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Kryptologie

Ferdinand Runkel: Skytale

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Kryptographisch relevanter Auszug

Mit Dank an Jürgen Lull.


[...]

»Scheinbar ... Sehen Sie sich die Zwinge genau an, sie ist von Elfenbein und in eine Messinghülse eingelassen, so daß kaum ein Zentimeter hervorragt. An diesem Stück Elfenbein sitzt eine Metallröhre mit einem Innengewinde, wodurch die Verschraubung der Krücke auf sinnreiche Weise blockiert wird. Sehen Sie.«

Der Obermeister drehte mit Leichtigkeit das Elfenbein aus der Messinghülse und zeigte dem Beamten die Röhre mit dem Innengewinde. Und nun ließ sich auch die Krücke bequem abschrauben. An dieser war ein glatter Rundstab befestigt. Er lief in eine Stahlspitze aus, die an ihrer Wurzel ein Gewinde trug, das sich in die Metallröhre an der Elfenbeinzwinge einschraubte und so ein Herausdrehen der Krücke unmöglich machte.

Gysander verstand sofort:

»Nun bin ich im Bilde, Herr Obermeister; Sie haben der Polizei einen großen Dienst geleistet. -- Beermann geben Sie einmal die Papierstreifen her. Wir haben es hier mit einem Trick zu tun, der über zweitausend Jahre alt ist. Erfinder dieses Tricks waren die alten Spartaner. Sie wandten ihn an, wenn sie geheime Botschaften an ihre im Felde stehenden Könige oder Feldherrn senden wollten. Sie hatten ebensolche Stäbe, wie diese hier; darum wickelten sie Pergamentstreifen und schrieben ihren Brief der Länge des Stabes folgend. Wenn der Streifen abgenommen wurde, konnte kein Mensch das Geschriebene lesen. Nur der Feldherr, der einen gleichen Stab hatte, rollte den Streifen auf und las leicht die Botschaft. Die alten Spartaner nannten sowohl den Stab wie den Pergamentstreifen ,Skytale' . -- Also, es geschieht nichts Neues unter der Sonne.«

»Ich kann nur staunen«, äußerte sich der Obermeister. »Woher wissen Sie das?. -- Die Polizei weiß wirklich alles.«

»Das hat uns der alte griechische Schriftsteller Plutarch überliefert, und man hat ja auch seinen Schulsack getragen.«

Gysander entließ mit freundlichem Händedruck den Obermeister, um sich mit den beiden Beamten, denen sich später Bergmann zugesellte, der Entzifferung der Papierstreifen zu widmen.

Den Beamten machte die Sache große Freude. Mit Feuereifer gingen sie an die Arbeit. Der eine wickelte die Streifen auf und der andere versuchte die Schrift zu lesen:

»Das ist ja polnisch.«

Gysander nahm ihn den Streifen ab:

»Das ist nicht polnisch, das ist kroatisch. -- Setzen Sie sich an die Maschine und schreiben Sie Buchstaben für Buchstaben genau ab.«

Schon nach Prüfung der ersten Streifen zeigte es sich, daß man den Briefwechsel Ripettas mit den dalmatinischen Zigarettenerzeugern gefunden hatte. Gysander, der gute russische Sprachkenntnisse hatte, verstand infolge der Ähnlichkeit aller slawischen Sprachen genug von dem Streifen, um diese Feststellung mit Zuverlässigkeit zu machen. Die wörtliche Übersetzung mußte im Präsidium hergestellt werden.

Der Kriminalrat verständigte seinen Chef fernmündlich:

»Wir arbeiten bis der letzte Streifen entziffert ist ... das Fertige schicke ich Ihnen alle halbe Stunde zu.«

»Gut«, antwortete der Geheimrat. »Ich lasse alles sofort übersetzen . -- Schneller Zugriff, guter Erfolg.«

Früh um acht Uhr waren alle Streifen abgeschrieben und übersetzt.

Der Chef schüttelte Gysander die Hand:

»Das nenne ich einen ganz großen Erfolg ... ein echter Gysander. Herzlichsten Glückwunsch. Wir können noch gar nicht übersehen, wieviel Millionen Sie dem Deutschen Reich gerettet haben. Die reine Polizeiarbeit überlassen Sie nun mir.«

Und der Geheimrat war gründlich. In wenigen Stunden waren sämtliche Kunden des Ripetta vernommen, die Schmuggelware beschlagnahmt. Dann spielte der Telegraph ins Reich und in die Ostmark.

Ein Sieg der Polizei über eine höchst schlaue und gefährliche Verbrecherbande, wie er seit langen Jahren nicht gelungen war.


HTML-Autor: Klaus Pommerening, 13. Januar 2008; letzte Änderung: 13. Januar 2008.