Dosierungsmatrix für orale Antikoagulanzien

Als Konsiliarius für die orale Antikoagulanzientherapie
werde ich oft von den behandelnden Ärzten mit dem Problem
konfrontiert, dass ein Patient bei der Einstellung mit
Phenprocoumon (Falithrom®, Marcumar®, marcuphen® von ct,
Phenpro.-ratiopharm® ) oder Warfarin (Coumadin®)
bezüglich des Quick-Wertes bzw. INR-Wertes sehr stark schwankt.
Dies ist offenbar häufig auf die Tatsache zurückzuführen,
dass die Patienten an den ersten beiden Tagen eine
sehr hohe Dosis (z.B. 3-8 Tabletten Phenprocoumon) erhalten.
Dadurch steigt der INR-Wert in den folgenden Tagen oft
deutlich über 3,0. Dies führt dazu, dass die Phenprocoumongaben
oft abgesetzt bzw. drastisch reduziert und später wieder angehoben werden.
Das heißt, man geht zu pauschal vor und die daraus sich zwangsläufig
ergebenden Sprünge können wiederum zu Komplikationen in die eine
oder andere Richtung führen: Blutungen oder rezidivierende Thrombosen.

Man sollte sich darüber im klaren sein, dass ein in den ersten Tagen
festgestellter tiefer Quick-Wert bzw. hoher INR-Wert eine geringere
Gerinnungsfähigkeit nur vortäuscht, da aufgrund der deutlich
geringeren Plasmahalbwertszeit des Faktors VII (ca. 5-6 Stunden)
nur dieser abgefallen ist und nicht die für den Gerinnungsprozess
viel bedeutsameren anderen Faktoren, insbesondere Faktor II (Prothrombin),
der eine Plasmahalbwertszeit von ca. 40-60 Stunden hat. Insofern
reflektiert ein scheinbar im therapeutischen Bereich liegender
Gerinnungswert lediglich den schnelleren Umsatz des Faktors VII.
Man sollte sich also nicht auf die in den ersten Tagen erhaltenen
Gerinnungswerte allzusehr verlassen im Sinne eines bereits
vermeintlich vorliegenden therapeutischen Bereichs.
Außerdem ist die potentielle Gefahr einer Cumarinnekrose durch
zu hohe Initialdosen immer latent vorhanden.

In der Vergangenheit hat man verschiedentlich versucht, diese doch
oft "hektische" Einstellung etwas sanfter zu gestalten.
Insbesondere aus 2 Arbeiten der Arbeitsgruppe J.Hirsh [1, 2] geht
deutlich hervor, dass man mit Hilfe von Nomogrammen zu einer besseren
Einstellung von Antikoagulanzienpatienten (hier Warfarin) kommen kann.
Hier wurde eindrucksvoll gezeigt, daß eine Loading dose von 5 oder 10 mg
Warfarin am Tag 1 und weiteren Gaben an den darauf folgenden 6 Tagen
zu entsprechenden INR-Werten unterhalb, oberhalb oder eben im gewünschten
Bereich von 2,0 bis 3,0 führt. Ebenfalls konnte gezeigt werden,
wieviel Patienten in den entsprechenden Bereichen lagen.
Insbesondere auf diesen Arbeiten fußend, habe ich nachstehende
Dosierungsmatrix entwickelt, die es erlaubt,
ganz einfach die Dosis innerhalb der ersten sechs Tage nach Gabe
einer Initialdosis aufgrund der jeweiligen INR-Werte abzulesen.
Die Dosierungsmatrix ist so ausgearbeitet, dass ein Bereich
zwischen INR 2,0 und 3,0 angestrebt wird. Dieser Bereich hat sich
in vielen Studien als optimal erwiesen, um einerseits Blutungs- und
andererseits Thrombosegefahr zu bannen und ist für die meisten Indikationen adäquat.

