Geboren in Erlangen, Abitur in Münster, Studium zunächst
der Musikwissenschaft, dann des Violoncellos an der Musikhochschule in
München. Abbruch dieser Bemühungen. Nach insgesamt zwei Jahren
des Herumstudierens und –flanierens eine Art Initialzündung oder Initiierung
bei der Lektüre von "Madame Bovary" in der schönen Übersetzung
Walter Widmers. Solche wunderbaren Texte wollte ich im Original lesen,
vielleicht sogar eines Tages selbst übersetzen. Beginn des Romanistikstudiums
im Herbst 1968 in München. Hier studierte ich ab dem ersten Semester
Vulgärlatein, Surselvisch, Altfrankoprovenzalisch. Altokzitanisch
war sowieso der zweite Pfeiler des Studiums nebem dem Altfranzösischen.
Ich hörte so gut wie alles, was Helmut Stimm anbot. Außer Romanischer
Sprachwissenschaft studierte ich noch Allgemeine Sprachwissenschaft. Ein
Stipendium des DAAD ermöglichte mir im WS 1969/70 ein Studium in Rennes
(Bretagne). Große Freude, als mir 1971 eine Anstellung am Altprovenzalischen
Wörterbuch angeboten wurde, dem jetzigen "DOM", Dictionnaire de
l'occitan médiéval (ed. Wolf-Dieter Stempel,Tübingen
1996 ff.). Dieses verdienstvolle Unternehmen wurde damals von der Mainzer
Akademie der Wissenschaften und der Literatur gefördert. Magister
1975 mit einer Arbeit über ein Problem der altokzitanischen Syntax,
das apodosis- oder „nachsatz“einleitende ET (Typus: E can l’efas lo
vi, e el ac paor). Ab 1977 Assistentin am Lehrstuhl von Prof. Stimm.
Promotion 1981 mit der Arbeit Diskursstrategien im Romanischen. Ein
Beitrag zur romanischen Syntax (erschienen bei Gunter Narr, Tübingen
1984).
Hier geht es um eine Vielzahl von syntaktischen Erscheinungen, deren Beschreibung über den Satzrahmen hinausgeht. Behandelt werden u.a. 1. Phänomene, die mit dem Status einer Konstituente als Topic/Nicht-Topic zu tun haben, 2. Verfahren von „Foregrounding“, mittels derer der Sprecher eine Information als „besonders wichtig“ oder als „überraschend“ kennzeichnet. Dazu gehört auch das apodosis-einleitende ET in den romanischen Sprachen des Mittelalters (eine Beschreibung als „Parahypotaxe“ ist verfehlt).Nach der Promotion Beurlaubung ohne Bezüge (Winter 1982/83), um in Connemara (Westirland) irisch zu lernen, eine Sprache, die mich interessierte, weil man sie nicht aus Büchern lernen kann. Auch die altirische Lyrik, kunstvolle Verse aus dem 9. Jahrhundert, hatten eine große Anziehungskraft auf mich. Habilitation 1989 mit der Arbeit SE-Diathese im Italienischen (1995 bei Gunter Narr erschienen).
Hier geht es um eine Beschreibung derjenigen italienischen Reflexivkonstruktionen, in denen das Morphem SE keine wie auch immer geartete reflexive Funktion besitzt und die, da sie nicht in die Kategorien der lateinischen Schulgrammatik passen, teils dem Aktiv, teils dem Passiv zugeschlagen werden (sogen. „si impersonale“/“si passivante“). Eine funktionale Analyse zeigt, daß derartige Konstruktionen eine dritte Diathese repräsentieren („SE-Diathese“), mit der Funktion, einen menschlichen nicht-spezifischen Agens zu bezeichnen, der in der syntaktischen Struktur nicht ausgedrückt werden darf. Die Etablierung einer neuen grammatischen Kategorie ist gerechtfertigt durch diese allen SE-Konstruktionen gemeinsame Funktion, der eine einheitliche Form entspricht (Verb + Morphem SE).Seit 1992 habe ich eine Professur für französische und italienische Sprachwissenschaft in Mainz.
Die Verhältnisse im Französischen und Spanischen werden behandelt in W. Dahmen et al. (eds.), Neuere Beschreibungsmethoden der Syntax romanischer Sprachen, Tübingen 1998, 127-148, im Okzitanischen in A. Rieger (ed.), Okzitanistik, Altokzitanistik und Provenzalistik, Frankfurt etc. 2000, 107-131 (mit dem Versuch einer Rekonstruktion der lateinischen Vorläufer).
