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Volkstümliche Erzählungen der Tupi-Guarani-Tradition

Zusammengestellt und aufgeschrieben von João Barbosa Rodrígues

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1. Der Kurupí und der Jäger

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2. Der Kurupí und der glücklose Jäger

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3. Der Kurupí und die Kinder

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4. Der Kurupí und die Frau

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5. Der Kurupí und der arme Mann

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6. Der Kurupí und die verlassenen Kinder

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7. Tinkuan

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8. Izy oder Jurupari

bullet9. Tamecan

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1. Der Kurupí und der Jäger

Ein Jäger, der sich in den Wäldern verirrt hatte, war unter einem mächtigen Baum eingeschlafen. Da hörte er einen Schrei. Der Kurupí schlug auf die Baumwurzeln und schrie dabei. –Wenig später schrie er ganz in der Nähe. Und schließlich hörte der Jäger den Schrei fast neben sich. Dann tauchte der Kurupí auf, setzte sich und sagte zu ihm:

- Wie geht’s dir, mein Enkel?

- Gut, Großvater, sagte der Jäger. Und Ihnen? Wie geht’s Ihnen?

- Auch sehr gut!

- Verstehen Sie, Großvater, ich hab mich verlaufen.

- Ist das wahr, mein Enkel?, sagte der Kurupí. Dein Haus ist doch nicht weit. Wann bist du dort weggegangen?

- Gestern, Großvater.

So fuhren sie in ihrem Gespräch fort, bis der Kurupí sagte:

- Hör mal, mein Enkel, ich hab Hunger.

- Ich auch, sagte der Jäger. Ich hab auch noch nichts gegessen heute.

- Ich möchte essen, mein Enkel.

- Ich auch.

- Mein Enkel, gib mir deine Hand zu essen.

- Hier haben Sie sie, Großvater.

Der Mann trennte die Hand des Affen ab, den er am Nachmittag erlegt hatte, und gab sie ihm. Der Kurupí nahm sie und aß sie.

- Deine Hand schmeckt vorzüglich, mein Enkel, sagte er. Ich will auch die andere essen.

- Hier haben Sie sie, Großvater.

Der Kurupí nahm sie und aß sie.

- Ah, mein Enkel. Deine Hand schmeckt lecker. Gibst du mir auch dein Bein, damit ich es essen kann?

- Nimm es, Großvater.

Er trennte das Bein des Affen ab und gab es ihm.

- Da haben Sie es, sagte der Mann.

Dann verlangte der Kurupí das Herz.

- Ach, mein Enkel. Ich möchte auch dein Herz.

- Wirklich, Großvater? Dann nehmen Sie es, sagte der Jäger, schnitt das Herz des Affen heraus und gab es dem Kurupí.

Der nahm es und aß das Herz des Affen.

Da sagte der Jäger, indem er den weiteren Wünschen des Kurupí zuvorkam:

- Jetzt möchte auch ich dein Herz.

- Wirklich, mein Enkel? fragte der Kurupí. Dann gib mir dein Messer.

- Hier haben Sie es.

Der Kurupí nahm es und erstach sich.

Da lief der Jäger los und sprach zu sich:

- Gut, daß er tot ist.

Als ein Jahr vergangen war, erinnerte sich der Jäger, was vorgefallen war.

- Jetzt will ich zu dem toten Kurupí gehen und ihm die grünen Zähne ziehen. Sie sind ein gutes Heilmittel. Er muß ja schon verwest sein. Und aus seinen Knochen werde ich Pfeilspitzen machen.

Er ging zu dem Platz und fand die ausgeblichenen Knochen. Er schärfte seine Axt und näherte sich den Gebeinen.

- Jetzt zieh ich ihm die Zähne, sprach der Mann.

Er schlug darauf ein. Da erwachte der Kurupí und setzte sich auf. Den Mann überfiel großes Entsetzen.

- Ah, mein Enkel. Ich bin so durstig. Gib mir Wasser, sprach der Kurupí.

- Wirklich?, fragte der Mann.

Er ließ sein Wasser in den Sombrero und reichte es dem Kurupí.

- Hier haben Sie Wasser, Großvater.

Da sagte der Kurupí:

- Ich bin gerade aufgewacht und erinnere mich nicht, wo wir waren, als ich einschlief. Was war los, mein Enkel?

- Ich weiß nicht, sagte der Mann.

- Dann laß uns gehen, mein Enkel. Möchtest du dir etwas wünschen?

- Auch das weiß ich nicht.

- Ich werde dir einen Pfeil für die Jagd geben, sagte er Kurupí.

- Das ist gut, Großvater, antwortete der Mann.

- Also dann laß uns gehen.

- Gehen wir, sagte der Mann.

Sie gingen tiefer in den Wald. Der Kurupí gab ihm den Pfeil und sagte zu ihm:

- Da hast du schon den Pfeil für die Jagd. Willst du jetzt gehen?

- Ja, jetzt will ich gehen.

- Weißt du, wo dein Haus ist?

- Nein.

- Dann geh ich mit dir, um dir den Weg zu zeigen.

- Gut, Großvater.

Als sie sich dem Haus näherten, sagte der Kurupí:

- Jetzt laß ich dich allein, mein Enkel. Wenn du mich brauchst, weißt du ja, wo du mich findest. Komm zu mir, wann immer du willst. Hast du mich verstanden? Das Geheimnis dieses Pfeils sollst nur du kennen. Nimm ihn nicht mit in dein Haus! Erzähle niemandem davon! Auch nicht deiner Frau! Nur du sollst mit ihm jagen. Dieser Pfeil ist die Schlange surukuku. Du brauchst keinen Bogen, um ihn abzuschießen. Du brauchst ihn nur zu werfen und er wird jagen und töten. Ich erzähle dir das, damit du es weißt. Wenn du meine Worte nicht befolgst, wird der Pfeil dich verlassen und zu mir zurückkehren. Jetzt gehe ich.

- Adios, Großvater. Wenn ich in den Wäldern bin, werde ich dich besuchen.

- Einverstanden. Ich bin immer hier zu finden, sprach der Kurupí.

