Dissertation zur
Erlangung des akademischen Grades des
Doktors der Naturwissenschaften
an der Universität Konstanz Fakultät
für Biologie
Zusammenfassung:
Der Winterschlaf des Europäischen Feldhamsters gliedert sich in zahlreiche, meist mehrtägige Abschnitte, die durch eine Herabsetzung der normothermen Körpertemperatur (Tb) auf Werte nahe der Umgebungstemperatur (Ta) charakterisiert sind. Dieser Zustand wird als Hypothermie oder Torpor bezeichnet. Zwischen diesen Episoden kehren die Tiere spontan zu einer normothermen Tb zurück, um nach meist weniger als einem Tag die Körpertemperatur wieder absinken zu lassen. Über den ganzen Winter hinweg ergibt sich so ein mehr oder weniger regelmäßiges Muster aus hypothermen und normothermen Abschnitten. Alle bislang untersuchten warmblütigen Tiere, die einen Winterschlaf halten, zeigen diese Abfolge hypothermer und normothermer Phasen; Artunterschiede finden sich lediglich in der Dauer beider Phasen.
Obwohl dieses Phänomen seit langem bekannt ist und es viele Untersuchungen hierzu gab, ist bis heute unklar, warum ein winterschlafendes Tier ohne eine äußere Störung nach einer bestimmten Zeit wieder zu einer normothermen Tb zurückkehrt und erst nach einiger Zeit wieder in den Torporzustand verfällt. Ebenso unklar ist bislang, welche Mechanismen dieses episodische "Erwachen" auslösen. Während einige Befunde für eine stoffwechsel-physiologische Steuerung des Winterschlafmusters (Abfolge von hypothermen und normothermen Phasen) sprechen, fanden sich ebenso Indizien für eine Kontrolle der zeitlichen Organisation (Timing) durch die "innere Uhr" der Tiere. Die hier vorliegenden Studien hatten daher zum einen den Zweck, nach Hinweisen auf eine endogene Rhythmik im Winterschlaf zu suchen.
Die Steuerung des Timings im Winterschlaf könnte auf sehr unterschiedliche Weise durch die "innere Uhr" eines Tieres bewirkt werden. Zum einen könnten die hypothermen Phasen (Winterschlafschübe, WS) als eine temperaturabhängige Vertiefung und Verlängerung der Ruhephase des circadianen Rhythmus gedeutet werden. Zum anderen könnten die Tiere immer nach einem ganzzahligen Vielfachen der Periodenlänge einer temperatur-kompensierten circadianen Rhythmik aus einem Winterschlafschub "erwachen" bzw. austreten. Schließlich könnte nicht die Frequenz der Austritte aus WS, sondern die Dauer der WS, von einem temperaturkompensierten Rhythmus determiniert werden. Falls sich in der vorliegenden Arbeit Hinweise auf eine rhythmische Steuerung der Winterschlafmuster ergeben würden, war beabsichtigt zu entscheiden, welches der genannten Modelle auf den Winterschlaf des Europäischen Feldhamsters zutrifft.
Aufgrund methodischer Schwierigkeiten wurden die bislang meisten Untersuchungen des Winterschlafs im Labor durchgeführt. Da im Allgemeinen die Haltungsbedingungen einen großen Einfluß auf das Verhalten von Tieren ausüben können, sollte im Vergleich der Winterschlafmuster Europäischer Feldhamster aus Laborversuchen und einer naturnahen Freigehegehaltung das ungestörte Winterschlafmuster definiert werden. Danach sollten Rückschlüsse auf die Signifikanz von Laboruntersuchungen gezogen werden.