Cf. meine Beiträge in M. Selig et al. (eds.), Le passage à l’écrit des langues romanes, Tübingen 1993, 299-326, in H. Petersmann/R. Kettemann (eds.), Latin vulgaire – latin tardif V, Heidelberg 1999, 117-132 und in L. Morini (ed.), La cultura dell'Italia padana e la presenza francese nei secoli XIII-XV, Pavia 11-14 settembre 1994, Alessandria 200, 111-142.Von 1991 bis 1994 war ich in der Thematischen Gruppe I: „Pragmatic Organisation of Discourse“ des EUROTYP-Programms (= Typology of the European Languages), das von der European Science Foundation (Strasbourg) gefördert wurde, für das Neuirische zuständig. Aus dem Nachdenken über Parallelen im Irischen, Französischen und Portugiesischen, die mit der fehlenden Autonomie des Einzelworts und den Folgen für die Syntax zu tun haben, gingen drei Publikationen hervor.
Nachzulesen in W. Boeder et al. (eds.), Sprache in Raum und Zeit. In memoriam Johannes Bechert Bd. 2, Tübingen 1998, 335-354, in H. Eichner et al. (eds.), Fremd und eigen. In memoriam Hartmut Katz, Wien 2001, 253-278 und in J. Skaffari et al. (eds.), Opening windows on texts and discourses of the past (i. Dr.).Im September 1998 fand der erste Kongreß des Franko-Romanistenverbands in Mainz statt; aus den Vorträgen der Sektion „Diskursanalyse“ entstand der zusammen mit Helga Thomaßen herausgegebene Sammelband Diskursanalyse. Untersuchungen zum gesprochenen Französisch (2000 bei Peter Lang, Frankfurt etc. erschienen), mit einem Beitrag zur Syntax des Français parlé im allgemeinen, zur Konstruktion J’ai mon train qui part im besonderen und zu den Parametern „thetisch“und „kategorisch“.
*
Ich hatte das Glück, sehr gute akademische Lehrer gehabt zu haben
(Helmut Stimm in der Romanischen Sprachwissenschaft, Hans-Jürgen Sasse
in der Allgemeinen Sprachwissenschaft), außerdem einen Freund, den
Finno-Ugristen Hartmut Katz, der leider nicht mehr lebt, von dessen Scharfsinn
in sprachwissenschaftlichen Fragen ich jahrelang profitieren durfte. Göran
Hammarström (Melbourne), den ich zunächst nur durch seine Bücher
und Aufsätze kannte und später zur Vertretung einer vakanten
Professur nach Mainz einlud, zähle ich ebenfalls zu meinen Lehrern.
Meine Lieblingssprachen sind das Portugiesische und das Irische.
Außerhalb der Sprachwissenschaft interessiere ich mich für
Literatur und Kino. Ich kann mir ein Leben ohne Literatur nicht vorstellen.
Ich wünsche uns allen, daß die unabhängigen Verlage noch
lange existieren können (das Bild, das André Schiffrin, Verlage
ohne Verleger, Berlin 2000, zeichnet, ist bedrohlich). Sie ermöglichen
es uns, eine Literatur zu lesen, die diesen Namen verdient.
Die Universität Mainz wurde 1477 auf Betreiben des Kurfürsten
für das Studium der Fächer Jura, Medizin und Theologie eröffnet;
sie blühte zur Zeit des Humanismus. Von 1571 bis 1773 unterstand sie
dem Jesuitenorden und vertrat die Ideen der Gegenreformation. Die Kontakte
mit Frankreich spielten (und spielen noch heute) eine wichtige Rolle. Viele
Professoren und Studenten schlossen sich 1789 begeistert den Idealen der
französischen Revolution an. Die Aktivitäten der Universität
erloschen nach der Eroberung von Mainz durch die Franzosen, sie wurde jedoch
nie offiziell geschlossen.
Der Weltreisende, Aufklärer und führende Kopf der Mainzer
jakobinischen „Klubisten“ Georg Forster war Bibliothekar an der Universität
(wer sich für diese bedeutende Persönlichkeit interessiert, dem
sei der schöne Katalog einer Mainzer Ausstellung empfohlen: Rolf Reichardt/Geneviève
Roche, eds., Weltbürger – Europäer – Deutscher – Franke. Georg
Forster zum 200. Todestag. Ausstellungskatalog Universitätsbibliothek
Mainz 1994.)
