Dem Rufe folgte ein eigenthuemliches Schwanken des Wagens, welcher jetzt einen scharfen Ruck bekam und sich auf die Seite neigte. "Um Gotteswillen, wir stuerzen!" rief der Direktor. "Beyer, halt, halten Sie an!" Der Wagen kam nicht vollstaendig zum Umfallen; er stand inmitten eines tiefen Hohlweges und lehnte sich mit der einen Seite fest an die Boeschung desselben. Die Pferde hielten vorn unbeweglich und geduldig wie die Laemmer, und nur der Kutscher stiess einige zornige Flueche hervor und stieg ab, um nach der Ursache des Unfalls zu sehen. Der Direktor oeffnete aengstlich das Fenster, um sich ueber seine Lage zu unterrichten, fuhr aber sofort mit einem Schreckenslaute zurueck. "Gott stehe uns bei! Doktor, sehen Sie die drei Kerls, welche dort herabspringen?" Der Wirth mit den beiden Zigeunern war es. Sie hatten schwarze Masken vor die Gesichter gebunden, lange Messer in den Faeusten und kamen in den Hohlweg herabgestiegen. Der Erstere oeffnete den Wagenschlag. "Wohin die Reise, meine Herren?" "Nach der Grenze," antwortete der Direktor zaehneklappernd. "Schnell oder langsam?" "Schnell, so schnell wie moeglich, mein Lieber." "Gut, dann muss ich Ihnen sagen, dass dieser Weg nicht der kuerzeste ist, und zudem scheint Ihnen Ihr Kutscher abhanden gekommen zu sein. Wollen Sie sich uns anvertrauen, so werden wir Sie sicherer und schneller fuehren, als er Sie gefahren hat." "Sie meinen - Sie wollen - - ja, meine Herren, verstehe ich Sie recht?" "Jedenfalls. Wir sind hier, uns Ihrer anzunehmen. Steigen Sie aus!" Aber bitte, wollen Sie uns nicht lieber den Wagen aufrichten und dann den Kutscher rufen? Ich werde Sie fuer diese kleine Muehe gern bezahlen." "Was koennten wir fuer eine so kleine Muehe fordern! Erlauben Sie uns doch eine etwas groessere Muehe. Steigen Sie aus!" "Aber, mein Bester, ich - - -" "Heraus!" "Sollte es wirklich Ihr Ernst - - -" "Herrrraus, oder - - -!" Dieser Ton, verbunden mit einer sehr deutlich zu erklaerenden Bewegung des Messers brachte eine sehr schnelle Wirkung hervor. Der Direktor war trotz seiner Korpulenz in einem Nu aus dem Wagen; der Oberarzt folgte ihm ebenso eilig. Von dem Fuhrmann Beyer war nicht die geringste Spur zu bemerken. "Kommen Sie!" gebot der Wirth und wandte sich dem Walde zu. "Aber bitte, entschuldigen Sie, meine Herren, unser Gepaeck -!" "Geht Ihnen sicher nicht verloren, dafuer lassen Sie mich sorgen. Folgen Sie nur diesen beiden Maennern, die es so gut mit Ihnen meinen, dass sie nicht gern von ihren Messern Gebrauch machen moechten. Vorwaerts, marsch!" Die beiden Aerzte sahen sich gezwungen, dem fuerchterlichen Menschen zu gehorchen. Sie wurden von den Zigeunern in den Wald gefuehrt, wo man ihnen die Augen verband und sie dann an der Hand weiter geleitete. Dies dauerte sehr lang; die Zeit wurde ihnen fast zur Ewigkeit; aber endlich erreichte man das Ziel; eine Thuer kreischte in den Angeln - noch einige Schritte weiter, dann wurden ihnen die Binden wieder von den Augen genommen. Sie befanden sich in einem vollstaendig dunkeln Raume. "Hier herein!" klang die Stimme des einen Zigeuners. Die Gefangenen wurden in einen engen, niedrigen Raum gestossen; ein helles Gelaechter ertoente hinter ihnen, dann waren sie mit sich allein. - - Es war nur einige Tage frueher, dass Prinz Arthur von Sternburg im Garten von Schloss Sternburg sein Renkontre mit dem wilden Prinzen gehabt hatte. Die Kastellanin Horn stand in der Kueche und buegelte Gardinen und allerlei andere Hauswaesche, welche jetzt ja sehr noethig gebraucht wird, als die Thuer aufgerissen wurde und Almah ganz athemlos hereintrat. "Huelfe, meine liebe Mama Horn, Huelfe!" "Huelfe?! Herrjesses, mein Kind, was ist denn los?" "Huelfe! Um Gottes willen, helfen Sie, retten Sie ihn!" "Ihn? Wen denn?" "Ihn!" antwortete das erschrockene Maedchen, indem sie auf einen Stuhl sank und die Augen schloss. "Herr meines Lebens, jetzt stirbt sie mir!" schrie die Kastellanin und eilte hin und her, um irgend ein Mittel zu finden, die Ohnmaechtige wieder in das Leben zurueckzurufen. Vor Angst und Bestuerzung jedoch fand sie nichts, und so nahm sie den Kopf des Maedchens an ihr Herz, streichelte die erbleichten Wangen und bat: "Nicht sterben, mein liebes, mein gutes, mein suesses Kind, nur nicht sterben! Herrjesses, wo nur mein Alter steckt; nun bin ich ganz allein in dieser schrecklichen Noth! Sie stirbt mir wahrhaftig noch, und hat mir nicht einmal vorher gesagt, wen ich retten soll. Aber da, Gott sei Lob und Dank, da holt sie ja wieder Athem, da macht sie die Augen auf. Kind, fassen Sie sich und sagen Sie mir schnell, wen ich retten soll!" "Ihn!" hauchte es leise. "Ihn? Ja, wen denn und wo denn?" "Im Garten. Sie werden sich toedten!" "Toedten? Herrjesses, ist das schrecklich!" Sie schlug die Haende ueber dem Kopf zusammen. "Was soll daraus werden, und wie soll das enden, wenn sie sich toedten! Aber, mein Kind, wer ist es denn?" "Prinz Hugo." "Der? Und wer noch?" "Er - er - - der Matrose, der neue Diener." "Der gute, gnaedige Herr Ar - - - der - der Bill Willmers, wollen Sie sagen, mein Kind?" "Ja. Der Prinz zog den Degen." "Den Degen? Herrjesses, ist das gefaehrlich, ist das eine Angst und eine Noth! Wo ist nur mein Alter? Bleiben Sie hier, mein Kind, ich muss gleich sofort in den Garten, um ein solches Elend und Herzeleid zu verhueten!" Jetzt eilte sie hinaus. Sie war schon ein Stueck in den Garten hinein, als sie stehen blieb, sich besann und dann schnell wieder umkehrte. "Sagen Sie mir doch, mein Kind, wo sie sich umbringen; ich muss sonst zu lange suchen!" "In der Ecke, ganz hinten." "Auch das noch. Da sind sie todt, ehe ich hinkomme!" Sie sprang wieder hinaus, so schnell sie es vermochte, und waere draussen beinahe an Arthur gerannt, welcher soeben aus dem Garten zurueckkehrte. "Gnaediger H - - - Sie leben noch, Sie haben sich nicht umgebracht? Herrjesses, was bin ich gluecklich! Das muss ich gleich dem lieben, guten Fraeulein erzaehlen!" Sie kehrte zur Kueche zurueck, um diesen Vorsatz auszufuehren. Der ganze Vorgang hatte nicht unbemerkt bleiben koennen. Horn kam die Treppe herabgestiegen, und auch der Pascha zeigte sich von oben. "Was gibt es, Bill?" frug er. "Einen Menschen, der im Garten liegt, Excellenz." "Todt?" "Nein. - Und einen Brief." Er stieg die Stufen empor. "Von wem?" "Von einem Fremden." Er gab das Schreiben der Zigeunerin ab. Nurwan Pascha warf einen Blick auf das Papier und erbrach dasselbe dann mit einer Hast, welche deutlich die Bedeutung zeigte, die es fuer ihn haben musste. "Wo ist der Bote?" "Fort." "Du hast sonst keinen Auftrag von ihm bekommen?" "Keinen." "So geh!" Schon stand Arthur im Begriffe, dieser Weisung Folge zu leisten, als unten vom Garten her eilige Schritte ertoenten. Es war der wilde Prinz, welcher wieder zum Bewusstsein gekommen war. Mit blutigem Gesichte stuermte er herbei, um seinen Gegner zu suchen. Er sah ihn droben beim Pascha stehen, stiess einen heiseren Ruf der Rache aus und sprang empor. Schon wollte er Arthur von hinten packen, als dieser sich schnell umdrehte, ihn bei den Hueften fasste, emporhob und mit solcher Wucht die Treppe hinunterwarf, dass er unten wie ein Holzklotz aufschlug und zum zweiten Male liegen blieb. Das geschah so schnell, dass der Pascha nicht die mindeste Zeit gehabt hatte, es zu verhindern. "Mensch!" rief er jetzt erschrocken. "Dieser Mann ist ein koeniglicher Prinz. Was hast Du mit ihm?" "Nichts, Excellenz." "Nichts? Und wirfst ihn die Treppe hinab!" "Ich nichts mit ihm, er aber wohl mit mir." Unten ertoenten zwei Schreckensrufe. Die Kastellanin war mit Almah aus der Kueche getreten und hatte den Prinzen liegen sehen. "Herrjesses, welch ein Malheur!" rief sie erschrocken. "Einer ist also doch noch umgebracht worden. Und wie ist er im Gesichte zugerichtet!" "Er hat es verdient," klang da des Maedchens Stimme. "Verdient?" frug ihr Vater, welcher jetzt herabgekommen war. "Wie meinst Du das?" "Er verfolgte mich im Garten, Papa, und hielt mich bereits arg gefasst, so dass ich mich gar nicht wehren konnte. Da kam Bill und errettete mich." "Ah, ists so!" Er stiess mit dem Fusse gegen den Bewusstlosen und machte dabei die Pantomime der groessten Verachtung. "Herr Kastellan!" "Excellenz!" "Ich will diesen Menschen nicht wiedersehen. Nehmen Sie sich seiner an, dass er nicht so liegen bleibt, und saeubern Sie ihn. Will er mich aber sprechen, so sagen Sie ihm, dass ich meinem Versprechen sofort nachkommen wuerde, auf ein Wiedersehen jetzt aber Verzicht leisten muesse." Dann wandte er sich an Arthur. "Bill, wusstest Du, dass es ein Prinz ist?" "Ja." "Und hast Dich dennoch an ihn gewagt?" "Pah!" "Du bist ein guter, tuechtiger Junge, und ich werde Dir dankbar sein. Ich muss sofort verreisen. Willst Du mich begleiten, oder musst Du hier bleiben?" "Dauert diese Reise lang, Excellenz?" "Keine Woche." "Verreisen, Papa?" fiel hier Almah ein. "Darf ich mit?" "Es wuerde fuer Dich beschwerlich sein, mein Kind. Es geht in das Gebirge." "Dann muss ich doch erst recht mit, Papa; ich habe ja noch gar kein Gebirge gesehen!" "Nun meinetwegen, naemlich wenn Bill mitgeht, dem ich Dich uebergeben muesste. Nun, Bill?" "Ich gehe mit, Excellenz!" Das Blut stieg ihm zu Herzen bei dem Gedanken, dass ihm das herrliche Wesen fuer eine Reise anvertraut werde, und bei dem dankbaren Blicke, welcher ihn aus ihrem Auge traf. Der Pascha stieg, ohne sich um Prinz Hugo weiter zu bekuemmern, mit seiner Tochter wieder empor, und Arthur sah sich jetzt mit dem Kastellan und dessen Frau allein. "Durchlaucht, ich bin ganz erschrocken," meinte Horn; Arthur aber fiel ihm sofort in die Rede: "Willmers heisse ich, Willmers, merken Sie sich das! Diesen Menschen tragen Sie hinaus vor das Thor, und wenn er wieder hereinkommt, sind Sie Ihres Dienstes entlassen." "Durchl - - -!" "Willmers heisse ich!" "Vor das Thor - ein koeniglicher Prinz - - -!" "Ein Lump ist er, nichts weiter! ‹brigens haben Sie gehoert, dass ich mit verreisen werde; versorgen Sie mich mit dem Noethigen. Ich weiss noch nicht, wohin es geht, werde aber dafuer sorgen, dass wir in Beruehrung bleiben, damit wenn ich ploetzlich einberufen wuerde, Sie mich sofort benachrichtigen koennen." Jetzt ertoente die Stimme Almahs, welche nach der Kastellanin rief. Diese gehorchte und fand das Maedchen in der Wohnung desselben. "Wir werden uns Abschied sagen muessen, meine gute Mama Horn," wurde sie empfangen. "Doch nicht fuer immer!" "Nein, nur fuer einige Tage. Wissen Sie, Papa hat mit dem wilden Prinzen eine sehr wichtige Unterredung gehabt, und die Folge dieser Unterredung muss wohl diese Reise sein." "Wo gehen Sie hin?" "Zunaechst nach Suederhafen und dann hinauf in die Berge. Wissen Sie, Mama, dass ich mich unendlich freue?" "Ich glaube es Ihnen, mein liebes Kind." "Wo ist der Prinz?" "Er wird vor das Thor geschafft. Ach, was war das fuer ein Schreck, als Sie kamen und um Huelfe riefen; ich haette vor lauter Angst gleich in den Erdboden hineinsinken koennen. Wie ist es nur so schlimm gekommen?" Almah theilte ihr das Naehere mit und fuegte dann hinzu: "Es ist gerade so gewesen, als sei Bill ein Prinz und der Prinz ein Matrose. ich sage Ihnen, Mama, dieser Willmers ist ein Held, dem ich mich auf unserer Reise sehr gern anvertrauen werde." "Nicht wahr? Ja, ja, vertrauen Sie sich ihm nur an, mein liebes Kind; bei ihm sind Sie sicher vor aller Faehrlichkeit. Der Prinz hatte nichts Anderes verdient, obgleich ich erschreckliche Angst habe, was auf die Sache folgen wird; denn einen koeniglichen Prinzen mit der Ruthe entehren, das kann selbst dem hochgestelltesten Manne hoechst gefaehrlich werden." "Ihm koennen sie nichts thun, denn er steht unter Papa's Schutz. Schlimmer waere es, wenn er ihn getoedtet haette." "Herrjesses, das waere doch ganz und gar entsetzlich gewesen! Ich kann von solchen Dingen ein Wort erzaehlen." "Sie, Mama Horn?" "Ja ich! Denken Sie sich einmal" - und dabei naeherte sie sich ihr mit wichtiger und geheimnissvoller Miene - "ich bin einst dabei gewesen, dass Jemand getoedtet wurde!" "Durch den Scharfrichter?" "Nein, durch einen richtigen aechten Moerder." "Nicht moeglich! Das waere dann ja bei einem Morde gewesen!" "Das war es auch!" "Wirklich? O, Mama Horn, dann haben Sie ein fuerchterliches Abenteuer erlebt, welches Sie mir erzaehlen muessen." "Liebes Kind, das darf ich nicht!" "Warum?" "Mein Mann hat es mir verboten." "Der? So haben Sie es ihm erzaehlt?" "Er war ja selbst auch mit dabei!" "Er auch? Das wird ja immer interessanter! Duerfen Sie es wirklich nicht erzaehlen?" "Nein." "Keinem Menschen?" "Keinem!" "Hat er Ihnen denn auch befohlen, es mir zu verschweigen?" "Nein." "Na, sehen Sie, Mama Horn; jetzt koennen Sie mir diese schoene Geschichte also doch erzaehlen! Nicht wahr? Bitte!" "Ich darf wirklich nicht, mein Kind. Nur das kann ich Ihnen sagen, dass es schon lange her ist." "Wie lange wohl?" "Ich war damals noch ledig, und mein Mann hat mir eben gesagt, dass wir bald heirathen wollten. Wir sassen in der Laube und - - -" "In der Laube? Mit einander?" "Natuerlich! Es war am Abende, und Alles schlief, so dachten wir naemlich; aber dennoch war der Herzog noch im Garten." "Der Herzog? Welcher Herzog?" "Der Herzog von Raumburg." "Den kenne ich nicht." "Ich stand naemlich als Kuechenmaedchen in seinem Dienste, und mein Mann war Reitknecht. Es durfte Niemand wissen, dass wir uns lieb hatten, und darum kamen wir manchmal des Abends zusammen, wo uns Niemand sehen konnte. Da sassen wir in der Laube und hatten uns gar viel zu sagen und zu erzaehlen, bis ein fremdes Weib ueber die Mauer stieg." "Wer war sie?" "Eine Zigeunerin." "Sagte ich es nicht, dass diese Geschichte sehr schoen sein werde! Was wollte dieses Weib?" "Das wussten wir erst auch nicht; bald aber stand der Herzog bei ihr, der auf sie gewartet hatte, und dann erwuergte er sie." "Ein Herzog eine Zigeunerin? Wissen Sie das genau?" "Natuerlich; wir standen ja ganz nahe dabei." "Warum aber erwuergte er sie?" "Weil sie ihre Tochter wieder haben wollte und auch ihren Sohn, den er gefangen hielt." "Das muss ja ein ganz und gar schlimmer Mensch gewesen sein, dieser Herzog! Wollte er denn den Sohn und die Tochter nicht herausgeben?" "Nein. Er erwuergte die Frau, und wir durften ihn nicht anzeigen, weil er unser Herr war und kein Mensch uns geglaubt haette, was wir sagten. Aber wir sind dann schnell aus seinem Dienste und zu unserem jetzigen Herrn gegangen und haben das bis auf den heutigen Tag noch niemals bereut." "So weiss also ausser Euch kein anderer Mensch, dass dieser garstige Herzog die Zigeunerin erwuergt hat?" "Kein Mensch:" "Wie hiess sie?" "Das weiss ich nicht; aber ihre Tochter hiess Zarba, und ihr Sohn floh noch in derselben Nacht aus seiner Gefangenschaft; er hiess - hiess - - da komme ich doch nicht auf den Namen!" "Katombo!" ertoente es von dem Eingange her. Die beiden Frauen drehten sich um und erblickten den Pascha, welcher Zutritt hatte nehmen wollen und ein unbemerkter Zuhoerer der Erzaehlung gewesen war. Warum hatte diese Letztere einen solchen Eindruck auf ihn gemacht. Er sah bleich aus, und seine Augen gluehten wie im Fieber. "Katombo, ja, so hiess er," antwortete die Kastellanin ueberrascht. "Du weisst diesen Namen, Papa? Wie kannst Du ihn erfahren haben?" "Ich hoerte einst von dieser Sache sprechen," antwortete er kurz, und zu der Kastellanin gewandt fuegte er hinzu: "Sie werden mir das noch ausfuehrlicher erzaehlen muessen, ehe ich heute abreise." "Schon heut, Excellenz?" "In zwei Stunden schon. Bitte, schicken Sie Willmers hinunter zu meiner Yacht; sie soll sofort segelfertig gemacht werden!" Die Kastellanin entfernte sich. Papa, wird es Dir nicht Schaden bringen, dass dieser Prinz hier so gezuechtigt worden ist?" "Schaden? Pah! Der Koenig muss es mir Dank wissen, wenn ich mich durch die Frechheit seines Buben nicht bestimmen lasse, den Vertrag rueckgaengig zu machen, den ich heut mit diesem abgeschlossen habe!" "Einen Vertrag? Ist es ein wichtiger, Papa?" "Ja." "Darf ich ihn wissen?" "Du wirst ihn seiner Zeit erfahren. Jetzt brauche ich Dir nur zu sagen, dass ich jetzt die Aufgabe habe, die Kuesten- und Grenzfortifikationen Norlands zu untersuchen, daher unsere Reise." Sie blickte ihm aengstlich in das Angesicht. "Das deutet auf einen Krieg, Papa. Sollst Du etwa wieder das Kommando einer Kriegsflotte uebernehmen?" "Moeglich, doch das sind sehr geheimnissvolle Plaene, von denen ich kaum zu Dir sprechen darf, obgleich ich weiss, dass ich meinem guten Kinde vollstaendig vertrauen kann." "Sage mir es, Papa! Wenn ich nichts weiss, kann ich sehr leicht einen grossen Fehler begehen, der Dich in Schaden bringt." "Du hast Recht. Es wird bald zwischen Norland und Suederland ein sehr ernster Krieg ausbrechen, und da Suederland keinen hervorragenden Seemann besitzt, so ist mir der Oberbefehl ueber die Kriegsflotte angetragen worden." "Hast Du angenommen?" "Nur fuer gewisse Bedingungen. Der Koenig von Norland ist ein guter Herrscher, aber er hat sein Scepter aus der Hand gegeben, denn der eigentliche Regent ist jener boese Herzog von Raumburg, von dem die Kastellanin vorhin erzaehlte. Dieser will nun nicht nur die Macht, sondern auch saemmtliche Attribute eines Koenigs haben und hat deshalb mit Suederland einen geheimen Plan verabredet. In Norland soll die Revolution ausbrechen; Suederland wird eingreifen, den jetzigen Koenig absetzen und den Herzog kroenen." "Das ist aber ja eine Ungerechtigkeit, Papa! Was wird Suederland davon haben?" "Vortheilhafte Vertraege, und ueberdies wird die Prinzessin Asta Koenigin von Norland werden, denn sie soll den Sohn des Herzogs heirathen." "Und dazu sollst Du helfen! Auch Du willst den boesen Herzog zum Koenige machen?" ‹ber das wettergebraeunte Gesicht des tuerkischen Kapudan-Pascha ging ein eigenthuemliches Zucken. "Ob ich es thue oder nicht, Almah, Du wirst stets wissen, dass Dein Vater nur das Gute will und alles Boese hasst. Ich mache Dir diese Mittheilungen und schliesse dabei manche meiner Absichten aus, weil ich vielleicht gezwungen sein werde, Dich hier bei Hofe vorzustellen. Du darfst nur Dinge wissen, durch deren Kenntniss Du mir dienen kannst, waehrend ich gewisse Punkte unaufgeklaert lassen muss, weil mir Deine Einweihung Schaden bringen kann. Trete ich das Kommando wirklich an, so werde ich leider gezwungen sein, gegen unsre gegenwaertigen Wirthe zu kaempfen." "Wie so?" "Der alte Sternburg ist ohne Zweifel der befaehigste General der norlaendischen Armee, und er wird sich an dem Kampfe betheiligen, wenn auch auf Einfluss des Herzogs, der ihn nicht liebt, ihm keine hervorragende Heerfuehrerstelle anvertraut wird. Sein Sohn, Prinz Arthur, ist trotz seiner Jugend und obgleich er erst den Rang eines Kapitaen begleitet, der einzige Seemann Norlands, den ich als ebenbuertig anerkennen wuerde. Auf alle Faelle aber werden wir uns nicht als persoenliche Gegner zu betrachten haben. Jetzt beeile Dich, mein Kind, damit Du zur angesetzten Zeit fertig bist. Wir kehren wieder nach hier zurueck." Er ging hinab in die Wohnung des Kastellans, um dessen Frau heraufzuschicken. Er fand sie sehr verlegen und ihren Mann zornig. "Excellenz," meinte der Letztere, "meine Frau hat Ihnen ein Ereigniss mitgetheilt, welches bisher unser alleiniges Geheimniss war -" "Sorgen Sie nicht! In Beziehung auf Sie wird es Geheimniss bleiben wie bisher. Ich gebe Ihnen hiermit mein Ehrenwort, dass Sie seinetwegen nicht in die geringste Verwickelung oder Ungelegenheit gerathen werden, nur mache ich hierbei allerdings die Bedingung, dass Sie mir Alles einmal genau und ausfuehrlich erzaehlen, waehrend Ihre Frau meiner Tochter bei der Reisevorbereitung behilflich ist." Dies geschah. Horn erinnerte sich jenes verhaengnissvollen Abends noch ganz genau und konnte sich auf jedes Wort besinnen, das er damals mit seinem Maedchen belauscht hatte. Unterdessen kehrte Arthur von der Yacht zurueck und machte sich reisefertig. Er hatte von dem Prinzen Hugo weder oben auf der Hoehe noch unten in der Stadt eine Spur bemerkt. Zur festgesetzten Zeit hatte das kleine, flotte Schiff seine saemmtlichen Passagiere an Bord. Es lichtete die Anker, entfaltete seine Segel und strebte in einem grazioesen Bogen aus dem Hafen hinaus der See entgegen. Bald war der weisse Punkt, welchen seine Leinwand am blauen Horizonte bildete, verschwunden. Die Strasse, welche von Suederhafen in das Gebirge fuehrte, dieselbe, welche Balduin Schubert, Karavey und dann auch Thomas Schubert benutzt hatte, um zu dem Waldhueter Tirban zu gelangen, schien heut belebter als gewoehnlich zu sein. Von irgend einem den Weg beherrschenden Punkte haette man nach und nach verschiedene Gestalten oder Gruppen bemerken koennen, in ihrem Aeusseren so verschieden, dass die Ahnung ferne lag, sie koennten vielleicht bald in eine engere Beziehung zu einander treten. Zunaechst lag auf der Bloesse vor Tirbans Huette der Steuermann mit dem Bootsmann im Grase. Beide schienen nur mit ihren Gedanken beschaeftigt und mit dem Priemchen, welches sie von Zeit zu Zeit von einer Backe in die andere schoben. Da raschelte es in den Bueschen, und eine lange, breite Gestalt erschien, ueber und ueber von Russ geschwaerzt und einen maechtigen Schuerbaum auf der Schulter. Es war der Schmiedegeselle Thomas, welcher seine gegenwaertige Musse benutzt hatte, einem Koehler werkthaetige Gesellschaft zu leisten. "Was ist mir denn das fuer eine Sache," meinte er. "Da liegt Ihr am Poden, haltet Maulaffen feil und guckt den Himmel an. Giept es denn keine Arpeit hier fuer zwei Faullenzer von Eurer Sorte? Ich wuerde gar nicht raesonniren, wenn nur wenigsten Einer von Euch eine Cigarre ueprig haette, es prauchte gar keine Ampalema zu sein!" Der Steuermann langte phlegmatisch in die Tasche und brachte einen riesigen Knollen Kautabak zum Vorschein. "Hier, alte Feueresse!" "Danke, Palduin! Peisse Dir die Zaehne selper aus an diesem Zeuge. Ich werde jetzt einmal nach dem Kruge gehen. Wer geht mit?" Im Nu stand der Steuermann auf den Beinen. "Ich, mein Junge; das versteht sich ja ganz von selber. Komm, Thomas, lege Dich Backbord an mich, und Du Steuerbord, Bootsmann. So, nun fare well, Tirban, Du siehst uns nicht eher wieder, als bis es keinen Schluck mehr im Kruge gibt!" "Und keine Ampalema oder Kapalleros. Lauf, Palduin, denn Dein Packpord hat es eilig!" Sie schritten nach dem bekannten Kruge, in welchem der Steuer- und Bootsmann den Loosungszettel gefunden hatten. An der hinteren Seite desselben befand sich ein kleines Gaertchen, in welchem ein sehr primitiv gebauter Tisch nebst ebensolchen Baenken stand. An ihm sassen drei Personen, welche man vom Walde aus sehr genau sehen und beobachten konnte. Der Obergeselle hielt die beiden Andern an und deutete nach der Gruppe. "Donnerwetter, wer muss das sein; das ist gewiss ein ganz vornehmes Volk! Seht Euch nur einmal das Weipspild an; das ist ja die reine Genovefa, so schoen und so fein, so glatt polirt, als kaeme sie gerade erst aus dem Schraupstock heraus. Hol' mich der Teufel, die ist sogar noch huepscher als meine alte gute Parpara Seidenmueller!" Auch der Steuermann schaute aufmerksam hin. "Karavey, sieh Dir einmal den jungen Mann an, der sich da seitwaerts von der Dame niedergestaut hat!" "Warum?" "Du hast von dem beruehmten Lieutenant und jetzigen Kapitaen von Sternburg gehoert?" "Natuerlich!" "Nun, dieser Sternburg sieht dem Manne dort so aehnlich wie ein Tropfen dem andern, und - heiliges Mars- und Braamenwetter, wer ist denn das?" "Wer?" "Nun, der Andere, der Alte!" "Kennst Du ihn?" "Bist Du waehrend Deiner Seefahrten einmal dem Tiger begegnet?" "Dem Tiger? Meinst Du das Piratenschiff?" "Natuerlich!" "Nein." "Nun, ich sage Dir, dass ich zweimal hart an ihm voruebergekommen bin, ohne dass er Miene machte, die Flagge zu hissen und uns Antwort zu geben. Ich steuerte damals die Fregatte "Poseidon," das beste Schiff und den schnellsten Segler unserer Marine. Wir gaben den Signalschuss; wir riefen ihn an, er aber ging an uns vorueber ohne die geringste Antwort. Keine Flagge wehte, kein Wimpel war zu sehen; kein Mann befand sich an Deck, sogar der Mann am Steuer war verschwunden. Aber vorn auf dem Klueverbaum stand, ohne sich anzuhalten, frank und frei Einer, der bis an die Zaehne bewaffnet war, hoch, lang und breit von Gestalt und schwarz von Gesicht wie ein Neger. Und zwei Tage spaeter ging dasselbe Schiff wieder an uns vorbei, kaum drei Kabellaengen von unsrem Back entfernt; die Kanonenluken waren geoeffnet, an der grossen Raa hing einer, der am Strick gestorben war, und vorn auf dem Kluever stand wieder ganz derselbe Mann, hoch, lang und breit von Gestalt, bis an die Zaehne bewaffnet, dieses Mal aber von weisser Gesichtsfarbe. Ich habe ihn mir ganz genau angesehen, und moechte ein Panzerschiff gegen ein Teichboot verwetten, dass er und dort dieser Mann wenigstens Zwillingsbrueder sind." "Lass Dich doch nicht auslachen, Steuermann! Der schwarze Pirat und der Kapitaen von Sternburg neben einander mitten hier im Waldgebirge. Eher kommt die Ebbe mit der Fluth zusammen." "Was ist denn das eigentlich fuer ein Insekt oder ein Amphipium, der schwarze Pirat?" frug Thomas, der einstige Kavallerist. "Ein Seeraeuber, wie es keinen zweiten gegeben hat." "Ein Seeraeuper? Keinen Zweiten gegepen? Seid Ihr gescheidt? Und das soll der dort sein? Palduin, wenn ich jetzt hingehe und es ihm sage, pringt er Dich an den Galgen! Und der Andere soll ein Seekapitaen sein? Donnerwetter, seid Ihr denn alle Peide plind, dass Ihr nicht seht, dass er plos der Pediente ist von den zwei Andern!" Sie waren jetzt an das Haus gekommen und bemerkten nun eine Equipage, welche vor demselben hielt; jedenfalls gehoerte sie den drei Personen, welche im Garten sassen. Sie traten in die Stube und wurden von dem Wirthe mit moeglichster Freundlichkeit empfangen. Trotz ihres erst so kurzen Aufenthaltes hatte er sie doch bereits als Zecher kennen gelernt, denen sowohl die Qualitaet als auch die Quantitaet seiner Getraenke vollstaendig gleichgiltig zu sein schien. Sie tranken von Allem, was er hatte, ungeheuer viel und bezahlten ebenso reichlich. "Noch keine Ampalema?" war die erste Frage des Schmiedes. "Noch nicht." "Schaffe Dir Ampalema an, Kerl, sonst pringe ich Dich um die Konzession und um das Lepen. Giep her, was Du hast!" Sie hatten noch nicht lange gesessen, so vernahmen sie draussen das nahende Rollen eines Wagens. Der Steuermann blickte durch das Fenster. "Heiliger Mars, sitzt in dieser Kabine ein wunderliches Brautpaar. Seht Euch doch einmal den huebschen Kerl an, neben der Hexe! Wenn Der sich in sie verliebt, so verschlinge ich den ersten Haifisch, dem ich hier im Gebirge begegne!" Auch Karavey blickte hinaus. "Allerdings ein verteufelt schmucker Patron; aber von wegen der Hexe darfst Du Dich nur immer ein wenig in Acht nehmen; Du siehst doch, dass es eine Zigeunerin ist, und was bin ich denn, he?" Da fuhr der Schmiedegeselle zwischen sie. "Hoert, Ihr Kerls, haltet doch einmal alle Peide den Schnapel! Die da hier gefahren kommen, kennt Keiner so gut wie der Thomas Schupert. Das ist naemlich mein junger Herr, der Doktor Max Prandauer, na, welch eine Freude! - und das Weipsen ist die Zigeunerin Zarpa, auf die wir Alle warten." "Ists wahr?" frug Karavey. "Natuerlich! Oder denkst Du, dass ich Euch peluegen moechte?" Der Wagen hielt. Max sprang herab und half dann Zarba zur Erde. Sie traten mit einander in die Stube. Der Geselle fuhr auf Brandauer zu, als ob er ihn zerreissen wolle. "Willkommen, junger Herr! Weiss Gott, tausend Thaler sind mir nicht so liep wie dieses Wiedersehen! Lept der Herr Meister noch und auch die Frau Meisterin? Wie geht es dem Paldrian? Ists noch "am Den" und luegt der Heinrich immer noch wie gedruckt?" Max musste ueber diese Ansprache laecheln, die so sanguinisch war, als sei der brave Thomas zehn Jahre lang von der Schmiede entfernt gewesen. Indessen hatte Zarba dem Wirthe einige Worte im Zigeuneridiom hingeworfen, welche dieser bejahte, indem er nach der Gegend deutete, in welcher die Tannenschlucht lag. Sie nickte kurz und frug dann Thomas: "Wer sind diese Beiden?" "Dieser da ist Palduin der Steuermann, mein durchgeprannter und lieper Bruder, den ich hier ganz unverhofft wiedergefunden hape, und Der dort, das ist -" "Halt!" wehrte Karavey ab, indem er zu Zarba trat. "Siehe mich an, ob Du meinen Namen selper findest!" Sie forschte in seinen Zuegen und schuettelte langsam den Kopf. "Ich kenne Dich nicht." "Und dennoch kennst Du mich! Du weisst meinen Namen und hast tausendmal an mich gedacht. Hast Du ihn nicht zu Deiner letzten Losung genommen?" Sie horchte auf, trat ihm naeher, blickte ihn schaerfer an; dann entsank der Stock ihren Haenden, und sie glitt langsam und schwach in den Sessel, welcher neben ihr stand. Die Stille des Todes herrschte in der Stube; nur ein leises, mit aller Macht nicht zu unterdrueckendes Schluchzen war zu vernehmen - Zarba weinte. Dann nahm sie die Haende von den Augen und streckte sie zitternd dem Bruder entgegen. "Karavey!" "Zarba!" Sie lagen einander in den Armen, die sich seit laenger als fast einem Menschenalter verloren und nicht wiedergesehen hatten. Das Leid hatte in ihren Herzen gewuehlt wie der Pflug in der Erde, und wer trug die Schuld? Zarba, die einstige Rose der Brinjaaren, die jetzt verwelkt und entblaettert dasass, eine verfallene Ruine einstiger Herrlichkeit. "Karavey, vergieb!" "Dir ist schon laengst vergeben!" Dem guten Thomas stand das Wasser in den Augen; er konnte sich nicht halten und trat naeher. "Zarpa, ich pitte auch um Vergepung! Ich hape Dich fuer eine ganz schlimme Hexe gehalten und sehe jetzt, dass Du ein recht praves Frauenzimmer pist. Du sollst in meinem Herzen gleich nach der Parpara Seidenmueller kommen!" Diese lyrisch-komische Auslassung war mehr als alles Andere im Stande, das erschuetterte innere Gleichgewicht wieder herzustellen; nur die beiden Hauptpersonen der soeben stattgehabten Erkennungsscene blieben ernst. "Bleibt hier!" bat Zarba. "Komm mit, Karavey!" Sie traten mit einander hinaus in den Flur und wandten sich nach dem Gaertchen. Die Zingaritta hatte noch nicht bemerkt, dass dasselbe bereits besetzt war. Als sie die drei Personen erblickte, blieb sie ueberrascht stehen. Waren sie ihr bekannt? Es schien so. Fast haette man aus dem Spiele ihrer Mienen vermuthen sollen, dass sie sie hier in den Bergen erwartet habe, nur die Art und Weise schien sie zu befremden. In diesem einen Augenblicke war die innere Erschuetterung zurueckgedraengt; sie war wieder Zarba, die Vajdzina ihres Stammes. Sie schritt auf die drei Personen zu und blieb vor Almah stehen. "Bhowannie laesst bluehen die Blumen und duften die Rosen. Darf ich sehen dieses kleine Haendchen?" Laechelnd reichte das Maedchen ihr die Rechte dar. Zarba forschte in den Linien derselben, und es ging hell ueber ihre faltigen Zuege. "Fuerchte Dich nicht vor dem Wasser; es bringt Dir Glueck und Seligkeit. Im fernen Sued hat er Dich im Wasser gefunden, im Norden wirst Du ihn wiederfinden, schwimmend auf den Wegen im Donner des Kampfes; dann wirst Du sehen, wie nahe er Dir gewesen ist." Almah ergluehte; auch Arthur war im hoechsten Grade verwundert. Woher wusste die Zigeunerin von jener Begegnung im Nile? Sie wandte sich jetzt zu ihm: "Auch Eure Hand, mein blanker Herr!" Er gab sie ihr hin. Nach einer kurzen Betrachtung meinte sie: "Der Geist der Weissagung blickt durch die Kleidung und das Gewand. Du wirst den Freund mit einer Krone schmuecken und hohe Ehren erlangen. Fuersten und Koenige sind in den Bergen, und in der kleinen Huette ruhen die Beherrscher der Voelker." Nun trat sie auch zu Nurwan Pascha. Er hatte seine tuerkische Kleidung abgelegt und trug sich ganz nach der hiesigen Sitte. Auch er streckte ihr seine Hand hin. Sie nahm dieselbe und betrachtete sie. Da ploetzlich wurde ihr Gesicht leichenfahl, sie stiess einen gellenden Schrei aus und sank besinnungslos zur Erde. Der Name, die Gestalt, das Gesicht, Alles war ihr fremd geworden, aber diese Hand, die hatte sie wieder erkannt, die Hand, die sie einst so zaertlich liebkost und die sie dann so