Zur Klärung dieser Fragestellungen wurden insgesamt 21 vollständige
und 7 partielle Aufzeichnungen der Tb Europäischer Feldhamster
über den gesamten Winter hinweg analysiert. 7 Hamster wurden im Labor
unter einem Licht-Dunkelwechsel (LD) von 8:16 h und einer konstanten Ta
von ca. 8 °C gehältert. 3 weitere Hamster überwinterten ebenfalls
im Labor unter schwachem Dauerlicht (LL: Rotlicht, l
» 680 nm; Intensität <
1 lux) und der gleichen konstanten Ta. 17 Hamster wurden in
einem Freigehege registriert, in dem sie einen ca. 0,6 m tiefen Erdbau
bewohnten und infolgedessen einem Dauerdunkel und einer gedämpften
natürlichen Ta, die keinen Tagesgang zeigte, ausgesetzt
waren. Schließlich bezog ein weiteres Tier der Freigehegestudie ein
oberirdisch gelegenes Hibernaculum und war damit sowohl einem natürlichen
LD als auch einer tagesperiodisch schwankenden Ta ausgesetzt.
Unter allen Haltungsbedingungen fanden sich verschieden lange WS,
die von 10 min bis 6,9 d dauerten und drei verschiedenen Kategorien zugeordnet
werden konnten: (1) Kurze und flache WS (KFWS) mit einer Dauer weit unter
24 h und einer minimalen Tb (Tm), die nicht unter
20 °C absank. (2) Kurze WS (KWS), die maximal 24 h dauerten und deren
Tm unter 20 °C absank. (3) Lange WS (LWS), die länger
als 24 h dauerten und deren Tm unter 20 °C absank. Zwischen
den beiden Parametern dieser Kategorisierung bestand ein enger Zusammenhang,
der durch eine abfallende Exponentialfunktion beschrieben werden konnte.
Trotz der engen Korrelation zwischen der Tm und der Dauer der
WS traten die längsten WS nicht bei der tiefsten Tm auf.
Dieser Befund weist darauf hin, daß WS möglicherweise bei Unterschreiten
einer kritischen Tm abgebrochen werden können. Darüber
hinaus fand sich in den Laborstudien trotz der konstanten Ta
ein saisonaler Wechsel der mittleren Dauer der WS mit einer progressiven
Verlängerung bis in den Januar und einer darauffolgenden Verkürzung.
Dies weist darauf hin, daß ein endogenes Programm auch ohne das Fehlen
saisonaler Umweltsignale die Dauer der WS beeinflußt. Schließlich
zeigten sich im Freigehege trotz einer verglichen mit dem Labor erheblich
niedrigeren mittleren Ta keine längeren WS. Diese Befunde
zeigen, daß die WS-Dauer nicht eine einfache Funktion der Temperatur
sein kann.
In den Winterschlafmustern der Tiere im Labor wurden signifikant mehr
KFWS und KWS als im Freigehege nachgewiesen. Dort kamen KWS viel häufiger
bei dem z.T. unter extremer Ta oberirdisch überwinternden
Hamster vor, als bei den Hamstern, die Erdbaue bewohnten. Das häufige
Auftreten von KFWS und KWS, vor allem inmitten der Winterschlafmuster,
kann daher als ein Indiz für ein gestörtes Winterschlafverhalten
und damit als ein Artefakt der Laborhaltung gedeutet werden. Progressiv
tiefer abkühlende und länger dauernde WS am Anfang des Winterschlafs
("test drops") wurden nur in den Laborstudien aufgefunden, in denen die
Ta am Versuchsbeginn ebenso stufenweise herabgesetzt wurde.
Es liegt daher nahe auch dieses Phänomen als einen Laborartefakt zu
bewerten.
Im Gegensatz zu den Eintritten in LWS, die unter einem LD eine deutliche
Tagesperiodik aufwiesen und ca. 10 h nach Beginn der Dunkelphase auftraten,
zeigten die Austritte aus LWS, selbst unter einem LD und einem Ta-Zyklus,
keine Tagesperiodik - sie waren nahezu gleichmäßig über
den gesamten Tag-Nacht-Zyklus verteilt. Dieser Befund ließe sich
nach der 2-Oszillator-Hypothese von dadurch erklären, daß es
während der Heterothermie des Winterschlafs zu einer Entkoppelung
der in der homothermen Jahreszeit verknüpften Oszillatoren für
den Aktivitätsbeginn bzw. den Beginn der Ruhephase kommt. Während
der Oszillator für den Beginn der Ruhephase mit dem LD (eventuell
auch mit dem Ta-Zyklus) synchronisierbar bleibt, verliert der
Oszillator für den Beginn der Aktivitätsphase seine Koppelung
an die Umweltzyklen.