Der Mann wurde der beste Jäger. Im Unterschied zu den anderen hatte er immer das Glück, viele Tiere zu erlegen. Niemand verstand, wie es ihm gelang, soviel zu erlegen. Folglich fragten sie sich:

- Wie kann das sein? Er erlegt alles, Vögel, Vierfüßler... Warum erlegen wir nichts?

- Wir können es nicht.

Und sie sagten auch:

- Wir gehen auf die Jagd in die Wälder und finden nichts. Aber er geht, und hast du nicht gesehen, hat er schon etwas erlegt.

- Also, sagten andere, müssen wir ihm auflauern. Wir werden zwei Jungen hinterherschicken.

- Wir werden sie ihm nachschicken.

Sie lauerten ihm auf. Als der Mann in die Wälder auszog, schlichen ihm die Jungen nach. Aus ihrem Versteck sahen sie, wie der Mann den Pfeil von einer Baumgabel herunternahm. Auch als er jagte, beobachteten sie ihn.

- Wir haben gesehen, wo er den Pfeil versteckt, sagten die Jungen. Wir wissen es ganz genau.

Und sie beobachteten ihn weiter. Der Jäger entdeckte einen vorüberfliegenden Vogel. Die Jungen sahen, wie er den Pfeil nach hinten warf und später mit dem toten Vogel, in dessen Bein noch der Pfeil steckte, weiterging.

- So macht er das also, sprachen die Jungen. Jetzt wissen wir endlich, wie er die Tiere tötet.

Sie gingen ins Dorf zurück. Dort sagten sie:

- Morgen werden wir den Pfeil ausprobieren und sehen, wie er die Tiere bei der Jagd tötet.

Am nächsten Morgen kehrten sie an den Platz zurück. Sie fanden den Pfeil, nahmen ihn und erprobten ihn an einem vorüberfliegenden Vogel.

Sie warfen ihn nach vorn. Der Pfeil flog los, kehrte zurück und verletzte einen der beiden Jungen so schwer, daß er tot umfiel. Der andere Junge erzählte bei seiner Rückkehr ins Dorf:

- Mein Freund ist tot.

- Wie denn das?, wurde er gefragt.

- Die Schlange hat ihn gebissen.

- Das müssen wir sehen, sagten alle.

Sie gingen zu dem Platz und brachten den toten Jungen zurück.

Der Besitzer des Pfeils wollte den Pfeil holen. Aber er fand ihn nicht mehr.

- Wo kann ich meinen Pfeil verloren haben?, fragte er sich. Vielleicht ist er zum Kurupí zurückgekehrt? Und ich bin jetzt ohne den Pfeil. Ach, daß ich ihn verloren hab! Vielleicht hat ihn jemand gefunden und gibt ihn seinem Besitzer zurück.

Wenig später erfuhr er, wer seinen Pfeil gefunden hatte und daß einer der beiden, als sie ihn ausprobierten, dabei getötet worden sei. Deshalb ging er zum Kurupí.

- Gut gemacht!, sagte der. Wer hat ihnen erlaubt, ihn zu berühren? Sie meinten, das wäre irgendein Pfeil, dabei war es eine Schlange. Nun ist er für immer verloren.

Der Junge verließ voller Schrecken zusammen mit seinen Eltern das Dorf und zog in eine andere Gegend.

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2. Der Kurupí und der glücklose Jäger

Es wird von einem verheirateten Mann mit Kindern erzählt, der nichts erlegte, so oft er auch auf die Jagd ging, weshalb die erzürnte Ehefrau ihn ausschalt. Eines Tages, während er die Selva durchstreifte um zu jagen, verirrte er sich. Als es Nacht geworden und er eingeschlafen war, kam der Kurupí zu ihm. Er weckte ihn mit dem Ruf:

- He, Neffe!

Davon erwachte der Mann.

- Was ist los, Großvater?

- Wieso schläfst du, he?

Sie begannen eine Unterhaltung. Plötzlich sagte der Kurupí:

- He, Neffe! Wieso hast du Haare auf dem Kopf?

- Weil ich kuriert bin, sagte der Mann.

- Ach ja? Und wie hast du dich kuriert?

- Es war leicht, Großvater, sagte der Mann. Ich hab mir den Kopf kahlscheren lassen, dann hab ich ihn mit Pfeffer abgerieben. Dann sind die Haare wieder gewachsen.

- Ja, wirklich? Dann mach bei mir dasgleiche, damit mir auch Haare auf dem Kopf sprießen.

- Willst du das wirklich, Großvater? Also dann los, machen wir dasgleiche.

- Scher mir den Kopf, damit er kuriert wird.

- Wozu brauchst du Haare?, warf die Frau ein.

Man erzählt, daß der Mann den Kopf des Kurupí häutete und danach mit Pfeffer abrieb. Vor Schmerz rannte der Kurupí entsetzt in die Wälder und war augenblicklich im Dickicht verschwunden.

Der Mann ging voller Furcht nach Hause. Seine Frau folgte ihm und sprach zu ihm:

- Was suchst du, du Unglücksmensch?

- Ich will sehen, was unsere Kinder machen.

- Und wo ist das, was du ihnen zu essen bringst? Sie weinen den ganzen Tag vor Hunger.

- Und weil es so ist, gehe ich wieder in die Wälder, sagte der Mann.

Er zögerte einen Moment, hielt inne und sagte zu seiner Frau:

- Ich gehe zurück in die Wälder. Wenn ich mich nicht verirre, werde ich bald zurück sein.

Schnell erreichte er die Wälder und man sagt, daß niemand weiß, wie viele Tage er sie durchstreifte, bis er dem Kurupí begegnete, dem er den Kopf gehäutet hatte. Der sagte zu ihm, sobald er nahe genug war:

- Hoho, Neffe!

- Hoho, Großvater!

- Wie geht’s dir? Bist du nicht der, der mir den Kopf kahlgeschoren hat?

- Nein, sagte der Mann. Das war ein anderer, der schon gestorben ist. Da liegt das, was einst seine Knochen waren.