undankbar und leichtsinnig von sich gestossen hatte. "Was war das? Wer ist sie?" frugen die beiden Maenner, und Almah bog sich liebreich zu ihr nieder, um ihr mit Hilfe eines Riechflaeschchens beizustehen. Karavey kniete an der Erde und hielt die Haende der Schwester gefasst. "Zarba, wache auf! Was ist mit Dir?" "Zarba!" rief Arthur, und "Zarba!" rief auch der Pascha. Der Letztere bog sich zu ihr herab: "Zarba, erwache; Katombo ist da!" "Wer?" rief Karavey aufspringend. "Katombo? Wo ist Katombo?" "Hier; ich bin es selbst!" "Ihr - Du bist es? O - o - welch ein Tag! Kennst Du mich?" "Nein." "Karavey!" "Karavey? Mann, Bruder, ists moeglich!" Jetzt lagen sich die beiden Maenner in den Armen. Darueber erwachte die Zigeunerin. Sie richtete sich halb empor. "Katombo, toedte mich!" "Toedten? Nein, segnen werde ich Dich, Du Geliebte meiner Jugend und Du Abgott meines Schaffens!" Er hob sie empor und setzte sie auf den Platz, den er erst inne gehabt hatte. "Also Du, Zarba, bist die Koenigin unserer grossen Verbindung? Du bist das allmaechtige und allwissende Wesen, dem Gross und Klein gehorcht, ohne zu klagen und zu fragen! Du wiesest meine Liebe von Dir, aber ich war stark im Herzen und wurde dennoch gluecklich. Siehe mein Kind, mein einziges, herrliches Kind; es mag Dir sagen, dass ich Liebe um Liebe wiedergefunden habe!" Durch die laute Unterhaltung hier im Garten wurden die in der Stube Befindlichen aufmerksam. Max trat heraus; ihm folgten die Andern. Kaum hatte er die Hinterthuer erreicht, so entfuhr ihm ein Laut der Verwunderung. Zwei Augen hatten auch ihn erblickt, Arthur kam herbei: "Max, ich bitte Dich, in bin ein Matrose und heisse Bill Willmers! Nur Zarba scheint meinen wahren Namen zu kennen." "Warum dieses Inkognito?" "Werde es Dir spaeter erklaeren. Ah! Was ist das fuer ein Gespenst?" Tirban, der Waldhueter kam am Waldessaume herbeigeschlichen. Kaum hatte Zarba ihn erblickt, so rief sie ihn herbei. Er kam und begruesste sie mit einer Unterwuerfigkeit, als ob er eine Koenigin vor sich habe. "Kam die Depesche nach Waldenberg?" frug sie ihn. "Ja." "Habt Ihr sie?" "Wir haben sie." "In der Tannenschlucht?" "Du hast es so befohlen." "Wer bewacht sie?" "Horgy und Tschemba." Sie wandte sich an den Schmiedegesellen und seinen Bruder: "Thomas, wir werden uns fuer eine halbe Stunde entfernen und uebergeben Euch diese Dame!" "Schoen!" antwortete der Angeredete. "Ich werde sie pewachen und pewahren, als ob sie meine peste Ampalema waere!" "Bleibe hier!" bat Nurwan Pascha seine Tochter. Sie nickte zustimmend. "Darf Bill nicht auch bleiben, Papa?" Die Zigeunerin hatte die Frage vernommen. "Er darf bleiben!" entschied sie. Das Erlebte hatte so maechtig auf die Anwesenden eingewirkt, dass sich Alle wie halb im Traume befanden. Sie folgte Tirban, welcher voranschritt. Der Weg ging zunaechst nach seiner Huette, dann an dieser vorueber in den dichten Wald hinein, bis sich vor ihnen eine tiefe, finstere Schlucht oeffnete, deren Seiten mit riesigen Tannen besetzt waren. Das war die Tannenschlucht. Sie war beinahe eine Viertelstunde lang und schien seit Jahren von keinem menschlichen Fusse betreten worden zu sein. Ihr Hintergrund wurde von wirr ueber einander gethuermten Felsen gebildet. Tirban schob einen derselben mit Leichtigkeit bei Seite; das Kreischen verrosteter Angeln ertoente und es wurde eine ÷ffnung sichtbar, welche gross genug war, zwei Maenner neben einander hindurch zu lassen. Drin war es dunkel, aber eine angebrannte Fackel verbreitete bald das gehoerige Licht. Auf einer Streu hatten zwei Maenner gelegen, welche bei dem Eintritte der Kommenden sich erhoben. Es waren die beiden Waechter Horgy und Tschemba, welche ihre Vajdzina mit groesster Ehrerbietung gruessten. "Alles in Ordnung?" frug diese. "Alles!" "So bringt die Gefangenen!" Im hinteren Theile des Raumes wurde eine Thuer geoeffnet, hinter welcher der Direktor mit dem Oberarzte hervortrat. Beim Erblicken der Anwesenden erbleichten Beide; dem dicken Direktor schlotterten die Kniee; er waere zusammengebrochen, wenn er sich nicht an die Wand gelehnt haette. Zarba trat auf ihn zu. "Hund, welcher den zerreisst, auf welchen er gehetzt wird, Du hast nur noch eine Minute zu leben, wenn Du nicht offen beichtest. Tirban, nimm die Pistolen!" Der Alte griff in eine Vertiefung und brachte die Waffen hervor. Zarba fuhr fort: "Hier der Herr Doktor Brandauer wird Euch fragen; bei der geringsten Unwahrheit drueckst Du los, Tirban!" Der Direktor stoehnte vor Entsetzen. Max, welcher sicher annahm, dass es Zarba mit ihrer Drohung blos darum zu thun war, die beiden Aerzte einzuschuechtern, begann: "Ich wiederhole, dass ich bei der geringsten Luege winken werde; mehr bedarf es nicht zu einer Kugel. Herr Direktor, Sie kennen einen Herrn Aloys Penentrier?" "Ja." "Er besuchte Ihre Anstalt sehr oft?" "Ja." "Im Auftrage des Herzogs von Raumburg?" "So ist es." "Er hatte Ihnen die Befehle desselben zu bringen?" "Denen ich natuerlich gehorchen musste," versuchte er sich zu entschuldigen. "Ich theile diese Ansicht natuerlich nicht. Sie konstatiren hiermit gewisse Faelle, in denen geistig vollkommen Gesunde als wahnsinnig eingeliefert und behandelt wurden?" "Ja," klang es nach einigem Zoegern. "Ebenso gestehen Sie Faelle ein, in denen Sie angehalten waren, gefuerchtete Internirte durch Toedtung zu entfernen?" "Ja." "Ihr Oberarzt war ausnahmslos Ihr Mithelfer?" "Ja." "Gestehen Sie das ein?" wandte sich Max an diesen. Er warf dem Direktor einen fuerchterlichen Blick zu, schielte nach der bereitgehaltenen Pistole und antwortete: "Bei solchen Gewaltmitteln kann ich nicht anders als ja sagen." "Gut, so sind wir fertig. Wo sind die Effekten dieser Maenner?" "Hier," antwortete Tirban, indem er zwei Koffer herbeischob. "Untersuchen!" Sie wurden geoeffnet, enthielten aber nichts als Waesche und Toilettengegenstaende. Daher liess Max die Kleidung der Gefangenen untersuchen. Jetzt kam das Reisegeld und ausser demselben ein Portefeuille zum Vorschein, welches einige versiegelte Briefe ohne Adresse enthielt. Max erbrach sie, und kaum hatte er einen Blick auf den ersten geworfen, so griff er in die Tasche und zog sein Notizbuch hervor. Er hatte ganz dieselbe Geheimschrift erkannt, zu welcher er aus der Bibliothek des Herzogs von Raumburg sich den Schluessel mitgenommen hatte. Er trat an das Tageslicht und begann zu dechiffriren. Es dauerte lange, ehe er fertig war. Die Andern ahnten, dass er etwas sehr Wichtiges gefunden haben muesse, und vermieden, alle Stoerung. Als er geendet hatte, steckte er die Briefe zu sich und ueberlegte einige Zeit. "Ich werde ueber diesen Fund spaeter berichten. Koennen die Gefangenen fuer diese Nacht noch hier bleiben?" "Ja," entschied Zarba. "So schliesst sie wieder ein! Jetzt vorerst wieder zurueck zum Kruge, wo wir versuchen wollen, die Raethsel zu loesen, vor welche wir uns heute gestellt sehen." "Halt!" gebot Zarba. "Ehe wir diesen Ort verlassen, verlange ich von Euch Allen den Schwur, ihn niemals zu verrathen." "Ich schwoere es gern," antwortete Max. "Ich auch," stimmten die Andern bei. Der Rueckweg wurde angetreten. Tirban blieb in seiner Huette; die ‹brigen begaben sich nach dem Kruge. Als sie dort angekommen waren, naeherte sich Thomas Schubert seinem jungen Herrn. "Herr Doktor, darf ich einmal ein Pischen neugierig sein?" "Nun?" "Warum ist der Herr Hauptmann von Wallroth zurueckgeplieben und nicht lieper auch mitgekommen?" "Der Koenig erlaubte es nicht. Er hat ihn zum Major avancirt und gewuenscht, ihn fuer jetzt im Schlosse zu behalten." "Donnerwetter, da pleipe ich ein anderes Mal auch zu Hause!" Er trat befriedigt zu seinem Bruder. Dieser verwandte kein Auge von Nurwan Pascha, welcher sich wieder zu seiner Tochter gesetzt hatte, und drehte sich endlich aergerlich um. "Thomas, ich wette doch mit Dir, dass dieser Mann der schwarze Kapitaen ist. Je laenger ich ihn mir betrachte, desto gewisser werde ich!" "Ein Seeraeuper? Dann hat er dieses Maedchen wohl auch aus der See geraupt und giept sie nun fuer seine Tochter aus. Darueper zerpreche ich mir aper den Kopf nicht; lieper will ich einmal nachdenken, wie ich es anfange, dass mein junger Herr auf den gluecklichen Gedanken kommt, mir eine von seinen Cupa oder Hapanna anzupieten?" - - - Ein Rueckblick. Es war zu Siut in Egypten. Die gluehende Mittagssonne verbreitete eine drueckende Schwuele ueber die Stadt, in deren engen Strassen selten der eilende Schritt eines Menschen, der kurze Trab eines Esels oder das Schnauben eines Kameels zu hoeren war. Spruehende Gluth vibrirte ueber den Wassern des Nils, und kein einsamer Kahn, keine Barke war auf den Wogen zu sehen. Einige Sandals lagen im Hafen, aber von der Besatzung war kein Kopf, kein Glied zu sehen, da sich die Leute vor der Hitze an das Ufer zurueckgezogen hatten, um sich in dem kuehlen Raume eines Kawuah (Kaffeewirthes) zu erholen. Am Ufer des Flusses stand ein grosses Gebaeude, von welchem allerdings nicht viel zu erkennen war, da das ganze zu ihm gehoerige Areal von einer sehr hohen Backsteinmauer umgeben wurde. Diese Letztere umschloss zunaechst einen Garten, der mit grosser Kunst und Sorgfalt angelegt war; dann starrten Einem die vier fensterlosen Mauern des ein Rechteck bildenden Gebaeudes entgegen. Das durch die Mauer gebrochene Thor lag dem Flusse zu, und ihm gegenueber oeffnete sich der Eingang des Gebaeudes, welches mit seinen vier Seiten einen mit Saeulengaengen eingefassten Hof umschloss. Stieg man von diesem Hofe aus eine breite aus dem Syenit des Dschebel Mokkhadam gebaute Treppe empor, so gelangte man in ein weites Gemach, in welchem eine sehr angenehme und erquickende Kuehle herrschte. Dieselbe wurde hervorgebracht durch die Ausduenstung des Wassers in den vielen poroesen Thongefaessen, welche in zahlreich angebrachten Maueroeffnungen standen. Der Boden war mit einem einzigen grossen persischen Teppich von wundervoller Arbeit und Faerbung belegt, und auf einer erhoehten Estrade stand ein mit rothem nubischem Sammet ueberzogener Divan, auf welchem ein Mann in jener Stellung (mit untergeschlagenen Beinen) Platz genommen hatte, welche der Tuerke Rahat otturmak. d.i. Ruhe der Glieder nennt. Er mochte achtundvierzig oder neunundvierzig Jahre zaehlen, aber der Ausdruck von Betruebniss, welcher auf seinen edlen, maennlich-schoenen Zuegen lag, liess ihn um Einiges aelter erscheinen. Der sicherste Werthmesser fuer den Reichthum eines Mannes pflegt in Egypten die Pfeife zu sein. Diesen Massstab angelegt, musste der Reichthum dieses Mannes ein sehr bedeutender genannt werden, denn der Kopf der Pfeife, welche er rauchte, war sicher aus einem Stuecke Meerschaum von seltener Groesse geschnitten, das Rosenholzrohr zeigte eine massive Golddrahtumwindung, zwischen welchen zahlreiche aechte Perlen hindurchblickten; die Spitze bestand aus einem grossen Stuecke jenes halbdurchsichtigen Bernsteines, welcher im Oriente theurer bezahlt wird als der wasserhelle, und der kristallene Kondensirknauf schimmerte von Brillanten, Smaragden und Rubinen, welche an sich schon ein Vermoegen repraesentirten. Zu seinen Fuessen hockten zwei schwarze Sklaven; der Eine war beschaeftigt, die Pfeife in stetem Gang zu erhalten, und der Andere kredenzte in kleinen, kaum mehr als fingerhutgrossen Tassen den schwarzen Trank des Mocca, der vollstaendig rein, ganz ohne Zucker und Sahne genossen wurde. Da oeffnete sich eine Seitenthuer und eine verhuellte Frauengestalt trat ein. Sie naeherte sich dem Manne, hob den Schleier ein wenig und kuesste ihn auf die Stirn; dann strich sie ihm mit der kleinen, weissen Kinderhand ueber dieselbe und meinte mit halblauter und doch goldig reiner Stimme: "Wieder lagern Wolken um Dein Haupt, und Schatten ziehen durch Dein Herz. Die Geschicke der Sterblichen stehen geschrieben und verzeichnet im Buche des Schicksals, und keine Hand kann wider Allahs Willen." "Du sagst recht, Ayescha; aber doch thut der Wille Allahs wehe, wenn er das Herz zerreisst. Allah lenkt die Geschicke wie Wasserbaeche, doch gibt er dem Manne Spielraum, seine Kraft zu erproben und zu entfalten. Mein Leben war ein schwerer Kampf; das Kismet (Vorherbestimmung) ist mir guetig gewesen; jetzt aber hat es mich getroffen mit dem Schlage einer Keule, die mein Leben zerschmettern kann. Ich kaempfe und ringe dagegen, doch all mein Reichthum, all meine Macht bringt mir keine Hilfe. Ich werfe mit Gold um mich, als besaesse ich die Schaetze der tausend und einen Nacht; ich schicke meine Freunde, meine Diener und meine Sklaven aus, aber Keiner will kommen, um mir die Kunde zu bringen, nach welcher ich mich sehne, wie die Nacht nach dem Lichte des Tages, wie die Wueste nach Thau und Regen und wie der Nil nach der gnadenreichen Leilet en Nuktha ("Nacht des Tropfens," jene Nacht, in welcher nach dem Glauben der Nilanwohner ein Thraenentropfen vom Himmel faellt, um alljaehrlich die segensreichen ‹berschwemmungen hervorzubringen)." "Vater, es gibt nur Einen, welcher klug und tapfer genug ist, das Geheimniss zu enthuellen und Dir die ersehnte Kunde zu bringen; aber dieser ist nicht da." "Wer?" "Katombo." Der Mann erhob forschend seinen Blick. "Kennst Du ihn so genau, dass Du dies behaupten kannst?" Sie schwieg einige Sekunden in halber Verlegenheit; dann antwortete sie: "Hast Du mir nicht so viel von ihm erzaehlt?" "Ja, das habe ich und Du hast das Richtige getroffen. Waere er nicht so fern, sondern hier gewesen, so haette er mir laengst des Herzens Muth und Freude zurueckgegeben, denn keiner von Denen, welche ich aussandte, Sobeide zu suchen, wird sie finden und mir wiederbringen." "Allah ist gross; er kann helfen, wenn er will, und oft erscheint seine Hilfe zu einer Zeit, in welcher wir sie am wenigsten erwarten. Ich stand soeben auf dem Dache, um die feuchte Luft des Stromes zu athmen, und sah ein Boot auf dem Wasser schwimmen. Es hatte unsere Farben und wurde von einem Manne gerudert, der nach dem Hafen zuhielt. Ich kam sofort, um es Dir zu verkuenden. Sollte es einer Deiner Boten sein?" "Kam er stromab oder stromauf?" "Stromab." "So muss er das Ufer bereits erreicht haben und augenblicklich hier sein. Hoerst Du?" Man konnte deutliche Schritte vernehmen, deren Schall vom Hofe heraufdrang. Sie kamen die Stufen empor, und dann wurde der Eingang geoeffnet. Ein Diener trat ein und verbeugte sich bis zur Erde. "Hoher Scheik, ein Schiffer verlangt Dich zu sprechen." "Lass ihn herein!" Der Diener verbeugte sich nochmals, trat ab und liess den Mann ein, den er angemeldet hatte. Dieser trug die gewoehnliche Tracht der Nilbarkenleute und schwitzte aus allen Poren. "Was willst Du?" "Bist Du Manu-Remusat, der grosse und beruehmte Abu-el-Reisahn (Vater der Schiffsfuehrer)?" "Ich bin es." "Mich sendet Katombo, Dein Kapitaen." "Katombo?!" Er machte eine Bewegung zum Aufspringen, ueberwand sich aber; eine solche Erregung passte nicht zu der charakteristischen Ruhe, welcher der Orientale als Zeichen der Wuerde sich zu befleissigen strebt. "Katombo," antwortete der Gefragte, sich als Zeichen der Zustimmung tief verneigend; "er sendet mich, um Dir seine Ankunft zu melden." "Wo ist er?" "So nahe, dass er in wenigen Minuten eintreffen wird. Ich musste sehr schnell rudern, um Dich eher anzutreffen." "So nahe ist er? Daraus sehe ich, dass ihm entweder ein Unglueck widerfahren ist, oder er eine sehr gute und glueckliche Fahrt gemacht hat. Welches von beiden ist das Richtige?" "Ich weiss es nicht. Sihdi Katombo hat mich erst in Dongola gemiethet, als er sich auf der Rueckfahrt befand." "Habt Ihr gut geladen?" "So viel, dass kaum Platz fuer die Mannen uebrig ist." "Habt Ihr die Schellal (Stromschnellen) gluecklich ueberwunden?" "So gluecklich, dass weder ein Mann noch ein fingergross von der Ladung verloren gegangen ist." "So war die Fahrt eine gute, eine bessere, als ich jemals selbst gemacht habe. Gehe hinunter zu den Dienern und lass Dir Speise und Trank geben!" Der Schiffer entfernte sich und Manu-Remusat erhob sich. Er hatte nicht bemerkt, dass seine Tochter bei der Nachricht von der Ankunft Katombos unwillkuerlich und freudig zusammengezuckt war. "Bereite das Mahl, Ayescha. Ich werde nach dem Flusse gehen, um Katombo zu empfangen." Das Maedchen schwebte aus dem Gemache wie ein aus einer hoeheren Welt stammendes Wesen, dessen Schritte man nicht hoert und dessen Schoenheit den Erdensohn in seligen Rausch versetzt. Remusat wand um den Fes, welcher seinen Kopf bedeckte, einen langen, weichen Kaschmirshawl, dessen beide Enden von dem so gebildeten Turban ueber sein Gesicht herabfielen und dasselbe vor den sengenden Strahlen der Sonnen beschuetzten. Er verliess das Haus, schritt durch den Garten zum Thore hinaus und wandte sich dem Flusse zu. Wer ihn kannte, der sprach sicher von der grossen Ehre und Bevorzugung, welche Demjenigen widerfuhr, wegen dessen der beruehmteste und reichste Nilfahrer sich in eigener Person an den Fluss bemuehte. Katombo musste sehr hoch in seiner Gunst stehen, dass er ihm entgegenging, statt ihn in seinem kuehlen Divan zu erwarten. Als er das Ufer erreichte, bemerkte er eine ungewoehnlich grosse DahabiÈ, welche in einem Bogen auf das Ufer zusteuerte. Das Segel war gerefft, und nur der Stromgang trieb das Fahrzeug an das Gestade, wo es am Buge beim Anker genommen wurde, waehrend der Stern sich nach abwaerts legte. Ein junger Mann, ganz derselbe, welcher einst als Zigeuner der Verlobte Zarba's gewesen war, nur um mehrere Jahre aelter, stand auf dem Hinterdecke, setzte den Fuss auf den Bord und sprang mit einem kuehnen Satze wohl zwoelf Fuss ueber das Zwischenwasser auf das Ufer hinueber. Dort kreuzte er die Arme ueber die Brust und beugte sich tief zum Boden hernieder. "Habakek (willkommen), Katombo! War Allah mit Dir und Deiner DahabiÈ?" "Allah schuetzte uns, und die guten Geister des Himmels hielten die Wogen und die Winde, dass sie uns nicht schaden konnten." "Hast Du gute Fracht?" "Ich war Dir ungehorsam, o Scheik el Reisahn. Ich sollte bringen Sennesblaetter aus Gondar und bringe welche aus Amhara." "Bis Amhara kamst Du?" frug Manu-Remusat erstaunt. "So bist Du ein Liebling des Propheten, der Dir guenstige Luefte gab, und hast ein Herz voll Muth und Unerschrockenheit. Dein Ungehorsam bringt mir Gewinn, denn weisst Du, dass die Sennesblaetter aus Amhara besser und feiner sind als die, welche man in Gondar kauft?" "Ich weiss es, Sihdi, darum fuhr ich so weit hinauf." "Welchen Preis gabst Du?" "Denselben, welchen Du mir erlaubtest fuer die Gondarer Waare." "Ist es moeglich? So hast Du mir einen reichen Gewinn bereitet, Katombo! Hast Du eine vollstaendige Ladung?" "Es ist jeder Raum benutzt, Sihdi. Aber ich habe Dir dennoch ein Gestaendniss zu machen, denn die Sennesblaetter sind nicht die einzige Fracht, welche ich eingenommen habe." "Was hast Du noch?" frug Remusat, indem seine Stirn sich jetzt wirklich ein wenig verfinsterte. "Ich hoffe nicht, dass Du etwas gekauft hast, was ich nur unter Schaden wieder weggeben kann!" "Elfenbein, Sihdi!" antwortete Katombo mit so anspruchslosem Tone, als handle es sich um Sand oder Backsteine aus der Naehe von Siut. "Elfenbein!" rief Remusat beinahe laut. "Wie viel?" "Achtzig Zentner." "Achtzig Zentner! Du bist wahrhaftig ein grosser Liebling Allahs. Aber dazu hat ja das Geld nicht gereicht, welches ich Dir mitgab." "Es hat gereicht; ich bringe Dir noch welches mit zurueck." "Ich erstaune. Woher ist das Elfenbein?" "Vom Bahr el Azrek, wohin es mit einer Karawane aus dem Lande Solat kam." "Hast Du es gekauft oder getauscht?" "Keines von beiden, Sihdi; ich habe es erbeutet." "Sagst Du die Wahrheit, Katombo? Erbeutet? Wer etwas erbeuten will, muss kaempfen. So hast Du also einen Kampf gehabt!" "So ist es, Sihdi. Hast Du nicht gehoert von den Raubsandals, welche im Bahr el Abiad und Bahr el Azrek friedliche Handelsschiffe anzufallen pflegen?" "Ich kenne sie und moechte Keinem rathen, mit ihnen anzubinden. Flucht ist das Einzige, was retten kann, denn die Besatzung eines jeden Fahrzeuges, welches in ihre Haende geraeth, wird ohne Gnade und Barmherzigkeit niedergemacht. Und doch sind diese Sandals viel schneller als unsere DahabiÈs, fast so schnell wie die Dampfer, welche man im Abendlande baut." Verzeihe, Sihdi, so ist also Flucht nicht das Einzige, was retten kann, sondern ein muthiges Herz und eine starke Faust. Dies dachte ich mir, und darum bin ich nicht geflohen, als mich zwei von diesen Sandals verfolgten, sondern ich habe ihnen Stand gehalten, sie erobert und die Raeuber alle getoedtet. Ihre Fracht, welche sie sich wohl auch geraubt hatten, habe ich fuer Dich genommen, Sihdi; auch das Elfenbein war dabei; ich behielt es, waehrend ich alles Andere verkaufte, auch die beiden Sandals dazu." "Katombo, Du bist ein grosser Beluhwan, ein Held, wie der Nil keinen zweiten kennt; aber Du hast Unrecht gethan, die Sandals zu verkaufen und das Elfenbein mir zu bringen; es gehoert ja Denen, welchen es geraubt wurde!" "Sie Alle leben nicht mehr. Die Fahrzeuge gehoerten den Raeubern, welche ich getoedtet habe, und die, denen sie die Fracht raubten, wurden von ihnen niedergemacht. Du sagst ja selbst, dass sie niemals Pardon geben." "So hast Du Recht und sollst belohnt werden, wie es sich geziemt. Das Geld, welches Du uebrig hast, ist Dein." "Sihdi, Deine Hand oeffnet sich mit Wohlthun und Barmherzigkeit, doch kann ich ein so reiches Geschenk nicht annehmen, denn die Summe, welche ich wiederbringe, ist doppelt so gross als die, welche Du mir mitgabst. Die Sandals wurden mir in Chartum gut bezahlt." "Und dennoch bleibt es bei Dem, was ich sagte, denn das Wort des Propheten lautet: "Halte, was Du versprichst, denn der Athem Deines Mundes, der die Rede traegt, geht wohl heraus, kehrt aber nicht wieder in denselben zurueck!" Wie viel bringst Du wieder?" "Erlaube, Sihdi, dass ich Dir in Deiner Wohnung Rechnung ablege! Deine Gnade fuehrte Dich herbei zum Wasser, aber die Sonne brennt so heiss, dass Dein treuer Diener fuerchtet, sie koenne Deine Gesundheit trueben." "So komm! Aber musst Du nicht auf dem Schiffe sein?" "Der Steuermann ist ein tuechtiger Schiffer; er wird meine Stelle vertreten, bis wir mit einander gesprochen haben." Sie wandten sich dem Hause zu, in welchem alle Diener herbeieilten, um Katombo ihre Freude ueber seine Rueckkehr zu erkennen zu geben. Er genoss also nicht nur die Gunst seines Herrn und Prinzipals, sondern auch die Liebe aller Derer, die mit ihm zu verkehren hatten. ‹brigens war mit seinem Aeusseren eine hoechst vortheilhafte Veraenderung vorgegangen. Seine Gestalt hatte sich nach Hoehe und Breite entwickelt; sein frueher jugendliches Ansehen war bedeutend maennlicher geworden; ein praechtiger Vollbart zog sich um seine gebraeunten Wangen, und wie er so neben Manu-Remusat die Stufen emporstieg, zeigte sich seine Gestalt beinahe stattlicher, kraeftiger und wuerdevoller als diejenige seines Chefs, obgleich dieselbe ganz geeignet war, einen Achtung gebietenden Eindruck hervorzubringen. Sie betraten das kuehle Zimmer, im welchem Remusat vorhin gesessen hatte. Die beiden Sklaven hatten sich mittlerweile entfernt. Der Egypter nahm wie frueher auf dem Divan Platz. "Setze Dich zu mir, denn ich bin sehr mit Dir zufrieden!" Katombo gehorchte, im Stillen erfreut ueber diese ehrenvolle Aufforderung, die gewiss noch an keinen Andern ergangen war. Er legte den krummen Saebel und die Pistolen ab, welche sein Guertel bisher getragen hatte, und zog verschiedene Papiere aus der Tasche. "Hier ist meine Abrechnung, Sihdi. Sie wird Dir zeigen, dass ich kein untreuer Diener war." Manu-Remusat nahm sie und klatschte in die Haende. Sogleich erschienen die beiden Schwarzen. "Tabak!" Auf diesen Zuruf hin brachten sie zwei Pfeifen, welche sie Remusat und Katombo darreichten. Nachdem das duftenden Kraut von Dschebeli in Brand gesteckt worden war, knieten sie zur weiteren Bedienung vor den beiden Maennern nieder. Manu-Remusat durchlas und verglich die Papiere; dann, als er fertig war, steckte er sie zu sich. "Ich sehe, dass Du ein treuer, muthiger und gewandter Diener bist. Das Geld, welches Du mitbringst, gehoert Dir, und ich stehe im Begriffe, Dir einen Beweis meines Vertrauens zu geben, wie Du groesser ihn niemals erlangen kannst." "Sprich, Sihdi! Ich werde hoeren und gehorchen." "Ich werde Dir eine Aufgabe ertheilen, welche Du vielleicht nur dann erfuellen kannst, wenn Du Dein Leben wagst. Soll ich weiter sprechen?" "Ich lausche Deiner Rede, Sihdi. Mein Herz und meine Liebe gehoeren Dir, folglich auch mein Leben." "Du weisst, dass kein wahrer Moslemin zu einem andern Manne von seinen Frauen spricht. Wenn ich diesen guten und loeblichen Gebrauch uebertrete, so wirst Du erkennen, dass auch ich Dich lieb habe und Dir mein ganzes Vertrauen schenke. Ich habe keinen Harem wie andere Glaeubige. Der Tod hat das Weib meiner Seele von mir gerissen; mein Herz ist ihr treu geblieben bis auf den heutigen Tag, und weder eine Frau noch eine Sklavin hat es vermocht, die Trauer um sie von mir wegzunehmen. Als sie von mir schied, hinterliess sie mir die zwei groessten Kleinode meines Lebens, meine beiden Toechter. Du hast sie noch niemals gesehen, obgleich Du bereits drei Jahre in meinem Hause weilst. Sie sind schoen wie die Huris des Paradieses, lieblich wie die Fittiche der Schwalbe und gut und folgsam wie Roath (Ruth), von der die Schriften der Kalifen und die Buecher der Juden und Christen erzaehlen. Sie waren meine Freude des Morgens, meine Wonne des Abends, und all meine Sorge bei Tag und bei Nacht hatte nur ihr Glueck im Auge. Jetzt ist die Freude in Leid verwandelt, und die Wonne hat sich in Schmerz und Gram verkehrt, denn Sobeide, die aeltere von ihnen, ist verschwunden, und weder ich noch einer meiner Diener hat vermocht, eine Spur von ihr aufzufinden." Er schwieg. Sein Antlitz hatte sich wieder verduestert, und in seinem dunklen Auge stand eine Thraene. Katombo hielt den Blick zu Boden gesenkt; er schien nachzusinnen. Dann erhob er ihn zu seinem Herrn. "Darf ich sprechen, Sihdi?" "Sprich!" "Du sagtest selbst, dass ein aechter Moslem nicht von Frauen reden darf - " "Der Mann darf von seinem Weibe und der Bruder von seiner Schwester reden. Sprich zu mir, wie der Sohn zu seinem Vater; sprich von Sobeide, wie der Bruder von seiner Schwester; frage mich nach Allem was Du willst, ich werde Dir gern antworten!" "Seit wann ist Sobeide verschwunden?" "Morgen werden es drei Wochen." "Am Tage oder des Nachts?" "Des Abends." "War sie allein?" "Ja. Sie war in den Kiosk gegangen, welcher an die Mauerecke des Gartens gebaut ist. Sie hatte dies niemals allein, sondern stets in Begleitung ihrer Schwester gethan; sie ist also entflohen, und dies verdoppelt meinen Schmerz." "Hatte sie gesagt, dass sie nach dem Kiosk gehe?" "Ja." "Hatte sie ihre Schwester nicht aufgefordert, sie zu begleiten?" "Nein." "Wo war die Schwester, als Sobeide ging?" "Bei mir. Wir spielten Schach. Sobeide sass dabei; sie erhob sich und ging, ohne ein Wort zu sagen." "Spielte sie auch Schach?" "Nicht gern und nicht gut." "Hat sie erst ihr Harem aufgesucht, ehe sie nach dem Kiosk ging? Erinnere Dich genau, Sihdi!" "Nein, denn sie ging hier die Stufen hinab in den Hof und von da aus nach dem Garten. Selim, der Verschnittene, war im Hofe und hat es gesehen." "Welches Gewand trug sie?" "Das, welches sie gewoehnlich trug." "Vermissest Du etwas von ihren andern Gewaendern, von ihrer Waesche, ihrem Schmucke und ihrem oder Deinem Gelde?" "Nicht das Geringste. Ich selbst habe nachgeforscht und auch Ayescha nachsuchen lassen." "So freue Dich, Sihdi, denn Deine Tochter ist nicht freiwillig von Dir gegangen; sie ist nicht entflohen." "Nicht entflohen? Was sonst?" "Sie ist geraubt, sie ist entfuehrt worden." "Allah akbar, Gott ist gross! Du traeufelst mir Balsam in die Wunde meines Herzens, die aber dennoch nicht genesen wird, denn sie ist mir doch verloren!" "Allah akbar, Gott ist gross, sagst Du; er nimmt, und er gibt wieder; aber er steigt nicht vom Himmel herab, um Dir Deine Tochter selbst wiederzubringen, sondern er gab Dir einen klugen Sinn, einen starken Arm und treue Diener, damit Du Dir wieder holen sollst, was Dir geraubt wurde." "Mein kluger Sinn ist zu Ende mit seinen Plaenen; mein starker Arm ist ermattet vom Kummer, und meine Diener, die ich aussandte, sind entweder noch gar nicht zurueckgekehrt, oder sie kamen ohne die, welche sie mir wiederbringen sollten. Ich habe nur noch Dich, Katombo. Willst Du gehen und Sobeide suchen?" "Ich will, Sihdi. Als Du mich mit der DahabiÈ hinaufsandtest in das unbekannte Land, wusste ich, dass ich Deinen Willen erfuellen wuerde, und jetzt, da Du mich nach Deinem geraubten Kinde suchen heissest, sagt mir eine geheime Stimme, dass ich es finden werde." "Hab Dank, Katombo! Du gibst mir Hoffnung und neues Leben. Hier kommt Speise und Trank. Ich werde Beides wieder geniessen koennen, denn ich vertraue auf Dich und Deine Geschicklichkeit. Wann wirst Du gehen?" "Erlaube mir, Sihdi, dass ich heut noch bleibe. Ich muss mir Alles genau betrachten und ueberlegen, um einen richtigen Plan bilden zu koennen. Die Andern haben nichts vermocht, weil sie ohne ein bestimmtes Ziel von Dir gingen." "Du redest klug und richtig. Auch musst Du Dich von Deiner Reise erholen. Iss und trink und verlange getrost von mir; Du sollst Alles reichlich haben, was Du zur Erfuellung meines Auftrages von mir forderst!" Die Diener stellten einen nach orientalischer Sitte niedrigen Tisch vor die Beiden hin und bedeckten ihn mit Speisen, wie sie nur ein reicher Mann bezahlen und geniessen kann. Katombo langte fleissig zu; Manu-Remusat aber ass nur sehr wenig. Der Gram ist der schlechteste Koch, den es geben kann. Nach vollendetem Mahle verabschiedete sich der fruehere Zigeuner von seinem Herrn. Er hatte sich bereits waehrend des Essens Alles reiflich ueberlegt und schritt nach dem Garten, um zu dem Kiosk zu gelangen, aus welchem Sobeide seiner Meinung nach entfuehrt worden war. Dieses war ein aus Holz gezimmertes Gartenhaus in persischem Stile. Die Thuer stand offen; einige Backsteinstufen fuehrten zu ihr empor. Die Schritte Katombos verursachten auf dem weichen und sorgfaeltig gepflegten Rasen nicht das mindeste Geraeusch; auf den Stufen aber knirschten seine Schuhe, und in demselben Augenblicke vernahm er ein leichtes Geraeusch im Innern des Kiosk. Er oeffnete die nur angelehnte Thuer und - blieb mit einem Laute der ‹berraschung unter derselben stehen: Auf dem im Gartenhause befindlichen Divan hatte Ayescha gesessen und sich beim Schalle seiner Schritte erhoben. "Katombo!" rief sie unwillkuerlich, aber dieselbe Stellung beibehaltend. Sie hatte den Schleier niedergelassen, doch wenn auch durch diese Huelle ihre Zuege nicht zu erkennen waren, ihre grossen, dunklen Augen waren doch zu sehen; ihre kleinen Fuesschen, welche in den feinsten Saffianpantoffeln steckten, blickten unter dem halb aufgerafften Gewande hervor, und auch die kleinen weissen Finger ihrer Rechten, welche den Schleier zusammenhielt, liessen sich deutlich bemerken. "Verzeihe, Herrin, wenn ich Dich stoere, und erlaube mir, mich wieder zurueckzuziehen!" meinte Katombo. "Was wolltest Du hier?" frug sie mit beinahe leiser Stimme. "Dein Vater gebot mir, Sobeide aufzusuchen, und ich glaubte, hier die erste Spur von ihr zu finden." "Wirst Du sie wiederbringen?" "Das weiss nur Allah und sein Prophet; aber ich werde Alles thun, was in meinen Kraeften steht, Dir Deine Schwester wiederzugeben." "Ich weiss es, Katombo!" Diese suesse, metallisch-reine Stimme nannte ihn beim Namen! Er musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. "So darf ich gehen?" "Nein, bleibe und suche!" Er hatte ganz unmoeglich glauben koennen, diese Erlaubniss zu erhalten. Sie erweckte Gefuehle in ihm, die bereits einmal wach gewesen waren und bisher im tiefsten Herzen geschlummert hatten. Ayescha setzte sich wieder nieder, doch ohne ihr Haendchen zurueckzuziehen oder ihre Fuesse zu verhuellen. Er bemerkte dies sehr wohl; doch durfte er auf diese hohe Verguenstigung keine Ruecksicht nehmen, da er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Zweck