Daß sich die Dauer der Intervalle zwischen Austritten aus LWS
als ein ganzzahliges Vielfaches einer konstanten circadianen Periode ergeben
kann, unterstützt die Hypothese, daß der Winterschlaf durch
eine temperaturkompensierte circadiane Festlegung der Austritte aus WS
gesteuert werden könnte. Umgekehrt konnte die Dauer der WS nicht durch
ein ganzzahliges Vielfaches einer konstanten circadianen Periode erklärt
werden, womit die Hypothese einer temperaturkompensierten circadianen Kontrolle
der WS-Dauer nicht belegt werden konnte. Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen
zeigte eine modellhafte Berechnung, in der die Dauer des längsten
WS der vorliegenden Arbeit unter der Annahme einer temperaturabhängigen
circadianen Rhythmik analysiert wurde, eine gute Übereinstimmung mit
dem erwarteten Q10-Wert. Somit ergab sich auch ein Indiz für
diese Hypothese einer circadianen Kontrolle des Winterschlafs. Bei einigen
Tieren lieferten die statistischen Analysen der Intervalle mehrere Perioden,
die der Dauer der Intervalle zugrunde liegen könnten. Dies kann als
ein Indiz gewertet werden, daß sich die Periodenlänge der endogenen
Rhythmik im Verlauf des Winterschlafs verändern kann.
Die rein willkürliche Unterscheidung von drei WS-Typen erwies
sich als nur teilweise gerechtfertigt. So traten die Tiere unter einem
LD zur gleichen Uhrzeit in KWS und LWS ein. Außerdem traten KWS vor
allem inmitten der Winterschlafmuster auf, zu einer Zeit also, in der in
einem ungestörten Winterschlaf nur LWS vorkommen sollten. Weiterhin
fanden sich KWS gehäuft bei den Labortieren. Im Freigehege fanden
sie sich am häufigsten bei dem unter einer teilweise extremen Ta
oberirdisch überwinternden Hamster. Alle diese Befunde sprechen dafür,
daß es sich bei den KWS nicht um einen eigenständigen Torportyp,
sondern um abgebrochene LWS handelt.
Im Gegensatz hierzu ergaben sich große Unterschiede zwischen den LWS / KWS auf der einen Seite und den KFWS auf der anderen Seite, die eine Abtrennung dieser beiden Phänomene gerechtfertigt erscheinen läßt. So traten die Hamster unter einem LD konsistent ca. 5 h später in KFWS als in LWS / KWS ein. Zu Beginn eines WS stand damit bereits fest, ob es sich um einen LWS / KWS oder einen KFWS handelt. Außerdem erreichten KFWS unter einem LD ihre Tm zur gleichen Tageszeit, in die das Hauptminimum der Tb normothermer Tage fiel. Es erscheint daher möglich, daß KFWS eine Abwandlung und Austiefung dieses Minimums im Tagesgang der normothermen Tb darstellen. Auch der Tagestorpor nicht winterschlafender Arten fällt in diese Tageszeit. KFWS Europäischer Feldhamster weisen damit einen engeren Zusammenhang mit dem Tagestorpor von Nichtwinterschläfern auf als mit den teilweise beim gleichen Tier vorkommenden echten WS (LWS / KWS).
In die Tageszeit, zu der Eintritte in LWS / KWS auftraten, fällt
bei den meist biphasischen Hamstern ein kurzes und wenig prominentes Zwischenminimum
der Tb, das mit einer kurzen Ruhephase zwischen der abendlichen
und morgendlichen Aktivität der Tiere korreliert. Es erscheint daher
möglich, daß LWS / KWS aus diesem Zwischenminimum im Tagesgang
der normothermen Tb entwickelt werden. Die unterschiedliche
Koppelung der beiden Torporphänomene an den LD läßt außerdem
erwarten, daß sie wie die vorangegangenen Aktivitätsphasen an
verschiedene Oszillatoren gekoppelt sind.