- Wahrhaftig, Neffe? Komm mit mir und zeig’s mir.

- Los, gehen wir, sagte der Mann.

Sie gingen bis zu dem Platz, wo die Gebeine lagen. Dort angekommen setzte der Kurupí die Knochen zusammen und später schlug er sie wieder auseinander.

- So habe ich Rache genommen, sagte er. Komm mit mir nach Hause, Neffe.

Es wird erzählt, daß sie dann nach Hause gingen. Der Kurupí betrat sein Haus, während der Mann draußen stehenblieb. Als der Kurupí ihn sah, lud er ihn ein:

- Komm rein, hab keine Angst, Neffe.

Da sah der Mann ins Innere des Hauses und sah, daß nichts anderes darin war als Schlangen mit heraushängenden Zungen. Vor Angst wollte der Mann sich nicht setzen.

- Setz dich, Neffe, sagte der Kurupí.

Dann ermahnte er die Schlangen:

- Beißt meinen Neffen nicht!

Trotz seiner Angst setzte sich der Mann.

Da sagte der Kurupí zu ihm:

- Und nun, Neffe, was für ein Geschenk hättest du gern?

- Ich weiß nicht, sagte der Mann. Und fügte dann hinzu: Ich möchte nach Haus gehen und hätte gern, daß mir mein Großvater etwas gäbe, womit ich Nahrung für meine Kinder jagen kann. Denn wenn ich wieder nichts bringe, wird meine Frau sehr zornig werden und mit mir schimpfen.

- Ach, ja? sagte der Kurupí. Dann werde ich dir also geben, was du dir wünschst. Los, gehen wir.

Und sie gingen sofort los. Der Kurupí holte ein Seil und gab es dem Neffen mit den Worten:

- Nimm dieses Seil, um damit bei der Jagd zu töten.

Sie durchstreiften die Selva und entdeckten Vögel. Und da der Kurupí zwei Pfeile bei sich hatte, benutzte er sie, um einen Vogel abzuschießen. Den gab er dem Neffen. Kurze Zeit später entdeckten sie Schweine.

- Willst du Schweine, Neffe? fragte der Kurupí.

- Gern, Großvater, sagte der Mann.

- Dann laß sie uns packen.

Der Kurupí ging auf die Schweine zu und nahm die ganze Herde. Er knüpfte die Schweine mit dem Seil aneinander und hängte sie dem Mann über die Schultern, damit er sie tragen könne.

- Da hast du sie, Neffe, trag sie zu deiner Frau. Aber paß gut auf, wenn du die Schlinge löst. Wenn du nach Hause gekommen bist, bau eine Koppel und erst darin löst du die Schlinge und schlachtest die Schweine. Vergiß nicht, daß sie wild sind und dich beißen könnten. Hol dir deine Frau und Verwandte, die in deiner Nähe wohnen, zu Hilfe, damit sie dir beim Schlachten der Schweine helfen.

Nach diesen Worten ging der Mann nach Hause. Als die Frau ihn kommen sah, lief sie ihm wütend entgegen.

- Was suchst du hier?

- Nichts, Frau, sagte der Mann. Hier bringe ich, was ich erjagt habe.

Und er fügte hinzu:

- Laß uns jetzt eine Koppel bauen. Hilf mir, Pflöcke einzusammeln.

- Wozu brauchst du eine Koppel?, fragte die Frau.

- Ich hab eine Menge Schweine gebracht, sagte der Mann und zeigte auf die Schlinge. Wir werden sie in der Koppel schlachten, damit sie nicht weglaufen können.

- Was glaubst du eigentlich?, fragte die Frau.

- Glauben?, sagte er. Ich belüge dich nicht. Du denkst also, ich würde dich verspotten?

Sie bauten die Koppel. Und als sie fertig waren, sagte der Mann:

- Jetzt können wir sie schlachten und uns einen Braten bereiten.

Dann rief er seine Verwandten. Mit Stöcken bewaffnet kamen sie an.

- Schlachten wir die Schweine, sagte der Mann. Aber paßt auf, daß sie euch nicht beißen!

- Schon gut, sagten sie, aber – wo sind die Schweine? Hier ist nichts. Wo sind die Schweine?

Der Mann brachte sie in die Koppel, löste die Schlinge, in der sie gefangen waren, und trieb sie schließlich aus dem Seil. So wild die Schweine auch waren, nahm ihre Angst doch zu, je freier sie herumlaufen konnten. Als die Verwandten das sahen, sprangen einige auf die Pflöcke, während die übrigen sich mit einem Sprung aus der Koppel in Sicherheit brachten. Der Mann rief sie zurück, sie sollten in die Koppel kommen:

- Kommt zurück, Angehörige! Habt keine Angst, schlachtet sie für euch selbst.

So ermutigt, kehrten sie in die Koppel zurück und begannen die Schweine zu schlachten, ohne damit fertigzuwerden.

- Jetzt habt ihr es gesehen, sagte der Mann. Es war so, wie ich es euch gesagt habe. Jetzt werdet ihr mir glauben.

Mit viel Fleisch kehrten die Verwandten nach Hause zurück.

Es wird erzählt, daß die Frau danach sehr gutmütig und zufrieden mit ihrem Mann geworden ist. Sie lebten seitdem glücklich, ohne jemals wieder miteinander zu streiten.

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3. Der Kurupí und die Kinder

Es wird von einer Frau mit zwei Söhnen erzählt, die von den Fischen lebten, die sie mit einem Korb fingen.

Als die Kinder eines Tages fischen gingen, begegneten sie dem Kurupí. Als er sie sah, sagte er:

- Ihr wollt fischen, Kinder? Kommt mit mir zum kleinen See, damit ich für euch fische.

Die Söhne, so sagt man, gingen mit dem Kurupí mit. Der jedoch war plötzlich verschwunden. Als es schon Nacht wurde, erschien er ihnen wieder und sagte zu ihnen:

- Wenn ihr wollt, kommt mit mir, es ist ja schon Nacht. Morgen werde ich euch den Weg zeigen, damit ihr nach Hause zurückfindet.