seiner Anwesenheit zu verwenden hatte. Leider waren alle etwaigen Spuren auf dem Fussboden und den wenigen im Kiosk befindlichen Gegenstaenden bereits unvorsichtiger Weise verwischt worden, und all sein Scharfsinn konnte ihn zu keiner Entdeckung fuehren. Jetzt trat er an das eine Fenster, welches nach ausserhalb der Mauer fuehrte. Die dasselbe gegen die Sonne schuetzende Matte war aufgezogen. Er untersuchte die Einfassung der ÷ffnung und bemerkte in dem unteren Gewaende die Bruchflaeche eines staehlernen oder eisernen Gegenstandes, welcher in dem Holze gesteckt hatte. Ein Nagel konnte es unmoeglich gewesen sein, da die Flaeche lang und schmal wie der Durchschnitt einer Messerklinge war. Schnell nahm er seinen Dolch zur Hand und grub den Gegenstand heraus. Es war die Spitze eines zweischneidigen Dolches. Jetzt blickte er an der Aussenseite des Kiosk und der Mauer hinab. Einige Zoll oberhalb der Stelle, wo der erstere auf der letzteren ruhte, stak ein tief eingeschlagener Nagel, und an ihm hing ein schimmernder Gegenstand. Katombo griff hinab und nahm ihn empor. Es war ein kleines Stueck Goldschnur, wie man sie zur Verzierung von Jacken gebraucht. Indem er lautlos dastand und nachdenklich die beiden Gegenstaende betrachtete, klang es hinter ihm: "Hast Du eine Spur?" Er drehte sich um und stand hart vor Ayescha, welche aufgestanden und herbeigetreten war. "Ich weiss es noch nicht. Hast Du oder Sobeide jemals Waffen mit ihm Kiosk gehabt?" "Nein." "Oder ein Anderer?" "Nein. Dieser Kiosk war blos fuer uns Beide, und Niemand konnte ihn oeffnen als wir." "Aber Dein Vater war hier?" "Nur einmal als Sobeide fort war." "Du warst dabei?" "Ja." "Hatte er einen Dolch bei sich?" "Nein." "So stammt diese Spitze von einem Fremden! Traegt einer unserer Diener ein Kleid, an welchem sich eine solche Schnur befindet?" Sie nahm das Stueck und hielt es nahe an den Schleier, doch schien sie es durch das Gewebe hindurch nicht genau erkennen zu koennen, denn sie drehte sich ein wenig abseit, oeffnete den Schleier und sah nun die Goldschnur genau und ziemlich lange Zeit an. Wollte sie Katombo Gelegenheit geben, ihre Zuege zu sehen? War dies nicht der Fall, so haette sie sich weiter fortwenden muessen, denn der junge Mann erblickte das unvergleichliche Profil eines Angesichtes, dessen Schoenheit ihm das Blut siedend durch die Adern pulsiren machte. Was war Zarba gegen diese koestliche orientalische Perle, Zarba, die ihn verlassen und verrathen und dann sich selbst verloren hatte! Was seit jenen schweren Tagen tief in seinem Innern vergraben gewesen war, in diesem Augenblick sprengte es seine Huelle und baeumte sich mit Riesengewalt empor, hochauflodernd wie ein Feuer, welches durch den Zutritt der Luft neuen Raum und neue Bahnen gewinnt. Da schloss sie den Schleier und wandte sich ihm wieder zu. "Es traegt Niemand in unserem Hause solche Schnur." Er senkte den Blick zur Erde; er brauchte Zeit, um seine Ruhe, seine Fassung wieder zu gewinnen. Da ploetzlich leuchtete sein Auge auf, und es ging hell ueber sein intelligentes Gesicht. "Ich habs, ich habs! Allah kerihm, Gott ist gnaedig!" "Was hast Du? Weisst Du, wo Sobeide sich befindet und wer sie geraubt hat?" Sie war vor Erregung schnell zu ihm herangetreten und legte ihm das Haendchen auf die Schulter. Er zuckte unter dieser Beruehrung zusammen wie unter einem kraeftigen Faustschlage; ihr Gesicht befand sich nahe dem seinigen; er fuehlte den linden wuerzigen Athem ihres Mundes - er konnte nicht anders, er legte die Linke um sie und oeffnete mit der Rechten ihren Schleier. "Ayescha!" "Katombo, was wagst Du, was thust Du!" fluesterte sie, erschrocken, verwirrt und beseligt zugleich. "Ayescha, Licht meiner Augen, Stern meiner Seele, Sonne meines Lebens, darf ich Dich ohne Schleier sehen?" "Nein - ja - nein!" antwortete sie, beim letzten Worte die Hand erhebend, um sich wieder zu verhuellen. Er wehrte ihr diese Bewegung. "O, lass mich den Strahl Deiner Augen und den Glanz Deines Angesichtes trinken, Du Holde, Du Reine, Du Unvergleichliche. Lass mich Deine Lippen kuessen und dann sterben vor Wonne, vor Entzuecken und vor Seligkeit!" Er bog sich zu ihr nieder und beruehrte mit seinem Munde zweimal, dreimal ihre Lippen, ohne dass sie es ihm wehrte. Ihr Angesicht ergluehte, aber sie griff weder zum Schleier noch suchte sie sich seinem Arme zu entziehen. "Du bist kuehn, Katombo, aber ich liebe Dich!" klang es leise und langsam zwischen ihren wie Perlen schimmernden Zaehnen hervor. "Und Du stehst so hoch ueber mir, wie der Himmel ueber der Erde, aber ich liebe Dich. Willst Du herabsteigen zu mir, dem Armen, dem Kleinen, und mich begluecken mit einer Seligkeit, wie sie in Allahs Himmeln nicht zu finden ist?" "Ich will, obgleich Du Allah laesterst mit Deinen Worten," erwiderte sie, ihr Koepfchen fest und innig an seine Brust schmiegend. "Du willst? Du willst!" jauchzte er. "O, dann bin ich stark und maechtig; dann vermag ich Alles, selbst das Schwerste durch Dich! Dann werde ich Dir auch Deine Schwester wiederbringen!" "Glaubst Du? Hast Du wirklich hier Spuren von ihr gefunden?" "Ich weiss es noch nicht sicher, aber ich werde mir sofort die Gewissheit holen. Leb wohl, Ayescha, mein Ein und Alles! Ich werde heut, wenn der Abendstern im Zenithe steht, wieder hier sein und auf Dich warten. Wirst Du kommen? Kannst Du kommen, ohne dass man Dich bemerkt?" "Ja, ich werde kommen, mein Geliebter!" "Hab Dank, so viel Male Dank, als Sterne am Himmel stehen, als Tropfen im Meere wogen und als Koerner des Sandes in der Wueste gluehen!" Er drueckte sie an sich; er fuehlte das entzueckte Wogen ihres Busens an seiner Brust; er kuesste sie wieder und immer wieder und liess sie endlich leise auf den Divan gleiten. Dann trat er an die Fensteroeffnung, hob den Fuss zu derselben empor, schwang sich hinaus und stand mit einem kuehnen Sprunge unten an der Gartenmauer. Von hier aus schritt er eilends dem Flusse zu, bemerkte aber, sich einmal umdrehend, dass Ayescha am Fenster stand und ihm nachblickte. Am Wasser angekommen, erstieg er sogleich seine DahabiÈ und trat zum Steuermann. "Hat der Mann, welcher uns in Assuan bat ihn mitzunehmen, das Schiff bereits verlassen?" "Ja." "Und sein Gepaeck mitgenommen?" "Er hatte kein Gepaeck, als ich ihn an Bord kommen sah." "Wo ging er hin?" "Am Flusse abwaerts, den Weg, welcher nur zum Kawuahschi Abd-el-Oman fuehrt." "Hat er die Fahrt bezahlt?" "Ja." "Wusste er, wem die DahabiÈ gehoert?" "Er frug mich, und ich nannte ihm nur Deinen Namen; so sollte es ja sein, damit die Handelsfeinde unseres Herrn getaeuscht wuerden." "Gut. Mache die Ladung fertig, morgen geloescht zu werden!" Er ging wieder an das Land und schritt den Weg hinab, den ihm der Reis (Schiffsfuehrer, Steuermann) bezeichnet hatte. Einige hundert Schritte abwaerts von der Stelle, an welcher die DahabiÈ vor Anker lag, befand sich hart am Flusse eine Kaffeeschenke, in welcher nur Schiffer zu verkehren pflegten. Im grossen vorderen Zimmer versammelten sich die niederen Leute, waehrend es nach hinten einen kleineren aber sehr luftig gebauten und darum auch kuehleren Raum gab, welcher nur fuer die hoeher Stehenden eingerichtet war, ganz dieselbe Einrichtung also wie in den Seewirthshaeusern des Abendlandes, wie ueberhaupt an allen Hafenplaetzen. Katombo ging zur hinteren Thuer und kam durch dieselbe in den reservirten Raum, wo sich kein Mensch befand. Er liess sich auf dem laengs der Waende hinlaufenden Divan nieder, und ein leichtes Haendeklatschen brachte einen der Neger herbei, welche die Gaeste zu bedienen hatten. Dieser hielt schon Pfeife und Kaffee in den Haenden und reichte, niederkniend, Beides dem jungen Barkenkapitaen entgegen. "Wo ist Abd-el-Oman, Dein Herr?" "Vorn, bei den Gaesten, Sihdi." "Rufe ihn zu mir, doch ohne dass es Jemand merkt!" Der Schwarze verneigte sich und ging. Nach kaum einer Minute trat der Kawuahschi ein. Als er Katombo erblickte, kreuzte er die Arme auf der Brust und verneigte sich so tief, dass sein Turban fast die Matte beruehrte, mit welcher der Boden bedeckt war. "Sallam aaleikum, Friede sei mit Dir, ia Reis akbar, Du grosser Kapitaen, der Du der beste und beruehmteste Schueler bist von Manu-Remusat, dem kuehnsten und groessten aller Schiffsfuehrer!" Katombo nickte bei diesem superlativen Grusse nur leicht mit dem Kopfe. "Sallam aaleikum, Du Schech el Kawuahn, Du Groessester aller Kaffeewirthe in Egypten, der den besten Trank und den lieblichsten Tabak hat, so weit die Erde reicht!" "Sihdi, Deine Rede ehrt mein Haus und troestet mein Herz; aber spottet Dein Mund nicht doch vielleicht dessen, der lieber Dein als aller Anderer Diener ist?" "Warum soll ich Luegen reden statt der Wahrheit? Sitze ich nicht bereits hier bei Dir, trotzdem ich erst vor wenigen Minuten hier angekommen bin? Welche Gaeste haben Dich abgehalten, mein Kommen zu bemerken?" "Es sind nur vier, Sihdi, drei Freunde und ein Fremder." "Ein Fremder? Wo ist er her?" "Ich frug ihn, doch hat er es mir nicht gesagt." "Kam er auf dem Flusse oder mit einer Kaffilah (Karawane)?" "Auf dem Flusse." "Mit welchem Schiffe?" "Er nannte das Deinige." "Hast Du ihm gesagt, dass es nicht mir, sondern Manu-Remusat gehoert?" "Nein; sollte ich es ihm sagen?" "Du hast sehr recht gethan! Sage ihm, dass ein Sihdi ihn hier sprechen will, verschweige aber, dass ich es bin. Und wenn er bei mir eingetreten ist, so haeltst Du an der Thuer Wache, bis ich Dich rufe!" "Sihdi, ich weiss nicht, was Du mit ihm willst, aber ich gehorche Dir, denn Deine Hand hat noch niemals das gethan, was der Prophet verbietet." Der Kawuahschi ging und nach einigen Augenblicken trat der Fremde ein. Man konnte es ihm auf den ersten Blick ansehen, dass er weder ein eingeborener Egypter noch ein Tuerke war; vielmehr wies seine lange, hagere Gestalt, sein gelbblasses Gesicht, seine riesige Habichtsnase und die kleinen, listig blickenden Augen auf armenische Abkunft hin. Diese konnte ihm nicht als Empfehlung dienen, denn es ist bekannt, dass sich Niemand so leicht und gern zu allerlei Schurkenstreichen gebrauchen laesst, wie gerade der Armenier, vorausgesetzt, dass er gut dafuer bezahlt wird. Er trug einen Tarbusch auf dem Kopfe, den Oberleib bedeckte eine blaue, mit goldenen Schnueren besetzte Jacke, rothe Pumphosen hingen von seinen Lenden in weiten Falten bis zu den Fuessen herab, welche in derben, ledernen Stiefeletten staken. In seinem Guertel glaenzten zwei Pistolenlaeufe, zwischen denen Katombo die Lederscheide eines Dolches bemerkte, dessen Griff reich mit Silber beschlagen war. Der Mann blickte verwundert auf, als er den Kapitaen der DahabiÈ erkannte. "Sallam aaleikum!" gruesste er, die Hand auf die Gegend des Herzens legend. Katombo nickte blos, ohne den Gruss zu erwidern. "Wie heissest Du?" "Mein Name ist Schirwan, Sihdi." "Ich sehe, dass Du Dich wunderst, zu mir gerufen zu sein. Du sollst den Grund sogleich erfahren." "Ich hoere, Sihdi," antwortete der Armenier. "Wo kauftest Du Deine Pistolen?" "In Bulakh bei Abu-Soliman, dem beruehmten Waffenhaendler." "Sie sind vortrefflich, ich sah es sofort, als ich Dich auf meinem Schiffe traf. Ich haette Dich gefragt, ob Du sie verkaufest, aber was ein Reis begehrt, das muss man ihm schenken, und Du haettest denken koennen, dass ich Deine Pistolen als Bakschisch haben wolle, darum wartete ich bis jetzt. Verkaufst Du sie?" "Ja, Sihdi; warum soll ich sie nicht verkaufen, wenn ich einen guten Preis bekomme? Ich kann mir dann ja andere kaufen." "Darf ich sie ansehen?" "Hier sind sie." Er zog sie aus dem Guertel und reichte sie Katombo dar. Dieser nahm sie in Empfang und betrachtete sie aufmerksam. "Sie sind wirklich von Abu-Soliman, von dem ich mir laengst welche gewuenscht habe; aber ich bin noch nicht nach Kairo gekommen." Bei diesen Worten fiel sein Blick wie zufaellig auf den Guertel des Armeniers. "Was hast Du da fuer einen Dolch? Auch er scheint vortrefflich zu sein." "Er ist ausgezeichnet; ich erbte ihn von meinem Vater, der ihn in Damaskus kaufte." "In Damaskus? Diese Stadt ist beruehmt wegen ihrer unuebertrefflichen Klingen. Verkaufst Du den Dolch?" "Nein, Sihdi, mein Vater hat ihn im Kampfe getragen, ich wuerde seine Seele beschimpfen, wenn ich den Dolch fortgaebe." "Aber betrachten darf man ihn?" "Das darfst Du. Hier ist er." Er reichte Katombo die Waffe sammt der Lederscheide entgegen. Der Reis betrachtete zunaechst die Letztere und zog dann die Klinge hervor; sie war auf jeden Fall frueher laenger gewesen, dann an der Spitze abgebrochen und wieder zugespitzt und geschaerft worden. "Ein sehr guter Stahl; es muss viel Kraft gekostet haben, die Spitze abzubrechen," meinte Katombo. "Ich erhielt die Waffe so von meinem Vater." "Wirklich? Dann muthest Du mir zu, kein Kenner zu sein. Siehst Du nicht, dass noch nicht drei Wochen vergangen sein koennen, seit diese Klinge wiederhergestellt wurde? Jedenfalls ist Dein Vater schon laenger als diese Zeit todt." "Du zweifelst an der Wahrheit meiner Worte?" frug der Armenier in halb beleidigtem und halb stolzem Tone. "Ja," antwortete Katombo, ihn jetzt mit scharfem Auge fixirend. "Betrachte Deine Jacke!" "Warum, Sihdi?" "Hast Du nicht bemerkt, dass etwas an ihr fehlt?" "Nein." "So werde ich es Dir zeigen." Er steckte wie in Gedanken sowohl den Dolch als auch die Pistolen zu sich und stand auf. Der Gegner stand jetzt waffenlos vor ihm; er deutete mit dem Finger nach einer der Schnuren, welche die Jacke desselben zierten. "Fehlt hier Nichts?" "Ein wenig von der Schnur," antwortete der Mann, ohne nach der beschaedigten Stelle zu blicken. Er hatte den Mangel also selbst auch bemerkt, aber keine Gelegenheit gehabt, die Stelle ausbessern zu lassen. "Warum hast Du die Jacke nicht in den Laden eines Schneiders gebracht?" "Was geht Dich meine Jacke an?" frug der Mann, dem das Gespraech jetzt sonderbar und unangenehm zu werden begann. "Ich frage Dich, weil ich um Dein Wohl besorgt bin, denn diese Stelle an Deiner Jacke kann ebenso verhaengnissvoll fuer Dich werden wie Dein Dolch." "Ich verstehe Dich nicht, Sihdi, sprich deutlich!" "Das werde ich sogleich. Dein Stahl wurde in demselben Augenblick zerbrochen, in welchem Du die Schnur Deiner Jacke zerrissest. Sieh hier die verlorene Spitze und sieh hier das abgerissene Stueck der Schnur." Er griff in die Tasche und hielt ihm Beides entgegen. Der Armenier prallte zurueck, fasste sich aber sofort wieder. "Was geht mich dieses Eisen und diese Schnur an?" "Sehr viel! Dieses Eisen ist die Spitze Deines Dolches und diese Schnur ist auch von Dir; siehe, wie sie passt!" Er hielt das Stueck auf die Brust des Mannes und ueberzeugte sich, dass er sich nicht geirrt habe. Der Armenier ahnte jetzt, welchen Zweck das ganze Gespraech verfolgte, und dass er sich von einem gewandten Gegner hatte uebertoelpeln lassen. Er trat um einige Schritte zurueck. "Was willst Du von mir? Ich verkaufe meine Waffen nun nicht: gib sie mir zurueck, ich will gehen." "Warte noch ein wenig. Wohin hast Du Sobeide, die Tochter des Obersten der Schiffsfuehrer, Manu-Remusat, gebracht?" "Der Gefragte entfaerbte sich, suchte aber eine gleichgiltige Miene zu erzwingen. "Hat Dich die Sonnenhitze um den Verstand gebracht, dass Du mich fragst, wie nur ein Wahnsinniger fragen kann?" "Hat Dir der Scheitan (Teufel) das Gehirn gestohlen, dass Du thatest, was nur ein Verrueckter thun konnte? Weisst Du nicht, dass Mohamed sagt: "Wer Boeses thut, den wird die Strafe treffen?" Sofort, als ich Dich zum ersten Male sah, fiel mir die Stelle auf, an der Dir die Schnur fehlte, und dies fiel mir wieder ein, als ich hoerte, dass Sobeide geraubt sei und ich die Spitze nebst der Schnur dort fand, wo die That geschehen ist. Der Kuran sagt: "Das Gestaendniss suehnt die halbe Schuld, und die Reue laesst auch die andere Haelfte vergessen." Denke an dieses Wort und oeffne Deine Seele, damit Dir Vergebung werde!" "Ich weiss von Nichts, geh von mir und suche Deinen Kopf, den Du verloren hast; zuvor aber gib mir meine Waffen zurueck!" "So leugnest Du?" "Ich leugne. Heraus mit meinen Waffen!" Er trat auf Katombo zu und fasste ihn am Arm. "Hier hast Du sie!" Der Reis zog die eine Pistole hervor und schlug sie ihm so gegen die Stirn, dass er betaeubt zuruecktaumelte. Im Nu hatte ihn Katombo gepackt, riss ihn zu Boden nieder und wand ihm seine Schaerpe um die Arme; dann schnitt er ihm einen Fetzen von der Jacke und steckte ihm denselben als Knebel in den Mund. "Abd-el-Oman!" Die Thuer oeffnete sich und der Kawuahschi, welcher draussen gewartet hatte, trat ein. Er sah den Gebundenen am Boden liegen und schlug vor Schreck die Haende zusammen. "Sihdi, was thust Du meinem Hause! Soll ich Dich fuer einen Raeuber, einen Moerder oder einen Henker halten?" "Fuer keins von allen Dreien. Der Raeuber liegt hier, ich habe ihn ueberwunden und werde Gericht ueber ihn halten." "So musst Du ihn zum Kaschef (Polizeivorsteher) oder zum Kadi (Richter) bringen lassen!" "Das werde ich nicht thun, oder ich werde es auch thun, je nachdem sich dieser Mensch verhalten wird. Fuer jetzt uebergebe ich ihn Deiner Obhut; fessle ihm noch die Beine und sperre ihn ein, bis ich ihn in einer Viertelstunde holen lasse." "Ist er denn auch wirklich ein Raeuber, Sihdi?" "Ja." "Allah kerihm, Gott ist gnaedig! Wie leicht haette er auch bei mir sein Handwerk versuchen koennen; ich werde ihn so binden, dass ihm die Seele wackeln soll, ich werde Alle, die bei mir sind und noch zu mir kommen, vor ihm warnen, ich werde um - - -" "Nichts wirst Du, verstehst Du mich? Es soll jetzt noch Niemand wissen was vorgefallen ist, und darum darfst Du es nicht eher erzaehlen, als bis ich es selbst Dir erlaube. Du weisst, wie reich und maechtig Manu-Remusat ist; er kann Dich verderben, wenn Du plauderst!" "Sihdi, Du sprichst weiser als ein Kalif und klueger als die Maenner des Kuran; ich werde schweigen wie der Fisch im Wasser." "Das ist verstaendig von Dir. Ich werde meine Diener mit der Saenfte senden, um ihn abzuholen; lass es Niemand sehen, wenn er aufgeladen wird." Der Kawuahschi verbeugte sich dreimal statt einmal, als er die Muenze erblickte, welche Katombo ihm als Bezahlung fuer den Kaffee und die Pfeife reichte. "Allah segne Deine Hand, Sihdi, sie spendet Gutes und schuettet Wohlthat aus ueber Deine Diener. Kehre bald wieder ein im Hause dessen, welcher der gehorsamste Deiner Sklaven ist!" Katombo verliess die Kaffeeschenke und kehrte auf demselben Wege in das Haus seines Gebieters zurueck. Dieser sass noch auf dem Divan und rauchte seine Pfeife; er blickte erwartungsvoll auf, als der junge Reis eintrat. "Du kehrst zurueck, Deine Augen leuchten und Deine Wangen ergluehen wie die Morgenroethe, wenn sie den jungen Tag verkuendet. Was hast Du mir zu sagen?" "Sihdi, Du weisst, dass ich mit Deiner Tochter gesprochen habe?" "Ich weiss es, denn sie selbst sagte es mir, dass Du im Kiosk gewesen bist, um nach den Spuren meines Kindes zu suchen. Wir haben auch gesucht, aber der Schmerz verduesterte unsere Augen; Du hast die Spitze eines Dolches und das abgerissene Stueck einer goldenen Schnur gefunden?" "So ist es, Sihdi." "Stammen sie von jenem Abende her?" "Ja." "Aber wie willst Du den finden, dem Beides gehoert? Nur Allah allein ist gross, er sieht und hoert Alles, der Mensch aber ist nicht allwissend, er kann nicht in das Dunkel blicken." "Sihdi, weisst Du nicht, dass der Geist des Menschen von Gott stammt und wieder zu Gott geht? Der Mensch ist ein Kind Allahs, und Vieles, was der Vater weiss, theilt er dem Sohne mit; von der Allwissenheit Allahs fiel ein Strahl hernieder auf das Geschlecht der Menschen und dieser Strahl wird Verstand genannt. Den Einen traf er viel und den Andern wenig, darum sieht der Eine, was der Andere nicht bemerkt." "Und Du, was hast Du gesehen?" "Den Raeuber Deiner Tochter." Manu-Remusat sprang empor wie von einer Feder in die Hoehe geschnellt. Bei dieser unvermutheten Nachricht liess er ganz die anerzogene muselmaennische Ruhe und Wuerde ausser Acht. "Ihn, ihn hast Du gesehen? Das ist unmoeglich, ich selbst habe ihn gesucht - vergebens, meine Diener haben ihm nachgeforscht drei Wochen lang - ebenso vergebens, und Du, der Du kaum einige Minuten lang von ihrem Verschwinden weisst, willst ihn bereits gesehen haben?" "Sihdi, ich habe ihn bereits seit einer Woche gesehen!" "Wo?" "Auf meiner DahabiÈ." "Bist Du wahnsinnig?" "Nein, Sihdi, meine Sinne sind ebenso gesund wie meine Faeuste, mit denen ich ihn vor wenigen Augenblicken niedergeschlagen und gefangen genommen habe." "Du hast ihn gefangen? Sag, wo?" "Beim Kawuahschi Abd-el-Oman." "Erzaehle!" "Erlaube mir zuvor, vier Deiner Diener zu senden, um ihn zu holen!" "Thue es!" Katombo ging in den Hof und gab dort die noethige Instruktion, dann kehrte er zu Manu-Remusat zurueck. Einer der Schwarzen musste ihm eine Pfeife bringen, und dann begann er seinen Bericht, waehrend dessen Ayescha hereintrat. Wegen der Wichtigkeit des Augenblickes erlaubte ihr der Vater zu bleiben, und Beide hoerten mit aeusserster Spannung den Worten des Erzaehlers zu. Als dieser geendet hatte, reichte ihm Manu-Remusat die Hand. "Katombo, ich sagte vorhin zu Dir, Du solltest zu mir reden wie ein Sohn zu seinem Vater; ich werde Dein Vater sein, so lange Du eines solchen bedarfst oder so lange Allah mir das Leben schenkt. Erinnere mich an dieses Geluebde, wenn ich dessen jemals vergessen sollte!" "ich danke Dir, Sihdi!" Er wollte weiter sprechen, wurde aber von einem der Diener unterbrochen, welcher eintrat und die Ankunft des Palankins (Saenfte) meldete. "Nehmt dem Menschen den Knebel aus dem Munde, die Fesseln von den Beinen und bringt ihn herauf!" befahl Katombo und wandte sich dann an Remusat: "Du bist der Gebieter, Sihdi, Du wirst ihn verhoeren!" "Nein, das werde ich nicht, Du hast ihn gefangen genommen und er ist Dein Eigenthum; Deine Augen sind heller und Dein Verstand ist klarer als der meinige. Sprich Du mit ihm!" "Du befiehlst es, Herr, und ich gehorche!" Jetzt brachten die vier Diener den Armenier gefuehrt. "Bringt ihn naeher und tretet dann ab," gebot Katombo. "Doch bleibt hinter der Thuer!" Sie stellten den Gefangenen in die Naehe des Divans und verliessen dann das Gemach. Er stand mit finsterer Miene vor seinen Richtern, aber es war ihm dennoch anzusehen, dass ihm das Herz nicht gar zu muthig schlug. "Du leugnetest vorhin," begann Katombo; "willst Du jetzt bekennen?" Der Gefangene schwieg. "Ich wiederhole meine Frage: Willst Du die That gestehen?" Es erfolgte wieder keine Antwort. "Ah, Du bist vor Angst ploetzlich stumm geworden; ich werde Dir die Sprache wiedergeben." Er klatschte in die Haende und sofort erschienen die vier Diener. "Fuehrt ihn hinab in den Hof, zieht ihm die Schuhe aus und gebt ihm die Bastonnade, einstweilen blos zehn Hiebe auf jede Fusssohle!" Sie ergriffen den Armenier, nahmen ihn trotz seines Widerstandes fest und fuehrten ihn fort. Der Schall der Hiebe klang herauf in das Gemach, doch kein einziger Laut oder Schrei verkuendete, dass er seine verlorene Stimme wieder bekommen habe; dann brachten sie ihn wieder herein. Er hatte Muehe, auf seinen nackten Fuessen zu gehen, blieb aber aufrecht und finster vor Katombo stehen. "Willst Du nun bekennen?" frug dieser wieder. Die Antwort blieb abermals aus. "Fuehrt ihn wieder ab und gebt ihm zwanzig!" gebot er den Dienern, welche noch geblieben waren. "Ich habe Nichts gethan, ich will vor den Kaschef gefuehrt sein!" knirschte jetzt der Gefangene. "Maschallah, die Schlaege haben geholfen; tretet ab, Ihr Leute, aber haltet Euch bereit!" Dann wandte er sich wieder an den Inkulpaten: "Vor den Kaschef wirst Du nicht kommen, denn Du gingst ja auch nicht zu ihm, bevor Du in unsern Kiosk einstiegest. Wo ist die Tochter dieses Sihdi?" "Ich kenne sie nicht und weiss nicht, was Du willst!" "Hoere, Mann, die Sprache ist Dir noch immer nicht vollstaendig zurueckgegeben worden; ich werde meine Arznei nochmals anwenden, vielleicht wirst Du dann vollstaendig geheilt. Oder willst Du reden?" Der Gefragte schwieg. Katombo klatschte zum zweiten Male, und die Diener traten ein. "Gebt ihm vierzig auf jede Sohle, wenn er nicht verspricht, zu reden!" Sie fuehrten ihn ab und bald erschollen die Schlaege von Neuem, gleich darauf aber auch das Wimmern des Gefangenen. Ayescha huellte sich fester in ihre Schleier, die Exekution mochte ihr weiches Gemueth peinlich beruehren; auch Manu-Remusat schien einiges Bedenken zu haben. "Duerfen wir ihn schlagen, Katombo?" frug er, "oder muessen wir ihn nicht vielmehr dem Kadi uebergeben?" "Er ist ein Armenier und kein Unterthan des Vizekoenigs, sonst haette er sich darauf berufen. Und wir werden schneller mit ihm fertig, als der Kaschef oder Kadi; hat er Dir nicht schlimmere Streiche versetzt, als er jetzt erhaelt?" "Du hast Recht, mein Sohn; aber siehe, da bringen sie ihn wieder!" Wirklich traten die Exekutoren wieder mit dem Inkulpaten ein und einer von ihnen meldete, dass er nur fuenfzehn Streiche erhalten habe, weil er jetzt reden wolle. Sie setzten ihn, da er nicht mehr zu stehen vermochte, auf den Teppich und entfernten sich dann wieder. "Bete das Surat yesin, dass Dir Allah Deine Sprache wiedergegeben hat," begann Katombo, "und bitte ihn, dass er sie Dir erhalte, denn ich schwoere Dir bei Allah und seinem Propheten, dass Du nun sechzig Hiebe erhaeltst, sobald Du Dich weigerst zu sprechen. Merke Dir, sechzig auf jede Sohle, selbst wenn Du verspraechest zu reden." "Ich bin in Deiner Hand; ich habe geschworen zu schweigen, aber Allah wird mir vergeben, wenn ich aus Schmerz meinen Schwur breche!" lautete jetzt die kleinmuethige und verzagte Antwort. "So sprich: Du warst es, der das Maedchen raubte?" "Ja." "Allein kannst Du nicht gewesen sein; wer war bei Dir?" "Die ganze Bemannung eines Sandals." "Der Sandal war von dem gemiethet, fuer den Ihr das Maedchen raubtet?" "Ja." "Wer ist es?" Der Armenier blickte aengstlich vor sich nieder. "Willst Du die Sechzig haben? Du weisst, dass ich geschworen habe und also mein Wort halten werde!" "Ich muss es gestehen: es ist der Mudellir (Statthalter) von Assuan." "Hamd-el-Arek!" rief Manu-Remusat, indem er die Pfeife vor ‹berraschung zu Boden fallen liess. "Mein Todfeind, der maechtige Hamd-el-Arek, welchen der Khedive (Vizekoenig) beschuetzt wie einen Bruder! Allah akbar, jetzt begreife ich Alles! Er weiss, dass Sobeide eine Perle ist unter den Toechtern Egyptens und hat sie rauben lassen, um seinen Harem mit ihr zu schmuecken und sich zugleich an mir zu raechen. Fahre fort, mein Sohn; dieser Mann darf nicht geschont werden, und wenn er nicht Alles der Wahrheit gemaess bekennt, soll er nicht blos sechzig Streiche erhalten, sondern ich lasse ihn so lange schlagen, bis ihm der Schaum des Todes von den Lippen tropft. Redet er aber aufrichtig, so darf er auf meine Gnade rechnen und ich werde ihn so barmherzig behandeln, wie es seine Reue verdient; das schwoere ich bei dem Barte meiner Vaeter!" "Du hoerst diese Worte," meinet Katombo, "also denke an Dein Bestes! Wie heissest Du? Schirwan ist dein richtiger Name nicht. Wie nennt Dich der Mudellir?" "Hamm-Barak." "Standest Du in seinem Dienste?" "Ja." "Als was?" Der Gefragte schwieg verlegen. Katombo laechelte: "Ich begreife; Du musstest ihm diejenigen Dienste leisten, von denen Niemand etwas wissen durfte und fuer welche es im Haushalte keinen Namen gibt?" "So ist es." "Der Auftrag, welchen er Dir gab, bezog sich nicht direkt auf Sobeide?" "Nein; ich sollte von den beiden Toechtern dieses Sihdi eine bringen, gleichviel welche." Ayescha machte eine Bewegung des Entsetzens, wie leicht haette sie das Schicksal ihrer Schwester treffen koennen. "Wie kamt Ihr in den Kiosk?" "Ich kundschaftete es aus, dass die beiden Toechter des Scheik-el-Reisahn sich des Abends dort befinden, und schwang mich mit meinen Leuten hinauf. Es kam nur Eine, und wir nahmen sie gefangen. Ich stiess meinen Dolch in das Fenster und hing unsere Strickleiter an denselben; meine Maenner stiegen mit ihr hinab; ich musste nachspringen, aber als ich zuvor den Dolch wieder herauszog, brach die Spitze ab." "Du bist kein Springer, sonst waerst Du nicht an dem Nagel haengen geblieben. Ihr habt die Gefangene gesund und richtig abgeliefert?" "Ja." "Sie befindet sich in dem Harem des Mudellir?" "Nein. Seine Lieblingsfrau ist eifersuechtig; er darf keine junge schoene Sklavin bringen." "Wo ist sie dann?" "In einem Hause der Strasse Bab-el-Run, wohin wir sie bringen mussten. Man erkennt es an der ersten Sure des Koran, welche ueber seinem Thore steht." "Wie viel erhieltest Du fuer die That?" "Ich erhielt noch nichts; der Mudellir will mich erst nach meiner Rueckkehr bezahlen." "Warum gingst Du wieder nach Siut?" "Ich sollte erkundschaften, ob Manu-Remusat unsere Spur entdeckt habe." "Wusstest Du, dass die DahabiÈ, auf welcher Du fuhrst, ihm gehoert?" "Nein; der Steuermann nannte mir Deinen Namen." "Ist Hamd-el-Arek jetzt noch in Assuan? Ich hoerte, dass der Khedive ihn nach Kairo berufen habe." "Er wird noch einige Tage in Assuan bleiben, um sich Sobeide guenstig zu stimmen; aber lange Frist ist ihm nicht gelassen." "Ich bin fertig mit Dir!" Dann wandte er sich an Manu-Remusat: "Das Weitere muss ich Dir ueberlassen, Sihdi!" Remusat sprach noch einige unwesentliche Fragen aus, die sich meist auf das Verhalten und Befinden seiner Tochter bezogen. ‹ber das Erstere wurde ihm ausfuehrlicher Bescheid; ueber das Letztere aber konnte er natuerlich nichts erfahren. Seine Schlussmeinung sprach er in den Worten aus: "Du bleibst mein Gefangener, bis die Angelegenheit zu Ende ist. Erhalte ich meine Tochter unversehrt wieder, so werde ich Dir ein gnaediger Richter sein; findet aber das Gegentheil statt, so musst Du sterben!" Er liess den Armenier abfuehren und sorgte dafuer, dass an eine Flucht desselben nicht zu denken war. Dann reichte er Katombo nochmals die Hand: "Ich wiederhole, dass ich Dir ein Vater bleiben werde. Allah halte seine Hand ueber Dir und alle die Deinen, so lange Du lebst und sie auf Erden sind! Du hast mir neue Hoffnung gegeben, wo keine mehr vorhanden war, hast mir den Weg gezeigt, den ich zu gehen habe, und nun werde ich noch heute aufbrechen nach Assuan, um mein Kind von seinem Raeuber zurueckzufordern." "Das wirst Du nicht. Willst Du Deine andere Tochter schutzlos zuruecklassen?" "Ich uebergebe Dir Ayescha, denn ich weiss, dass sie unter Deiner Obhut so sicher ist wie im Zelte der Erzvaeter." Ein Gefuehl des Stolzes und der Genugthuung ueberkam Katombo, dennoch aber antwortete er: "Sagtest Du nicht selbst, dass Hamd-el-Arek Dein Todfeind sei? Er ist der Liebling des Vizekoenigs. Willst Du in die Hoehle des Loewen gehen? Du wirst nicht Deine Tochter retten, sondern darin umkommen!" "Einst hatte ich die Macht, welche er besitzt; ich befehligte ganze Flotten, welche auf der See schwammen, und Alles was ich that, war recht und gut. Da wollte mir der Vizekoenig eine seiner Toechter zum Weibe geben; ich aber liebte die Mutter meiner Toechter und schlug es ihm ab. Er schickte mich in die Verbannung. Der Streich war von Hamd-el-Arek ausgesonnen; dieser wusste, dass ich jedes andere Weib ausschlagen und also den Koenig erzuernen werde. Er nahm meine Stelle ein in der Gunst des Herrschers und trachtet mir nun auch nach meinen Toechtern, Allah verdamme ihn. Ich werde ihn toedten, wo ich ihn nur finde!" "Lass Den fuer Dich handeln, den Du vorhin Deinen Sohn nanntest, Sihdi! Du kannst nicht frei und ungehindert handeln, denn der Mudellir kennt Dich; mich aber hat er noch nie gesehen; von mir hat er noch nie gehoert. Du kennst mein Auge und meinen Arm. Ich schwoere Dir, dass ich Dir Deine Tochter bringe oder sterben werde; ich schwoere es bei Allah und den sieben Himmeln des Propheten!" Manu-Remusat wurde wankend; das war ihm anzusehen, und jetzt legte sich auch das Haendchen Ayeschas auf seine Schulter. "Erfuelle seine Bitte, Vater, und bleibe bei mir. Er wird Dir Sobeide wiederbringen!" "Auch Du, meine Tochter? So sei es denn! Fahre Du hinauf nach Assuan; Du wirst meine Hoffnung ganz erfuellen. Nimm die leere DahabiÈ, welche noch nicht befrachtet