Die Dosierungsmatrix ist in der Phase der einschleichenden Gaben
noch etwas feiner ausdifferenziert, so daß die potentiellen Schwankungen
bei den Patienten sich noch mehr glätten müßten. Außerdem ist die
Matrix so einfach, daß auch im Praxisalltag ganz bequem und irrtumsarm
mit ihr gearbeitet werden kann. Durch entsprechende Bruchrillen ist
eine Teilung oder Viertelung der Tabletten ohne weiteres möglich.
Voraussetzung ist die tägliche Ermittlung des INR-Wertes, was auf Station
die Regel sein dürfte, da meist noch andere Parameter gleichzeitig bestimmt werden.
Die Dosierungsmatrix erlaubt so ein Feintuning der Einstellung.

Die Dosierungsmatrix ist folgendermaßen zu lesen: Am Tag 1 bekommt
der Patient 2 Tabletten Phenprocoumon zu 3 mg. Am Tag 2 wird dann
zum ersten Mal der INR-Wert bestimmt. In der Dosierungsmatrix
wird dann links (Ordinate) der erhaltene INR-Wert zugeordnet.
Der Schnittpunkt mit dem Tag 2 (Abszisse) ergibt die Anzahl
Tabletten (à 3 mg) Phenprocoumon, die der Patient an diesem Tag erhält.
Am Tag 3 wiederholt sich dieses Procedere.
Auch in die andere Richtung läßt sich die Dosierungsmatrix nutzen,
wenn also aufgrund einer zu hohen Dosierung die Gerinnungshemmung
übers Ziel hinausgeschossen ist. Man nimmt dann den Tag, an dem die
INR-Bestimmung sich als zu hoch erwiesen hat, als Tag 2 und liest
dann in der Dosierungsmatrix in der entsprechenden Zeile die
Dosis (hier 0) ab, das bedeutet in diesem Falle ein Leertag.
Die Dosierungsmatrix gilt sowohl für die Phenprocoumontherapie
(3 mg pro Tablette) als auch für die Warfarintherapie (5 mg pro Tablette).

Für Kinder wird ebenfalls eine adäquate Initialdosis von 0,1 mg/kg KG
als ausreichend gesehen [3]. Da hier Kinderdosierungen angefertigt
werden müssen (z.B. Kapseln) ist die dazugehörige Dosierungsmatrix
nicht in Anzahl der Tabletten angegeben, sondern relativ in Prozent
der Initialdosis (0,1 mg/ kg KG), so dass man bequem die
entsprechende Dosis ausrechnen kann.

Dosierungsmatrix für Phenprocoumon und Warfarin

Erwachsene
  Tag        
INR 2 3 4 5 6
<1,5 2 2 2,5 3 3
1,5-1,7 1,5 2 2,5 3 3
1,8-2,0 1 1 1,5 1,5 1,5
2,1-2,5 1 1 1 1 1
2,6-3,0 0,5 0,5 0,5 0,5 0,5
>3,0 0 0 0,25 0,25 0,25

Die Ziffern im beigen Bereich der Matrix bedeuten
die Anzahl der Tabletten Phenprocoumon à 3 mg
bzw. Warfarin à 5 mg.


Säuglinge und Kleinkinder
  Tag        
INR 2 3 4 5 6
<1,5 100% 100% 125% 150% 150%
1,5-1,7 75% 100% 100% 100% 125%
1,8-2,0 50% 50% 75% 75% 75%
2,1-2,5 50% 50% 50% 50% 50%
2,6-3,0 25% 25% 25% 25% 25%
>3,0 0 0 12,5% 12,5% 12,5%

Angegeben sind die Folgedosen an den Tagen 2 bis 6
in Prozent der initialen Dosis am Tag 1 (ca. 0,1 mg /kg KG)


Mit Hilfe dieser Dosierungsmatrix müßte eine deutliche Verbesserung
des Handlings der Therapie für den Arzt im Sinne einer Individualisierung
bzw. eine Optimierung der Antikoagulanzientherapie für den Patienten
(weniger Komplikationen) erreichbar sein. Empfehlenswert ist,
sich die Dosierungsmatrix auszudrucken, um sie auf Station bzw.
bei telefonischen Anfragen sofort parat zu haben.

Literatur
[1] Harrison L. et al.: Annals of Internal Medicine 126:133-136 (1997)
[2] Hirsh J: Hämostaseologie 17:153-155 (1997)
[3] Michelson A.D. et al.: Chest 114:748S-769S (1998)


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Stand: 3/09

© bei Dr. Goldinger, Mainz, 1998-bis dato