sie ganz gehoerig durchkosten mussten. "Ich werde morgen Vormittag zum Koenig gehen, um ihm die Sache vorzutragen," meinte Brandauer. "Er und kein Anderer hat hier zu entscheiden, da der Herzog seine Hand im Spiele haelt. Willst Du noch hin zu diesem?" "Ja, und zwar sofort, er ist ein Meuchler; aber ich biete ihm mein Schach in das Gesicht." Er ging. Nachdem er ueber den Fluss gerudert war, passirte er das herzogliche Palais und sprang dann ueber die Gartenmauer. Er brauchte keine Vorsicht anzuwenden, da Helbig ja von Raumburg erwartet wurde. Er schritt offen zur Laube; in ihrer Naehe angekommen, griff er in die Tasche, in welcher er ein Phosphorlaternchen stecken hatte, deren Schein ihm jede Feindseligkeit von Seiten des Herzogs zeigen musste. "Helbig!" klang es ihm halblaut entgegen. "Durchlaucht!" antwortete er ebenso. "Schon! Ich hatte Dich viel spaeter erwartet; es muss sehr guenstig gestanden haben. Wie ist es abgelaufen?" "Schnell und gut." "Sind sie todt?" "Nein." "Alle Teufel; warum kommst Du dann?" Jetzt oeffnete Max die Laterne, deren genuegend heller Schein auf den Herzog fiel. "Um Ihnen zu sagen, Durchlaucht, dass Sie ein Schurke sind!" antwortete er mit fester, ruhiger Stimme. "Ein Schur - - ah, wer ist das? Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?" Max liess das Licht einen Augenblick lang auf sein Gesicht fallen. "Sehen Sie her! Sie kennen mich ja wohl." "Brandauer! Hoelle und Teufel! Mensch, was thun Sie in meinem Garten? Ich lasse Sie sofort arretiren!" "Das werden Sie bleiben lassen, mein Herr! Ich komme nicht als Dieb und Einschleicher, denn ich wusste sehr genau, dass ich Sie hier treffen wuerde." "Nun, was wollen Sie?" "Ich bitte sehr hoeflich um die Erlaubniss, mir einen Gegenstand holen zu duerfen, welcher sich gegenwaertig in Ihrem Garten befindet." "Welchen Gegenstand?" "Die Kleidung eines gewissen Helbig." "Helbig? Kleidung? Wer ist das? Ich weiss von Nichts." "Luegen Sie nicht?" "Herrrr - -!" Er trat mit erhobenem Arme auf Max zu. Dieser jedoch wich keinen Zoll breit zurueck, sondern antwortete: "Herrrr - -! Sie sehen, Durchlaucht, mir stehen ganz dieselben Stimmmittel zur Verfuegung wie Ihnen, die Vertheidigungswaffen ganz unerwaehnt, welche ich gebrauchen wuerde, falls Sie Lust bekaemen, den offenen Kampf mit mir aufzunehmen. Also bitte, darf ich mir die Kleider nehmen?" "Ich verstehe Sie nicht. Sie reden wahrscheinlich irre!" "Dann muss ich, um Sie von dem Gegentheile zu ueberzeugen, ausfuehrlicher sein." "Nun? Ich befehle Ihnen das allerdings!" "Seit wann steht Ihnen die Erlaubniss zu, mir irgend etwas zu befehlen? Jetzt reden wohl Ew. Hoheit irre, denn was ich Ihnen gegenueber thue, geschieht einzig und allein nur, weil es mir so beliebt. Sie erinnern sich wohl eines gewissen Helbig, welcher einst in Ihren Diensten stand?" "Moeglich. Weiter!" "Er scheint von Ihnen vorzugsweise zu Missionen verwendet worden zu sein, welche nicht ganz heller Natur gewesen sind, denn - - -" "Schweigen Sie!" herrschte ihn der Herzog an. Das Innere desselben kochte foermlich vor Grimm. Er wusste jetzt, dass sein Anschlag gescheitert, dass Alles verrathen sei; er fuehlte, in welcher Gestalt er seinem Gegner erscheinen muesse, und wenn ihm auch seine hohe Stellung eine gewisse Sicherheit gab, er war nicht nur besiegt, er war entlarvt von einem stolzen, unueberwindlich scheinenden Gegner, von einem - Schmiedesohne, der vor ihm stand und bereits schon vor ihm gestanden hatte so ruhig und hehr, wie der Loewe vor dem schmutzigen Gewuerm, welches im Staube kriecht. Das steigerte seinen Grimm bis zum hoechsten Grade, aber es war eine ohnmaechtige Wuth, der laechelnden Ruhe gegenueber, mit welcher Max antwortete: Wollen Sie nicht Ihre Stimme