ist; ich stelle sie unter Deinen Befehl." "Verzeihe, Sihdi! Die DahabiÈ geht zu langsam. Gieb mir den Sandal, welcher nach meiner Zeichnung gebaut wurde und eigentlich in drei Tagen seine erste Fahrt stromab beginnen sollte!" "Den kannst Du nicht nehmen; er ist ja beinahe vollstaendig befrachtet." "Wir laden Alles auf die zweite DahabiÈ. Wenn alle unsere Schiffer helfen, sind wir vor Anbruch des Morgens fertig, und dann wird der Sandal so schnell segeln, dass er den Verlust der Zeit doppelt einbringt." "Thue, was Du wuenschest! Der Sandal wurde nach Deinem Plane gebaut; Du selbst gabst ihm den Namen Djuhr-el-Djienne (Schwalbe) und behauptest, dass er der beste Segler des Nils sein werde. Dir zu Ehren soll seine erste Fracht in dem Gluecke bestehen, welches Du mir wiederbringst. Gehe jetzt, mein Sohn, und ertheile Deine Befehle; sie sollen so befolgt werden, als seien es meine eigenen!" Katombo ging. Als er in den Hof trat, eilte ihm ein arabischer Diener entgegen, welcher sich durch eine, wenn auch nicht zu hohe aber aeusserst nervige und geschmeidige Gestalt auszeichnete. "Hamdullillah, Preis und Lob sei Gott, dass ich Dich wiedersehe! Ich war krank, als Du abreistest. El-Timsach (Krokodil) hatte mich gebissen, liess mich aber wieder fahren, weil es zu wenig Fleisch an mir fand, dennoch aber waren mir seine Zaehne so tief in den Leib gefahren, dass ich Dir nicht folgen konnte. Jetzt aber hat mir Allah den Gebrauch meiner Glieder wiedergegeben, und so hoffe ich, dass ich mit Dir gehen darf, wenn Du wieder reisest." "Das sollst Du, Ali, und zwar bald, denn bereits morgen frueh fahren wir mit der neuen "Djuhr-el-Djienne" ab." "Morgen frueh? Mit Deinem Sandal, Sihdi?" Der Mann machte vor Freude einen Luftsprung, wie ihn die gelenkigste Meerkatze nicht besser fertig gebracht haette, und fuhr dann fort: "Du bist der beste und guetigste Sihdi, den es geben kann in ganz Moslemistan, Parsistan, Indistan, Chinistan und Frankistan!" Katombo laechelte selbst sehr vergnuegt. Unter allen Leuten Manu-Remusats hatte er Ali am liebsten; dieser war nicht nur der treueste und zuverlaessigste Diener, den es gab, sondern er zeichnete sich unter seinen meist ernsten Genossen durch eine ansehnliche Portion Lebhaftigkeit aus, die sehr oft geradezu in Frohsinn und eine Heiterkeit ueberging, welche sich in den possirlichsten Witzen erging. "Mache Dich also bereit, Ali!" "Sihdi, ich bin bereits fertig. Soll ich absegeln?" "Nein," lachte Katombo; "aber wenn Du es so eilig hast, so gehe hinueber zur DahabiÈ, in welcher ich gekommen bin, und sage allen Maennern, dass sie herunter zum Sandal kommen sollen; es gibt eilige Arbeit fuer sie!" "Ich eile, ich laufe, ich springe, ich fliege, Sihdi!" antwortete Ali, und bei dem letzten seiner Worte war er schon so weit entfernt, dass es von Katombo gar nicht mehr gehoert oder verstanden werden konnte. Er sprang nach dem Flusse hin und erstieg die DahabiÈ. Einer der Maenner, welcher ihn nicht kannte, trat ihm entgegen. "Was willst Du hier?" "Sage mir zuvor, was Du hier willst, Du Ben-el-Kuskussu!" "Ich gehoere zu diesem Schiffe!" "So bist Du wohl der Mann, der die ueberfluessigen Ratten und Maeuse todtzubeissen hat, wie ich an Deinem Grossmaul ersehe?" "Huete Deine Zunge, Kleiner! Ich bin Omar, der Segelwaechter." "Omar, der Segelwaechter? Was ist ein Segelwaechter, und was ist Omar? Ein Segelwaechter ist ein Mann, der nichts ist, ganz und gar nichts, und Omar ist ein Name, den so viele Maenner tragen, wie Sand am Meere oder wie Floehe in der Sahara. Ich aber heisse Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi und bin der erste Diener und Minister meines guten Herrn und Effendi Katombo. Siehe, wie Du vor Erstaunen den Mund aufsperrst, als ob Du die Pyramiden von GizÈh verschlingen wolltest, gerade wie Deine Ratten und Maeuse! Wo ist der Steuermann?" "In der Kajuete!" Ali eilte hinab und traf den Genannten an. "Allah kerim, Gott ist gnaedig; Du bist wieder gesund, Ali?" begruesste ihn dieser. "Was thust Du auf der DahabiÈ? Schickt Dich der Reis?" "Ja. Sihdi Katombo laesst Dir sagen, dass alle Maenner sofort nach der "Djuhr-el-Djienne" kommen sollen, wo es viele Arbeit gibt." "Wir haben hier ja Arbeit auch genug!" "Allah segne Deine Zunge, dass sie vollstaendiger reden lernt! Wenn mein Effendi befiehlt, so hat Jeder zu gehorchen. Weisst Du das, Du, dessen Verstand heller leuchtet wie Nurgehan?" "Mach Dich von dannen, Du Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-und-so-weiter!" lachte der Steuermann, der den spitzigen Patron zu gut kannte, als dass er ihm seine Worte haette uebel nehmen moegen. Zugleich stieg er an Deck, um alle Mannen zusammenzurufen und mit ihnen, eine Wache ausgenommen, nach dem Sandal zu gehen. Hier fanden sie Katombo bereits beschaeftigt, das Transmettiren der Fracht nach der zweiten DahabiÈ zu ueberwachen. Der Steuermann frug ihn nach dem Grunde und dem Ziele der so schnell und ploetzlich projektirten Reise, konnte aber leider zu seinem Verdrusse nicht das Mindeste erfahren. Unter diesen Vorbereitungen verging der heisse Nachmittag. Die in jenen Gegenden aeusserst kurze Daemmerung brach herein, und es wurde Abend. Dennoch aber hoerte die Arbeit nicht auf; sie wurde beim Scheine der Fackeln und Laternen fortgesetzt, und zwar immer noch unter der persoenlichen Leitung Katombos, der dieselbe erst dann an den Steuermann abtrat, als der Abendstern beinahe seinen Kulminationspunkt erreicht hatte. Jetzt verliess er den Sandal und kehrte nach dem Hause zurueck. Doch betrat er dieses letztere nicht, vielmehr wandte er sich vom Gartenthor seitwaerts und suchte den Kiosk zu erreichen, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Es gelang ihm, obgleich in Folge des beabsichtigten Abganges des Sandals noch alle Augen offen und alle Haende beschaeftigt waren. Er fand das Gartenhaus noch verschlossen und trat seitwaerts hinter ein Feigengebuesch, um die Ankunft der Geliebten zu erwarten. Noch hatte er nicht lange hier gestanden, als er leise Schritte vernahm. Eine schwarz verhuellte Frauengestalt nahte; er hatte Ayescha bisher nur in weissen Gewaendern gesehen, aber das Klopfen seines Herzens sagte ihm, dass sie es dennoch sei und sich nur in dunkle Farbe gekleidet habe, um nicht bemerkt oder gar erkannt zu werden. Sie blieb gerade vor ihm stehen, blickte empor zum Himmel nach dem Abendstern und fluesterte dann, indem sie forschend um sich blickte: "Katombo!" "Ayescha!" "Du bist so beschaeftigt, dass ich schon glaubte, Dich nicht anzutreffen!" "Ich waere gekommen, und wenn mich hundert Arme gehalten haetten. Hatte ich nicht viel mehr Recht zu der Frage, ob Du kommen werdest, Du mein Engel, meine Huri, meine Fee?" "Hatte ich es Dir nicht versprochen? Komm; lass uns eintreten!" Sie stieg die Stufen empor und oeffnete. Er folgte ihr. Die Matte, welche das nach dem Garten gehende Fenster bedeckte, wurde aufgezogen, so dass der Strahl des Mondes und der Sterne in den Raum fiel, und dann nahmen sie Beide neben einander auf dem Divan Platz. Er entfernte den neidischen Schleier von ihrem Angesichte und blickte ihr lange, lange und wortlos in die dunklen, mit einem magischen Blicke auf ihm ruhenden Augen. "Ayescha, ist diese Stunde kein Traum, keine Taeuschung, keine Fata morgana, welche dem Pilger wunderbar Schoenes und Koestliches vorspiegelt, um ihn dann in die tiefste Verzweiflung zu stuerzen?" "Es ist kein Traum und keine Spiegelung, Katombo, sondern Wahrheit. Ich war beinahe noch ein Kind, als ich Dich zum ersten Male bei uns sah, aber ich habe Dich geliebt seit jenem Tage bis heute, und ich werde Dich lieben, so lange Allah mir das Leben schenkt." "Und weshalb liebst Du mich? Ich kam her elend und arm, ohne irgend eine der vielen Gaben, welche Allah an Glueckliche vertheilt." "Du hast die beste und edelste Gabe, welche Allah nur seinen Auserwaehlten bietet: Du bist ein Mann! Weisst Du nicht, dass es hier nur Sklaven gibt, die hier sich demuethig beugen und dort so hochmuethig sich bruesten? Gibt es ein Fatum, ein Kismet? Der Prophet sagt ja, und der Kuran sagt es auch. Aber wenn es Dein Kismet ist, ein Mann zu sein, so bist Du es doch nicht mit einem Male, sondern Du musst es werden und bleiben durch Dich selbst. Vater nahm Dich auf, als Du arm und verlassen zu ihm kamst. Er frug Dich nur nach Deinem Namen, nach weiter nichts; aber Du hast mehr als diesen Namen." "Ja, ich habe mehr, viel mehr, unendlich mehr als ihn, denn ich habe Dich, die mir kostbarer ist als alle Schaetze und Ehren der Erde." "Nein, Du hast Dich, und nur darum darfst Du auch mich besitzen. Ich habe gesehen, mit welchen Muehen Du nach des Vaters Liebe und Vertrauen gerungen hast; ich habe das Licht in Deiner Kammer leuchten sehen alle Naechte hindurch bis an den fruehen Morgen; Du sassest bei den Buechern, welche Vater Dir gegeben hatte und in denen die schwere Kunst zu lernen ist, ein Schiff zu fuehren auf dem Strome und auf der grossen See. Und wenn Du auf Reisen warst, so bin ich in Deine Kammer gegangen und habe viele Buecher gesehen in fremden Sprachen und mit Zeichen, die kein Taleb (Schriftgelehrter) versteht. Vater sagt, dass Du klueger und geschickter seist als er; Ali nennt Dich Effendi (Magister oder Doktor) und Du bist es auch. Du bist ein Mann, denn Du glaubst nicht an das Fatum und nicht an das Kismet, sondern Du willst durch Deine Arbeit und durch Deine Muehe werden, was Du wirst, und darum hebe ich meine Augen auf zu Dir und liebe Dich." Es war ihm so wunderbar, so selig zu Muthe bei diesen Worten des herrlichen Maedchens. Er sah sich in seinem tiefsten, innersten Denken und Streben von ihr verstanden, und dies machte ihn noch stolzer, noch gluecklicher als ihre Liebe. Woher hatte sie die Anschauungen, die er hinter der Stirn eines orientalisch erzogenen Maedchens gar nicht erwarten und vermuthen konnte? "Wer hat Dich gelehrt, am Kismet zu zweifeln?" "Darf ich es Dir sagen, Katombo?" "Sage es !" "Aber Du wirst dann Dein Herz von mir wenden und mich nicht mehr lieben!" Er legte ihr Koepfchen in ueberquellender Zaertlichkeit an seine Brust und fluesterte: "Ayescha, ich war in einem fremden Lande, wo man ein wunderbar schoenes Lied singt. Darin kommen Worte vor, die ich Dir als Antwort geben will." "Wie lauten sie?" "Ich hab Dich geliebet und liebe Dich heut, und werde Dich lieben in Ewigkeit!" "Welch schoene Worte; in jenem Lande muss es Dichter geben, die ebenso gross und gut sind wie dir unsrigen!" "Noch groesser und besser!" "Wie heisst es?" "Germanistan." "Und ich darf glauben, was dieses Lied sagt, und Dir ohne Sorge meine Antwort geben?" "Du darfst es, denn lieber will ich sterben, als auf Deine Liebe verzichten!" "So wisse, dass wir eine alte Sklavin hatten, die nach dem Tode der Mutter immer bei uns sein musste. Sie war keine Glaeubige, sondern eine Christin und hat mir und Sobeiden heimlich viel erzaehlt von ihrem Heilande, der Isa-Ben-Marryam (Jesus, der Sohn Mariens) geheissen hat und fuer die Elenden und Armen gar gestorben ist. Die Worte, welche er lehrte, waren wie Thau in der Duerre und wie Balsam fuer die Schmerzen. Wir haben viel geweint ueber seine Leiden; aber er wohnt jetzt bei Allah und regiert die Erde. Ich liebe ihn, und weil er verboten hat, an das Kismet zu glauben, so will ich ihm gehorsam sein." "Weiss Dein Vater all dies?" "Nein. Aber Du bist ein Glaeubiger und wirst mich nun von Dir stossen!" "Nein, das werde ich nicht, denn was Isa-Ben-Marryam gesagt hat, das glaube auch ich. Doch das Herz ist ein Brunnen, aus dem nicht Jeder trinken darf; darum soll man nicht sprechen von seinen Gedanken, und nicht reden von den Gefuehlen, welche in ihm wohnen. Wer gluecklich ist, soll seine Seligkeit verschliessen, und wer ein Leid zu tragen hat, darf es nicht Andern zeigen." "Und doch hast Du es Andere sehen lassen!" "Ich? Woher weisst Du, dass ich ein Leid im Herzen hatte?" "Hast Du jemals gelacht, seit ich Dich kenne? Bist Du jemals munter und vergnuegt gewesen? Auf Deiner Stirn stand geschrieben, dass Dich ein grosses Unglueck drueckte, und erst heut sah ich Dein Auge zum ersten Male ohne Wolken. Willst Du mir sagen, was Dich so tief betruebte?" "Ja; aber nun muss ich befuerchten, dass Du dann mich nicht mehr liebst!" Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und fluesterte: "Ich habe Dich geliebet und liebe Dich heut, und werde Dich lieben in Ewigkeit!" Er kuesste sie mit tiefer Bewegung auf die reine Stirn. "Ja, ich trug ein grosses Leid im Herzen! Was wuerdest Du thun, Ayescha, wenn ich Dich jetzt von mir stiesse und eine Andere liebte, die mich blos fuer eine Woche sehen will, um mit meiner Liebe zu spielen?" "Katombo, thue das nicht; ich wuerde sterben!" bat sie in angstvollem Tone. "Nein, meine Seele, das thue ich nicht! Ich habe auch geglaubt, dass ich sterben muesse; aber das Herz des Mannes ist stark; es blutet fort, doch es bleibt leben, und das ist schlimmer als der Tod." Sie sah ihn fragend an. "So hast Du eine Andere geliebt, die Dich verlassen hat?" "Ja. Und nicht wahr, nun wirst Du mir Deine Liebe entziehen?" "O nein, denn Du hast mich ja damals noch nicht gekannt. Ich moechte vielmehr nun meine Liebe verdoppeln, damit Dein Herz seine Wunden vergisst!" "Sie sind geheilt, heut, in einem einzigen Augenblick." "An welchem?" "Als Du mir sagtest, dass ich Dich lieben darf." "Sie - war - wohl - - schoen, sehr schoen?" frug sie stockend. "Ja, sie war schoen, aber nicht so gut wie Du!" "O nein, gut kann sie nicht gewesen sein, sonst haette sie Dir nicht einen solchen Gram bereitet. Ich hasse sie nicht, weil Du sie liebtest, sondern ich hasse sie, weil sie so schlimm gegen Dich war. Wie hiess sie?" "Zarba." "Zarba. Ich werde mir diesen boesen Namen merken, aber ich werde ihn niemals aussprechen, um nicht das Glueck zu trueben, das ich Dir so gern geben moechte!" Diese Worte des lieben engelsreinen Maedchens drangen ihm bis in die tiefsten Tiefen seines Innern, und Alles, was ihn bisher so ungluecklich und elend gemacht hatte, draengte sich noch einmal eng zusammen, so dass es ihm heiss aus dem Herzen in die Augen stieg, aus welchen eine einzige aber desto schwerere Thraene niedertropfte. Sie fiel auf Ayeschas Wange. Sofort schlug das Maedchen die Arme um ihn und bat, nun selbst leise schluchzend: "Weine nicht, Katombo, sondern liebe mich; Du sollst Alles vergessen, und ich werde Dir nie ein Leid thun, nie ein einziges!" "Wirst Du auch mich nicht vergessen, wenn ich fern von Dir bin?" "Ich werde stets an Dich denken, alle Tage, zu jeder Stunde und an jedem Augenblick! Kannst Du mir verzeihen, dass ich Dich fort von hier trieb, dorthin, wo nur Gefahr auf Dich wartet?" "Du?" "Ja ich, als ich den Vater bat, Dich an seiner Stelle nach Assuan zu senden?" "Ich habe Dir ja gar nichts zu vergeben, vielmehr muss ich Dir Dank sagen, dass Du mir beistandest, als er mir meine Bitte nicht erfuellen wollte." "Ich weiss, dass nur Du allein die Schwester bringen wirst; ich weiss, dass Du alle Gefahren besiegen wirst; Vater aber waere nie zurueckgekehrt. Sein Herz ist krank; o, gieb ihm Heilung, Katombo, denn Du liebst mich und ihn, und er hat Dich seinen Sohn genannt!" "Ich habe ihm versprochen, dass ich sterben oder Sobeide zurueckbringen werde, und ich habe noch niemals mein Wort gebrochen. Er hat mich seinen Sohn genannt; aber werde ich es auch so sein duerfen, wie wir es wuenschen - als Mann seiner Tochter?" Bei dieser Frage verdunkelte ein Schatten den halb offen gebliebenen Eingang und - Manu-Remusat stand vor ihnen. Sie erhoben sich erschrocken; er aber legte seine beiden Haende auf ihre Haeupter. "Du darfst es sein, Katombo, denn Ihr liebt Euch so, wie ich mein Weib einst liebte, und seid werth, Euch zu begluecken. ich wollte Dich sprechen, Ayescha, fand Dich nicht im Harem und suchte Dich. Ich habe alle Eure Worte vernommen. Gehe nach Assuan, Katombo, und wenn Du mir Sobeide bringst, sollst Du Ayescha zum Weibe haben, Es ist ein hoher, koestlicher Preis; verdiene ihn Dir!" - - - Vom Reis zum Kapudan Pascha. Die Sonne hatte sich schon laengst aus den Fluthen des rothen Meeres erhoben, doch war der Morgen noch nicht so weit vorgerueckt, dass ihre Strahlen sehr beschwerlich gefallen waeren. Auf den Fluthen des Nils tummelte sich ein reges Leben, und auch in den Strassen und Gassen von Assuan herrschte ein Verkehr, der nach einigen Stunden, wenn das Gestirn des Tages hoeher zu stehen kam, nothwendig ersterben musste. Am Ufer lag zwischen andern Fahrzeugen ein Sandal, der die Blicke aller Kenner auf sich zog. Der Rumpf hatte eine schaerfere und schlankere Bauart, als sonst bei diesen Fahrzeugen zu bemerken war; von dem Segelbaue konnte man nichts sehen, da Alles im Reffe lag, aber die eigenthuemliche und fremdartige Takelung liess vermuthen, dass auch die Leinwand eine ungewoehnliche Form und Stellung besitzen werde. Auf dem Vorderdecke dieses Fahrzeuges sassen mehrere Maenner, welche Tabak rauchten und sich dabei in aller Gemuethsruhe das am Ufer sichtbare Leben und Treiben beschauten; am Hinterdecke aber, ganz nahe am Steuer stande Zwei, die in einer zu lebhaften Unterhaltung begriffen waren, als dass sie, wenigstens jetzt, fuer diesen Gegenstand ein Interesse haben koennen. Der Eine war ein sehr hochgewachsener, noch junger Mann in der Tracht eines Reis, und der Andere zeigte eine schmaechtigere, weit kleinere Statur, die sich durch eine ungewoehnliche Lebhaftigkeit auszeichnete. "Also Bab-el-Run heisst die Strasse, Ali," meinte der Erstere. "Ja, Bab-el-Run, Effendi. Meine Gestalt ist kurz, aber mein Gedaechtniss ist so lang wie der Nil; wie koennte ich mir sonst meinen eigenen Namen merken!" "Und ueber dem Thore des Hauses steht das erste Surat des Kuran." "Das erste, das ist gut; da habe ich nicht so viel zu zaehlen, als wenn es das neunzigste oder hunderachtundvierzigste waere." "Und Du wirst Deine Sache gut machen, Ali?" "Maschallah, habe ich sie jemals schlecht gemacht? Nur ein einziges Mal bin ich dumm gewesen, weil ich das Krokodil nicht gleich verschlungen habe, als es mich fressen wollte. Sei ohne Sorge, Sihdi! Assuan ist nicht bekannt, als ob hier besonders kluge Leute wohnten." "Hier hast Du Geld. Man weiss nicht, ob Du welches brauchen wirst." "Maschallah, Sihdi, ich weiss, dass ich stets welches brauche; aber was ich uebrig behalte, das sollst Du ehrlich wieder bekommen. Das Geld ist wie der Vogel: man weiss, aus welchem Ei er kommt, aber wenn er ausgekrochen ist, so weiss man nicht, wohin er fliegt." "So gehe!" lachte Katombo. "Sallam - - -" Das aaleikum" war nicht mehr zu hoeren, denn Ali hatte bereits den Fuss auf den Bord gesetzt, um an das Ufer zu springen. Hier gab er sich ganz das Ansehen eines Mannes, der ohne ein besonderes Ziel behaglich dahinzuschlendern vermag, weil ihm die liebe Zeit nicht allzu karg zugemessen ist, und erst nach einiger Zeit trat er zu einem muessig stehenden Lasttraeger. "Sallam aaleikum!" "Aaleikum!" lautete die einsilbige Antwort. "Ist Friede in Deinem Hause?" "Friede immerdar!" "Und Glueck bei Deinem Geschaefte?" "Allah gibt Jedem, was er braucht. Gibt er viel, so braucht man viel, gibt er wenig, so braucht man wenig." "Hamdullillah, Preis sei Gott, dass ich gefunden habe, was ich suche!" "Was suchest Du?" "Sag lieber: "Wen suchest Du?" Ich suche einen weisen Mann, der mir eine Frage beantworten kann, und da Deine Worte von Gelehrsamkeit duften wie die Buecher des Kadis, so glaube ich, dass Du mir Antwort geben kannst." "So frage!" gebot der Lasttraeger, welcher sich ausserordentlich geschmeichelt fuehlte, und nun eine Frage erwartete, zu deren Beantwortung ein ungewoehnlicher Scharfsinn gehoere. "Wo liegt die Strasse Bab-el-Run?" Das Gesicht des Lasttraegers verfinsterte sich mit einem Male. "Ist das Deine gelehrte Frage?" "Ja." "So gehe, wo Du hergekommen bist, sonst werde ich Dir die Strasse Bab-el-Run mit diesem da zeigen!" Dabei erhob er den Pruegel, an welchem er Doppellasten zu befestigen pflegte, um sie auf der Achsel zu tragen. "Glaubst Du, dass sich ein ehrlicher Mann von einem Mukkle (Spassvogel) aeffen laesst? Fort, sonst kommst Du dreimal schneller weg, als Du denkst!" Dabei machte er eine so sprechende Bewegung, dass Ali schleunigst das Weite suchte. "Maschallah, war das ein Grobian! Also auf diese Weise geht es nicht; ich muss es auf eine andere versuchen!" Er bog jetzt eilig in ein Gaesschen ein, in welchem ihm ein Sorbethaendler begegnete. Er trat auf ihn zu und frug kurz: "Wo ist die Strasse Bab-el-Run?" Der Haendler setzte seinen Limonadenapparat zur Erde und legte beide Haende an die Ohren. "Was? Wie?" Ali merkte, dass der Mann schwerhoerig war und trat ihm so nahe wie moeglich, um ihm seine Frage in das Ohr zu bruellen. Indem kamen zwei Maulthiere herbei, welche eine Saenfte trugen, in welcher jedenfalls eine vornehme Frau sass, denn zwei Laeufer gingen ihr voran, laut ihr "Remalek" und "Schimalek" ("rechts" und "links") rufend, um die Begegnenden zum Ausweichen anzuhalten. In der Rechten trug jeder von ihnen eine schwere Nilpeitsche, um ihren Worten, wenn sie nicht befolgt wurden, nach Landessitte den gehoerigen Nachdruck zu geben. Eben bruellte Ali sein "Wo ist die Strasse Bab - - -" so erhielt er, ohne vollstaendig ausgesprochen zu haben, einen fuerchterlichen Hieb ueber den Ruecken. Er fuhr erzuernt herum. "Schimalek!" donnerte ihm der Laeufer entgegen und applizirte ihm einen zweiten und ebenso kraeftigen Hieb auf dieselbe Stelle. "Schim - - ach so! Allah kerihm, haut der Kerl zu!" Er retirirte sich zu der angegebenen Seite, aber doch nicht schnell genug, so dass er noch einen dritten Hieb empfing. Der Sorbethaendler hatte natuerlich die Warnung noch viel weniger vernommen. Der andere Laeufer bearbeitete ihn auf das Lebhafteste mit der Peitsche, immer sein "Remalek" rufend; aber ehe der schwerhoerige Mann seinen Apparat emporraffte, waren die Maulthiere zur Stelle und schritten so kontinuirlich weiter, dass er zur Seite geworfen und sein Gefaess umgerissen wurde, so dass die Limonade ueber die Gasse schwemmte. Als Ali das Unheil bemerkte, welches er angerichtet hatte, machte er sich eiligst aus dem Staube, und hielt nicht eher an, als bis er um einige Ecken gebogen war. Dort blieb er stehen, um sich den Revers seines beleidigten Koerpers zu reiben. "Allah akbar, Gott ist gross, aber diese Hiebe waren noch groesser. Welch ein Glueck, dass ich entkommen bin! Haette mich der Haendler festnehmen lassen und angezeigt, so haette ich ihm seinen ganzen Sorbet bezahlen muessen. Wie es scheint, ist es heut mein Kismet, dass ich die Strasse Bab-el-Run nicht finden soll!" Er schaute sich um und bemerkte einen Wassermann, welcher seinen Esel vor sich hertrieb, an dessen beiden Seiten die offenen Faesser hingen. Er wartete, bis derselbe nahe war und trat ihm dann entgegen. "Willst Du mir nicht sagen, wo die Strasse Bab-el-Run ist, ia Abd-el-Ma (o Diener des Wassers)?" Der wie ein Herkules gebaute Mann sah ihn ruhig von unten bis oben an, ergriff dann sein Schoepfgefaess, tauchte es tief in eines der Faesser, so dass es voll wurde, und goss ihm das Wasser in das Gesicht. Dann setzte er, ohne ein Wort zu verlieren, seinen Weg weiter fort, als ob nicht das Mindeste vorgefallen waere. Ali stand da, als haette ihn der Schlag geruehrt, und es dauerte lange, ehe er auf den Gedanken kam, seine Schaerpe abzubinden, um sich mit derselben abzutrocknen. Er befand sich im Bazar der Schneider, und ihm gegenueber lag ein Laden, dessen Besitzer den ganzen Vorgang mit angesehen hatte. Er winkte ihm einzutreten. "Sallam aaleikum!" gruesste Ali. "Sallam, Friede seit mit Dir! Warum begoss Dich dieser Mann mit Wasser?" "Ich weiss es nicht. Kannst Du es mir sagen?" "Was sprachst Du zu ihm?" "Ich frug ihn, wo die Strasse Bab-el-Run ist." "Bist Du fremd in Assuan?" "Ja." "Wo kommst Du her?" "Von Kairo." "Maschallah, so hat er Dich unschuldig bestraft! Die Strasse Bab-el-Run ist dieselbe, in der Du Dich befindest, und der Mann hat geglaubt, Du willst mit ihm scherzen. Was suchst Du in dieser Strasse? Ich werde Dich gern berichten." "Das Haus des Mudellir." "Das liegt sehr weit von hier; Du kannst es an der heiligen Fatha erkennen, welche ueber dem Thore zu lesen ist. Was willst Du bei Hamd-el-Arek?" Ali hatte zwar bisher Unglueck gehabt, aber er war trotzdem ein schlauer Kopf und besann sich kurz: "Ich will ihn um Gerechtigkeit bitten." "Um Gerechtigkeit?" dehnte der Schneider. "Der Prophet spricht: "Wenn Du einen Freund findest, so oeffne ihm Dein Herz, dann wird Dein Fuss nicht straucheln. Sprich weiter!" "Bist Du mein Freund?" "Versuche es, so wirst Du es bald sehen! Ich bin ein Freund aller Gerechten, aber ein Feind aller Ungerechten." "Ich habe einen Bruder im Wadi-el-Mogreb, welches nicht weit von hier liegt. Er starb und hat mir seine Habe hinterlassen, aber als ich von Kairo in das Wadi kam, da - " "Da hatte der Mudellir Deine Erbschaft eingezogen?" fiel ihm der Schneider eifrig in die Rede. "Du sagst es." "Und nun willst Du zu ihm gehen und sie von ihm fordern?" "Sie von ihm fordern!" nickte Ali. Der Schneider blickte sich vorsichtig um, legte dann die Hand an den Mund und fluesterte: "Weisst Du, was Du bekommst?" "Was?" "Die Bastonnade, aber von Deiner Erbschaft nicht so viel, wie ein Durrhakorn (Hirsekorn) gross ist. Gehe nicht zu ihm, sondern kehre eilends nach Kairo zurueck!" "Sagst Du die Wahrheit?" "Ich sage sie, denn ich kenne den, von dem Du sprichst. er hat ein ganzes Jahr lang seine Gewaender bei mir genommen, und als ich kam und ihn demuethig um Zahlung bat, kannte er mich nicht und liess mich in den Bock spannen. Meine Zahlung habe ich redlich erhalten, denn fuer jedes Silberstueck, welches ich verlangte, bekam ich einen Bastonnadenstreich! Allah i charkilik, Gott verbrenne ihn!" "Und die Tochter meines Bruders ist auch mit verschwunden." "Maschallah, ist das wahr? So hat er sie in sein Harem gesteckt! Die schoensten Jungfrauen des Bezirkes treibt er zusammen, obgleich Sada, seine Frau, nichts davon erfahren darf. In dem Hause, welches ich Dir beschrieb, werden sie eingeschlossen; ich weiss das ganz genau, denn meine Schwester gehoert zu den Hueterinnen der Frauengemaecher." "Kommt sie zuweilen, Dich zu besuchen?" "Sie kommt taeglich, wenn sie ihre Einkaeufe fuer die Kueche macht." "Wuerdest Du mir erlauben, einmal mit ihr zu sprechen?" Der Schneider schuettelte langsam und bedaechtig das Haupt. "Das ist zu gefaehrlich!" "So lass Dir etwas sagen, Mann: Die Tochter meines Bruders hatte einen Geliebten, welcher mit nach Assuan gekommen ist. Er ist ein sehr wohlhabender Kaufmann und hat einen ganzen Beutel voll Goldstuecke bei sich. Er wuerde gern mit Dir sprechen. Darf ich ihn holen?" Der Schneider blickte nachdenklich vor sich nieder. "Warte einmal; ich will das Kismet befragen!" Er griff in die Tasche seiner weiten Pluderhose und zog drei Wuerfel hervor, die er eine Weile in den hohlen Haenden rollte und dann auf den Boden fallen liess. Er zaehlte die oben aufliegenden Augen und meinte dann: "Geh und hole ihn, ich darf Euch vertrauen!" Ali verliess den Laden und kehrte schleunigst zum Sandal zurueck, wo ihn Katombo mit Sehnsucht erwartete. Als er ihn kommen sah, stieg er zur Kajuete nieder, in welcher er ihn empfing. "Nun?" "Sihdi, ich bin Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi, und was Du mir befiehlst, das bringe ich zu Stande!" "Hast Du die Strasse gefunden?" "Sofort," antwortete er, sich in die Brust werfend. "Und weiter?" "In dieser Strasse wohnt ein Schneider, der ein grosser Feind des Mudellir ist, weil dieser ihm die Bastonnade geben liess, anstatt ihn zu bezahlen. Seine Schwester ist Haremshueterin beim Mudellir und wird jetzt zu ihm kommen. Willst Du mit ihr sprechen? Ich habe gesagt, mein Bruder im Wadi-el-Mogreb sei gestorben und ich bin aus Kairo gekommen um die Erbschaft zu holen. Der Mudellir aber hat sie mir weggenommen und auch die Tochter meines Bruders dazu, deren Braeutigam Du bist. Du bist ein Kaufmann und hast viel Goldstuecke mit." "Ali, Dein Verstand ist ebenso gross, wie Dein Name lang ist. Warte ein wenig; ich werde gleich fertig sein!" Er durfte natuerlich in dem Anzuge eines Reis nicht mitgehen, sondern er musste ein anderes Gewand anlegen. Nach dem dies geschehen war, verliessen sie das Fahrzeug und schritten nach der Strasse Bab-el-Run, deren Lage sich Ali genau gemerkt hatte. Der Schneider schien ihrer bereits zu harren. Vielleicht war seine Schwester mittlerweile gekommen. "Mein Freund hier hat mir Deinen Laden empfohlen," begann Katombo nach der ueblichen Begruessung. "Hast Du einen Anzug fuer mich?" Des Schneiders Auge leuchtete befriedigt auf; er sah, dass er einen Mann vor sich haben, der eine delikate Sache auf die rechte Weise einzuleiten verstand. "Du findest bei mir Alles, was Du begehrst. Willst Du einen guten oder einen billigen Stoff?" "Der gute ist stets der billigste." "Du sprichst weise, wie ein Kenner spricht. Setz Dich nieder und nimm die Pfeife! Ich werde Dir vorlegen." Er brachte die verschiedensten Anzuege zum Vorschein. Katombo behielt eine derselben und bezahlte ihm doppelt so viel, als er verlangte. Der Schneider bedankte sich: "Gesegnet sei die Hand, welche lieber gibt als nimmt! Erhebt Euch, Ihr Maenner! Tretet durch diese Thuer, Ihr werdet auch dort finden, was Ihr sucht." Sie folgten seiner Aufforderung und traten in ein kleines, enges Gemach, in welchem eine kurze dicke und verhuellte Frauengestalt sass. Katombo verbeugte sich sehr tief herab, obgleich er wusste, dass er nur eine Dienerin vor sich habe. "Sallam aaleikum, Friede und Heil sei mit Dir! Der Kuran sagt: "Das Herz des Weibes gleicht der Rose; es spendet Duft und Wohlgeruch zu aller Zeit. Lass mich die Schwester des Weibes bewundern." Neben ihr stand eine Thonvase, in welcher eine Rose steckte. Er nahm Beides, sog den Duft der Rose ein, liess dabei eine Hand voll Goldstuecke in die Vase fallen und setzte diese wieder an ihren Ort zurueck. Diese Introduktion hatte eine ausserordentliche Wirkung; der Schleier wurde gelueftet und ein volles, gutmuethig dreinschauendes Gesicht kam zum Vorschein; zwei fette Haende ergriffen die Vase und holten trotz des darin befindlichen Wassers das Geld heraus. "Du hast den Kuran studirt und Worte und Handlungen der Hoeflichkeit gelernt. Ich werde Dir dienen, so weit ich es vermag." "Du bist Aufseherin im Harem des Mudellir?" "Ich bin es." "Kennst Du die Namen aller seiner Frauen?" "Ich kenne sie." "Und weisst Du von Jeder, wo ihre Heimath ist?" "Von Keiner. Warum soll ich ihnen Schmerz bereiten, indem ich sie nach ihrer Heimath frage?" "Kennst Du eine Namens Sobeide?" "Ich kenne sie, doch ist sie nicht eine von seinen Frauen." "Warum?" "Er darf sie nicht beruehren, sonst toedtet sie sich." "Wann wurde sie Euch gebracht?" "Vor noch nicht einem Monat." "Weisst Du, woher sie kam?" "Nein." "Es ist meine Geliebte. Darf ich einmal mit ihr sprechen?" "Wenn Du mir beim Barte des Propheten Verschwiegenheit gelobst." "Ich schwoere es." "So muss es noch heut geschehen, denn der Mudellir reist morgen nach Kairo ab und nimmt einige seiner Frauen mit, unter denen Sobeide vielleicht sein koennte." "Mit welchem Schiffe faehrt er?" "Ich weiss es nicht. Er nimmt das, welches ihm gefaellt, ohne den Schiffer zu fragen, ob er ihm Schaden bringt." "Wann soll ich Sobeide sehen?" "Grad um die Mittagszeit. Sie wird im Garten sein. Wenn Du Dir das Haus betrachtest, so ist die hintere Mauer des Gartens leicht zu finden. Da, wo ein Zitronenbaum ueber dieselbe emporragt, wird sie stehen. Wie Du hinaufkommst, musst Du selber sehen." "Kann ich mich auf Dich verlassen?" Sie legte betheuernd die dicke Hand auf das Herz. "Sicher!" "Ich danke Dir. Wenn ich Dir etwas zu sagen habe, werde ich zu Deinem Bruder kommen." "Thue das!" Katombo verabschiedete sich mit Ali. Draussen auf der Strasse angekommen, schritten sie dieselbe hinab, bis sie ein einzeln stehendes Haus bemerkten, ueber dessen Thore die heilige Fatha zu lesen war. Auf einem Umwege suchten sie die hintere Seite des Gartens zu gewinnen, es gelang