Es wird erzählt, daß der Kurupí sie mit zu sich ins Haus nahm und sie seiner Frau, einer sehr häßlichen Alten, anvertraute. Im Morgengrauen des nächsten Tages sagte der Kurupí zu seiner Frau:

- Alte, ich geh auf die Jagd. Schlachte eins der Kinder und richte es für meine Rückkehr an, damit ich was zu essen vorfinde.

Mit diesen Worten ging er in die Wälder.

Die Alte sagte:

- Enkel, laßt uns inajá zu essen holen.

Der ältere der beiden Söhne hatte aber gehört, wie der Kurupí zu seiner Frau gesagt hatte, sie solle eins der beiden Kinder schlachten. Aber er hatte keine Gelegenheit, es seinem jüngeren Bruder zuzuflüstern.

Sie gingen also inajá suchen. Die Alte hielt den eisernen Speer aus einem Fischkorb in der Hand. Sie behauptete, sie brauche ihn, um Maniok auszugraben. Der Jüngere stieg auf eine inajá. Und während er an dem Baumstamm emporkletterte, erstach ihn die Alte mit dem Speer, daß er tot herunterfiel. Der ältere Bruder sah dies und sprach zu sich:

- Ich werde die Alte töten, jetzt sofort.

Dann wandte er sich an die Alte und sagte:

- Großmutter, ich werde inajás holen. Leg dich unter die Palme und sag mir, wo die größten Früchte hängen. So hat es mich meine Mutter gelehrt.

Gutgläubig legte sich die Alte unter den Baum. Da warf der Junge eine Riesen-inajá auf sie, die sie tötete. Er stieg vom Baum, häutete die Alte und trennte ihre Brüste ab, damit der Kurupí sie essen und wiedererkennen sollte.

Als er in das Haus zurückkam, fragte ihn der Papagei des Kurupí:

- Hast du die Alte getötet?

- Ja, ich hab sie getötet.

- Dann gib etwas Speichel von der Alten in ein Loch von takuara-Rohr und zerschlage den Spiegel im Haus, damit ich mit dir fliehen kann.

Der Junge machte alles, was ihm der Papagei sagte. Danach kochte er für den Kurupí und als er damit fertig war, fragte er den Vogel:

- Und was soll ich jetzt machen?

- Laß uns jetzt fliehen!, sagte der Papagei. Der Kurupí kommt gleich. Ich werde mit dir zusammen von hier weggehen.

Bevor er aus dem Haus ging, bestrich der Junge eine Pfeilspitze mit Gift. Dann versteckte er sich unter den riesigen Blättern der inajá. Wenig später kam der Kurupí und rief:

- Alte! Alte!

Aus dem Loch antwortete ihm der Speichel der Alten:

- Huhu! Huhu!

Der Kurupí hörte die Stimme der Alten, aber er sah sie nicht. Er aß zu Mittag und als er fast fertig war, entdeckte er die Brüste der Alten. Als er sie erkannte, so erzählt man, begann er zu weinen. Dann bemerkte er, daß der Papagei fehlte. Während er ihn suchte, fand er eine Spiegelscherbe und sah darin den zwischen den inajá-Blättern versteckten Jungen. Er ging seine Machete holen und wollte die inajá fällen. Da tötete ihn der Junge von oben mit einem Pfeilschuß.

Dann stieg er vom Baum und begab sich nach Haus zu seiner Mutter.

Die Alten erzählen, daß der Kurupí seitdem aus Rache für die Ermordung seiner Frau die Kinder tötet.

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4. Der Kurupí und die Frau

Es wird von einem Mann erzählt, der von seiner Frau Kinder hatte, die noch klein waren. Als er einmal auf die Jagd ging, begegnete er dem Kurupí, der ihn tötete und ihm die Leber aus dem Leib schnitt. Es wird weiter erzählt, daß der Kurupí ihm die Kleider abnahm und sich selbst anzog. So verkleidet ging er zur Frau des Toten. Als er am Haus ankam, rief er sie:

- Alte! Alte! Wo bist du?

- Hier bin ich, antwortete die Frau.

Der Kurupí betrat das Haus und da ihn die Frau nicht ansah, glaubte sie, der eben Angekommene sei ihr Mann.

- Da hast du, sagte der Kurupí. Ich hab leckeres Fleisch mitgebracht. Geh und koch mir was.

Er gab ihr die Leber ihres Mannes. Sie briet sie und bereitete Maniok zu. Dann setzte sie sich zu ihren Kindern. Auch der Kurupí nahm auf der Matte neben ihnen Platz und sagte:

- Laßt uns essen.

Sie aßen und als sie fertig waren, sagte der Kurupí:

- Jetzt werde ich schlafen. Bring mir meinen Sohn, damit auch er schläft.

Der Kurupí legte sich in die Hängematte. Die Frau brachte ihm den Sohn und legte ihn an seine Seite. Als der Kurupí eingeschlafen war, ging die Frau zu ihm und betrachtete ihn genauer. Da sprach sie:

- Das ist nicht mein Mann. Das ist nicht mein Mann. Das ist der Kurupí.

Voller Eile packte sie ihre Sachen in einen Rückenkorb. Dann holte sie den Sohn aus der Hängematte und legte an seiner Statt einen Holzkloben auf die Brust des Kurupí. Als sie fertig war, hängte sie sich den Korb mit ihren Sachen auf den Rücken, legte den Sohn in ihr Brusttuch und floh.

Wenig später erwachte der Kurupí. Er stand auf, ging nach draußen und sagte bald:

- Aha, die Frau hat mich überlistet.

Während er sie suchte, rief ein ums andere Mal:

- Alte! Alte! Wo bist du?

Als die Frau bemerkte, daß der Kurupí sie suchte, floh sie eilig weiter. Es wird erzählt, daß die Frau sehr schnell rannte und es ihr schließlich gelang, auf den hohen Ast eines mambuy zu klettern. Von da oben sah sie den Kurupí kommen und als er unter dem Baum war, rief er wieder:

- Alte! Alte! Wo bist du?