Von 1801 bis 1814 war Mainz Hauptstadt des napoleonischen „Département
du Mont-Tonnerre“ (Donnersberg).
An der Neubegründung der Universität, die schon wenige Monate
nach Kriegsende 1946 in der ehemaligen Flakkaserne der schwer zerstörten
Stadt unter dem Namen „Johannes Gutenberg-Universität“ wiedereröffnet
wurde, hatte die französische Militärregierung entscheidenden
Anteil. Die Geschichte der Romanistik in Mainz ist noch zu schreiben. Hier
lehrten Eugen Lerch, W. Theodor Elwert und Kurt Ringger, um nur einige
Namen zu nennen. Eine der Professuren der Romanistik war seit der Neueröffnung
traditionell mit einem französischen Muttersprachler besetzt; sie
hat in jüngerer Zeit den Schwerpunkt auf der Frankophonie, der französischsprachigen
Literatur außerhalb von Frankreich.
1949 wurde der Universität das Auslands- und Dolmetscherinstitut
in Germersheim angeschlossen, der heutige Fachbereich 23 „Angewandte Sprach-
und Kulturwissenschaft“.
In Mainz gibt es einen Doppelstudiengang in Verbindung mit der Université
de Bourgogne in Dijon, den sogen. „Cursus intégré“: deutsche
und französische Studenten studieren die Hälfte der Zeit in Mainz,
die andere Hälfte in Dijon; der Abschluß führt gleichzeitig
zum deutschen Magister/ Staatsexamen und zur französische Maîtrise.
Die Finanzierung dieses Projekts ermöglichte zunächst das Deutsch-Französische
Hochschulkolleg, seit kurzem ihre Nachfolgeorganisation, die Deutsch-Französische
Hochschule (für den Abschluß Staatsexamen/Maîtrise; Informationen
über das Dijonbüro: dijon@uni-mainz.de). Außerdem besteht
die Möglichkeit, sich in den Fächern Französisch/Geographie
oder Französisch/Geschichte zum Lehrer an bilingualen Gymnasien ausbilden
zu lassen (Informationen ebenfalls über das Dijon-Büro).
Man kann in Mainz die vier großen romanischen Einzelphilologien
Französisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch in vollem Umfang
studieren. Man kann leider nicht mehr katalanisch und rumänisch lernen.
Das Okzitanische ist schon länger nicht repräsentiert. Es gibt
sechs Professuren, vier für Literaturwissenschaft (Véronique
Porra, Dieter Janik, Klaus Ley, Eberhard Geisler) und zwei für Sprachwissenschaft
(Bruno Staib und Barbara Wehr). Meine eigenen Hauptinteressen in der Forschung
liegen in den Bereichen 1. Syntax und Pragmatik (Französisch, Italienisch)
und 2. historische Grammatik (Altfranzösisch, Altokzitanisch, Altitalienisch).
Weitere Forschungsschwerpunkte am Romanischen Seminar sind: zeitgenössische
französische Literatur, klassische Moderne und Frankophonie (Véronique
Porra); moderne Literaturen und Kulturen Spanischamerikas (Dieter Janik);
Juan Azorín und Goytisolo; Calderón de la Barca; zeitgenössische
portugiesische Erzählprosa (Eberhard Geisler); Dante; Petrarca und
Petrarkismus; Ästhetik des Barock; Poetik des Romans im 19. Jh. (Frankreich
und Italien) (Klaus Ley); funktionelle Analyse des romanischen Wortschatzes;
regionale Varietäten des Spanischen (besonders in Amerika); Geschichte
der romanischen Grammatik und Lexikographie (Bruno Staib). Dieses weite
Spektrum geht natürlich auch in die Lehre ein.
Es gibt ca. 2000 Studierende der Romanistik in Mainz. Die Universität
ist eine Campus-Universität: in Reichweite der Stadt, im Grünen,
voller Bäume, mit kleinen Gehölzen und Wiesen, einem bemerkenswerten
Botanischen Garten, Sportanlagen, Cafés und gutfunktionierenden
Bibliotheken. Würde man uns nicht (wie überall) mit Stellenstreichungen
und Mittelkürzungen bedrohen und würde nicht die Verwaltung (wie
überall) z.T. bedrohliche Ausmaße annehmen, wäre das Leben
und Arbeiten an der Universität Mainz ideal.
(Stand: April 2004)
Weitere Informationen unter www.uni-mainz.de/~wehr