ihnen, und nun bemerkten sie, dass das Terrain ihrem Vorhaben ausserordentlich guenstig war. Die Umgebung zeigte sich so einsam und versteckt, dass man keinen Beobachter oder Verraether zu befuerchten brauchte, und so kehrte Katombo ausserordentlich befriedigt nach dem Sandal zurueck. Er hatte kaum seinen Anzug gewechselt, so trat Ali bei ihm ein. "Sihdi, es reiten einige Offiziere am Flusse hin. Man sagt, sie suchen ein Fahrzeug fuer den Mudellir auf." Sofort begab sich Katombo auf das Deck und kam gerade zur rechten Zeit um zu bemerken, dass einer von den Maennern abstieg und auf den Sandal zuschritt. Am Wasser angekommen, verlangte er mit barscher Stimme ein Brett um hinueberkommen zu koennen. Es wurde ihm gelegt, und er schritt an Bord. "Wo ist der Reis?" Man wies ihn zu Katombo, der ihn neugierig erwartete. "Du bist der Fuehrer dieses Schiffes?" "Ich bin es." "Was hast Du geladen?" "Nichts." "Wohin ist der Sandal bestimmt?" "Nach dem Bahr-el-Abiad." "Was willst Du dort holen?" "Sennesblaetter." "Woher kommst Du?" "Aus Kairo." "Zeige mir das Innere Deines Schiffes." "Wer bist Du?" "Ich heisse Hamd-el-Arek und bin der Mudellir von Assuan. Kennst Du mich?" "Ich habe Dich noch nie gesehen, aber Deinen Namen oft gehoert. Komm und siehe!" Er fuehrte ihn durch die Kajuete und saemmtliche Raeume. Als sie das Deck wieder betraten, schien der Statthalter im hoechsten Grade befriedigt zu sein. Er legte Katombo seine Hand auf die Schulter. "Bist Du ein guter Schiffer?" "Urtheile selbst. Der Sandal ist nach meinem Plane gebaut." "So vertraue ich Dir, denn der Bau und die Einrichtung sind unuebertrefflich. Du wirst nicht nach dem Bahr-el-Abiad gehen!" "Nicht?" frug der Reis scheinbar verwundert. "Nein, sondern zurueck nach Kairo." "Was soll ich in Kairo?" "Mich sollst Du hinbringen, mich, meine Diener und eine von meinen Frauen. Wenn wir gluecklich ankommen, wirst Du gut bezahlt." Katombo bemuehte sich, ein hoechst verdriessliches Gesicht zu Stande zu bringen, und es gelang ihm so vollstaendig, dass der Mudellir die Stirn runzelte. "Ich hoffe, Du beklagst Dich nicht ueber die Ehre, mich an Bord haben zu duerfen; die Nilpeitsche wuerde Dich eines Besseren belehren! Meine Dienerschaft kommt unter das Vorderdeck, die hoehere Begleitung unter die Zelte, welche ich Dir senden werde, ich in die Kajuete und die Frau in die Kabine nebenan. Machst Du einen Versuch mit dem Sandal fortzugehen, so bekommst Du die Bastonnade bis Du stirbst." "Ich werde gehorchen!" antwortete Katombo. "Ich hoffe es um Deinetwillen. Du hast nur fuer Raum und gute Fahrt zu sorgen; alles andere werde ich selbst liefern." Er verliess das Schiff, bestieg sein Pferd wieder und ritt davon. Katombo wusste nicht, ob er sich freuen solle; es galt, Gewissheit zu erlangen, und das konnte erst zu Mittage geschehen. Bis dahin hatte er allerdings genug zu thun, um seine Anordnungen zu treffen in Beziehung auf die Veraenderungen, welche im Innern und auf dem Decke des Sandals vorgenommen werden mussten. Kurz vor Mittag aber verliess er mit Ali das Fahrzeug und begab sich trotz der ausserordentlich drueckenden Sonnenhitze nach dem Garten des Statthalters. Sie kamen unangefochten bei der ihnen angewiesenen Stelle an und suchten sorgfaeltig die Umgebung ab, um sich zu vergewissern, dass kein Lauscher vorhanden sei. Dann traten sie an den Punkt, wo sich der bezeichnete Baum ueber die Mauer erhob. "Ich muss auf Deine Achseln treten, Ali!" "Maschallah, das ist mir lieber als auf die Nase! Ich werde Dich schon erhalten koennen, Sihdi!" "Herunter springe ich ohne Deine Hilfe. Du steckst Dich bis dahin unter jenen Busch, um das Terrain zu beobachten. Wenn Du etwas Verdaechtiges bemerkst, stoessest Du den Schrei des Geiers aus." "Den bringe ich fertig, Sihdi; wenn ich aber "Lubeka Allah Huemeh," den Gesang der Pilger, anstimmen sollte, so muessten wohl einige Toene ueber Bord geworfen werden. Doch, hier stehe ich, fest und sicher wie ein Elephant. Willst Du aufsteigen?" "Ja, komm!" Er schwang sich auf die Schultern des Dieners und konnte von hier aus gerade den oberen Rand der Mauer erfassen. Ein fester Griff, eine gewandte Volte und er sass oben. "Hamdullillah, Preis und Dank sei Gott, dass ich nicht droben bin! Ich kaeme nicht so leicht wieder herab, und wenn ich auch meinen langen Namen als Seil gebrauchen wollte," klang es von unten herauf; dann schluepfte Ali hinter seinen Busch. Katombo nahm zunaechst eine solche Stellung unter den Zweigen ein, dass er nicht so leicht bemerkt werden konnte; dann blickte er hinab in den Garten. Eine weisse Gestalt kam langsam den Gang daher. War es die Erwartete oder nicht? Er hatte vergessen der Haremshueterin seinen Namen zu sagen, und daher war es leicht begreiflich, wenn Sobeide nur mit Misstrauen auf das Abenteuer einging. Er bemerkte, dass die Gestalt durch den Schleier hindurch die Stelle, an welcher er sich befand, sorgfaeltig musterte, und beschloss, sich durch ein kleines Wagniss Gewissheit zu verschaffen. "Katombo!" rief er so laut, dass nur sie es noch zu hoeren vermochte. Beim Klange dieses Namens zuckte sie zusammen, warf einige rasche Blicke umher und kam dann herbeigeeilt. "Katombo, bist Du es wirklich?" "Ich bin es. Doch blicke nicht empor, sondern thue, als ob Du Bluethen pfluecktest! Daheim ist alles wohl. Vater und Schwestern lassen Dich gruessen. Ich habe Deinen Aufenthalt entdeckt und bin gekommen, Dich zu retten." "Das ist unmoeglich." "Warum?" "Ich muss noch heute Nacht zu Schiffe; der Mudellir schleppt mich nach Kairo." "Dich allein?" "Ja!" "Dann ist Alles gut; denn er faehrt mit meinem Sandal." "Allah kerihm, Gott ist gnaedig!" "Du wirst neben der Kajuete untergebracht. Ich habe an der Seite nach dem Raume zu ein Brett locker gemacht, damit wir mit einander reden koennen. Huete Dich eine Bewegung zu machen, aus der er sieht, dass Du mich und die Leute kennst!" "Hast Du ein Messer bei Dir?" "Ja." "Wirf es mir herab!" Er zog es aus dem Guertel und liess es hinunterfallen. "Hier nimm; doch ich hoffe, dass Du es nicht brauchst!" Ein leiser Ruf erscholl. Die Hueterin gibt mir das Zeichen. Lebe wohl!" "Friede und Hoffnung sei mit Dir!" Sie eilte davon, und Katombo sprang von der Mauer herab. Ali kam aus dem Busche hervor. "Du hast sie gesehen?" "Ja." "Und mit ihr gesprochen, Sihdi?" "Ja." "Hat sie nichts von mir gesagt?" Katombo musste ueber die trockene Naivetaet des Dieners lachen. "O doch!" "Was sagte sie, Sihdi? Sage es schnell!" "Sie frug mich, warum Du heute morgen so nass gewesen bist." Ali blickte verlegen vor sich nieder. "Hatte Dich vielleicht wieder El Timsach, das Krokodil, in das Wasser gezogen?" "Nein, Sihdi. Es war eine fuerchterliche ‹berschwemmung in der Strasse Bab-el-Run, von der ich Dir ein ander Mal erzaehlen werde." "Gut; ich kann warten. Aber jetzt komm! Wir sind hier keineswegs in Sicherheit." Sie verliessen den Ort und kehrten in einem weiten Bogen nach dem Flusse zurueck. Im Laufe des Nachmittags kamen alle noethigen Reiserequisiten auf dem Sandal an, und waehrend des Laermens, welcher bei der Zurichtung des Schiffes unvermeidlich war, konnte das kleine Geraeusch nicht auffallen, welches Katombo dadurch verursachte, dass er noch einige Bretter an der Koje lockerte, in welcher Sobeide untergebracht werden sollte. Auch einen Riegel brachte er an, durch welchen der kleine Raum von innen fest verschlossen werden konnte. Auf diese Weise war das Maedchen vor jeder Faehrlichkeit geschuetzt. Der Nachmittag verging und ebenso der Abend. Es wurde Nacht, und die Sterne leuchteten vom tiefblauen Firmamente so ruhig hernieder, als ob es auf Erden weder Leid noch Schmerzen, weder Angst noch Sorgen gebe. Da ploetzlich tauchten Fackeln auf dem Platze auf, vor welchem die Barken, DahabiÈs und Sandals ankerten. Vier Traeger brachten einen Palankin, den ein schwarzer Verschnittener begleitete. Sie naeherten sich der Stelle, wo die "Djuhr-el-Djienne" ankerte, und verlangten eine Landungsbruecke uebergelegt. Diesem Wunsche wurde entsprochen, und nun brachten sie den Palankin an Deck. Der Verschnittene trug eine Nilpeitsche in der Hand. "Wo ist der Reis?" frug er mit seiner unnatuerlichen Falsettstimme, welche im grellsten Widerspruch mit seinem herkulischen Koerperbaue stand. "Hier bin ich," antwortete Katombo, indem er naeher trat. "÷ffne den Raum fuer diese Frau, aber schnell, sonst mache ich Dir Beine!" Der Reis sah sich den Mann ruhig an. Dann meinte er: "Ich werde oeffnen, aber nicht schneller, als es mir beliebt. Hier an Bord gilt nur meine Peitsche und nicht die Deinige. Merke Dir das!" Der Kastrat fletschte ihm die grossen, weissen Zaehne entgegen, hatte aber doch nicht den rechten Muth, seine Drohung auszufuehren. "Wollen sehen!" meinte er hoehnisch. "Werden auch sehen!" antwortete Katombo. "Komm!" Die Saenfte wurde nach der Kajuetenluke getragen, wo Sobeide ausstieg. Der Verschnittene fuehrte sie hinab. Nach kaum einigen Minuten, waehrend welcher Zeit sich die Palankintraeger bereits wieder entfernt hatten, kehrte er eiligen Laufes zurueck und kam gerade auf Katombo zu. "Gib mir Hammer und Zange!" "Wozu?" "Wie kannst Du einen Riegel machen an die Thuer, welche die Frau von ihrem Gebieter trennt! Sie ist sein Eigenthum, und er muss zu ihr koennen, so oft er will. Ich will den Riegel entfernen!" "Du willst? Allah akbar, Gott ist gross im Himmel und auf Erden, und ich bin Gott auf meinem Schiffe. Der Riegel bleibt wo er ist!" "Er kommt fort, sage ich!" "Er bleibt, sage ich!" "So warte, Du Kelb, Du Hund!" Er holte mit der Peitsche aus, doch Katombo kam ihm zuvor. Er riss ihm die Peitsche aus der Hand, zog sie ihm drei, vier Male ueber das Gesicht und fasste ihn dann bei der Gurgel. Es kostete ihn nur eine geringe Anstrengung, den entmannten Neger zu Boden zu werfen. "Fesselt ihn," gebot er seinen herbeispringenden Untergebenen; "gebt ihm einen Knebel und werft ihn in das Strafloch!" Sie gehorchten, und nun ging Katombo zur Kajuete, in welcher eine halbleuchtende Lampe brannte. Die Thuer zur Nebenkoje war verriegelt. Er klopfte an. "Wer ist da?" "Katombo!" Jetzt sprang die Thuer auf, und mit einem lauten konvulsivischen Schluchzen warf sich Sobeide an seine Brust. Alles Gesetz, alle Strenge, alle Zurueckhaltung war vergessen, und die Unglueckliche folgte nur der Gewalt ihres Herzens. "Katombo, bin ich nun sicher?" "Du bist es, und keine Hand soll wagen, Dich auch nur leise anzutasten!" "Wo ist der fuerchterliche Mensch?" "Gefangen und im Schiffskerker." "Ia Allah! O Gott, Du machst Dich ungluecklich! Er besitzt die groesste Macht beim Mudellir, und Du bist verloren!" "Noch nicht. Haette ich Dich noch nicht hier, so koennte ich demuethig sein, nun Du aber in Sicherheit bist, bin ich der Kapitaen meines Sandals, und wehe dem, der es wagt, gegen meinen gerechten Willen zu handeln! Dieser Riegel ist fest; er wird Dich vor Hamd-el-Arek schuetzen; und diese Bretter brauchst Du nur auf die Seite zu schieben, so gelangst Du in den Raum, den ich fuer mich hergerichtet habe, weil der Mudellir in meiner Kajuete wohnen will. Befiehl, und es wird geschehen, was Du gebietest!" "Du wirst Nichts gegen ihn ausrichten koennen, denn er kommt mit ueber zwanzig Mann!" "Ich fuerchte mich nicht, obgleich ich nur zehn Maenner bei mir habe." "Fliehe, ehe er kommt!" "Das geht nicht. Dich darf ich ihm nehmen, aber er hat sein ganzes Gepaeck bereits an Bord, und wenn ich absegle ohne ihn, hat er das Recht, mir den Kopf vor die Fuesse zu legen, mir und all den Meinen." "So schuetze mich vor ihm und jenen graesslichen Schwarzen!" "Sei getrost; es wird Dir nichts geschehen!" Er ging wieder nach oben und gewahrte, dass der Landeplatz sich zum zweiten Male erhellte. Der Mudellir kam mit seiner Begleitung, und der Augenblick der Abfahrt war also nahe. Katombo hatte dazu alles vorbereiten lassen; der Sandal hing nur noch an einem Taue, und die Segel lagen hissgerecht, so dass es nur weniger Augenblicke bedurfte, um das Fahrzeug auf die Mitte des Stromes zu bringen. Die Landungsbruecke wurde gelegt, und die Reisegesellschaft kam an Bord. Es musste ein dringender Befehl vom Vizekoenig eingetroffen sein, sonst haette sich der Statthalter nicht so gesputet. Katombo empfing ihn auf dem Mitteldeck, anstatt aber seinen Gruss zu erwidern, stiess ihm der stolze Beamte nur das eine Wort entgegen: "Abfahren!" Das hatte der Reis gewuenscht, denn sobald das Fahrzeug sich im Strome befand, war er nach Schifferrecht alleiniger Herr desselben. "Ho-ih!" ertoente seine Stimme, und sofort wurde das Ankertau gekappt, die Segel stiegen an den Masten empor, der Sandal drehte seinen Kiel der Fluth entgegen und befand sich bald in tiefem Fahrwasser. Unterdessen war das Deck der Schauplatz eines wirren Treibens gewesen, da Jeder unter Beeintraechtigung der Andern sich so bequem wie moeglich einrichten wollte. Jetzt war bereits einige Ordnung vorhanden, die aber bald in Gefahr gerieth, vollstaendig wieder zerstoert zu werden. Es oeffnete sich naemlich die Kajuetenthuere und der Mudellir trat hervor. Im Scheine der brennenden Fackeln sah man den Ausdruck des hoechsten Zornes auf seinem Angesicht. "Reis!" bruellte er, sich funkelnden Auges umblickend. Katombo schritt langsam auf ihn zu. Ein Wink von ihm genuegte, um seine Leute hinter sich zu versammeln. "Du rufst mich?" "Ja, ich rufe Dich! Wer hat Dir befohlen, einen Riegel an mein Nebengemach anzubringen? Er war heut, als ich den Sandal besichtigte, nicht vorhanden." "Befohlen?" antwortete Katombo ruhig, jedoch das Wort sehr scharf betonend. "Befohlen hat es mir Niemand, sondern ich that es aus eigenem Antriebe." "So befehle ich Dir, ihn sofort abzureissen!" "Befehle?" Und wieder legte er den schweren Ton auf dieses Wort. "Wem gehoert dieser Sandal?" "Nun Dir!" "Das denke ich auch, und darum bin ich es allein, der hier zu befehlen hat. Wer etwas von mir wuenscht, hat nur zu bitten!" "Hund!" bruellte Hamd-el-Arek und machte Miene, sich auf ihn zu stuerzen, doch besann er sich noch und blickte sich suchend um. "Simo!" "Simo? Meinst Du Deinen Schwarzen?" "Ja. Wo ist er?" "Im Arrest. Er drohte mir mit der Peitsche und muss also seine Strafe leiden." "Mensch, bist Du wahnsinnig!" "Weniger als Du. Ich kenne mein Recht; Du aber willst haben, was Dir nicht gehoert." "Heraus mit dem Gefangenen, oder ich schiesse Dich nieder! Er soll Dir das Fell zerblaeuen, dass es die Winde in Fetzen mit sich nehmen. Herbei, Ihr Maenner, fasst ihn!" Katombo zog sich einige Schritte bis auf die Seinigen zurueck; in seinen Haenden funkelten die Laeufe zweier Pistolen. "Was ist das! Meuterei? Du rufst Deine Maenner gegen mich auf? Weisst Du nicht, dass ich hier Recht habe ueber Leben und Tod? Was willst Du mit Deiner Handvoll Leute? Die Andern stecken unter Deck und koennen nicht herauf, denn ich liess die Luke verriegeln, sobald Du die Stimme gegen mich erhobst." Der Mudellir sah sich genauer um und gewahrte nun allerdings, dass sich augenblicklich nur fuenf seiner Leute auf Deck befanden. "Den Riegel weg!" befahl er abermals, aber seine Stimme hatte nicht mehr den zuversichtlichen Klang wie vorher. "Hast Du ein Recht zu diesem Verlangen? Ist die Bewohnerin der Koje Deine Frau?" "Ja." "Du luegst!" "Mensch!" knirschte der Statthalter. "Was wagst Du?" "Ich wage Nichts, Du aber wagst Dein Leben, wenn Du Dich nicht sofort in Deine Kajuete begibst." "Wer sagt Dir, dass sie nicht meine Frau und nicht meine Sklavin ist?" "Hamm-Barak, der Armenier!" Dieser Name brachte eine wunderbare Wirkung auf den Mudellir hervor. Er trat zurueck und fuhr sich unwillkuerlich mit der Hand nach dem Kopfe: "Hamm-Barak! Kennst Du ihn?" "Ich kenne ihn." "Wo trafst Du ihn?" "In Siut." "Wo ist er jetzt?" "Gefangen in Siut!" "Gefangen! Bei wem?" "Bei Manu-Remusat, dem beruehmten Abu-el-Reisahn." "Ein fuerchterlicher Fluch entfuhr den Lippen des Statthalters. "Du luegst, Hund, und ich werde Dich zertreten, heut oder morgen." "Sage mir, dem Reis dieses Schiffes, noch einmal in das Gesicht, dass ich luege, so schlage ich Dir die Peitsche Deines eigenen Henkers in das Gesicht! Ich selbst bin es, der diesen Hamm-Barak gefangen hat; ich selbst habe ihn verhoert, und ich selbst war in Deinem Garten, um Sobeide zu befreien, denn wisse, dieser Sandal gehoert keinem Andern als Manu-Remusat, den Du verfolgest. Bis Siut bin ich Dein Herr und Meister; dann verlaessest Du das Schiff und magst gehen, wohin Du willst. Legt die Waffen ab!" Die Worte hatten ihn wie ein Donnerschlag getroffen, so dass er sich von Katombo unwillkuerlich die Pistolen, den Saebel und das Messer nehmen liess. Die Andern folgten natuerlich seinem Beispiele. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sich der Mudellir um und ging in die Kajuete. Auf einen Wink Katombo's eilte Ali herbei und schob den Riegel vor; der Statthalter war gefangen. Waehrend dessen schoss der Sandal mit der Geschwindigkeit eines Dampfers vorwaerts. Katombo war Herr des Schiffes und liess noch waehrend dieser Nacht ein Zelt fuer Sobeide auf dem Verdeck errichten, und zwar an einer Stelle, dass sie nicht beobachtet werden konnte, selbst wenn sie es auf einige Schritte verliess. Er ging dann hinab, schob die Bretter zur Seite und bat sie, mit ihm zu kommen. "Hinauf?" frug sie besorgt. "Hinauf!" "Wo ist der Mudellir?" "Gefangen." "Und seine Leute?" "Gefangen." "Remallah, was hast Du gethan!" "Blos das, was ich verantworten kann." Er fuehrte die tief Verschleierte hinauf, wo es ihr in der lauen Nachtluft besser behagte, als in der dumpfen Schwuele ihres kleinen Verschlages. - - Einige Tage spaeter bewegte sich eine Karawane durch die oestliche Saeumung der lybischen Wueste, eine Karawane, welche aus vierzig koestlichen Reitkameelen und ebenso vielen Lastkameelen bestand. Etwas vorauf ritt ein junger Mann in Mamelukentracht auf einem jener koestlichen arabischen Barakkpferde, welche meist ein seidenaehnliches silbergraues Haar besitzen und von keiner andern Rasse uebertroffen werden. Schon waren die Schatten bedeutend laenger als Thier und Reiter selbst; der Abend lag nicht fern, und es war wuenschenswerth, bald einen Ruhepunkt oder das Ziel der Wanderung zu erreichen. Da ploetzlich streckte das vorderste Hedjihn (Reitkameel) den langen Hals weit aus, sog die Luft in einem langen Zuge durch die Nuestern, stiess einen lauten gellenden Schrei aus und eilte dann wie vom Sturme getrieben in gerader Richtung davon. Die Maenner stiessen einen Jubelruf aus und folgten auf ihren Thieren in demselben beschleunigten Tempo. Das Hedjihn hatte die wassergeschwaengerte Luft des Nilthales gerochen, und bald schoss die Karawane von den Sandbergen, welche es im Westen begrenzen, herab in die gruenende duftende Senkung. "Siut!" rief der Reiter auf der silbergrauen Stute. "Geht in das Karawanserai, und wartet dort auf meine Befehle!" Er liess der Stute die Zuegel vollstaendig schiessen und flog seitwaerts von den Andern laengs des Flusses hinan an dem Hause des Kawuahdschi vorueber. Abd-el-Oman stand gerade vor seiner Thuer. Als er den Reiter vorbeisprengen sah, murmelte er in den Bart: "Omar-Bathu, der Mamelukenfuerst, der reicher ist als der Khedive selbst! Er wird den Schech-el-Reisahn besuchen." Er hatte richtig vermuthet, denn der Reiter bog in das Thor Manu-Remusats ein, sprengte durch den Garten in den Hof und hielt gerade vor der Treppe, welche zum Divan des Obersten der Schiffskapitaene fuehrte. Er musste mit dem Wege und den Lokalitaeten sehr vertraut sein. Der Hufschlag seines Pferdes war nicht unbemerkt geblieben; einige Diener eilten herbei, und oben oeffnete sich eine Thuer, aus welcher der Besitzer des Hauses in eigener Person hervortrat. "Remusat!" "Bathu!" Kaum waren die Rufe erklungen, so lagen sich die beiden Maenner in den Armen. "Gesegnet sei der Gedanke, der Dich zu mir fuehrt," meinte zuerst Remusat. "Trete ein und sei mir willkommen!" Nur wenige Augenblicke vergingen, so sassen sie mit den dampfenden Pfeifen vor dem duftenden Mokka. "Monden sind vergangen, seit ich Dich nicht bei mir sah. Wohin hast Du Deine Zelte getragen?" "Bald hierhin und bald dorthin, wo das Schwert gerade Arbeit fand. Wir haben gesiegt und viele Beute gemacht, denn Allah liebt den Muthigen und segnet seine Wege. Und Du? Wie ist es mit den Deinen? Wo ist Katombo, der Wackere, und wie befindet sich Sobeide?" Die letzten Worte waren leiser und fast zagend gesprochen. "Katombo fuhr mit dem Sandal nach Assuan, und Sobeide - sie - sie ist - - " Da legte ihm Omar-Bathu die Hand auf den Arm. "Ich weiss, der Mann spricht nicht von seinen Frauen, aber nach Sobeide darf ich doch fragen; sie liebt mich, und Du hast sie mir verlobt. Heut komme ich, um offen um sie zu werben und sie nach Kairo in meinen Palast zu fuehren als einziges Weib, welches ich jemals nehmen werde. Die Kameele, welche meine Brautgabe bringen, liegen bereits im Serai." Manu-Remusat senkte das Haupt. "Freund, es ist grosses Herzeleid eingezogen in mein Haus, denn Sobeide war verschwunden." "Verschwunden?" Der Mameluke sprang empor, schleuderte die Pfeife in den fernsten Winkel und legte die Hand an den Griff seines krummen Saebels. "Ja, verschwunden." "So wurde sie geraubt, denn freiwillig entfliehen kann Sobeide nie. Wer war der Teufel, der mir dieses that?" Ich suchte wochenlang vergebens, bis endlich Katombo vom Bahr-el-Azreck zurueckkehrte und bereits eine Stunde spaeter den Namen des Raeubers entdeckt hatte. "Ja, Katombo ist klug, kuehn und wacker; er ist mein Freund. Doch sag, wer ist der Raeuber? Ich muss seinen Kopf zu meinen Fuessen sehen." "Er ist ein Maechtiger, bis zu dessen Kopf die Degen Tausender nicht zu reichen vermoegen - -" "So nenne ihn doch!" rief Bathu mit dem Fusse stampfend. "Bei allen Scheitans (Teufeln) der Hoelle, ich muss seinen Namen wissen!" "So hoere ihn: Hamd-el-Arek, der Mudellir von Assuan." "Dieser? Das Schosskind des Khedive? Den sollen alle Djiens (boese Geister) durch die Luefte reiten, dass er gliederweise in die Tschehema (Hoelle) stuerzt. Was hast Du gethan?" "Ich wollte selbst gehen und sie von ihm fordern - -" "Er haette Dich erdrosseln lassen," fiel ihm Bathu in die Rede. "Doch Katombo bat mich, ihn zu senden." "Daran that er recht. Wenn Einer sie zurueckbringt, so ist er es, aber wenn ich - -" Er wurde unterbrochen, denn die Thuere oeffnete sich und Ali trat ein. "Sallam aaleikum, Sihdi, Friede sei mit Dir!" "Ali!" rief Remusat, und jetzt entfiel auch ihm die Pfeife. "Du kommst von Assuan. Was bringst Du fuer Botschaft?" Der Mamelukenfuerst stuerzte auf ihn zu und fasste ihn bei der Schulter. "Ja sage es, schnell, heraus damit! Ihr kamt gluecklich nach Assuan?" "Ja, Sihdi. Wir gingen dorthin, um Sobeide, die Tochter unsers Schech-el-Reisahn zu holen." "Und was habt Ihr erreicht? Rasch, schnell, augenblicklich!" "Sihdi, ich heisse Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi -" "Zum Teufel mit Deinem Namen! Ich will wissen, ob Ihr gluecklich gewesen seid oder nicht!" "Lass mich ruhig aussprechen, so erfaehrst Du es am schnellsten." "So sprich!" "Ich heisse Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi, und was ich einmal will, das vollbringe ich auch." "Hamdullillah, Preis sei Gott! So habt Ihr sie gesehen?" "Ja; zuerst sah sie Sihdi Katombo, als er auf der Mauer sass; dann sah ich sie, als - - -" "Still jetzt! Sage nur zunaechst das eine: Bringt Ihr sie?" "Ja. Ich bin mit dem kleinen Boote vorangerudert, um es Euch zu melden." "Und Hamd-el-Arek, was sagt er dazu?" "Was er sagt, das konnten wir nicht hoeren, denn er sitzt als Gefangener in der Kajuete." "Der Mudellir?" "Der Mudellir! Sihdi Katombo hat ihn und alle seine Leute auf dem Sandal gefangen." "Das klingt unglaublich. Erzaehle!" Der gute Ali begann seinen schwierigen Bericht; es dauerte lange, ehe er, von hundert und aber hundert Fragen unterbrochen, mit demselben fertig wurde, aber kaum hatte er geendet, so krachte vom Flusse her eine Pistolensalve als Zeichen, dass der Sandal angekommen sei. Manu-Remusat und Omar-Bathu eilten sofort hinaus an den Strom; Ali und die gerade anwesenden Diener folgten ihnen. Das Schiff hatte bereits den Vorderanker geworfen und drehte grazioes seinen Stern an das Ufer. Eine Minute verging, dann sprangen alle, Herren und Diener, an Bord. Sobeide kniete, uebermannt von Bewegung, in ihrem Zelte. Remusat stuerzte zu ihr hin, warf sich neben ihr nieder und drueckte sie lautlos an sein Vaterherz. Auf dem Hinterdecke begruessten sich Katombo und Omar-Bathu; die Diener bewillkommneten die Schiffer; es war eine Scene, die sich unmoeglich beschreiben laesst, und das Durcheinander entwirrte sich erst, als Sobeide am Arme ihres Vaters aus ihrem Zelte trat, um an das Land zu gehen. Er fuehrte sie zu Omar-Bathu. "Hier nimm sie hin, um die Du heut geworben hast, sie sei Dein, und darum sollst Du sie in das Haus ihres Vaters bringen!" Omar ergriff ihre Hand, half ihr ueber Bord und fuehrte sie davon. Alle Anwesenden waren erstaunt ueber das die bisherige Gewohnheit ueber den Haufen werfende Verhalten des Abu-el-Reisahn. Dieser aber trat nun zu Katombo und reichte ihm beide Haende. "Mein Sohn, lass Dir spaeter von mir danken! Du wirst Dich wundern ueber das, was ich jetzt that; aber Du hast die Gefangenen an Bord, und die Wuth des feurigen Bathu waere nicht zu zuegeln, wenn er den Mudellir erblickte. Wir muessen schnell handeln. Was raethst Du mir?" "Deiner Tochter ist nichts geschehen, daher verzichte auf eine persoenliche Rache und ziehe es lieber vor, den Mudellir beim Khedive zu verklagen. Vergreifen wir uns mit den Waffen in der Hand an ihm und den Seinigen, so sind wir verloren, da der Vizekoenig nicht uns, sondern auf ihn hoeren wird." "Deine Rede ist weise, und ich werde sie befolgen. Wo sind die Gefangenen?" "Der Mudellir befindet sich in der Kajuete, und seine Leute habe ich alle im Vorderraume zusammengesperrt." "Gib ihnen die Freiheit. Da drueben liegt eine Barke, welche nach Kairo geht. Unsere Leute moegen alles, was ihm gehoert, hinueberschaffen und ihn dann selbst hinueberbringen. Du nahmst ihnen ihre Waffen?" "Ja." "Gib sie ihnen wieder. Es gibt keine groessere Demuethigung fuer den freien und muthigen Mann, als seiner Waffen beraubt zu sein." "Ist es nicht besser, sie bekommen sie erst auf der Barke ausgehaendigt?" "Nein, Katombo. Oder soll er meinen, dass wir uns vor ihm fuerchten? Sein Angesicht muss erroethen, wenn er sieht, mit welcher Hoeflichkeit wir den Raeuber meines Kindes behandeln." "Ich thue es nicht gern, aber wenn Du befiehlst, so muss ich gehorchen." Er befahl die Waffen herbeizubringen, und gab dann einen Wink, die Luke zu oeffnen, welche in den Vorderraum fuehrte. Er selbst schob den Riegel von der Kajuetenthuer zurueck. Wie ein verwundeter Tiger sprang Hamd-el-Arek daraus hervor; als er aber die Zahl der Anwesenden bemerkte, wandte er sich um, trat an die Schanzverkleidung und that, als ob er von Allem nichts bemerke. Seine Begleiter waren jetzt auf das Deck gestiegen; nur der Verschnittene fehlte noch. "Ihr seid wieder frei," verkuendigte Manu-Remusat. "Nehmt Eure Waffen!" Er ergriff die Pistolen, den Saebel und das Messer des Mudellir und naeherte sich ihm. "Hamd-el-Arek, nimm, was Dir gehoert!" Der Angeredete griff zu, ohne sich umzudrehen. Unterdessen dachte Katombo an den Verschnittenen. Er befahl, auch diesen noch zu holen, und einer von den Leuten ging hinab, um ihn freizulassen. Als der Schwarze aus der Luke emportauchte, bot sein Gesicht einen hoechst unschoenen Anblick dar. Die Schwielen, welche von den Hieben Katombos stammten, waren aufgesprungen, und dazu entstellte eine unbeschreibliche Wuth die Zuege des Verschnittenen. Sein Auge suchte Katombo, und kaum hatte er ihn erblickt, so riss er ein Messer aus dem Guertel des ihm Zunaechststehenden und stuerzte auf ihn zu. Katombo hatte sich abgewandt und achtete auf den Angreifer nicht eher, als bis er durch einen allgemeinen Schrei auf denselben aufmerksam gemacht wurde. Und doch waere es zu spaet gewesen, wenn sich nicht Manu-Remusat dazwischen geworfen haette. Dieser fasste den Schwarzen beim Arme, um ihn am Stosse zu verhindern; doch die Wuth gab dem Angreifenden ungewoehnliche Kraefte; er riss sich los und versetzte Remusat einen Stich in die Wange, aus welcher sofort das Blut aufspritzte. Der Verwundete trat einen Schritt zurueck, warf sich dann mit aller Kraft auf ihn und bohrte ihm das Messer, welches er ihm entriss, bis an das Heft in die Schulter. Da richtete sich der Mudellir empor. "Blut? Ja, Ihr sollt Blut haben! Drauf auf sie; haut sie zusammen!" Er spannte die Pistole und zielte auf Remusat. Im Augenblicke des Schusses warf sich dieser zur Seite und entriss Katombo eine seiner Pistolen. Der Schuss war voruebergegangen. Jetzt blitzte es in den Haenden Remusats auf, und der Mudellir stuerzte, mitten durch die Stirn getroffen, zu Boden. Auf den Fall ihres Fuehrers erhoben die Assuaner ein fuerchterliches Geheul und drangen auf die Siuter ein. Es entspann sich ein allgemeiner Kampf, der allerdings mit der vollstaendigen Niederlage der ersteren endete, aber auch den letzteren manche Wunde brachte. Dies alles war in weniger als fuenf Minuten geschehen. Omar-Bathu, der Mameluke, hatte die Schuesse und das Geschrei gehoert und kam jetzt herbeigeeilt, doch zu spaet, denn eben wurde der letzte Assuaner niedergeworfen. "Allah akbar, was ist hier geschehen?" frug er. "Wer hat den Gefangenen Waffen gegeben?" "Ich," antwortete Remusat kleinmuethig und doch wuthentbrannt ueber die Scene, welche das Deck mit Blut ueberschwemmt und mit Leichen bedeckt hatte. "Du? Warum?" "Ich wollte - Maschallah, ich wollte den groessten Fehler begehen, den ich in meinem Leben begangen habe." "Du hast recht gesagt; denn seht Ihr dort die Khawassen (Polizisten) und den Mann an ihrer Spitze? Wer ist es?" "Der Kaschef." "Dann erlaubt mir, dass ich gehe. Wenn ich Euch retten will, darf ich hier nicht getroffen werden." Natuerlich hatte man auch in der Stadt das Schiessen und Getoese des Kampfes gehoert, der Kaschef war aufmerksam geworden und kam nun mit seinen Khawassen herbei, um den Thatbefund aufzunehmen. Er stieg an Bord und gruesste mit einer Miene, in welcher ein schlimmes Wetter leuchtete. "Was ist hier geschehen?" "Ein Kampf, wie Du siehst." "Zwischen wem?" "Zwischen Assuaner Maennern und meinen Schiffern." Der Kaschef warf den Blick umher und erkannte die Leiche des Mudellirs. "Remallah! Wer ist das? Ist das nicht Hamd-el-Arek, der Mudellir von Assuan?" "Er ist es." "Wer hat ihn getoedtet?" "Ich." "Warum?" "Weil er zuerst auf mich schoss." "Kannst Du dies beweisen?" "Diese Maenner alle sind Zeuge." "Sie gelten nichts, denn sie haben sich mit an dem Kampfe betheiligt. Wie kommt der Mudellir auf Deinen Sandal?" "Er wollte mit demselben nach Kairo fahren." "So war er Gast auf Deinem Schiffe, und Du hast ihm den Tod gegeben! Ich muss Dich gefangen nehmen." "Warte zuvor, bis Du alles weisst. Katombo, erzaehle es ihm!" Katombo, welcher aus einer schweren Armwunde blutete, trat vor und gab ihm trotz des rinnenden Blutes einen kurzen aber doch genuegenden Bericht ueber alles Vorgefallene. Diese Erzaehlung schien die Strenge des Beamten zu mildern. Er wandte sich an Remusat. "Hast Du nicht gewusst, dass der Mudellir der Freund des Khedive ist? Ihn kann keine Anklage treffen, denn er ist todt, Du aber wirst sie in ganzer Strenge fuehlen." Waehrend er die nothwendigen Aufzeichnungen machte, wurden die Verwundeten, die sich nicht entfernen durften, nothduerftig verbunden. Der Fall war ein so ausserordentlicher, bei dem sich ein Polizeibeamter auszeichnen konnte, dass er hoechst sorgfaeltig zu Werke ging und es laengst schon Nacht war, als er endlich seine Entscheidung gab. "Manu-Remusat, ich will Dich nicht arretiren, denn Du bist schwer beleidigt und gekraenkt worden, aber wache ueber Dich und die Deinen, dass Keiner fehlt, wenn Ihr vor Gericht gefordert werdet. Dieser Sandal darf den Ankerplatz nicht verlassen, bis aus Kairo eine Besichtigung eingetreten ist, die Todten werden beerdigt, wenn der Kadi sie gesehen hat; die lebenden