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Kryptologie

Auszüge aus »Der Mir von Dschinnistan« von Karl May

geschrieben 1908.

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6. Kapitel. Nach der Stadt der Toten.

[...]

Glücklicherweise waren die Felsen einsichtsvoller als der 'Mir. Sie zogen mich von ihm ab. Sie begannen zu sprechen, heimlich, leise, nicht in Worten, sondern zunächst nur in Ziffern und Zahlen. Eine der Säulen war geborsten, nicht ganz, sondern der Riß, der entstanden war, klaffte nur auf der einen Seite, von links oben nach rechts unten. Er war nicht tief. Unter andern Umständen wäre mein Auge hierüber hinweggeglitten, ohne es zu beachten; hier aber war eine solche unbedeutende Spalte im Felsen doch wenigstens einmal eine Unterbrechung der ewigen steinernen Ausdruckslosigkeit. Ich hielt an der Säule an, um einen Blick in den Riß zu tun. Das geschah ganz unwillkürlich, ohne besondere Absicht. Es war auch gar nichts drin, nicht einmal Staub. Und doch sah ich etwas, und zwar etwas höchst Wichtiges. Nicht in der Spalte selbst, sondern neben ihr. Es gab da zwei Vertiefungen im Stein, die eine über der andern. Sie waren gar nicht augenfällig, sondern so klein, daß das Auge sehr leicht darüber hinweggehen konnte, ohne sie zu bemerken. Man konnte sie überhaupt nur aus der nächsten Nähe sehen. Sie schienen mit einem sehr scharfen, kleinen Griffel eingeritzt zu sein und bildeten Figuren, die irgend etwas Bestimmtes zu bedeuten haben mußten. Ich sprang vom Pferde, um die Lage dieser zwei Figuren genau zu bestimmen. Sie saßen, nach mir betrachtet, gerade in Augenhöhe in der Säule. Die eine schien ein Buchstabe zu sein, und zwar ein arabisches Dschim; die andere aber war ganz gewiß das chinesische Zeichen für Örh. Ich ging nach der nächsten Säule. Da gab es wieder zwei Zeichen, genau in derselben Höhe. Das eine war der arabische Buchstabe Dal und das andere ein chinesisches Tschhi. Auf der dritten Säule sah ich ein arabisches Be und ein chinesisches Liu. Was sollte das? Was hatte das zu bedeuten? Die angegebenen Zeichen haben nicht nur Buchstaben- und Wort-, sondern zugleich auch Zahlenwert. Als was waren sie hier zu nehmen? Als Buchstaben und Worte? Oder als Zahlen? Ich entschloß mich für das letztere. Im Arabischen bedeutet der Buchstabe Dschim eine 5, der Buchstabe Dal eine 4 und der Buchstabe Be eine 2. Das chinesische Örh ist, in unseren Zahlen ausgedrückt, eine 2, das Tschhi eine 7 und das Liu eine 6. Das ergab also an den drei Säulen, die ich bis jetzt betrachtet hatte, folgende Zahlenzusammenstellung:

Arabisch: Chinesisch:
Erste Säule: 52
Zweite Säule:47
Dritte Säule:26

Was diese Zahlen oder Ziffern zu bedeuten hatten, damit quälte ich mich jetzt noch nicht ab. Es mußte mir jetzt zunächst nur darauf ankommen, zu erfahren, ob allen Säulen in der ganzen Runde ein solches zweifaches Zeichen eingegraben sei oder nicht. Der 'Mir war ganz selbstverständlich auch abgestiegen und ließ sich zeigen, was ich gefunden hatte.

»Glaubst Du etwa, daß diese Zeichen sich auf die Schlüssel beziehen?« fragte er.

»Ja, ich glaube es,« antwortete ich. »Bedenke die Menge der Räume, die es hier wahrscheinlich gibt! Sie müssen numeriert sein. Die Schlüssel also auch!«

»Aber warum nicht nur arabische Zahlen, sondern auch chinesische? Die kennt man hier in Ardistan doch nicht!«

»Eben deshalb, weil man sie nicht kennt! Das Verständnis für diese Ziffern war nicht für jedermann, sondern nur für gewisse Beamte.«

»Aber warum wählte man neben den arabischen Nummern grad die chinesischen, keine anderen?«

»Weil das Chinesische fast einem jeden gebildeten Lamaisten geläufig ist. Doch das sind Fragen, auf die wir unsere kostbare Zeit nicht verschwenden dürfen. Wir haben jetzt alle Säulen zu untersuchen, ob jede einzelne ihre beiden Nummern hat. Das übrige wird sich dann finden. Beeilen wir uns!«

[...]

Da sah ich denn, daß ich recht gehabt hatte, als ich vorhin annahm, wenn es hier eine Stube oder so etwas Ähnliches gebe, werde sie wohl mit einer Portierloge oder Hausmannsstube zu vergleichen sein. Es gab da wirklich alles, was wir brauchten, nämlich alle möglichen Werkzeuge und, Gott sei Dank, auch die Schlüssel, die wir suchten. Es waren fünfzehn Stück. Sie hingen an der Wand, mit chinesischen Ziffern numeriert. Auch sie hatten die Form von Messern, deren Griff zum Drehen eingebogen werden konnte, so daß sie die Form einer Kurbel annahmen. Die Klingen, welche aus stahlharter Bronze bestanden und vorn nach der Spitze zu immer schmäler wurden, waren eine jede neunmal quer eingekerbt, so daß zehn voneinander getrennte Schlüsselbärte entstanden, die mit arabischen Nummern bezeichnet waren. Da keine dieser Schlüsselklingen der andern an Länge und Breite glich, so konnte man mit diesen fünfzehn Messern zehnmal fünfzehn, also hundertundfünfzig Türen öffnen, wenn man nur wußte, welcher Schlüssel zu der betreffenden Türe gehörte und wie tief er in das Schlüsselloch gesteckt werden mußte. Indem ich mir dies vergegenwärtigte, erkannte ich plötzlich den Zweck der Nummern, die wir an den Säulen gesehen hatten. Die chinesische Ziffer bezog sich auf die Nummer des betreffenden Schlüssels, und die arabische auf die Nummer des Bartes, der die richtige Form besaß, den Riegel zu fassen. Zu jeder numerierten Säule gehörte die auf sie folgende Türe. Diese Entdeckung war so unendlich wichtig, daß ich keinen Augenblick zögerte, zu probieren, ob sie sich bestätigen werde. Ich nahm das Messer, dessen chinesische Nummer draußen an der nächsten Säule angegeben war, ging an den hierzu gehörigen Türstein und entfernte den Staub aus dem Schlüsselloche. Die arabische Nummer war arb'a; das bedeutet vier. Ich steckte die Klinge also bis zum vierten Bart in das Loch und drehte dann. Es gelang. Kaum war die Drehung vollendet, so bewegte sich der Stein nach innen, und zwar so schnell, daß ich fast darüber erschrak.

[...]