Ein uakarâ, der auf einem Ast des Baums saß, sang: " Mambuy! Mambuy!"

Der Kurupí sah nicht, daß die Frau auf dem mambuy saß und glaubte, der Baum selbst würde seinen Namen singen. Da er die Frau nicht fand, ging der Kurupí schließlich seines Weges.

Da stieg die Frau von dem Baum und rannte in die Wälder.

Es wird erzählt, daß der Kurupí immer weiter sprach:

- Diese Frau hat mich überlistet.

Und erneut schrie er wütend:

- Alte! Alte! Wo bist du?

Als sie das hörte, rannte sie noch schneller zu einem großen ausgehöhlten Baum, aus dessen Innerem eine cunauarú sprang.

- Ach, cunauarú, sagte die Frau. Ich flehe dich an, rette mich vor dem Kurupí!

Es wird erzählt, daß die cunauarú ein Seil aus dem Wachs ihres Körpers machte, so daß die Frau in die Baumhöhlung aufsteigen konnte.

Als der Kurupí kam, rief er wieder:

- Alte! Alte! Wo bist du?

Da sprach die cunauarú:

- Sie ist hier.

Als sie das hörte, so wird erzählt, flehte die Frau die Echse an, den Kurupí nicht aufsteigen zu lassen.

- Hab keine Angst, sprach die cunauarú zu der Frau. Ich will ihn nur töten.

Es wird weiter erzählt, daß die cunauarú danach sofort den Baumstamm mit dem Wachs ihres Körpers bestrich. Und als der Kurupí kam und den Baumstamm umfaßte, blieb er mit seiner dichten Behaarung daran kleben. Es wird behauptet, daß er auf die Weise gestorben ist.

Die Frau aber stieg mit ihrem Sohn von dem Baum und lief nach Hause.

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5. Der Kurupí und der arme Mann

Es wird erzählt, daß niemand wußte, wie ein armer Mann und seine Frau es anstellten, daß sie überlebten, wo doch der Mann am Tage nicht einen Vogel fand, den er erlegen konnte, und des Nachts außer großen Tieren keinem begegnete.

Als er einmal nachts in den Wäldern auf Jagd war, hörte er ein Geräusch, und da er es nie zuvor gehört hatte, lauschte er angestrengt. Er wird erzählt, daß er sich fragte: Was kann das sein?

Plötzlich stand vor ihm der Kurupí. Beim näheren Betrachten sah der Mann seine wilde Mähne, die nach hinten gedrehten Füße und den Knüppel in seiner Hand.

- Wer bist du, daß du nachts durch die Selva streifst?, trat ihm der Kurupí gegenüber. Was machst du um diese Zeit hier? Ziemlich verwegen, nachts mitten in der Selva rumzuspazieren!

Man sagt, daß der Kurupí, indem er das sagte, den Knüppel gegen den Mann erhob.

- Ich durchstreife die Selva auf der Suche nach Jagdbarem, antwortete der Mann. Ich bin arm und habe eine Frau, deshalb jage ich. Wenn ich in den Tagesstunden nichts erlegen kann, jage ich nachts, um etwas zum essen für mich und meine Frau zu haben.

- Kamerad, sagte der Kurupí. Ich kann dir helfen. Ich werde dir alles geben, was du willst. Hast du Tabak?

Der Mann griff als Antwort in seine Tasche, nahm ein wenig Tabak heraus und gab es ihm.

Da die Nacht kalt war, machte der Kurupí Feuer, setzte sich neben die Glut, füllte seine Tabakspfeife, nahm ein Stück aus der Glut, zündete die Pfeife an und nahm einen Zug. Als er den Rauch ausstieß, sagte er zu dem Mann:

- Hör mal, Schwager. Wenn du mir jede Nacht Tabak bringst, bring ich dir das Jagdglück, was du ersehnst. Aber von unserem Vertrag darf niemand außer dir wissen. Erzähl auch deiner Frau nichts davon. Ich wünsche, daß sie davon nichts erfährt. Sie könnte dir gegenüber argwöhnisch werden.

So redeten sie bis zum Anbruch des neuen Tages. Der Kurupí verabschiedete sich, machte kehrt und marschierte los.

Von da an, so wird erzählt, ging der Mann jede Nacht, sobald seine Frau eingeschlafen war, mit dem Tabak für den Kurupí in die Wälder. Am üblichen Platz angekommen, fand er dort den Kurupí schon am Feuer sitzend mit dem erlegten Wild für ihn.

- Hier ist dein Wild.

- Hoho!

Und er übergab ihm den Tabak.

Aber die Frau wurde argwöhnisch und fragte sich:

- Wo findet mein Mann das Wild, wenn er nachts ausgeht? Wie kann das sein? Wie? Ich werde ihm folgen.

Eines Nachts, als sich der Mann rüstete, in die Wälder zu gehen, weil er seine Frau schlafen glaubte, beschloß sie, ihm nachzugehen.

Ohne daß ihr Mann etwas ahnte, ging sie hinter ihm. Kaum daß er an dem üblichen Platz beim Kurupí angekommen war, sagte der zu ihm:

- Schwager, damit endet unser Vertrag. Wenn auch du das Geheimnis gehütet hast, so hat es deine Frau dennoch entdeckt. Aus diesem Grunde sind ihre Tage gezählt. Glaubst du, daß sie weit weg ist? Daß sie in deinem Haus ist? Nein, sie ist hier. Du bist nicht schuld an dem, was ihr jetzt geschieht.

Und indem er dies sagte, sprang der Kurupí auf, stürzte sich auf die Frau und tötete sie.

Der Mann, als er das sah, verlor den Verstand und stürzte Hals über Kopf davon.

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6. Der Kurupí und die verlassenen Kinder

Ein Mann beschloß vor Verzweiflung über die Unmöglichkeit, all seinen Kindern zu essen zu geben, die beiden gefräßigsten in den Wäldern auszusetzen. Dort ließ er sie allein. Die Kinder wanderten umher, bis sie von der Höhe eines riesigen Baumes in der Ferne das Feuer des Kurupí erblickten. Sie stiegen von dem Baum herab und liefen in die Richtung, wo sie das Feuer gesehen hatten. Als sie ankamen, war der Kurupí gerade dabei, ein Stück Fleisch zu braten. Und da sie hungrig waren, baten sie um ein Stückchen.