Assuaner aber nehme ich als Gefangene mit mir - im Namen des Khedive und des Gesetzes!" Mit der wichtigsten Amtsmiene, die er ermoeglichen konnte, nickte er Remusat und Katombo zu und verliess den Sandal, waehrend zwei Khawassen als Wache auf demselben zurueckblieben. Der Schech-el-Reisahn wandte sich zu Katombo: "Du hattest Recht, mein Sohn, als Du ihnen die Waffen nicht geben mochtest. Ich war so froh, mein Kind wiederzuhaben, und nun ist der Fittich des Todes ueber meine Freude gestrichen. Auch Du bist verwundet. Statt Dir zu danken fuer die Treue und Liebe, mit welcher Du fuer mich handeltest, habe ich Dein Blut verschuldet. Kannst Du mir vergeben?" "Sihdi, sprich nicht so. Komme heim, wo man Dich mit Schmerzen und Sehnsucht erwarten wird!" Sie gingen dem Hause zu. Unter dem Thore erwartete sie Omar-Bathu, der Mamelukenfuerst. "Wie ist es gegangen?" frug er. Manu-Remusat erzaehlte ihm das Ergebniss der polizeilichen Untersuchung. Omar-Bathu wurde nachdenklich. "Wusste der Kaschef, dass ich vor ihm auf dem Sandal gewesen bin?" erkundigte er sich. "Er hat nichts gesagt." "So ist es moeglich, dass alle Deine Habe gerettet werden kann." "Glaubst Du, dass sie verloren sei?" "Ich hielt es fuer moeglich oder sogar fuer sehr wahrscheinlich." "Warum?" "Der Kaschef muss schleunigst direkt an den Khedive Anzeige machen, da Hamd-el-Arek der Liebling desselben war. Er wird wohl noch heut einen zuverlaessigen Boten nach Kairo schicken, und was dann erfolgt, kannst Du Dir denken." "Ja, das kann ich mir denken: der Khedive ist gerecht und wird seinen Guenstling nicht ungestraft sterben lassen." "Der Khedive ist gerecht, und Du bist reich; die Gerechtigkeit bedarf des Reichthums, wenn sie bestehen will. Sie wird ihren Arm nach Siut ausstrecken, um Dich von dem Mammon zu befreien, der das Heil Deiner Seele gefaehrdet, und vielleicht gar diese Seele aus den Banden des Koerpers erloesen, der ihr hinderlich ist, empor zu Allah zu steigen. Komm herauf in Deinen Divan, damit wir weiter ueber diese Sache sprechen!" Sie schritten durch den Hof und die Stufen zu dem Sprechzimmer empor. Dort wurden sie von den beiden Maedchen empfangen, die sich allerdings zunaechst mit dem Vater beschaeftigten, welcher nicht unverwundet davongekommen war. Katombo stand da und beobachtete die kindliche Sorgfalt, mit welcher Ayescha die Wunde trotz der Anwesenheit zweier Maenner behandelte; mit Entzuecken aber bemerkte er trotz ihrer Verhuellung den Schreck, welcher durch ihre Glieder zuckte, als sie dann bemerkte, dass auch er verletzt worden sei, und zwar noch schwerer als der Vater. "Katombo!" hauchte sie, unwillkuerlich einen Schritt auf ihn zutretend. Manu-Remusat hoerte den Schreckensruf. "Fuerchte Dich nicht vor mir, meine Tochter," meinte er, sie bei der Hand erfassend und zunaechst auf Omar-Bathu deutend. "Dieser Mann hat die Hand Deiner Schwester begehrt, Du darfst Dich vor ihm nicht scheuen. Und erinnerst Du Dich meines Versprechens, welches ich Euch gab, als Katombo nach Assuan ging, um uns Sobeide zu holen? Ich schwur, dass Du sein Weib sein solltest, wenn es ihm gelaenge, mir die geraubte Tochter wiederzugeben. Gehe hin zu ihm, fuehre ihn in sein Gemach oder in Dein Harem, denn Du bist sein Weib, und er soll keinen Preis fuer Dich zahlen, sondern mein Sohn sein, der sich einst nach meinem Tode mit Omar-Bathu in mein Erbe theilt!" Da trat der Mamelukenfuerst naeher und legte ihm die Hand auf den Arm. "Manu-Remusat, Du weisst, dass ich der Schaetze so viele besitze, wie Keiner, der am Nile oder in der Wueste wohnt. Gib Katombo all Dein Erbe; er ist es werth und hat es verdient; mir aber gib Sobeide, denn sie allein macht mich gluecklicher, als all' Dein Gold und alle Deine Edelsteine. Dort unten im Serai halten meine Kameele mit den Gaben, welche ich Dir fuer Sobeide brachte. Erlaube, dass ich sie herbeiholen lasse!" "Warum soll ich Schaetze von Dir nehmen, da ich doch nicht einmal die meinigen erhalten kann?" "Du wirst sie erhalten. Rufe den Kadi, damit er jetzt gleich unsere Ehe schliesse!" Manu-Remusat neigte zustimmend das Haupt und klatschte in die Haende, um dem sofort erscheinenden Diener den betreffenden Befehl zu ertheilen. "Komm!" fluesterte jetzt Ayescha. Halb zaertlich und halb zagend ergriff sie Katombos Hand und trat mit ihm durch die Thuer, welche nach ihrem Harem fuehrte. Dort angekommen musste sich der Juengling auf einen seidenen Divan niederlassen, worauf sie seine Wunde untersuchte und verband. Er fuehlte kaum die Schmerzen, welche ihm dadurch verursacht wurden; er fuehlte nur die Seligkeit, welche ihm die Naehe des herrlichen Wesens bereitete, und das Entzuecken des Gedankens, mit ihr von jetzt an immerdar vereinigt sein zu koennen. Sie hatte den Schleier laengst vom Angesicht genommen, und er konnte nun sein Auge an ihrer Schoenheit weiden. Seine Zuege besassen schon lange Zeit nicht mehr jene kuenstliche Braeune, welche sie bei den Zigeunern gehabt hatten, zwar waren sie von der Sonne des Suedens mit einem tieferen Kolorit ueberzogen worden, doch liess sich ihre kaukasische Abstammung unmoeglich mehr verkennen, und die edle Ruhe, welche sich in ihnen mit dem Ausdrucke der Entschlossenheit und des Muthes paarte, gaben ihnen ein Selbstbewusstsein, welches ein weibliches Herz sehr wohl zu fesseln vermochte. Jetzt legte er den Arm um sie und frug sie in jenem Tone, der nur der wahren innigen Liebe eigen ist: "Hast Du mein gedacht, als ich in Assuan war, Ayescha?" "Ja, Geliebter, an jedem Tage, zu jeder Stunde und zu aller Zeit." "Hast Du geglaubt, dass ich Dir Sobeide wiederbringe?" "Ich habe nicht daran gezweifelt, denn ich weiss, dass Du alles vermagst, was Du Dir einmal vorgenommen hast." "So muss es sein; der Mann muss an die Liebe seines Weibes und sie muss an die Macht des Mannes glauben! Deine Liebe ist wahr und innig, und wir werden unendlich gluecklich sein. Halte sie fest, Ayescha, denn es werden boese Tage kommen. Der Smum (Samum, giftiger Wuestenwind) erhebt sich ueber uns, und die Gefahr des Todes waelzt sich heran wie die Wogen des Kataraktes, der Alles zu verschlingen droht. Wirst Du stark und muthig bleiben an meiner Seite? Wirst Du Allah vertrauen, der im Himmel wacht, und mir, der tausend Leben hingeben wuerde, um das Deinige zu schuetzen?" "Ich vertraue ihm und Dir!" Sie schmiegte sich fester an seine Brust, und er blickte ihr mit unendlicher Seligkeit in die herrlichen Augen, die so klar und offen in die seinen blickten. "Ich danke Dir! Und nun mag kommen, was da will, wir werden geruestet sein und nicht verzagen!" Der Stern, zu dem er einstens in heisser Liebe aufgeblickt hatte, war untergegangen auf Nimmerwiederkehr; Zarba war vergessen, und an dem neuen Himmel erglaenzte ihm ein neues Licht, dessen Glanz ihn niemals taeuschen konnte. So sassen sie, selig in sich versunken, bis sich der Vorhang leise oeffnete und Sobeide erschien. "Kommt, der Kadi ist da!" "Muessen wir uns nicht schmuecken?" frug Ayescha. "Nein. Der Vater sagt, es sei heut keine Zeit dazu." Sie verliessen das Gemach und traten in den Divan, wo der Beamte sich neben Remusat und Omar-Bathu niedergelassen hatte, um das "Nargileh der Einleitung" zu rauchen. Er erhob sich, verbeugte sich auf das Tiefste vor den Eintretenden und liess sich dann wieder in seine wuerdevolle Haltung nieder. Auch Katombo nahm Platz und griff zur Pfeife, welche ihm einer der Sklaven reichte. Die beiden Maedchen setzten sich mit untergeschlagenen Beinen und tief verschleiert auf die Kissen, welche man zu diesem Zwecke auf den Teppich gelegt hatte. Das Schweigen dauerte so lange, bis der Kadi seine Pfeife geraucht hatte. Endlich legte er sie weg und raeusperte sich zum Zeichen, dass die Verhandlung ihren Anfang nehmen werde. Er begann mit der heiligen Fathha (Eroeffnung), welche die erste Sure des Koran bildet und von keinem Muselmanne bei einer wichtigen Angelegenheit hinweggelassen wird: "Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, ueber welche Du zuernest und nicht den der Irrenden! Lasst uns beginnen mit Omar-Bathu, dem grossen und gefuerchteten Emir der Mameluken!" Omar erhob sich, und der Kadi legte sich ein Pergamentblatt auf die Knie und griff zu dem Schilfrohre, um die noethigen Aufzeichnungen vorzunehmen. "Wie ist Dein erlauchter Name?" "Omar-el-Bathu." "Wie hiess Dein Vater und der Vater Deines Vaters?" "Mein Vater war der Mamelukenprinz Kaman-Ebn-Aku-el-Aret-Ben-Ommanam. Sein Vater war der beruehmte Fuerst Behluwan-Aku-el-Aret-Ben-Ommanam, den der grosse Sultan el Kebihr (Napoleon) liebte." "Wie ist der Name Deiner Mutter?" "Der wahre Glaeubige nennt einem Andern nicht den Namen eines Weibes. Sie war die Schwester des Sultan Ageb-Nureddin von Tebris." "Ich sehe, dass Du ein strengglaeubiger Sohn des Propheten bist. Du darfst Dich setzen!" Er wandte sich jetzt an Manu-Remusat: "Wie ist Dein vollstaendiger Name?" "Er lautet Manu-Remusat-el-Benu-Halal." "Welche Deiner Toechter willst Du Omar-Bathu verkaufen?" "Die Aelteste." "Wie viel gibt er Dir dafuer?" "Der Preis liegt im Serai; Manu-Remusat zaehlt ihn nicht." "Habt Ihr noch etwas zu bemerken?" "Nein." "So setzt Eure Namen unter das, was ich geschrieben habe!" Dies geschah und dann wandte sich der Kadi an Katombo: "Jetzt mag der junge Reis sprechen! Wie ist Dein lobenswerter Name?" "Katombo." "Ist er nicht laenger?" "Nein!" "Wie ist der Name Deines Vaters?" "Ich kenne ihn nicht." Der Kadi machte eine Bewegung der groessten ‹berraschung. Wenn es im Oriente schon nicht empfiehlt, einen einzigen Namen zu besitzen, so ist es geradezu eine ganz ausserordentliche Schande, seinen Vater nicht zu kennen. "Allah kerihm, Gott ist gnaedig! Du kennst den Namen Deines Vaters nicht?" "Nein." "Wie hiess der Vater Deines Vaters?" "Auch das weiss ich nicht." "Wessen Tochter war Deine Mutter?" "Ich habe weder sie gekannt noch ihren Vater." "Allah akbar! Gott gibt jedem Baume seinen Kern und jedem Thiere seinen Erzeuger; Dich aber hat er den Vater nicht sehen lassen. Du bist ungluecklich unter den Kindern der Erde und verlassen unter den Soehnen der Menschen! Was soll ich schreiben, wenn Du keinen Vater hast?" "Huete Deine Zunge, o Kadi, denn ich bin nicht gewohnt zu hoeren, was mir nicht gefaellt! Ich wurde meinem Vater geraubt, als ich noch nicht lallen konnte; wer ist schuld daran, ich oder Du?" "Du nicht, und auch ich nicht!" "Allah erleuchte Deinen Verstand, dass Du das Richtige erkennst; warum sprichst Du also Worte, die mich beleidigen? Schreibe den Namen dessen, der mir dann Vater geworden ist!" "So sage ihn!" "Sein Name lautet Kanaveda-el-Vajda-el-Brinjaari!" antwortete Katombo, indem er den Namen des Zigeunervaters nebst seinem Stand moeglichst in das Arabische uebertrug. "Und wer war Deine Mutter?" "Sie war Vajdzina, das heisst Fuerstin beim Volke der Lombadaaren." "Allah segne Dich, mein Sohn, den Du hast grosse und beruehmte Eltern gehabt. Aber sie muessen in einem sehr fernen Lande wohnen, den die Worte, welche Du sagst, gehoeren nicht in die Gegend el Arab." Katombo huetete sich wohl, ihm irgend welche Aufklaerung zu geben, und so wandte sich der Kadi wieder an Manu-Remusat. "Deinen Namen habe ich schon geschrieben. Welche Deiner Toechter willst Du diesem Katombo-Ebn-Kanaveda-el-Vajda-el-Brinjaari zur Frau geben?" Der Gefragte konnte mit den Andern ein leises Laecheln darueber nicht verbergen, dass Katombo ploetzlich einen so schoenen, langen und hochtrabenden Namen erhalten hatte, und antwortete: "Die Juengste." "Wie viel gibt er Dir dafuer?" "Er hat einen Preis gezahlt, wie ihn kein Koenig geben kann, ich zaehle ihn nicht." "Habt Ihr noch etwas zu bemerken?" "Nein." "So schreibt Eure Namen auf dieses Pergament!" Es geschah; der Kadi gab sein Siegel und seine Unterschrift dazu und reichte Omar-Bathu und Katombo je eines der Schriftstuecke. Dann erhob er sich. "Steht auf, denn ich habe meines Amtes gewartet, und wir werden Al-Kadar, die siebenundneunzigste Sure des Kuran beten!" Sie erhoben sich alle, auch die Frauen, um die Haende zu falten, und der Kadi betete: "Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wahrlich, wir haben ihn, den Kuran, in der Nacht Al-Kadar geoffenbart. Was lehrt Dich aber begreifen, was die Nacht Al-Kadar ist? Die Nacht Al-Kadar ist besser als tausend Monate. In derselben stieg herab der Engel der Geister, mit Erlaubniss ihres Herrn, mit den Bestimmungen Gottes ueber alle Dinge. Friede und Heil bringe Euch diese Nacht bis zur Morgenroethe!" Er liess eine kurze Pause eintreten und fuegte dann hinzu: "Ihr Maenner, jetzt steht Euch der Weg zum Harem Eurer Weiber offen; fuehrt sie dahin, wo sie Euch sein sollen wie die Huri des Paradieses, um zu begluecken Eure Herzen und zu staerken Eure Glieder fuer die Kaempfe und Muehen des Lebens!" Jeder der beiden Verheiratheten nahm seine Frau und entfernte sich mit ihr. Manu-Remusat blieb mit dem Kadi zurueck. Er griff hinter sein Kissen und zog einen Beutel hervor, zwischen dessen Maschen glaenzendes Gold durchschimmerte. "Deine Hand soll offen sein dem Bruder und reichlich geben dem Diener des Propheten!" sagt der Kuran. Hier, Kadi, nimm was Dir gehoert!" Der Beamte ergriff den Beutel mit einer Miene, in welcher sich die freudigste ‹berraschung aussprach. Er schwieg einen Augenblick, als ringe er mit einem Entschluss; dann frug er: "Wirst Du den Maennern Deiner Toechter heut ein Fest geben, wie es gebraeuchlich ist unter den Kindern des Propheten?" "Nein. Es ist Truebsal ueber mich gekommen und Herzeleid ueber mein ganzes Haus. Du bist Kadi und wirst wissen, was ich meine." "Ich weiss es." "Der Kaschef hat es Dir erzaehlt?" "Er war bei mir." Er zoegerte noch einen Augenblick; aber das reiche Geschenk hatte ihn mittheilsam gemacht; darum fuhr er halblaut fort: "Er hat mir sein Amt fuer so lange uebertragen, als er abwesend ist." "Wo geht er hin?" "Nach Kairo." "Wann?" "Um Mitternacht." "Mit welchem Schiffe?" "Mit dem Deinen." "Mit welchem? Er ist noch nicht hier gewesen, um es zu miethen." "Er wird es nicht miethen. Er wird um Mitternacht mit acht Khawassen Deinen Sandal besteigen, um ihn, gerade so, wie er ist, nach Kairo zu fahren, damit der Khedive Alles mit eigenen Augen sehen soll." Manu-Remusat erschrak, denn er musste aus dieser Massnahme ersehen, dass sein Untergang beschlossen sei. "Und Dir laesst er den Auftrag zurueck, mich und die Meinen streng zu bewachen." "So ist es. Was ist Dir Deine Freiheit werth?" "Wie viel gilt Dir das Leben des Kaschef?" "Ich sehe, dass Du ein kluger Mann bist, Manu-Remusat. Sage mir offen Deine Gedanken!" "Du wirst Kaschef, wenn er nicht nach Kairo kommt und auch niemals von Kairo zurueckkehrt." "Deine Gedanken sind auch die meinigen. Sprich weiter!" "Welches steht Dir hoeher im Preise, meine Freiheit oder diese Stelle?" "Allah schenke Dir alles Gute und mir die Stelle! Aber er wird zurueckkehren und Du wirst sterben!" "Meinst Du, dass Manu-Remusat sich vor einem Henker fuerchte und ihm sein Haupt mit knechtischer Ergebenheit unter den Saebel legt? Wer wird mich bis Mitternacht bewachen, Du oder er?" "Ich, denn er hat keine Zeit dazu, weil er sich zur Reise vorbereiten muss. Ich soll immer zwoelf Khawassen um Dein Haus stellen, bis er wiederkehrt, und nur diejenigen Diener aus- und eingehen lassen, welche fuer Euch Nahrung holen." "So merke auf, was ich Dir sage! ich schwoere Dir beim Barte des Propheten, dass er niemals zurueckkehren wird, wenn Du mir schwoerst, bis um Mitternacht Deine Khawassen von mir fern zu halten." "So schwoere es!" "Ich schwoere. Auch Du?" "Auch ich." "Beim Barte des Propheten?" "Beim Barte des Propheten!" "So gib mir Deine Hand!" "Hier hast Du sie!" Sie schlugen ein. Dann zog Remusat einen kostbaren Ring von seinem Finger und reichte ihn dem Kadi. "Hier, nimm diesen Diamant als Bestaetigung meines Schwures. Er ist gross und hat mehr Werth als vieles Gold. Du darfst ihn ohne Scheu tragen, denn es hat ihn hier noch Niemand gesehen." "Deine Hand ist wie die Hand des Morgens, welcher Licht und Waerme bringt und Segen spendet. Allah sei mit Dir auf allen Deinen Wegen. Sallam aaleikum!" "Sallam aaleikum, Friede sei mit Dir!" Der Kadi entfernte sich. Er hatte ein besseres Geschaeft gemacht, als er jemals erwarten konnte. Manu-Remusat gab einem herbeigerufenen Diener Befehl, sofort seine beiden Schwiegersoehne rufen zu lassen. Sie erschienen, und er theilte ihnen seine Unterredung mit dem Kadi mit. "Fliehe mit mir!" meinte Omar-Bathu, der Mameluk. "Du bist nirgends sicher, als nur bei mir in der Wueste." "Auch dorthin dringen die Haescher des Khedive." "Ich werde Dich zu schuetzen wissen!" "Du wirst mich schuetzen und dann mit mir untergehen. Nein, Omar, nimm Sobeide und die Schaetze, welche Du ihr brachtest, und kehre zu den Deinigen zurueck! Ich weiss einen Ort, an dem ich sicherer bin, als selbst im wilden Dschebel Artalan, und von da aus werde ich zuweilen kommen, um Dich und Sobeide zu besuchen." "Wo ist dieser Ort?" "Es ist eine Insel im Meere, die Niemand kennt als nur ich allein, ich entdeckte sie, als ich noch der Bei-el-Reis des Khedive war. Dorthin gehe ich mit Katombo und Ayescha, und nur die Moeve, welche in den Lueften schwebt, wird uns sehen." "So willst Du den Nil hinunterfahren?" "Ja, mit dem Sandal und meinen DahabiÈs, in die ich bis zur Mitternacht meine Habe verlade." "Und der Kaschef, welcher mit dem Sandal fahren will?" "Wird in Ketten fahren oder auf dem Grunde des Niles auf den Tag der Auferstehung warten." "Ich werde Dich begleiten, bis Du sicher bist!" "Du wirst noch heut Siut verlassen und nur allein fuer die Sicherheit Sobeidens sorgen. Ich habe Katombo bei mir und viele treue Diener, auf die ich mich verlassen kann. Macht Euch fertig, ich werde jetzt die Tochter vorbereiten!" Kurze Zeit spaeter begann zwischen dem Hause und dem Flusse im Dunkel der Nacht ein ausserordentlich reges und geschaeftiges Leben sich zu entfalten. Auf mehreren DahabiÈs vernahm man das Geraeusch von Kisten und Ballen, welche an Bord gebracht und in den Raum verladen wurden; emsige Gestalten eilten hin und her, und nur der Sandal lag einsam und verlassen da, wie ein schlafendes Wasserungeheuer, welches sich im Traume von den Wogen leise hin und her wiegen laesst. Draussen vor der Stadt hielt im Dunkel dieselbe Karawane, welche kurz vor der Daemmerung ihren Einzug in Siut gehalten hatte. In ihrer Mitte lag auf dem Boden eines jener Hedschin (Reitkameele) welche, vom Stamme der Bischarihn erzeugt, fuer die edelsten und besten Thiere der Wueste gelten. Es trug, wie man beim Schimmer des suedlichen Sternenhimmels erkennen konnte, auf seinem Ruecken einen mit kostbaren Teppichen belegten und behangenen Tachterwan (Kameelkorb fuer Frauen), der nur zur Aufnahme eines vornehmen Weibes bestimmt sein konnte. Unter den Reitern, welche abgestiegen waren und bei ihren Thieren hielten, herrschte eine tiefe lautlose Stille, welche erst unterbrochen wurde, als leise nahende Fusstritte zu vernehmen waren. Zwei barfuessige Diener brachten eine Saenfte getragen, hinter welcher Manu-Remusat und Omar-Bathu schritten. Die Saenfte wurde niedergesetzt und geoeffnet. Sobeide stieg aus. Als sie die fremden Maenner bemerkte, die sie mit sich fortnehmen sollten, warf sie die Arme um den Hals ihres Vaters und brach in ein lautes Schluchzen aus. Remusat hob leise den Schleier und kuesste sie auf die Stirn. "Weine nicht wieder, mein Kind, denn mein Herz blutete bereits, als Du von Ayescha schiedest. Banne den Schmerz in die Tiefe des Herzens, denn Allah ist gnaedig und wird geben, dass wir uns wiedersehen." Sie schluchzte leise fort, bis er sie in die Arme Omar-Bathus legte. "Sie war mir verloren und wurde mir wiedergebracht. Ich gebe sie Dir; aber das Kind bleibt dem Vater, so lange die Pulse schlagen: ich werde Dich und sie wiedersehen!" "Mein Zelt wird Dir offen stehen, so oft Dein Fuss zu mir kommt, und dann wirst Du Dich an dem Gluecke Deiner Kinder erfreuen. Gern haette ich Dich bis nach Kairo begleitet, denn ich bin maechtig unter den Meinen und mein Name haette Dir vielen Nutzen bringen koennen. Doch Du hast nicht gewollt." "Ich haette Dich in das Verderben gezogen, welches meiner wartet, sobald man mich ergreift. Nun aber weiss ich Dich und mein Kind bei Dir in Sicherheit. Allah sei mit Euch jetzt und in Ewigkeit! Lebe wohl, meine Tochter; lebe wohl, mein Sohn; lebt wohl, ihr Maenner. Sallam aaleikum, Friede und Heil sei mit Euch!" "Sallam aaleikum!" ertoente es als Gegengruss rundum im Kreise der Reiter. Sobeide bestieg unter immerfort rinnenden Thraenen den Tachterwan; die Trennung war ihrem Gemuethe zu schnell und unerwartet gekommen. Die Kameele erhoben sich vom Boden; die Reiter bestiegen ihre Pferde, und nach einem letzten "Sallam" stob die Schaar von dannen. Noch einige Minuten stand Manu-Remusat allein auf der Stelle, bis der Hufschlag der Thiere vollstaendig verklungen war, dann wandte er sich um, erst langsam und spaeter immer eiliger zurueckkehrend, aber nicht zu seinem Hause, denn dieses stand bereits vollstaendig leer, sondern an das Ufer des Flusses, wo man schon seiner wartete. Waere es Tag gewesen, so haette man weit unterhalb des Kaffeehauses eine DahabiÈ schwimmen sehen, welcher eine zweite und eine dritte folgte. Sie alle waren moeglichst geraeuschlos vom Lande gestossen und liessen sich ohne Segel einstweilen nur von den Wogen treiben. Die ersteren konnten nur dann erst aufgezogen werden, wenn man das Gebiet der Stadt verlassen hatte, und das war kein ganz ungefaehrliches Unternehmen, da das Fahrwasser des Niles wegen seiner alljaehrlichen ‹berschwemmungen so truegerisch ist, dass die Schiffer, wenn sie nicht durch die Noth oder irgendein unabweisbares Gebot gezwungen sind des Nachts zu fahren, gewoehnlich des Abends an das Ufer legen, um erst mit dem Beginne des Morgens weiterzufahren. Der Sandal aber lag noch ebenso ruhig wie vorher. Manu-Remusat schlich sich vorsichtig auf ihn zu. Am Ufer lagerten zwischen allerlei Tau- und anderen Schiffswerk eine Anzahl von Maennern, welche er sich unter seinen Untergebenen ausgewaehlt hatte; bei ihnen hielt Katombo. "Wo ist Ayescha?" frug er diesen. "Dort auf der Taurolle sitzt sie." "Werden wir sie wirklich in den Raum bringen, selbst wenn alles gelingt? Ich haette sie doch auf einer DahabiÈ einschiffen sollen, wir konnten sie dann spaeter an Bord nehmen." "Sie will sich auf keinen Augenblick von Dir und mir scheiden. Sie hat ein muthiges Herz und wird uns das Werk nicht erschweren. Hier ist die Strickleiter; befestige sie an das Tau, wenn Alle eingestiegen sind. Wenn Du sie straff anziehst, wird Ayescha leicht emporsteigen koennen. Jetzt aber will ich hinauf, denn es ist nicht weit von Mitternacht, und der Kaschef kann alle Augenblicke kommen." "Sei vorsichtig, mein Sohn, denn von Dir haengt das Gelingen unseres Werkes ab!" Katombo trat in das Wasser und watete leise bis an die Seitenwand des Fahrzeuges. Hier hing ein Tau vom Bord herab. Er ergriff es und schwang sich empor. Die Fussspitzen an die Planken stemmend und sich fest am Seile haltend, schob er nur die Augen ueber Deck, um erst zu sehen, wo die Waechter waren. Sie sassen beim Scheine der Schiffslaterne hinten am Steuer und er erkannte aus den Bewegungen ihrer Arme, dass sie wuerfelten. Schnell schwang er sich an Bord und kroch vorsichtig zwischen den herumliegenden Leichen nach der Raumluke. Hier glitt er die Treppe hinab und trat zur Seitenwand, wo er eine Seitenluke oeffnete, welche gross genug war, einen auch kraeftigen Mann hindurchzulassen. Er hatte gewusst, dass im Raume, der jetzt keine nennenswerthe Ladung hatte, Taue genug lagen. Er ergriff eines derselben, befestigte es an dem Lukennagel und liess es aussen niedergleiten. Es wurde von den Maennern bemerkt, welche sofort einer nach dem andern in das Wasser gingen, emporkletterten und sich hereinschwangen. Zuletzt befand sich nur noch Manu-Remusat mit Ayescha am Ufer. Der erstere ging in das Wasser, um die Strickleiter an das Tau zu befestigen; sie wurde emporgezogen. Nun ging er zurueck und trug die Tochter herbei, welche sich auf die schwanken Sprossen stellte. Er fasste die Leiter und zog sie straff an, so dass das muthige Maedchen leichter emporsteigen konnte. Sie wurde von Katombo in Empfang genommen und in das Innere des Schiffes gezogen. Jetzt stieg Remusat nach und die Leiter wurde hereingenommen. "Jetzt Alle hinunter in den Ballastraum!" gebot Katombo. "Dorthin wird Niemand kommen, wenn das Schiff je untersucht werden sollte." Diesem Befehle wurde Folge geleistet, so dass nur die beiden Maenner mit Ayescha zurueckblieben. Diese Letztere wurde von Katombo in den Verschlag gefuehrt, welchen er vorher fuer sich und Sobeide hergerichtet hatte. Er verschloss die Kajuetenthuer mit dem Riegel und kehrte dann zu Manu-Remusat an die Luke zurueck. Sie hatten noch nicht lange an derselben gestanden, so bemerkten sie mehrere Gestalten, welche sich dem Ufer naeherten. "Sie kommen," meinte Remusat. "Jetzt muessen wir uns zu Ayescha zurueckziehen." Sie thaten dies und schoben, als sie in den Verschlag getreten waren, die losen Bretter vor. Einige Sekunden spaeter bemerkten sie an dem Geraeusch, welches an der Schiffswand zu hoeren war, dass der Kaschef mit seinen Khawassen an Bord stieg, und nach einigen Minuten kamen mehrere Leute mit einem Lichte in den Raum hinab, um denselben zu untersuchen. Was Katombo erwartet hatte, geschah, sie stiegen nicht hinab in den Ballastraum, sondern kehrten, ohne den Verschlag entdeckt zu haben, auf das Deck zurueck. Nun hoerte man Hoelzer knarren und Seile und Taue rollen. Ein schwerer Schlag an den Bug bewies, dass der Anker aufgenommen wurde, der Sandal kam in langsame Bewegung. Er ging mit seinem Spriete landab, waehrend der Stern am Ufer sass; als aber die Wasser seine Seite im spitzen Winkel fassen konnten, wandte er sich schneller; sie draengten sich mit stiller lautloser Kraft an Backbord, waehrend sie am Steuerbord widerstrebend rauschten, bis der Stern sich vom Lande loeste und das Fahrzeug den Wogen und dem Steuer nun vollstaendig gehorchte. "Ob sie wohl segeln?" frug Manu-Remusat. "Nein." "Wie willst Du das erkennen?" "Der Sandal wuerde dann schneller gehen als das Wasser, und folglich muesste das letztere an seinem Holze rauschen; es laesst sich aber nicht das geringste Geraeusch vernehmen, folglich treibt er mit der Fluth." "Du bist klueger geworden als Dein Lehrer, Katombo, und wenn Du so fort in den Buechern lernst, so wirst Du ein grosser und beruehmter Schiffer werden." "Die Buecher thun es nicht allein, man muss hinauf auf die hohe See, und da bin ich noch nicht gewesen." "Wir werden jetzt hinausgehen." "Mit welchem Schiffe?" "Mit unserer "Djuhr-el-Djinne". Wir duerfen kein anderes Fahrzeug nehmen, weil Niemand unseren Aufenthalt erfahren soll." "Aber wird der Sandal auch seetuechtig sein?" "Er wuerde es nicht sein, wenn er so flach auf den Bug gebaut waere, wie andere Flussschiffe; Du aber hast ihn scharf auf den Kiel gesetzt und wenn wir Einiges im Takelwerk veraendern, so koennen wir bei nicht gar zu boesem Wetter eine Fahrt von mehreren Tagen wagen." Jetzt verging eine laengere Zeit; dann wurde nebenan die Kajuete geoeffnet, und der Kaschef trat ein, begleitet von einem seiner Khawassen, welcher die Lampe anzuendete. Er setzte sich auf eines der daliegenden Polster und meinte, mit einem behaglichen Gaehnen die Beine unterschiebend: "Hier werde ich bleiben bis es Tag ist. Kommt etwas Wichtiges vor, so ruft Ihr mich; jetzt aber holst Du mir meine Pfeife." Er lag mit dem Ruecken gegen die Thuer, welche ihn von den Lauschern trennte; der Khawass entfernte sich; Katombo stiess Manu-Remusat an. "Jetzt!" fluesterte er. "Warum? ‹bereile Dich nicht!" "Wir bekommen ihn nicht besser, und die Leute koennen es im Ballastraume nicht lange aushalten." Er ergriff den Riegel leise, schob ihn mit einem schnellen Rucke auf, zog die Thuer herueber und hatte in demselben Augenblicke auch schon den Kaschef so bei der Kehle gepackt, dass dieser keinen Laut auszustossen vermochte. Er zog ihn herein zu Remusat. "Halte ihn, bis ich den Khawassen habe!" Remusat griff zu, und Katombo trat in die Kajuete. Nur wenige Augenblicke spaeter trat der Polizist herein, das Nargileh in der Hand. Er bemerkte sofort, wen er vor sich hatte, bekam aber keine Zeit zu entfliehen oder auch nur aufzuschreien, denn Katombo ergriff ihn rasch beim Halse und riss ihn herein, so dass er die Pfeife fallen liess und die Haende weit auseinanderschlug. In diesem Augenblicke ertoente hinter ihm ein lauter Schrei; er blickte sich ueberrascht um und sah im Scheine des Lichtes draussen im Verschlage eine Waffe blinken. Schnell entschlossen riss er seinen Dolch aus dem Guertel und stiess ihn dem Khawassen in die Brust. Remusat hatte den Fehler begangen, seine Hand vom Halse des Kaschef zu nehmen, und dieser war dadurch zu Athem und zu der Kraft gekommen, seine Pistole zu ziehen. Er wollte schiessen; Remusat ergriff ihn bei der Faust, konnte aber nicht verhindern, dass der Schuss losging. Gluecklicher Weise schlug die Kugel, ohne Jemand zu treffen, in das Gebaelk des Verschlages. "Nieder mit ihm!" rief Katombo, welcher Ayescha zu Boden sinken sah. Eine Ohnmacht hatte sie ergriffen; er aber glaubte, dass sie von der Kugel getroffen worden sei, stuerzte sich auf den Kaschef und stiess ihm den Dolch von hinten so kunstgerecht in das Herz, dass der Getroffene leblos zusammenbrach. Dann zog er die Kajuetenthuer zu und verriegelte sie von innen. "Bist Du verwundet, Vater?" "Nein," antwortete Remusat. "So eile nach dem Ballastraume und rufe die Leute. Ich halte hier die Kajuete, und Du gehst auf das Deck; es darf keiner entkommen!" Manu-Remusat schob die Bretter des Verschlages zurueck und kroch hinaus. Schon klopfte es laut und heftig an die Kajuetenthuer; Katombo aber kuemmerte sich nicht darum, sondern bueckte sich zu Ayescha nieder, um nach ihrer Wunde zu sehen. "Hamdullillah, Preis sei Gott; sie ist nicht verwundet; sie ist nur ohnmaechtig, und die Kugel ist hier in diesen Balken gedrungen!" Jetzt stellte er sich hinter die Thuer und zog seine beiden Doppelpistolen. "Kaschef - Sihdi - Effendi - Effendina!" rief es draussen, und als keine Antwort ertoente, krachten kraeftige Fusstritte gegen die Thuer. Da erscholl vom Verdecke herab ein lauter Ruf des Schreckes, und nun war es Zeit fuer Katombo. Er stiess die Thuer auf, drei Maenner standen auf der engen Treppe; der Hinterste wandte sich soeben um, um zu sehen, was droben am Decke vorgegangen sei. Zwei Schuesse krachten und noch einer, alle gut gezielt. Der kleine Raum fuellte sich mit dichtem Pulverdampf. Katombo zog die Thuer wieder in den Riegel und wandte sich nach dem Verschlage. "Vater - Katombo!" hoerte er Ayescha rufen. Der Knall der Schuesse hatte sie aus der Ohnmacht geweckt. "Hier, Ayescha!" "Allah helfe uns! Was ist vorgegangen?" "Wir siegen. Bleibe noch hier; ich komme gleich wieder!" Er drang hinaus in den Raum, welcher leer war und eilte zur Treppe empor. Oben leuchteten die Sterne wie vorher, und beim Scheine derselben konnte er sehen, wie Remusat einen Khawassen niederstiess, den letzten, welcher zu sehen war. "Fertig?" frug er. "Erst sieben. Wo sind die andern?" "Todt, auf der Kajuetentreppe." "Holt sie herauf!" gebot Remusat seinen Leuten. In kurzer Zeit lagen die Leichen auf dem Vorderdeck, und Ayescha ruhte, angegriffen von dem Geschehenen, unter demselben Zelte, unter welchem vor ihr Sobeide sich befunden hatte. Jetzt wurden Steine aus dem Raume geholt, um die Todten zu versenken. Waehrend dieser Arbeit leuchteten zu beiden Seiten des Stromes hinter dem Sandal helle Schilffeuer auf. Man hatte an den Ufern die Schuesse und das Geschrei des Kampfes vernommen; das stattliche Fahrzeug aber war mittlerweile mit dem Strome so weit fortgegangen, dass man es nicht mehr erblicken konnte. Endlich war die letzte Leiche den Fluthen uebergeben, und nun galt es, die Spuren des Kampfes zu verwischen "Schoepft Wasser, Ihr Maenner, und scheuert das Deck und die Kajuete," gebot Remusat. "Am Morgen