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Kryptologie

Auszüge aus »Unter der Windhose« von Karl May

geschrieben 1886.

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»Das Auge des ,kleinen Hirsches' ist hell, aber noch nicht geübt genug für solche Kleinigkeiten, an denen doch oftmals das Leben hängt. Mein junger Bruder ist hierher gekommen, um den Besitzer dieses Hauses zu sehen. Hat er eine Blutrache mit demselben?«

»Ich habe das Gelübde des Schweigens abgelegt,« antwortete er; »aber mein weißer Bruder ist der Freund des berühmtesten Apachen. Ich will ihm etwas zeigen, was er mir heute noch zurückgeben wird. Er kann davon sprechen, denn meine Stunde ist gekommen.«

Er öffnete das Jagdhemd und zog ein wie ein Briefcouvert viereckig zusammengelegtes Leder hervor. Er gab es mir und schritt davon, nach dem Maisfelde zu, bei welchem jetzt der blonde Joseph stand. Ich sah noch, daß er diesen beim Arme ergriff und mit sich fortzog.

Ich schlug das Leder, welches aus einem gegerbten Hirschfelle geschnitten war, auseinander. Der Inhalt bestand aus einem zweiten Lederstücke aus Büffelkalbfell, nur von den Haaren befreit, mit Kalk gebeizt und zu Pergament geglättet. Es war zweimal zusammengeschlagen. Als ich es auseinander gefaltet hatte, sah ich eine Reihe von Figuren, in roter Farbe hervorgebracht, in der Zeichnung ganz ähnlich der berühmten Felseninschrift vonTsitßumovi in Arizona gehalten. Ich hatte ein Dokument in Indianerschrift in Händen, eine solche Seltenheit, daß ich gar nicht sogleich an das Entziffern dachte, sondern in die Hütte eilte, um Will Salters diesen Schatz zu zeigen. Er schüttelte den Kopf dazu und meinte ganz verwundert:

»Das soll man lesen können?«

»Natürlich!«

»Nun, so lies du es. Schon wenn es sich um unsere gewöhnliche Schrift handelt, will ich mich lieber mit zwanzig Indsmen als mit drei Buchstaben herumschlagen. Ich bin niemals ein Held im Lesen gewesen; ich schreibe meine Briefe dem Adressaten gleich hier mit der Doppelbüchse in den Leib; das ist das Kürzeste. Die Feder zerbricht mir zwischen den Fingern, und die Tinte schmeckt zu schlecht. Nun erst diese Figuren zu entziffern, das ist ja fürchterlich. Man kann sie hier in der dunkeln Hütte, die nur zwei kleine Gucklöcher an Stelle der Fenster hat, ja gar nicht einmal erkennen.«

»So komm mit hinaus vor die Tür!«

»Na, mitgehen will ich wohl; das Lesen aber magst du allein besorgen.«

Wir gingen hinaus. Die Frau blieb zurück. Sie hatte auf dem Herde ein kleines Feuer angezündet, um einige Stückchen unseres Fleisches zu braten.

Ich hatte die Augen natürlich sofort auf den Figuren; [...]

»Hm! Wollen sehen! Da vorn sehe ich eine Sonne gemalt mit nur aufwärtsgehenden Strahlen, also wohl die aufgehende Sonne. Dann kommen vier Reiter. Sie haben Hüte auf, sind also wahrscheinlich Weiße. Der vorderste hat etwas am Sattel hängen; kleine Säcke sollen es wohl sein. Hinter diesen vieren kommen zwei andere. Sie haben Federn auf den unbedeckten Köpfen, dürften also wahrscheinlich Indianerhäuptlinge vorstellen.«

»Na, das ist ja alles sehr einfach. Nennst du das etwa lesen?«

»Es ist der Anfang dazu. Man muß erst die Buchstaben kennen lernen, ehe man sie zu Wörtern zusammenzusetzen vermag. Es befinden sich nun noch einige kleinere Figuren hier, welche über den größeren angebracht sind. Über dem einen Indianer sehe ich einen Büffel, welcher das Maul öffnet, aus dem einige kleine Striche hervorgehen. Aus dem Maule kann nur die Stimme hervorgehen; es ist also wohl ein brüllender Stier gemeint. Über dem Kopfe des anderen Indsman ist eine Tabakspfeife, aus deren Kopf ähnliche Striche hervorgehen; das soll wohl Rauch bedeuten. Die Pfeife brennt also.«

»Du, ich fange an, lesen zu können!« sagte Will. »Da fällt mir ein, daß es zwei Apachenhäuptlinge gab, zwei Brüder; der eine war der ,brüllende Büffel' und ist seit langem tot; der andere hieß die ,brennende Pfeife', weil er von friedlicher Gesinnung war und gern mit jedermann die Friedenspfeife rauchte. Er soll noch leben.«

»So sind vielleicht gar diese beiden gemeint! Wollen sehen! Über den zweiten Weißen ist ein Auge gemalt mit einem hindurchgehenden Strich. Entweder hat er nur ein Auge, oder er ist auf dem einen blind, oder das Auge ist krank. Ah, das wäre ja der Name, den du vorhin nanntest: ,böses Auge!' Das soll wohl heißen, boshaftes Auge. Und über dem dritten Weißen ist ein Beutel mit einer danach greifenden Hand. Sollte das Diebstahl bedeuten?«

»Ja, ja, gewiß!« sagte Salters schnell, »die stehlende Hand. Ich hab's, ich hab's! Jetzt weiß ich, wo ich diesen Rollins gesehen habe! Nämlich droben in den schwarzen Bergen; er hieß Haller, war ein Pferde- und Biberfallendieb und wurde die ,stehlende Hand' genannt.«

»Du wirst dich irren!«

»Nein, nein! Die ,stehlende Hand' und das ,böse Auge' waren Vettern oder gar Brüder und hielten zusammen. Sie sind gemeint. Weiter, weiter!«

»Da die aufgehende Sonne voran steht, so sind diese Reiter nach Sonnenaufgang, also nach Osten geritten. Hier auf der zweiten Zeile kommen dieselben Figuren wieder vor, und zwar öfters und in verschiedenen Gruppen. Erste Gruppe: die drei hinteren Weißen schießen auf den Voranreitenden. Zweite Gruppe: er liegt tot am Boden, und sie haben seine Säcke oder Beutel. Dritte Gruppe: die Indianer schießen auf die drei Weißen. Vierte Gruppe: Zwei Weiße und ein Indianer, der ,brüllende Büffel', sind tot; die ,stehlende Hand' entflieht. Fünfte Gruppe: die ,brennende Pfeife' vergräbt die Beutel. Sechste Gruppe: die ,brennende Pfeife' hat den ,brüllenden Büffel' auf dem Pferde und reitet hinter der ,stehlenden Hand' her, verfolgt ihn wahrscheinlich. Siebente Gruppe: die ,brennende Pfeife' begräbt den ,brüllenden Büffel'; die ,stehlende Hand' ist verschwunden. Nun kommen noch zwei kleine Bilder. Da stehen drei Bäume; unter dem mittleren stecken die Beutel in der Erde. Und dann kommt ein großer, einzelner Baum, unter welchem man den ,brüllenden Büffel' in der Erde liegen sieht; sein Grab also. Jetzt löst sich das ganze, schaurige Erlebnis leicht - - - «

[...]