- Großvater, gibst du mir ein wenig Fleisch?, fragte eines der Kinder.

- Ja, antwortete der Kurupí und schnitt ein Stück von dem Schenkel und bot es den Kindern.

Nach dem Essen fragte eines der Kinder weiter:

- Wo ist unser Heimweg, Großvater?

- Du gehst hier lang, du da lang, unter einem großen Baumstamm durch, dann biegst du ab, dann biegst du ab und kommst unter meinen Hoden wieder hervor, sagte der Kurupí.

Die Kinder taten, wie ihnen der Kurupí geheißen hatte. Sie machten sich auf den Weg, aber sie fanden ihn nicht. Also gingen sie zurück und fanden den Kurupí in seinem Haus. Wieder fragten sie ihn:

- Großvater, wo ist unser Heimweg? Wir haben den Weg nicht gefunden.

Der Kurupí entgegnete:

- Er ist es aber.

Nach diesen Worten machten sich die Kinder wieder auf den Weg. Der Kurupí wartete vergeblich auf ihre Rückkehr. Da ging er ihnen nach und rief:

- Mein Braten! Mein Braten!

Und der Braten antwortete ihm aus den Bäuchen der Kinder:

- Hoho!

Die Kinder kamen ans Ufer eines Flusses und tranken von seinem Wasser, um das Fleisch des Kurupí zu erbrechen. Und als dieser rufend näherkam, antwortete ihm das Fleisch, das die Kinder auf den Boden erbrochen hatten. Es war schon Tag, als die Kinder ans jenseitige Ufer kamen. Da sagte der Kurupí:

- Ihr habt Glück, daß ihr geflohen seid! Ansonsten hätte ich euch gefressen.

Immer auf der Suche nach dem Heimweg gingen die Kinder weiter. Sie begegneten einer akutí, die Maniok rieb und dabei sang:

Akutí pitá cunhem

Die Kinder kamen näher und fragten sie:

- Was machst du, Großmutter?

- Ich reibe Maniok, entgegnete die akutí.

- Wo hast du dein Maniokfeld, Großmutter, fragten sie wieder.

- Nicht weit von hier. Ganz nah, entgegnete die akutí und fügte hinzu: Geht hier rechts lang und ihr werdet am Haus eurer Mutter ankommen.

Die Kinder liefen sofort los. Kurze Zeit später fanden sie einen Affen, der sich im Maisfeld ihrer Mutter gütlich tat. Sie fragten ihn:

- Affe, wo ist das Haus unserer Mutter?

Der Affe antwortete:

- Wenn ihr mir versprecht, mich nicht zu töten, werde ich euch sagen, welcher Weg zum Haus eurer Mutter führt.

Da entgegneten die Kinder:

- Wir werden dich nicht töten. Zeig uns unseren Weg.

- Bleibt rechts, sagte da der Affe. Der Weg ist ganz nah.

Die Kinder gingen und fanden ihre Mutter zu Hause.

Sie hatte sie nicht mehr erwartet.

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7. Tinkuan

Vor der Zeit geschah es, daß der Sohn eines Ältesten aufgrund eines Zaubers im Magen eines pirâibas lebte. Dieser Fisch war sehr gefräßig und fraß alle Menschen, die den See befuhren. Um seine Gier zu besänftigen und damit er die Menschen fischen ließe, opferten die Tapuyos dem alten pirâiba jeden Tag ein lebendiges Wesen.

Dennoch mußten die Häuptlinge erkennen, daß täglich Menschen in dem See verschwanden. Deshalb, so wird erzählt, sagten sie eines Tages zueinander:

- Es ist Zeit, daß wir uambé schneiden, um daraus ein Seil zu machen, mit dem wir den pirâiba fangen.

Nachdem sie das gemacht hatten, nahmen sie als Köder ein wunderschönes kleines Mädchen und warfen es weit in den See.

Der pirâiba verschlang den Haken. Sie zogen mit aller Kraft an dem Seil, aber der Fisch war so stark, daß er mit dem Seil verschwand.

Angesichts dessen rief ein Schamane die Ältesten zu sich und sagte:

- Meine Enkel, so werdet ihr den pirâiba nicht fangen, so geht es einfach nicht, denn es geht um den Geist des Sohnes unseres Ältesten. Um den pirâiba zu fangen, macht eine Kordel aus dem Haar eurer Frauen.

Die Frauen schnitten ihr Haar ab und machten ein sehr dickes Seil. Als Köder nahmen sie ein anderes Mädchen und auch das wurde dem alten pirâiba zum Fraß vorgeworfen.

Zuvor hatten die Schamanen gesagt:

- Wenn ihr den Fisch fangt, öffnet ihm danach den Bauch. Darin werdet ihr einen Vogel finden. Dieser ist der Geist des Sohnes unseres Ältesten. Laßt ihn nicht entfliehen, weder auf dem Boden, noch durch die Luft. Denn wenn er es schafft zu singen Tinkuan! werden wir alle sterben.

Die Männer fanden den Vogel im Bauch des Fisches. Aber er entkam ihren Händen. Der Vogel stieg auf und sang Tinkuan!

Da verfinsterte sich der Himmel, die Erde bebte, der See trocknete aus und alle Menschen starben. Nur der Vogel blieb in der Welt und sang sein Tinkuan!

Der Zaubervogel uirá-pajé, den wir heute sehen, war in einer anderen Zeit der Sohn des Ältesten, der im Bauch des pirâiba gewesen war. Man sagt, daß sein Gesang schlechte Nachrichten ankündigt.

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8. Izy oder Jurupari

Die Alten erzählen, daß am Anfang unserer Geschichte am Ukalary ein Haufen Frauen auftauchten, die unfruchtbar geblieben waren, weil sie mit alten Männern lebten.

Darüber waren sie unglücklich und traurig, denn sie wußten, die Welt würde enden, wenn es keine Kinder mehr gäbe.