muss Alles blank sein wie zuvor; dann ziehen wir die Segel auf und holen die DahabiÈs ein." Zwischen Bord und Masten tummelten sich nun die Schiffer; Manu-Remusat beaufsichtigte sie, und Katombo sass im Zelte bei Ayescha, um sie zu beruhigen und ihre Bangigkeit ueber die Folgen ihres heutigen Abenteuers zu verscheuchen. Sie lag an seinem Herzen und schlummerte endlich ein, eingewiegt von den suessen Worten, welche er nicht muede wurde ihr in das Ohr zu fluestern. Auch er war muede nach den anstrengenden Ereignissen der letzten Tage; er legte den Kopf an die Zeltwand und schloss die Augen; Der Schlaf umarmte ihn gerade so, wie er sein junges Weib in den Armen hielt. Als er erwachte, blickte die Sonne bereits ueber die Hoehen des Dschebel Nokkladam herueber. Er liess den Kopf Ayeschas auf das Kissen gleiten und erhob sich. Das blanke Deck zeigte nicht die geringste Spur des stattgefundenen Gefechtes, und an den Masten flatterten bereits die Segel, welche Manu-Remusat soeben aufnehmen liess. Sie wurden straff gespannt; der Wind fing sich in ihnen, und bald war die Schnelligkeit des Sandals um mehr als das Doppelte vergroessert. ‹ber den blitzenden Wassern kreuzten die Schwalben, jene Namensschwestern des Sandals, welche der Araber Djuhr-el-Djienne, Voegel des Paradieses nennt, weil die fromme Sage von ihnen erzaehlt, dass sie den Menschen nicht verlassen wollten, als dieser aus dem Paradiese getrieben wurde, sondern an dem flammenden Schwerte des Engels vorueberflogen, um den Ureltern des menschlichen Geschlechtes in die Verbannung zu folgen; im Schilfe schnaebelten sich die weissen Niltauben, die dem Eingeborenen heilig sind, ziemlich unbekuemmert um die Krokodile, welche hier und da mit dem Aussehen von schlammueberzogenen Holzkloetzen am Ufer oder irgend einer Sandbank lagen, und hoch droben in der Luft liess der Geier bereits seinen schrillen Ruf vernehmen, waehrend der schlanke Falke an ihm vorueberschoss, um ihm seine Beute abzujagen. An den Ufern wechselten Reis- mit anderen Feldern, eine gruenende Pflanzung folgte der andern, und ueber ihnen allen ragten die schwanken, gefiederten Wedel der Palmen empor. Zuweilen sah man einen nackten Fellah in sein aermliches Boot steigen, um Fische zu fangen, oder es trat ein Fellahmaedchen an das Wasser, um den thoenernen Krug zu fuellen und ihn auf dem Kopfe heimzutragen und dabei einem bronzenen Bilde zu gleichen, dessen Formen der Kuenstler nicht schoener und plastischer darzustellen vermocht haette. Dann fuhr man wieder an einem Felde vorueber, dessen Besitzer mit einem Joch Ochsen einen Holzpflug von demselben primitiven Baue regierte, wie die alten Egypter schon vor dreitausend Jahren sich desselben bedienten. Es war eine Scenerie, die jeden Fremden in ihrer streng individuellen Eigenthuemlichkeit auf das Hoechste interessiren musste. Nach und nach belebte sich der Strom immer mehr, und kaum waren einige Stunden vergangen, so hatte der Sandal die drei DahabiÈs ueberholt. Die Flussreise ging gluecklich von statten, bis die "Djuhr-el-Djienne" wohlbehalten im Hafen von Bulakh vor Anker ging. Hier wurden die DahabiÈs erwartet und nach ihrer Ankunft sammt ihrem Inhalte sofort verkauft. Die Besatzung dieser drei Fahrzeuge wusste nicht, was waehrend der ersten Nacht ihrer Reise auf dem Sandal passirt war, und konnte daher ohne alles Bedenken entlassen werden. Anders war es mit der Bedienung des Sandals. Auf diese musste Manu-Remusat Ruecksicht nehmen. Er behielt sie bei sich und beschloss, sie sogar mit nach seiner einsamen Insel zu nehmen. ‹brigens haette er ja auch gar nicht anders gekonnt, da er ja Leute brauchte, um das Fahrzeug zu regieren. Vor dem Verkaufe der DahabiÈs war Alles, was sie Nothwendiges fuer die Fluechtlinge an Bord fuehrten, auf den Sandal gebracht worden, auf welchem man nun Kairo verliess, um nach Alexandrien zu gehen. Auch hier kam die "Djuhr-el-Djienne" gluecklich und unangefochten an, und sofort nahm Remusat die noethigen Arbeiter an Bord, um die von ihm beabsichtigten Veraenderungen an dem Fahrzeuge vorzunehmen. Leider war gerade gegenwaertig keine guenstige Zeit zum Auslaufen. Die Pforte stand im Kriege mit Norland, welches ein ansehnliches Geschwader in die tuerkischen Gewaesser geschickt hatte. Einige Segel davon kreuzten draussen vor Alexandrien, und wenn es auch einmal einen Tag lange schien, als ob die Blokade aufgegeben worden sei, so waren sie am andern Morgen sicher wieder zu sehen. Schon waren die Arbeiten auf dem Sandal ihrer Vollendung nahe, als Remusat mit Katombo auf dem Verdeck stand, um sich ihre Befuerchtungen in Beziehung der Ausfahrt mitzutheilen. Laenger zu bleiben war nicht rathsam; bei Nacht getraute sich wohl kaum ein Lootse aus dem Hafen, und wenn sie es wagten, am Tage die Anker zu lichten, so fielen sie mit Sicherheit in die Haende der feindlichen Kreuzer. "Es ist besser, wir bleiben," meinte Manu-Remusat. "Es wird sehr schwer halten, unsern Sandal zu erkennen; der Name ist fort und ein anderer an seiner Stelle, und wer die Takelung sieht wird meinen, ein kleines Schiff von der Sorte vor sich zu haben, welches die Franken Kuestenklepper nennen." "Aber Dich und mich kann man erkennen, obgleich wir das Fahrzeug nicht verlassen und in keinen Serai und zu keinem Kawuadschi kommen. Wir werden gewiss einen Lootsen finden, der es versteht und wagt, uns des Nachts aus dem Hafen zu bringen." "Aber wir muessen der Kueste folgen und werden also immerhin auf Kreuzer stossen." "Der Kueste? Nein, wir gehen in die offene See." "Bist Du sicher, die Schiffsbuecher gut zu fuehren und alle Berechnungen richtig machen zu koennen?" "Ich fuerchte mich vor keinem Admiral," laechelte Katombo. "Dann koennten wir es wagen, obgleich ich Dich dazu nicht brauche; doch muss man alle Faelle in Berathung ziehen. Aber wer ist dort der Mann, welcher uns und unser Fahrzeug so sorgfaeltig in die Augen nimmt?" "Welcher?" "Der am Krahn, in der Kleidung eines Levantiners." "Ah der! Mir scheint, dass ihm der Anzug eines Mameluken besser stehen wuerde." "Eines Mameluken? Wirklich. Allah akbar, Gott ist gross, und meine Augen waren mit Blindheit geschlagen! Es ist derselbe Mameluk, welcher Omar-Bathu stets begleitete, wenn dieser mich besuchte. Sollte er hier sein um uns zu finden? Ich werde ihn rufen!" "Thue es, wenn Du seiner Verschwiegenheit sicher bist!" "Ich bin es. Es ist ein verschwiegener Mann und Omar-Bathu treu ergeben." Er brauchte nicht laut zu rufen, sondern nur zu winken, da der Mameluk ohne Unterlass herueberblickte. Auf das Zeichen hin kam er naeher und trat ueber die Laufplanke an Bord. "Sallam aaleikum!" "Aaleikum! Wen suchst Du?" "Ich darf den Namen dessen, den ich suche, nicht nennen." "Wer hat es Dir verboten?" "Mein Herr, Omar-Bathu, der Mamelukenbei. Ich soll hier zwei Maenner und ein junges Weib aufsuchen und dann schnell zurueckkehren, um zu melden, dass sie die See gluecklich erreicht haben." "Du hast sie gefunden. Wie geht es meiner Tochter?" "Mein Herr laesst Dir sagen, dass sie gesund und gluecklich ist, nur betruebt sie sich, dass Du nicht bei ihr sein kannst mit der Schwester und dem Sohne." "Wie ist es moeglich, dass Du so schnell nach Alexandrien gekommen bist." "Mein Herr gab mir zwei seiner besten Djemmels mit, ein Bischerihnhedschin und eine Tuaregfalle." "Und warum kamst Du nicht gleich zu mir, als Du mich erblicktest?" "Ich erkannte Dich sofort, aber ich wusste nicht, ob dieses Schiff das Deinige sei, denn mein Herr hat es mir anders beschrieben." "Hast Du mir sonst noch etwas zu sagen." "Ja. Der Kaschef von Siut ist ermordet worden mit zehn seiner Khawassen; man weiss es bereits in Kairo und meint, dass Du es gewesen bist. Verweile Dich nicht laenger in Alexandrien!" "Ich werde Deinen Rath befolgen, doch komme herunter und staerke Dich mit Speise und Trank!" "Dieses darf ich nicht eher thun, als bis ich die Befehle meines Herrn erfuellt habe. Willst Du, Sihdi, dass ich Dir einen Lootsen schicke, der draussen in Rosette wohnt und Dich des Nachts ganz sicher aus dem Hafen bringen wird? Es ist der Bruder meines Weibes." "Thue es, und zehn Goldstuecke sind Dein eigen!" "Gib sie ihm, wenn Du sie geben willst. Ich aber habe Omar-Bathu zu gehorchen und darf nichts von Dir nehmen. Sallam aaleikum!" Er sprang ueber die Laufplanke hinueber und verschwand in dem Getriebe der Menschen, welche am Ufer auf- und niederwogten. Das Erscheinen des Mameluken hatte alle Zweifel und Bedenken beseitigt; es wurde alles zur Abfahrt geruestet, und waehrend dessen erwarteten sie seine Wiederkehr. Aber er kam nicht; es begann bereits zu dunkeln, und schon wollte sich ein boeser Argwohn sowohl bei Remusat als auch bei Katombo geltend machen, als ein Mann die Planke betrat, den man sofort als einen Schiffer erkannte. "Wer bist Du?" frug Remusat. "Mein Name ist Tiba-Ben-Afram. Mich sendet mein Bruder." "Wer ist Dein Bruder?" "Du hast ihn bereits gesprochen, Sihdi, als er Dir Gruesse brachte von Omar-Bathu, dem Mamelukenbei." "Wo ist er?" "Zurueckgekehrt zu seinem Herrn, denn er weiss, dass ich Dich sicher aus dem Hafen bringen werde." "Warum kam er nicht noch einmal her mit Dir?" "Er fuerchtete Deine Belohnung." "Wann koennen wir fahren?" "Sogleich, wenn Du befiehlst, Sihdi. Es ist guter Wind und in zehn Minuten bricht die Nacht herein." "Wo hast Du das Boot, in welchem Du zurueckkehren wirst?" "Es wartet mein draussen auf der Rhede." "So lasst uns beginnen." "Im Namen des allbarmherzigen Gottes!" fuegte der fromme Muselmann bei, indem er das Haupt dreimal mit der Hand beruehrte und sich nach der Gegend von Mekka tief verneigte. Jetzt wurden die Anker gelichtet und die Segel emporgezogen. Der Aufbruch des Sandals fiel keinem Menschen auf, da jeder Beobachter denken musste, dass er nur hinaus nach Rosette wolle. Dort angekommen, ging er aber nicht vor Anker, sondern beschrieb einen weiten Bogen um den Quai herum und hielt dann auf die offene See zu. Der Lootse stand ganz vorn am Bug und gab laut seine Weisungen; Katombo selbst stand am Steuer und lenkte das Schiff. Der Abend war sehr dunkel, und die Sterne hatten das Himmelsgewoelbe noch nicht erstiegen. Nach und nach wurden die Kommandos des Lootsen immer leiser, bis er ploetzlich ein Licht ergriff und dreimal hoch im Kreise schwenkte, ehe er es wieder hinter den Schirm stellte, wo es gestanden hatte. Der Pfiff einer Moeve war die Antwort auf dieses Signal, und gleich darauf sah man ein Boot dem Sandal nahen. "Werft eine Leine aus, es ist mein Kahn!" erklaerte der Lootse. Als dies geschehen war, schwang sich ein Knabe von kaum vierzehn Jahren an Bord, waehrend das Boot im Schlepptau nachgezogen wurde. "Hast Du den Feind gesehen?" frug der Vater den Sohn. "Ja." "Und warst nahe an ihm?" "Ja." Dabei nickte der Knabe mit einer Miene, als ob dies etwas sehr Leichtes und Selbstverstaendliches sei. "Wo befindet er sich?" "Er segelt Nord bei Ost und gerade Ost von hier, um nach Damiette zu gehen." "So sind wir sicher. Gebt vorn eine Laterne aus, damit ich das Fahrwasser erkenne!" Diesem Befehle wurde Folge geleistet, und nun gab er seine Kommandos wieder laut vom Buge aus, und trotz der Gefaehrlichkeit des Fahrwassers gelangten sie nach noch nicht zwei Stunden in die offene freie See. Jetzt wollte sich der Lootse verabschieden, und Manu-Remusat zog eine Handvoll Goldstuecke hervor. "Hier nimm! Du hast es reichlich verdient." "Sihdi, behalte Dein Geld und gedenke mein! Mein Bruder bat mich, Dich durch die Blokade zu bringen, und ich habe es gethan, weil es ihm und Allah gefaellig war. Dein Dank ist mir lieber als das Gold, welches Du mir bietest!" Er trat an die Regeling und sprang trotz der Dunkelheit mit einer wahrhaft virtuosen Sicherheit hinunter in das Boot. Sein Sohn folgte ihm mit ganz derselben Gewandtheit. "Sallam aaleikum!" hoerte man noch den Gruss der Beiden; die Wogen hoben das Boot empor, ein Wellenthal verbarg es wieder; dann - war die letzte Verbindung mit der Heimath zerrissen. Manu-Remusat trat zu Katombo. "Glaubst Du, dass es gute Menschen gibt, die Allah lieben muss?" "Ich glaube es, denn dieser Mann hat es bewiesen." "Allah segne ihn und seinen Bruder, sammt uns allen, die zu uns gehoeren, obgleich wir sie verlassen mussten! Jetzt aber gib mir das Steuer und gehe zur Ruhe; Du bedarfst ihrer, denn morgen musst Du das Schiff regieren, waehrend ich schlafe!" Katombo folgte dem Gebote. Als er am Morgen erwachte, erblickte er ringsum nur Himmel und Wasser; das Schiff war gluecklich aus dem gesperrten Hafen in die offene See gekommen. Des Nachts war dies noch nicht zu behaupten gewesen, da mit Anbruch des Tages sehr leicht einer der Kreuzer zurueckgekehrt sein und bemerkt werden konnte. Auch die Luft war guenstig und das Wetter so schoen, dass der Sandal fast anderthalb Tage lang seine Fahrt ohne die geringste Unterbrechung oder Stoerung machen konnte. Am Nachmittage des zweiten Tages sassen Remusat und Katombo bei Ayescha im Zelte, waehrend einer der Leute das Steuer fuehrte. Da trat Ali herbei, welcher mit zur Bemannung gehoerte, und klatschte in die Haende, zum Zeichen, dass er etwas zu melden habe. An den Eingang des Zeltes durfte er sich nicht wagen, weil ein Weib sich in demselben befand. Katombo erhob sich und ging hinaus. "Was gibt es, Ali?" "Schau dorthin, Sihdi!" Dabei deutete er mit der Hand fast gerade nach Nord. "Ein Segel!" bemerkte Katombo. "Ein Segel, Sihdi? Allah segne Deine Augen, aber einer von uns Beiden sieht falsch, und meine Augen truegen mich niemals!" Katombo suchte den ganzen Horizont ab, konnte aber nur das entdecken, was er bereits gesehen hatte. "Dann truegen sie Dich jetzt, denn es gibt nur dies eine Segel!" "Sihdi, Du weisst, dass ich Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi bin, und was ich sage, das ist wahr, denn dieses Schiff, das dort gefahren kommt, hat nicht nur ein, sondern viele Segel!" Jetzt musste Katombo laecheln. "Jetzt hast Du Recht, Ali mit dem langen Namen! Dieses Schiff hat sehr viele Segel; aber der Seemann sagt nicht: dort kommt ein Schiff, sondern: dort kommt ein Segel. Das musst Du Dir merken. Rufe den Emir-el-Reisahn herbei." Manu-Remusat kam, und Katombo zeigte ihm das Segel. "Zu welcher Flagge glaubst Du, dass es gehoert?" "Ich weiss es nicht und mag es auch nicht erfahren." "Soll ich etwas mehr Ost bei Sued halten?" "Um ihm aus dem Kurse zu gehen? Nein, das ist nicht nothwendig, denn siehe, es geht ja ganz scharf auf Sued und wird uns nicht bemerken." "Aber es ging vorhin Sued bei Ost!" "Das hat nur so geschienen; jetzt, da der Winkel offener ist, kann man es deutlicher sehen. Ich gehe wieder in das Zelt, komm nach, wenn es seinen Lauf nicht aendert!" Er ging. Katombo beobachtete den Lauf des fremden Fahrzeuges. Dieses hielt allerdings ganz streng auf Sued; in einer Viertelstunde musste es bereits verschwunden sein, und darum kehrte auch er in das Zelt zurueck, gab aber vorher Ali die Weisung, genau aufzuschauen und alles Auffaellige sofort zu melden. In der angegebenen Zeit klatschte der Diener auch wirklich in die Haende. Katombo steckte nur den Kopf hinaus. "Was gibt es?" "Das Schiff ist fort, Sihdi!" "Gut!" Es verging etwas ueber eine Stunde; da klatschte der wackere Ali schon wieder. "Etwas Neues?" frug Katombo. "Ja, Sihdi. Wieder ein Schiff!" "Mit vielen Segeln?" "Ja. Es sieht aus gerade wie das vorige." Katombo verliess das Zelt. "Wo faehrt es?" "Beinahe gerade im Sued von uns; dort!" Katombo erkannte dasselbe Fahrzeug, welches vorher im Nord von dem Sandal gesegelt war, und dann den Kurs nach Sued gehalten hatte. "Hole schnell den Herrn!" befahl er. Manu-Remusat eilte schnell herbei, wirklich erstaunt ueber die seltsame Schnelligkeit, mit welcher das fremde Fahrzeug ihm von einer Seite auf die andere gekommen war. Er nahm das Rohr zur Hand und betrachtete es sorgfaeltiger. "Katombo, wir sind verloren!" "Warum?" "Es ist ein Kriegsschiff, und zwar muss es ein feindliches sein." "Hat es die Flagge gezogen?" "Nein, aber es ging erst im Nord von uns und hat seinen Kurs nur veraendert, um uns den Rettungsweg nach der Kueste von Derna abzuschneiden. Das ist gewiss. Nur kann ich die Schnelligkeit nicht begreifen, mit der dies geschehen ist. Allah allein weiss es!" "Gib mir das Rohr!" Er bekam es und schaute aufmerksam hindurch. "Du hast Recht: Allah weiss es, ich aber auch!" "So erklaere es mir!" "Es ist ein Dampfer, der auch mit Segeln geht, wenn der Wind es erlaubt. Siehst Du den leichten Streif an seinem Stern? Er wird jetzt immer dichter und schwaerzer. Jetzt haelt das Schiff gerade auf uns zu und gibt vollen Dampf. Du hast Recht; es macht Jagd auf uns!" "Was thun wir? Uns ergeben?" "Nein, uns wehren!" "Das geht nicht. Dort an Bord gibt es zehn Mal mehr Leute als bei uns, und wir haben keine Kanonen." "Willst Du ihnen Dein Kind und Deine Schaetze preisgeben?" "Sie fuehren nicht mit Frauen Krieg, und mein Gut wird mir verbleiben, denn ich bin ein Fluechtling des Vizekoenigs und kein Soldat." "So thue, was Du denkst. Ich ergebe mich in Deinen Willen!" "Lass uns auch die Leute fragen!" Dies geschah. Das Orlogschiff kam immer naeher und zeigte sich in Folge dessen von Augenblick zu Augenblick groesser und maechtiger. Die Bemannung des Sandals war im Gebrauche der Handwaffen wohlgeuebt und keineswegs feig zu nennen, aber es gehoerte dennoch beinahe der Muth der Verzweiflung dazu, es mit einem solchen Gegner aufzunehmen. Alle ausser Einem stimmten daher der Ansicht von Manu-Remusat bei. Dieser Eine war Ali. "Allah akbar, Gott ist gross, und mein Handschar ist spitz und scharf. Warum soll sich ein Glaeubiger den Unglaeubigen ergeben? Ich werde sie verschlingen, wie die Heuschrecke das Gras des Feldes und das Laub der Baeume frisst!" Er kam natuerlich mit seiner Meinung nicht durch, sondern es wurde beschlossen, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, falls das Schiff wirklich ein feindliches sein sollte. Mittlerweile war es so nahe gekommen, dass es eine seiner Stueckpforten oeffnen konnte. Es liess ploetzlich alle Segel fallen, hisste die Flagge auf und gab mit einem Schusse das Zeichen, ein Gleiches zu thun. "Ein Norlaender, also wirklich ein Feind!" rief Remusat. "Eine Flagge haben wir nicht; lasst die Segel fallen!" Dies geschah, und nun sahen sie der Ankunft des Bootes, welches der Norlaender aussetzte, um an Bord des Sandals zu gehen, mit banger Erwartung entgegen. Ayescha zitterte vor Angst am ganzen Leibe, und Remusat sowohl als auch Katombo versuchten vergeblich, sie zu beruhigen. Das Boot legte an, und ein Offizier stieg mit acht Mann an Bord. "Wer ist der Befehlshaber dieses Fahrzeugs?" frug er. "Ich," antwortete Remusat. "Wem gehoert es?" "Mir selbst." "Was hat es geladen?" "Haus- und Wirthschaftsgeraeth fuer mich." "Wo kommt es her?" "Aus Siut." "Ah? Sollte dies die Wahrheit sein? Ein Nilschiff auf offener See! Wohin ist es bestimmt?" "Nach Msarata." "Wo haben Sie Ihre Papiere?" "Ich habe keine, ich bin ein Fluechtling." "Interessant!" laechelte der noch sehr junge Mann. "Um aus Egypten zu fliehen, faehrt man von Siut aus durch ganz Egypten und geht mit einem Nilkahne unter Klippertakelage nach Msarata, welches unter der gleichen Oberhoheit des Sultans steht. Wie ist Ihr Name, mein Herr?" "Remusat." "Das ist ein sehr beruehmter Name, denn ich erinnere mich, von einem gewissen Remusat gelesen zu haben, der sehr Vieles ueber China, die Mongolei und Tibet geschrieben haben soll. Doch dieser Mann hat vor verschiedenen Jahrhunderten gelebt, und Sie koennen es also nicht sein, sonst haette ich mich aus Ruecksicht fuer Ihren schriftstellerischen Ruhm verabschiedet, ohne Sie weiter zu belaestigen. So aber muss ich um die Erlaubniss bitten, Ihr Fahrzeug untersuchen zu duerfen!" "Thun Sie es!" Der Marineoffizier warf zunaechst einen Blick auf dem Decke umher und bemerkte dabei: "Diese guten Leute sind ja ganz ausserordentlich bewaffnet!" "Sie wissen wohl, dass bei uns jeder Mann berechtigt ist Waffen zu tragen; man braucht jedoch deshalb noch nicht ein Krieger zu sein." "Schoen! Fuehren Sie mich zur Kajuete und in den Raum!" Remusat begleitete ihn, waehrend alle Andern auf dem Decke blieben. Als er wieder nach oben kam, zeigte seine Miene einen gewissen Grad von Unsicherheit. "Ich habe allerdings nichts Verdaechtiges bemerken koennen, und doch geben mir Ihre Angaben Grund zu dem Wunsche, Sie und die Ihrigen persoenlich durchsuchen zu lassen. Wer auf offene See geht, bedarf ganz nothwendig derjenigen Papiere, durch welche er sich und seine Absichten zu legitimiren vermag." "Maschallah, Sie wollen einen Kapitaen peinlich durchsuchen lassen!" brauste Remusat auf. "Sie sind nicht Kapitaen, sondern ein Privatschiffer, der mir dringend verdaechtig erscheinen muss. Wollen Sie sich fuegen?" "Ich muss!" Die Untersuchung wurde vorgenommen, ohne allen Erfolg, und schon glaubte sich Manu-Remusat frei, als der Offizier achselzuckend meinte: "Auch das kleinste Fahrzeug kann ein sicheres Versteck fuer geheime Schriften, Depeschen und dergleichen haben. Was birgt dort das Zelt?" "Meine Tochter." "Ah! Ich werde sie begruessen." Er trat naeher und oeffnete den Vorhang. Die Hand Katombos fuhr nach dem Griffe seines Dolches, doch der Offizier machte vor der tief Verschleierten nur eine sehr hoefliche Verbeugung und trat dann zurueck. "Ich wuenschte gern, Ihnen die Erlaubniss geben zu koennen, Ihren Kurs fortzusetzen, sehe mich aber leider ausser Stande dazu. Wo ist Ihr Steuermann?" "Hier," antwortete Katombo. "Sie Beide werden mich an Bord meines Schiffes begleiten, damit ich Sie dem Kapitaen vorstelle. Er mag das Weitere verfuegen." Zu einer Widerrede oder gar einem ernstlichen Widerstande waere es nun zu spaet gewesen. Die beiden Aufgeforderten mussten in das Boot steigen und wurden an das Schiff gerudert, unter dessen Spriete man die in goldenen Lettern abgefasste Inschrift "Der Drache" lesen konnte. Sie stiegen das herabgelassene Fallrepp empor und wurden von einigen Schiffssoldaten in Empfang genommen, waehrend der Lieutenant nach dem Quarterdecke schritt, um dort seinen Rapport abzustatten. Nach einigen Augenblicken kehrte er zurueck um sie zu holen. Unter einem luftigen Zelte sassen die Offiziere beisammen; einer von ihnen, welcher eine etwas reservirte Haltung eingenommen hatte, sass etwas weiter zurueck. Der Kapitaen erhob sich nicht bei dem Erscheinen der beiden Maenner, er nickte nur leichthin mit dem Kopfe. "Ich habe Ihre Angaben vernommen," meinte er. "Haben Sie in Allem die Wahrheit gesagt?" "In Allem." "Haben Sie etwas hinzuzufuegen?" "Nein." "Ihr Name ist Remusat?" "Ja." "Vielleicht gar Manu-Remusat?" "Allerdings." "Dann sind Sie der einstige Freund des Vizekoenigs von Egypten?" "So ist es." "Dann habe ich allerdings keinen Grund, die Wahrheit Ihrer Angaben zu bezweifeln." "Und dennoch enthalten sie Luegen, Kapitaen," fiel der Reservirte ein, welcher die Uniform eines Volontaers ohne alle Abzeichen trug. "Bitte, fragen Sie einmal dort den Steuermann, ob er nicht Katombo heisst!" Bei dem Klange dieser Stimme fuhr Katombo herum und beim Anblicke des Sprechers ueberzog eine toedtliche Blaesse sein Angesicht. Wie kam dieser Mann, sein Peiniger, sein Henker, sein Todfeind auf die See? Er hatte keine Zeit, ueber diese Frage nachzudenken, denn soeben erklang es aus dem Munde des Kapitaens: "Wie heissen Sie?" Er fasste sich und antwortete so fest wie moeglich: "Katombo." "Sehen Sie, Kapitaen, dass ich Recht habe?" meinte der vorige Sprecher. "Dieser Mensch ist ein vormaliger Zigeuner, welcher einst in meinen Palast eindrang um zu stehlen. Er wurde ertappt und entkam, nachdem er einen meiner Diener erstochen hatte. Seine eigene Mutter, welche wohl fuer ihn Wache gestanden hatte, mochte er in der Aufregung verkennen und fuer eine fuer ihn gefaehrliche Person halten, er fasste sie und warf sie in den Fluss, aus welchem man sie einige Tage spaeter als Leiche auffischte." Katombo's Zuege waren jetzt womoeglich noch bleicher geworden. "Luegner! Schurke! Moerder!" knirschte er. "Du selbst hast Sie ertraenkt, jetzt hast Du Dich verrathen! Erst raubtest Du mir die Geliebte, dann nahmst Du mich widerrechtlich gefangen, und als - - -" "Halt!" donnerte da der Herzog von Raumburg. "Kapitaen, Sie hoeren, dass dieser Mensch wahnsinnig ist. Ich bin bei Ihnen an Bord gegangen, um meine Anschauungen in Betreff des Marinewesens praktisch zu erweitern, nicht aber, um mich von einem Moerder und Vagabunden insultiren zu lassen. Thun Sie Ihre Pflicht. Sie hoeren ja, dass der Mann identisch mit der Person ist, die ich meine!" Der Kapitaen gab einen Wink, und sofort legten sich zehn eisenfeste Matrosenhaende um Katombo, der sich gegen eine solche Umschlingung nicht zu wehren vermochte. "Vater, ich bin unschuldig, sage es Ayescha!" konnte er Manu-Remusat noch zurufen; dann wurde er unter das Verdeck geschleift. Der Letztere war ueber diesen unerwarteten Vorfall so erschrocken, dass er nicht die kleinste Bewegung unternommen hatte, seinem Schwiegersohn zu Hilfe zu kommen. Jetzt wandte er sich an den Kapitaen: "Kapitaen, hier liegt ein fuerchterlicher Irrthum vor! Bei Allah und dem Propheten, ich gebe meine Ehre und mein Leben zum Pfande, dass dieser Mann, der der Mann meiner Tochter ist, niemals das gethan hat, dessen man ihn beschuldigt!" "Der Mann Ihrer Tochter? Ihre Ehre zum Pfande! Es ist hoechst unvorsichtig, dieses uns zu sagen, denn nun erhalten Ihre Angaben und gegenwaertigen Intentionen eine Beleuchtung, welche mir Veranlassung gibt, mich auch Ihrer Person zu bemaechtigen. Sie sind mein Gefangener, und, merken Sie wohl, nicht nur mein Kriegs-, sondern auch mein Kriminalgefangener. ‹ber Ihr Schiff und angebliches Eigenthum behalte ich mir weitere Bestimmungen vor!" Er wurde ungeachtet aller seiner Protestationen abgefuehrt. Die Bemannung eines zweiten Bootes stiess zu den acht Leuten, welche sich bereits an Bord des Sandals befanden. Sie holten die Untergebenen Manu-Remusats als Gefangene an Bord des Kriegsschiffes. Dann wurde der Sandal an das Schlepptau genommen; der "Drache" liess seine Maschine spielen; die Segel wurden wieder gehisst, und die Fahrt begann von Neuem. Waehrenddem begann es schnell zu dunkeln. In einer der Mittelkabinen sass ein Mann in tuerkischer Tracht, mit dem weltbekannten rothen Fez auf dem Kopfe. Er schien in sehr ernstes Sinnen versunken; seine Brauen hatten sich zusammengezogen, und sein Mund zuckte hin und wieder, wenn er einen Blick durch das kleine runde Fenster warf, welches einen begrenzten Blick hinaus auf die See gestattete. Da klopfte es an die Thuer, und auf seinen Ruf erschien ein Schiffsjunge mit einem ziemlich gut belegten Speisebrette in der Hand. "Guten Abend, Herr Pascha!" "Guten Abend!" "Hier ist Ihr Essen. Haben Sie sonst einen Wunsch?" "Melde mich dem Kapitaen!" "Das darf ich nicht, Herr Pascha, denn er will gar nicht mehr mit Ihnen reden, weil Sie immer Wuensche bringen, sagt er, die er nicht erfuellen kann. Und ausserdem hat er heut gar schrecklich viel zu thun." "Wohl wegen dem Fahrzeuge, welches er wieder weggenommen hat?" "Ja." "Wo war es her?" "Hm, aus Egypten." "Wem gehoerte es?" "Wunderlicher Name! Einem gewissen Manu-Remusat." Der Tuerke waere vor ‹berraschung beinahe in die Hoehe gesprungen, wenn er sich nicht besonnen haette, dass er dann mit dem Kopfe an die allzuniedrige Decke gestossen haette. "Manu-Remusat? Ist er gefangen wie ich?" "Ja; er und seine Leute." "Wie viele sind es?" "Mit ihm und dem Steuermann achtzehn." Der Tuerke schwieg einige Augenblicke; dann frug er fast leise: "Sagtest Du mir nicht einmal, dass Ihr mit dem Kapitaen und den Offizieren nicht zufrieden seid?" "Hm, ja! Verdammt viel Pruegel und verteufelt wenig zu essen! Ich sagte Ihnen das aber nur, weil Sie ein so guter und ungluecklicher Herr sind." "Hoere, Junge, wie heissest Du?" "Balduin Schubert." "Hast Du Eltern und Geschwister?" "Nur einen Bruder, den Thomas, der ein Schmiedelehrjunge ist." "Willst Du reich werden?" "Donnerwetter, alle Tage, wenn es sein muss!" "Kannst Du es nicht so weit bringen, dass ich einmal heimlich mit diesem Manu-Remusat sprechen kann?" "Nein, nein, das geht nicht, denn da bekaeme ich die neunschwaenzige Katze viel schlimmer als vorher. Gute Nacht, Herr Pascha!" Wie ein Wind war er zur Thuer hinaus und riegelte die Kabine zu. Draussen in dem engen Raumgange blieb er nachdenklich stehen. "Ob ich es wohl wage? Wo er steckt, das weiss ich, und alle Mannen denken, dass ich nun bereits in meiner Koje schlafen werde bis zur naechsten Wache! Der Thomas hat mir so viel von ihm erzaehlt, wie er unschuldig gefangen gewesen ist, wie ihm der Herzog seine Liebste genommen hat, wie der gute Meister Brandauer sein Freund geworden ist und ihm nachher viel Geld gegeben hat, so dass er in die Fremde gehen konnte, um etwas Ordentliches zu sehen und zu lernen. Wie praechtig waere es doch, wenn ich einmal nach Hause kaeme und zu dem Thomas und dem Brandauer sagen koennte, ich habe ihn auch gerettet! Ja, gut, ich werde zu ihm gehen!" Er schlich sich hinunter in den Raum und trat hier vor einen aus starken Bohlen ausgefuehrten Verschlag, der so niedrig war, dass ein Mann kaum aufrecht darin sitzen konnte. Er klopfte. "Katombo, Herr Katombo!" "Wer ists?" frug es von innen. "Kennen Sie den Schmied Brandauer, bei dem Sie gewohnt haben?" "Natuerlich, wer ist draussen?" "Kennen Sie auch den Lehrjungen Thomas, der das B wie P ausspricht?" "Ja." "Ich bin sein Bruder, der Balduin, von dem er so viele Cigarren geraucht hat, zwei Stueck fuer drei Pfennige, Sie haben auch eine bekommen damals, Sie wissen schon!" "Du bist der Bruder des Thomas? Was thust Du hier?" "Ich bin Schiffsjunge." "Wohin ist der "Drache" bestimmt?" "Er war bestimmt zum Kreuzen, kehrt aber jetzt nach Norland zurueck, weil er einen sehr wichtigen Gefangenen gemacht hat!" "Wen?" "Malek-Pascha." "Maschallah, den Grossvezier?" "Ja. Wir haben ihn in einer Feluke aufgegriffen, in der er nach Tenedo wollte." "Und die Mannschaft der Feluke?" "Ist auch kriegsgefangen." "Wo?" "Drueben im Raume." "Wo sind meine Leute?" "Die Tuerken sind im Backbord-, die Ihrigen im Steuerbordraume untergebracht." "Wo ist Manu-Remusat?" "Bei ihnen." "Und meine Frau?" "Ihre Frau? Haben Sie eine Frau? Ah, die verschleierte Dame in der Kajuete des Herzoges!" "In der Kajuete des Herzoges? Maschallah, wer hat sie dort einquartiert?" "Der Herzog selbst, er begnuegt sich mit dem Nebenraume." "Hat er ihr Gesicht gesehen?" "Nein; das weiss ich sehr genau, denn ich habe seine und ihre Bedienung. Sie ist verteufelt kouragirt und hat beim Essen ein Messer zurueckbehalten, mit dem sie sich erstechen will, wenn Jemand ihre Kleidung anruehrt." "Willst Du mir eine Botschaft an sie ausrichten?" "Wollen Sie nicht selbst mit ihr sprechen?" "Willst Du mich verfuehren?" "Faellt mir gar nicht ein! Meister Brandauer hat Sie gerettet, und was der kann, das kann ich auch. Ich werde Sie befreien." "Wirklich!" jauchzte es hinter der Bohlenwand auf. "Ja. Sie fliehen, und ich reisse mit aus, denn ich habe diese ewige Pruegelei satt." "Aber wie es anfangen? kannst Du mir oeffnen?" "Ja; der Verschluss besteht ja nur in zwei hoelzernen Riegeln." "Kannst Du mir einen Matrosenanzug besorgen?" "Ja. Tom hat einen in seiner Kiste und wird es nicht gleich merken, wenn ich ihn mir einmal heimlich borge." "Also die Gefangenen sind alle im Raume untergebracht?" "Ja." "Wo schlafen die Offiziers?" "In ihren Kajueten." "Und die Marsgasten (Matrosen) und Soldaten?" "Unter Vorderdeck." "Kann man dies nach oben hin von aussen verschliessen?" "Ja." "Die Kajueten auch?" "Ja." "Kann ich von hier aus zu meinen Leuten?" "Sehr leicht." "Wie viele Mann halten die Wache?" "Zwanzig, ohne dem Offizier." "Geht mein Fahrzeug noch am Schlepptau?" "Ja. Man hat es ganz genau untersucht, aber nichts weggenommen." "Wo hat man unsere Waffen hingethan?" "In die Handwaffenkammer." "Wie gelangt man dorthin?" "Nur durch die Kapitaenskajuete, die der Kommandeur jetzt dem Herzog abgetreten hat und wo nun Ihre Frau wohnt." "Ah, es wird gehen. Danken kann ich Dir jetzt nicht, sondern