daempfen, Durchlaucht? Es kann unmoeglich in Ihrem Interesse liegen, unsere Unterredung fuer Andere hoerbar werden zu lassen. Also ich sagte, diese Missionen koennen nicht ganz heller Natur gewesen sein, ebenso wie zum Beispiel der Auftrag, welchen er heut in Ihrem Interesse ausfuehren sollte." "Sie sprechen in Raethseln. Verlassen Sie meinen Garten!" "Das Erstere ist nicht wahr, und das Letztere ist nicht Ihr Wunsch, denn es muss Ihnen sehr daran liegen zu erfahren, warum ich an Stelle dieses Helbig komme. Er laesst sich naemlich durch mich entschuldigen, da es ihm unmoeglich ist, Ihnen seinen Bericht selbst abzustatten. Er liegt gebunden bei mir; Ihr Messer und Revolver wurde ihm abgenommen und ebenso das Geld, welches er zum Gratial fuer die Gesellen meines Vaters verwenden sollte." "Elender Verraether!" "Sie irren wieder, Durchlaucht. Helbig hat Sie nicht verrathen; er hat sogar nicht einen einzigen Laut von sich gegeben; dennoch aber wusste ich bereits ehe er als Handwerksbursche bei uns erschien, welche Gefahr mir, der Zigeunerin Zarba und dem Hauptmann von Wallroth drohte." "Mensch, wie soll ich Sie behandeln?" "Anders als bisher, Durchlaucht. Lassen Sie mir die Kleider des Meuchelmoerders, und ich gestatte Ihnen dafuer, mit dem am Polizeigefaengnisse haengenden Seile ganz nach Ihrem Belieben zu verfahren. Ich gehe in dieser Konzession geradezu so weit, dass ich nichts dawider habe, wenn Sie den Entschluss fassen, sich daran aufzuknuepfen. Dann waeren alle Kontraste geloest, und Sie ersparen sich die geplante nochmalige Revision des zweiten Korridors." "Ah, es scheint, sie sind allwissend!" keuchte der vor Wuth bebende Herzog. "Wo haben Sie diese raffinirten Schluesse gezogen?" "Draussen zwischen den Weiden im alten Festungsgraben, gnaediger Herr. Ich stand da auf dem Anstande, um einen Fuchs und einen Marder zu ertappen. Sie gingen Beide ein. Den Fuchs lasse ich fuer heut noch laufen, denn er ist mir zu jeder Zeit sicher, den Marder aber halte ich fest, da ich ihn nicht an das Polizeigefaengniss zurueckliefern darf, weil ueber dieses naechtliche Raubzeug kein Anderer entscheiden soll, als Seine Majestaet der Koenig selbst." "Sind Sie toll?" "Nichts weniger als das!" "Und dennoch sind Sie es, sonst wuerden Sie es nicht wagen, sich mir als Feind zu praesentiren." "Unsere Intentionen gehen so weit auseinander, dass eine freundliche Beziehung geradezu eine positive Unmoeglichkeit genannt werden muss." "Sie irren!" Der Herzog glaubte jetzt, diplomatisch verfahren zu muessen, und fuhr fort: "Ich koennte Ihnen den Beweis liefern, dass unsere Intentionen sich sehr leicht vereinigen lassen. Schweigen Sie ueber den heutigen Tag und geben Sie Helbig frei, dann sollen Sie einen maechtigen Beschuetzer und Goenner in mir finden." "Sie beweisen mit dieser Forderung gerade das Gegentheil von dem, was Sie beweisen wollen. Ich kann keinen Moerder freigeben, weil ich ja dann sein Mitschuldiger wuerde; ich stehe so gut auf meinen eigenen Fuessen, dass ich eines Goenners und Beschuetzers nicht bedarf. Unsere Interessen sind so divergirend, dass wir stets Gegner sein werden; doch verspreche ich Ihnen, stets mit offener Stirn mit Ihnen zu verkehren, und rathe Ihnen, dasselbe auch mit mir zu versuchen. Ein ehrenhafter Feind ist schaetzenswerth, ein hinterlistiger Freund aber einfach veraechtlich. Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen, als dass ich die betreffenden Kleidungsstuecke mir mit oder ohne Ihre Genehmigung jetzt nehmen werde." "Halt! Bedenken Sie sich sehr wohl, ehe Sie Ihr letztes Wort sprechen! Ich kann begluecken und verderben, ganz wie es mir beliebt, und Ihrer Anklage und Verfolgung stehe ich zu hoch, als dass es Ihnen gelingen koennte, mich zu erreichen."