An diesem Tag fragte der Schamane, der die Frauen begleitete:

- Seid ihr traurig, Frauen?

- Ja, wir sind traurig, entgegneten sie, weil wir gesehen haben, daß unsere Männer, auch nachdem sie kangerukú getrunken haben, impotent geblieben sind.

- Seid nicht mehr traurig, antwortete der Schamane, ihr werdet Kinder haben.

- Wie denn das? Wie denn das?

Die Frauen wurden übermütig.

- Das werdet ihr schon erfahren, sagte der Schamane, aber zuerst nehmt ein Bad.

Vor Freude singend rannten die Frauen zum Fluß, um darin zu baden.

Als sie aus dem Wasser kamen, sagte der Schamane zu ihnen:

- Jetzt werdet ihr Kinder bekommen, denn die große Schlange hat euch alle geschwängert.

Als die Monate vergangen waren, wurden am gleichen Tag alle Kindlein geboren. Die jüngste der Frauen brachte das schönste Mädchen zur Welt.

Es wuchs heran und wurde mit jedem Tag schöner. Alle Jungen wollten sie heiraten.

Eines Tages ging das Mädchen durch die Wälder und traf einen Affen, der von den Früchten des uakú fraß.

- Diese Früchte sind köstlich, sagte das Mädchen.

- Möchtest du davon essen, fragte sie der uakú.

- Ja, gern möchte ich davon essen.

Die Affen warfen ihr die Früchte zu und sie kostete von einer.

- Lecker schmecken sie, sagte sie dann und sammelte eine Menge auf. Während sie aß, rann ein bißchen von dem Saft an ihrem Hals hinab.

Die Monate vergingen, dem Mädchen blieb die Regel aus. Als die Jungen sahen, daß ihr Bauch sich rundete, bedrängten sie sie mit Fragen:

- Wer hat dich geschwängert?

Sie fragten, weil sie den Vater des Ungeborenen töten wollten.

- Uns hast du nicht gewollt. Wir werden dich töten, wenn du uns nicht sagst, wer es war.

Das Mädchen antwortete:

- Ich weiß nicht, wer schuld ist, daß mein Bauch dick wird. Ich hab nur die Früchte des uakú gegessen.

- Stimmt das?, erwiderten die Jungen? Was wirst du jetzt machen?

Nachdem einige Monate vergangen waren, brachte das Mädchen einen Sohn zur Welt. Als sie sich des Nachts schlafen legte, verschwand das Kind. Sie weinte sehr. Sie suchte es überall. Aber sie konnte es nicht finden. Auf ihrer Suche kam sie auch an einen uakú und hörte das Kindchen weinen. Aber sie fand es nicht. Am Fuß des Baumes legte sie sich schlafen. Als sie am Morgen erwachte, waren ihre Brüste leer. Das Kindchen hatte die ganze Nacht getrunken.

Immer hörte sie ihr Kind weinen. Auch als sie am folgenden Tag erwachte, waren ihre Brüste leer, denn das Kind hatte die ganze Nacht getrunken.

Als es ein Jahr alt war, hörte das Kind auf zu weinen und die Brüste seiner Mutter gaben keine Milch mehr. Seitdem hörte sie, wie das Kind spielte, sprang, lachte, lief, ohne jemals zu sehen, was es tat.

So vergingen die Tage. Und an einem davon erschien ihr plötzlich ihr Sohn, er war schon ein Mann geworden. Die Mutter sah, daß seine Hände und sein Kopf Feuer sprühten.

- Mama, sagte er zu ihr, jetzt bin ich da. Laß uns nach Haus gehen.

Das ganze Dorf freute sich, ihn zu sehen. Alle rannten ihm entgegen, sogar die Alten.

Als ihn die Schamanen sahen, beschlossen sie, ihm den Namen Izy, "der aus der Frucht Geborene", zu geben.

Die Menge brach in den Schrei aus:

- Er sei unser Ältester. Ihn wollen wir haben.

Da sagte er:

- Ich kann nicht euer Ältester sein. Noch habe ich den Stein nanacy nicht, um es sein zu können. Er ist im Mondsichelgebirge.

Es wird erzählt, daß kuarahy, die Sonne, ihm ein Beutelchen mit wundersamen Dingen mitgegeben hatte, mit denen er zaubern konnte. Kuarahy hatte ihm gesagt:

- Nimm das, Sohn. Was du dir auch wünschst, in diesem Beutelchen wirst du es finden. Wohin ich gehe, dahin wirst auch du gehen und alle werden auf dich hören.

Es wird erzählt, daß die Frauen in die Berge gehen wollten, um den Stein des Ältesten zu holen. Dasgleiche wollten aber auch die Männer tun. Also sprachen die Schamanen:

- Frauen dürfen diesen Stein nicht berühren.

So begannen sich Männer und Frauen zu streiten. Da nahm Izy aus dem Beutelchen einige Kessel, gab Feuer und Teer hinein, um sie zum Sieden zu bringen. Dem Rauch des Teers entflogen die Fledermäuse, uakarä, murukututu, yakurutu und andere Nachtvögel. Später entflogen auch andere Vögel wie die Schwalben. Und zuletzt die Raben. Als der Königsrabe entflog, packte ihn Izy und sagte zu ihm:

- Rabe, bring mich ins Mondsichelgebirge. Wenn du mich zurückbringst, lasse ich dich frei.

Der Rabe trug ihn in die Berge. Als Izy auf dem Gipfel angekommen war, saß dort Futura Luna Jacy. Er sprach zu Izy:

- Nimm den Stein. Empfange so dein Herrschaftswissen moacaracaua. Damit wirst du Ältester deines Volkes sein. Vereine dein Volk, lehre es fasten, und ich will dich lehren, wie du herrschen mußt. Wer dir nicht gehorcht, den töte. Und jetzt geh!

Izy kehrte zurück und ließ den Raben frei.

Man sagt, daß er danach die Alten und die Schamanen zusammenrief und ihnen alles wiederholte, was Jacy ihm gesagt hatte. Er forderte sie auf, niemandem seine Worte weiterzusagen. Dann entschwand er ihren Blicken.