spaeter. Sind grosse Naegel an Bord?" "So viele Sie wollen. Wozu?" "Zum Vernageln der Kajueten und Luken. Besorge so viele Du kannst und einige Haemmer dazu an einen Ort unter dem Decke, wo sie nicht vorzeitig bemerkt werden. Mir bringst Du ein scharfes spitzes Messer." "Ich kann mehr als ein Dutzend bringen, der Koch hat deren genug." "Gut. Wann wirst Du kommen?" "Zur naechsten Wache, wenn Alles schlaeft." "Kannst Du noch einmal zu meiner Frau gehen?" "Ja. Die Offiziers sind alle bei Tafel." "So bereite sie vor und sieh zugleich nach, ob der Eingang zur Waffenkammer offen ist!" "Wirs Alles geschehen, Herr Katombo!" Er ging, und der Gefangene blieb in einer unbeschreiblichen Aufregung zurueck. Er lag im engen Kerker; sein Weib befand sich in den Haenden des Herzoges, von dem Alles zu erwarten stand, wenn nicht schleunige Huelfe ermoeglicht wurde - er lebte wie im Fieber, ob vor Grimm oder allzureger Ungeduld und Erwartung, er wusste es selbst nicht. Die Minuten dehnten sich aus zu Ewigkeiten, bei jedem Laute und jedem Geraeusche horchte er auf. In seinem finstern Loche konnte er den Lauf der Zeit nicht verfolgen, und schon glaubte er, dass der Schiffsjunge ihn nur geaefft habe oder wenigstens verhindert worden sei, sein Versprechen zu erfuellen, da, da endlich! vernahm er leise Schritte, die sich seinem Kaefige naeherten. Die Riegel wurden zurueckgeschoben, und eine leise Stimme sprach: "Jetzt kommen Sie heraus!" Katombo kroch hervor und streckte mit einer wahren Wollust seine Glieder. "Hast Du die Messer?" "Ja; Schlachtmesser, Vorschneidemesser und Tischmesser eine ganze Menge, und hier ist auch ein Schiffssaebel fuer Sie." "Die Naegel?" "Liegen bereit, in der grossen Taurolle am Mittelmast. Es sind vier Haemmer dabei; ich habe Alles dem Zimmermann genommen." "Warst Du bei meiner Frau?" "Ja. Sie fuerchtet sich um Sie und laesst Sie bitten, ja doch Ihr Leben zu schonen." "Wie steht es mit der Waffenkammer?" "Die ist verschlossen, aber ein Fusstritt bricht die Thuer sehr leicht ein." "Wie steht es oben?" "Es schlaeft Alles, und die Wachen ahnen nicht das Geringste." "So fuehre mich zu den Meinen." "Kommen Sie!" Er fasste ihn bei der Hand, zog ihn durch den Raum und brachte ihn vor eine Thuer, hinter welcher man ein Geraeusch vernahm, als ob menschliche Koerper im Stroh raschelten. "Hier ist es." Katombo tastete und fuehlte drei Riegel, welche er zurueckschob. "Wer da?" frug es laut von innen. Er oeffnete. "Remusat sprich leise. Ich bin es, Katombo." "Katombo? Hamdullillah, Preis sei Gott, Du bist frei?" "Ja. Wollt Ihr es auch sein?" "Frage nicht, sondern gib uns Waffen!" Sie waren Alle aufgesprungen und streckten ihm ihre Haende entgegen. "Ja, Waffen, Waffen her, damit wir frei werden!" Katombo draengte sie zurueck. "Ihr Maenner, hoert, was ich Euch sage: Wir wollen nicht nur frei sein, sondern wir wollen auch das Schiff haben, auf dem wir uns befinden, sonst holen Sie uns schon nach einigen Stunden wieder. Die ganze Besatzung schlaeft, ausser den Deckwachen. Hier habt Ihr jeder ein Messer. Wir schleichen uns hinauf und beseitigen die Wachen ohne alles Geraeusch. Darauf kommt Alles an, denn wenn vorzeitiger Laerm entsteht, so sind wir verloren. Wir kriechen also am Boden hin, ein Jeder bis zu seinem Mann. Du, Ali, schleichst Dich in die Kapitaenskajuete, um die Tochter Deines Herrn zu schuetzen; sie ist dort. Ihr drei, Hafis, Bako und Rahman, kriecht bis zum Mittelmast; dort liegt eine Taurolle, in welcher Naegel und Haemmer liegen. Fuer den Fall, dass je ein Ruf ausgestossen wird, der uns schaden koennte, springt Ihr dann gleich vor und vernagelt schleunigst die Vorder- und Hinterluke nebst dem Eingang zur Offizierskajuete. Jeder von Euch eins von diesen Dreien. Wir Andern machen die Wachen stumm. Das ‹brige muss sich dann aus den Verhaeltnissen ergeben. Seid Ihr einverstanden?" "Ja!" fluesterte es rund im Kreise, und nur Remusat setzte hinzu: "Wie befindet sich Ayescha?" "Gut. Also vorwaerts - halt!" Er streckte den Arm vor um sie zurueckzuhalten, denn oben erschallten Schritte. "Der Offizier von der Runde," bemerkte Baldrian aengstlich. "Kommt er herab?" "Jedenfalls." "Desto besser. Komm, Vater! Ihr Andern wartet noch!" Er lehnte die Thuer nur an, ohne sie zu verriegeln, und schluepfte mit Manu-Remusat hinter die Treppe. Wirklich naeherten sich die Schritte und kamen die engen Stufen herab. Es war derselbe Lieutenant, welcher den Sandal bestiegen hatte. Er trug eine Blendlaterne und wollte sich jedenfalls ueberzeugen, dass sich die Gefangenen in Sicherheit befaenden. Als er die letzte Stufe ueberschritten hatte, tauchte Katombo aus seinem Winkel auf und fasste ihn von hinten bei der Kehle. Remusat erhob das Messer, doch Katombo mahnte: "Nicht stechen! Ich brauche die Uniform." Er presste die Kehle des Mannes so lange zusammen, bis dieser erstickt zu Boden sank. Remusat hatte die Laterne ergriffen und leuchtete; Katombo zog dem Todten die Kleider aus und trat hinter die Treppe; bald kam er als Offizier hervor. "Nun vorwaerts! Jeder kennt seinen Platz und mag seine Schuldigkeit thun; ich brauche Euch nicht erst zu sagen, was auf dem Spiele steht." "Wollen wir die Tuerken nicht mit herauslassen?" frug der Schiffsjunge. "Nein. Sie waeren uns im Wege und koennten sehr leicht alles verderben. Vorwaerts!" Er schritt voran und blies die Laterne erst in der Naehe des Oberdeckes aus. Kaum auf dasselbe gestiegen, sah er eine Gestalt auf sich zukommen. "Wer da!" "Ronde!" "Alles in Ordnung und nichts pas - - -" "Passirt!" wollte der Deckoffizier sagen, kam aber nicht dazu das Wort vollstaendig auszusprechen, da ihm bei der ersten Silbe das Messer Katombos in das Herz fuhr. Dieser schritt weiter und wurde noch von drei Posten angerufen, welche ganz dieselbe Antwort erhielten. Vorn am Steven traf er mit Manu-Remusat zusammen. "Wie steht es?" frug er diesen. "Es lebt Keiner mehr ausser dem Steuermanne." "So komm! Zuerst nehme ich ihn, und dann nimmst Du das Steuer." Sie gingen nach hinten, Katombo mit lautem militaerischem Schritte und Manu-Remusat eine Strecke hinter ihm, leise und schleichend. "Ronde?" frug der Steuermann, aus seinem Hause tretend. "Ronde!" antwortete Katombo in bejahendem Tone. "Werden bald nach Nord fallen muessen, denn wir haben die Hoehe von Kap Matapan bereits ueberschritten." "So ueberschreite auch die!" Bei dem letzten, laut betonten Worte sank der nichtsahnende Mann, mitten in das Herz getroffen, zu Boden. Sofort tauchte Remusat empor. "Maschallah, hast Du einen sicheren Stoss! Gerade als ob Du Djezzar Bei (Oberhenker) des Grosssultans gewesen waerst! Also ich nehme das Steuer. Wie halten wir?" "Den jetzigen Kurs, sonst muessten wir manoevriren, und dazu haben wir jetzt die Leute nicht. Es ist ein grosses Glueck fuer uns, dass der "Drache" nur unter Segeln faehrt, ginge die Maschine, so haetten wir den Streich kaum wagen koennen." "Was wirst Du jetzt thun?" "Ich werde - - ah, da kommt der, den ich brauche!" Und zu dem Schiffsjungen gewendet, welcher jetzt herbeigesprungen kam, frug er: "Wo schlafen der Maschinist und die Feuerleute?" "Dort im Langboote, wenn des Nachts nur gesegelt wird. Sie haben des Tages so viel Hitze auszustehen, dass sie des Abends das kuehle Deck aufsuchen. An sie habe ich gar nicht gedacht; die haetten Alles verderben koennen!" "Dann ist es gut, dass wir so leise gewirthschaftet haben, dass sie uns nicht hoeren konnten. Wie kommt man zu den Speisevorraeten und dem Wasser?" "Durch die Kambuse (Kueche)." "Also braucht man die andern Raeume nicht zu beruehren?" "Nein. Es fuehrt nur diese eine Thuer hinab in den Vorrathsraum, und der Proviantmeister hat den Schluessel dazu." Hamdullillah, so haben wir das Spiel gewonnen! Gibt es genug Laternen und Handspeichen?" "So viele Sie wollen." "So komm!" Er eilte nach dem Mitteldeck, wo seine Leute ihn erwarteten. Er vertheilte sie und gab ihnen die Anweisung nebst den noethigen Werkzeugen, alle Thueren und Luken zu vernageln und mit Handspeichen zuzustemmen. Sie begaben sich paarweise an die ihnen angewiesenen Plaetze. Unter Deck schlief alles, vom Kapitaen bis zum letzten Jungen herab. Da auf einmal ertoenten laute und vielzaehlige Hammerschlaege durch das ganze Schiff, dass alle Mannen erwachten. Man sprang auf und schritt zu den Thueren der Kajueten und den schweren Fallklappen, welche zum wasserfesten Verschluss der Luken angebracht waren, und gelangte augenblicklich zu der ‹berzeugung, dass man eingenagelt werde. Es musste etwas geschehen, es musste vielleicht eine Meuterei ausgebrochen sein, oder hatten sich die Gefangenen befreit - alle, sowohl die Offiziere hinten als auch die Matrosen vorn strengten ihre Kraefte an, Thueren oder Klappen aufzusprengen, doch vergeblich, denn wenn auch die Naegel nachgegeben haetten, die eingestemmten Handspeichen waeren selbst der riesigsten Kraft nicht gewichen. Die sehr natuerliche Folge war ein Tumult unter Deck, der sich von Minute zu Minute zu vergroessern schien. Unterdessen war Katombo an das Langboot getreten. Bei den ersten Hammerschlaegen erwachten die schlafenden Maschinenleute und machten Miene, ihren Platz zu verlassen. "Bleibt!" befahl er ihnen. Sie erkannten die Uniform ihres Schiffes und gehorchten also dem Befehle. "Ihr versteht, ohne alle fremde Hilfe eine Maschine zu behandeln?" "Natuerlich!" antwortete der Eine, ganz verwundert ueber diese hoechst ueberfluessig scheinende Frage. "Wollt Ihr eine fuenfmal hoehere Gage verdienen als die jetzige?" "Natuerlich!" klang es zum zweiten Male, und zwar mit noch kraeftigerer Betonung als vorher. "Nun gut; so hoert was ich Euch sage: das Schiff befindet sich in den Haenden Eurer Kriegsgefangenen, und alle Eure Mannen sind in den Raum eingenagelt - -" "Wa - - -" "Ruhig! Ihr sollt es besser haben als die Andern; Ihr sollt frei bleiben. Ihr bedient die Maschine, bis wir unser Ziel erreichen und erhaltet fuenffachen Sold. Geht Ihr nicht mit darauf ein, so werdet Ihr natuerlich auch eingesperrt. Gebt Antwort; ich habe keine Zeit!" Sie sahen einander verlegen an; endlich meinte der Entschlossenste, indem er sich dennoch ein wenig hinter die Ohren kratzte: "Das ist ja eine ganz verteufelte Geschichte! Sie tragen unsere Uniform und wollen uns zur Meuterei bewegen - - hm, wir sind bei der Maschine angestellt und werden sie bedienen so lange es von uns verlangt wird. Jetzt aber ist es das Beste, ich lege mich wieder auf das Ohr und bekuemmere mich um nichts. Macht, was Ihr wollt! Jetzt ist es zu finster, um sehen zu koennen wie es steht; ich kann warten bis morgen frueh!" "Ich auch!" "Ich auch!" Sie wickelten sich in ihre Decken und legten sich wieder nieder. Katombo entfernte sich, sehr zufrieden mit dem praktischen Sinne dieser Maenner. Als er in die Kapitaenskajuete treten wollte, hoerte er in derselben laut sprechen. Er legte das Ohr an die Thuer und horchte. "Ich muss hinaus. Zurueck, sonst brauche ich Gewalt!" befahl eine maennliche Stimme. "Sie bleiben, oder ich steche Sie mit diesem Messer nieder!" klang die Antwort der muthigen Ayescha. Er trat ein und stand an der Seite seines braven Weibes dem Herzoge gegenueber. Dieser fuhr zurueck, als ob er ein Gespenst erblickt habe. "Katombo!" "Ja, Excellenz! Ich komme, um Ihnen behilflich zu sein, Ihre "Anschauungen in Beziehung des Marinewesens zu erweitern." Sie sollen naemlich erfahren, wie man es anzufangen hat, um mit einem kleinen Nilboote ein so starkes Orlogschiff wie der "Drache" ist, wegzunehmen. Sie sind mein Gefangener!" Das Alles kam dem Herzoge so ueberraschend, dass er den Mund aufsperrte und kein Wort zu sagen vermochte. Eben hoerte Katombo Schritte hinter sich, er sah sich um und erkannte drei seiner Leute, welche kamen, um sich neue Befehle zu holen. "Nehmt diesen Menschen hinaus und bindet ihn!" "Binden - Mich - ? Mich, den Herzog von Raumburg!" Er richtete sich stolz auf und funkelte Katombo mit Augen an, als wolle er ihn mit seinen Blicken erstechen. "Der Herzog von Raumburg? Pah, jetzt bist Du nichts als ein armseliger elender Lump an Herz und Geist, den ich einfach niederschmettern wuerde, wenn meine Hand nicht zu rein fuer Dein schmutziges Fell waere. Bindet ihn, und zwar fest!" Raumburg wurde ergriffen und hinausgezogen. Er wand sich unter den kraeftigen Faeusten der Araber vergebens; in weniger als zwei Minuten lag er bewegungslos am Boden. "Schafft ihn hinunter in den Stall, in welchem ich eingesperrt gewesen bin, und wartet unten; ich komme nach." Jetzt war er mit Ayescha allein. Sie wollte ihn mit Zaertlichkeiten und Liebkosungen ueberhaeufen, er aber wehrte ihr sanft ab, es galt jetzt zu handeln. Ein Tritt zerschmetterte die Thuer, welche zum Waffenraume fuehrte; hier war alles reichlich zu finden, was er brauchte. "Komm herauf auf das Deck, Ayescha, und bleibe einstweilen beim Vater, bis Ruhe und Ordnung hergestellt sind, dann habe ich auch Zeit fuer Dich zu sorgen." Er fuehrte sie zu Manu-Remusat, rief dann den Schiffsjungen und stieg mit ihm zunaechst hinab zur Koje des Pascha. Er oeffnete dieselbe und trat ein. "Sallam aaleikum!" "Aaleikum? Wer bist Du, und was hat der Laerm zu bedeuten, den ich hoere?" "Mein Name ist Katombo, und der Laerm hat zu bedeuten, dass Du frei bist." "Frei! Ists wahr? Wer ists, der mir die Freiheit wiedergibt?" "Ich!" "Du? Ich kenne Dich nicht und habe Deinen Namen noch niemals gehoert!" "Manu-Remusat ist der Vater meines Weibes." "Allah akbar, Gott ist gross! So habt Ihr Eure Fesseln zerbrochen?" "So ist es. Die ganze Equipage des Drachen ist gefangen und mit ihr der Herzog von Raumburg, der sich an Bord befindet." "Wer? Der Herzog von Raumburg!" rief der Grossvezier mit jubelndem Tone. "Dieser Fang wiegt ja zehn gewonnene Schlachten auf, wie der Feind auf meine Gefangennahme seine Hoffnung setzte. Beim Propheten, ich gaebe viel, sehr viel darum, wenn er nicht Dein, sondern mein Gefangener waere!" "Darueber lass uns spaeter sprechen; vielleicht trete ich ihn Dir ab. Sind unter Deinen Leuten welche, die ein Kriegsschiff zu bedienen verstehen?" "Sie alle sind gute Seeleute." "So gehe auf das Deck; Du findest Manu-Remusat am Steuer." Der Pascha eilte, dieser Aufforderung nachzukommen, dann stieg Katombo hinab zu seinem frueheren Kerker, in welchem er den Herzog bereits eingeriegelt fand. Von hier aus fuehrte ein enger Gang zum andern Bord hinueber, wo die Tuerken gefangen sassen. Er liess sich von Balduin fuehren, die drei Araber folgten. Der Schiffsjunge oeffnete eine Thuer, hinter welcher ein erstickender Dunst hervordrang. Beim Scheine der Laterne erkannte man die Gestalten der Gefangenen, welche auf fauligem Stroh lagen und sich jetzt erhoben. "Wollt Ihr frei sein?" frug Katombo. Ein einstimmiges "Ja" erscholl. "So gelobt mir beim Propheten, dass Ihr mir gehorsam sein wollt, wenn Euer Herr, der Pascha es befiehlt!" "Wir geloben es!" "Kommt." Der lange Zug setzte sich in Bewegung und langte oben auf dem Verdecke an. Die Befreiten wurden nach dem Vorderkastell gewiesen, Katombo wandte sich nach dem Steuer, wo ihm Malek-Pascha die Hand entgegenstreckte. "Du hast dies Schiff erobert mit Allem, was darauf ist; es gehoert Dir. Willst Du mich nach Stambul bringen?" "Frage Remusat! Was er will, thue auch ich." "Er hat mir Alles erzaehlt. Die Gnade des Khedive ist wie der Halm, der sich vor jedem Winde beugt, aber die Gnade Allahs ist ewig und unveraenderlich. Mein Bruder Remusat geht mit nach Istambul, dem "Wangenglanz des Weltmanngesichtes", er hat es mir bereits versprochen. Der Grossherr wird ihm geben Vergessenheit fuer die erlittenen Schmerzen." "Ist es wahr?" frug Katombo den Vater. Dieser nickte. "So gehe ich mit, nur moechte ich dann, dass Du mir eine Bitte erfuellst, o Vezier!" "Sprich sie aus; sie ist erfuellt!" "Nimm dies Schiff mit Allem, was zu ihm gehoert, als mein Geschenk entgegen!" "Allah illa Allah! Sprichst Du im Ernste?" "Wie sollte ich mit Dir scherzen!" "Auch der Herzog gehoert mir?" "Dir und dem Grossherrn. Er hat mir meine Jugend vergiftet, die Mutter getoedtet und mich hinausgetrieben in die Fremde. Allah gab ihn heut in meine Hand, ich aber schenke ihn Dir, denn das Angesicht des Sultans wird ueber Dir leuchten in Freude und Segen, wenn Du ihm diesen Gefangenen bringst." "Sein Angesicht soll auch ueber Dir erglaenzen. Sei mein Sohn, wie Du der Sohn meines Freundes und Bruders bist! Du warst Reis?" "Ja." "Verstehst Du dieses Schiff zu fuehren?" Das Auge Katombos leuchtete auf. Er musste frisch zugreifen, denn hier oeffnete sich ihm vielleicht eine glanzvolle Zukunft, wie sie ihm nicht wieder geboten wurde. "Ich versteh es; frage Remusat!" "Ich glaube es Dir und werde mich Dir anvertrauen. Du sollst Kapitaen des Drachen sein, bis der Grossherr etwas Besseres ueber Dich bestimmt." "So bitte ich Dich, Deinen Leuten unverzueglich zu sagen, dass sie mir zu gehorchen haben! Es ist hohe Zeit, dass wir die nothwendige Ordnung an Bord erhalten." "Komm!" Er schritt ihm voran nach dem Vorderkastell, wo sich die Tuerken sofort vor ihm zur Erde warfen. "Liegt im Staube und hoert, was ich Euch sage! Dieser Mann ist mein Sohn und Freund; ich uebergebe ihm die Leitung des Schiffes, und Ihr habt ihm bei Eurem Leben ebenso zu gehorchen wie mir selbst. Ihr kennt die Bastonnade und die Schlinge! Jetzt sprich Du mit ihnen weiter!" Er kehrte zum Steuer zurueck. Katombo aber rief auch seine Araber herbei und hatte bald seine Dispositionen so getroffen, dass jede Stelle wenigstens nothduerftig besetzt war und er hoffen konnte, Stambul gluecklich zu erreichen. Waehrend dieser Vorkommnisse waren immerhin einige Stunden vergangen. In der ersten Zeit war der Laerm unter Deck in ununterbrochener stuermischer Weise erschollen; dann hatte er sich nach und nach vermindert, und endlich war es ruhig geworden. Die ‹berlisteten hatten eingesehen, dass sie an ihrer Lage nichts zu aendern vermochten. Jetzt hellte sich der Osten, zum Zeichen, dass der Tag heranzubrechen beginne, und die Maschinisten stiegen zum Feuerraume hinab, um dem Schiffe Dampfkraft zu geben. Fuer Ayescha war das Zelt aus dem Sandal heraufgeholt und auf dem Quarterdecke aufgerichtet worden; Katombo stand neben demselben. Manu-Remusat hielt immer noch am Steuer, und Malek-Pascha hatte sich in die Kapitaenskajuete zurueckgezogen, welche, als die beste und eleganteste Raeumlichkeit, ihm zum Aufenthalte dienen sollte. Da trat Ali herauf zu Katombo. "Sihdi, da unten pocht Einer immerfort und will mit dem Kapitaen reden, dort wo die Offiziers stecken!" Ali war Bootsmann geworden und that sich nicht wenig auf diese Wuerde zu gut. "Rufe die Leute, die nicht beschaeftigt sind, unter die Waffen, und dann wollen wir oeffnen." Die Waffen waren bereits vertheilt worden und nach wenigen Augenblicken marschirte eine stattliche Reihe Seemaenner vor den Kajueten auf. "Ali, oeffne!" befahl Katombo. Die Handspeichen wurden fortgenommen und die Naegel entfernt. Sofort trat der Kapitaen hervor, gefolgt von saemmtlichen Offizieren. Sie hatten sich Alle bis an die Zaehne bewaffnet, mussten aber einsehen, dass ein Widerstand ohne Hilfe ihrer eingeschlossenen Mannschaften ein gleich von vorn herein verungluecktes Unternehmen sei. Dass etwas einer Meuterei oder einer Empoerung Aehnliches vorliege, hatten sie sich wohl denken koennen, wie die Verhaeltnisse aber eigentlich und wirklich standen, das hatten sie sich natuerlich nicht sagen koennen. Katombo hatte die Uniform ab- und seine Kleider wieder angelegt. Die Haltung welche er einnahm, musste ihnen sagen, dass er der Mann sei, an den sie sich zu wenden hatten. Die Offiziere blieben halten, der Kapitaen trat vor. "Wo ist Seine Durchlaucht der Herzog von Raumburg?" Katombo laechelte ueberlegen. "Sie stehen nicht an dem Platze, welcher Sie berechtigen koennte, irgend eine Frage an mich, den gegenwaertigen Kommandeur des "Drachen" zu richten. Das Schiff ist seit einigen Stunden Eigenthum meines Kriegsherrn, des Sultans von Stambul, und ich an Ihrer Stelle wuerde vorziehen, das Weitere ruhig abzuwarten. Dennoch will ich ausnahmsweise Ihre Frage beantworten: Malek-Pascha ist frei, Raumburg aber befindet sich jetzt in demselben Kaefige, in welchen Sie mich einsperren zu lassen beliebten." "Der Herzog - in diesem Loche!" "Der Schuft - in diesem Loche! wollen Sie wohl sagen. Es haben bessere Maenner dort gesteckt, wie ich mich selbst ueberzeugt habe, wenn auch nur fuer wenige Stunden, und zwar nicht nur als politische, sondern sogar auch als Kriminalgefangene, wie Sie sich entsinnen werden. Auch Sie sind Gefangene, und zwar die meinigen, und es steht ganz in Ihrem Belieben, ob Ihre Lage leicht oder schwer zu ertragen sein wird. Geben Sie Ihre Waffen ab!" Die Herren blickten einander fragend an, dann schnallte der Kapitaen seinen Saebel ab und entledigte sich des Messers und der Pistolen. Die ‹brigen folgten seinem Beispiele. "Sie werden hier ruhig und im Gliede warten, bis ich Ihre Raeume besichtigt habe. Wer eine verdaechtige Bewegung unternimmt, wird erschossen!" Er verschwand mit Ali in den Kajueten, und es dauerte sehr lange, ehe er zurueckkehrte. Als dies geschah, trug der neue Bootsmann einen ganzen Pack von allerlei Effekten auf den Armen. "Ich habe mir erlaubt mir Einiges auszusuchen, dessen Sie vorlaeufig nicht mehr beduerfen - Depeschen und Instruktionen, die fuer uns von grosser Wichtigkeit, fuer Sie aber von keinem Belange mehr sind. Folgen Sie diesem Manne; er wird Ihnen diejenigen Raeume anweisen, welche ich fuer Sie bestimme!" Ali legte den Pack ab und fuehrte sie zurueck. Sie wurden eingeschlossen und erhielten nur die Haelfte des Platzes, den sie frueher innegehabt hatten; den uebrigen nahm Katombo fuer sich, Ayescha und Manu-Remusat in Anspruch. Jetzt musste Ali die konfiszirten Schriftstuecke zu Malek-Pascha in die Kajuete tragen; dann wurden die Luken geoeffnet, um mit den gefangenen Mannschaften zu verhandeln. Dies war eine nicht leichte Aufgabe, aber sie wurde zwar erst nach laengerer Zeit aber endlich doch zur Zufriedenheit geloest. Die Leute mussten ihre Waffen abgeben und blieben eingesperrt. Diese Massregel war sehr nothwendig bei der geringen Anzahl von Maennern, welche Katombo zur Verfuegung standen. Waehrend dieser ganzen Zeit hatte sich der Grossvezier nicht blicken lassen; die Papiere mussten von ausserordentlicher Wichtigkeit fuer ihn sein. Nun aber kam er auf das Verdeck und schritt mit einer Miene auf Katombo zu, in welcher die hellste Genugthuung erglaenzte. "Allah ist mit Dir und Deiner Hand, denn wo Du hingreifst, da spriesst die Blume des Segens hervor. Die Instruktionen, welche Du gefunden hast, sind mehr als zehntausend Beutel werth. Wir haben heut den Feind besiegt zu Lande und zur See, ohne dass wir eine Schlacht geschlagen oder auch nur einen Mann verloren haetten. Im Gegentheile, wir haben einen gewonnen, naemlich Dich, dem alle Ehren offen stehen, welche die hohe Pforte zu vergeben hat. Ich sage noch einmal: sei mein Sohn! Willst Du?" "Ich will." "Und trage von jetzt an den Namen, den mein Erst- und Einziggeborener trug, bevor ihn der Engel des Todes zu sich nahm!" "Welchen?" "Den Namen Nurwan. Darf ich Dich so nennen?" "Herr, ich bitte Dich darum!" "So lasse Allah seinen Segen leuchten ueber Dir auf allen Deinen Wegen. Du hast mir das Leben und die Freiheit wiedergegeben, hast dem Grossherrn den Sieg gebracht; es warten Deiner grosse Ehren und Wuerden, doch bleibe immer so kuehn und stark, so treu und wahr, als ob Du lebtest auf der einsamen Insel, zu welcher Du mit Manu-Remusat und Deinem Weibe gehen wolltest. Und hast Du dann noch einen Feind, Allah inhal, der Herr verbrenne ihn!" - - - Der schwarze Kapitaen. Nach den zuletzt erzaehlten Ereignissen waren zehn Jahre vergangen. Es war im Maerz, dem heissesten Monat Egyptens. Die Sonne brannte gluehend hernieder; der Sand der Wueste vermochte ihre Strahlen nicht mehr aufzunehmen; er warf sie wieder von sich, so dass sie sich wie ein wallendes Gluthmeer ueber die Ebene lagerten und dem nach einem gruenen Punkte sich sehnenden Auge Schmerzen verursachten. Eine kleine Karawane zog durch die Wueste. Voran ritten zwei Maenner zu Pferde. Der eine war alt, sein Bart hatte das Grau des Silbers angenommen; dennoch aber machte er noch den Eindruck der Kraft und Ausdauer, welche zu einem Wuestenritte unbedingt erforderlich sind. der andere war bedeutend juenger. Seine Gestalt ueberragte die des ersten um Kopfeslaenge. Hinter ihnen kam ein kostbar aufgezaeumtes Kameel mit einem Tachterwahn (Frauenkorb), in welchem eine verschleierte Frau sass, die ein ungefaehr zweijaehriges Maedchen in den Armen hielt, dessen kindliche Zuege auf die Schoenheit der Mutter schliessen liessen. Dann folgte eine Diener, welcher mehrere Lastkameele leitete, und den Zug beschlossen einige bewaffnete Maenner, denen man es ansah, dass sie ihre krummen Saebel und langrohrigen Buechsen wohl zu gebrauchen wussten. Die beiden Anfuehrer unterhielten ein lebhaftes Gespraech. "Weisst Du gewiss, dass wir uns in der rechten Richtung befinden, Katombo?" frug der Aeltere. "Ja, Vater," antwortete der Gefragte. "Ich weiss es ganz genau, dass wir am Abende, also in ungefaehr drei Stunden, die Uah (Oase) erreichen werden." "Dann Gott sei Dank! Wir fuerchten uns natuerlich vor einer solchen Reise nicht; aber Ayescha und das Kind besitzen unsere Kraefte nicht und beduerfen es sehr, dass der Ritt zu Ende geht. Was wird Omar-Bathu sagen!" "Und Sobeide! Sie haben keine Ahnung, dass wir kommen, und ihre ‹berraschung wird ebenso gross sein wie die Freude, welche unser Besuch erregen wird." "Zehn Jahre! Es ist eine lange, lange Zeit, dass wir sie nicht gesehen haben; fuer Dich war sie gluecklich, fuer Omar nicht. Du wurdest Kapudan Pascha (Oberadmiral), und er wurde zum Tode verurtheilt, weil es ruchbar wurde, dass er der Toedtung des Mudellir von Assuan und unserer Flucht nicht fern gestanden hatte. Es gelang ihm zu entkommen, und nun muss er als ein Geaechteter und Verfolgter in der Wueste leben, die ganz allein ihm Sicherheit gewaehrt." "Das ist schlimm; doch ist sein Unglueck nicht so gross, als wie es scheint. Er und Sobeide lieben sich, und seine Mameluken sind ihm treu ergeben. Ich werde all meinen Einfluss aufbieten um zu erlangen, dass ihm der Khedive die Erlaubniss gibt zurueckzukehren." "Wird Dein Einfluss so weit reichen? Der Vizekoenig ist beinahe selbststaendiger Herrscher seines Landes, in Mesr (Egypten) gilt der Wille des Sultans jetzt so viel wie nichts, und ausserdem musst Du bedenken, dass Du in den Augen des Vizekoenigs ja selbst der Strafbare bist." "Es kommt darauf an, ob man in Nurwan-Pascha den Katombo erkennt, welcher den Mudellir ueberlistete und besiegte. Doch halt! Was sind das fuer Punkte?" Er deutete mit der Hand vorwaerts, wo am Horizonte einige weisse Punkte erschienen, welche sich naeherten. Die Karawane hielt an, und die Maenner griffen zu den Waffen. "Sind es Feinde?" frug mit aengstlicher Stimme die Verschleierte. "Das kann man nicht wissen, Ayescha," antwortete Katombo. "Jeder Wuestenbewohner ist mehr oder weniger ein Raeuber oder Dieb." "Es sind ihrer viele," meinte Manu-Remusat. "Kannst Du sie zaehlen, Katombo?" Dieser hielt die Hand ueber die Augen, um von der Sonne weniger geblendet zu werden. "Fuenf - zehn - zwoelf - fuenfzehn - zwanzig! Wenn es Feinde sind, so sind sie uns an Zahl ueberlegen." "Dennoch werden wir uns wehren!" Die Reiter kamen naeher. Ihre weissen Haiks (Burnus mit Kaputze) schimmerten im Lichte der Sonne. Sie hatten die Reisenden bemerkt und hielten in einer breiten Front auf sie zu, deren Fluegel sich nach und nach verschoben, so dass die Karawane umzingelt wurde. Ayescha zitterte vor Angst und drueckte ihr Toechterchen fest an sich. "Kaempft nicht, sondern ergebt Euch lieber," bat sie. "Beruhige Dich," sprach Katombo; "wir haben nichts zu fuerchten. Ich kenne einen von ihnen. Er war mit Omar-Bathu, als dieser Sobeide holte." Die Reiter schwangen drohend ihre Lanzen und Flinten, und als der Kreis um die kleine Karawane geschlossen war, frug der Anfuehrer: "Wer seid Ihr?" "Wir sind Reisende, die eine Uah suchen, und wuenschen Frieden mit Euch." "Wo kommt Ihr her?" "Aus Mesr." "Und wo wollt Ihr hin?" "Du fragst, als ob Du ein Khawasse seist. Wer hat Dich zum Herrn der Wueste gemacht?" "Ein Khawasse? Ich bin kein Sklave, sondern ein freier Mann. Ein UÎlad Arab ist kein Polizist." "So verfolge Deinen Weg ebenso wie wir den unsrigen." "Unser Weg ist der Eurige. Ihr kommt aus Mesr; das ist nicht gut fuer Euch, denn ich muss Euch zu unserem Scheik bringen." "Wie lautet der Name desselben?" "Du wirst ihn vielleicht erfahren!" "Ich weiss ihn bereits. Dein Herr ist Omar-Bathu, den wir suchen." "Du kennst ihn? Wer hat ihn Dir genannt?" "Wir sind Freunde von ihm. Fuehre uns!" "Bist Du sein Freund, so sorge Dich nicht; seid Ihr aber Feinde von ihm, so seid Ihr verloren. Kommt!" Der Zug setzte sich in Bewegung. Sie mochten wohl eine Stunde geritten sein, als am fernen Horizont ein Reiter auftauchte, welcher ein sehr gutes Hedjihn reiten musste, denn der Lauf des Thieres war so schnell, dass er schon nach fuenf Minuten auf Hoerweite herangekommen war. Es war ein noch junger Mann, der ein ganzes Arsenal von Waffen an sich haengen hatte. Er schien sich vor der Truppe nicht im Geringsten zu fuerchten, sondern kam getrost herbei und hielt sein Hedjihn erst dann an, als er die Beduinen erreicht hatte. "Sallam aaleikum!" gruesste er, die Hand nach de Stirn erhebend. "Sallam aal'!" antwortete der Anfuehrer kurz. Er musste den Gruss erwidern, sprach ihn aber nicht vollstaendig aus, ein Zeichen, dass er sich erst entscheiden wolle, ob er dem Fremden freundlich begegnen werde. "Wo kommst Du her?" "Aus Bildah." "Das ist sehr weit. Und wo willst Du hin?" "Nach Hefr." "Auch das ist weit. Zu welchem Duar gehoerst Du?" "Ich bin ein Sohn des Beni Soliman und heisse Mehem al Olahad." "Die Beni Soliman sind friedfertige Hirten, Du aber traegst der Waffen sehr viele bei Dir!" "Weisst Du nicht, dass die Gum (Raubkarawane) in der Wueste wohnt und der "Herr mit dem dicken Kopfe" des Nachts seine Stimme erhebt? Auch Du hast Waffen, aber dennoch habe ich Dich als Freund begruesst." "Soll ich Dein Freund sein so folge uns. Du wirst in unserer Uah Wasser und Speise finden fuer Dich und Dein Thier." "Wie heisst der Schech Deines Lagers?" "Er wird Dir seinen Namen selbst sagen. Komm!" Der Fremde schloss sich an. Die Sonne senkte sich immer mehr zum Horizonte nieder, und es war nicht mehr weit bis zu der in jenen Gegenden so kurzen Daemmerung, als in der Ferne gruene Palmenwedel auftauchten, und bald wurde ein Wadi erreicht, welches in Folge eines rieselnden Quelles eine ausserordentliche Fruchtbarkeit zeigte. Unter den schlanken Palmen, welche voll schwerer Datteltrauben hingen, standen wohl an sechzig Zelte, deren groesstes gerade auf dem Mittelpunkte der Oase errichtet war. Vor demselben stand der Herr des Lagers - Omar-Bathu der Mamelukenfuerst. Die zehn Jahre der Aechtung und Verbannung hatten keinen unguenstigen Eindruck auf sein Aeusseres gemacht. Sein Gesicht war tief gebraeunt, seine Gestalt staerker, voller und kraeftiger geworden. Er blickte hinaus nach Osten, von woher sich der Zug nahte. Da oeffnete sich der Vorhang des Zeltes, und Sobeide trat heraus. Sie hatte die Sitte der Beduinenweiber angenommen und war unverschleiert. Auch auf sie hatte die Zeit keinen unguenstigen Einfluss geaeussert. Sie schien gar nicht gealtert zu haben und war vielmehr noch schoener als vorher geworden. "Magst Du nicht hereinkommen, Lieber? Das Mahl ist bereitet." "Ich moechte, aber dort nahen unsere Leute, welche eine Anzahl Fremder bringen." "Wer mag es sein? Gefangene Feinde?" "Ich weiss es nicht. Schau, es muss ein Weib dabei sein, denn das eine Djemmel (Kameel) traegt einen Tachterwahn." Die Nahenden kamen schnell herbei, getragen von ihren Thieren, welche die Naehe des Wassers witterten. Omar-Bathu's Gesicht nahm immer mehr den Ausdruck der Spannung an, aber das Auge der Liebe sieht scharf. Sobeide stiess ploetzlich einen Schrei aus. "Mein Vater!"