Die Frauen, neugierig auf Izys Worte, beschlossen, den alten Männern das Geheimnis zu entlocken. Als es Nacht wurde, legten sich die verführerischsten der Mädchen zu den Alten in die Hängematten. Nachdem diese erschöpft eingeschlafen waren, fanden sie beim Aufwachen keine Mädchen mehr.

Da sagten sie:

- Ich hab heut nacht geträumt.

- Ich auch.

- Ich hab auch geträumt.

Und dann sprachen die Alten miteinander.

Die Frauen, da sie ja jetzt wußten, was Izy gesagt hatte, wollten auch Älteste werden. Genau wie die Männer.

Izy aber verbrannte einen der Alten, die das Geheimnis verraten hatten. Aus seiner Asche entstiegen die Skorpione, die anderen Tiere und giftigen Pflanzen. Einen anderen verwandelte er in eine Echse und einen dritten in eine Schlange.

Izy erschien wieder. Er befahl das Fasten, peitschte die Frauen und Männer, die Älteste werden wollten, fing die, die das Geheimnis verbreitet hatte, und damit sie es nicht weitertragen konnte, tötete er sie, nachdem er sie genommen hatte.

Nach all dem gab er ein großes Fest. Zuvor jedoch rief er vier Alte zu sich und sagte ihnen, daß den Frauen verboten sei, das Fest mit anzusehen oder anzuhören. Er gab weitere neue Befehle und sagte schließlich:

- Alle Frauen, die sich erdreistet haben, hinter meine Geheimnisse zu kommen, werden sterben. Alle Männer, die sie ausgeplaudert haben, werden sterben. Das könnt ihr Alten den jungen Männern sagen, aber keinesfalls den minderjährigen Jungen.

Als er geendet hatte, weinte er.

Die neugierigsten unter den Frauen, die wissen wollten, was Izy den Alten Geheimnisvolles zu sagen hatte, kamen näher um zu horchen. Als Izy fertig war, starben alle diese Frauen und verwandelten sich in Steine.

Izy hatte geweint, weil unter den Frauen auch seine Mutter war und starb.

Danach tanzte Izy auf dem Fest seiner Herrschaft und feierte seine neue Macht. Nach dem Tanz begab sich Izy in den Himmel. Von dort kam Izy von Zeit zu Zeit in die Wälder.

Die Zeit verging.

Eines Tages aßen einige Jungen Früchte unter einem uakú, als sich ihnen ein Schamane aus Izys Familie näherte und zu ihnen sagte:

- Jungen, ihr werdet fasten! Andernfalls werde ich euch verschlingen.

Es wird erzählt, daß die Jungen sich weigerten zu fasten. Am nächsten Tag kam der Schamane wieder, packte sie und verschlang sie.

Es wird erzählt, daß die Eltern der unglückseligen Jungen voller Haß auf den Schamanen waren. Um sich an ihm zu rächen, ließen sie eine große Menge kachiry machen und luden den Schamanen ein, mit ihnen kachiry zu trinken.

Als der Schamane kam, so wird erzählt, tranken sie den ganzen Tag mit ihm, machten ihn so trunken, daß er nicht mehr wußte, ob es Tag oder Nacht war. Als sie ihn volltrunken sahen, sagten die Männer:

- Laßt uns Feuer machen und ihn, um uns zu rächen, im Feuer sterben.

So taten sie. Sie warfen den Körper des Schamanen ins Feuer. Er verbrannte zu Asche. Aus seiner Asche erhob sich die uataño.

- Wie konnte aus der Asche des Schamanen die uataño werden?, fragten sich die Männer, als sie am nächsten Morgen in die Asche sahen.

Die Palme indes wuchs so hoch, daß ihre Blätter den Himmel berührten. Aus dem Inneren der Palme stieg der Geist des Schamanen als akutí-puru zum Himmel auf.

Da die Männer dies wußten, rissen sie die uataño, durch deren Stamm der Geist des Schamanen aufgestiegen war, aus der Erde. Und es wird erzählt, daß sie dabei sprachen:

So wird der Geist des Schamanen nicht zurückkehren.

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9. Tamecan 

(Die Plejaden)

Ein Mann hatte sieben Kinder, die jeden Tag zu ihrem Vater und ihrer Mutter weinten:

- Papa, ich will essen. Mama, ich will essen, sagten sie.

- Ach, Kinder! Ich geb euch doch zu essen. Aber ihr seid niemals satt.

Es wird erzählt, daß die Kinder eines Tages wieder jammerten, weshalb die Mutter verbittert zu ihnen sagte:

- Ihr seid gräßliche Fresser!

- Du wirst uns also nichts zu essen geben, Mama?, entgegneten die Kinder.

Als Antwort holte die Mutter die gebratene Kinnlade eines Tapirs und warf sie ihnen hin.

- Da habt ihr! Da eßt!

- Aber das reicht nicht für uns alle, Mama, sagten die Kinder.

Da teilte der älteste der Brüder sein Bratenstück.

- Hier habt ihr, Brüder, sagte er. Aber der Bissen reicht nicht für alle.

Die Brüder aßen ihre Tapirstückchen. Dann sagte der Älteste zu ihnen:

- Genug, Brüder, jetzt laßt uns in den Himmel gehen und uns in Sterne verwandeln.

Die Brüder breiteten die Arme aus und singend und tanzend erhoben sie sich in den Himmel.

Die Mutter, die aus dem Haus kam, um nach ihnen zu schauen, sah, wie sie tanzend immer höher stiegen. Sie sagte zu ihnen:

- Wohin wollt ihr, Kinder? Hier bring ich euch Essen.

- Es ist schon zu spät, Mama, antworteten sie. Wir sind schon auf dem Weg in den Himmel zu unserem Onkel, um uns in Sterne zu verwandeln.

Und immer weiter tanzend drehten sie ihre Runden wie der aufsteigende yryvú, aufsteigend bis in den Himmel.


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Última actualización: 28.09.2006 00:17